1 Einleitung

Befeuert durch die an allen Orten und zu jeder Zeit mögliche Erreichbarkeit via Mobiltelefon und die allgegenwärtige Verbindung mit dem Internet erleben immer mehr Arbeitnehmer:innen eine fortschreitende Entgrenzung zwischen Arbeit und anderen Sphären des Lebens (Kratzer 2017). Während der Corona-Pandemie wurde diese Entwicklung durch die Zunahme von Arbeit im Homeoffice noch deutlich verstärkt (Lott und Abendroth 2022), verläuft aber auch unabhängig davon.

Mit dem hier vorgelegten Beitrag wird auf Basis repräsentativer Daten für Österreich untersucht, welche Folgen diese Entwicklung für die Arbeitszeitgestaltung im Detail hat. Der Fokus liegt dabei auf durch Arbeitgeber:innen getriebene Flexibilisierung in Form von Anforderungen früher mit der Arbeit zu beginnen oder länger zu bleiben und auf Entgrenzung durch Kontakte von Arbeitgeber:innen in der Freizeit. Zentral ist die folgende Frage: Führen umso höhere Grade von arbeitgeber:innenseitiger Flexibilisierung und Entgrenzung der Arbeitszeit schrittweise zu längeren Arbeitszeiten, d. h. ist hier ein gradueller Zusammenhang zu sehen? Zusätzlich wird gefragt, wie vor dem Hintergrund arbeitgeber:innenseitiger Arbeitszeitanforderungen Frauen und Männer die Gestaltungsmöglichkeiten der Arbeitszeiten nutzen können. Schließlich wird auch auf die Rolle der Arbeitszeitaufzeichnung in diesem Zusammenhang geblickt. Die Analyse soll somit auf Basis repräsentativer Daten für Österreich ein verfeinertes und differenziertes Bild über die Wirkung entgrenzter Arbeitszeiten bieten.

2 Theoretischer Rahmen und Stand der Forschung

Die alte, starre Grenzziehung zwischen Arbeit und Freizeit gehört in vielen Berufen der Vergangenheit an. Emails werden am Abend und im Urlaub gelesen und oft sogar beantwortet. Auch wenn Menschen eigentlich frei haben, fühlen sie sich mit ihrer Erwerbsarbeit verbunden. Dies ist ein Symptom der, wie in den Sozialwissenschaften konstatiert wird, generellen Entwicklung in Richtung des Verschwimmens der Grenzen zwischen Arbeit, Arbeitskraft und Person (Reckwitz 2019; Voswinkel 2012). Ausgehend von der Creative Economy reicht es inzwischen in vielen Berufen nicht mehr aus, klar definierte Arbeitsleistungen zu erbringen, die als weitgehend getrennt von der eigenen Person gesehen werden können (Voswinkel 2012). Vielmehr ist es nötig, als gesamte Person und Persönlichkeit mit bestimmten Eigenschaften und Kenntnissen aufzutreten (Reckwitz 2019). Darin eingeschlossen ist eine ständige Verfügbarkeit für die Arbeit.

Im Zusammenhang der Forschung zu Arbeitszeiten wird hier mit dem Begriff Flexibilität operiert, um Arbeitszeiten zu beschreiben, die nicht starren, regelmäßigen Beginn- und Endzeiten folgen (Kattenbach et al. 2010). Dabei kann zwischen arbeitgeber- und arbeitnehmer:innengetriebener Flexibilität unterschieden werden, d. h. der Frage ob diese Arbeitszeiten vorwiegend den Interessen der Arbeitnehmer:innen oder jenen der Arbeitgeber:innen folgen (Chung und Tijdens 2013). In der Praxis tritt dieses Phänomen immer wieder in einer Kombination mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen auf. Im Folgenden liegt der Schwerpunkt auf arbeitgeber:innenseitiger Flexibilisierung.

Flexible Arbeitszeiten können Tendenzen der Entgrenzung, d. h. des Verschwimmens der Grenzen zwischen Arbeit- und anderen Bereichen des Lebens, verstärken (Honneth 2023; Voß 1998; Wagner 2001). Mit dem Begriff Entgrenzung ist hier sowohl das Eindringen der Sphäre der Arbeit in die Freizeit angesprochen als auch die Erledigung privater Aufgaben während der Arbeitszeit. Dem entsprechend definiert Nick Kratzer Entgrenzung von Arbeit folgendermaßen: „Entgrenzung ist als wechselseitiger Prozess konzipiert: Entgrenzungsprozesse können arbeits- oder lebensweltlichen Dynamiken folgen und bedeuten nicht ‚einfach‘ Ausdehnung einer Sphäre gesellschaftlicher (Re‑)Produktion auf Kosten einer anderen, sondern partielle Verschränkung von gesellschaftlichen Sphären“ (Kratzer 2017).

Die Arbeit dringt, das wird deutlich, immer mehr in die Freizeit ein (Lindecke 2015). Menschen sind durch die Verbreitung von Mobiltelefonen auch außerhalb der vereinbarten Arbeitszeiten erreichbar, um Aufgaben zu erledigen oder in die Arbeit gerufen zu werden (Feuchtl und Koeszegi 2016; Lindecke 2015).

In jüngster Zeit wird das Phänomen der Entgrenzung intensiv im Zusammenhang mit Homeoffice diskutiert (exemplarisch: Carstensen et al. 2022; Entgelmeier 2022). Wenn die Arbeit am Wohnort verrichtet wird, ist es schon aus räumlichen Gründen schwierig, Grenzen zwischen Arbeit und Nicht-Arbeit zu ziehen.

