Einleitung

Aktuelle Empfehlungen zum Diabetesmanagement im Krankenhaus

Sowohl Hypo- als auch Hyperglykämien sind während stationärer Aufenthalte mit längerer Aufenthaltsdauer, schlechtem Outcome bis hin zum Tod in Verbindung zu bringen [1,2,3]. Daher zielen die meisten Leitlinien auf eine sichere Blutzuckereinstellung unter Vermeidung von Hypo- und Hyperglykämien ab. Zudem sollen sichere Umstellungen von der häuslichen Therapie auf die Therapie während des stationären Aufenthalts sowie eine Rückumstellung für den weiteren Verlauf nach Entlassung aus dem stationären Bereich ermöglicht werden. Eine Therapieanpassung basierend auf dem HbA1c(glykiertes Hämoglobin)-Wert bei stationärer Aufnahme sowie der Evaluierung hinsichtlich Hypoglykämien im häuslichen Bereich sollte zum Aufnahmezeitpunkt erfolgen, um einerseits die Effizienz der häuslichen Blutzuckereinstellung vor der Hospitalisierung zu evaluieren und um andererseits auch zu überprüfen, ob die zum Zeitpunkt der Aufnahme vorliegende Stoffwechsellage auch zuhause gegeben war und nicht auf eine akute stress- oder krankheitsbedingte Veränderung zurückzuführen ist [4]. Insbesondere sollen dadurch kurzfristige Wiederaufnahmen wegen Blutzuckerentgleisungen vermieden werden [5].

Primär sollte eine personalisierte Therapie unter Berücksichtigung des Diabetestyps, den vorgesehenen Maßnahmen während des stationären Aufenthalts (chirurgische Interventionen, parenterale Ernährung) sowie von Alter und Komorbiditäten angestrebt werden [6, 7]. Laut nationalen und internationalen Leitlinien sollen bei einem Großteil der Patienten bei längerfristig erhöhten Blutglukosewerten (über 180 mg/dl) eine Insulintherapie eingeleitet und Blutzuckerzielwerte von 140–180 mg/dl angestrebt werden. Entgegen früherer Expertenmeinung scheint – mit Ausnahme der Behandlung des Typ-1-Diabetes – jedoch neben einer Basis-Bolus-Insulintherapie auch eine Therapie mit anderen Insulinregimen oder oralen bzw. injizierbaren nichtinsulinartigen Antidiabetika (insbesondere DPP-4-Hemmer [Dipeptidylpeptidase-4-Inhibitoren] und GLP1[Glucagon-like peptide-1]-Analoga) eine gute und risikoarme Therapieoption zu sein, sofern deren Indikation und Kontraindikationen berücksichtigt werden [8,9,10,11]. Zudem sollte in ausgewählten Fällen Patienten die Gelegenheit gegeben werden, auch während des stationären Aufenthalts Diabetes-Selbstmanagement durchzuführen. Bei Patienten mit unzureichenden Selbstmanagementkenntnissen sollte dies unter Observanz des Pflegeteams durchgeführt werden [12]. Das gestützte Selbstmanagement kann einerseits zur Festigung der persönlichen Fähigkeiten führen oder andererseits darauf abzielen, dass für die Betroffenen vor Entlassung zeitgerecht eine Nachschulung oder eine Unterstützung für zu Hause (zum Beispiel mittels Hauskrankenpflege) veranlasst wird.

Die Implementierung von strukturierten Handlungsabläufen unter Nutzung von evidenzbasierten elektronischen Entscheidungsunterstützungs- und Dokumentationssystemen kann die individuelle Blutzuckerzielwerterreichung erleichtern und wird auch von Guidelines empfohlen [6, 13, 14].

Diabetesmanagement im Krankenhaus – die Herausforderung

Im Verhältnis zur generellen Diabetesprävalenz (7 %) belegen Patienten mit Diabetes mellitus – abhängig von Region und Fokus des Krankenhauses – überproportional viele Akutbetten in Krankenhäusern (8–40 %), wobei nur ein Bruchteil davon primär wegen der Diabeteserkrankung stationär aufgenommen wurde (8 %) [15].

