1 Einleitung

Die digitale Transformation führt zu tiefgreifenden Veränderungen ganzer Arbeitssysteme. Technologiebasierte Lern- und Assistenzsysteme (LAS) sind Teil dieser Transformation. Sie bilden eine informationstechnische Schnittstelle, welche Arbeitspersonen mit der virtuellen und der physischen Welt von Anlagen und Maschinen verbindet. Dabei trägt eine lernförderliche Technologieauswahl und -gestaltung wesentlich zur kognitiven Ergonomie, zum informellen Lernen sowie zum Kompetenzerhalt und -ausbau im Prozess der Arbeit bei (Haase 2017; Dehnbostel 2019; Schlick et al. 2018).

Eine große Herausforderung besteht jedoch darin, LAS unternehmensindividuell sowie nachhaltig in Produktionsumgebungen zu integrieren, sodass diese a) akzeptiert werden, b) ihr didaktisches Potenzial entfalten und c) hinsichtlich ihres strategischen Potenzials für das Unternehmen voll erschlossen werden. Die Integration eines LAS ist daher ein komplexer Veränderungsprozess, der durch partizipative Vorgehensweisen gestaltet werden kann (vgl. u. a. Hirsch-Kreinsen 2019; Apt et al. 2018). Jedoch weisen partizipative Ansätze, die im Kontext der Einführung und Gestaltung neuer Technologien in Produktionsumgebungen vorgeschlagen werden, eher einen unterkomplexen und rezeptartigen Charakter auf, wie eine diskursanalytische Reflexion in diesem Feld zeigt (Keller und Weber 2020). Die Umsetzung eines erfolgreichen Integrationsprozesses von LAS erfordert hingegen, kulturelle Muster und Interessenslagen in den Unternehmen wahrzunehmen und kontextsensibel zu agieren. Vor allem die Berücksichtigung kultureller Muster in den Bereichen Lernen und Wissen ist entscheidend (ebd.). Um passende technologische Bausteine auszuwählen und zu kombinieren, wie z. B. Hardwarekomponenten oder Datenhaltungssysteme, müssen zudem verschiedene technische und arbeitsgestalterische Expertisen einbezogen werden. Voraussetzung dafür sind Aushandlungsprozesse, in denen sich alle Beteiligte in andere Perspektiven hineindenken und eine gemeinsame Vision von dem Einsatz des LAS schaffen. Auch müssen in den Unternehmen Multiplikatoren für die Nutzung des LAS zu gewonnen werden. Dies erfordert u. a. das gemeinsame Reflektieren von Erwartungen an das LAS (ebd.), da der direkte Nutzen für Lernprozesse häufig schwer mess- oder greifbar ist. Praktische Erfahrungen zeigen, dass Komplexität und Dauer dieser Prozesse häufig unterschätzt werden (Keller 2018).

Der vorliegende Beitrag rückt daher die Akteure in den Fokus, welche den Prozess zur Integration von LAS komplexitätsorientiert und unternehmensspezifisch ausgestalten. Sie werden im Folgenden als ProzessgestalterInnen bezeichnet. Die Autoren zeigen dazu erste Ergebnisse auf, die im Rahmen des BMBF- und ESF-geförderten Forschungsprojekts EVerAssist (FKZ: 02L19A000ff) erzielt wurden. Dieses Projekt hat die nachhaltige Integration eines LAS in klein- und mittelständischen Unternehmen zum Ziel.

Zum einen wird im Beitrag der partizipative Prozess zur Integration von LAS auf Basis eines organisationspädagogischen Ansatzes modelliert. Dabei wird theoretisch-konzeptionell erörtert, welche Funktion Praktiken organisationalen Lernens bei der Implementierung von LAS haben und welche Rolle ProzessgestalterInnen dabei zukommt. Organisationales Lernen wird hier als die Art und Weise verstanden, wie ein Unternehmen Wissen verarbeitet und sich hinsichtlich Impulsen von innen oder außen verändert. Partizipation ist dabei ein integraler Bestandteil (siehe auch Kapitel 3.1). Zum anderen wird eine Systematik zur Unterstützung von ProzessgestalterInnen in der Praxis entwickelt. Sie sollen durch diese Systematik unterstützt werden, ihren Blick für situativ wirksame und kontextbezogene Einflussfaktoren für die Integration eines LAS zu schärfen und diese zu adressieren.

Die beschriebenen Zielstellungen entsprechen einem organisationspädagogischen Design Based Research Ansatz (ODBR). Dieser Ansatz sieht die Gleichzeitigkeit von theoretischer Erkenntnisgewinnung und Gestaltung einer praktisch wirksamen Bildungsinnovation vor (Weber 2017). Das Forschungsprojekt EVerAssist fungiert dabei als ein Kontext, in welchem partizipative Vorgehensweisen zur Integration eines LAS ausgestaltet und gleichzeitig erforscht werden. Damit werden Gestaltungs- und Lernprozesse in EVerAssist, insbesondere zwischen Akteuren aus Wissenschaft und Wirtschaft, selbst zum Forschungs- und Gestaltungsgegenstand.

Die partizipative Prozessgestaltung, die in diesem Beitrag modelliert wird, liegt dabei im Schnittfeld zwischen arbeitswissenschaftlichen und organisationspädagogischen Herangehensweisen. Arbeitswissenschaftliche Expertisen beziehen sich vor allem auf das LAS als Intervention in Arbeitssysteme, z. B. auf die ergonomische Gestaltung von mit einem LAS auszustattenden Arbeitsplätzen. Organisationspädagogische Expertisen hingegen haben den partizipativen Prozess zur Integration des LAS selbst zum Forschungsgegenstand. Zudem beziehen sie sich auf tägliche und häufig informelle Routinen des Wissens- und Erfahrungstransfers mit dem LAS.

2 Digitale Lern- und Assistenzsysteme

Assistenztechnologien bilden die Schnittstelle zwischen der virtuellen Welt und den Menschen in der Produktion. LAS sind Assistenztechnologien, die in unterschiedlichen Ausprägungen das Lernen im Prozess der Arbeit stützen und daher lernförderliche Merkmale aufweisen (Dehnbostel 2019; Haase 2017; Frieling et al. 2006; Mühlbradt et al. 2017).

Die Autoren legen der Gestaltung digitaler LAS ein grundlegendes Verständnis der Zusammenarbeit von Mensch und Maschine zugrunde, das Entscheidungen und Verantwortung auch weiterhin beim Menschen verortet. Das LAS wird als fähigkeitsverstärkendes System verstanden. Es wird so gestaltet, dass es das Lernen im Prozess der Arbeit ermöglicht, den Handlungsspielraum der Mitarbeitenden erweitert, sich an ihre Bedürfnisse und die Arbeitssituation anpasst und zur Qualitätssicherung betrieblicher Prozesse beiträgt.

