FormalPara Key points
  • AGS‑X wird verursacht durch homozygote oder compound heterozygote Defekte im 21-Hydroxylase(CYP21A2)-Gen in Kombination mit mono- oder biallelischen Defekten im benachbarten Tenascin-X(TNXB)-Gen

  • Zusätzlich zu dem Hyperandrogenismus und Glukokortikoidmangel des AGS kommt es bei betroffenen Patient*innen zu einem Ehlers-Danlos-Syndrom-ähnlichen Phänotyp

  • AGS‑X ist klinisch gekennzeichnet durch überbewegliche Gelenke, überdehnbare Haut und strukturelle Herzerkrankungen

  • Eine frühe Erkennung des AGS‑X könnte zur Identifikation von Komorbiditäten, gezielten Vorsorgeuntersuchungen und einer besseren langfristigen Prognose führen

Pathophysiologie und klinische Bedeutung

Das adrenogenitale Syndrom (AGS) umfasst eine Gruppe angeborener Stoffwechselerkrankungen, deren Ursache in einer Störung der Steroidbiosynthese liegt. Angeborene genetische Veränderungen führen zu Defekten einzelner Enzyme, die im Syntheseweg eine wichtige Rolle spielen. Daraus resultiert eine gesteigerte Produktion männlicher Hormone sowie auch eine reduzierte Bildung von Cortisol und Aldosteron. Über 90–95 % der AGS-Fälle sind auf pathogene Varianten des CYP21A2-Gens zurückzuführen, welche die funktionelle Aktivität der 21-Hydroxylase in unterschiedlichem Ausmaß einschränken und daher die Erkrankung mit unterschiedlich schwerwiegender Symptomatik hervorrufen [1,2,3].

Das Ehlers-Danlos-Syndrom (EDS) umfasst eine klinisch und vor allem genetisch sehr heterogene Gruppe von Erkrankungen des Bindegewebes, die in unterschiedlicher Ausprägung durch eine Überbeweglichkeit der Gelenke, Überdehnbarkeit der Haut, verletzliches Gewebe sowie teilweise auch vaskuläre Komplikationen charakterisiert sind. EDS-verursachende Defekte werden am häufigsten in Kollagen-kodierenden Genen oder in Genen, die Kollagen-modifizierende Enzyme kodieren, detektiert. Auf eine detaillierte Klassifikation in Haupt- und Subtypen kann aufgrund der Mannigfaltigkeit der Ausprägungen und Gendefekte in diesem Artikel nicht näher eingegangen werden [4, 5].

Der vorliegende Artikel widmet sich einer speziellen Form von EDS, die durch pathogene Varianten im TNXB-Gen, das für das Glykoprotein Tenascin X (TNX) kodiert, in Patient*innen mit AGS hervorgerufen wird. TNX ist ein Glykoprotein der extrazellulären Matrix aus der Tenascin-Familie, das in der Zelladhäsion und Signalübertragung eine Rolle spielt und in der Haut, im Herzen und im Muskel exprimiert wird. Patient*innen mit pathogenen TNXB-Varianten (Mutationen) weisen einen dem klassischen Ehlers-Danlos-Syndrom ähnlichen Phänotyp auf, wodurch EDS mit TNX-Defizienz auch in die Gruppe der EDS-classic-like-Formen (EDSCLL, OMIM 606408) eingereiht wird. Analog dem in der Fachliteratur verwendeten englischen CAH‑X (congenital adrenal hyperplasia‑X; [6, 7]) wird ein AGS mit zusätzlicher TNXB-Defizienz im vorliegenden Artikel mit AGS‑X bezeichnet.

Da die TNXB-Genotypisierung aufwändig ist, nicht routinemäßig durchgeführt wird und EDS in dieser Form weitgehend noch unbekannt ist, kann angenommen werden, dass AGS‑X zurzeit unterdiagnostiziert ist.

Die Identifikation von AGS-Patient*innen mit TNXB-Defekten könnte eine frühzeitige Identifikation und ein gezieltes klinisches Follow-up von entsprechenden Komplikationen, wie z. B. strukturellen Herzerkrankungen, ermöglichen und somit die langfristige Prognose für diese Patient*innen verbessern.