Eine bekannte Ursache für die fehlende Erreichung von Blutzuckerzielwerten während des stationären Aufenthalts stellen vor allem Hypoglykämien dar, welche im Gegensatz zu Hyperglykämien akut lebensbedrohliche Folgen für die Patienten mit sich bringen können. Folglich werden, auch mangels der ärztlichen und pflegerischen Kenntnisse, höhere Blutzuckerwerte angestrebt und toleriert. Es sind mehrere Anläufe publiziert, durch elektronische Werkzeuge und klinische Entscheidungsunterstützung das Management der Diabeteseinstellung im Krankenhaus zu verbessern, die allerdings entweder nur eine bescheidene Senkung der Blutzuckerwerte erreichten oder eine nicht zufriedenstellende Rate an Hypoglykämien mit sich brachten [16]. In England und Wales finden seit dem Jahr 2011 jährliche Audits zur Evaluierung des Diabetesmanagements im Krankenhaus statt, und auch hier konnten über die Zeit nur kleine Verbesserungen der Blutzuckerkontrolle erreicht werden [17]. An der Medizinischen Universität Graz wurde dies zum Anlass genommen, um zu untersuchen, wie gut die Blutzuckereinstellung an zwei internistischen Normalstationen (Endokrinologie und Kardiologie) unter Routinebedingungen funktioniert. Neubauer et al. berichten über 50 Patienten mit Diabetes mellitus, welche aus allgemeininternistischen Gründen an den beiden Abteilungen in stationärer Behandlung waren [18]. Die mittlere Blutglukose während des gesamten stationären Aufenthalts lag bei 175 ± 62 mg/dl (Endokrinologie) und 186 ± 68 mg/dl (Kardiologie) und somit in einem verbesserungswürdigen Bereich. Ernüchternd war auch, dass sich die mittlere Glukose über den Verlauf des stationären Aufenthalts nur unwesentlich verbesserte: 168 ± 32 vs. 164 ± 42 mg/dl, p = 0,67 (Endokrinologie); 174 ± 36 mg/dl vs. 170 ± 42 mg/dl, p = 0,51 (Kardiologie). Obwohl relativ häufig Blutglukosemessungen durchgeführt wurden (Endokrinologie: 2,7 vs. Kardiologie: 3,2 Messungen täglich), wurde die Insulindosis über die Zeit nicht adäquat gesteigert (Endokrinologie: 15 ± 14 IE vs. 15 ± 13 IE pro Tag, p = 0,87; Kardiologie: 27 ± 17 IE vs. 27 ± 18 IE pro Tag, p = 0,92; jeweils erste vs. letzte Hälfte des stationären Aufenthaltes). Während nur 0,9 % und 0,6 % der Werte unter 70 mg/dl gelegen waren, lag der Großteil der Werte über 180 mg/dl: 42,4 % und 48,8 % (jeweils Endokrinologie und Kardiologie). Nachdem es sich bei dieser Untersuchung um eine Querschnittsanalyse handelt, muss eventuell auch bedacht werden, dass möglicherweise keine Intensivierung vorgenommen und die häusliche Therapie fortgesetzt wurde, da kein Optimierungsbedarf gesehen wurde oder auch aufgrund des Alters oder der Komorbiditäten höhere Zielwerte – auch um Hypoglykämien zu vermeiden – angestrebt wurden. Zusätzlich sollte hervorgehoben werden, dass an diesen beiden internistischen Abteilungen das Management von Diabetes mellitus sicher besser bekannt ist als vergleichsweise auf nichtinternistischen Abteilungen, wo bei der Blutzuckereinstellung möglicherweise noch mehr Optimierungsbedarf besteht.

Insulin gilt als Hochrisikomedikament mit einem relativ engen therapeutischen Fenster. Rezente Daten aus England zeigen, dass ein Drittel aller Patienten mit Diabetes von Medikationsfehlern während des stationären Aufenthalts betroffen ist und die Häufigkeit auf chirurgischen Stationen im Vergleich dazu noch höher ist. Unter Verwendung von elektronischen Patientenakten und Verschreibungssystemen sind die Fehlerraten geringer [17, 19].

Die engmaschige Abfolge von Blutzuckermessung, ärztlicher Verordnung und Medikamentengabe durch die Pflege ist in der Praxis oft kaum umsetzbar. Die Insulindosis hängt vom gemessenen Blutzuckerwert und der Nahrungsaufnahme ab – wenn die Abstimmung mit dem ärztlichen Personal dann kurzfristig per Telefon erfolgt, können nur schwer alle relevanten Informationen kommuniziert werden. Die Folge sind Fehler oder dauerhaft zu hohe Blutzuckerwerte aufgrund von Angst vor Unterzuckerungen oder schlicht Untätigkeit.

