Hintergrund

In den letzten Jahren gab es durch die Entwicklung der sogenannten Immuntherapie eine drastische Weiterentwicklung der therapeutischen Optionen für eine Reihe von onkologischen Erkrankungen. Das Prinzip der Immuntherapie ist es, Rezeptoren zu hemmen, die die Zellen der Immunabwehr in den programmierten Zelltod schicken. Diese Checkpointmoleküle sind physiologisch dafür verantwortlich, dass es zu keiner überschießenden Immunreaktion kommt, und diese sorgen im Tumor dafür, dass der Tumor nicht vom Immunsystem attackiert werden kann. Hierfür exprimieren Tumorzellen an ihrer Oberfläche den Liganden für das Bremsmolekül „programmed cell death 1“ (PD-1), womit sie die T‑Zell-Antwort inhibieren können [1].

Drei Klassen von Immuncheckpoint-Inhibitoren gibt es derzeit: Cytotoxic-T-lymphocyte-antigen-4(CTLA-4)-Antikörper (Ipilimumab, Tremelimumab), Programmed-cell-death-protein-1(PD-1)-Antikörper (Nivolumab, Pembrolizumab, Cemiplimab) und Programmed-cell-death-protein-1-ligand-1(PD-L1)-Antikörper (Avelumab, Atezolizumab, Durvalumab). Diese Therapien können bei diversen Erkrankungen wie dem Hodgkin-Lymphom, dem malignen Melanom, bei einem Teil der PatientInnen mit nichtkleinzelligem Lungenkarzinom, kleinzelligem Lungenkarzinom, Nierenzellkarzinom, mikrosatelliteninstabilem Kolonkarzinom etc. eingesetzt werden. Durch diese Therapie konnte das Überleben der Betroffenen zwar angehoben werden, die Immuntherapie kann aber von einer Reihe von autoimmunologischen Nebenwirkungen, den Gastrointestinaltrakt, die Leber, die Haut und das endokrine System betreffend, begleitet sein. Endokrine Nebenwirkungen beinhalten die Entwicklung einer Hypophysitis, in seltenen Fällen einer primären Nebenniereninsuffizienz oder eines Diabetes mellitus, oder, deutlich häufiger, von Schilddrüsenfunktionsstörungen, auf die wir hier näher eingehen möchten.

Schilddrüsenfunktionsstörungen in Form einer Hypothyreose treten bei in etwa 3–25 % der PatientInnen, in Form einer Hyperthyreose bei 3–16 % mit Immuntherapie als Monotherapie auf [2, 3], Die Inzidenz ist steigend, wenn auch latente Formen berücksichtigt werden [2]. Wie eine Metaanalyse aus 38 randomisierten klinischen Studien zeigen konnte, erhöht sich die Häufigkeit, wenn PD‑1 und CTLA‑4 gemeinsam blockiert werden [4]. In eben dieser Meta-Analyse konnte auch gezeigt werden, dass das Risiko für Schilddrüsenfunktionsstörungen – unabhängig von der onkologischen Grunderkrankung – unter Anti-PD-1-Therapie höher als unter Anti-CTLA-4-Therapie zu sein scheint. Das Risiko ist offenbar für Anti-CTLA‑4 dosisabhängig, bei Anti-PD-1-Therapie nicht [4].

Schilddrüsenfunktionsstörungen unter Immuntherapie treten typischerweise zwischen dem 2. und 4. Zyklus auf, können aber auch noch viel später apparent werden. Bei Kombinationstherapien kommt es häufig schon nach der ersten Gabe zu Schilddrüsenfunktionsstörungen [5].

Manche Studien konnten einen positiven Zusammenhang zwischen der Entwicklung von endokrinen Nebenwirkungen und dem progressionsfreien Überleben oder der Gesamtüberlebensrate nachweisen [6].

Pathophysiologie

Pathophysiologisch wird der Mechanismus einer stummen lymphozytären Thyreoiditis ähnlich der Postpartum-Thyreoiditis diskutiert. Die zytologische Analyse einer Schilddrüsenbiopsie einer Patientin mit Ipilimumab-Nivolumab-Kombinationstherapie-assoziierter Thyreoiditis ergab einzigartige Eigenheiten, inkl. Cluster an nekrotischen Zellen, Lymphozyten und CD163-positiven Histiozyten [7]. Der Mechanismus der Schilddrüsendestruktion scheint aber unabhängig von Schilddrüsenantikörpern [3, 8] zu sein und könnte T‑Zell‑, NK-Zell-, und/oder Monozyten-mediierte Pathways inkludieren [8]. Weitere pathophysiologische Überlegungen betreffen die Tatsache, dass das Vorkommen einer Thyreoiditis unter PD-1/PD-L1-Antikörpern 2‑ bis 5‑fach häufiger als unter CTLA-4-Antikörpern zu sein scheint, was durch die starke Expression von PD-L1 und PD-L2 im gesunden Schilddrüsengewebe und die schwache CTLA-4-Expression in zirkulierenden Lymphozyten und intrathyreoidalen Lymphozyten bedingt sein könnte [8, 9]. Überdies könnte es auch dem jeweiligen individuellen genetischen Background geschuldet sein, ob eine erhöhte Suszeptibilität für die Entwicklung von autoimmunen Nebenwirkungen unter Immuntherapie vorliegt [3].

