Einleitung

In den letzten Jahren hat die Bedeutung der geschlechterspezifischen Unterschiede in der Medizin immer mehr zugenommen. Mit der Erkenntnis, dass ein Herzinfarkt sich bei Frauen anders äußert als bei Männern, ist die Gendermedizin ins Leben gerufen worden. Somit wurde in den letzten Jahren in den verschiedensten Bereichen der Medizin geforscht, ob es geschlechterspezifische Unterschiede in der Diagnostik, den Symptomen, dem Verlauf und der Komplikationsrate bei den verschiedensten Krankheiten gibt. Auch in der Diabetologie wurden Studien durchgeführt, um biologische Geschlechterunterschiede zu erkennen. So konnte gezeigt werden, dass es Unterschiede gibt bei den Risikofaktoren von Diabetes mellitus, dem Ansprechen auf antidiabetische Medikation und der Komplikationsrate von Diabetes mellitus.

Biologisches vs. soziales Geschlecht

Bevor wir uns speziell mit den Unterschieden bei Diabetes mellitus beschäftigen, aber erst Allgemeines zur Gendermedizin. In der Gendermedizin werden nicht nur die Unterschiede in Bezug auf das biologische Geschlecht erforscht, sondern auch das soziale Geschlecht. Die Forschung zum biologischen Geschlecht beschäftigt sich mit Unterschieden, die sich durch das biologische Geschlecht definieren, nämlich denjenigen, die durch die X‑ und Y‑Chromosomen entstehen, wie geschlechterspezifische Genexpression, Geschlechtshormone und deren Effekt auf den gesamten Körper [1]. Dadurch, dass Männer nur ein X‑Chromosom besitzen, darf man nicht vergessen, dass sie somit nur das mütterliche X‑Chromosom und dessen Imprinting erhalten. Im Gegensatz dazu erhält eine Frau ein X‑Chromosom von jedem Elternteil [2]. Somit wird eines der beiden X‑Chromosomen inaktiviert [2]. Trotzdem finden die Chromosomen häufig einen Weg, den Inaktivierungsprozess zu umgehen [2]. Dementsprechend sind dann gewisse Gene mehr in den Frauen exprimiert als bei Männern. Des Weiteren beeinflussen die X‑ und Y‑Chromosomen die Expression von Genen und dadurch entsteht eine geschlechterspezifische, aber auch gewebespezifische Genexpression [1]. Zusammenfassend wird das biologische Geschlecht durch diese genetischen und hormonellen Unterschiede beeinflusst und führt dementsprechend zu Unterschieden in Krankheitsprävalenzen, Diagnosefindung, Therapieansatz und Krankheitsverlauf zwischen Mann und Frau [2].