LAS lassen sich darüber hinaus als kognitive Assistenzsysteme klassifizieren, die im Gegensatz zu physischen Assistenzsystemen eine informationstechnische Schnittstelle bilden. Die Klassifikation als kognitives Assistenzsystem entspricht jedoch nicht zwingend lernförderlichen Merkmalen. Technologieeinsatz und Anwendungsfälle unterscheiden sich stark (Apt et al. 2018): Bei der Kommissionierung werden z. B. Put-to-Light-Systeme mit einem eher instruktionalen Charakter eingesetzt. In der Montage unterstützen visuelle Assistenzlösungen Arbeitspersonen darin, Fehler bei der Montage komplexer bzw. variantenreicher Baugruppen zu vermeiden (Berndt et al. 2019). Kognitive Assistenzsysteme für Instandhaltungstätigkeiten unterstützen vor allem Problemlöseprozesse, z. B. bei der Störungsanalyse (Haase 2017). Sie machen situations- und objektbezogen alle virtuell verfügbaren Informationen zu einer Anlage mobil zugänglich, z. B. aktuelle und historische Sensordaten oder Tipps von KollegInnen (Adler und Eckstein 2020; Keller 2018).

2.1 Gestaltungsdimensionen einer lernförderlichen Technologieauswahl und -gestaltung

Die Gestaltung eines LAS, welches didaktisch wirksam ist, von den Mitarbeitenden als unterstützend und motivierend wahrgenommen wird und zugleich die betrieblichen Zielsetzungen erreicht, erfordert eine ganzheitliche Gestaltung im Sinne eines soziotechnischen Ansatzes.

Eine zentrale Aufgabe dieses Gestaltungsprozesses ist die systematische Technologieauswahl und -gestaltung. Die individuellen Zielsetzungen und Rahmenbedingungen werden in der frühen Phase partizipativ erarbeitet. Davon ausgehend stellt sich die übergeordnete Frage, durch welche Gestaltungsentscheidungen diese Ziele erreicht werden können.

Im BMBF-geförderten Verbundvorhaben LeARn4Assembly (FKZ: 01PV18007A) wurde bereits eine Systematik zur Technologieauswahl und -gestaltung (Haase et al. 2020) entwickelt. Sie liefert den Akteuren zunächst eine Übersicht über Rahmenbedingungen und individuelle Voraussetzungen der Arbeitsperson, die Einfluss auf die Zielerreichung haben und daher im Gestaltungsprozess ermittelt und berücksichtigt werden sollten. Den Komponenten des Arbeitssystems folgend (Schlick et al. 2018) werden die Dimensionen Arbeitsauftrag, Arbeitsperson und Umgebungsbedingungen adressiert.

Aus dem Arbeitsauftrag ergeben sich entscheidende Einflussgrößen in Bezug auf die Regulation und Organisation der Tätigkeit, die bei der Gestaltung von LAS eine wichtige Rolle spielen. Die Kategorien zur Arbeitspersonen liefern nutzerspezifische Einflussgrößen, während die Umgebungseinflüsse vor allem die Bedingungen am Arbeitsplatz im Produktionssystem berücksichtigen.

2.2 Forschungslücke

Um die Einführung und Gestaltung von menschzentrierten Technologien in der Produktion erfolgreich zu gestalten, schlägt die wissenschaftliche Community bereits partizipative Vorgehensweisen vor (Hirsch-Kreinsen 2019; Apt et al. 2018; Haase 2017; Schlick et al. 2018). Partizipation ist darüber hinaus zentraler Bestandteil eines nutzerzentrierten Interaktions- bzw. Usability-Designs. Zudem wird die Bedeutung von organisationalem Lernen, dessen essentieller Bestandteil Partizipation ist (Weber et al. 2013), für den Kontext der digitalen Transformation in der Industrie von mehreren Studien und Ansätzen herausgestellt. Belinski et al. (2020) zeigen etwa in einem Literature-Review, dass organisationales Lernen für die Implementierung von neuen Technologien ausschlaggebend ist. Hier wird auch hervorgehoben, dass sich die Wissensverarbeitung in Unternehmen durch die digitale Transformation insgesamt ändert, u. a. auf Grund der zunehmenden Vernetzung von Geschäftsfeldern und Unternehmen. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch Lenart-Gansiniec (2019) in einem weiteren Literature-Review. Darüber hinaus existieren eine große Anzahl an partizipativ angelegten Methoden und Ansätzen zur Implementierung digitaler Technologien in der Industrie (Iureva et al. 2019; Watanabe und Fukuda 2019; Lin et al. 2018; Kadir et al. 2019). Insbesondere der Einsatz von Lernfabriken zeigt sich dabei als erfolgreich (Prinz et al. 2016; Reuter et al. 2017).

Wie Keller und Weber (2020) in einer diskursanalytischen Reflexion im Feld der industriellen digitalen Transformation herausarbeiten, betrachten diese Ansätze allerdings nicht die Praktiken der Wissensproduktion in partizipativen Prozessen selbst. Diese Praktiken sind jedoch entscheidend dafür, LAS zu maßgeschneiderten (Lern‑)Innovationen in Unternehmen werden zu lassen.

Zu solchen Praktiken der Wissensproduktion zählt z. B. die systematische Integration interdisziplinärer Expertisen in die Lösungsfindung. Dabei stellt sich etwa die Frage, auf welche Weise komplexe Themen wie „Lernförderlichkeit“ (Frieling et al. 2006), arbeitswissenschaftliche Gestaltungsprinzipien oder technologische Umsetzungsoptionen im partizipativen Prozess vermittelt werden können. Das Ziel ist dabei, dass beteiligte Akteure mit einem anderen Fachhintergrund diese verstehen und Bezüge zu Anforderungen und Möglichkeiten herstellen können, die mit ihrer Sicht verknüpft sind. Auch ergibt sich aus der Beteiligung verschiedener Nutzergruppen aus dem Unternehmen und weiterer Partner wie z. B. externen TechnologieentwicklerInnen eine Vielfalt strategischer Interessen. Hier ist es entscheidend, diese Interessen transparent zu machen und einen Raum für Aushandlungsprozesse zwischen diesen zu schaffen. Schlussendlich gilt es, durch ein gemeinsames Verstehen und Aushandeln eine gemeinsame Vision für die zu entwickelnde Lösung zu schaffen. Diese Praktiken der Wissensproduktion lassen sich auch als epistemische, d. h. als wissens- und erkenntnisbezogene Prozesse bezeichnen.

Die zentrale Annahme für die in diesem Artikel entwickelte Modellierung ist daher, dass organisationale Praktiken der Wissensproduktion eine Schlüsselfunktion für die Entstehung akzeptierter, praktisch wirksamer und nachhaltig integrierter LAS-Lösungen haben.

3 Potenziale organisationspädagogischer Ansätze

Eine Forschungstradition, die sich den in Kapitel 2 aufgeworfenen Fragen zuwendet, ist die Organisationspädagogik. Diese hat sich als Querschnittssubdisziplin der Erziehungs- und Bildungswissenschaften über die letzten Jahrzehnte konstituiert (Göhlich et al. 2014). Sie versteht Organisationen als kulturelle soziale Welten und adressiert organisationale Wandlungsprozesse sowie die Professionalisierung von Akteuren für die Gestaltung dieser Prozesse. Im Folgenden soll erörtert werden, inwiefern sich diese Perspektive in der partizipativen Einführung von LAS produktiv einsetzen lässt.

