1 Einleitung

Eine Vielzahl von Prozessen bei Menschen, Tieren und Umwelt unterliegt zirkadianen, ultradianen, saisonalen und weiteren Rhythmen. Dies sind physiologische Veränderungen in biologischen Parametern, die sich zyklisch in unterschiedlich langen Zeitphasen wiederholen. Saisonale Veränderungen wiederholen sich im Jahreszyklus, zirkadiane Rhythmen im Verlauf eines Tages und ultradiane Rhythmen in noch kürzeren Zeitrahmen. Die Untersuchung dieser Rhythmen und die Einbindung der Variabilität von untersuchten Forschungsparametern durch die zugrundeliegende Rhythmik nimmt in der epidemiologischen Forschung einen immer größeren Raum ein. Ein Beispiel hierfür ist die Erforschung des Zusammenhangs zwischen Schichtarbeit und Licht in der Nacht und den damit verbundenen Störungen in zirkadianen Rhythmen und der Krebsentstehung (IARC Monographs Vol 124 group 2019). Am Institut für Prävention und Arbeitsmedizin der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung, Institut der Ruhr-Universität Bochum (IPA), wurden eine Reihe von Studien zu Schichtarbeit mit unterschiedlichen epidemiologischen Studiendesigns von Kohortenstudien (z. B. Behrens et al. 2017; Wichert et al. 2020), Fall-Kontroll-Studien (Pesch et al. 2005; Rabstein et al. 2013) und Feldstudien (Lehnert et al. 2018; Burek et al. 2022; Behrens et al. 2019; Rabstein et al. 2019) bis hin zu Interventionsstudien (Rabstein und Lehmann 2022) durchgeführt, deren Proben und Daten langfristig als Teil der sogenannten Chronobiobank (Biobank für zirka- und ultradiane Daten und Biomaterial) für weitere Forschungsfragen aufbewahrt werden.

Die Chronobiobank ist selbst eine Komponente der zentralen Biobank des IPA (Müller et al. 2017), in welcher aktuell Biomaterialien von mehr als 10.000 Probandinnen und Probanden aus arbeitsmedizinischen Projekten verwaltet werden. Für den erfolgreichen Einsatz der Chronobiobank müssen Strategien zur Harmonisierung - sowohl der Arbeitsanweisungen als auch der Studiendaten - entwickelt werden, die das Potenzial erhöhen, Studiendaten aus unterschiedlichen Projekten gemeinsam für erweiterte Forschungsfragen nutzen zu können. Da Feldstudien in der Schichtarbeitsforschung oft eine zu geringe Fallzahl haben, um Subgruppenanalysen innerhalb eines einzelnen Studienkollektivs zu erlauben, stellt dies einen wichtigen Baustein für die Analyse von suszeptiblen Gruppen dar. Die spezifischen Harmonisierungsaufgaben der Chronobiobank umfassen die Entwicklung von (Daten‑)Standards in den Bereichen der Erhebungs- und Messinstrumente, Biomaterialverarbeitung, Dokumentation und Metadaten. Metadatenstandards sind Regeln, die festlegen, welche zusätzlichen Informationen man zu einem Datenelement aufschreiben muss, damit man es später wieder verwenden kann. In diesem Beitrag fassen wir sämtliche dieser Datenarten unter dem Begriff Forschungsdaten zusammen. Die Orientierung an gemeinsamen Standards und Best Practices bei der Konzeptionierung von Forschungsprojekten ist für Studien kleinerer und mittlerer Größe von großem Wert. Aus der internen Erfahrung und der praktischen Arbeit im Umgang mit heterogenen Datenquellen wird abgeleitet, wie sowohl die Planung zukünftiger Studien als auch die Machbarkeitsanfragen neuer Forschungsprojekte unter Einbeziehung bereits vorhandener Studiendaten und Proben so unterstützt werden können, dass die Daten für eine wachsende Anzahl von sekundären Forschungsprojekten geeignet sein können und eine effiziente Suche nach geeignetem Datenmaterial möglich ist.

Ziel dieses Beitrags ist es, wichtige Standards der IPA-Biobank zu erläutern. Anhand einer hypothetischen Forschungsfrage werden mögliche Ansätze und Schwierigkeiten bei der Harmonisierung von Daten unterschiedlicher Quellen im Rahmen von Schichtarbeitsstudien aufgezeigt.