Was Fragen der Erholung von der Arbeit betrifft, wird das Verschwimmen der Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit, d. h. vor allem das Eindringen von Arbeit in den Bereich der Nicht-Arbeit, von vielen Menschen als sehr negativ erlebt. Das Gefühl „always on call“ (Venz und Wöhrmann 2022) zu sein, d. h. auch in der Freizeit für Arbeitsaufgaben herangezogen werden zu können bzw. diese erfüllen zu müssen, wird als sehr belastend empfunden. Am belastendsten in diesem Zusammenhang wird erlebt, wenn arbeitsbezogene Kontakte in der Freizeit von arbeitgeberseitiger Flexibilität getrieben sind. Wenn in den Analysen für geleistete Überstunden und Arbeitsdruck kontrolliert wird, gilt dies allerdings nur für Frauen, Männer scheinen durch diese zeitlichen Zugriffe weniger belastet zu sein (Lott 2020).

Die Möglichkeit, sich für einige Zeit mental von der Arbeit zu lösen, ist entscheidend für Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit (Sonnentag und Fritz 2015). Hilfreich kann hier die Kontrolle der Arbeitszeit sein, um die Durchdringung des Privatlebens mit Arbeitsaufgaben zu verhindern (Lott 2020). Vor diesem Hintergrund gibt es inzwischen einen Diskurs und Initiativen für ein „Right to disconnect“ (Weber 2021; Wollert 2022), d. h. das Recht von Arbeitnehmer:innen, zu bestimmten Zeiten nicht für die Arbeit verfügbar zu sein.

Die Wirkungen der ständigen Erreichbarkeit sind nicht bei allen Gruppen von Beschäftigten gleich. So hat eine Untersuchung von Venz und Wöhrmann gezeigt, dass ältere Erwerbstätige von Erwartungen, außerhalb der Arbeitszeit erreichbar zu sein, weniger belastet sind als jüngere Arbeitnehmer:innen (Venz und Wöhrmann 2022).

In unserer Analyse wird der Schwerpunkt auf die Wirkung von arbeitgeber:innenseitiger Flexibilisierung und Entgrenzung auf die gearbeiteten Stunden gelegt. Im Zentrum des Interesses steht dabei die Frage, ob höhere Grade von Arbeitgeber:innen verlangter Flexibilisierung und Entgrenzung der Arbeitszeit zu längeren Arbeitszeiten führen. Für flexible Arbeitszeiten im Allgemeinen ist dies gut belegt (Matta 2015). Van Echtelt et al. sprechen von einer postfordistischen Arbeitsorganisation, in der Beschäftigte mit hoher Eigenverantwortung an für sie interessanten Tätigkeiten arbeiten und aus diesem Grund mehr Arbeitsstunden leisten als Beschäftigte in starren Arbeitszeitmodellen (Van Echtelt et al. 2006). Ebenso kann die Steuerung der Arbeit über zugewiesene Aufgaben in flexiblen und entgrenzten Kontexten verlängernd auf die Arbeitszeit wirken (Peters und Sauer 2005). Schließlich fällt gerade in hochflexiblen Kontexten die Abgrenzung zwischen Arbeit und (bezahlten oder unbezahlten) Überstunden schwer, dies trägt ebenfalls zu längeren Arbeitszeiten bei (Chung und van der Horst 2020; Lott und Chung 2016). Die Frage, welche Wirkung vor allem arbeitgeber:innenseitige Anforderungen an Flexibilität und Eingriffe in die Freizeit auf die Länge der Arbeitszeit haben, wurde bisher nicht spezifisch untersucht. Diese Lücke soll mit der vorliegenden Analyse geschlossen werden. Konkret soll untersucht werden, ob es einen graduellen Zusammenhang zwischen Arbeitszeiten und arbeitgeber:innenseitiger Flexibilisierung und Entgrenzung gibt.

Für die Untersuchung wird folgende Hypothese formuliert:

Hypothese 1:

Je stärker arbeitgeber:innenseitige Flexibilisierung und Entgrenzung der Arbeitszeit (Kontakte in der Freizeit und länger bleiben/früher kommen) ausgeprägt ist, desto länger sind die damit verbundenen Arbeitszeiten.

Zunehmend wichtig wird die Frage der Entgrenzung und der Vereinbarkeit von Arbeit und Leben vor dem Hintergrund einer veränderten Aufteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit in Paarbeziehungen (Geis-Thöne 2021). Vor einer Generation wurde in der Mehrzahl der Familien eine traditionelle Arbeitsteilung praktiziert. Der meist männliche Hauptverdiener wurde von einer nicht-erwerbstätigen Frau unterstützt, die für den Großteil der Betreuungsaufgaben verantwortlich war (vgl. Berghammer und Riederer 2018). Damit waren Männer in der Familie für Arbeitsbelange „freigespielt“, die Aufgaben im Zusammenhang mit Sorge und Reproduktion wurden von Frauen übernommen. Heute haben immer mehr Paare mit Kindern den Wunsch, die Erwerbsarbeit und die Betreuungs- und Sorgearbeit gleich oder zumindest gleicher zu verteilen (Geis-Thöne 2021). Im Gegenzug nehmen die Anforderungen der Arbeitnehmer:innen an die Flexibilität ihrer Arbeitszeiten auch wegen der gestiegenen Anforderungen an die Vereinbarkeit zu. Haben Beschäftigte (auch) Kontrolle über ihre flexiblen Arbeitszeiten, trägt dies wesentlich zur Work-Life-Balance bei (Arlinghaus et al. 2019). Yvonne Lott und Kolleg:innen haben in ihrer Untersuchungen für Deutschland gezeigt, dass in flexiblen Arbeitsverhältnissen Männer stärker noch als Frauen von längeren Arbeitszeiten betroffen sind (Lott 2014). Dies gilt vor allem bei hohem persönlichen Einsatz für den Job und niedriger Familienorientierung (Lott 2023). In unserer Untersuchung soll deshalb geprüft werden, ob sich vor dem Hintergrund der Wirkung von arbeitgeber:innenseitig flexiblen und entgrenzten Arbeitszeiten eine unterschiedliche Wirkung der Möglichkeit zur aktiven Gestaltung der Arbeitszeiten für Frauen und Männer auch für Österreich zeigen lässt.