3.1 Überblick

Als Teildisziplin der Erziehungswissenschaft widmet sich die Organisationspädagogik dem Lernen in, von und zwischen Organisationen (Göhlich et al. 2014). Damit werden die Lernprozesse einzelner Menschen oder Gruppen ebenso wie das Lernen von Organisationen und darüber hinaus das Lernen in und von Organisationsnetzwerken adressiert. Somit sind auch Lernprozesse in „Temporärorganisationen“, welche zeitlich begrenzt sind (Weber 2005) wie etwa im Projekt EVerAssist, Gegenstand der organisationspädagogischen Perspektive. Weitere spezifische Forschungsgegenstände sind u. a. Strukturen und Prozesse zur Ermöglichung organisationalen Lernens, wie z. B. Innovations- und Wissensmanagement oder Strategieentwicklung (Göhlich et al. 2018).

Insgesamt ist die organisationspädagogische Forschung an einem theoriegeleiteten, heuristischen Verständnis organisationalen Lernens als Praxis interessiert. Sie greift dabei u. a. auf prozess- und performativ orientierte theoretische Bezüge zurück, wie etwa praxistheoretische oder poststrukturalistische Ansätze. Forschungsergebnisse sollen den GestalterInnen organisationaler Lernprozesse helfen, Situationen besser zu verstehen, ihre Praxis zu verbessern und hocheffektive Interventionen zu entwerfen. Wie anhand des Forschungsmemorandums (Göhlich et al. 2014) und im Handbuch Organisationspädagogik (Göhlich et al. 2018) deutlich wird, sind partizipative Zugänge zentral für die Organisationspädagogik. Die aktive Mitwirkung von Menschen an organisationalen Entscheidungs- und Steuerungsprozessen gilt dabei aus ethischer Perspektive als zielführend für die Demokratisierung von Organisationen (Weber et al. 2013). Zusätzlich trägt Partizipation wesentlich dazu bei, nachhaltige Veränderungen in Organisationen herbeizuführen und gilt als Voraussetzung für selbstorganisiertes Handeln von Organisationsmitgliedern (ebd.).

3.2 Potenziale für den Integrationsprozess von LAS

Aus Sicht der Organisationspädagogik ergeben sich zwei Perspektiven auf den Integrationsprozess von LAS: Erstens ist der Prozess zur Integration von LAS als Übertragung in hochspezialisierte Unternehmen, als Verankerung im Anwendungsfeld und damit als Teil eines Innovationsprozesses (vgl. Bormann 2012) lesbar. Insofern wird der Einführungsprozess nicht als additiver, sondern als transformativer Prozess gedacht. Zweitens sind Projekte zur Einführung von LAS als „Temporärorganisationen“ (Weber 2005) zu deuten, die aus verschiedenen institutionellen Akteuren wie z. B. Anwendungsunternehmen, Technologieentwicklern, Forschungsinstitutionen oder Unternehmensberatungen bestehen. Zwischen diesen werden Übersetzungs- und Aushandlungsprozesse der jeweiligen Interessen, Denkschulen und Rationalitäten erforsch- und gestaltbar. Insbesondere fragen organisationspädagogische Perspektiven danach, wie aus verschiedenen Fachexpertisen eine gemeinsame Vision für den Einsatz des LAS im Anwendungsunternehmen entsteht.

Infolgedessen erarbeiten organisationspädagogische Perspektiven Ansätze dafür, den mit der technischen Lösung verbundenen Veränderungsprozess und die hohe Komplexität ganzheitlich zu gestalten. Anhand eines transepistemischen Design-Ansatzes (Keller und Weber 2020; Weber und Keller i.E.) lässt sich das technologische und didaktische Potenzial von LAS entfalten. Dieser Ansatz kennzeichnet sich dadurch, dass die Praktiken der Wissensproduktion im Integrationsprozess zum Gestaltungsgegenstand werden. Der Ansatz umfasst drei Dimensionen, in denen jeweils technologische, soziale und epistemische Komplexität bearbeitet wird (ebd.; Weber 2014). In der Dimension der technischen Komplexität ist es z. B. notwendig, Übersetzungsprozesse zwischen verschiedenen Expertisen und Technikkulturen zu fördern sowie z. B. Kriterien der Lernförderlichkeit (Frieling et al. 2006) zu berücksichtigen. Zudem ist es erforderlich, die Arbeitsprozesse und Praxis der Nutzung von LAS mitzudenken, z. B. durch die Gestaltung von Redaktionsprozessen und entsprechenden Rollenkonzepten. Dies spiegelt die Dimension der sozialen Komplexität wieder. In der Dimension der epistemischen Komplexität geht es u. a. um die Reflexion von Vorverständnissen, wie z. B. zu Lernen oder Wissen, oder von normativen Orientierungen. Dabei werden Unternehmen etwa an die Reflexion der Frage herangeführt, ob sie sich AssistenznutzerInnen eher in einer eigenverantwortlichen Rolle oder in einer von Technologie gesteuerten Rolle vorstellen möchten.

Die Ausgestaltung von partizipativen Prozessen auf Basis dieses Design-Ansatzes erschließt damit im Wesentlichen zwei Potenziale: Zum einen wird „kollektive Strategieentwicklung“ (Weber 2018b) zur Zielkategorie. Es werden Dialogräume zwischen Fachexpertisen und Interessensgemeinschaften gestaltet, die das gemeinsame Reflektieren normativer Orientierungen und Zukunftsdenken ermöglichen. Eine weitere Zielkategorie ist es, die eine „Gestaltungsfähigkeit“ (Weber und Heidelmann 2020; de Haan 2008) von Akteuren im Integrationsprozess zu fördern. Dies umfasst ein selbstorganisiertes, verantwortungsvolles und an einer gemeinsamen Vision orientiertes Mitgestalten sowie die Bewältigung komplexer, unsicherer und mehrdeutiger Design-Herausforderungen.

Auf Basis dieser organisationspädagogischen Perspektive wird Tätigkeit der Prozessgestaltung selbst gestalt- und erforschbar. Zum Beispiel kann die Auswahl am Prozess beteiligter Akteure sowie deren erfolgreiche Einbindung als Multiplikatoren zum Ausgangspunkt für transformative Prozesse werden. Der Schlüssel dazu ist ein kreatives und kontextsensibles Agieren der ProzessgestalterInnen.

4 Forschungsmethodologie und -methoden

Der Beitrag stellt eine Systematik vor, die im Rahmen eines ODBR-Ansatzes theoriegeleitet erarbeitet wurde und sich bereits als praktisch wirksam gezeigt hat, wie erste Auswertungen zeigen (Keller i.E.).

