Kosten und Vergütungen sicher planen und verhandeln Die Vergütung von Pflegekräften ist in der Corona-Pandemie immer wieder Gegenstand von Diskussionen. Welche Möglichkeiten hat ein ambulantes Pflegeunternehmen, die Gehaltsstrukturen für Mitarbeiter*innen anzupassen und die Finanzierung der Kosten sicherzustellen?

Mit der Covid-19-Pandemie ist die Situation der Pflege erneut in den Fokus gerückt. Es wird unter anderem wieder über Themen wie den Fachkräftemangel, die Vergütung von Pflegekräften und die Situation von Pflegebedürftigen diskutiert (vgl. Koebe et al 2020). Im Jahr 2019 waren gemäß § 89 SGB XI rund 4,1 Millionen Personen in Deutschland pflegebedürftig. Rund 80 Prozent wurden in der Häuslichkeit durch Angehörige bzw. ambulante Dienstleister versorgt, nur ca. 24 Prozent durch professionelle Anbieter (Statistisches Bundesamt 2020). Bei diesen Versorgungsstrukturen "ist mit einer Überforderung aller Beteiligten zu rechnen" (Blinkert & Klie 2004). Wieviel ist der Gesellschaft die Pflege wert und wie sollen die Vergütungsstrukturen von Pflegekräften aussehen?

Entgelte: Tarif und Wirklichkeit

Um die derzeitigen Gehälter von Pflegekräften zu analysieren, wurden die Ergebnisse der Studie von Cartensen et al. (2020) mit dem Durchschnittstariflohn TVöD-P verglichen (Tab. 1, e-only). Demnach erhält eine Pflegefachkraft in Vollzeit laut Durchschnitt aus den Entgeltstufen 2 bis 6 der TVöD-P-Tabelle ein Gehalt von rund 3.176 Euro. Tatsächlich hingegen beträgt das Entgelt, laut der genannten Studie, in Deutschland im Jahr 2019 in der Altenpflege 2.620 Euro - eine Differenz von 556 Euro. In der Studie flossen in die genannten Beträge auch sonstige versicherungspflichtige Entgeltbestandteile, wie beispielsweise Zuschläge für Nachtschichten und Sonn- und Feiertage sowie sonstige steuerpflichtige Sonderzahlungen, wie beispielsweise Urlaubs- und Weihnachtsgeld, ein (ebd.). Würden diese Entgeltbestandteile aus den monatlichen Bruttoentgelten herausgerechnet, wäre die Differenz noch größer.

Bei den Pflegehelfern liegt die Differenz zwischen Tarifgehalt und tatsächlich gezahlten Entgelten deutlich höher. Sie beträgt für Pflegehelfer mit Ausbildung 890 Euro, für Pflegehelfer ohne Ausbildung 668 Euro im Monat.

Diese Betrachtungen führen zu dem Schluss, dass ambulante Pflegeeinrichtungen in Einzelverhandlungen gehen müssen, damit sie die Gehälter ihrer Mitarbeiter*innen auf Tariflohn anpassen können. Das System der Verhandlung soll hier aufgezeigt werden.

Gesetzliche Grundlagen

Seit 1995 wird ein Teilbereich der ambulanten Pflege durch die fünfte Säule der Sozialversicherung über die Pflegeversicherung nach dem Sozialgesetzbuch XI finanziert (vgl. Mühlberger et al. 2010). Pflegebedürftige können zwischen der Zahlung eines Pflegegeldes oder Sachleistungen bei Beanspruchung einer zugelassenen ambulanten Einrichtung oder eine Kombination aus beiden wählen. Institutionelle Pflege am Pflegebedürftigen darf durch ambulante Pflegeeinrichtungen nur erfolgen, wenn mit den Pflegekassen ein Versorgungsvertrag geschlossen wurde (vgl. § 72 SGB XI). Im Gegenzug können pflegebedürftige Personen gemäß § 14 Absatz 4 SGB XI Leistungen der Grundpflege sowie der hauswirtschaftlichen Versorgung erhalten. Ein weiterer Versorgungsbestandteil sind medizinische Leistungen, die über das fünfte Sozialgesetzbuch geregelt sind (vgl. Auth 2012). Diese Leistungen der Behandlungspflege können von häuslichen Krankenpflegediensten bzw. von im Haushalt lebenden Personen erbracht werden (§ 37 Abs. 3 SGB XI).