Hypothese 2:

Vollzeitbeschäftigte Männer in Österreich, die ihre Arbeitszeiten selbst gestalten können, sind häufiger von langen Arbeitszeiten betroffen als Frauen in der gleichen Situation, auch wenn für arbeitgeber:innenseitige Flexibilisierung und Entgrenzung kontrolliert wird.

Eine zentrale Auswirkung entgrenzter Arbeitszeiten, vor allem, wenn diese durch Anforderungen des Arbeitgebers motiviert ist, sind längere Arbeitszeiten (Matta 2015). Dämpfend wirkt in diesem Zusammenhang, das zeigen zahlreiche Studien, die Aufzeichnung der Arbeitszeiten (Bonvin et al. 2022; Nold und Backhaus 2022; Vieten, Wöhrmann, Michel 2022; Lott und Ahlers 2021; Astleithner und Stadler 2019). Lange Arbeitszeiten wiederum stellen, gerade wenn sie auf Dauer angelegt sind, ein Risiko für Gesundheit und Wohlbefinden dar (Leoni 2019; Stadler 2020; Arlinghaus et al. 2018). Beschäftigte mit Arbeitszeiterfassung geben weniger Stunden an, als Beschäftigte ohne Arbeitszeitaufzeichnung und auch Überstunden werden in diesem Fall häufiger angegeben. In der hier durchgeführten Untersuchung soll geprüft werden, ob dieser Zusammenhang auch dann gilt, wenn für arbeitgeber:innenseitige Flexibilitätsanforderungen und Entgrenzung der Arbeitszeiten kontrolliert wird.

Hypothese 3:

Arbeitszeitaufzeichnungen wirken dämpfend auf die wöchentlichen Arbeitszeiten, auch wenn für arbeitgeber:innenseitige Flexibilisierung und Entgrenzung kontrolliert wird.

2.1 Arbeitszeitaufzeichnung in Österreich

Wir beziehen uns bei unserer Analyse auf die Situation in Österreich. Im Gegensatz zu Deutschland besteht in Österreich eine allgemeine Pflicht zur Aufzeichnung von Arbeitszeiten (vgl. § 26 Arbeitszeitgesetz, in Kraft getreten 1994). Konkret müssen Arbeitgeber:innen für jede Arbeitnehmer:in Beginn und Ende der Arbeitszeit aufzeichnen. Werden fixe Arbeitszeiten schriftlich vereinbart, ist die Einhaltung dieser Arbeitszeiten zu bestätigen bzw. sind Abweichungen laufend zu dokumentieren.

Für Mitarbeiter:innen, die die Lage ihrer Arbeitszeit sowie den Arbeitsort weitgehend frei bestimmen können, müssen nur Aufzeichnungen über die Dauer der Tagesarbeitszeit geführt werden. Auch wenn vereinbart wurde, dass Arbeitnehmer:innen die Arbeitszeitaufzeichnungen selbst führen, bleibt der/die Arbeitgeber:in für die Einhaltung der Arbeitszeitbestimmungen und für die Aufzeichnungen verantwortlich.

In Befragungen wie dem hier verwendeten Ad-hoc-Modul des Labour Force Survey (LFS) 2019 gibt regelmäßig ein Teil der Arbeitnehmer:innen an, keine Arbeitszeitaufzeichnungen zu führen. Im Jahr 2019 waren dies insgesamt 10 % Diese Gruppe ist breit über verschiedene Berufe verteilt, wobei der Anteil bei Führungskräften mit 22 % höher ist.

3 Daten und Methode

Für die Analysen werden Daten des EU-weiten Ad-hoc-Moduls „Arbeitsorganisation und Arbeitsgestaltung“ des Labour Force Survey (LFS) 2019 für Österreich verwendet. In diesem Modul wurden Fragen der Gestaltung der Arbeitszeit mit einer für Österreich repräsentativen Befragung umfassend erhoben.

Der LFS im Rahmen des Mikrozensus ist in Österreich die größte, laufende Erhebung zu Fragen von Erwerbstätigkeit inklusive Arbeitszeit, Bildung, Wohnen und der Zusammensetzung von Haushalten. Allen Respondent:innen wird im Rahmen der Befragung eine bestimmte Befragungswoche zugeordnet, über die sie Auskunft geben sollen. Dies hat, gerade was die Analyse von Fragen zur Arbeitszeit betrifft, große Vorteile, da so ein echter Jahresdurchschnitt vorliegt. Zielgruppe des LFS Ad-hoc-Moduls 2019 sind alle Erwerbstätigen ab 15 Jahren. Im Jahr 2019 gab es eine gesetzliche Grundlage (EU-Verordnung) für die Befragung, mit der auch eine verpflichtende Teilnahme an der Befragung, und damit eine Auskunftspflicht für die Modulfragen, geregelt war. Dies führte zu einer Ausschöpfung von 98,9 %, d. h., die Daten erfüllen hohe Kriterien an Repräsentativität für die österreichische Erwerbsbevölkerung. Wir gehen davon aus, dass die Arbeitszeiten der Selbständigen anderen Mustern folgen als jene bei den unselbständig Beschäftigten, deshalb werden diese aus der Analyse ausgeschlossen. Für die hier durchgeführten Analysen wurden unselbständig Erwerbstätige im Alter von 15 bis 64 Jahren ausgewählt. In Österreich liegt das gesetzliche Pensionsantrittsalter der Männer bei 65 Jahren (Frauen derzeit 60 Jahre), ab 65 Jahren arbeiten nur mehr wenige Personen in Vollzeit. Da sich die Arbeitszeitmuster von Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten unterscheiden, beziehen wir uns in dieser Analyse ausschließlich auf Vollzeitbeschäftigte. Zusätzlich haben wir im Zuge vorbereitender Analysen festgestellt, dass sich die Arbeitszeitgestaltung von Personen, die mehr als 60 h pro Woche arbeiten, von jener der Personen mit niedrigeren Arbeitszeiten unterscheidetFootnote 1, aus diesem Grund beschränkt sich die Analyse auf Personen, die bis zu 60 h pro Woche arbeiten. Nach diesen Einschränkungen umfasst die herangezogene Stichprobe 10.464 Personen.