Design Based Research (DBR) Ansätze haben die theoriegeleitete Gestaltung von Interventionen in der Praxis zum Ziel, welche wiederum gleichzeitig zur Weiterentwicklung von Theorien beitragen. Komplexe Probleme in Lehr- und Lernzusammenhängen sollen durch innovative, nützliche und praktische Entwicklungen adressiert werden (Jahn 2014). Theoretische Erkenntnis und praktische Wirksamkeit werden als gleichrangig betrachtet (Reinmann 2017). Gestaltungsorientierte Forschung versteht sich insgesamt als eine Ansammlung von Ansätzen und als Paradigma, das noch jung ist und sich im Entwicklungsprozess befindet (Euler und Sloane 2014, S. 8). Im Unterschied zur Aktionsforschung ist die Rolle der Forscher im DBR aktiver gestaltend, auch wird Theorie systematischer einbezogen. Gemeinsam ist dem Design Based Research und der Aktionsforschung oder bspw. den „Design Experiments“ (Schwartz et al. 2005), dass sie nicht das erforschen, was schon gegeben ist, sondern das, was sein könnte.

Aus organisationspädagogischer Sicht ist an DBR-Ansätzen zu kritisieren, dass die dort übliche Formulierung von formelhaften Design-Prinzipien (Euler 2014) als Forschungsergebnis die Komplexität der Praxis nicht wiederspiegelt. ODBR-Ansätze theoretisieren sie auf methodologischer Ebene stärker die Verbindung von Wissenschafts- und Handlungswissen (Weber und Keller i.E.). So berücksichtigen in der Auswahl von Forschungsmethoden die transformative Wirkung des Forschungs- und Gestaltungsprozesses selbst.

Die Anwendung des ODBR-Ansatzes im Projekt EVerAssist zielt darauf ab, die Praxis der Prozessgestaltung selbst zu optimieren und den partizipativen Prozess als Bildungsinnovation zu entwerfen. Der ODBR-Ansatz integriert dabei den im Kapitel 3.2 vorgestellten transepistemischen Design-Ansatz. Auf diese Weise sind Forschung über Gestaltung und Realisierung von Gestaltung miteinander verwoben. Die anvisierte Bildungsinnovation wird durch Ereignisqualitäten beschrieben, die aus dem Entstehen kollektiver Strategieentwicklung sowie der Förderung von Gestaltungsfähigkeit (vgl. Kapitel 3.2) abgeleitet werden. Übergeordnetes Ziel ist es, das LAS zu einer nachhaltig implementierten (Lern‑)Innovation werden zu lassen. Gleichzeitig wird dabei eine theoretische Modellierung der Gestaltung transformativer Prozesse durch und mit LAS abgeleitet.

Die Tätigkeit des Teams der ProzessgestalterInnen in EVerAssist ist durch Notizen, Visualisierungen und Protokolle dokumentiert. Workshops wurden mittels transkribierter Audio- und Videoaufzeichnungen sowie durch Tagebucheinträge dokumentiert. Mit phänomenologisch und autoethnografisch orientierten Forschungsmethoden, u. a. in Anlehnung an die Vignetten- und Anekdotenforschung (Ammann et al. 2017), werden die dabei gemachten Erfahrungen und sich zeigenden Ereignisqualitäten derzeit rekonstruiert, verdichtet und aufbereitet. Auf Basis dieser Auswertung wird die praktische Bedeutsamkeit (vgl. Brahm und Jenert 2014, S. 52f) dieser Form der Prozessgestaltung evaluiert. Während bereits erste Beobachtungen gemacht wurden, ist die detaillierte Auswertung derzeit noch nicht abgeschlossen (Keller i.E.).

Die in Kapitel 6 dargestellte Systematik ist ein erstes Ergebnis des ODBR-Ansatzes im Projekt EVerAssist. Sie ist eine Operationalisierung einer theoretischen Modellierung (Kapitel 5) und verfolgt das Ziel, den Blick von ProzessgestalterInnen zu schärfen. Die der Systematik zugeordneten Heuristiken bilden einen Vorschlag für eine weitere Reflexion, welche sich in der praktischen Umsetzung der Integration von LAS als nützlich erwiesen hat. Sie erheben jedoch keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Die Systematik hat den Anspruch für die Gestaltung von digitalen Transformationsprozessen insgesamt gültig zu sein. Die angefügten Heuristiken hingegen sind für die Anforderungen von LAS zugeschnitten.

5 Theoretische Modellierung: Partizipative Prozessgestaltung als Arrangieren von Blickrichtungen

Mit dem in Kapitel 3 beschriebenen Design-Ansatz wird deutlich: Um ein wirksames und nachhaltig genutztes LAS zu kreieren, ist ein gemeinsamer Erkundungsprozess erforderlich. Dabei stellen sich Fragen wie die Folgenden: Was sind aus Sicht der Technologie, der Lernförderlichkeit, der Arbeitsgestaltung, des Wissensmanagements, der betriebswirtschaftlichen Ziele der Geschäftsführung oder der Anliegen der EndnutzerInnen jeweils Umsetzungsoptionen? Was bedeuten etwa die Kriterien der Lernförderlichkeit für die technische Umsetzung? Was wiederum sind aus Sicht der MonteurInnen oder InstandhalterInnen Erfolgskriterien? Wo liegen aus Sicht der Nutzergruppen oder Fachdisziplinen jeweils Einschränkungen, wo liegen Potenziale? Wo ergeben sich Schnittmengen? Ein solches gemeinsames Erkunden, Verstehen und Aushandeln sowie ein darauf basierendes gemeinsames Kreieren von Lösungsideen ist Ziel einer partizipativen Prozessgestaltung mit einem organisationspädagogischen Ansatz.

Aufgabe der ProzessgestalterInnen ist es somit, die Möglichkeitsräume von LAS sichtbar zu machen und den Austausch über sich ergebenden Umsetzungsoptionen zu moderieren. Akteure können nur das adressieren, was sie selbst auch wahrnehmen. Auf diese Weise wird eine ko-kreative Weiterentwicklung und Integration des LAS möglich. Auch werden auf diese Weise Gelegenheitsstrukturen für Selbstorganisation („Gestaltungsfähigkeit“) geschaffen.

