1 Einführung

Moderne, mobile Informations- und Kommunikationstechnologie ermöglicht es, räumlich und zeitlich unabhängig Zugriff auf Informationen zu haben, Arbeiten durchzuführen oder mit anderen, entfernten Nutzern zu interagieren. Das Ausmaß, in dem hiervon Gebrauch gemacht wird, zeigt z. B. eine Studie zur Smartphone-Nutzung (Lopez 2013), nach der 49 % der Smartphonebesitzer ihr Gerät „immer und überall“ nutzen. Die genannte Studie beschränkt sich auf Smartphones, jedoch lässt die zunehmende Verfügbarkeit weiterer mobiler IT-Technologie, wie Tablets, SmartGlasses und Wearables, zukünftig eine weitere Verstärkung der Nutzung mobiler Geräten erwarten.

Diese auch als „Ubiquitous Computing“ bezeichnete Entwicklung ermöglicht auch einen Wandel in der Arbeitswelt, der bisherige Konzepte in Frage stellt (z. B. Frank und Hübschen 2015). Eine solche Revolution der Arbeitsumwelt aufgrund der rasanten Entwicklung technischer Geräte erfordert eine Anpassung dieser Geräte und Interfaces an die neuen Bedingungen. Aufgrund der Separierung von Ort und Arbeit, wie auch der zunehmenden Verzahnung von Arbeitszeit und Freizeit entfallen z. B. Sicherheitsstrukturen, die gesetzlich (z. B. ArbSchG §3 2013; ArbStättV §3 2010) vorgeschrieben sind und in einem durch den Arbeitgeber bereitgestellten Büro umgesetzt werden oder bei einem ortsfesten Heim- oder Telearbeitsplatz überprüfbar sind (Schlick et al. 2010).

Die Größe der Darstellungsfläche bei mobilen Geräten ist begrenzt, da die Tragbarkeit und auch die Transportierbarkeit (Größe und Gewicht) von hohem Belang sind. Das Gerät muss, auch wenn es während des Gehens in der Hand getragen wird, bedienbar und daraus resultierende Komforteinschränkungen gering bleiben. Auf die geringe Darstellungsfläche wird in Apps häufig nur wenig Rücksicht genommen, es werden große Informationsmengen dargestellt und viele Interaktionsmöglichkeiten angeboten. Auch werden häufig Interfaces, die für größere Displays, wie Desktop- oder Laptopbildschirme entwickelt wurden, auf kleinere mobile Geräte übertragen, ohne entsprechend angepasst zu werden. Dies führt dazu, dass häufig geringe Schriftgrößen oder kleine Interaktionsbuttons dargeboten werden.

Eine Anpassung der Schnittstellen an die Fähigkeiten und Fertigkeiten des Menschen ist hier nötig. Sie können in verschiedenen Dimensionen angedacht werden. Hierzu gehört u. a. die Reduktion von Informationen, indem diese entsprechend organisiert werden, z. B. über die Anpassung der Menühierarchien (Conradi et al. 2017). Voraussetzung für die Anpassung sind jedoch konkrete Anforderungen an die Gestaltung der Schnittstelle.

1.1 Grundlagen

Betrachtet man die Nutzung eines mobilen Gerätes im Gehen, so wird eine Reihe von Themen aus unterschiedlichen Gebieten berührt. Bei der Herausarbeitung des jeweiligen Untersuchungsgegenstandes müssen diese unterschiedlichen Gebiete betrachtet werden, deren Grundlagen berücksichtigt und zusammengeführt werden. Dies führt zu einer interdisziplinären Betrachtung des Problems.

Die Gehbewegung mit ihren verschiedenen Phasen beeinflusst sämtliche Körperteile des Menschen (Perry et al. 2010). Allerdings wird die induzierte Bewegung des Passagiers (Oberkörper und Kopf) weitgehend abgemildert durch verschiedene Mechanismen des menschlichen Körpers. Dies dient dazu, dem Kopf, den Sinnesorganen und auch den Händen die Freiheit zu geben, weitere Tätigkeiten durchzuführen (Götz-Neumann 2015). Jedoch resultiert die abgemilderte Bewegung immer noch in sinusförmigen, sich überlagernden Bewegungen in allen drei Dimensionen. Diese ist abhängig von der Gehgeschwindigkeit, jedoch ist die Gehbewegung auch stark individuell unterschiedlich und wird situativ beeinflusst. Diese Faktoren führen dazu, dass eine Vorhersage der individuellen Bewegungen am Kopf, aber auch der Relativbewegungen zwischen Kopf und Händen nur schwer möglich ist.

Eine „normale“ Gehgeschwindigkeit ist kaum zu ermitteln, jedes Individuum hat eine individuelle, präferierte Gehgeschwindigkeit, wobei eine hohe Anpassungsfähigkeit an verschiedene Bedingungen und Geschwindigkeiten zu beobachten ist. In verschiedenen Studien wurde diese Geschwindigkeit untersucht, es fanden sich mittlere präferierte Gehgeschwindigkeiten im Bereich von 4,8 bis 5,2 km/h. Eine Differenzierung für langsames und schnelles Gehen ergab mittlere Geschwindigkeiten von 2,22 km/h für langsames und 5,94 km/h für schnelles Gehen (Bohannon und Andrews 2011; Perry et al. 2010).