GlucoTab – ein elektronisches Diabetesmanagementsystem

Zur Unterstützung der Arbeitsabläufe und der Insulindosierung beim Diabetesmanagement im Krankenhaus wurde das Softwaresystem GlucoTab (decide Clinical Software GmbH, Graz, Österreich) gemeinsam mit Anwendern entwickelt. GlucoTab verändert und unterstützt den gesamten Prozess des Blutzuckermanagements grundlegend.

Für Basis-Bolus-Insulintherapie erhalten Ärzte automatisch Dosierungsvorschläge für die initiale Dosisfindung und die tägliche Insulindosisanpassung (Abb. 1). Die Pflegekräfte können im Weiteren die Insulingabe selbstständig mit GlucoTab-Unterstützung durchführen (Abb. 2). Die zu verabreichende Insulindosis wird individuell berechnet, sobald der aktuelle Blutzuckerwert und die geplante Mahlzeit dokumentiert sind. Wenn die Therapie zufriedenstellend verläuft, kann die tägliche Dosisanpassung mit GlucoTab-Unterstützung auch von den Pflegekräften durchgeführt werden. Unsichere Situationen werden automatisch erkannt und initiieren die Beiziehung von ärztlichem Personal. Auch andere Therapieformen können vollständig in GlucoTab abgebildet werden. Die häufig komplexe Abfolge von Blutzuckermessung, ärztlicher Verordnung und Medikamentengabe wird klar nach Verantwortlichkeiten strukturiert und unterstützt. Für ärztliches und pflegerisches Personal werden „offene Aufgaben“ übersichtlich dargestellt. Wenn Patienten auch im Krankenhaus Selbstmanagement durchführen, kann dies mit GlucoTab flexibel gehandhabt werden. Ärzte und Pflegepersonen bekommen dann entsprechend weniger Aufgaben angezeigt. Die für das Krankenhaus relevante Dokumentation ist dennoch in vollem Umfang möglich. Für Patientinnen mit Gestationsdiabetes bzw. in der Schwangerschaft kann GlucoTab auch postprandiale Blutzuckermessungen vorschlagen. Für die intensivierte Insulintherapie von Patienten mit Typ-1-Diabetes stellt GlucoTab einen Bolusrechner zur Verfügung, der Kohlenhydratfaktor und Korrekturfaktor berücksichtigt. GlucoTab ist, vollständig integrierbar in Krankenhaus-Informationssysteme, am stationären PC und mobil am Tablet verwendbar. So ist für die Anwender kaum mehr spürbar, dass mit GlucoTab ein eigenständiges, CE-gekennzeichnetes Medizinprodukt verwendet wird.

Abb. 1
figure 1

Beispielhafte Darstellung des Arzteinstiegs mit verordneter Basis-Bolus-Therapie und Entscheidungsunterstützung aus der Desktopansicht des Krankenhausinformationssystems

Abb. 2
figure 2

Beispielhafte Darstellung des Pflegeeinstiegs mit verordneter Basis-Bolus-Therapie und Entscheidungsunterstützung aus der Tabletansicht

GlucoTab – was bisher geschah

Das Kernstück von GlucoTab – der Algorithmus für Basis-Bolus-Insulintherapie für hospitalisierte Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 bzw. neu aufgetretener Hyperglykämie – wurde initial mit manuellen Berechnungen und Dokumentation auf Papier getestet. In der zweiarmigen Studie wurden abermals Patienten der Endokrinologie (Algorithmusgruppe, n = 37) und der Kardiologie (Kontrollgruppe mit Standardtherapie, n = 37) untersucht. Die stationsabhängige Zuteilung wurde gewählt, um einen übergreifenden Effekt des Algorithmus zwischen den Gruppen zu vermeiden. Die mittlere Blutglukose sank in der Algorithmusgruppe von den ersten zu den letzten 24 h unter Therapie signifikant ab (204 ± 65 vs. 148 ± 32 mg/dl, p < 0,001), während sie in der Kontrollgruppe über die Zeit unverändert war. Die Zeit im Zielbereich (70–180 mg/dl) war signifikant höher in der Algorithmusgruppe (73 vs. 53 %, p < 0,001). Die mittleren Insulintagesdosen waren in der Algorithmusgruppe deutlich höher als bei der Kontrollgruppe: 41 ± 30 IE vs. 20 ± 16 IE. Zudem wurden die Algorithmusvorschläge in hohem Maß befolgt: Akzeptanz des Tagesdosisvorschlags 95 %, des Basalinsulinvorschlags 98 % und des Bolusinsulinvorschlags 93 %.

