Österreichisches Diabetes-Inzidenz-Register

In Österreich sind wir in der vorteilhaften Lage, seit 1989 über ein populationsbezogenes Diabetes-Inzidenz-Register für Kinder und Jugendliche bis < 15 Jahre zu verfügen, in dem alle Fälle von Diabetes (Typ-1-Diabetes (T1D), Typ-2-Diabetes (T2D) und andere Diabetesformen) registriert werden [1,2,3]. Wir verdanken dieses Register dem Einsatz zahlreicher Kinder- und Jugendärzt:innen, die in sämtlichen Diabetes-behandelnden Krankenanstalten ihre Fälle jährlich melden. Das Register ist, wie mittels Capture-Recapture-Methode [4] überprüft wird, zu 97 % komplett [5].

Inzidenz von Typ-1-Diabetes im Kindes- und Jugendalter

In einer kürzlich in Pediatric Diabetes erschienenen Auswertung des Registers wurde gezeigt, dass die Inzidenz des T1D im Kindes- und Jugendalter weiter steigt [3]. Die Inzidenz von T1D erreichte im Jahr 2021 mit 28,7/100.000 Personenjahren (PJ) bei Kindern unter 15 Jahren einen Höchststand. Dieser Höchstwert trat zeitlich im Zusammenhang mit der SARS-CoV-2-Pandemie auf und war einer konstanten Plateauphase von 2011 bis 2020 mit einer durchschnittlichen Inzidenz von etwa 22/100.000 PJ gefolgt, die die steile T1D-Inzidenz-Zunahme der Jahre 1989 bis 2011 abgelöst hatte [3]. Siehe hierzu Abb. 1.

Abb. 1
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Altersstandardisierte Inzidenz von Typ-1- und Typ-2-Diabetes (T1D, T2D) bei österreichischen Kindern im Alter < 15 Jahre (1999–2021), aus: [3]. © 2023 Katrin Nagl et al

Dynamik in verschiedenen Altersgruppen

Im Jahr 2021 gab es in allen Altersgruppen einen Anstieg der T1D-Inzidenz im Vergleich zu den Vorjahren [3]. Besonders in der Altersgruppe von 5–9 Jahren war der Anstieg im Jahr 2021 außergewöhnlich steil und betrug 32,7/100.000 PJ, was einem Anstieg von 40 % im Vergleich zu den Vorjahren entsprach [3]. Über den gesamten Beobachtungszeitraum gesehen lag aber die höchste T1D-Inzidenz in der Altersgruppe der 10- bis 15-Jährigen und zeigte einen konstanten Anstieg mit einem jährlichen Zuwachs von 3,6 % [3].

Die Dynamik in der Altersgruppe der 0‑ bis 4‑Jährigen unterschied sich von der in den anderen Altersgruppen. Während es von 1989 bis 2007 einen steilen Anstieg der T1D-Inzidenz gab, zeigte sich in den Jahren von 2007 bis 2020 sogar ein leichter Rückgang [3]. Trotz des vorherigen Rückgangs stieg die T1D-Inzidenz bei Kindern unter 4 Jahren im Jahr 2021 ebenfalls steil an und erreichte einen Höchstwert von 20,06/100.000 PJ [3].

Zeitlicher Zusammenhang mit COVID-19 im internationalen Vergleich

Auch in anderen Ländern weltweit wurden ähnliche T1D-Inzidenz-Anstiege verzeichnet, was viele Autoren dazu veranlasste, einen zumindest zeitlichen Zusammenhang mit der SARS-CoV-2-Pandemie zu postulieren [6,7,8,9,10].

In Finnland stieg die Anzahl der Kinder, die im finnischen pädiatrischen Diabetesregister registriert wurden, von 52,3/100.000 Personenjahren während des Bezugszeitraums von 2014–2019 auf 61,0/100.000 PJ im Zeitraum von 2020–2021 [6].

Ähnliche Ergebnisse wurden aus Tschechien [8], Italien [9] aber auch aus Florida [11] und Chile [10] berichtet, wo sich die T1D-Inzidenz sogar verdoppelte.

Ob nun auch tatsächlich ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Anstieg der T1D-Inzidenz und der SARS-CoV-2-Pandemie besteht, werden möglicherweise die Beobachtungen der nächsten Jahre zeigen. Es gibt jedenfalls auch Länder, deren Diabetes-Inzidenz-Register keinen signifikanten Unterschied zwischen der prä- und postpandemischen T1D-Inzidenz zeigten, beispielsweise in West-Australien [12].

In einer dänischen Registeranalyse, die über 2 Mio. Dänen unter 30 Jahre einschloss, wurde zwar ebenfalls ein Anstieg der T1D-Inzidenz festgestellt, allerdings konnte gezeigt werden, dass eine vorangegangene SARS-CoV-2-Infektion nicht mit einem Risiko für die Entwicklung eines T1D assoziiert war [13].

Auch im Vergleich zu gesunden Kontrollen zeigten sich bei neu diagnostizierten Kindern und Jugendlichen mit T1D keine erhöhten SARS-CoV-2-Antikörpertiter [14].