2 Harmonisierungsstrategien

In diesem Abschnitt werden zunächst die allgemeinen Harmonisierungsstrategien der IPA-Biobank vorgestellt, die auch in der Chronobiobank Anwendung finden. Dann werden spezifische Herausforderungen und Lösungsansätze zur Ermöglichung der integrativen Datennutzung auf dem Gebiet der Schichtarbeitsforschung an der ausgewählten Forschungsfrage erörtert.

2.1 Allgemeine Harmonisierungsmaßnahmen der IPA-Biobank

Die IPA-Biobank verfügt über abteilungsübergreifende Richtlinien und Standard Operating Procedures (SOPs) für Probengewinnung, -verarbeitung und -dokumentation, die auf die Steigerung des Nachnutzungspotentials der Biomaterialien und Daten abzielen. Darüber hinaus ergänzen Instrumente aus dem Bereich des Forschungsdatenmanagements die Harmonisierungsstrategien. Ein Forschungsdatenmanagement umfasst alle Maßnahmen, die getroffen werden müssen, um die wissenschaftliche Aussagefähigkeit im Datenlebenszyklus zu erhalten, um Ergebnisse reproduzierbar und Daten personenunabhängig zur Sekundärnutzung verfügbar zu machen, während gleichzeitig Datenschutz, Urheberrecht und Ethik berücksichtigt werden (Forschungsdaten.info 2023).

Sämtliche Richtlinien, SOPs und Maßnahmen der IPA-Biobank sind so breit gefasst, dass sie eine Basis für jegliche Art von Forschungsprojekt des arbeitsmedizinischen Instituts bilden können. Die Folgenden zentralen Maßnahmen sind fest in die internen Abläufe integriert.

2.1.1 Datenmanagementplan (DMP)

Ein grundlegendes Werkzeug, welches die IPA-Biobank zur nachhaltigen Bereitstellung von Studiendaten- und Proben einsetzt, ist der Datenmanagementplan (DMP). Idealerweise wird der DMP direkt zu Planungsbeginn eines neuen Forschungsprojekts verfasst und in regelmäßigen Abständen während der gesamten Laufzeit der Studie aktualisiert. Der Einsatz des DMP unterstützt darin, sämtliche relevanten Aspekte des Umgangs mit Forschungsdaten zu adressieren und entsprechende Zuständigkeiten zuzuweisen. Für die IPA-Studien wird dies durch das Open-Source-Werkzeug Research-Data-Management-Organizer (RDMO 2023) unterstützt, welches die webbasierte Kooperation verschiedener Forschungspartner bei der gemeinsamen Arbeit an und mit dem zentralen Datenmanagementplan ermöglicht. Für RDMO gibt es inzwischen eine breite Auswahl an Katalogen, die abhängig von Förderinstitution, Disziplin oder Zweck für ein einzelnes Projekt hinterlegt werden können (Forschungsdaten.org 2023).

2.1.2 SOPs für Daten und Biomaterialien

Die IPA-Biobank gibt grundlegende SOPs vor, in denen Arbeitsschritte und Dokumentationsstandards integriert sind, die bei der Erzeugung von Daten, bei der Gewinnung, der Verarbeitung, gegebenenfalls dem Transport und der Lagerung von Biomaterialien eingehalten werden müssen. Auf Basis dieser Vorgaben werden projektspezifische SOPs, die oftmals an Feldstudien angepasst werden müssen, ausgearbeitet und dennoch sichergestellt, dass wesentliche präanalytische Faktoren der Probengewinnung und die Dokumentation unterschiedlicher Projekte in entscheidenden Merkmalen harmonisiert sind bzw. miteinander verglichen werden können.

