Einleitung

Der Hypoparathyreoidismus ist die letzte klassische, nicht mit dem fehlenden Hormon behandelte Endokrinopathie. Daten zur Prävalenz gibt es derzeit nur aus Kohortenstudien einzelner Länder; diese liegen zwischen 10 und 37/100.000 Einwohnern (Skandinavien bzw. USA). Demzufolge kann man in Österreich mit ca. 2500 Hypoparathyreoidismus-Patienten rechnen [1,2,3]. Ursache der Erkrankung ist das Fehlen des Parathormons (PTH) bzw. erniedrigte Spiegel mit konsekutiver Hypokalziämie und Hyperphosphatämie.

Ätiologie

Ätiologisch am häufigsten ist der postoperative Hypoparathyreoidismus (je nach Studie zwischen 66 und 78 %), welcher als Komplikation einer Thyreoidektomie (v. a. totale Thyreoidektomie), Parathyreoidektomie bzw. Neck Dissection auftreten kann. Die restlichen 25 % entfallen auf genetische, autoimmune oder idiopathische Ursachen, Infiltrationen der Nebenschilddrüsen im Rahmen von Systemerkrankungen oder Malignomen bzw. Ablagerungen von Eisen oder Kupfer in Folge von Speicherkrankheiten [4]. Zuletzt können sowohl eine Hypo- als auch eine Hypermagnesiämie Ursache eines funktionellen Parathormonmangels mit Hypokalziämie sein [5].

Mit 70–80 % der Erkrankten kommt die Krankheit deutlich öfter bei Frauen vor [6], was darauf zurückzuführen ist, dass operative Eingriffe bei Schilddrüsenerkrankungen häufiger bei Frauen durchgeführt werden und auch da autoimmune Schilddrüsenerkrankungen wie z. B. der Morbus Basedow bei Frauen deutlich häufiger auftreten als bei Männern [7].

Pathophysiologie und Symptome

Durch den Wegfall der physiologischen PTH-Sekretion verliert der Körper vor allem in Situationen mit akut gesteigertem Ca2+-Bedarf die Möglichkeit, einen Abfall des Ca2+-Spiegels unter den Normbereich rasch durch eine PTH-getriggerte Ca2+-Freisetzung aus dem Knochen zu kompensieren, was zur Entwicklung einer akuten Hypokalziämie führt. Durch den zusätzlichen Ausfall der Stimulation der 1‑α-Hydroxylase (verminderte Bildung von Kalzitriol in der Niere und dadurch verminderte intestinale Ca2+-Resorption) und den verstärkten renalen Ca2+-Verlust durch den Ausfall der PTH-Wirkung an der Niere kommt es langfristig zur Ausbildung einer chronischen Hypokalziämie mit den entsprechenden Symptomen. Zuletzt kommt es durch den Ausfall der PTH-Wirkung zu einer gesteigerten renalen Phosphat-Reabsorption. Durch die Verbindung von Phosphat mit ionisiertem Kalzium kommt es zu einem Anstieg des Kalzium-Phosphat-Produkts mit der Ausbildung von ektopen Kalzifizierungen. Typische Symptome und Langzeitkomplikationen werden in Tab. 1 dargestellt.

Tab. 1 Symptome u. Komplikationen des chronischen Hypoparathyreoidismus. (Modifiziert aus [13])

Eine aktuelle Datenanalyse aus dem schwedischen Gesundheitsregister zeigte, dass es nach totalen Thyreoidektomien bei benigner Indikation in 5,2 % der Fälle zum Auftritt eines permanenten Hypoparathyreoidismus kam. Zudem zeigte sich, dass diese Gruppe im Beobachtungszeitraum ein deutlich höheres Mortalitätsrisiko aufweist (Hazard Ratio [HR]: 2,09) [8].