Das Auge ist ein sehr leistungsfähiges Organ, das seine Funktion an eine Vielfalt verschiedener Umgebungsfaktoren anzupassen vermag. U. a. ist der vestibulookuläre Reflex im Stande, bei schnellen Kopfbewegungen die Ausrichtung der Augen so zu korrigieren, dass die Fixation eines Objektes möglich bleibt (Probst et al. 2004). Nichtsdestotrotz beeinflussen Relativbewegungen zwischen Auge und Objekt die Sehschärfe, mit der das Objekt wahrgenommen wird. Diese sogenannte dynamische Sehschärfe (Miller und Ludvigh 1962) weist nur eine geringe Korrelation mit der statischen Sehschärfe auf, die mit der Zunahme der Relativgeschwindigkeit noch weiter abnimmt (Burg 1966). Aufgrund dessen kann die individuelle Leistungsfähigkeit beim dynamischen Sehen nicht über das statische Sehen beurteilt werden, sondern muss gesondert erfasst werden (Lüder und Böckelmann 2011).

Die oben angeführten Grundlagen deuten darauf hin, dass die Gehbewegung einen Einfluss auf die messbare dynamische Sehschärfe hat. Dies bestätigen verschiede wissenschaftliche Untersuchungen (z. B. Mustonen et al. 2004; Peters und Bloomberg 2005). Jedoch wurden meist Stimuli verwendet, die sich in der Umgebung befanden. In einer früheren Untersuchung zur Sehschärfe im Gehen, gemessen mittels eines mobilen, durch die Versuchsperson selbst getragenen Handgerätes, zeigten sich Einschränkungen in der Sehschärfe von bis zu 20 % (Conradi und Alexander 2014).

Bei der Verwendung von Mobilgeräten werden meist Informationen erfasst, von denen ein großer Teil schriftlich kodiert ist. Beim Lesen und bei der Erfassung anderer Objekte, die scharf dargestellt werden müssen, folgt das Auge generell einem bestimmten Bewegungsmuster. Da lediglich ein kleiner Teil der Netzhaut eine hohe Auflösung des Gesehenen erlaubt, muss dieser Teil die Bereiche, die scharf gesehen werden müssen, sukzessive abtasten. Um dies zu erreichen, wechseln sich Fixationen, bei denen das Auge für einen längeren Zeitraum auf einen bestimmten Punkt fixiert, mit Sakkaden, bei denen der Fokus des Auges ruckartig und schnell verschoben wird, ab. Beim Lesen dauert eine Fixation im Mittel etwa 200–250 ms, eine Sakkade etwa 30–70 ms und überstreicht im Mittel 7–8, mit Extremwerten von 1–20 Buchstaben (Inhoff und Rayner 1996).

Einen zusätzlichen großen Einfluss auf die Sehschärfe hat die Distanz, in der der Stimulus dargeboten wird, d. h. der Abstand in dem das elektronische Gerät gehalten wird. Bisherige Untersuchungen zur Leserlichkeit von Druckschrift beachten diesen Zusammenhang nur selten, häufig wird lediglich die Schriftgröße variiert und der Leseabstand nicht kontrolliert. Auch wird nur in wenigen Arbeiten das Lesen auf einem Mobilgerät im Gehen untersucht.

Hingegen besteht eine lange Forschungstradition zur Leserlichkeit von Druckschrift und den verschiedenen Einflussfaktoren, die diese bestimmen. Jedoch sind die Angaben der Schriftgröße in den Untersuchungen uneinheitlich, häufig werden die Schriftgrößen nur in Punkt angegeben, eine Aufschlüsselung hinsichtlich der Größe des auf der Netzhaut entstehenden Bildes wird dabei nicht direkt angegeben. Da diese Untersuchungen mit den eigenen Arbeiten nicht verglichen werden können, werden sie im Weiteren nicht aufgeführt. Auch die Ergebnisse hinsichtlich des Einflusses der Schriftgröße sind nicht einheitlich.