Die dafür erforderliche Kerntätigkeit der Prozessgestaltung kann als „Arrangieren von Blickrichtungen“ konzeptualisiert werden (Wieners und Weber 2021). Ausgehend von der Position, dass die beraterische Haltung (und Blickrichtung) wichtig dafür ist, was sprichwörtlich „in den Blick kommt“, wird dieser Haltung besondere Aufmerksamkeit gewidmet (Heidelmann und Weber o.J.). Diese Konzeptualisierung folgt zudem der Annahme, dass Dialoge und Übersetzungsleistungen zwischen den Akteuren im Integrationsprozess durch dasjenige geformt und strukturiert werden, worauf sie ihre Aufmerksamkeit richten (vgl. Weber und Wieners 2018; Prinz 2014). Bildlich gesprochen könnte man sagen: Was in den Lichtkegel eines Scheinwerfers auf einer Theaterbühne kommt, zieht die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf sich, weckt ihr Interesse und wird Gegenstand ihres Nachdenkens. Aufmerksamkeitsordnungen formen Diskurse und werden auf diese Weise zur Wurzel für Gestaltungsideen und für tiefgehende und nachhaltige Transformationsprozesse (Weber 2013a; vgl. auch Foucault 1992). Sie bilden die Mechanismen der Wissensproduktion. In ähnlicher Weise argumentiert die derzeit in Management-Kreisen populäre Theorie U (Scharmer 2015) mit dem Postulat „Form folgt Bewusstsein“. Der Begriff „Arrangieren“ hingegen verweist auf eine situations- und kontextsensible Tätigkeit des Inszenierens und des Anordnens. Die Gestaltung von Dialogräumen verweist darüber hinaus auf die Notwendigkeit, kollektive Strategieentwicklung methodisch zu stützen (Weber 2018b).

Die Rolle der ProzessgestalterInnen als Arrangeure dessen, worauf sich die Aufmerksamkeit aller Beteiligten im partizipativen Vorgehen richtet, rückt dabei als Ausgangspunkt einer nachhaltigen Integration eines LAS in den Fokus. Dabei geht es um eine Abkehr von einem rein methodenorientierten Handeln. Vielmehr soll das kontextbezogene, kreative und spontane Entwerfen von Rahmenbedingungen für die Entstehung einer (Lern‑)Innovation in den Unternehmen erforscht werden.

6 Systematik zur partizipativen Prozessgestaltung

Im Folgenden wird eine Rahmensystematik für die Prozessgestaltung vorgestellt. Diese bildet ein Aggregat aus der theoretischen Modellierung (Kapitel 5) und den verdichteten praktischen Erfahrungen im Projekt EVerAssist.

Die Systematik bezieht sich auf die Ausgestaltung der Haltung, Blickrichtungen und Tätigkeiten der ProzessgestalterInnen solcher partizipativen Einführungs- und Implementierungsprozesse im Bereich der Einführung von LAS. Damit unterstützt sie bei der situations- und kontextsensiblen Ausgestaltung des Einführungsprozesses. Sie wurde im Forschungsprojekt EVerAssist im Rahmen des ODBR-Ansatzes entwickelt und dort bereits erprobt. Das Projekt wird einführend vorgestellt (6.1). Die Systematik wird anschließend entlang der Prozessphasen durch leitende Fragen strukturiert (6.2). Die Leitfragen zur Selbst- und Kontextreflexion (6.3) bereiten so schließlich die eigentliche maßnahmenförmige Intervention vor (6.4). Sie werden mit Beispielen aus dem Projekt EVerAssist untersetzt. Eine detailliertere und kleinteilige Ausfächerung in eine Beratungs- und Prozessgestaltungsheuristik befindet sich in Vorbereitung, würde den Umfang des hier vorliegenden einführenden Artikels jedoch übersteigen.

6.1 Forschungsprojekt EVerAssist

Im Forschungsprojekt EVerAssist ist es das Hauptziel, ein LAS erfolgreich in die Arbeitsprozesse der Anwendungspartner zu integrieren und damit einen lebendigen, vernetzten Wissenstransfer in den Unternehmen zu ermöglichen. Als Ausgangssituation steht ein bereits vorhandenes LAS zur Verfügung. Dieses wurde für die Zielgruppe der InstandhalterInnen entwickelt und stellt dieser über mobile Endgeräte situations- und objektbezogene Informationen zur Verfügung. Insbesondere unterstützt das System den niederschwelligen Transfer von Erfahrungswissen, z. B. durch multimedial aufbereitete Tipps von erfahrenen Mitarbeitenden, die in digitalen Prüfprotokolle verlinkt werden. Am Projekt sind zwei Anwendungspartner beteiligt, bei denen das LAS an verfahrenstechnischen Anlagen zum Einsatz kommt. Neben diesen sind ein Forschungs- und Entwicklungspartner sowie eine Unternehmensberatung Projektpartner.

6.2 Phasen des Einführungsprozesses

Die Systematik unterscheidet im Wesentlichen vier Kernphasen des Einführungsprozesses: Einer partizipativen Visionierungsphase folgen die Entwicklungs- und Erprobungsphasen sowie der reflexive Roll-out (vgl. Abb. 1 (1)–(4)). Vor dem Hintergrund zahlreicher Phasenmodelle im Change-Management (Weber 2005, S. 324f.) knüpft diese Strukturierung an die Bedarfe einer wissenschaftlich begleiteten Prozesseinführung im Kontext von Forschungs- und Entwicklungsprojekten an.

  1. 1.

    In der Visonierungsphase erfolgt die partizipative Erkundung von Gestaltungsoptionen. Im Unterschied zu einer vorgelagerten Phase, bspw. einer Akquisephase, wird die Visionierungsphase als Teil eines Veränderungsprozesses in den Unternehmen umgesetzt. Daher werden hier alle relevanten Nutzergruppen eingebunden. Da oftmals ein von Geschäftsführungen oder Drittmittelgebern formulierter Auftrag weiter konkretisiert, geklärt oder reformuliert werden muss, hat ein partizipativer Prozess hier die Funktion, die in diesem Kontext relevanten Potenziale der Einführung von LAS überhaupt zu erschließen. Im Sinne einer kollektiven Strategieentwicklung (Weber 2018b) gilt es, im partizipativen Prozess mögliche Gestaltungsoptionen, Umsetzungsvarianten und -pfade sowie ihre Implikationen zu sondieren und aufzufächern. Auf diese Weise sollen alternative Umsetzungsmöglichkeiten in das Bewusstsein rücken, die ein reflektiertes und begründetes Entscheiden überhaupt erst ermöglichen. Vor dem Hintergrund der Analyse von zeitlichen, materiellen und organisationalen Rahmenbedingungen lassen sich strategische Ziele priorisieren. Die Anforderungen der Unternehmensleitung, der Qualitätssicherung, der Arbeitsvorbereitung, der Produktionsleitung oder der InstandhalterInnen sind unternehmensspezifisch, was von Anfang an transparent gemacht und geklärt werden muss. Die kollektive Klärung und Spezifikation des Auftrages unterstützt es, technisch machbare und didaktisch sinnvolle Lösungen zu finden, die von EntscheiderInnen und NutzerInnengruppen mitgetragen werden.

  2. 2.

    Auf Basis dieser kollektiven Auftragsklärung wird in der Entwicklungsphase ein technisches Konzept in Form eines Softwareentwurfes erarbeitet. Hier geht es darum, Prototypen zu entwerfen, zu verdichten, partizipativ zu evaluieren und iterativ zu verbessern. Dabei werden sowohl technische Prototypen als auch Prozess-Prototypen entwickelt. Mit Prozess-Prototypen werden Rollen und Tätigkeiten konkretisiert, wie z. B. der Prozess der Redaktion von Assistenzinhalten. In dieser Phase werden auch technische Endgeräte getestet und ausgewählt. Zudem werden Pilot-Bereiche ausgewählt, in denen das LAS erprobt werden soll und zudem Kriterien für die Evaluation festgelegt. Dies geschieht u. a. mit Hilfe der folgenden Fragen: Wie lassen sich die in der frühen Phase erarbeiteten Ziele für die verschiedenen Nutzergruppen konkretisieren? Welche Indikatoren können wir erheben, die auf die Erreichung der Ziele schließen lassen?