Viele Patienten beklagen unspezifische Symptome wie Muskelschwäche, rezidivierende Muskelkrämpfe oder Parästhesien, was die Diagnosestellung mitunter verzögern kann. Bei einem klinischen Verdacht auf Hypoparathyreoidismus bzw. eine Hypokalziämie empfiehlt sich die Testung auf das Vorliegen eines Chvostek- oder Trousseau-Zeichens. Beim Chvostek-Zeichen kommt es zu einer Kontraktion der ipsilateralen Gesichtsmuskulatur durch Beklopfen des N. facialis 2 cm vor dem Ohrläppchen. Beim Trousseau-Test wird durch Anlegen einer Blutdruckmanschette am Oberarm und dadurch ausgelöster Okklusion der A. brachialis ein karpaler Spasmus ausgelöst („Pfötchenstellung“). Beide Tests sind rasch und einfach durchführbar, wobei der Trousseau-Test in puncto Sensitivität und Spezifität überlegen ist [9]. Bei einer akuten Hypokalziämie empfiehlt sich für ein rasches Ergebnis zudem die Durchführung einer venösen Blutgasanalyse mit ionisiertem Kalzium.

Häufig wird die Einschränkung der Lebensqualität und Arbeitsfähigkeit unterschätzt. Hypoparathyreoidismus-Patienten haben unter Standardtherapie im Vergleich zur Normalbevölkerung eine deutlich verminderte Lebensqualität (durchschnittlich 24 % geringer). Zudem ist die Arbeitsfähigkeit der Patienten eingeschränkt: Diese beziehen zehnmal öfter Sozialleistungen als die Normalbevölkerung (42 % vs. 4 %) [3]. Häufig besteht ein sogenannter „empathy gap“ – die Bürde der Erkrankung wird unterschätzt. Oft werden die Beschwerden der Patienten auch fehlgedeutet oder nicht als Folge des PTH-Mangels erkannt [10, 11]. Es empfiehlt sich, die jeweilige Symptomatik der Patienten ernst zu nehmen und diese als belastend anzuerkennen, dies kann die individuelle Krankheitsbewältigung verbessern [12].

Eine weitere Schwierigkeit ist diesbezüglich auch, dass der Hypoparathyreoidismus sich schleichend entwickeln kann und der postoperative auch mit einer deutlichen Latenzzeit zwischen Operation und Hypokalziämie bzw. Symptomen einhergehen kann. In einer retrospektiven Analyse von 105 postoperativen Hypoparathyreoidismus-Patienten am LKH Graz lag das Zeitintervall zwischen erster Schilddrüsenoperation und Diagnosestellung im Median bei 5,5 Jahren (eigene Daten, unpubliziert bzw. Diplomarbeit Martin Kern, Medizinische Universität Graz 2015).

Diagnose

Bei klinischem Verdacht auf Hypoparathyreoidismus oder unerklärter Hypokalziämie sollte eine laborchemische Bestimmung folgender Parameter erfolgen:

  • intaktes PTH

  • 25-(OH)-Vitamin D

  • Albumin-korrigiertes Kalzium oder ionisiertes Ca2+

  • Phosphat

  • Magnesium

  • Kreatinin

  • (1,25-Dihydroxy-Vitamin D)

Im 24-h-Harn (1x jährlich) sollte Folgendes bestimmt werden:

  • Kalzium

  • Kreatinin mit Clearance

  • (Phosphat)

Die typische Laborkonstellation ergibt sich aus einer Hypokalziämie bei erniedrigten (<15 pg/ml) oder inadäquat normalen iPTH-Spiegeln und hoch normalen bis erhöhten Phosphatspiegeln. Zur Diagnosebestätigung sollte eine Hypokalziämie in Kombination mit einem inadäquat niedrigen iPTH-Spiegel 2x in einem Abstand von mindestens 2 Wochen gemessen werden.

Postoperativ empfiehlt sich die Bestimmung des iPTH am ersten postoperativen Tag. Eine retrospektive Analyse von Marcinkowska et al. ergab, dass ein iPTH-Spiegel <5 pg/ml einen guten prognostischen Faktor für das Auftreten einer symptomatischen Hypokalziämie darstellt. Dadurch kann die entsprechende Therapie bereits vor einer klinisch manifesten Hypokalziämie begonnen werden [14].