Einen grundsätzlichen Einfluss der Schriftgröße auf die Lesegeschwindigkeit fanden u. a. Paterson und Tinker (1929), dies bestätigte sich z. B. in den Arbeiten von Legge et al. (1985). Jedoch veröffentlichte Tinker 1963 eine Metanalyse von über 80 Einzeluntersuchungen zur Wirkung typographischer Textmerkmale. Demnach haben Größe, Form und Farbe von Schriftzeichen nur einen unwesentlichen Einfluss auf das Lesen. Auf der Basis der gefundenen Ergebnisse und Methodiken wurde seitdem eine Vielzahl von Untersuchungen durchgeführt, die hier nur exemplarisch vorgestellt werden können. Eine Untersuchung, bei der gezielt der Minimalabstand der Versuchspersonen zu der dargebotenen Schrift untersucht wurde und mit Hilfe der Sehwinkel ausgewertet wurde, führte Smith (1979) mit über 500 Teilnehmern durch. Aus der Buchstabengröße der Großbuchstaben und dem Minimalabstand, bei dem Lesbarkeit gegeben war, wurde der Mindestsehwinkel bestimmt. Als Leserlichkeitsgrenze fand er eine Buchstabengröße von 7 Winkelminuten [′], von 10′ bei einer Leserlichkeit von über 90 % und 24′ bei nahezu 100 %-iger Leserlichkeit.

Bisherige Arbeiten zur Betrachtungszeit von Wörtern und Sätzen wurden u. a. mit der Methode „rapid serial visual presentation“ (RSVP) durchgeführt. Dabei werden Wörter oder Sätze nur für eine sehr kurze Zeit eingeblendet. Beispielsweise führte Forster bereits 1970 eine Studie durch, um die Wahrnehmung von Sätzen, die nur für eine kurze Zeit für den Betrachter sichtbar sind zu untersuchen. Die Betrachtungszeit einzelner Wörter lag bei 62,5 ms. Die Ergebnisse zeigten, dass längere Wörter häufiger wiedergegeben werden konnten als kürzere Wörter.

Als weiteres Beispiel sollen die Untersuchungen von Yu et al. (2007) angeführt werden, die die Lesegeschwindigkeit und die Buchstabengröße mit der RSVP-Methode untersuchten. Bei einer Einblendezeit von 75 ms pro Wort fanden sie eine kritische Buchstabengröße von 6′. Die Auswertung hat ergeben, dass sich die Buchstabengröße signifikant auf die Lesegeschwindigkeit auswirkte. Die Lesegeschwindigkeit bei größeren Buchstaben war höher als bei kleineren. In einer weiteren Studie bestimmten Yu et al. (2010) mit Hilfe der RSVP-Methode für die Lesegeschwindigkeit die kritische Buchstabengröße für Kleinbuchstaben mit 5,4′ und für Großbuchstaben mit 7,2′. Die mittlere Lesegeschwindigkeit benötigt bei Kleinbuchstaben ca. 85 ms pro Wort und bei Großbuchstaben ca. 100 ms.

In verschiedenen Vorschriften und Richtlinien werden Angaben zu Mindestschriftgrößen gemacht. Lt. DIN EN ISO 15008 (2009), die Vorgaben für Fahrerinformationssysteme für Straßenfahrzeuge zusammenfasst, empfiehlt Winkel von mindesten 20′ (Akzeptabel: ab 16′; Minimum: 12′: Minimum). Die DIN EN ISO 9241-303 (2012) empfiehlt für elektrooptische Anzeigen generell die Mindestzeichenhöhe lateinischer Buchstaben von 16′, das System muss Zeichenhöhen von 20–22′ zu Verfügung stellen. Für ideale optische Anzeigen, die der Darstellung auf Papier nahekommen, ist die Mindestzeichenhöhe 10–12′. In den DGUV Information 215-410 (2015) zu Bildschirm- und Büroarbeitsplätzen werden Buchstabengrößen von 22 und 31′ vorgeschlagen. Das Handbuch der Ergonomie (Schmidtke 2007) enthält Richtwerte in mm für unterschiedliche Umgebungsbedingungen, z. B. werden für einen Leseabstand von 45 cm in einem Hellraum eine Schriftgröße von ca. 2,3 mm empfohlen, für Kurzzeitdarbietungen oder Schwingungseinwirkungen werden 3,3 mm empfohlen.

1.2 Fragestellungen

Ziel des ersten Experimentes ist es, eine Darstellung der Schrift zu finden, die während des Gehens innerhalb kürzester Zeit, buchstäblich „mit einem Blick“ erfasst werden kann. Für eine solche Erfassung ist aus der Sicht des visuellen Apparates mindestens eine Fixation nötig. Die Mindestdauer dieser Fixation bestimmt die Mindestblickdauer, damit das Wort gelesen werden kann. Es soll der Frage nachgegangen werden, ob diese Mindestdauer durch die Schriftgröße beeinflusst wird und welchen Einfluss das Gehen darauf hat. Aufgrund der geringeren dynamischen Sehschärfe im Gehen, die durch größere Sehzeichen ausgeglichen werden kann (Conradi und Alexander 2014), sowie der Ergebnisse aus der Forschung zur RSVP, die einen Zusammenhang zwischen Einblendezeit und Buchstabengröße für das Lesen herstellt, werden die folgenden Hypothesen formuliert:

H1

Die benötigte Mindestdarbietungszeit für das sichere Lesen von kurzen Wörtern steigt mit der Gehgeschwindigkeit.

H2

Je kürzer die Wörter dargeboten werden, desto größer ist die benötigte Mindestdarstellungsgröße.