  3. 3.

    Die Erprobungsphase zielt darauf ab, den Einsatz des LAS in einem Pilot-Bereich im Arbeitsalltag zu beobachten, zu evaluieren und ggf. die technische Lösung weiter anzupassen. Sie beginnt bereits parallel zu Phase 2 mit der technischen Integration des Systems in die IT-Landschaft der Unternehmen, der Installation an den Arbeitsplätzen und der Qualifizierung der EndnutzerInnen. Die Erprobungsphase schließt mit einer Evaluation der in der frühen Phase ausgewählten und priorisierten strategischen Ziele des LAS ab.

  4. 4.

    In der Phase des reflexiven Roll-Outs werden die Erfahrungen aus der Erprobungsphase sowie die Evaluation der Nutzenpotenziale partizipativ und interdisziplinär reflektiert und ausgewertet. Auf Basis dieser Auswertungen werden Entscheidungen für den Einsatz des LAS in weiteren Unternehmensbereichen getroffen.

Abb. 1 Fig. 1
figure 1

Systematik zur partizipativen Prozessgestaltung

Framework for participatory process design

6.3 Reflexion der eigenen Blickrichtungen als ProzessgestalterInnen

ProzessgestalterInnen können interne Beratungs- und Begleitungspersonen sein oder auch externe BeraterInnen, Forschungs- und EntwicklungspartnerInnen aus Wissenschaft und Technologieentwicklung. Ausgangsbasis der organisationspädagogischen Prozessgestaltung ist die Reflexion des eigenen Sehens, d. h. der eigenen Aufmerksamkeits- und Blickrichtungen, auf drei Ebenen (vgl. Abb. 1, (A)–(C)). Im Falle z. B. einer komplementären Verbindung von Fach- und Prozessberatung, wie dies Königswieser et al. (2006) empfehlen, erfolgt die Klärung im Team.

  • (A) Den Blick auf die eigene Rolle als ProzessgestalterInnen bildet die erste Reflexionsebene. Gegenstand der Reflexion ist hier u. a., welche Fachexpertisen und berufsbiographischen Erfahrungen die eigene Wahrnehmung prägen. Zudem wird das eigene Prozess‑, Wirksamkeits- und beraterische Selbstverständnis hinterfragt. Der Modus einer ko-kreativen Gestaltung (Weber 2017) etwa legt die Vorannahme nahe, dass der Weg zur Lösungsfindung eher zirkulär verläuft und die Wirksamkeit der ProzessgestalterIn eher auf Inspiration und weniger auf Durchgreifen beruht.

  • (B) Die Situation zur Integration des LAS bildet die zweite Reflexionsebene. Hier wird bspw. gefragt, welche institutionelle Architektur der Projektkontext hat – handelt es sich z. B. um ein Forschungsprojekt oder einen Entwicklungsauftrag? Zudem wird die Vorgeschichte reflektiert. Hier wird etwa gefragt, welche Nutzenversprechen in der Projektanbahnung verhandelt wurden.

  • (C) Der Kontext des Unternehmens, bei dem das LAS integriert werden soll, bildet die dritte Reflexionsebene (vgl. Tab. 1). Dazu zählt der formale Kontext ebenso wie die kulturellen Muster. Diese werden relevant für den Entwicklungs‑, Integrations- und Implementierungsprozess als Ganzes ebenso wie für die spätere Anwendung des LAS selbst, welches Teil des organisationalen Umgangs mit Wissen werden soll. Kulturelle Muster wie Technik- oder Menschzentrierung orientieren die „Blickrichtungen“ der Organisation daraufhin, wofür man glaubt, hinsichtlich der Einführung von LAS Energie aufwenden zu müssen. Die Unterscheidung von kontrollorientiert-direktiven oder vertrauensorientiert-partizipativen kulturellen Mustern verweist zudem etwa darauf, ob kollektives Beratschlagen und Entscheiden für die Organisationsmitglieder Neuland darstellt und ob bereits Akzeptanz für einen hierarchieübergreifenden Austausch auf Augenhöhe besteht. Neben den alltagskulturell gelebten Mustern im Organisieren sind darüber hinaus die explizit formulierten oder implizit ableitbaren übergreifenden Wertbezüge der Organisation Teil der Analyse von ProzessgestalterInnen. Werte und Zukunftsstrategien bilden Sinnhorizonte für Mitarbeitende und leiten ihr Handeln. Darüber hinaus ist Teil der Analyse, wie die Organisation mit Veränderung an sich umgeht, woran sich die Organisationsmitglieder dabei orientieren, welche Wissenspraktiken kultiviert werden und welche Wertschätzung und Aufmerksamkeit wissensbezogenen Fragen überhaupt entgegengebracht wird. Nicht immer wird im technikorientierten Kontext bereits ein tiefes Bewusstsein für die soziale und organisationale Komplexität technologischer Innovationen vorhanden sein und diese als soziale Innovationen verstanden werden.

Tab. 1 Table 1 Heuristik zur analytischen Reflexion des UnternehmenskontextesHeuristics for the analytical review of the corporate context

6.4 Prozessgestaltung

Zur Umsetzung der Prozessgestaltung liegt die Aufmerksamkeit von ProzessgestalterInnen auf dem Arrangieren von Blickrichtungen (vgl. Kapitel 3.2). Wie Abb. 1 zeigt, verwendet die Prozessgestaltung vier Leitfragen (vgl. Abb. 1, (D)–(G)), die je nach Phase verschieden beantworten werden. Diese werden im Folgenden am Beispiel der Visionierungsphase und der Umsetzung im Projekt EVerAssist erläutert.

  • (D) Zunächst wird geklärt, welche Ziele mit der jeweiligen Phase erreicht werden und welche Wirkung eine Intervention hervorbringen soll. Wie bereits angesprochen, geht es in der Visionierungsphase darum, eine gemeinsame Vision zu entwickeln, die gut vorstellbar ist sowie inspirierend und motivierend wirkt (Weber 2005). Dafür ist es erforderlich, dass verschiedene Szenarien für den Einsatz des LAS entstehen und so z. B. Pilotbereiche identifiziert oder die Auswahl der Assistenzinhalte anhand strategischer Ziele reflektiert werden. So lassen sich gemeinsam realistische Erwartungen an den Einsatz des LAS entwickeln. Das Bonmot der Organisationsentwicklung, „Betroffene zu Beteiligten“ zu machen, stellt hier eine leitende Metapher dar. Unterschiedliche relevante FunktionsträgerInnen und verschiedene Expertisen unterstützen Multiperspektivität und damit auch kreative „Re-Formulierungen“ des ursprünglichen Vorverständnisses und „Auftrags“. Zudem leiten solche partizipativen Klärungsprozesse bereits eine partizipative Kulturentwicklung ein, welche für die erfolgreiche Einführung von LAS unverzichtbar ist. Sie schaffen Gelegenheitsstrukturen für selbstorganisiertes Handeln und Eigenverantwortung. So werden z. B. Teilaufgaben (wie z. B. die Gestaltung von Redaktionsprozessen) formuliert, mit der Vision verbunden und auf diese Weise Sinnbezüge hergestellt.