Die Pflegeversicherung ist im Vergleich zur Krankenversicherung noch stärker an der Vermeidung von Kostensteigerungen interessiert, wie die folgenden Regelungen zeigen: Die Pflegeversicherung unterliegt dem Subsidaritätsprinzip - die Familie ist in den Pflegeprozess einzubeziehen. Der Pflegebedürftigkeitsbegriff ist nach § 14 SGB XI genau definiert. Die Ermittlung der Schwere der Pflegebedürftigkeit erfolgt gemäß § 15 SGB XI. Zudem sind die Leistungen der § 36 und 37 SGB XI gedeckelt. Im Gegensatz zur Krankenversicherung können die Leistungen der Pflegeversicherung nicht nach Bedarf in Anspruch genommen werden, sondern bis zu einer bestimmten Höhe. Leistungen, die darüber hinausgehen, sind von den Pflegebedürftigen selbst zu tragen. Somit liegt eine Teilkaskoversicherung vor (vgl. Mühlberger et al 2010).

Pflegesatzverhandlung - Risiken einbeziehen

Gemäß § 89 SGB XI muss die Vergütung von Pflegeleistungen zwischen den Pflegekassen, den privaten Pflegeversicherungen, den Sozialhilfeträgern und den Pflegeunternehmen ausgehandelt werden. Bei der Verhandlung kommt die Fünf-Prozentregelung zur Anwendung: Nur Kostenträger, von denen mehr als fünf Prozent der insgesamt versorgten Pflegebedürftigen der ambulanten Pflegeeinrichtung in einem definierten Betrachtungszeitraum versorgt wurden, dürfen an der Verhandlung teilnehmen (vgl. Freye 2013). Die Unternehmen haben ihre Kosten aus einem Basiszeitraum detailliert offenzulegen und in einem zweiten Schritt die zukünftigen Kosten zu planen. Es besteht die Option, einen neuen Punktwert für das Leistungskomplexsystem oder nach Zeitaufwand für die jeweiligen Pflegeleistungen zu verhandeln. (vgl. § 89 SGB XI Abs.3) Die für die Zukunft verhandelten Vergütungen müssen leistungsgerecht sein (§ 89 SGB XI Abs. 1 Satz 2), so dass die ambulanten Pflegeeinrichtungen ihre Aufwendungen finanzieren können. Hierzu muss den Pflegeunternehmen auch eine angemessene Vergütung für das Unternehmensrisiko gewährt werden (§ 84 Abs 2 S. 4 SGB XI). Ein mögliches Risiko in der ambulanten Pflege liegt beispielsweise darin, dass Pflegebedürftige vereinbarte Leistungen kurzfristig absagen, weil Angehörige die Pflege übernehmen, oder der Pflegebedürftige aufgrund seines Gesundheitszustandes bestimmte Leistungen abwählt. In diesen Fällen erzielt das ambulante Pflegeunternehmen keine Umsätze, da nur durchgeführte Einsätze abzurechnen sind, die Fixkosten (Personalkosten) aber weiter anfallen. Daher ist den Pflegeunternehmen eine entsprechende Vergütung für Wagnisse zu gewähren, denn sie tragen das unternehmerische Risiko (Kochskämper 2020). Im folgenden fiktiven Beispiel werden die Details der Punktwertverhandlung gemäß SGB XI dargestellt.

Berechnung Punktwert nach SGB XI

Bei der Verhandlung müssen die ambulanten Pflegeanbieter ihre tatsächliche Personalausstattung in Form der Stellenbesetzung und der zugehörigen Tarifeingruppierung bzw. individueller Gehaltsnachweise offenlegen (§ 84 SGB XI Abs. 5).

Basiszeitraum: Für die Punktwertberechnung nach SGB XI müssen zunächst die Jahresentgelte des Basiszeitraums für die jeweiligen Mitarbeitergruppen in Tabelle 2 eingetragen werden. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass etwaige Nacht-, Sonn- und Feiertagszuschläge einzuberechnen sind. Weiterhin müssen Sonderzahlungen in Form von Urlaubs- und Weihnachtsgeld oder vermögenswirksame Leistungen aufgeführt werden. Neben den reinen Personalkosten sind auch Personalnebenkosten, wie beispielsweise Gebühren für die Berufsgenossenschaft, Berufshaftpflicht, Aus-, Fort- und Weiterbildungskosten und sonstige Kosten, wie etwa für betriebsärztliche Untersuchungen, aufzuführen (Tab. 2).

Prospektive Kosten: Nach der Darstellung des Basiszeitraums muss das Pflegeunternehmen die prospektiven Kosten planen. Bei der Kalkulation sind die Anzahl, die Qualifikationszusammensetzung und die zu prognostizierenden Personalkosten zu berücksichtigen. Als Grundlage für die Personalkosten bietet sich ein Vergleich mit der Gehaltstabelle des Tarifvertrages des öffentlichen Dienstes vom Bund und Kommunen (TVöD-P) an, bis zu deren Höhe das Pflegeunternehmen die Personalkosten anpassen kann. Aus den aufgeführten Personalkosten, inklusive der Personalnebenkosten, und der dargestellten Vollkräfteanzahl werden Personaldurchschnittskosten berechnet. Die Kostenträger prüfen die Darstellung auf Plausibilität. Das bedeutet, dass Gehälter bis zu den tarifvertraglichen Grenzen oder von kirchlichen Arbeitszeitregelungen als wirtschaftlich anerkannt werden müssen. Weiterhin haben die Kostenträger das Recht zu prüfen, ob vereinbarte Gehälter auch gezahlt werden (vgl. § 79 und 89 SGB XI).