Zusätzlich ist auch die Wortlänge zu betrachten, bei einer Fixation werden im Durchschnitt 7–8 Buchstaben überstrichen, demnach müssten längere Wörter zu längeren Lesezeiten führen. Aufgrund der oben angeführten Gründe werden die Hypothesen aufgestellt, dass dies auch für die Gehbewegung und die Schriftgröße beeinflusst wird.

H3

Die Wortlänge hat einen Einfluss auf die Leserlichkeit von Wörtern in Bezug auf Gehgeschwindigkeit (H3a) und Schriftgröße (H3b).

Das erste Experiment fokussiert auf die Wahrnehmungsschwelle für Wörter. Dabei wird mit den Mitteln der Wahrnehmungsschwellenwertbestimmung ein minimaler Wert bestimmt, der erreicht werden muss, um die Wörter sicher lesen zu können. Hierbei wird jedoch nicht berücksichtigt, ob dieser Wert für die Versuchsteilnehmer anstrengend zu lesen ist, oder ob sie es als angenehm empfinden. Daher wurde in einer weiteren Erhebung (Experiment 2) die subjektive Einschätzung der Schriftgröße der Versuchsteilnehmer erfasst.

Es wird angenommen, dass auch die präferierte Schriftgröße durch den Sehschärfeverlust aufgrund der geringeren dynamischen Sehschärfe durch eine höhere Gehgeschwindigkeit beeinflusst wird. In dem Experiment soll untersucht werden, ob auch die Wortlänge hier einen Einfluss zeigt. Daher werden folgende Hypothesen formuliert:

H4

Die präferierte Schriftgröße steigt mit der Gehgeschwindigkeit.

H5

Die präferierte Schriftgröße wird durch die Wortlänge beeinflusst.

Bei der präferierten Schriftgröße handelt es sich um diejenige Schriftgröße, die die Versuchsteilnehmer als angenehm und noch gut lesbar empfinden. Die präferierte Schriftgröße wird mit der gemessenen Mindestschriftgröße verglichen und ins Verhältnis gesetzt, es wird erwartet, dass die präferierte Schriftgröße die Mindestschriftgröße übersteigt.

2 Methodik

2.1 Stichprobe

An beiden Experimenten nahmen insgesamt n = 20 Mitarbeiter des FKIE freiwillig teil. Allen Versuchsteilnehmern wurden sämtliche Versuchsbedingungen dargeboten im Sinne eines Versuchsdesigns mit Messwiederholungen. Aufgrund des dreifaktoriellen Versuchsplanes mit vollständiger Messwiederholung ist die Teilnehmerzahl nach Bortz und Döring (2006) für die Absicherung eines mittleren Effektes ausreichend.

Das Alter der Versuchspersonen lag zwischen 18 und 41 Jahren, bei einem mittleren Alter von 29,3 ± 6 (M ± SD). Die eingeschränkte Altersspanne wurde gewählt, um Sehprobleme aufgrund von Alterssichtigkeit auszuschließen. 11 der Teilnehmer (TN) waren männlich, 9 weiblich. Sämtliche TN waren Deutsch-Muttersprachler oder haben zumindest ihre gesamte Schulzeit in deutschen Schulen verbracht. Diese Einschränkung wurde vorgenommen, da Wörter aus einem deutschen Wortkorpus verwendet wurden und eine hohe Vertrautheit mit diesen Wörtern vorausgesetzt wurde.

Weiterhin verfügten sämtliche Teilnehmer über eine normale oder korrigiert-zu-normale Sehschärfe. Zu Beginn der Sitzung wurde bei jeder Versuchsperson der Mindestsehabstand für die weitere Versuchsdurchführung ermittelt. Es wurde darauf geachtet, dass dieser Abstand nicht unter 40 cm lag, da die Zielanwendung der Untersuchung, eine kurze, wenig ablenkende Interaktion während des Gehens, nur einen geringen Teil des Gesichtsfeldes einnehmen sollte. Dieser Abstand geht konform mit dem in DIN EN ISO 9241-303 (2012) empfohlenen Abstand für Displays. Die in der vorliegenden Untersuchung gefundenen Hand-Auge-Abstände der angenehmen Haltungen lagen zwischen 430 und 530 mm, mit einem mittleren Abstand von 474,2 mm.

2.2 Versuchsaufgabe

Für Experiment 1 erhielten die Versuchsteilnehmer ein Smartphone, das mit einer Test-App für das Lesen von Worten ausgestattet war. Auf dem Display erschienen einzelne Worte, die wenn möglich, gelesen und laut ausgesprochen wurden. Der Versuchsleiter kontrollierte das Ergebnis. Angepasst an die vorherige Entscheidung, wurde mit Hilfe eines adaptiven Staircase-Verfahrens nach Levitt (1971) der nachfolgende Stimulus entsprechend größer oder kleiner gestaltet.