Im Gegensatz dazu beschäftigt sich das soziale Geschlecht „Gender“ nicht mit biologischen Unterschieden zwischen Mann und Frau. Es kann in vier Dimensionen eingeteilt werden: „gender identity“, „gender relations“, „gender roles“ und „institutionalized gender“ [3]. „Gender identity“ wird definiert mit dem Geschlecht, welchem man sich zugehörig fühlt. Das muss nicht das biologische Geschlecht sein und kann sich auch über eine Zeitdauer ändern. „Gender relations“ beschäftigt sich mit dem Umgang und der Beziehung der Geschlechter miteinander. Diese Dimension kann kulturell und je nach Land sehr unterschiedlich sein. „Gender roles“ beinhaltet die Aufgaben und Erwartungen, die eine Gesellschaft an das jeweilige Geschlecht hat. Beispiele sind die Mutterrolle der Frau oder der Mann als Beschützer. Auch diese Dimension ist sehr unterschiedlich je nach Land, Kultur, aber auch Religion. Vor allem in östlicheren Ländern wird von der Frau erwartet, sich um die Kinder zu kümmern und den Haushalt zu meistern. Als letzte Dimension gibt es „institutionalized gender“. Diese Dimension beschäftigt sich mit den Möglichkeiten, die der Staat den Geschlechtern gibt. Genauer gesagt dem Zugang zu Bildung, der politischen Stellung, der rechtlichen Gleichstellung und Ähnlichem. Natürlich ist auch diese Dimension sehr abhängig vom Land, Kultur und religiösem Glauben. Zum Beispiel gibt es Länder, in denen die Frau die Erlaubnis ihres Ehemannes braucht, um zu arbeiten, ein Konto zu eröffnen oder ein Krankenhaus aufzusuchen. Somit kann man zusammenfassend sagen, dass geschlechterspezifische Unterschiede im Krankheitsverlauf, Krankheitsprävalenz oder Therapieansprechen nicht immer durch biologische Faktoren ausgelöst werden müssen, sondern auch das soziale Geschlecht eine Rolle spielen kann. Durch die Publikation „The Yentl Syndrome“ wurde die Gendermedizin geboren. Jedoch wurde in den letzten Jahren vor allem auf das biologische Geschlecht Rücksicht genommen und der Forschungsschwerpunkt darauf gesetzt. Dementsprechend gibt es im Bereich Diabetes mellitus einige Studien, die über biologische Unterschiede zwischen Mann und Frau berichten, jedoch wenige zu Unterschieden im sozialen Geschlecht. Hiermit werde ich die aktuelle Studienlage etwas zusammenfassen.

Genderaspekte bei Diabetes mellitus

Zuallererst fällt auf, dass junge Frauen häufiger an Diabetes mellitus leiden als ihre männlichen Gegenüber [4]. Jedoch ändert sich das, wenn man sich die mittlere Altersgruppe anschaut [4]. In dieser sieht man mehr Männer, die an Diabetes mellitus leiden [5]. Generell sind die Risikofaktoren für Diabetes mellitus bei Frauen und Männer die gleichen [5]. Trotzdem gibt es eine Ausnahme, die nur bei Frauen vorzufinden ist, nämlich Schwangerschaftsdiabetes [5]. Zusätzlich spielt bei Prädiabetes, der Vorform von Diabetes mellitus, das biologische Geschlecht eine Rolle in der Pathogenese zu Diabetes mellitus Typ 2 [5]. Nämlich repräsentiert eine gestörte Glukosetoleranz die postprandiale Insulinresistenz, während ein gestörter Nüchternblutzucker eine gestörte Nüchterninsulinresistenz repräsentiert. Studien konnten aufzeigen, dass Frauen eher eine gestörte postprandiale Insulinresistenz haben, aber Männer vermehrt eine gestörte Nüchterninsulinresistenz [5].

Des Weiteren wird diskutiert, inwieweit Östrogen einen Einfluss auf die Pathogenese von Diabetes mellitus hat. Frühere Studien konnten zeigen, dass in postmenopausalen Frauen eine Östrogentherapie das Risiko, an Diabetes mellitus zu erkranken, verringert [6]. Aber auch bei Männern gibt es Berichte, dass bei Testosteronmangel eine Substitutionstherapie einen positiven Einfluss auf die Weiterentwicklung von Prädiabetes zu Diabetes mellitus hat [7].

Diabetes mellitus erhöht das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen. Im Vergleich zu Frauen haben Männer mit oder ohne Diabetes mellitus immer ein höheres Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen [8]. Nichtsdestotrotz haben Frauen im gebärfähigen Alter mit Diabetes mellitus eine höhere Rate an kardiovaskulären Erkrankungen als deren männliche Gegenüber [9, 10]. Diese erhöhte Rate an kardiovaskulären Erkrankungen bei jungen Frauen kann dadurch erklärt werden, dass Frauen eine größere Veränderung durchmachen von Normoglykämie zur Stoffwechsellage des Diabetes mellitus Typ 2. Somit haben Frauen bei dem Zeitpunkt der Diagnose schon mehr kardiovaskuläre Risikofaktoren wie erhöhtes Bauchfett, chronische Entzündungen, erhöhte Blutgerinnungsneigung, Dyslipidämie, arterielle Hypertonie, Insulinresistenz und die damit verbundenen Endotheldysfunktionen [11,12,13].