2.1.3 Datenverzeichnis

Unverzichtbar für die langfristige Bereitstellung von Forschungsdaten ist das Datenverzeichnis. Ein Datenverzeichnis kann als eine Ergänzung des Kodierhandbuchs um zahlreiche weitere Eigenschaften von Variablen aufgefasst werden. In dieser Liste werden zeilenweise einzelne Variablen adressiert, während in den Spalten die jeweiligen Eigenschaften dieser Variablen enthalten sind. So wird eine Übersichts- und Verwaltungsliste sämtlicher Variablen eines Projektes erzeugt, die die Grundlage dafür bildet, dass Studiendaten auch von Dritten unmissverständlich interpretiert werden können. Das IPA pflegt diese standardisierten Metadaten nicht nur für interne Zwecke, sondern auch um sie zukünftig in geeigneten Repositorien (Software und Datenbank zur Veröffentlichung von Forschungsdaten) bekannt zu geben und auf diese Weise die Sekundärnutzung der Sammlungen zu fördern. Im Datenverzeichnis werden exemplarisch die nachfolgend aufgeführten Metadaten festgehalten:

  • Variablenname (standardisiert)

  • Variablenlabel (standardisiert)

  • Wertebereich

  • Wertelabel

  • Datenformat

  • Häufigkeitsverteilung der Mess- oder Beobachtungswerte

  • Klassifikationsverfahren (z. B. Internationale Standardklassifikation der Berufe ISCO-88)

  • Exakte Formel zur Berechnung der Variablen (z. B. für den Body-Mass-Index)

  • Maßeinheit

  • Bedeutung der Variablen (weitere Interpretationshilfe)

  • Entstehung (z. B. Wortlaut der Frage oder Messung mit Gerät X)

  • Beurteilung der Datenqualität (z. B. Rohdaten, Validierung, Genauigkeit)

  • Veränderungen, die an den Daten vorgenommen wurden

Die Übereinstimmung in wesentlichen Datenelementen kann für die integrative Nachnutzbarkeit mehrerer Proben- und Datensammlungen entscheidend sein, weshalb die IPA-Biobank wann immer möglich unter Einbeziehung (inter-)nationaler Standards, Minimaldatenelemente definiert, welche in jedem Forschungsprojekt des IPA verwendet werden sollen. Im Folgenden werden einige Beispiele genannt.

2.1.4 Festlegung von gemeinsamen Minimaldatenelementen

Für sämtliche Projekte des IPA wurde festgelegt, als probandenbezogene Minimaldaten das biologische Geschlecht nach dem Standard Health Level 7 (Wikipedia 2023) in festgelegten Kategorien (männlich, weiblich, divers und unbekannt), das Alter und den Raucherstatus (Kategorien: aktuell, seit X Jahren Nichtraucher, nie) zu erheben. Weitere probandenbezogenen Minimaldatenelemente können nicht abteilungsübergreifend festgelegt werden, da die Forschungsschwerpunkte zu stark divergieren. Wenn allerdings klinische Befundungen erhoben werden, soll der Datenstandard „Minimum Information About Biobank data Sharing“ (MIABIS) (Medical data models 2019) berücksichtigt werden, der u. a. eine präzise Erfassung der Ontologien (Modelle, die Begriffe und Beziehungen in einem bestimmten Wissensbereich beschreiben) in Bezug auf die anatomische Herkunft eines Biomaterials und die Erkrankungen vorsieht.

Auch die klar definierten Minimaldatenelemente, welche die Grundlage zu Erzeugung des Standard PREanalytical Code for Biospecimen (SPREC) (Betsou et al. 2018) für die standardisierte Charakterisierung der präanalytischen Qualität von Biomaterialien bilden, werden in sämtlichen Studien des IPA auf standardisierte Weise erhoben.

2.2 Harmonisierungsstrategien für die Chronobiobank

Aufgrund der Breite des Forschungsfeldes umfassen die für eine Sekundärnutzung aufbewahrten Datensätze und Probensammlungen aus Schichtarbeitsstudien in der Regel unterschiedliche charakteristische Entitäten, wie beispielsweise Sensordaten zur Untersuchung des Schlafes, Speichelproben zur Untersuchung von zirkadianen Rhythmen in Hormonen (z. B. Melatonin), sowie ergänzende Interview- oder Tagebuchdaten (zu Schlaf, Lebensstil und weiteren Faktoren). Zudem erfassen Studien auf diesem Forschungsgebiet oftmals auch die Informationen zur Arbeitszeit, zu Schichtsystemen wie auch Schichtarbeitsbiografien oder ergänzend chronobiologisch relevante Aspekte wie z. B. den Chronotyp der Studienteilnehmenden. So sind die Objekte der Harmonisierung zum einen eher allgemeine und in vielen Studien relevante Inhalte (z. B. Schichtsystem, Chronotyp), zum anderen spezifische Elemente der konkreten Fragestellung.