In Experiment 2 wurden die Versuchsteilnehmer nach ihrer präferierten Schriftgröße befragt. Dazu erhielten sie eine Anwendung auf einem Smartphone, die ein zufällig ausgewähltes Wort anzeigt. Zusätzlich enthält die Darstellung einen Schieberegler, mit dem die Schriftgröße stufenlos verändert werden kann. Die Versuchspersonen erhielten die Aufgabe, eine Schriftgröße einzustellen, die noch gut lesbar ist. Dieser Vorgang wurde pro Versuchsbedingung 4‑mal wiederholt, wobei abwechselnd mit je einer großen und mit einer kleinen Schriftgröße begonnen wurde. Für die Einstellung der Schrift wurde kein zeitliches Limit vorgegeben.

2.3 Stimulusauswahl

Ein übliches Maß für die Leserlichkeit ist die richtige Wiedergabe eines Wortes. Dazu werden die Präsentationsbedingungen festgelegt und der Anteil der richtigen Antworten der Versuchsteilnehmer wird aufgezeichnet (Smith 1996).

Die als Reize verwendeten Worte wurden mit Hilfe der korpusbasierten Grundformenliste „DeReWo v‑30000g-2007-12-31‑0.1“ ausgewählt (DeReKo 2015; DeReWo 2007), in dem deutsche Wörter nach der Frequenz ihres Vorkommens in verschiedenem aktuellem Schrifttum (Literatur, Periodika) geordnet sind. Die verwendeten Wörter wurden aus dieser Wortliste ausgewählt, es wurden zwei unterschiedliche Gruppen gebildet, lange Wörter und kurze Wörter. In die Gruppe der kurzen Wörter wurden Wörter aufgenommen, die aus 5 oder 6 Buchstaben bestanden. Es wurden nur zweisilbige Wörter der Wortfrequenzklassen 10–13 verwendet. Weiterhin wurde darauf geachtet, nur Wörter einzubeziehen, die im Deutschen eine eindeutige gebräuchliche Aussprache haben, Wörter wie „Center“, „Foyer“ oder „Genre“ wurden nicht verwendet. Diese Gruppe umfasste insgesamt 1080 Wörter, die in 12 Wortgruppen aufgeteilt wurde. Für die langen Wörter wurden analog Wörter mit 11 bis 12 Buchstaben ausgewählt und aufgeteilt.

Die einzelnen Wortgruppen wurden den verschiedenen Versuchsbedingungen zugeordnet, so dass jedes Wort jedem TN nur einmal dargeboten wurden. Die Zuordnung der Wortgruppen zu den Versuchsbedingungen wurde zwischen den Versuchsteilnehmern permutiert. Die Reihenfolge der Darbietung der Wörter war zufällig.

Ein Einfluss unterschiedlicher Schriftarten auf die Leserlichkeit von Wörtern oder Text wird in verschiedenen Untersuchungen betrachtet. Gebräuchliche Druckschriften können grob in Schriften mit (z. B. Times New Roman oder Courier New) und ohne (z. B. Verdana oder Arial) Serifen unterteilt werden. Ob und in wieweit Serifen die Leserlichkeit von Schrift unterstützen, ist nicht abschließend geklärt. Tinker (1963) fand kleine Effekte, wonach Serifen die Leserlichkeit unterstützen. Heute sind zwei der populärsten Schriftarten bei Internetseiten die Serifenschrift Times New Roman und die serifenlose Schrift Arial. In einer neueren Studie zeigten sich Präferenzen für die serifenlose Schrift (Bernard et al. 2003). In einer Studie von Liebig (2008) dagegen konnte nicht festgestellt werden, dass Schriften mit Serifen signifikant besser oder schlechter gelesen werden konnten als serifenlose Schriftarten.

Aus den uneinheitlichen Ergebnissen der Forschungsarbeiten lassen sich keine eindeutigen Empfehlungen ableiten. Derzeit werden bei Mobilgeräten meist serifenlose Schriften, wie Arial oder Roboto verwendet. Solche Schriftarten werden auch in den DIN-Normen 1450 und 1451 (DIN 1450 2013; DIN 1451‑3 1987) für die Nutzung im öffentlichen Raum empfohlen. Als Stimulus-Schriftart kommt daher die serifenlose Schrift Arial zum Einsatz.

2.4 Unabhängige Variablen

Als Versuchsfaktoren wurden in Experiment 1 die Darbietungsdauer, die Gehgeschwindigkeit sowie die Wortlänge variiert.

Die gewählten Darbietungsdauern liegen bei 0,005; 0,01, 0,02, 0,05 und 0,1 s. Dieser Wertebereich wurde in Vorversuchen ermittelt und liegt unter den üblichen Fixationsdauern beim Lesen von Texten. Mittlere Fixationsdauern liegen bei 0,2–0,5 sec, nur wenige Fixationen sind kürzer als 0,1 s (Inhoff und Rayner 1996). Bei der Methode der RSVP werden jedoch ähnlich kurze Darbietungszeiten verwendet (Forster 1970; Yu et al. 2007, 2010). Die gefundenen kurzen benötigten Zeiten zum Erfassen der Wörter liegen vermutlich auch in der Wortauswahl begründet: Sämtliche verwendeten Wörter sind geläufig und werden im zeitgenössischen Schrifttum häufig verwendet.