Therapie

Die derzeitige Standardtherapie ist rein symptomatisch und erfolgt vor allem durch die orale Gabe von:

  • Kalzium

  • aktivem Vitamin D (Kalzitriol bzw. Analoga)

  • nativem Vitamin D (Cholecalciferol/Vitamin D3 bzw. Ergocalciferol/Vitamin D2)

Bei Bedarf können je nach Symptomatik ergänzend Magnesiumpräparate (bei Muskelkrämpfen) und Thiaziddiuretika (bei vermehrter Kalziurie) eingesetzt werden. Die jeweilige Dosierung der einzelnen Präparate orientiert sich primär an der individuellen Symptomausprägung und nicht an den Laborwerten. Dies soll einer Übersubstitution mit Kalzium und den damit verbundenen negativen Auswirkungen auf Nieren und andere Organe entgegenwirken. Eine rezente Analyse der dänischen Kohorte zeigte, dass eine Störung der Kalzium-Phosphat-Homöostase langfristig mit einem erhöhten Auftreten von renalen und kardiovaskulären Komplikationen, Infektionen sowie einer erhöhten Mortalität assoziiert ist [15].

HypAus-Studie

Ziel dieser prospektiven multizentrischen Beobachtungsstudie ist der Aufbau einer Kohorte von an chronischem Hypoparathyreoidismus erkrankten Patienten. Die Identifikation der Patienten erfolgt an der Medizinischen Universität Graz, der Medizinischen Universität Wien, der Medizinischen Universität Innsbruck sowie drei privaten Instituten mit Spezialisierung auf Schilddrüsenerkrankungen (Schilddrüsen‑, Endokrinologie- und Osteoporoseinstitut Dobnig GmbH in Graz, Institut für Schilddrüsendiagnostik und Nuklearmedizin Buchinger in Gleisdorf, Schilddrüsen- und Osteoporosepraxis Dr. Michael Lehner in Linz und Wels). Die Teilnehmer werden im Rahmen einer Routinekontrolle neben der Standarduntersuchung durch einen Fragebogen evaluiert.

Erste Ergebnisse

Im Zeitraum Jänner bis Oktober 2017 konnten 30 Patienten für die HypAus-Studie rekrutiert werden (Diplomarbeit Maximilian Zach, Medizinische Universität Graz 2017) (Tab. 2).

Tab. 2 Übersicht über die wichtigsten Charakteristika der bisher in die HypAUS Studie eingeschlossenen Patienten

70 % der Patienten sind weiblich, das mediane Alter bei Diagnosestellung liegt bei 46 Jahren bei einer mittleren Erkrankungsdauer von 9 Jahren. Ätiologisch an erster Stelle liegt in unserem Kollektiv mit 83 % der postoperative Hypoparathyreoidismus, wobei bei all diesen Patienten eine totale Thyreoidektomie durchgeführt wurde. Häufigste Operationsindikation war eine Knotenstruma. Bei den verbleibenden 5 Patienten war die Ursache für die Erkrankung eine genetische Mutation bzw. ein Autoimmunprozess.

In puncto Lebensqualität lag das Gesamtkollektiv in der körperlichen Summenskala 8,9 % unter der Norm, in der psychischen Summenskala 17,7 % unter der Norm bzw. dem Vergleichswert des steirischen Normkollektivs. Die Analyse der Lebensqualität bezogen auf die Erkrankungsdauer ergab keine direkte Korrelation der Lebensqualität mit der Dauer der Erkrankung. Ein interessanter Aspekt ergab sich bei der intraindividuellen Ausprägung der Einschränkung der Lebensqualität. Ein Großteil der Patienten empfand die subjektiv wahrgenommene Belastung durch die chronische Erkrankung entweder in der körperlichen oder in der psychischen Dimension deutlich stärker ausgeprägt.

Bei den Symptomen wurden klassische Symptome wie Parästhesien (87 %) und rezidivierende Muskelkrämpfe (73 %) am häufigsten angegeben. 37 % erlitten mindestens einmal im Verlauf eine Tetanie und 57 % benötigten mindestens einmal eine i. v.-Kalziuminfusion aufgrund ihrer ausgeprägten Hypokalziämie bzw. Symptomatik. Zudem zeigte sich eine deutliche Häufung von unspezifischen Symptomen und Langzeitkomplikationen wie Myalgien (27 %), Schwindelgefühl (27 %), Zahnproblemen (37 %), Atemnot (27 %), Depression (37 %), verschlechterte Sehleistung (30 %), Dysphagie (17 %), Ataxie und Dysarthrie (je 10 %) sowie dem Auftreten eines sogenannten „Brain fog“ (verminderte Konzentrations- und Erinnerungsleistung, 23 %).