2.2.1 Allgemeine Objekte der Harmonisierung im Kontext zirka- und ultradianer Forschung

Als Phänotypen und Parameter, die oft relevanter Gegenstand der Harmonisierung von Forschungsdaten im Kontext der Untersuchung von zirka- und ultradianen Rhythmen sein können, möchten wir an dieser Stelle exemplarisch die Folgenden nennen.

Zeitangaben bei Messungen und Probennahmen

Werden Daten und Bioproben gesammelt, sind möglichst genaue und mit anderen Studien vergleichbare Datums- und Zeitangaben, beispielsweise zur Bioprobenahme (wann wurde Speichelprobe für die Untersuchung von Melatonin genommen?) oder auch zu Schlafzeiten (wann war die für die Cortisol-Aufwach-Reaktion relevante Aufwachzeit?) usw., zu erhalten. Neben der Uhrzeitvariable sollten Metadaten der Zeiterfassung dokumentiert werden. Diese können wertvolle Hinweise auf den Grad der Genauigkeit und Zuverlässigkeit der Daten geben und z. B. wie folgt aussehen:

  • Digitaler Zeitlogger der Befüllung des Probenbehälters

  • Eigenangaben der Versuchsperson in einem Tagebuch oder Logbuch

  • Eigenangaben der Versuchsperson auf dem Probenbehälter

  • Eigenangaben auf digitalen Geräten (z. B. Mobilgeräte mit Anleitung zur Probenahme)

  • Dokumentation des Studienpersonals in einem Logbuch

  • Digitale Dokumentation des Studienpersonals bei Felddurchführung

  • Geplante Zeiten, z. B. bei medizinischen Untersuchungen im Rahmen von Kohortenstudien

Die Etablierung von Standards, wie z. B. die Verwendung digitaler Zeitlogger bei Probenbehältern, könnte die Harmonisierung von Daten vorantreiben.

Jahreszeitliche Aspekte sowie weitere biologische Rhythmen

Neben den Uhrzeiten können auch Datum und Jahreszeit relevante Aspekte für die weitere integrative Sekundärnutzung der Daten und Biomaterialien darstellen. Mögliche Aspekte sind hierbei:

  • Jahreszeitliche Schwankungen hinsichtlich der Lichteinwirkung

  • Schwankungen in biologischen Parametern durch den Zyklus der Frau

  • Einflüsse des Lebensalters, biologischen Alters oder Menopausenstatus

Es ist deshalb von großer Bedeutung, diese Art von Informationen im Hinblick auf das Sekundärnutzungspotential auch dann in einer Studie zu erheben, wenn sie für die spezifische Forschungsfrage weniger relevant sein sollten. Idealerweise werden in einem einschlägigen Netzwerk Minimaldatensätze und standardisierte Terminologien vereinbart.

Angaben zu Schlafqualität

Metadaten können wichtige Kriterien für die Nachnutzbarkeit der Proben oder Daten in weiteren Studien darstellen. Für andere Informationen, die typischerweise in Schichtarbeitsstudien erhoben werden, wie beispielsweise Angaben zur Schlafqualität, würde sich die Verwendung strukturierter, harmonisierter Fragebögen in besonderem Maße eignen, um unterschiedliche Datensätze miteinander vergleichen zu können. Aber gerade die Schlafqualität wird sehr subjektiv und ggf. auch alters- und kulturspezifisch unterschiedlich eingeschätzt, was die zusätzliche Erhebung von Alter und Nationalität nahelegt.

Chronotyp der Studienteilnehmenden

Ein weiterer, oftmals in Studien als Confounder berücksichtigter Faktor ist der individuelle Chronotyp von Studienteilnehmenden. Der Chronotyp ist ein Merkmal zur Beschreibung der zeitlichen Lage der inneren biologischen Uhr von Menschen und wird oft als Früh‑, Intermediär- oder Spättyp eingeteilt. Je nach Fragstellung kann es auch zielführend sein, diesen mehrmals zu untersuchen (Zeitverlauf, z. B. in Kohortenstudien) oder unterschiedliche Trennschärfen zu verwenden. Mögliche Erhebungsmethoden hierfür sind:

  • Erhebung mittels Fragebogen, wie z. B. Morningness-Eveningness-Questionnaire (MEQ) (Horne und Ostberg 1976) oder Münchner Chronotyp Fragebogen (MCTQ) (Roenneberg et al. 2003) bzw. MCTQshift (MCTQ bei Schichtarbeit) (Juda et al. 2013)

  • Erhebung der Körpertemperatur (bei Laborstudien)

  • Ermittlung des Chronotyps anhand der ermittelten Schlafzeiten in selbsterhobenen Tagebüchern

  • Ermittlung des Chronotyps anhand der Schlafzeiten, die durch Aktigraphie ermittelt wurden

Innerhalb der Erhebungsinstrumente können die Metriken bzw. Algorithmen der Geräte unterschiedlicher Hersteller stark variieren, was den großen Bedarf an Empfehlungen für die zu bevorzugenden Erhebungsverfahren für den Chronotyp erkennen lässt. Zudem werden zentral verfügbare Programme benötigt, mit welchen die Überführung von Messwerten unterschiedlicher Messverfahren, wie z. B. Aktigraphen unterschiedlicher Hersteller, in einen einzigen harmonisierten Datensatz ermöglicht werden.

Angaben zu Arbeitszeit, Schichtarbeit und Freizeit

Ein weiterer wichtiger Aspekt, der bei der Entwicklung von Empfehlungen für die Sekundärnutzung von Studien der Schichtarbeitsforschung berücksichtigt werden muss, ist die aktuell noch große Vielfalt an in der Forschung verwendeten Definitionen von Schichtarbeit, unmittelbarer Schichtarbeits-Vorgeschichte und Schichtarbeitsbiografien. Es reicht oftmals nicht aus, die Studien nur hinsichtlich der „aktuell geleisteten“ Arbeitsschicht eines Schichtsystems zu bewerten, weshalb gemeinsame Definitionen festgelegt werden müssen. Ein Auszug möglicher relevanter Aspekte ist Folgender:

  • Die Zeit seit letzter Nacht/Spät/Früh/Tag/anderer- Schicht

  • Spezifische, typische Zeiten des Beginns und des Endes der Schicht

  • Rotationssystem der Schicht

  • Rotationsabfolge

  • Schichtarbeitsbiografie des Studienteilnehmenden

  • Freie Tage zwischen den Schichten

  • Ruhezeiten zwischen Schichten

Mögliche Definitionen können aus verschiedenen Publikationen abgeleitet werden, die sich mit den gesundheitlichen Auswirkungen von Schichtarbeit oder deren Erhebungen befassen (IARC Monographs Vol 124 group 2019; Stevens et al. 2011).

Messung von Hormonen in Speichel, Urin und Blut

Bei der Messung von Hormonen, die für den zirkadianen Rhythmus relevant sind, beispielsweise Cortisol und Melatonin aus Speichel, Urin oder Blut sind neben der Laborbestimmung viele Faktoren für valide Ergebnisse bei der Ableitung von zirkadianen Melatonin-Verläufen in Feldstudien entscheidend. So sind neben der Dokumentation von Zeitpunkten auch die korrekte Anweisung, z. B. hinsichtlich Probenahme nach längerem Liegen, Nahrungsaufnahme und Zähneputzen vor der Probenahme relevant. Generell ist auch zu berücksichtigen, ob und in welchem Zeitrahmen bestimmte Medikamente eingenommen werden, die einen Einfluss auf die spezifisch betrachteten Hormone oder Endpunkte haben könnten (z. B. β‑Blocker oder Barbiturate).

2.2.2 Spezifische Harmonisierungsfragen an einem Beispiel aus der Praxis

Um für die Überlegungen zu sensibilisieren, die in die praktische und vorausschauende Harmonisierung von Studien der Schichtarbeit einfließen müssen, haben wir folgende Forschungsfrage formuliert:

  • Können die (Sub‑)Kollektive von zwei abgeschlossenen Studien der Chronobiobank hinsichtlich „Höhe“ bzw. „Zeitpunkt des Melatonin-Peaks im Speichel“ gemeinsam im Hinblick auf den zirkadianen Rhythmus ausgewertet werden?