Die Gehgeschwindigkeit wurde aufgrund der Untersuchungen zu präferierten Gehgeschwindigkeit (Bohannon und Andrews 2011; Perry et al. 2010) zwischen Stehen und langsamen Gehen (2,5 km/h) und schnellem Gehen (5 km/h) variiert.

Als dritter Faktor wurde die Wortlänge auf zwei Stufen (kurz: 5–6 Buchstaben und lang: 11–12 Buchstaben) variiert. Die kürzeren Wörter liegen innerhalb der Wortlängen, die innerhalb einer Fixation sicher erfassbar sein müssten, während die längeren Worte zu mehreren benötigten Fixationen führen könnten.

Um eine ökonomische, für die Versuchsteilnehmer zumutbare Versuchsdurchführung bei gleichzeitiger Maximierung der Erkenntnisse zu ermöglichen, wurden nicht sämtliche Faktorstufen vollständig miteinander kombiniert. Ein vollständiger dreifaktorieller Versuchsplan wurde mit jeweils zwei Faktorstufen der drei Variablen durchgeführt, hierzu wurden die Darbietungsdauern 0,01 und 0,05 s ausgewählt, sowie das Stehen und das Gehen bei 5 km/h und die beiden Wortlängen kurz und lang.

Für die verbleibenden Faktorstufenkombinationen der Gehgeschwindigkeit und der Darbietungsdauer wurden lediglich kurze Wörter verwendet. Die drei Faktorstufen der Darbietungszeit (0,005, 0,02 und 0,1 s) wurden lediglich unter den Gehgeschwindigkeiten 0 und 5 km/h dargeboten, während das langsame Gehen (2,5 km/h) nur für die Darbietungsdauern 0,01 und 0,05 s miteinbezogen wurde.

Um Sequenzeffekte zu vermeiden, wurde die Reihenfolge der Versuchsbedingungen zwischen den Versuchspersonen anhand eines lateinischen Quadrates permutiert (Bortz 1993).

In Experiment 2 wurden als unabhängige Variablen die Faktoren Gehen und Wortlänge variiert. Es wurden die Gehgeschwindigkeiten 0; 2,5 und 5 km/h verwendet. Die Wortlänge wurde auf den beiden Stufen kurz und lang variiert.

2.5 Abhängige Variablen

Als abhängige Variable wurde die Schriftgröße verwendet. Bei Experiment 1 wurde dazu aus den Ergebnissen des Staircasesverfahrens für jede einzelne Bedingung die psychometrische Übergangsfunktion berechnet. Sie kann durch die PSE (Point of subjective Equality) und die JND (Just Noticable Difference) beschrieben werden. Dabei ist die PSE ein Schätzwert für die Stimulusgröße, bei der 50 % der Reize richtig erkannt werden. Dieses Maß der zentralen Tendenz entspricht gewissermaßen dem Mittelwert und legt den absoluten Grenzwert für erkennbare Stimuli fest. Die JND ist ein Dispersionsmaß, das der Standardabweichung proportional ist. Mit Hilfe von PSE und JND können die Erkennungsraten 25 % bzw. 75 % ermittelt werden. Die Größe der JND ist ein Maß für die Streuung der psychometrischen Funktion und kann interpretiert werden als ein Maß für die Unsicherheit der Erkennbarkeit der Schriftgrößen.

In Experiment 2 wurde ebenfalls die Schriftgröße als abhängige Variable verwendet, Um den individuellen Wert zu berechnen, wurde der Mittelwert aus den 4 durchgeführten Größenbestimmungen gebildet und der jeweiligen Versuchsbedingung zugeordnet.

Um eine Vergleichbarkeit der Schriftgrößen herzustellen, wurde der am Auge entstehende Sehwinkel für den Großbuchstaben H (Versalhöhe) verwendet. Dazu wurde mit Hilfe des während der Messungen kontrollierten und aufgezeichneten Abstandes des Auges zu der Darstellungsebene und der erhobenen nominellen Gesamthöhe der Schrift für jede Versuchsperson individuelle Sehwinkel in Winkelminuten [′] errechnet. Da die Sehwinkel sich nicht linear verhalten, wurden sie für die weitere Auswertung auf der Basis 10 logarithmiert. Die erhaltenen logarithmierten Sehwinkel wurden ausgewertet und analysiert.

2.6 Apparatus

Für die Versuchsdurchführung beider Experimente wurde ein Smartphone Nexus 5 (D821, LG Inc.) verwendet. Die Wörter wurden in schwarzer Schrift auf hellem Grund dargestellt, Kontrast und Umgebungsbeleuchtung werden nach DIN EN ISO 8596 (2009) für optische Untersuchungen gestaltet.