Wir beginnen im nächsten Abschnitt die Ausführungen mit der Beschreibung der zentralen Variablen für die Analyse und des für die Untersuchung entwickelten Index. Anschließend werden die Ausführungen deskriptiv verortet. Darauf folgend präsentieren wir die Ergebnisse von zwei linearen Regressionsmodellen.

4 Arbeitgeber:innenseitige Flexibilisierung und Entgrenzung und die Wirkung auf die Arbeitszeit

Die Untersuchung bezieht sich auf die Länge der Arbeitszeit in Einzelstunden. Dafür wird die von den Respondent:innen in der Befragung genannte, vereinbarte wöchentliche Arbeitszeit inklusive regelmäßig geleisteter Überstunden genutzt. In einzelnen hochflexiblen Arbeitskontexten kann bei den Arbeitnehmer:innen das Bewusstsein für die Zahl der gearbeiteten Stunden verloren gehen. In einer Gesamtbetrachtung gehen wir jedoch davon aus, dass auch Arbeitnehmer:innen mit hoher Autonomie im Allgemeinen bei der Befragung statistisch belastbare Informationen zu ihren Arbeitszeiten geliefert haben.

Zentral für die folgenden Überlegungen ist die Operationalisierung von arbeitgeber:innenseitiger Flexibilisierung und Entgrenzung. Dafür bieten die verwendeten Sekundärdaten zwei Fragen, die in Kombination sehr differenzierte Analysen ermöglichen. Den Respondent:innen werden die folgenden Fragen gestellt: „Wie häufig müssen Sie länger in der Arbeit bleiben oder früher anfangen, weil dies von ihren Aufgaben oder Vorgesetzten gefordert wird?“. Als Antwortmöglichkeiten stehen die Optionen „Mindestens einmal pro Woche“, „Mindestens einmal pro Monat“ und „Seltener oder nie“ zur Verfügung. Mit dieser Frage ist klar arbeitgeber:innenseitige Flexibilität bei der Arbeitszeit angesprochen. Stärker in Richtung Entgrenzung zielt die Frage nach Kontakten in der Freizeit. Sie lautet: „Wie oft wurden Sie in den letzten zwei Monaten in Ihrer Freizeit wegen Ihrer Arbeit kontaktiert?“ und lässt folgende Antworten zu: „Nie“, „Ein bis zwei Mal“ und „Mindestens einmal pro Woche“. Diese beiden Fragen werden zu einer Typologie der arbeitgeber:innenseitigen Entgrenzung mit insgesamt neun Ausprägungen kombiniert. Die Skala reicht von hoher arbeitgeber:innenseitiger Flexibilisierung der Arbeitszeiten und häufigen Kontakten in der Freizeit bis hin zu geringer arbeitgeber:innenseitiger Flexibilisierung und keinen Kontakten durch die Arbeitgeber:innen in der Freizeit. Beide Fragen weisen mit einem höchst signifikanten Chi2-Wert und einem Cramer’s V von 25,4 % einen hohen statistischen Zusammenhang auf. Eine Übersicht gibt Tab. 1.

Tab. 1 Table 1 Erwartete Flexibilität und Kontaktaufnahme in der Freizeit (Quelle: Statistik Austria Ad-hoc-Modul des Labour Force Survey (LFS) 2019 – Eigene Berechnungen, Chi2-Wert 0,000, Cramer’s V 25,4 %)Expected flexibility and contact during free time

Das Thema arbeitnehmer:innenseitige Flexibilität (Hypothese 2) wird mit der folgenden Frage operationalisiert: „Können Sie den Beginn und das Ende Ihrer Arbeitszeiten selbst bestimmen oder sind Ihre Arbeitszeiten von Ihrem Arbeitgeber festgelegt?“. Die Antwortmöglichkeiten lauten „Sie können Ihre Arbeitszeiten vollständig selbst bestimmen.“, „Sie können Ihre Arbeitszeiten innerhalb eines gewissen Rahmens selbst festlegen“ und „Ihre Arbeitszeiten sind fix vorgegeben“. Unter den hier betrachteten Vollzeiterwerbstätigen haben 8 % angegeben, ihre Arbeitszeiten vollständig selbst bestimmen zu können, 31 % verfügen zumindest teilweise über ihre Arbeitszeit und 61 % der Teilnehmer:innen an der Befragung arbeiten mit fix vorgegebenen Arbeitszeiten.

Schließlich wird noch die Frage nach der Aufzeichnung der Arbeitszeit für die Analyse herangezogen (Hypothese 3). Dafür beziehen wir uns auf eine entsprechende Frage, die die Antwortmöglichkeiten „ja“ bzw. „nein“ bietet. Da wie eingangs bereits beschrieben in Österreich die Aufzeichnung der Arbeitszeiten für viele Arbeitnehmer:innen schon länger gesetzlich verankert ist, ist in der Stichprobe der Anteil an Personen, deren Arbeitszeiten nicht aufgezeichnet werden mit 10 % eher gering.