Bei der Analyse der Laborwerte zeigten sich lediglich 46 % der Patienten im gewünschten Zielbereich bezüglich des Gesamtkalziums, die restlichen Ergebnisse zeigten eine Hypo- oder Hyperkalziämie. Beim ionisierten Kalzium waren zum Messzeitpunkt 94 % der Patienten hypokalziämisch.

HypAus Neurokognitive Testung

Ein besonderer Teil der HypAus-Studie ist die Exploration der neurokognitiven Ebene bei Patienten mit chronischem Hypoparathyreoidismus. Unser Ziel ist, die Prävalenz der neurokognitiven Dysfunktion bei chronischem Hypoparathyreoidismus zu bestimmen, mögliche Unterschiede in der kognitiven Funktion zu erkennen und die Korrelation von Hypoparathyreoidismus und Major Depression zu untersuchen.

Eine neurokognitive Testbatterie mit Fokus auf exekutive Funktionen, verbales und figurales Gedächtnis, Einschätzung des Intelligenzquotienten (IQ), Lebensqualität und Schlafqualität wird eingesetzt. Als illustratives Beispiel werden die Ergebnisse von 3 Tests bei den ersten 10 Patienten dargestellt.

Das Beck-Depressions-Inventar (BDI-II) ist ein Testverfahren, das den Schweregrad einer depressiven Symptomatik erfasst. Unsere Stichprobe erreichte im Durchschnitt einen Depressionsscore von 11 Punkten, was einer leichten depressiven Symptomatik entspricht. Zudem wurde die Mini Mental State Examination (MMSE) verwendet, um kognitive Defizite zu erkennen. Hier ergab sich ein Medianwert von 28,5, dieser liegt nur knapp unter dem Medianwert der Normalbevölkerung (M = 29). Die Fähigkeit zur Symbolerkennung sowie die allgemeine Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit wurden mittels Trail-Making-Test A und B untersucht. Zur Aufgabenlösung des ersten Teils benötigten die Patienten durchschnittlich 37,5 s (der Durchschnittswert der Normalbevölkerung liegt bei 30 s). Für den zweiten Teil brauchten die Patienten im Durchschnitt 92,50 s (Mittelwert Normalbevölkerung = 75 s), somit scheint sowohl beim Teil A als auch beim Teil B eine verlangsamte Aufgabenlösung unserer Patienten vorzuliegen.

Es scheint somit bei chronischem Hypoparathyreoidismus eine Tendenz zur kognitiven Einschränkung vorzuliegen, jedoch sind sowohl die Stichprobe als auch die Anzahl der beschriebenen Tests derzeit noch sehr klein. Eine detaillierte Beschreibung unserer Studie mit einer größeren Anzahl der Patienten wird zu einem späteren Zeitpunkt durchgeführt.

Ausblick

Die Auswertung der ersten Daten zeigte, dass Patienten mit Hypoparathyreoidismus in vielen Fällen trotz (symptomatischer) Therapie eine deutliche Symptomatik und Belastung präsentieren, die von Außenstehenden gerne unterschätzt wird. Der Einsatz einer kausalen Therapie könnte hier einen großen Schritt in Richtung einer verbesserten Lebensqualität zeigen.

Eine sonst in der Endokrinologie übliche Ersatztherapie des fehlenden Hormons ist in Österreich seit kurzem zwar zugelassen (Parathormon 1‑84), wird aber aufgrund der hohen Behandlungskosten derzeit noch kaum eingesetzt. Der Einsatz von PTH (1-34) ist beim chronischen Hypoparathyreoidismus zwar möglich, stellt jedoch eine Off-Label-Situation dar. Die Wirkung des PTH-Ersatzes wurde in einigen Studien bereits nachgewiesen, und er ist in den USA bereits seit 2015 zugelassen. Mittlerweile werden dort mehrere hundert Patienten damit behandelt [16, 17].

Offen bleibt, ob eine PTH-Kontrolle nach Schilddrüsenoperationen über einen längeren Zeitraum (derzeit 6 Monate) sinnvoll wäre, um Patienten mit verzögertem Krankheitsbeginn frühzeitig zu erkennen und dementsprechend rascher einer adäquaten Therapie zuzuführen.

Es scheint bei chronischem Hypoparathyreoidismus eine Tendenz zur kognitiven Einschränkung vorzuliegen.