Nettojahresarbeitszeit: Hierzu sind von der Gesamtanzahl an Tagen in einem Jahr zunächst die Wochenend-, Urlaubs- und die durchschnittlichen Krankentage abzuziehen, was im Ergebnis zur Anwesenheitszeit eines Mitarbeiters führt. Anschließend sind detailliert die Organisations- und Qualitätssicherungszeiten zu subtrahieren, darunter verbergen sich beispielsweise Zeiten für Teamberatungen, Pflegevisiten, Dienstübergaben und Dienstvorbereitung, Fallbesprechungen, Erste-Hilfe-Kurse, Betriebsarztuntersuchungen, etc. Das Ergebnis ist die Nettojahresarbeitszeit für das jeweilige Unternehmen (Tab. 3, e-only). Nettojahresarbeitszeiten von Unternehmen können sich stark unterscheiden, aufgrund der durchschnittlichen Urlaubs- und Krankheitstage und der jeweiligen Organisationszeiten.

Netto-Vollkraftanzahl: Zur Berechnung der Netto-Vollkraftanzahl wird die Anzahl der Vollkräfte aus Tabelle 2 um zehn Prozent reduziert. Die ist der Anteil für Verwaltung inkl. Geschäftsführung.

Sachkosten: Neben den Personalkosten und der Nettojahresarbeitszeit sind die Sachkosten für den Basiszeitraum darzustellen. Die angefallenen Kosten sind den einzelnen Kategorien, wie beispielsweise medizinisch-pflegerisches Verbrauchsmaterial, zuzuordnen. In einem zweiten Schritt sind wieder etwaige prospektive Kostensteigerungen, aufgrund von Inflation oder angekündigter Kostensteigerungen seitens Lieferanten, zu kalkulieren (Tab. 4, e-only). Bei den Sachkosten gilt ebenfalls wieder die Nachweispflicht gegenüber den Kassen. Die Kostenträger überprüfen die dargestellten und geforderten zukünftigen Kosten mit denen vergleichbarer Anbieter in der Region und ob die geforderten Kosten plausibel sind (vgl. § 84 SGB XI Abs. 5; Kochskämper 2020). Eine in der Praxis angewendete Plausibilitätsprüfung sieht beispielsweise so aus: Die prospektiven Sachkosten werden durch die Anzahl der prospektiven Vollzeitkräfte geteilt und dieses Ergebnis sollte zehn Prozent der Durchschnittspersonalkosten nicht übersteigen.

Nachdem die Personal-, die Sachkosten, die Nettojahresarbeitszeit und Netto-Vollkräfte ermittelt wurden, muss zunächst ein Unternehmensgewinn berechnet werden. Hierzu ist auf Grundlage der Personal- und Sachkosten und deren Summe beispielsweise drei Prozent als Unternehmensgewinn zu veranschlagen. Die Berechnung des individuellen Punktwertes des beantragenden Pflegedienstes ergibt sich anschließend anhand nachfolgender Formel:

figure 1

Für das obige Beispiel ergibt sich folgender Rechenweg:

figure 2

Der sich ergebende individuelle Punktwert ist anschließend mit den einzelnen Punktzahlen im Leistungskomplexkatalog zu multiplizieren, sodass sich hierbei die individuellen Vergütungen für das zu betrachtende ambulante Pflegeunternehmen ergeben.

Berechnung der Leistungen nach SGB V

Der SGB V Bereich umfasst Leistungen der Grund- und Behandlungspflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung. Der Schwerpunkt liegt hier vorwiegend auf der Behandlungspflege, da für Leistungen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung das Sozialgesetzbuch XI greift (vgl. § 37 SGB V). Zwischen dem Leistungsanbieter und den Kostenträgern muss ein Versorgungsvertrag bestehen. Laut Gesetz soll darauf geachtet werden, dass nur Verträge mit Leistungsanbietern geschlossen werden, die auch eine leistungsgerechte und wirtschaftliche Versorgung sicherstellen (vgl. § 132a Abs. 4 Satz 6 und 7 SGB V). Für die Entgelte der häuslichen Krankenpflege schließt der GKV-Spitzenverband mit den Spitzenorganisationen auf Länderebene einheitliche Regelungen ab. In der Regel wird mit den Leistungsanbietern vereinbart, dass bestimmte Mindestgehälter für das Pflegepersonal zu zahlen sind (vgl. § 132 a Abs. 1 SGB V). Hierbei hat sich in der Praxis folgendes Vorgehen für die Verhandlung durchgesetzt: Zunächst werden die derzeitigen Durchschnittsgehälter je Mitarbeitergruppe aufgeführt. Anschließend sind die zukünftigen Gehälter darzustellen, danach werden die Sachkosten um einen festen Prozentsatz gesteigert (Tab. 5).