Als Kontextfaktoren werden das Geschlecht, das Alter, der Beruf nach ISCO-08 Klassifikation und die Branche nach ÖNACE-Klassifikation in das Modell aufgenommen. In die Zuordnung zu einer Berufsgruppe nach ISCO-08 fließt die höchste abgeschlossene formale Ausbildung ein, implizit wird somit auch für die Ausbildung kontrolliert. Nach Branchen wird unterschieden, da im Modell für mögliche eigene „Branchendynamiken“ kontrolliert werden soll.

Bevor auf die Ergebnisse der Linearen Regressionsanalysen eingegangen wird, wird ein Überblick über die allgemeine Verteilung des Index zu arbeitgeberseitigen Flexibilitätsanforderungen gegeben (Tab. 1). Annähernd die Hälfte der Befragten (44 %) berichtet von kaum vorhandenen arbeitgeberseitigen Flexibilitätsanforderungen in Hinblick auf die Arbeitszeit und keinen Kontaktaufnahmen in der Freizeit. Damit ist 2019 etwas weniger als die Hälfte der Erwerbstätigen nicht von arbeitgeber:innenseitiger Flexibilisierung und Entgrenzung betroffen. Weitere 8 % der Befragten berichten von gelegentlichen Kontaktaufnahmen in der Freizeit und 11 % haben zwar wenig Flexibilitätsanforderungen, was Beginn und Ende ihrer Arbeitszeit betrifft, erleben aber häufige Freizeitkontakte aus dem beruflichen Umfeld. Jede:r fünfte Arbeitnehmer:in (21 %) erlebt mittlere arbeitgeber:innenseitige Flexibilität, muss also mindestens einmal pro Monat früher in die Arbeit kommen und/oder länger bleiben. Darunter sind 7 % an Respondent:innen mit zusätzlich häufigen Kontaktaufnahmen in der Freizeit. Regelmäßig früher kommen oder länger bleiben müssen schließlich 16 % der Arbeitnehmer:innen, 9 % von diesen werden zusätzlich auch häufig in der Freizeit kontaktiert, erleben also die stärkste Form von arbeitgeber:innenseitiger Flexibilisierung und Entgrenzung.

Nach Berufen sind die Flexibilitätsanforderungen und der Grad der Entgrenzung höchst unterschiedlich verteilt. 18 % der Führungskräfte können Arbeit und Freizeit, was die Arbeitsanforderungen betrifft, sehr gut trennen. Bürokräfte berichten zu 54 % von keiner arbeitgeber:innenseitigen Entgrenzung, bei den Hilfskräften sind dies 67 % Am anderen Ende der Skala sind Führungskräfte zu 26 % sehr häufig mit zeitlichen Flexibilitätsanforderungen konfrontiert und werden häufig in der Freizeit kontaktiert. Bei den Bürokräften sind dies 6 % und bei den Hilfskräften 2 %. Je höher die für eine Position erforderliche Qualifikation ist, desto häufiger verschwimmen die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit, nochmals stärker ist dies bei vorhandener Führungsverantwortung zu sehen (Abb. 1).

Abb. 1 Fig. 1
figure 1

Arbeitgeber:innenseitige Flexibilisierung und Entgrenzung nach Beruf. (Quelle: Statistik Austria Ad-hoc-Modul des Labour Force Survey (LFS) 2019 – Eigene Berechnungen)

Employer-sided flexibilisation and dissolution by occupation

Schon bei bivariater Betrachtung wird deutlich, dass arbeitgeber:innenseitig flexible und entgrenzte Tätigkeiten mit längeren Arbeitszeiten verbunden sind (Abb. 2). So arbeiten Beschäftigte in arbeitgeber:innenseitig höchst entgrenzten Situation im Schnitt um 3,5 h pro Woche mehr als Arbeitnehmer:innen, die nicht über diese Form der Entgrenzung berichten. Dies trifft, auf leicht unterschiedlichem Niveau, bei Männern und Frauen in sehr ähnlicher Weise zu.

Abb. 2 Fig. 2
figure 2

Arbeitsstunden der unselbständig Vollzeitbeschäftigten nach Grad der arbeitgeber:innenseitigen Flexibilisierung und Entgrenzung. (Quelle: Statistik Austria Ad-hoc-Modul des Labour Force Survey (LFS) 2019 – Eigene Berechnungen)

Hours worked by salaried full-time employees by degree of employer-sided flexibilisation and dissolution

4.1 Regressionsmodelle

In einem nächsten Schritt wird nun mit Hilfe von linearen Regressionsmodellen detailliert untersucht, wie arbeitgeber:innenseitige Flexibilisierung und Entgrenzung im Zusammenspiel mit weiteren Faktoren auf die Arbeitszeiten wirkt. So soll beurteilt werden, welche Differenzen bei den Arbeitszeiten durch Kontextfaktoren wie Alter, Beruf inklusive Leitungsfunktion und Branche erklärt werden können und welchen Zusammenhang es zwischen der Arbeitszeit und den Typologien zur arbeitgeber:innenseitigen Flexibilisierung und Entgrenzung gibt. Ebenso werden der Einfluss der (Mit‑)Gestaltung der Arbeitszeit durch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die Bedeutung der Arbeitszeitaufzeichnung untersucht.

Für die Analyse wurden zwei lineare Regressionsmodelle berechnet. In beiden Modellen wird die wöchentliche Normalarbeitszeit in Stunden als abhängige Variable betrachtet. Ausgewählt wurden unselbständig Beschäftigte in Vollzeit.