Nach einer Algorithmusanpassung wurde dieser neue Algorithmus in einem breiteren Setting sowohl auf drei internistischen als auch auf einer chirurgischen Abteilung (Kardiologie, Endokrinologie, Nephrologie, Plastische Chirurgie) getestet [20]. Neubauer et al. konnten zeigen, dass bei diesen 99 Patienten eine vergleichbar gute Blutglukoseeinstellung (mittlere Blutglukose 154 ± 35 mg/dl) ohne ein erhöhtes Auftreten von Hypoglykämien (1,9 % der Werte <70 mg/dl) erreicht werden konnte. Auch in dieser Untersuchung wurden die vom Algorithmus vorgeschlagenen Schritte und die empfohlenen Insulindosen zu über 95 % umgesetzt und akzeptiert. 89 % der befragten Anwender gaben an, dass das System gut einsetzbar ist, und 80 % glaubten, dass das System Medikationsfehler vermeiden kann [21].

Aberer et al. untersuchten GlucoTab in einem besonders vulnerablen Patientenkollektiv. Bei zehn Patienten mit akuter Graft-versus-Host-Erkrankung und steroidinduzierter Hyperglykämie konnte GlucoTab gegenüber dem Standarddiabetesmanagement eine bessere glykämische Kontrolle erzielen: mediane Blutglukose 151 mg/dl (123–192 Interquartilsbereich) vs. 162 mg/dl (138–193, p < 0,001) [22].

Was bringt die Zukunft? Überlegungen zu weiteren Ansätzen

Seit Juni 2017 ist GlucoTab im LKH Hartberg im Einsatz, einem Haus mit 170 Betten im ländlichen Raum, mit Abteilungen für Innere Medizin, Chirurgie und Gynäkologie. GlucoTab wurde in der Routineversorgung in einem nichtuniversitären Setting auch in Hinblick auf das zukünftige Zusammenspiel mit der „elektronischen Fieberkurve“ pilotiert und inzwischen in den Routinebetrieb übernommen. Die Publikation der Ergebnisse des Pilotbetriebs wird für das heurige Jahr erwartet.

Seit Juni 2018 ist GlucoTab an drei klinischen Abteilungen des LKH-Universitätsklinikums Graz (Endokrinologie, Plastische Chirurgie, Transplantationschirurgie) im Routineeinsatz. Das elektronische System hat die Diabeteskurve auf Papier vollständig ersetzt. Je nach Patientenkollektiv werden sowohl die sehr weit gehende Entscheidungsunterstützung für Basis-Bolus-Insulintherapie durch GlucoTab als auch die unterstützenden Funktionen für Dokumentation und Arbeitsablauf für alle anderen Therapieformen genutzt.

Speziell für geriatrische Patienten im Krankenhaus und Pflegeheim wurde die Entscheidungsunterstützung der Basalinsulintherapie entwickelt. GlucoTab berücksichtigt die für geriatrische Patienten weniger strikten Blutzuckerzielwerte der Leitlinienempfehlungen abhängig vom Gesundheitsstatus. Eine klinische Studie mit dieser Therapieform wurde bereits durchgeführt. Nach der Publikation der Ergebnisse wird die neue algorithmusunterstützte Therapieform in GlucoTab verfügbar gemacht werden.

Das System wurde auch in modifizierter Form in der Akutpflege unter Anwendung durch die mobilen Dienste des Roten Kreuzes der Stadt Graz als Basalinsulinalgorithmus bzw. Basal-plus-Algorithmus erfolgreich getestet.

Weitere Anwendungen für das häusliche Umfeld der Patienten sowie eine Vernetzung der verschiedenen Stufen der Versorgung werden aktuell diskutiert. Dies könnte in Zukunft ein ganzheitliches Diabetesmanagement ermöglichen.