Die erste hierzu ausgewählte Studie (Studie A) ist eine Feldstudie zu Nachtarbeit bei medizinischem Fachpersonal, in der zwischen 2012–2015 bei weiblichen Beschäftigten eines Krankenhauses an jeweils mehreren Tagen hintereinander im Tagschichtbetrieb und im Nachtschichtbetrieb Speichel- und Urinproben, Daten zu Schlaf, Licht und vielen weiteren Faktoren gesammelt wurden. Studie B ist eine Interventionsstudie zur Rolle von Licht und Beleuchtung bei Schichtarbeitenden mit mehreren Feldphasen zu unterschiedlichen Zeitpunkten.

Zur Prüfung der beiden Kollektive und Datensätze im Hinblick auf ihre Eignung für eine integrative Auswertung, haben wir Elemente des Studienprotokolls und des Interviews ausgewählt, die einen Einfluss auf die Höhe der Melatonin-Messwerte haben können und vermerkt, ob sie in beiden Studien vollständig übereinstimmend sind, teilweise übereinstimmen (d. h. harmonisiert werden können) oder vollständig nicht übereinstimmend sind (nicht harmonisiert werden können). Einen Auszug aus der Auswerteliste ist in Tab. 1 wiedergegeben.

Tab. 1 Harmonisierungsmöglichkeiten potentieller Einflussparameter auf Melatoninmesswerte

Im Folgenden werden einzelne Ergebnisse näher erläutert.

Geschlecht und Alter

Die in Studie A gewonnenen Daten wurden vor der Festlegung des Datenstandards (auf weiblich, männlich, divers, unbekannt) erhoben. Daher sind die Kategorien „divers“ und „unbestimmt“ in Studie A nicht erfasst worden. Allerdings ist die Häufigkeit dieser Angabe sehr selten und dürfte maximal nur zu einzelnen Falschangaben geführt haben, weshalb diese in der Auswertung nicht ins Gewicht fallen. Von Bedeutung für die vorliegende Fragestellung ist insbesondere, dass das Studienkollektiv A nur aus Frauen besteht. Deshalb sollte über die wissenschaftliche Literatur geprüft werden, ob Geschlecht ein relevanter Faktor ist. In diesem Fall könnte auch aus Studie B lediglich das Subkollektiv der Frauen für die integrative Auswertung hinsichtlich zirkadianer Rhythmen in Melatonin hinzugezogen werden. Eine große inter- und intraindividuelle Variabilität von Melatonin-Levels ist bereits bekannt. Oftmals wird die Rolle der Unterschiede nach Geschlecht hinsichtlich Melatonins mit Melatonin als Ursache für Änderungen in den Geschlechtshormonen betrachtet. Einige Studien untersuchten jedoch auch Unterschiede zwischen Männern und Frauen und fanden bei Frauen höhere Levels von Peak-Melatonin, jedoch keine Unterschiede in den zeitlichen Verläufen. Unter Betrachtung von Melatonin-Rhythmen mit Messwiederholung und gemischten Modellen wäre die Einbringung mit entsprechenden Sensitivitätsanalysen, wie z. B. Analysen mit und ohne Männer, als Alternative zur Subgruppenanalyse denkbar.

Jahreszeit

Für zirkadiane Melatonin-Profile spielen Licht und möglicherweise auch die Jahreszeit eine Rolle. In Studie A war dies zwar nicht Gegenstand der Untersuchung, jedoch wurden Datum und Uhrzeiten dokumentiert. Für die Analysen wäre daher die Einbringung der Jahreszeit oder des Untersuchungsmonats, sowie auch detailliertere Angaben über Sonnenstunden mit Ort der Untersuchung und Wetterdaten möglich. Weitere Lichtdaten wären über die mobilen Messdaten erhältlich, weshalb in zukünftigen Studien die Dokumentation der jahreszeitlichen Aspekte empfohlen wird.

Kinder im Haushalt

Es zeigte sich in Studie A, dass die Lichtprofile im Tagesverlauf durch verschiedene Faktoren beeinflusst waren. So wurden beispielsweise am Nachmittag bei Frauen mit kleinen Kindern höhere Lichtexpositionen gemessen (Rabstein et al. 2012). Kleine Kinder, die beispielsweise auf den Spielplatz begleitet werden, sowie das Ausführen von Hunden könnte somit bei Studien zum Einfluss von Licht auf Melatonin eine Rolle spielen. Je nach Fragestellung könnte die Ergänzung der zu erhebenden chronobiologischen Parameter durch diese Einflussvariablen hilfreich sein. Als weitere Empfehlung möchten wir zukünftig nicht nur Kinder, sondern auch Hunde in die Lifestyle-Befragungen aufnehmen oder die Lichtprofile genauer erfragen oder erheben.