Wichtig in diesem Zusammenhang ist sicherlich das Ergebnis einer chinesischen Studie, bei der über 14 Mio. Bewohner untersucht wurden. Es konnte gezeigt werden, dass die Einführung der Impfung gegen COVID-19 keinen signifikanten Einfluss auf die Entwicklung von T1D oder die T1D-Inzidenz hatte [15].

Im irischen Register wiederum zeichnet sich der Trend einer steigenden T1D-Inzidenz bereits vor der COVID-19-Pandemie ab [16]. Dies lässt auf weitere Einflussfaktoren auf die T1D-Inzidenz schließen. Ausführliche Überlegungen finden sich hierzu auch in der kürzlich erschienen Auswertung des österreichischen Diabetes-Inzidenz-Registers [3]: Auch andere Virusinfektionen spielen bei der Entstehung von T1D eine Rolle, vor allem Enteroviren werden verdächtigt, auslösende Faktoren bei der Entwicklung einer Inselzell-Autoimmunität zu sein [17]. Nachweislich haben die Pandemiemaßnahmen zu einer Veränderung der Zirkulation anderer Viren geführt [18]. In den Öffnungsphasen zwischen den Pandemie-Lockdowns kam es zu Nachholinfektionen von bisher immunnaiven und damit anfälligen Kindern im gesteigerten Ausmaß. Eine Untersuchung der jährlichen Verteilung bestätigter viraler Infektionen zwischen 2017 und 2021 in einem pädiatrischen Tertiärzentrum in Deutschland zeigte eine 16fache Zunahme von Rhino‑/EnterovirusiInfektionen von 2019 bis 2021 [19]. Auch in anderen Regionen der Welt wurden relevante Ausbrüche von Enteroviren, den Erregern von zum Beispiel der Hand-Fuß-Mund-Erkrankung dokumentiert [20].

Inzidenz des Typ-2-Diabetes im Kindes- und Jugendalter

Aus US-amerikanischen Daten lässt sich ablesen, dass im Rahmen der COVID-19-Pandemie auch die Inzidenz des T2D stark gestiegen ist [21]. Ein ähnlich starker Anstieg zeigt sich in den österreichischen Daten jedoch nicht [3]. Nichtsdestotrotz kam es zu einer Verdoppelung der T2D-Inzidenz von 0,25/100.000 PJ im Jahr 1999 auf 0,5/100.000 PJ im Jahr 2021 – ein kontinuierlicher Anstieg, der 2021 erstmalig statistisch signifikant wurde [3]. Dies steht vermutlich primär im Zusammenhang mit dem Anstieg an Übergewicht in der österreichischen Bevölkerung – besonders genaue Daten hierzu hat man durch die Analyse des Körpergewichts junger Männer bei der Stellung beim Bundesheer [22]. Aber auch Vorschulkinder in Österreich sind bereits bis zu 7 % übergewichtig und zu 3,9 % fettleibig, wie eine Publikation aus dem Jahr 2021 zeigte [23]. Auch die Zuwanderung von Personen mit höherem genetischem Risiko für T2D nach Österreich könnte ein potenzieller Faktor für den Anstieg der T2D-Inzidenz sein [3]. Siehe hierzu Abb. 1.

Prävention von Typ-2-Diabetes

Selbstredend ist die T2D-Inzidenz unter Kindern und Jugendlichen in Österreich noch sehr weit von den hohen T2D-Inzidenzzahlen in Ländern wie den USA [24] entfernt, wo die aktuelle T2D-Inzidenz bei über 10 pro 100.000 liegt [25]. Unabhängig davon ist es wichtig, jetzt schon zusätzliche Anstrengungen zu unternehmen, um der „erwachenden T2D-Epidemie“ unter Jugendlichen entgegenzuwirken. Zunächst ist es wichtig, Personen, die ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines T2D haben, frühzeitig zu erkennen. Nur dann können vorbeugende Maßnahmen diesen Personen rechtzeitig zugutekommen [3, 24]. Generell sollte die Lebensumgebung von Kindern so gestaltet sein, dass eine gesunde Ernährung leicht umsetzbar ist und die Umgebung körperliche Aktivität fördert [26]. Dennoch wird es vermutlich nicht ohne die Implementierung von kostengünstigen, leicht zugänglichen und flächendeckend verfügbaren Programmen für Kinder und Jugendliche zur T2D- und Adipositasprävention und -therapie gehen [3].