Auch im Hinblick auf die Therapie von Diabetes mellitus gibt es geschlechterspezifische Unterschiede. So konnte man zeigen, dass Frauen etwas zu aggressiv hinsichtlich ihres Diabetes mellitus, aber auch der einhergehenden kardiovaskulären Risikofaktoren behandelt werden im Vergleich zu Männern [14]. Diabetes mellitus ist bekanntlich ein Risikofaktor für eine Vielzahl von schwerwiegenden Erkrankungen, wie Schlaganfall, ischämische Kardiomyopathie, Herzinsuffizienz, Demenz, Krebserkrankungen. Frühere Studien konnten zeigen, dass die Diabetes-mellitus-Komorbiditäten vor allem bei Frauen erhöht sind [15, 16]. Zusätzlich sind in den letzten Jahren viele orale antidiabetische Therapien auf den Markt gekommen. Viele Studien konnten beweisen, dass diese neuen Medikamente die Mortalität in Diabetes mellitus drastisch reduzieren konnten [17]. Jedoch konnte man auch sehen, dass die reduzierte Mortalität vor allem bei Männern zu berichten ist. Die Mortalität bei Frauen mit Diabetes mellitus ist weiterhin steigend [17]. Das könnte daran liegen, dass Frauen zum Zeitpunkt der Diagnose oft schon an einer erhöhten Rate und Schwere von Arteriosklerose leiden als deren männlichen Gegenüber [2]. Dementsprechend sind kardiovaskuläre Risikofaktoren wie arterielle Hypertension, Dyslipidämie, Rauchen, Adipositas und sitzende Lebensweise bei Frauen mit Diabetes mellitus viel schwerwiegender als bei Männern [2].

Schlussendlich konnten aber auch geschlechterspezifische Unterschiede bei dem Therapieansprechen auf die neuen antidiabetischen Medikamente gefunden werden. So konnten zum Beispiel gezeigt werden, dass vor allem Männer mit einem normalen BMI eine bessere glykämische Kontrolle unter der Therapie mit Sulfonylharnstoffen zeigen verglichen mit Frauen [18]. Im Gegensatz dazu zeigten adipöse Frauen eine bessere glykämische Kontrolle unter der Therapie mit Glitazon im Gegensatz zu deren männlichen Gegenüber [18].

In Bezug auf den Einfluss des sozialen Geschlechts auf Diabetes mellitus ist die Studienlage eher rar. Jedoch gibt es einzelne Studien, die berichten, dass Menschen mit einem niedrigen sozioökonomischen Status ein höheres Risiko für Diabetes mellitus und dessen Mortalität haben. Dieser Effekt ist vor allem bei Frauen ausgeprägt [19,20,21]. Zusätzlich konnte gezeigt werden, dass ein niedriger sozioökonomischer Status mit einem höheren BMI, Bauchumfang und weniger Bewegung im Alltag einhergeht. Zusätzlich konnte erforscht werden, dass unbezahlte Hausarbeit und Aufgaben im Haushalt zu vermehrtem Stress führen, welcher weiters mit einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen einhergeht [22, 23].

Konklusion

Zusammenfassend kann man sagen, dass es einige geschlechterspezifische Unterschiede in Bezug auf Diabetes-mellitus-Prävalenz, Diagnostik, Krankheitsverlauf und Therapieansprechen gibt. Nichtsdestotrotz ist vor allem die Datenlage zu sozialen Geschlechterunterschieden noch rar. Dementsprechend sollte man in der Behandlung von Diabetes-mellitus-Patienten auch solche Faktoren berücksichtigen und die Forschung in dem Bereich der Gendermedizin unterstützen, um in der Zukunft eine optimale und auf den Patienten zugeschnittene Behandlung zu ermöglichen.