Symptomatik und klinische Diagnostik

Betreffend Symptomatik und klinischer Diagnostik eines AGS wird auf einen diesbezüglichen früheren Artikel des „Genetischen Alphabets“ verwiesen. Hinsichtlich AGS‑X wurde bereits angeführt, dass Überlappungen mit einem klassischen EDS vorliegen. In diesem Sinne sind überdehnbare Haut und überbewegliche Gelenke mit häufigen Luxationen kennzeichnend [7, 8]. In TNXB-assoziiertem EDS wurden weiters reduzierte Muskelkraft und axonale sensomotorische Polyneuropathie beobachtet [9, 10]. Es liegt eine hohe Inzidenz an Uterus‑, Vaginal- oder Rektalprolaps vor [11]. Strukturelle Herzerkrankungen, welche in verschiedenen EDS-Subtypen vorkommen, wurden auch im Rahmen von AGS‑X gehäuft beobachtet. Insbesondere sind hierbei eine quadrikuspide Aortenklappe, linksventrikuläre Divertikel, ein verlängertes vorderes Mitralklappensegel und ein vergrößerter linker Ventrikel aufgefallen [7]. Diese kardialen Pathologien sind im Hinblick auf das bei AGS sowieso schon erhöhte kardiovaskuläre Risiko [12] von besonderer Bedeutung.

Abschließend sei noch erwähnt, dass neben Tenascin-Defekten (AGS-X) auch AEBP1-Defekte zu einem classical-like EDS führen und dass beide Gene im Rahmen einer Panel-Analyse (wie weiter unten angeführt) parallel untersucht werden können [13].

Genetische Diagnostik

Genetischer Hintergrund, Häufigkeit und Vererbung

Genetischer Hintergrund

EDS mit Tenascin-X-Defizienz wurde in Patient*innen mit adrenogenitalem Syndrom (21-OH-Defekt) beschrieben, die zusätzlich klinische Symptome eines klassischen EDS aufwiesen. Als Ursache stellte sich eine 30-kb-Deletion auf Chromosom 6p21.3 heraus, die sowohl das CYP21A2-Gen als auch das teilweise überlappende TNXB-Gen betraf und somit ein zusammenhängendes Gensyndrom darstellt [14, 15].

Das die 21-Hydroxylase kodierende CYP21A2-Gen ebenso wie das funktionell inaktive Pseudogen CYP21A1P sind am Chromosom 6p21.33 inmitten der HLA-Region lokalisiert. Weiters umfasst dieser Lokus, einer der komplexesten im humanen Genom, auch die isoformen Komplementfaktor-C4-Gene C4A und C4B, RP1 (auch als STK19 bezeichnet), die eine Serin-Threonin-Proteinkinase und das entsprechende Pseudogen RP2 (STK19P) kodieren, ebenso wie das das extrazelluläre Matrix-Glykoprotein Tenascin‑X kodierende TNXB-Gen und das dazugehörige trunkierte TNXA-Pseudogen. Der Komplex dieser teilweise überlappenden Gene und Pseudogene wird auch als RCCX-Modul (RP-C4-CYP21-TNX) bezeichnet [16]. TNXB und TNXA werden in gegensätzlicher Richtung zu den anderen Genen abgelesen, sodass die letzten 5′ Exons von TNXA und TNXB in der 3′-UTR von CYP21A1P bzw. CYP21A2 liegen und bei größeren Deletionen/Genkonversionen des CYP21A2-Gens auch die TNX-Gene betroffen sein können.

Durch die hohen Homologien zwischen den Genen und ihren entsprechenden Pseudogenen kommt es zu Rekombinationen bzw. Misalignments mit verschiedenen Bruchpunkten. Es resultieren Genkonversionen bzw. Deletionen der funktionellen Gene und/oder die funktionellen Gene sind durch von den Pseudogenen stammende Mutationen inaktiviert [2, 16, 19,20,21]. Diese pathogenen Varianten (Missense‑, Nonsense‑, Frameshift‑, Spleiss-Varianten sowie große genomische Rearrangements) können zu reduzierter TNX-Expression in den entsprechenden Geweben führen und/oder die Struktur des Moleküls ändern. Für manche dieser Varianten wurde auch ein dominant negativer Effekt beschrieben.

Vererbung

Der Vererbungsmodus für AGS‑X wurde ursprünglich wie für das AGS und EDSCLL als autosomal rezessiv angenommen. Charakteristisch für einen autosomal rezessiven Erbgang ist, dass heterozygote Träger*innen einer pathogenen Variante klinisch gesund sind und die Erkrankung lediglich manifest wird, wenn sowohl väterliches als auch mütterliches Allel von einer pathogenen Variante betroffen sind.

Während dies für das AGS aufgrund eines CYP21A2-Defekts weiter zutreffend ist, beobachtet man bei AGS‑X, dass auch Patient*innen mit lediglich einem heterozygoten TNXB-Defekt einen EDS-Phänotyp aufweisen, welcher stärker ausgeprägt ist als der von Familienangehörigen, welche nicht an AGS erkrankt sind. Bei AGS‑X Patient*innen mit einem betroffenen TNXB-Allel spricht man von einem monoallelischen AGS‑X; hier ist der vorliegende EDS-Phänotyp vorwiegend durch Hypermobilität gekennzeichnet. Bei AGS‑X Patient*innen mit zwei betroffenen TNXB-Allelen spricht man von biallelischem AGS‑X [7].