  • (E) Um diese Ziele zu erreichen, reflektieren die ProzessgestalterInnen gemeinsam mit den Unternehmen und Kooperationspartnern, was in den Blick genommen werden soll. Im Projekt EVerAssist wurden während der Visionierungsphase z. B. zunächst die unterschiedlichen Perspektiven auf die Vorgeschichte des Projekts und die Anliegen in einen Dialog eingebettet, um Multiperspektivität erfahrbar zu machen. Daraufhin wurde der Möglichkeitsraum des LAS gemeinsam erkundet. Die mit dem LAS zwangsläufig einhergehende – oftmals aber noch nicht ausreichend erschlossene – Komplexität und ihre Möglichkeiten und Implikationen sollten ganzheitlich verstanden werden (vgl. Kapitel 3.1). Gemeinsam wurden daher die Anforderungen des Unternehmens, technische Randbedingungen, das LAS als technische Lösung, arbeitswissenschaftliche Gelingensbedingungen, Kriterien der Lernförderlichkeit und Rollen wie auch Vorverständnisse bzgl. „Wissen“ erarbeitet. Darauf bezogen stellten sich die Akteure gegenseitig Fragen und positionierten sich, Entscheidungen wurden so vorbereitet. Ein dritter Schritt verfolgte schließlich das Ziel, das LAS gemeinsam in einer ganzheitlichen Landkarte digitaler Zukunftsbilder zu verorten und strategische Potenziale auf diese Weise vorstellbar und anschlussfähig zu machen. Diese Integration multidisziplinärer Perspektiven (Weber 45,46,a, b) ist entscheidend für die Auslotung relevanter – und ansonsten ggf. unentdeckt bleibender – Potenziale, die ggf. auch technisch nicht immer reversibel wären und später nicht ohne Weiteres eingearbeitet werden könnten. Tab. 2 zeigt eine Auswahl an Expertisen, die für die Formulierung unternehmensbezogener strategischer Leitbilder im übergeordneten Kontext der digitalen Transformation relevant sind. Die Tabelle zeigt zudem beispielhafte Leitfragen. Sie verweist darüber hinaus auf – den Blick und die gemeinsame Reflexion leitendes – Material wie z. B. wissenschaftliche Visualisierungen. Diese können als didaktische Ankerpunkte in die Prozessdesigns eingebracht werden (vgl. Tab. 3).

  • (F) Die Interventionen im Gestaltungsprozess werden sehr sorgfältig vorbereitet, da gerade in der frühen Phase die Weichen für die Zukunft gestellt werden. Es werden daher für jedes partizipative Format die zu beteiligenden Akteure bewusst ausgewählt und im Vorfeld auf ihre Teilnahme vorbereitet. So können die Akteure aus ihrer jeweiligen Perspektive, Position und Fachexpertise heraus sprechen (vgl. Weber und Keller i.E.). Wie bereits deutlich geworden ist, hat etwa ein Mitglied der Geschäftsführung hinsichtlich des LAS andere Fragen im Blick als eine AusbildungsleiterIn. Wer spricht, strukturiert wiederum auch die Aufmerksamkeit im Gestaltungsprozess. Daher ist die Sondierung wichtiger Akteure und Perspektiven wichtig (ebd.). Auch die Haltung und Wertorientierung (vgl. Kapitel 4.3, (C)) ist ein Kriterium bei der Wahl der Akteure. Wie stehen die Organisationsmitglieder zur Einführung eines LAS? Bringen sie hier Vertrauen oder Misstrauen mit, vermuten sie Arbeitserleichterung oder Arbeitserschwernis, befürchten sie den „gläsernen“ Mitarbeiter und damit die Zunahme von Kontrollmöglichkeiten, oder sind sie neugierig und daran interessiert, die digitale Zukunft mitzugestalten? InnovatorInnen und VisionärInnen wirken bspw. bei der Visionsbildung besonders effektiv mit; auch MultiplikatorInnen und „KümmererInnen“ sind frühzeitig als MitgestalterInnen einzubinden (vgl. Vahs 2009, S. 344). Es kann aber auch wichtig sein, zu gegebenem Zeitpunkt „neutrale“ oder auch Gegenstimmen zu hören, um besser zu verstehen, an welchen Punkten für die Prozessgestaltung noch angesetzt werden müsste. Insgesamt ist die Frage, wer wann beteiligt wird, als Prozess der Bildung eines sozialen Systems (vgl. Baumfeld et al. 2015) zu verstehen und entsprechend zu gestalten: Wie kann die soziale Systembildung den Integrationsprozess konstituieren und unterstützen? Inwiefern bildet sich ein soziales System für Redaktionsprozesse aus? Im Projekt EVerAssist zeigte sich etwa, dass die Rolle der „zentralen Koordination der Assistenzinhalte“ nicht nur eine formal wichtige Rolle ist, z. B. für die Prüfung und Freigabe von Inhalten, sondern auch einen informellen Charakter hat, welcher erfolgskritisch erscheint. Diese Rolle wird vom Unternehmen selbst besetzt. Sie steht in persönlichem Kontakt mit den ErfahrungsträgerInnen und WissensnehmerInnen und erklärt ihnen z. B., zu welchem Zweck Inhalte eingegeben werden sollen. Diese informelle Kommunikation ist eine Grundlage für einen lebendigen Wissenstransfer mit dem LAS. Es ist daher sinnvoll, Mitarbeitende, welche diese Rolle besetzen, frühzeitig in den Einführungsprozess einzubinden und sie dabei für die Bedeutung sowohl persönlicher als auch digitaler Kommunikation zu sensibilisieren.

