Einleitung

Wenn wir von Mikrobiom sprechen, sind die Gesamtheit der den menschlichen Körper besiedelnden Mikroorganismen und deren Produkte sowie Umgebungsbedingungen gemeint. Das Mikrobiom des Menschen ist individuell unterschiedlich, jedoch auch, je nach Körperstelle, durch dort vorherrschende Mikroorganismen bestimmt.

Das Verständnis des menschlichen Mikrobioms hat sich in den letzten Jahren, vor allem durch revolutionäre Sequenziermethoden, stark verändert. Der Glaube, dass die Gesundheit durch die Dominanz gewisser Bakterienstämme (wie Lactobacillus spp. im weiblichen Genitaltrakt) definiert ist, ist überholt. Im Rahmen des „human microbiome project“ [1] wurden von 300 gesunden Teilnehmern aus verschiedenen Körperstellen (Mundhöhle, Haut, Darm, Urogenitaltrakt) die besiedelnden Mikroorganismen und deren Produkte analysiert. Die Analyse zeigte, dass es große individuelle Unterschiede der Mikrobiome der gleichen Körperstellen gibt. Individuen, die der gleichen ethnischen Gruppe angehörten, wiesen mehr Ähnlichkeit auf als Individuen unterschiedlicher Ethnizität. Durch die Möglichkeit, nicht nur die Mikroorganismen selbst, sondern auch deren Produkte und Interaktion mit der Umgebung zu untersuchen (pH-Wert, Sauerstoffgehalt, Feuchtigkeitsgehalt, immunologische Antwort), wird deutlich, dass nicht ein bestimmtes Bakterium, sondern das Zusammenspiel der gesamten Mikroorganismen und die Reaktion des Gewebes wichtig für die Gesundheit sind. Eben diese Unterschiede sind maßgeschneidert: hoch spezifisch und funktionell relevant.

Die individuellen Unterschiede der Mikrobiome entstehen, ähnlich wie andere die Gesundheit bestimmende Faktoren, durch genetische Unterschiede der Individuen wie Ethnizität, jedoch auch durch die Umgebungseinflüsse, und verändern sich im Laufe des Lebens (Abb. 1).

Abb. 1
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Einflussfaktoren auf das Mikrobiom im Laufe des Lebens der Frau. Erstellt mit BioRender.com

Das intestinale Mikrobiom

Der untere Gastrointestinaltrakt enthält eine besonders hohe Vielfalt (Diversität) an Mikroorganismen. Die Balance zwischen Mikroorganismen und Immunsystem ist verantwortlich für die Darmgesundheit. Bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen findet man typischerweise einen Verlust dieser Vielfalt und veränderte lokale Immunreaktionen, die für das Krankheitsbild verantwortlich sind [2, 3].

Der erste Kontakt bei der Geburt

Lange Zeit war der Glaube weit verbreitet, die Gebärmutterhöhle sei eine sterile Umgebung. Inzwischen weiß man, dass sich auch dort während der reproduktiven Phase Mikroorganismen ansiedeln, die in ihrer Zusammensetzung der vaginalen Besiedelung entsprechen, jedoch in deutlich geringerer Anzahl. Die Frage nach dem Vorkommen von Mikroorganismen im Amnion ist umstritten. Auch wenn es Nachweise gibt, dass Produkte von Bakterien im Fruchtwasser vor Geburtsbeginn vorhanden sind, kann man davon ausgehen, dass es sich bei der Amnionhöhle um eine sterile Umgebung handelt [4, 5].

Unter der Geburt hat der Mensch zum ersten Mal Kontakt mit den Mikroorganismen der Mutter: das vaginale, intestinale und Hautmikrobiom besiedeln das Neugeborene. Bereits zu diesem Zeitpunkt können äußere Faktoren die Entwicklung des gesunden menschlichen Mikrobioms beeinflussen. Vor allem der Geburtsmodus und antibiotische Therapie während und nach der Geburt sind von Bedeutung.

Geburtsmodus und Antibiotika

Die Verabreichung von Antibiotika in der Geburtshilfe beugt vielen Infektionen in der Neugeborenenphase vor, wird jedoch auch mit einem häufigeren Auftreten von E.-coli- assoziierten Infektionen in Verbindung gebracht [6]. Über die langfristigen Auswirkungen von einmaligen Antibiotikagaben unter der Geburt gibt es jedoch zu wenige Daten. Viel genauer untersucht sind der Geburtsmodus und der Einfluss des Stillens auf Neugeborene. Nach vaginaler Geburt und Schnittentbindung gibt es deutliche Unterschiede in der mikrobiellen Darmbesiedelung der Neugeborenen [7]. Eine weitere Studie, die das Darmmikrobiom von Neugeborenen nach Schnittentbindung und Spontangeburt evaluierte und bei welcher die einmalige Antibiotikagabe erst nach dem Abklemmen der Nabelschnur erfolgte, fand ebenso Unterschiede in den intestinalen Bakterienstämmen und konnte diese Unterschiede auch nach einem Jahr noch nachweisen [8].

