Während sich die Psychologie als Wissenschaft bereits in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts mit der Frage der Definition, Operationalisierung und Messbarkeit psychischer Belastung und Beanspruchung intensiv beschäftigt hat, ist ihre Bedeutung als Gestaltungsaufgabe in der Arbeitswelt erst nachlaufend in den Fokus gerückt. Aber spätestens mit Beginn des 21. Jahrhunderts hat die Diskussion um die Notwendigkeit der Gestaltung psychischer Belastung im Arbeitskontext als Aufgabe des Arbeits- und Gesundheitsschutzes weiter an Dynamik gewonnen. Beschäftigtenbefragungen zur Situation in den Betrieben zeigten deutliche Defizite im Hinblick auf die Gestaltung psychischer Belastungsfaktoren (Lohmann-Haislah 2012; BAuA 2020). Mit der Klarstellung, dass psychische Belastungsfaktoren im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung zu berücksichtigen sind, stellte das Arbeits- und Sozialministerium 2013 (Novellierung des ArbSchG § 5 Abs. 3 Nr. 6.) ihre Bedeutung heraus (BMAS aktuelle Fassung 2021) und machte sie endgültig zum Gegenstand der Regulierung. Eine zwischen den Sozialpartnern und dem Ministerium im selben Jahr geschlossene Vereinbarung betont die Notwendigkeit der Berücksichtigung psychischer Belastungsfaktoren zur Prävention psychischer Erkrankungen und zur Wiedereingliederung (BMAS, BDA, DGB, 2014). Mit dem Projekt „Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt – wissenschaftliche Standortbestimmung“ (Rothe et al. 2017) folgte eine systematische Aufarbeitung des Wissensstands und die Leitlinie der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (Leitlinie 2018) „Leitlinie zur Beratung und Überwachung bei psychischer Belastung am Arbeitsplatz“ (Leitlinie 2018) sowie die DIN EN ISO 10075‑1 (DIN EN ISO 10075 2018) definieren Dimensionen der psychischen Belastung. Damit ist der Bedeutung des Themas im Hinblick auf das Gefährdungspotenzial schlecht gestalteter Belastungsfaktoren im Bereich der psychischen Belastung deutlich Nachdruck verliehen worden und die Bedeutung der Gestaltung der Bedingungsfaktoren als grundsätzlich unabhängig von der Beanspruchung der Beschäftigten definiert.

Trotz dieser umfänglichen Anstrengungen beobachten wir weiterhin erhebliche Berührungsängste der betrieblichen und überbetrieblichen Akteure mit dem Thema. Es stellt sich nun im Hinblick auf die Umsetzung und hier speziell die regulatorische Ebene auch die Frage, welchen Beitrag die Wissenschaft zur Überwindung dieses Umsetzungsdefizits leistet. Ich stimme hier Ferreira und Vogt zu, dass insbesondere die auch in der wissenschaftlichen Diskussion herrschende uneinheitliche Begriffsverwendung – freundlich formuliert – nicht hilfreich ist für die Entwicklung regulativer Standards. Eine hinreichende terminologische Begriffsbestimmung konnte im aktuellen Umsetzungskontext nicht erreicht werden. Den Autoren ist in weiten Strecken der Problemdefinition durchaus zu folgen. Grundlage der über die Regulation vermittelten Gestaltungsanforderungen auf betrieblicher Ebene bilden die wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Gegenstandsbereich. Instrumente zur Gewährleistung einer angemessenen Umsetzung dieser Erkenntnisse sind z. B. in Normen und technischen Regeln definiert. Sie bieten den Betrieben konkretisierte Umsetzungshilfen. Eine zentrale unerlässliche Voraussetzung in diesem „Übersetzungsprozess“ stellt die gemeinsame terminologische Verständigung dar. So wurde z. B. in der DIN EN ISO 10075‑1 eine entsprechende Abstimmung zwischen den Sozialpartnern erreicht, die dann auch Eingang in verschiedene Tarifverträge gefunden hat. Ein zentraler Punkt der Verständigung war dabei, dass die psychische Belastung unabhängig vom Menschen/Beschäftigten zu ermitteln ist. Die begrifflichen Definitionen implizieren somit auch das „dahinter stehende“ (Wirk‑)Modell.