Labor

Beim Auftreten einer Schilddrüsenfunktionsstörung im Rahmen einer Immuntherapie muss unterschieden werden zwischen einer Funktionsstörung auf dem Boden eines vorbestehenden Schilddrüsenproblems (z. B. von Schilddrüsenknoten, einer Struma, einer Immunthyreopathie) und einer Dysfunktion auf dem Boden einer bislang gesunden Schilddrüse. Das typische klinische Erscheinungsbild ist das einer destruktiven Thyreoiditis, im Rahmen derer es durch die Zerstörung von Schilddrüsenfollikeln zu einer Ausschüttung von Schilddrüsenhormonen und Thyreoglobulin (TG) in die Blutbahn kommt. Meist beginnt die destruktive Thyreoiditis mit einer Phase der Hyperthyreose und wird innerhalb weniger Wochen [5, 6] gefolgt von einer Phase der Hypothyreose, die permanent sein kann, aber nicht muss, oder geht direkt in eine Euthyreose über. Auch die Entwicklung einer Hypothyreose ohne vorangehende Hyperthyreose ist möglich [10]. Um eine zugrunde liegende Schilddrüsenerkrankung wie eine Immunthyreopathie Basedow auszuschließen, sollten bei jeder Hyperthyreose die TSH-Rezeptor-Antikörper (TRAK) mitbestimmt werden. Auch Thyreoglobulin sollte gemessen werden. Dieses ist typischerweise bei der Immuntherapie-assoziierten Hyperthyreose erhöht. Innerhalb der Gruppe der PatientInnen, die unter Immuntherapie (Monotherapie) eine destruktive Thyreoiditis entwickelten, zeigten sich zwischen 40 und 80 % der PatientInnen positiv auf Thyreoidperoxidase(TPO)- und/oder TG-Antikörper [5, 6, 11]. Die Antikörper waren Großteils vorher schon vorhanden [5]. Eine Bestimmung vor der Einleitung der Immuntherapie wird aber nicht empfohlen, da ohnehin alle PatientInnen unter der laufenden Immuntherapie einer regelmäßigen Messung von Thyroidea-stimulierendem Hormon (TSH) und ggf. freiem Trijodthyronin (fT3) und freiem Thyroxin (fT4) bedürfen.

Bei niedrigem TSH und niedrigem fT4 muss auch an eine Hypophysitis gedacht werden, und es sollte ein gesamter Hypophysenhormontstatus (inkl. vor allem adrenokortikotropem Hormon (ACTH), Cortisol) durchgeführt werden, um eine kortikotrope Insuffizienz nicht zu übersehen [11]. Typischerweise präsentiert sich die Hypophysitis aber mit einer isolierten kortikotropen Insuffizienz.

Klinik

Das klinische Erscheinungsbild der Hyperthyreose ist breit, meist sind die betroffenen PatientInnen aber oligo- oder asymptomatisch [6], können aber natürlich auch klassische Zeichen wie Palpitationen, Tachykardie, Hitzegefühl, Nervosität, Unruhe, Schlafstörungen oder Gewichtsveränderungen aufweisen. Das Auftreten einer thyreotoxischen Krise, ausgelöst durch eine vorangegangen Immuntherapie, wurde beschrieben [12], ist aber eine absolute Seltenheit und tritt, wenn überhaupt, eher unter einer Kombinationstherapie auf.

Bildgebung

Sonographisch kann sich die Schilddrüse initial transient hyperechogen und hypertrophiert präsentieren mit gelegentlich verstärkter Vaskularisation, um danach eine hypoechogene Erscheinung anzunehmen [7, 11]. Eine Schilddrüsen-Szintigraphie sollte nur in unklaren Fällen erfolgen, wobei sich bei der destruktiven Thyreoiditis ein reduzierter Uptake zeigen würde.

Wird aus onkologischen Gründen ein 18-FDG-PET durchgeführt, kann sich ein diffus gesteigerter Uptake im Bereich der Schilddrüse bei PatientInnen mit Thyreoiditis zeigen [5, 8].