Screening und Prävention von Typ-1-Diabetes

Screening und Vorbeugung ist nun auch das Stichwort, wenn es um den T1D im Kindesalter geht. Neuerdings hat z. B. Italien aufhorchen lassen, als im italienischen Parlament ein nationales Screeningprogramm für T1D (und auch für Zöliakie) beschlossen wurde [27]. Der Hauptgrund hierfür ist, dass – da T1D in mehreren Stadien abläuft – bereits lange vor der klinisch feststellbaren Symptomatik eines Diabetes die Diagnose mittels Nachweises von zwei oder mehreren Inselzell-Antikörpern (T1D-Stadium I) gestellt werden kann [28]. In Bayern gibt es bereits ein Screeningprogramm im Rahmen der Fr1da-Studie. Das dortige Screening der 2‑ bis 5‑jährigen Kinder ergab eine Inselzell-Antikörper-Prävalenz von 0,3 % [29]. Durch das frühzeitige Erkennen von Personen mit T1D kann das Auftreten einer Ketoazidose zum Zeitpunkt der Diagnosestellung massiv verringert werden [30]. Im Rahmen der Fr1da-Studie lag die KetoazidoserRate im Rahmen der klinischen Erstmanifestation (T1D-Stadium 3) lediglich bei 2,5 % [30].

Diabetische Ketoazidose bei Diagnosestellung

Im Vergleich hierzu ist die Prävalenz von diabetischer Ketoazidose (DKA) im Rahmen der Diagnosestellung eines T1D in Österreich, wo es derzeit kein etabliertes Screeningprogramm gibt, extrem hoch. Die DKA-Rate lag in den Jahren 2012–2020 höher als in den Jahrzehnten zuvor, bei durchschnittlich 43,6 % [31]. Während der Lockdown-Perioden der Coronapandemie stieg die DKA-Prävalenz im Rahmen der Erstmanifestation nochmals dramatisch auf 59,3 % an [31].

Eine diabetische Ketoazidose geht mit einer hohen Morbidität und schweren Komplikationen und der Notwendigkeit von intensivmedizinischen Maßnahmen einher [28]. Doch auch wenn, eine diabetische Ketoazidose überstanden wird, so kann gerade bei Kindern bereits eine einzelne Episode einer mittelschweren oder schweren DKA zu einer langfristigen Schädigung der Kognition und einem veränderten Wachstum des Gehirns führen [32]. Darüber hinaus ist eine Diabetes-Erstmanifestation mit DKA mit einer langfristig schlechteren metabolischen Einstellung vergesellschaftet [33].

Perspektiven für die Zukunft

Es besteht daher auch die Hoffnung, durch eine frühzeitige Diagnose und frühzeitige Insulintherapie die Inselzellfunktion zu erhalten [28]. Mittlerweile gibt es viele Studien, die mit unterschiedlichen Ansätzen daran arbeiten, das Fortschreiten eines T1D im Stadium I, II und III zu verzögern, mit dem Ziel, dies dereinst auch komplett verhindern zu können [34,35,36]. Ein Ansatz ist es beispielsweise, mittels niedrig dosiertem (= „minimum effective low dose“) Antithymozytenglobulin (ATG) das Fortschreiten der Erkrankung zu verhindern – bei der MELD-ATG-Studie [34] wird binnen sechs Wochen nach T1D-Diagnosestellung (T1D Stadium III) ATG verabreicht. Die Studienergebnisse werden im Sommer 2025 erwartet. Ein anderer Ansatz, der derzeit im Rahmen der großen multizentrischen Studie Ver-A-T1D überprüft wird, ist die Verabreichung von Verapamil, ebenfalls bei T1D Stadium III kurz nach der Diagnosestellung. Hierbei wird Verapamil für ein Jahr verabreicht. Die Studienergebnisse werden für Herbst 2025 erwartet [37].

Im November 2022 wurde Teplizumab – ein Antiköper gegen CD3 – als erste immunmodulatorische Therapie für Erwachsene und Kinder ab acht Jahren mit Typ-1-Diabetes durch die FDA zugelassen, mit dessen Hilfe das Fortschreiten eines T1D vom Stadium II zu Stadium III verzögert werden kann [38]. Es konnte gezeigt werden, dass durch eine 14-tägige Teplizumab-Administration der Zeitpunkt der Insulinpflichtigkeit um ca. zwei Jahre hinausgezögert werden kann [39]. Ein Zeitraum, der besonders im Kindesalter eine Rolle spielt. Es bleibt abzuwarten, wann Teplizumab auch in der EU zugelassen sein wird.

Fazit für die Praxis

Bis jedoch all solche Neuerungen flächendeckend zur Verfügung stehen oder alle Kinder frühzeitig diagnostiziert und behandelt werden können, ist es in Österreich vor allem wichtig, weiterhin ein Bewusstsein für die Problematik des T1D im Kindes- und Jugendalter zu schaffen. Kinder mit Diabetessymptomen (Müdigkeit, Gewichtsabnahme, Polyurie, Polydipsie, nächtlichem Einnässen, …) und einer Glukosurie oder einem erhöhten Blutzuckerwert müssen sofort an ein pädiatrisches Zentrum zur Insulintherapie überwiesen werden. Aufgrund der weiterhin im Vergleich sehr niedrigen Inzidenz an T2D ist bis zum Beweis des Gegenteils davon auszugehen, dass bei einem Kind oder einem Jugendlichen ein Typ-1-Diabetes besteht, der zwingend und sofort eine Insulintherapie benötigt, nicht zuletzt auch um das Risiko der Entwicklung einer diabetischen Ketoazidose zu minimieren.