Die Unterscheidung zwischen Kindern, die nachts durchschlafen und Babys, die zusätzlich nachts gestillt/versorgt werden müssen, konnte in Studie A aufgrund der fehlenden Kategorisierung im Fragebogen nicht getroffen werden, was allerdings für zukünftige Studien als wichtiger Confounder berücksichtigt werden sollte.

Sport, Ernährung und Kaffee

Neben Licht können in Folgestudien weitere Zeitgeber im Fokus stehen. Der Konsum von Kaffee aber auch sportliche Betätigung können einen Einfluss auf zirkadiane Rhythmen haben. In Studie B wurde die sportliche Betätigung mit genauen Zeitfenstern und Unterscheidung zwischen Outdoor und Indoor-Sportarten erhoben, während in Studie A nur die Dauer je Tag erhoben wurde. Ebenso konnte über Studienhandys in Studie B an den Untersuchungstagen auch die Intensität der sportlichen Betätigung erfragt werden.

Generelles

Generell müssen wir davon ausgehen, dass in Studie B durch die zeitnahe Dokumentation mittels Studienhandy eine höhere Zuverlässigkeit der Angaben erreicht werden konnte als in Studie A durch einen rückblickenden Tagebucheintrag. Dennoch können die meisten Einflussgrößen, wie die Angaben zum Zeitpunkt des Sports oder Kaffeekonsums miteinander harmonisiert werden, auch wenn ein Informationsverlust, z. B. durch weniger exakte Zeitangaben, in Kauf genommen werden muss. In Bezug auf die Melatonin-Messung selbst ist noch keine Prüfung erfolgt, ob z. B. die unterschiedlichen Transportbedingungen der Proben oder SOPs der Labore einen Einfluss auf die Messwerte haben. Letzteres kann durch nachträgliche Bestimmung von Proben, welche bereits in der Biobank eingefroren sind, überprüft werden. Auch die Frage der Harmonisierung der in den beiden Studien unterschiedlichen Arten, den Chronotyp und den Sozialen Jetlag zu erfassen, ist noch nicht abschließend geprüft.

3 Schlussfolgerungen für die Praxis

Die Beispiele verdeutlichen, dass abhängig von Fragestellung, Erfahrungen aus vorangegangenen Studien und Einsatzmöglichkeiten technischer Hilfsmittel, Mess- und Erhebungsmethoden, erhobene Daten und deren Wertebereiche variieren können und eine nachträgliche Harmonisierung mit Informationsverlust und Einschränkung des Kollektivs einhergeht. Zielführend für Netzwerke und Forschungskooperationen und die Sekundärnutzung von Proben und Daten des eigenen Forschungsinstituts, ist daher die systematische prospektive Harmonisierung von Studien zu Schichtarbeit. Dies beinhaltet die Definition von Standards und Formulierung von Empfehlungen, wie z. B. die Verwendung eines standardisierten Erfassungsbogens für den Schlaf (Heitmann et. al. 2011).

In verschiedenen Netzwerken werden Forschungsdaten und Studieninstrumente veröffentlicht, die es erlauben, qualitätsgesicherte Methodik zu sichten und zielgerichtete Entscheidungen zu treffen. Ein Beispiel ist die Datenbank des National Sleep Research Resource (NSRR 2023). Hier finden sich Metadaten zu insgesamt 23 Studien zu Schlaf und Gesundheit, von denen einige Datensätze durch NSRR anhand zentraler Harmonisierungsstrategien aufbereitet wurden. Ergänzend werden von NSRR Harmonisierungsprotokolle, wie beispielsweise Programme zur Standardisierung von Polysomnografie-Messwerten (Gitlab 2023), veröffentlicht. Die Forschungsdaten können auf Antrag für neue Forschungszwecke verwendet werden.

Zu den Hindernissen der erfolgreichen Integration epidemiologischer Daten aus heterogenen Quellen für die Forschung im Allgemeinen gehören:

  1. 1.