Ist ein Elternteil von einer heterozygoten pathogenen Variante betroffen, besteht für Kinder eine 50 %ige Wahrscheinlichkeit, ebenfalls Träger*innen dieser Variante zu sein.

Häufigkeit [2, 3, 17]

Hinsichtlich eines schweren (klassischen) 21-Hydroxylase-Mangels geht man derzeit von einer Häufigkeit von 1:7000–1:15.000 aus, für die sogenannten „nicht-klassischen“ Fälle mit milderer Symptomatik wird eine bei Weitem höhere Frequenz angenommen (Mitteleuropa 1:200). Zu beachten ist auch, dass in der Normalbevölkerung von einer Heterozygotenfrequenz für AGS (aufgrund von 21-Hydroxylasemangel) von 10 % auszugehen ist.

Aufgrund der geringen Bekanntheit des AGS-X-Syndroms und der noch geringen Anzahl diesbezüglicher Studien muss davon ausgegangen werden, dass viele der betroffenen Patient*innen noch undiagnostiziert sind. In Abhängigkeit davon, welche Methoden angewandt wurden bzw. welche Chimäre untersucht wurden, wurde eine CYP21A2/TNXB-Deletion für 15,6 % der untersuchten AGS-Patient*innen und für 29,2 % der AGS-Patient*innen, die Träger*innen einer CYP21A2-Deletion sind, berichtet. Werden die drei häufigsten pathogenen TNXB-Varianten untersucht, werden sogar bei 62,8 % der Allele von Träger*innen einer CYP21A2-Deletion pathogene TNXB-Varianten detektiert [18, 19].

Indikationen für eine molekulargenetische Diagnostik

Hinweis aus der AGS-Genotypisierung

Die erst kürzlich veröffentlichten Best Practice Guidelines [20] zur Durchführung der Genotypisierung bei Verdacht auf AGS (aufgrund einer 21-Hydroxylase-Defizienz) empfehlen neben einer Sequenzierung der Exons bzw. Exon/Intron-Grenzbereiche auch eine Methodik zur Detektion von großen Deletionen und Duplikationen [21] des CYP21A2-Gens. Der Großteil der mit AGS-Genotypisierung befassten Laboratorien verwendet immer noch die klassische Sanger-Sequenzierung und die MLPA (Multiplex ligation-lependent probe amplifikation [22]). Für letztere Methodik existieren kommerzielle Kits, die als In-House-Produkt validiert werden müssen. Der zurzeit am meisten für die AGS-Diagnostik verwendete MLPA-Kit von MRC-Holland erfasst neben dem funktionellen CYP21A2-Gen, dem inaktiven Pseudogen CYP21A1P und anderen Kontrollgenen auch einzelne Exons des TNXB-Gens.

Liegt eine große Deletion/Konversion des CYP21A2-Gens vor, die auch noch Bereiche (z. B. Exon 35) des TNXB-Gens betrifft, wird dies in der zur AGS-Genotypisierung verwendeten MLPA ersichtlich, sodass hiermit auch eine TNXB-Haploinsuffizienz festgestellt werden kann. Diesem Hinweis auf ein mögliches AGS‑X kann dann nachgegangen werden bzw. kann eine detailliertere genetische Diagnostik hinsichtlich TNXB überlegt werden.

Klinische Symptomatik bzw. Familienanamnese

Aufgrund der geringen Anzahl einschlägiger Fachpublikationen ist es schwierig, einen für AGS‑X (in Abgrenzung zu anderen EDS-Subtypen) charakteristischen Phänotyp als Indikation für eine TNXB-Genotypisierung festzulegen.

Eine molekulargenetische AGS-TNXB-Diagnostik ist daher indiziert bei

  • Beighton-Score > 4,

  • reduziertem Signal von TNXB in MLPA,

  • Verwandten ersten Grades von AGS‑X Betroffenen,

  • Vorliegen von strukturellen Herzerkrankungen oder Uterus‑, Vaginal- oder Rektalprolaps.

Ziel der genetischen Analyse ist es,

  • ein AGS‑X frühzeitig zu erkennen,

  • potenziell später auftretende Komplikationen (kardiovaskuläre Komorbiditäten) frühzeitig zu erkennen bzw. Folgeschäden zu verhindern,

  • eine profunde Grundlage für eine humangenetische Beratung hinsichtlich Familienplanung zu haben.