  • (G) Die konkrete Ausgestaltung des Prozesses erfolgt gemäß den Zielen (D), zu bearbeitenden Themen (E) und dem Teilnehmendenkreis (F). Das Vorgehen folgt der Annahme, dass jeder Austausch und Schriftverkehr Teil des organisationalen Diskurses ist, der letztendlich dafür entscheidend ist, welche Lösungsideen entstehen (Weber 2018b). Jedes kleine oder große Event, z. B. Workshops oder Regeltermine, wird daher hinsichtlich seiner intendierten Funktion für die gesamte Prozessgestaltung reflektiert und daraus die Gestaltung des Formats und die Auswahl der Methodiken abgeleitet. Die ProzessgestalterInnen handeln dabei kreativ und situationsbewusst. Sie unterscheiden z. B. zwischen dem Level der Partizipation oder formalen bzw. informellen Interventionen. Wann soll lediglich informiert, wann mitgestaltet und wann mitentschieden werden (vgl. Arnstein 1969)? Auch können beispielsweise formale Informationssettings wie Betriebsversammlungen sinnvoll in den Prozess integriert werden, ebenso wie informelle Formate wie ein selbst gedrehtes Video des Entwicklerteams mit Botschaften an die NutzerInnen. Tab. 3 zeigt exemplarisch geeignete Ansätze und Methoden für die partizipative Prozessgestaltung. Im Projekt EVerAssist wurde z. B. in einem Auftakt-Workshop mit den Unternehmen die Methode der wertschätzenden Erkundung (Cooperrider et al. 2004; Tab. 3) eingesetzt, um an Vorerfahrungen und damit an Sinnarchitekturen der Akteure anzuknüpfen. In einem verfahrenstechnischen KMU kamen etwa die Geschäftsführung, zwei Instandhalter, die verantwortliche Projektleiterin sowie die Forscher- und EntwicklerInnen und UnternehmensberaterInnen zusammen. Um ein einheitliches Verständnis zu erzielen, wurde zunächst bisherige Erfahrungen mit dem Assistenzsystem durch die WorkshopteilnehmerInnen einzeln reflektiert. In einem späteren Workshop, in dem es um die Erkundung des strategischen Potenziale für das LAS ging, wurden Visualisierungen eingesetzt oder Analogien zu aus dem privaten Gebrauch vertrauten Apps hergestellt. Beispielsweise wurde eine selbst entworfene Visualisierung eines vereinfachten „Entwickler-Bauplans“ dafür genutzt, den Redaktionsprozess zur Eingabe und Aktualisierung von Assistenzinhalten entlang der technischen Möglichkeiten zu gestalten.

Tab. 2 Table 2 Heuristik zur Integration multidisziplinärer Expertisen bei der kollektiven Entwicklung strategischer Leitbilder für den Einsatz von LASHeuristics for integrating multidisciplinary expertise in the collective development of strategic visions for LAS usage
Tab. 3 Table 3 Ausgewählte Methoden und Ansätze für den Einsatz in den Phasen der ProzessgestaltungSelection of methods and approaches by phases of process design

7 Zusammenfassung und Ausblick

Ein akzeptiertes System, das von den Mitarbeitenden genutzt wird, sie in ihrer Tätigkeit motiviert, lernförderlich wirkt und weitere strategische Ziele der Unternehmen adressiert, erfordert einen systematischen Einführungsprozess und eine ganzheitliche Gestaltungsperspektive. Der Beitrag stellt erste Ergebnisse aus dem Projekt EVerAssist vor, die im Rahmen eines organisationspädagogischen Design Based Research Ansatzes erarbeitet wurden.

Es wurde eine Systematik entwickelt, die Akteuren, welche einen solchen Prozess gestalten und koordinieren, eine Handlungshilfe anbietet und sie durch diesen Prozess begleitet. Sie werden dafür sensibilisiert, welche Inhalte, Personen und Perspektiven im Rahmen einer partizipativen Vorgehensweise in den Blick genommen werden sollten. Theoretische Grundlage für die Erarbeitung der Systematik ist eine organisationspädagogische und bildungswissenschaftliche theoretische Modellierung. Diese verweist darauf, dass Gestaltungsideen für LAS mit Dialoginhalten sowie Aufmerksamkeitsordnungen im partizipativen Prozess in einem Zusammenhang stehen. Somit wird das gemeinsame Beleuchten und Erkunden verschiedener Perspektiven bzw. ein Arrangieren von Blickrichtungen während des partizipativen Prozesses als zentraler Gestaltungsansatz identifiziert. Eine Selbst- und Kontextreflexion wird dabei zum Ausgangspunkt. Durch diesen Ansatz wird eine ganzheitliche Integration von LAS ermöglicht und die Tätigkeit der Beratung und Prozessgestaltung theoretisch eingebettet und systematisiert.

Erste Beobachtungen zeigen, dass die TeilnehmerInnen der partizipativen Prozesse in EVerAssist sich der komplexen Anforderungen, die mit einem LAS verbunden sind, neu bewusstwerden und diese ganzheitlich verstehen (Keller i.E.). Auch entwickeln sie eine Bereitschaft, ihre Erwartungen an den Nutzen eines LAS zu verändern. Zudem werden grundlegende Vorstellungen von Wissenstransfer hinterfragt und potenziell geöffnet. So entstehen die Voraussetzungen dafür, dass die Akteure selbstorganisiert Gelingengsbedingungen für eine nachhaltige Nutzung des LAS mitgestalten und eigene Routinen im Umgang mit dem LAS entwickeln. Die Ausgestaltung der Visionierungsphase im Projekt wird somit zur Basis für einen nachhaltigen Transformationsprozess in den Unternehmen und damit für die Realisierung ausgewählter Nutzenversprechen (ebd.).

Im Rahmen der theoretischen Modellierung konnten auch Kernmerkmale der Tätigkeit der Prozessgestaltung erarbeitet werden. Ein Kennzeichen dieser Tätigkeit ist es, multidisziplinäre Potenziale von LAS für konkrete Anwendungsfälle zu identifizieren und Synergien zwischen diesen herzustellen. Ein weiteres Merkmal liegt darin, Übersetzungsprozesse zwischen Akteuren aus verschiedenen Fachdisziplinen und Praxispartnern zu beleuchten und zu gestalten. Die in der Partizipation beteiligten Akteure bringen verschiedene Perspektiven in den Prozess ein, die aus heterogenen Erfahrungen, funktionalen Rollen und Gepflogenheiten der jeweiligen Disziplin resultieren. Daher ist ein Aushandlungsprozess erforderlich, der für diese verschiedenen Blickrichtungen sensibilisiert und das Verstehen der anderen Blickrichtungen ermöglicht. Die Tätigkeit der ProzessgestalterInnen selbst wird dabei als nicht primär methodenorientiert, sondern in erster Linie als kreativ sowie kontext- und situationsbewusst skizziert. Ziel dieser Tätigkeit ist es, eine suchende, entdeckende Haltung der beteiligten Akteure zu ermöglichen sowie selbstorganisierte Lösungsfindungen zu fördern. So wird ein nachhaltiger Integrationsprozess möglich, da die erforderlichen Veränderungen von den Unternehmen selbst entwickelt und verantwortet werden. Organisationspädagogische Zugänge rahmen diese Tätigkeit, indem sie komplexitätsorientierte, strategie- und zukunftsorientierte Gestaltungsansätze anbieten.

Das Projekt EVerAssist ist noch nicht abgeschlossen. In nächsten Schritten werden die theoretische Modellierung sowie die Systematik weiterentwickelt und hinsichtlich sich zeigender intendierter Ereignisqualitäten, die das Entstehen einer LAS-basierten (Lern‑)Innovation im Unternehmen kennzeichnen, validiert.