In Modell 1 wurden die allgemein üblichen Kontextfaktoren Alter in Einzeljahren, Geschlecht in dichotomer Ausprägung (Referenzkategorie Frauen), der Beruf entsprechend der ISCO-08-Klassifikation und die Branche nach der österreichischen Version der NACE-Klassifikation in das Modell aufgenommen. Als interessierender Faktor wird die Möglichkeit der Gestaltung der Arbeitszeit in den Dimensionen „vollständig selbstbestimmt“, „teilweise selbstbestimmt“ und „fix vorgegeben“ modelliert. Da sich wie oben ausgeführt in der Literatur und in deskriptiven Analysen Hinweise gefunden haben, dass es bei der Nutzung der Flexibilität Unterschiede zwischen Frauen und Männern gibt, wurde diese Variable getrennt für Frauen und Männer analysiert. Schließlich wurde auch die Frage nach der Aufzeichnung von Arbeitszeiten in das Modell aufgenommen.

Modell 2 enthält zusätzlich zu den Variablen von Modell 1 auch die Typologie der arbeitgeber:innenseitigen Entgrenzung.

Beide berechneten Modelle wurden auf Multikollinearität zwischen den unabhängigen Faktoren geprüft und für statistisch unbedenklich befunden. Zusätzlich wurde geprüft, ob es bei den verwendeten Faktoren Ausreißer gibt. Auch hier konnte kein Hinweis auf Probleme gefunden werden.Footnote 2 Da die einzelnen unabhängigen Variablen jedoch inhaltlich nicht als voneinander unabhängig angesehen werden können, wird das adjusted R2 herangezogen. Modell 1 weist als Basismodell ein adjusted R2 von 9,22 % auf. Für Modell 2 erhöht sich das adjusted R2 auf 15,76 %. Die Hinzunahme des Grades der Entgrenzung steigert somit die erklärte Varianz deutlich. Die Diskussion der Ergebnisse bezieht sich auf Modell 2, Modell 1 dient dem Vergleich.

Die verschiedenen Ausprägungen des Indikators zur arbeitgeber:innenseitigen Flexibilität und Entgrenzung weisen alle einen hoch signifikanten Zusammenhang mit der Arbeitszeit auf. Als Referenzkategorie dienen arbeitgeber:innenseitig wenig flexible Arbeitszeiten ohne Freizeitkontakte durch Arbeitgeber:innen. Am stärksten verlängern sich die Arbeitszeiten bei Personen mit hoher arbeitgeber:innenseitiger Flexibilität und vielen Freizeitkontakten (+ 2,85 h pro Woche), gefolgt von hoher arbeitgeber:innenseitiger Flexibilität und wenigen Freizeitkontakten (+ 2,04 h pro Woche).

Zwischen den Arbeitsstunden und dem Alter gibt es einen leicht positiven Zusammenhang: Pro zusätzlichem Jahr an Lebensalter steigt die Arbeitszeit ganz leicht um 0,014 h (etwas weniger als 1 min).

Männer mit vollständig selbst bestimmten Arbeitszeiten arbeiten um 1,10 h pro Woche länger als Personen mit fixen Arbeitszeiten, bei Frauen sind dies 0,21 h pro Woche. Sind die Arbeitszeiten teilweise selbst bestimmt, verlängern sich die Arbeitszeiten bei Männern um 0,36 h pro Woche, für Frauen liegt dieser Wert bei 0,15 h. Zusätzlich arbeiten Männer um 0,43 h länger als Frauen.

Wird für arbeitgeber:innseitige Flexibilität und Entgrenzung der Arbeitszeit und den Grad der Selbstbestimmung der Arbeitszeit kontrolliert, arbeiten Beschäftigte ohne Arbeitszeitaufzeichnung weiterhin um 0,60 h pro Woche länger als Arbeitnehmer:innen mit Arbeitszeitaufzeichnung.

Der Vergleich der verschiedenen Berufsgruppen zeigt, dass vor allem Führungskräfte unabhängig von Fragen der arbeitgeber:innenseitigen Flexibilisierung und Entgrenzung der Arbeitszeiten mehr Stunden pro Woche arbeiten als andere Berufsgruppen. Ebenfalls erhöht sind die Arbeitsstunden von Arbeitnehmer:innen in akademischen Berufen ohne Führungsfunktion. Schließlich weist die Gruppe der Anlagebediener:innen ebenso signifikant längere Arbeitszeiten auf.

Da innerhalb einer Branche verschiedenste Tätigkeiten ausgeübt werden, sind zwischen den Branchen nur mehr wenige statistisch signifikante Differenzen sichtbar. Vor allem die Gastronomie sticht mit einem hoch signifikanten Wert hervor Beschäftigte dort arbeiten im Schnitt um 1,70 h länger. Im Bereich Verkehr sind dies 0,58 zusätzliche Stunden. In der Branche Erziehung und Unterricht wird hingegen um 0,5 h pro Woche weniger gearbeitet.

Vor allem arbeitgeber:innenseitig flexible und entgrenzte Arbeitszeiten stehen in unserem Modell also im Zusammenhang mit langen Arbeitszeiten. Höhere Grade an Entgrenzung, und dabei besonders arbeitgeber:innenseitig verlangte Flexibilität, gehen mit längeren Arbeitszeiten einher. Dies zeigt sich in einem Regressionsmodell mit zahlreichen Einflussfaktoren, obwohl Differenzen der Arbeitszeiten zum Teil auch auf andere Faktoren wie den Beruf oder den Grad der Selbststeuerung entfallen (Tab. 2).