Die Versuchsbedingung Gehen wurde mit Hilfe eines Laufbands (siehe Abb. 1) umgesetzt. Die Gehgeschwindigkeit von 2,5 bzw. 5 km/h wurde durch das Laufband vorgegeben.

Abb. 1 Fig. 1
figure 1

Versuchsumgebung mit Laufband und Infrarotkameras

Test environment including treadmill and IR-cameras

Abb. 2 Fig. 2
figure 2

Versuchsteilnehmer bei der Durchführung des Versuches, Brille sowie Smartphone sind mit IR-Markern ausgestattet, deren Position mit Hilfe der Kameras in Echtzeit erfasst wird

Participant equipped with glasses and smartphone; IR-markers were attached to smartphone and glasses to facilitate real-time position logging and distance control

Um die Einhaltung des individuellen Mindestabstandes zwischen Auge und Eingabegerät zu kontrollieren, wurden mit Hilfe eines Vicon-Bonita Infrarot-Bewegungsmesssystems die Bewegungen der Versuchspersonen aufgenommen. Das System verfügt über 6 Kameras.

Um die Position des Kopfes sowie des Smartphones bestimmen zu können, wurden eine Brille sowie das Smartphone mit IR-Markern ausgestattet und die jeweiligen Positionen mit einem VICON-Nexus-System aufgenommen (siehe Abb. 2). Der momentane Abstand wurde in Echtzeit berechnet und der Mindestabstand zwischen Auge und Smartphone so überwacht.

Für Experiment 1 wurde eine App entwickelt, die es erlaubt, vordefinierte Wortlisten darzustellen. Dabei kann entweder die Darstellungszeit oder die Darstellungsgröße konstant gehalten werden, während der andere Faktor mittels eines doppelten Staircase-Verfahrens variiert. Pro Versuchsbedingung wurden mit jedem Versuchsteilnehmer 2 Staircase-Verfahren durchgeführt, jedes Staircase-Verfahren war auf 50 Wörter begrenzt, meist wurden jeweils etwa 40 Wörter benötigt, um die minimale noch lesbare Schriftgröße zu identifizieren.

Der Teilnehmer erhielt ein Smartphone, auf dem das jeweilige, zu erkennende Wort dargestellt wird. Das Smartphone des Testleiters zeigt das zu lesende Wort sowie Buttons zur Beurteilung, ob das Wort richtig oder falsch wiedergegeben wurde.

Für Experiment 2 wurde eine App entwickelt, in der einzelne Wörter dargestellt werden, deren Größe variabel mittels eines Schiebereglers durch die Versuchsteilnehmer eingestellt werden kann. Dabei ist die Übersetzung des Schiebereglers so angelegt, dass eine feinfühlige Anpassung der Schriftgröße möglich ist. Nachdem der Versuchsteilnehmer die Schriftgröße so eingestellt hatte, dass sie für ihn noch gut lesbar war, konnte er mittels eines Bestätigungsbuttons den Vorgang beenden und danach sofort mit der nächsten Eingabe beginnen. Die zu Beginn dargebotene Schriftgröße alternierte dabei zwischen größeren und kleineren Größen.

2.7 Auswertung

Die Verteilungen aller Versuchsvariablen wurden mit Hilfe eines Kolmogorov-Smirnov-Anpassungstests auf Normalverteilung überprüft. Sämtliche Daten waren normalverteilt. Für drei- und mehrstufige Faktoren wurde Tests auf Sphärizität mit Hilfe des Mauchly-Tests durchgeführt, bei dem sich keine signifikanten Abweichungen fanden. Es wurden MANOVAs mit Messwiederholungen auf allen Faktoren durchgeführt. Bei signifikanten Ergebnissen wurden für mindestens 3‑fach gestufte Faktoren paarweise Vergleiche mit Bonferroni-Korrektur durchgeführt. Es wurde ein Signifikanzniveau von α = 0,05 gewählt. Die statistische Auswertung erfolgte unter Zuhilfenahme des Statistik-Programmes SPSS PASW Statistics 17.0.

Zusätzlich zu der Auswertung der Mittelwerte der gefundenen Werte wurde eine Analyse der 98. Perzentile der der Schriftgrößen durchgeführt. Diese Werte wurden ermittelt, indem zu den jeweiligen Mittelwerten die zweifache Standardabweichung addiert wurde. Bei derart ermittelten Werten wird berücksichtigt, dass die Mittelwerte einen Wert für die Schriftgrößen ergeben, der für 50 % der Teilnehmer lesbar (bzw. präferiert) wurde, während dies bei der Verwendung des 98. Perzentils für 98 % der Teilnehmer gilt. Daher ist es wichtig, diesen Wert ebenfalls zu betrachten.