Darüber hinausgehende Sachkostensteigerungen müssen detailliert dargestellt und begründet werden. Hierbei ist die Wirtschaftlichkeit nach § 132 a Abs. 4 SGB V zu berücksichtigen. Weiterhin werden die aufgeführten Personal- und Sachkostensteigerungen in ein Verhältnis gesetzt. Daraus ergibt sich die Gesamtsteigerung für die einzelnen Leistungsgruppen im SGB V Katalog.

Fehler im System beseitigen

Die niedrigen Gehaltsstrukturen in der Pflege gehen darauf zurück, dass die Gehaltszahlungen für Arbeitnehmer*innen nicht nach einem Tarifwerk erfolgen. Ein bundeseinheitlich verpflichtender Tarif für die Pflege wäre sinnvoll, jedoch darf es hierbei nicht zu einer Absenkung des bestehenden Tarifs TVöD-P kommen. Dazu müssten die ambulanten Pflegeeinrichtungen überprüfen, ob die Personalkostensteigerungen durch die zukünftig zu refinanzierenden Entgeltleistungen auskömmlich sind. Sollte dies nicht der Fall sein, müssten die ambulanten Dienste Einzelverhandlungen mit den Spitzenverbänden der Kostenträger anstreben. Neben der Verhandlung der SGB XI Finanzierungssäule einer ambulanten Pflegeeinrichtung muss ebenfalls das SGB V separat verhandelt werden. Hier liegt ein systemimmanenter Fehler der Finanzierung der ambulanten Pflege vor. Die Ergebnisse der Verhandlung des SGB XI, und damit verbunden die verpflichtende Zahlung der vereinbarten Gehälter für das Personal, werden nicht automatisch auf die SGB V Finanzierung übertragen. Falls das Pflegeunternehmen seine verhandelten Gehälter gemäß SGB XI nicht mit den Krankenkassen für das SGB V verhandelt, führt dies zu Verlusten im Bereich der SGB V Leistungen, was die ambulanten Pflegeeinrichtungen vor finanzielle Probleme stellt.

Literatur

  • Auth D (2012) Ökonomisierung von Pflege in Großbritannien, Schweden und Deutschland. Z Gerontol Geriat (45) 618-623

  • Blinkert B, Klie T (2004) Gesellschaftlicher Wandel und demographische Veränderungen als Herausforderungen für die Sicherstellung der Versorgung von pflegebedürftigen Menschen. Sozialer Fortschritt 53 (11/12) 319-25

  • Carstensen J, Seibert H, Wiethölter D (2020) Entgelte von Pflegekräften. http://doku.iab.de/arbeitsmarktdaten/Entgelte_von_Pflegekraeften_2019.pdf (Zugriff am 23.12.2020)

  • Freye S (2013) Die Finanzierung ambulanter und stationärer Pflegeeinrichtungen: Eine Darstellung am Beispiel von Nordrhein-Westfalen. Kohlhammer, Stuttgart

  • Koebe J, Samtleben C, Schrenker A, Zucco A (2020) Systemrelevant, aber dennoch kaum anerkannt: Entlohnung unverzichtbarer Berufe in der Corona-Krise unterdurchschnittlich. DIW aktuell (48), Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Berlin

  • Kochskämper S (2020) Corona-Prämie für die Altenpflege: Die Finanzierung muss geklärt sein. IW-Kurzbericht, No. 50/2020. Institut der Deutschen Wirtschaft, Köln

  • Mühlberger U, Knittler K, Guger A (2010) Mittel- und langfristige Finanzierung der Pflegevorsorge. In: Finanzierung der Pflegevorsorge, 5-90. ÖGB-Verlag, Wien

  • Statistisches Bundesamt (2020) Pflegestatistik. Pflege im Rahmen der Pflegeversicherung - Deutschlandergebnisse 2019. (Zugriff am 06.12.2020)

Die folgenden Tabellen erhalten Sie über das eMagazin der PflegeZeitschrift und auf springerpflege.de:

Tab. 1 "Vergütungsstruktur ambulante Pflege"

Tab. 3 "Berechnung der Nettojahresarbeitszeit"

Tab. 4 "Sachkosten"