Tab. 2 Table 2 Lineare Regressionsmodelle (Quelle: Statistik Austria Ad-hoc-Modul des Labour Force Survey (LFS) 2019 – Eigene Berechnungen Unselbstständig Vollzeitbeschäftigte)Linear Regression Models

Für die Analyse wurden mehrere Hypothesen formuliert, diese werden nun einzeln diskutiert. Die erste, leitende Annahme (Hypothese 1), dass arbeitgeber:innenseitige Flexibilität und Entgrenzung auch bei der Kontrolle zahlreicher Kontextfaktoren zu längeren Arbeitszeiten führt, konnte klar bestätigt werden. Höhere Grade an arbeitgeber:innenseitiger Flexibilisierung mit häufiger Anpassung der Arbeitszeit an die Arbeitserfordernisse und häufigen Kontakten in der Freizeit sind mit längeren Arbeitszeiten verbunden als weniger ausgeprägte Formen der arbeitgeber:innenseitigen Flexibilisierung und Entgrenzung. Auf Basis der Ergebnisse lässt sich ein schrittweiser Zusammenhang von je längeren Arbeitszeiten desto stärkerem Grad der Flexibilisierung und Entgrenzung feststellen. Wegen der Art der erfassten Daten (zwei ordinalskalierte Variablen) ist es statistisch nicht möglich, einen linearen Zusammenhang mit der Länge der Arbeitszeit zu ermitteln.

Ebenso kann mit Bezug auf Vollzeiterwerbstätige die Annahme bestätigt werden, dass Männer und Frauen von den Auswirkungen der Flexibilität der Arbeitszeiten auf die Länge der Arbeitszeiten in unterschiedlicher starker Weise betroffen sind (Hypothese 2). Männer, deren Arbeitszeiten vollständig selbst gestaltet werden, arbeiten pro Woche um 1,10 h länger als Männer mit fixen Arbeitszeiten, bei Frauen sind dies 0,21 h pro Woche. Auch wenn die Arbeitszeiten teilweise selbst gestaltet werden, sind Männer um 0,36 h pro Woche länger beschäftigt als Frauen mit 0,15 h. Der Grund für diese Ergebnisse liegt in den nach wie vor häufiger von Frauen übernommenen Betreuungs- und Sorgeaufgaben, die das Zeitbudget für Erwerbsarbeit eingrenzen (für einen Überblick: Chung und van der Lippe 2020). Für Deutschland wurde gezeigt, dass die Wirkung der Flexibilität unterschiedlich stark ausgeprägt ist, je nachdem ob Frauen und Männer stärker in Richtung Familie oder Erwerbstätigkeit orientiert sind (Lott 2023). Dieser Zusammenhang konnte hier nicht geprüft werden, ist aber ebenfalls anzunehmen.

Schließlich wurde auf Basis vorhandener Analysen zur Wirkung der Arbeitszeitaufzeichnung die Annahme formuliert, dass Arbeitszeitaufzeichnungen auch dann einen dämpfenden Effekt auf die wöchentlichen Arbeitszeiten haben, wenn für Fragen der arbeitgeber:innenseitigen und arbeitnehmer:innenseitigen Flexibilität und Entgrenzung kontrolliert wird. Auch hier bestätigen unsere Analysen den dämpfenden Effekt der Aufzeichnung von Arbeitszeiten.

5 Schlussfolgerungen

Die Analysen machen deutlich, wie sehr arbeitgeber:innenseitig entgrenzte und flexible Arbeitszeiten mit längeren Arbeitszeiten verbunden sind. Der Zusammenhang zwischen flexiblen und entgrenzten Arbeitszeitformen und längeren Arbeitszeiten ist insgesamt bereits gut belegt (Matta 2015; Peters und Sauer 2005; Chung und van der Horst 2020; Lott und Chung 2016). Die Analyse konnte darüber hinaus zeigen, dass auch spezifisch arbeitgeber:innenseitige Flexibilisierung und Entgrenzung mit längeren Arbeitszeiten auftritt, dieser Zusammenhang fällt umso deutlicher aus, je ausgeprägter arbeitgeber:innenseitige Anforderungen an Flexibilität und Entgrenzung sind. Im vorliegenden Beitrag wurde für Branche, Beruf, arbeitnehmer:innenseitige Flexibilität, Arbeitszeitaufzeichnung und weitere Hintergrundfaktoren kontrolliert, vor diesem Hintergrund ergeben die Analysen, ein zunehmendes „Flexibilitäts- und Entgrenzungsplus“, das auftritt, wenn Beschäftigte häufig mit zeitlichen Anforderungen der Arbeitgeber:innen konfrontiert sind.

Weiterhin führt die zusätzlich vorhandene Möglichkeit zur eigenständigen Gestaltung von Arbeitszeiten zu längeren Arbeitszeiten. Dieser Effekt ist bei vollzeiterwerbstätigen Männern stärker zu sehen als bei vollzeiterwerbstätigen Frauen. Dies bestätigt die Befunde von Lott (Lott 2023, 2014).

Die Analysen belegen schließlich, dass die Aufzeichnung der Arbeitszeiten auch im Kontext von Faktoren zu Entgrenzung und Arbeitszeitflexibilisierung mit niedrigeren Arbeitszeiten verbunden ist. Dieser Befund bezieht sich auf Österreich, wo bereits seit langer Zeit eine allgemeine Pflicht zur Erfassung der Arbeitszeiten besteht und nur ein kleiner Teil der Arbeitnehmer:innen (insgesamt 10 % im Jahr 2019) keine Arbeitszeiten aufzeichnet.