Genetische Beratung und Implikationen bei genetischer AGS-X-Diagnostik

Bevor eine humangenetische Analyse durch eine zuständige, einschlägige Fachärzt*in veranlasst und im Labor durchgeführt werden kann, sind die Patient*innen entsprechend aufzuklären und zu beraten. Diese humangenetische Beratung muss dokumentiert werden, und die Patient*innen haben der Analyse schriftlich zuzustimmen. Das Ergebnis der genetischen Analyse muss in schriftlicher Form mitgeteilt und mit einer genetischen Beratung abgeschlossen werden. Die Patient*innen können die Durchführung der humangenetischen Analyse bzw. die Mitteilung des Ergebnisses zu jedem Zeitpunkt und ohne Angabe von Gründen widerrufen.

Nachweis einer TNXB-Mutation

  • Bestätigung der klinischen Verdachtsdiagnose, Therapie

  • Bei asymptomatischen Anverwandten: Systematisches Vorsorgeprogramm

Keine TNXB-Mutation nachweisbar

  • Es liegt kein AGS‑X vor.

  • Bei klinischer Symptomatik bzw. positiver Familienanamnese:

    • Es liegt ein anderer EDS-Subtyp vor, sodass andere Gene untersucht werden können.

    • Es liegt eine pathogene Variante in einem nicht untersuchten Bereich des TNXB-Gens vor.

    • Die verwendete Methode detektiert nur bereits bekannte und/oder nicht alle Arten von Mutationen.

Genetischer Befund: Methodik, Inhalt, Interpretation

NGS („next generation sequencing“) wird – wahrscheinlich aufgrund der komplexen Struktur der CYP21A-Gene (98 % homologes funktionell inaktives Pseudogen CYP21A1P) – bislang nur in geringem Ausmaß eingesetzt. Für die AGS-Genotypisierung (aufgrund einer 21-Hydroxylase Defizienz) wird auch in den erst kürzlich publizierten europäischen Guidelines (EMQN) empfohlen [20], primär die klassische PCR-basierte Sanger-Sequenzierung in Kombination mit der MLPA zu verwenden. Während die Sanger-Sequenzierung zur Detektion von Einzelnukleotidveränderungen eingesetzt wird, dient die MLPA zur Detektion größerer Duplikation und Deletionen [21, 22] bzw. stellt eine alternative Methode für die Detektion einzelner häufiger pathogener Varianten (c.290-13C>G, c.920_921insT p.(Leu307Phefs*6), c.515T>A p.(Ile172Asn)) dar.

Mittels MLPA kann auch eine partielle große Deletion des TNXB-Gens (Exon 35) detektiert werden, nicht aber andere pathogene TNXB-Varianten in anderen Bereichen und unterschiedlicher Natur (Einzelnukleotidsubstitutionen etc.).

Für eine entsprechende weiterführende TNXB-Genotypisierug könnten mittels PCR-basierter Sanger-Sequenzierung oder quantitativer PCR die bislang am häufigsten nachgewiesenen Bruchpunkte bzw. Nukleotidsubstitutionen in den Exons 40–43 analysiert werden. Bei Verdacht auf andere damit nicht erfasste Varianten müsste im Rahmen einer Einzelgenanalyse eine aufwändige Sequenzierung der 44 Exons erfolgen, sodass in solchen Fällen auch auf Panel-Analysen zurückgegriffen werden könnte, die im Rahmen einer umfangreicheren genetischen EDS-Diagnostik von Speziallaboratorien bzw. humangenetischen Zentren angeboten werden.

Betreffend den classic like EDS-Subtyp (EDSCLL) wird von manchen Laboren eine Panel-Analyse angeboten, die das bereits oben näher beschriebene TNXB- und das AEPB1-Gen umfasst. Letzteres kodiert das aortale Carboxypeptidase-ähnliche Protein ACLP, welches in defekter Form zu Hypermobilität und gestörter Wundheilung mit starker Narbenbildung führt.

Es ist diesbezüglich aber auf die mit NGS verbundene aufwändigere humangenetische Beratung der Patient*innen und Ratsuchenden wie auch die herausfordernde Interpretation derartiger molekulargenetischer Befunde hinzuweisen, wie auch bereits in früheren Beiträgen des „Genetischen Alphabets“ angeführt.

Für die Analyse benötigtes Ausgangsmaterial ist meist peripheres EDTA-Blut (inklusive einer Einverständniserklärung der Patient*innen). Aufgrund der erst kürzlich erfolgten Publikationen und Diskussion zu AGS‑X steht die entsprechende Genanalyse nur in ausgewählten Laboren/Institutionen zur Verfügung, sodass diesbezüglich vorab Informationen eingeholt werden müssen.

Infobox 1 Weitere Informationen

Weitere Informationen über genetische Analysen in Österreich bekommen Sie unter anderem über folgenden Link: www.oeges.at (Molekulare Endokrinologie).