Während wir u. a. auf der Basis der DIN EN ISO 10075er Reihe einige regulatorische Anforderungen haben, die auf die gleichen konzeptionellen Grundlagen rekurrieren, ist das nicht durchgängig der Fall. Für die betriebliche Ebene ist ein solches kohärentes Vorschriften- und Regelwerk aber ein zentrales Fundament für die Umsetzung positiver Gestaltungsmaßnahmen. Die Berücksichtigung der psychischen Belastung im Rahmen des gesetzlichen und untergesetzlichen Regelwerks setzt ein entsprechendes von den Akteuren getragenes gemeinsames Verständnis des Gegenstandsbereichs voraus. Wie heterogen dieses Verständnis aktuell ist, zeigt die Vielfalt der unterschiedlichen – oftmals enggeführten – Integration von „Teilen des Konstrukts“ in unterschiedlichen Verordnungen und Regelwerken. Hieraus resultiert, dass nur Teilaspekte der Belastung erfasst werden. Darüber hinaus folgen sowohl die Definitionen als auch Anforderungen an die Ermittlung und Beurteilung keiner einheitlichen konzeptionellen Grundlage. Hier stellt insbesondere auch die uneinheitliche Verwendung der Begrifflichkeit ein Problem dar. Sie führt zu Unklarheit darüber, was denn nun genau geregelt werden sollte. Nicht selten fehlt es an Klarheit hinsichtlich der Operationalisierung der Belastungsfaktoren. Die auch in der wissenschaftlichen Diskussion genutzte unterschiedliche Terminologie und die damit einhergehenden Wirkzusammenhänge machen es weder der Praxis noch den für die Regelsetzung Verantwortlichen einfach.

Die Verpflichtungen zur Erfassung der Belastung ergeben sich aktuell aus unterschiedlichen Regelungsbereichen. Primär zu nennen sind hier das Arbeitsschutzgesetz, die Arbeitsstättenverordnung inkl. Telearbeit, die Betriebssicherheitsverordnung, die Biostoffverordnung und implizit das Arbeitszeitgesetz, das mit den Dimensionen „Länge der Arbeitszeit“ und „atypische Arbeitszeiten“ einzelne Aspekte adressiert, die für den Schutz vor Gefährdungen durch psychische Belastung bei der Arbeit relevant sind. Das auf Basis dieser Verordnungen erlassene untergesetzliche Regelwerk (TR, AMR) weist in Bezug auf seinen Konkretisierungsgrad, die Anforderungen an die Ermittlung und Beurteilung deutliche Unterschiede auf. Eine kongruente Berücksichtigung der psychischen Belastung im gesetzlichen und untergesetzlichen Regelwerk gibt es demzufolge nur begrenzt. Vielmehr zeigt sich ein heterogenes Bild mit unterschiedlichen Begrifflichkeiten und konzeptionellen Abweichungen bzw. deutlichen Lücken.

In der Zusammenschau zeigt sich, dass das bestehende Vorschriften- und Regelwerk – einige – aber keinesfalls alle Faktoren psychischer Belastung berücksichtigt. Belastungsfaktoren, wie die sozialen Beziehungen oder auch Interaktions- und Emotionsarbeit bleiben bislang nicht zuletzt aufgrund fehlender konsensualer Definition in der Regel unberücksichtigt. An diesem Beispiel wird nochmal sichtbar, welche Bedeutung die gemeinsame Verständigung unter Einbeziehung aller betroffenen Kreise für die Entwicklung eines tragfähigen und umsetzungsorientierten Regelwerks hat.

Eine weitere Problematik folgt aus der Erkenntnis, dass für die meisten Faktoren der psychischen Belastung ein einfacher IST-SOLL Abgleich nicht möglich ist. Das Gestaltungsziel für die einzelnen psychischen Belastungsfaktoren ist vielmehr nicht wie im technischen Arbeitsschutz auf Maximierung, sondern eher auf Optimierung ausgerichtet. Vor diesem Hintergrund erscheint auch das von Ferreira und Vogt angestrebte Ziel der Definition von „Grenzwerten für psychische Belastungsfaktoren“ zwar nachvollziehbar aber konzeptionell eher fraglich.

Fazit: Zur Stärkung eines kongruenten gesetzlichen Regelwerkes bedarf es eines gemeinsamen theoretischen Rahmens. Integralen Bestandteil dieses Rahmens stellen die arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse zur psychischen Belastung dar. Die aktuellen auch von Ferreira und Vogt beschriebenen betrieblichen Umsetzungsdefizite machen deutlich, dass es darüber hinaus eines konsensualen Verständnisses bedarf. Hier bilden aktuell sowohl das Belastungs-Beanspruchungs-Modell als auch die DIN EN ISO 10075er Reihe einen guten Verständigungsrahmen, an den unterschiedliche Akteursgruppen im Arbeits- und Gesundheitsschutz wie Sicherheitsfachkräfte, Arbeitsmediziner:innen, Führungskräfte und Beschäftigte anschlussfähig sind. Um eine weitreichendere Umsetzung zu erreichen, erscheint eine stärkere Adressierung der mit der Operationalisierung der Konstrukte verbundenen Problematik notwendig. Dabei muss die Methodik nicht ausschließlich den wissenschaftlichen Kriterien genügen, sondern vielmehr auch danach gewählt und bewertet werden, inwieweit sie einen betrieblichen Verständigungs- und Gestaltungsprozess ermöglichen und unterstützen.