Flexible Arbeitszeiten bringen, das zeigen viele Untersuchungen, enorme Vorteile für Beschäftigte. Arbeitszeiten können besser an andere Anforderungen des Lebens angepasst werden (exemplarisch: Anxo et al. 2012). Eine Rückkehr zu starren, vor-digitalen Arbeitsmustern ist daher weder möglich noch wünschenswert. Unkontrollierte, von den Interessen der Arbeitgeber:innen gesteuerte Flexibilisierung und Entgrenzung ist mit gravierenden Nachteilen in Form von längeren Arbeitszeiten verbunden. Aus diesem Grund braucht es Ansätze und Initiativen, die Menschen vor überbordenden Zugriffen im Namen der Flexibilität schützen.

Fallweise müssen Arbeitnehmer:innen im Kontext der Arbeitszeitgestaltung auch vor sich selbst geschützt werden, das langfristige Gesundheitsrisiko, das von länger dauernder Überforderung ausgeht, kann im individuellen Arbeitsalltag oft nicht in Betracht gezogen werden. Die Forderung nach einem möglichst gesetzlich verankerten „Right to disconnect“ (Weber 2021) kann hier ein Baustein sein, es braucht aber noch weitere Maßnahmen, um betriebliche Kulturen der Nicht-Erreichbarkeit oder der digitalen (Selbst‑)Fürsorge zu verankern.

Wir haben uns bei unserer Analyse auf Vollzeitbeschäftigte bezogen, da zum einen nach wie vor die Mehrzahl der männlichen und zumindest die Hälfte der weiblichen Arbeitnehmer:innen in einem solchen Arbeitsverhältnis arbeitet. Für diese Gruppe sind Eingriffe in die Freizeit oft belastender als für Teilzeitbeschäftigte. Maßnahmen der Arbeitszeitverkürzung wie eine Vier-Tage-Woche mit Reduktion der Arbeitszeit könnten hier Abhilfe schaffen.

Zentral für sinnvolle Weiterentwicklungen könnte die Kombination aus Flexibilität der Arbeitszeit und flexibel gestalteten Elementen der Regulierung sein. Hoff schlägt in diesem Zusammenhang ein Modell der Wahlarbeitszeit vor, mit dem Beschäftigte die Dauer ihrer vertraglich vereinbarten Arbeitszeit innerhalb eines Korridors von 75–100 % der Regelarbeitszeit und mit drei Monaten Ankündigungsfrist immer wieder neu wählen können (Hoff 2023). Modelle dieser Art könnten helfen, die Vorteile von Flexibilität und Regulierung der Arbeitszeiten sinnvoll zu kombinieren.

Viele Fragen bleiben jedoch weiterhin zu untersuchen. So bedarf die häufig unterschiedliche Gestaltung flexibler Arbeitszeiten von Frauen und Männern zusätzlicher Analysen. Einige fruchtbringende Hinweise finden sich bei Chung und Van Der Lippe (Chung und van der Lippe 2020). Die Tatsache, dass Frauen vermehrt ihren Arbeitsalltag in einen Betreuungsalltag einpassen bzw. mit diesem abstimmen, schützt wohl viele Frauen davor, dass aus flexiblen Arbeitszeiten sehr lange Erwerbs-Arbeitszeiten werden. Zugleich laufen Frauen mit Betreuungsverantwortung gerade in flexiblen Arbeitsverhältnissen Gefahr, nicht die immer wieder erwartete gesteigerte Verfügbarkeit und Produktivität leisten zu können. Daraus können sich negative Konsequenzen ergeben, was Karrieren in Unternehmen betrifft.

Die deskriptiven Analysen haben schließlich auch gezeigt, dass weiterhin ein Teil der Arbeitnehmer:innen in starren, nicht entgrenzten, damit verbunden aber auch wenig autonomen, Erwerbsverhältnissen arbeitet. Dies sind oft niedrig qualifizierte Berufe in Dienstleistung und Produktion. Bei der Auseinandersetzung um flexible Arbeitszeiten besteht die Gefahr, dass diese Gruppen vergessen werden. Auch hier geht es um flexible, atmende Dienstplanung, die Anforderungen des Arbeitsplatzes und der Arbeitsorganisation mit den gestiegenen Ansprüchen an die Qualität von Arbeits(zeit) in Einklang bringt.

5.1 Diskussion

Für die vertiefende Analyse wurden die Angaben von Vollzeiterwerbstätigen herangezogen. Frauen in der Familienphase nutzen Teilzeitarbeit als Form der Flexibilisierung. Dies führt wohl auch aufgrund der zeitlichen Restriktionen durch Betreuungsaufgaben außerhalb der Erwerbsarbeit nicht zu längeren Arbeitszeiten (Chung und van der Horst 2020). Dabei wählen Frauen nach der Geburt von Kindern immer wieder bewusst Arbeitsstellen, die ihnen ausreichend Flexibilität für die Anforderungen von Betreuungs- und Sorgearbeiten gewähren. D. h., Flexibilität ist nicht nur ein Muster, dass sich innerhalb von Arbeitsplätzen findet, sondern die Flexibilitätsanforderungen beeinflussen auch die Wahl des Arbeitsplatzes (Busch 2013). So gibt es Hinweise, dass die langen und stark entgrenzten Arbeitszeiten mit ein Grund sind, warum sich nur wenige junge Frauen für eine Tätigkeit in hoch-flexiblen Bereichen wie der IT entscheiden. Für empirisch gesicherte Aussagen über die Flexibilitätsmuster und -anforderungen von teilzeitbeschäftigten Frauen braucht es weiterführende, multidimensionale Analysen.

Unsere Analyse bezieht sich auf Daten aus dem Jahr 2019, d. h. die Zeit vor der Corona-Pandemie und damit dem Schub in Richtung Homeoffice. Die Informationen sind insofern wertvoll, als sie Informationen über eine Base-Line geben. Weiterführende repräsentative Analyse zur Situation nach der Pandemie können daran anschließend wichtige Aussagen über aktuelle Entwicklungen bringen.