Screening und Follow-up

Aufgrund der oligosymptomatischen Verläufe und der fehlenden Prädiktoren, ob und wann eine Schilddrüsenfunktionsstörung auftreten kann, und dem damit verbundenen Risiko, Schilddrüsenfunktionsstörungen und eine kortikotrope Insuffizienz trotz regelmäßiger Anamneseerhebung zu übersehen, wurde an der Medizinischen Universität in Graz ein internes Screening-Prozedere festgelegt (Tab. 1).

Tab. 1 Beispiel für Screening auf endokrine Nebenwirkungen unter Immuntherapie

Sehr ähnliche Empfehlungen kommen diesbezüglich auch von der Französischen Gesellschaft für Endokrinologie [2]. Ein generelles Antikörperscreening wird nicht empfohlen [2]. Bei bereits bestehender Levothyroxin-Therapie und fortlaufender Immuntherapie wird empfohlen, TSH weiterhin alle 3 Monate zu kontrollieren [2].

Therapie

Die therapeutische Strategie umfasst das regelmäßige Monitoring der Schilddrüsenparameter und gegebenenfalls das Einleiten einer symptomatischen Therapie im Falle einer Thyreotoxikose mit einem Betablocker, z. B. mittels Propranolol [13,14,15,16]. Für den Einsatz von Glukokortikoiden besteht keine Indikation, da keine ausreichende Evidenz vorliegt, dass diese Behandlung den Schweregrad oder die Dauer der Thyreotoxikose beeinflusst, eine Glukokortikoidtherapie aber andererseits zu diversen Nebenwirkungen führen kann [14, 17, 18]. Auch Thyreostatika sind für die Immuntherapie-assoziierte Hyperthyreose nicht hilfreich [18], außer es liegt eine Immunthyreopathie Basedow zugrunde.

Wenn die Phase der Thyreotoxikose vorbei ist, sollte das Monitoring fortgeführt werden, um die Entwicklung einer Hypothyreose nicht zu übersehen. Eine Levothyroxin-Therapie sollte eingeleitet werden, wenn das TSH > 10 μU/ml ist bzw. bei symptomatischen PatientInnen mit einem TSH von 5–10 μU/ml. Levothyroxin kann mit einer Dosierung von 1–1,6 µg/kg/Tag einschleichend begonnen werden, sollte in weiterer Folge aber je nach Alter, Komorbidäten etc. wie bei anderen Formen der Hypothyreose adaptiert werden [2]. Die Empfehlungen diesbezüglich unterscheiden sich nicht von der gewöhnlichen Hypothyreose. Anzumerken wäre aber, dass viele onkologische PatientInnen trotz teils sehr hoher TSH-Werte kaum schwere Hypothyreosesymptome aufweisen und dass es Evidenz gibt, dass möglicherweise eine leichte Hypothyreose auch einen positiven Einfluss auf die onkologische Grunderkrankung haben könnte. Es konnte für PatientInnen mit Tyrosinkinasehemmer-induzierter Hypothyreose bei nichtthyreoidalen Tumoren ohne vorbestehende Schilddrüsenerkrankung ein verbessertes Gesamtüberleben festgestellt werden [19].

Wenn keine Indikation zur Therapieeinleitung von Levothyroxin besteht, sollte eine neuerliche Kontrolle der Schilddrüsenwerte nach 4 Wochen erfolgen, um eine Verschlechterung der latenten Hypothyreose oder die Entwicklung einer manifesten Hypothyreose nicht zu übersehen. Interessanterweise lässt sich der TSH-Wert trotz teils relativ hoher Levothyroxin-Substitutionsdosen bei diesen Patienten manchmal nicht vollständig normalisieren, was möglicherweise auf spezifische Änderungen in der Schilddrüsenhomöostase zurückzuführen ist. Wir empfehlen bei solchen Konstellationen, sofern es sich nicht um klare Probleme mit der Therapieadhärenz oder um gastrointestinale Resorptionsstörungen handelt, dass die Levothyroxin-Dosis nicht auf supraphysiologische Dosierungen gesteigert wird, sondern etwas erhöhte TSH-Werte, sofern fT4 im Normbereich liegt, als akzeptables Therapieziel angesehen werden.

Bei Schilddrüsenfunktionsstörungen im Rahmen einer Immuntherapie handelt es sich häufig um ein transientes Phänomen (v. a. die Hyperthyreose betreffend). Sie sind in der klinischen Präsentation oft mild und einfach zu behandeln, sodass eine Unterbrechung der Immuntherapie in den seltensten Fällen angezeigt ist [2].