Stillen und Darmmikrobiom

Stillen ist nicht nur die beste Ernährungsform für Neugeborene, sondern auch für die den Darm besiedelnden Mikroorganismen. Die enthaltenen Fettsäuren fördern die gesunde Entwicklung des Darmmikrobioms [9]. Der Anteil der Muttermilchbakterien am Darmmikrobiom scheint dosisabhängig zu sein, je größer der Muttermilchanteil der Nahrung, desto größer ist auch der Anteil der gesundheitsförderlichen Bakterien im Darm. Kinder, die nicht gestillt werden, haben ein höheres Risiko, später an Übergewicht oder immunologischen Erkrankungen zu leiden.

Darmmikrobiom in Kindesalter und Pubertät

Bis zu einem Alter von drei Jahren entwickelt sich ein stabiles intestinales Mikrobiom, das vor allem durch das Ernährungsverhalten und die Umgebungsbedingungen geformt wird.

Ab dem Zeitpunkt der Pubertät beeinflusst der steigende Östrogenspiegel das Darmmikrobiom. „Östrobolom“ werden die Produkte von Mikroorganismen genannt, die Östrogen metabolisieren können. In der Leber verstoffwechseltes Östrogen kann durch Mikroorganismen wie Bifidobakterium, Clostridium und Lactobacillus spp. wieder von der Glucuronsäure befreit und erneut hormonell aktiv werden. So bestimmen die Zusammensetzung und relative Häufigkeit der Darmbakterien die Menge an zirkulierendem Östrogen mit [10].

Darmmikrobiom im Erwachsenenalter

Nach der Pubertät steigt die Diversität des Darmmikrobioms. Frauen weisen in dieser Phase sogar eine größere Vielfalt an Mikroorganismen auf als Männer. Dieser Unterschied ist vor allem bis zum Alter von ca. 40 Jahren nachzuweisen. Im Laufe des Erwachsenenlebens nimmt die Vielfalt des Darmmikrobioms wieder ab. Im höheren Alter scheint es außerdem einen Zusammenhang zwischen Erkrankungen wie Alzheimer-Demenz und Parkinson und geringer Diversität des Darmmikrobioms zu geben. Daraus schließt man einen Einfluss eines ausgeglichenen, vielfältigen Mikrobioms auf gesundes Altern. Das erhöhte Vorkommen bestimmter Bakterienstämme (Escherichia, Shigella, Proteobacterium) und die Abnahme von Faecalibacterium wurde bei besonders alten Menschen einer chinesischen und italienischen Kohorte beobachtet. Da die Veränderungen des Darmmikrobioms jedoch nicht nur der Zeit, sondern auch Faktoren wie Lebensstil, Ernährung und Medikation unterworfen sind, ist es schwierig, hier Assoziationen abzuleiten [11].

Das vaginale Mikrobiom

Das vaginale Mikrobiom ist besonders den hormonellen Schwankungen im Laufe der Pubertätsentwicklung, Schwangerschaft und Menopause ausgesetzt. Hier spielen Östrogenspiegel, Glykogengehalt des Epithels, Menstruation und Immunsystem eine wichtige Rolle. Auch hier gibt es große individuelle Unterschiede und keine allgemein gültige Definition des gesunden vaginalen Mikrobioms. Bei der Frau in der reproduktiven Phase unterscheidet man fünf „community state types“, also Kompositionen verschiedener Mikroorganismen, die als normal gelten. In vier dieser Untergruppen ist Lactobacillus spp. der vorherrschende Mikroorganismus. Dieser und andere Milchsäureproduzenten sind abhängig vom Glykogengehalt der Schleimhaut und halten den pH-Wert niedrig. Vor allem dieser niedrige pH-Wert und die kompetitive Dominanz gegenüber anderen Mikroorganismen sind verantwortlich für Erhaltung des gesunden vaginalen Milieus.

Die Entwicklung des vaginalen Mikrobioms

Über das vaginale Mikrobiom vor der Pubertät ist wenig bekannt. Bei der Geburt eines Mädchens wird vermutet, dass eine erste Besiedelung durch Kontakt mit vaginalen Mikroorganismen und jenen der Haut der Mutter erfolgt. Das vaginale Mikrobiom von Neugeborenen nach vaginaler Entbindung entspricht annähernd dem der Mutter, mit Lactobacillus spp. als vorherrschendem Bakterium. Durch den Östrogenentzug nach der Geburt dünnt das vaginale Epithel aus und enthält weniger Glykogen und der pH-Wert steigt durch den Verlust der Lactobacillus spp.