    Mangel an Informationen über die Methoden und Daten und Mangel an standardisierten Bedingungen der erhobenen Daten (z. B. Fehlen standardisierter Metadaten und Daten- und Probenverarbeitungs-Workflows) und

  2. 2.

    Mangel an standardisierten Terminologien und strukturierten Vokabularen.

Für eine effiziente Nachnutzung von Daten im Kontext zirkadianer Rhythmen wären gezielte Maßnahmen und Empfehlungen bezogen auf die prospektive Harmonisierung von Studien erforderlich.

Als Empfehlung für zukünftige Studien lässt sich ableiten:

  • Bevor Daten in eine Biobank oder Forschungsdatenbank überführt werden, sollte das Forschungsprojekt mit einem umfangreichen Forschungsdatenmanagement begleitet werden.

  • Gezielte Auswahl von relevanten Minimaldaten für Schichtarbeitsforschung, möglichst unter Verwendung bestehender Terminologien und Bestrebungen, siehe z. B. Empfehlungen der Nationalen Forschungsdaten Infrastruktur (nfdi 2023)

  • Verwendung von Standarddefinitionen, wie z. B. für das Schichtsystem

  • Festlegung von Datenformaten (Kategorien, Wertbereiche) für wesentliche Daten

  • Harmonisierung von technischen und methodischen Vorgehensweisen/Sicherstellen der Abbildbarkeit von Messwerten unterschiedlicher Geräte aufeinander

  • Einheitliche Dokumentation von Metadaten, u.a. in einem Datenverzeichnis

Im Rahmen eines Netzwerkes könnten dies die ersten wesentlichen Arbeitsaufgaben darstellen:

  • Lassen sich allgemeinere Empfehlungen (Minimaldaten/Datenstandards) ableiten?

  • Lassen sich (je nach Fragestellung) weitere Empfehlungen für Variablen und Metadaten ableiten?

  • Welche Übereinstimmungen müssten Kollektive im Minimum aufweisen, damit Forschungsfragen integrativ beantwortet werden können?

  • Welche Mindeststandards für das Forschungsdatenmanagement sind einzuhalten?

Ein Netzwerk der Schichtarbeitsforschung kann neben den o. g. Empfehlungen noch weitere wichtige Schritte unternehmen, um die Harmonisierung und Einführung standardisierter Praktiken für Forschungsprojekte zu erleichtern. Die Forscherinnen und Forscher auf dem Gebiet der Schichtarbeit‑, Arbeitszeit-, und zirkadianen Forschung sollten ermutigt werden, gut dokumentierte und offene Datenwörterbücher zu verwenden, die idealerweise auf kontrollierte (klinische) Terminologien abgebildet sind. Idealerweise werden die verwendeten strukturierten Fragebögen in einschlägigen Registern, wie dem Portal für Medizinische Datenmodelle (MDM 2023), veröffentlicht.

Der Prozess der Datenharmonisierung und die Ergebnisse von erfolgreichen und nicht-erfolgreichen Machbarkeitsanalysen zur integrierten Daten- und Probennutzung für sekundäre Forschungsfragen sollten standardisiert dokumentiert werden, so dass zukünftige Machbarkeitsanalysen und neue Forschungsprojekte auf diesem Wissen aufsetzen können und sie eine Basis für die Weiterentwicklung von Best Practices bilden. Auch die Forschungsdaten bzw. ihre Metadaten sollten in anonymisierter Form gemeinsam mit den Publikationen oder in möglichst fachspezifischen Repositorien veröffentlicht werden. Nach diesen Registern lässt sich z. B. im Dienst „Registry of Research Data Repositories“ (re3data 2023) suchen.

Die Bereitstellung und Veröffentlichung von Metadaten über die Studiendaten können die Sichtbarkeit und das Nachnutzungspotential sämtlicher Sammlungen fördern und die Vernetzung von Forschenden zur Weiterentwicklung von Standards auf dem Gebiet der Schichtarbeit unterstützen. Idealerweise wird die gemeinsame Entwicklung von Best Practices in einschlägigen Netzwerken vorangetrieben. Im Rahmen des Netzwerkes Chronobiobank können sich interessierte Forscherinnen und Forscher mit der IPA-Biobank in Verbindung setzen.

Kontakt

chronobiobank-ipa@dguv.de