Vaginales Mikrobiom im Kindesalter und in der Pubertät

Vor Beginn der Pubertät ist die vaginale Schleimhaut dünn und anfällig für Infektionen durch die alkalischen Umgebungsbedingungen, die potenzielle Krankheitserreger weniger in Schach halten als im Erwachsenenalter. [12]. Vor Pubertätsbeginn sind Lactobacillus spp. und auch Gardnerella spp. nachweisbar, vergleichbar mit einem Befund der bakteriellen Vaginose der geschlechtsreifen Frau.

Die Transition des vaginalen Mikrobioms während der Pubertät wurde vor allem in zwei Studien untersucht [13, 14]. Im Laufe der Pubertätsentwicklung, auch schon vor der Menarche, aber bei steigenden Östrogenspiegeln, verändert sich das vaginale Mikrobiom in Richtung eines meist von Lactobacillus spp. dominierten Milieus.

Vaginales Mikrobiom in der reproduktiven Phase

Die östrogengetriggerte Glykogenproduktion im vaginalen Epithel ist die Lebensgrundlage für milchsäureproduzierende Mikroorganismen wie Lactobacillus spp. Die Veränderung des vaginalen Milieus in der Pubertät, sowie die ersten sexuellen Kontakte sind vermutlich gemeinsam für immunmodulierende Prozesse verantwortlich, die durch Hormonumstellung und auch Kontakt mit übertragbaren Mikroorganismen wie humanen Papillomaviren (HPV) entstehen.

Von besonderem Interesse ist das vaginale Mikrobiom bei unerfülltem Kinderwunsch. Die bakterielle Vaginose ist definiert als Verschiebung des Gleichgewichts einer von Lactobacillus spp. dominierten Umgebung zum vermehrten Vorkommen von potenziell pathogenen Keimen wie Gardnerella spp. Die bakterielle Vaginose erhöht das Risiko für Subfertilität und Schwangerschaftskomplikationen. Die genitale HPV-Infektion, die bei sexuell aktiven Frauen in bis zu 70 % nachgewiesen werden kann, tritt häufig in Zusammenhang mit einer Dysbiose des genitalen Mikrobioms auf und ist ebenso mit Subfertilität assoziiert [15].

Vaginales Mikrobiom in der Schwangerschaft

Im Laufe der Schwangerschaft verändert sich das vaginale Mikrobiom. Zu beobachten ist eine Abnahme der Diversität der Mikroorganismen mit der Dauer der Schwangerschaft. Lactobacillus spp. bleibt bei den meisten gesunden Schwangeren vorherrschend. Studien des Mikrobioms bei Frühgeburtsbestrebungen ergaben einen Zusammenhang zwischen Verminderung von Lactobacillus spp., vermehrtem Vorkommen anderer Mikroorganismen und erhöhtem Frühgeburtsrisiko. Es scheint auch eine Rolle zu spielen, welcher Subtyp der Lactobacillus spp. vorliegt. Die Dominanz von Lactobacillus iners scheint im Vergleich zu anderen Lactobacillus spp. das Risiko für Frühgeburtsbestrebungen zu erhöhen [16, 17].

Vaginales Mikrobiom in der Peri- und Postmenopause

Die sinkenden Östrogenspiegel führen zu strukturellen Veränderungen in der Vagina. Verminderter Blutfluss, weniger Glykogenproduktion und abnehmende Elastizität des Gewebes führen zu Symptomen wie Trockenheitsgefühl und Dyspareunie. Das vaginale Mikrobiom nach der Menopause ähnelt wieder dem präpubertärem Bild – hohe Diversität von Bakterienstämmen und relative Minderheit der Lactobacillus spp. Wird eine Hormonersatztherapie durchgeführt, nähert sich das Mikrobiom wieder dem der Prämenopause [18].

Fazit für die Praxis

Das menschliche Mikrobiom verändert sich im Laufe des Lebens. Die Zusammensetzung der Mikroorganismen ist individuell. Das vaginale Mikrobiom ist besonders abhängig vom Östrogenspiegel. Es verändert sich im Laufe der Schwangerschaft und ist mitverantwortlich für mütterliche und kindliche Gesundheit. Aufgrund der großen individuellen Unterschiede kann zwischen gesundem und dysbiotischem Mikrobiom nicht immer unterschieden werden. Mikrobiomanalysen leisten einen Beitrag zum besseren Verständnis pathologischer Veränderungen, finden jedoch noch keinen Einsatz im klinischen Alltag. Bakterienkulturen allein repräsentieren nur einen kleinen Ausschnitt des Mikrobioms. Es gibt viele bekannte potenziell pathogene Mikroorganismen, deren kultureller Nachweis zum Einleiten einer antibiotischen Therapie verleitet. Diese Therapien eliminieren jedoch auch gesundheitsförderliche Mikroorganismen und sollten mit Bedacht eingesetzt werden. Vor allem bei Diagnostik und Therapie der vaginalen Dysbiosen sollten neben den Symptomen besonders die hormonellen Einflüsse der Lebensphase berücksichtigt werden.