3 Ergebnis

Im Folgenden werden die Ergebnisse der durchgeführten statistischen Tests wiedergegeben. Als Maß für die abhängige Variable Schriftgröße wird dabei der logarithmierte Sehwinkel in Winkelminuten der nominellen Schriftgröße angegeben. Um die Ergebnisse leichter vergleichbar zu gestalten, werden die folgenden Ausführungen mit absoluten Schriftgrößenangaben in mm ergänzt. Dabei handelt es sich um Umrechnungen der logarithmierten Sehwinkel in resultierende Versalhöhen der Schriftart Arial für eine Leseentfernung von 450 mm. Diese werde im Folgenden als VH450 bezeichnet. Zusätzlich wird der Größenunterschied der Versalhöhe in Prozent in Bezug auf die kleinere Schriftgröße angegeben.

3.1 Experiment 1

Das gewählte Versuchsdesign bedingt spezifische Auswertungen in Bezug auf die drei Versuchsfaktoren (Darbietungsdauer, Gehgeschwindigkeit und Wortlänge). Im Folgenden wird in den Abschnitten auf jeweils eine der Versuchsfaktoren fokussiert. Da die Interaktionen mit jeweils beiden anderen Faktoren jedoch kontrolliert werden, werden diese auch in die durchgeführten Varianzanalysen miteinbezogen und deren Ergebnisse werden ebenfalls verkürzt berichtet.

3.1.1 Gehgeschwindigkeit

Die Gehgeschwindigkeit wurde auf den drei Stufen 0; 2,5; und 5 km/h variiert und mit den Darbietungsdauern 0,01 und 0,05 s kombiniert. Das Ergebnis der Messungen unter den einzelnen Bedingungskombinationen wird in Tab. 1 wiedergegeben.

Tab. 1 Table 1 Gehgeschwindigkeit: Mittelwerte und Standardabweichungen von PSE und JND der Sehwinkel in logWalking speed: Mean and standard deviation of PSE and JND

Die Grafik in Abb. 3 verdeutlicht den Verlauf der PSE unter den verschiedenen Faktorstufen von Gehgeschwindigkeit und Darbietungsdauer.

Abb. 3 Fig. 3
figure 3

Mittelwerte ± 1 Standardfehler der PSE für die Gehgeschwindigkeit

Mean ± 1 standard error of PSE for walking speed

Die Gehgeschwindigkeit hatte einen hochsignifikanten Einfluss (F(1,19) = 109,33; p < 0,01; η2 = 0,852) auf die PSE. Die Mittelwerte für die einzelnen Gehgeschwindigkeiten lagen bei Mstehen = 1,078 (VH450 = 1,09 mm); M2,5 = 1,184 (VH450 = 1,39 mm) und M5 = 1,245 (VH450 = 1,61 mm). Damit kann die Hypothese H1 angenommen werden. Die anschließend durchgeführten paarweisen Vergleiche mit Bonferroni-Korrektur zeigten signifikante Unterschiede für alle drei Bedingungsstufen (jeweils p < 0,01). Der geringste Wert für die PSE wurde somit für das Stehen gefunden, für das langsame Gehen lag der Wert um 0,108 (VH450;diff = 0,30 mm; 27,6 %) höher, der Vergleich von Stehen und schnellem Gehen erbrachte einen Unterschied von 0,169 (VH450;diff = 0,51 mm; 46,9 %). Der Unterschied zwischen langsamen und schnellen Gehen lag mit 0,61 (VH450;diff = 0,21 mm; 15,1 %) deutlich geringer als der Unterschied zwischen Stehen und langsamen Gehen.

Der hochsignifikante Einfluss der Darbietungsdauer wird im folgenden Kapitel dezidiert beschrieben.

Es wurde keine Interaktion zwischen den Faktoren gefunden (F(1,19) = 4,928; p = 0,391; η2 = 0,209).

Die Gehgeschwindigkeit zeigte keinen signifikanten Einfluss auf die JND (F(1,19) = 1,920; p = 0,182). Eine Interaktion war nicht feststellbar (F(1,19) = 0,555; p = 0,465).

3.1.2 Darbietungsdauer

Die Darbietungsdauer wurde auf den 5 Stufen (0,005 s; 0,01 s; 0,02 s; 0,05 s; 0,1 s) untersucht, als 2. Faktor wurde die Gehgeschwindigkeit auf den beiden Stufen 0 und 5 km/h variiert. In Tab. 2 werden die erhaltenen Mittelwerte und Standardabweichungen der PSE und der JND im Einzelnen aufgelistet.

Tab. 2 Table 2 Darbietungsdauer: Mittelwerte und Standardabweichungen von PSE und JND der Sehwinkel in logPresentation time: Mean and standard deviation of PSE and JND

Abb. 4 stellt die Werte für die PSE anschaulich dar.

Abb. 4 Fig. 4
figure 4

Mittelwerte ± 1 Standardfehler der PSE für die Darbietungsdauer

Mean ± 1 standard error of PSE for presentation time

Die zweifaktorielle MANOVA mit Messwiederholungen ergab hochsignifikante Ergebnisse für die Darbietungsdauer. Es fanden sich Werte von F(4,76) = 26,53; p < 0,01; η2 = 0,583, die errechneten Mittelwerte für die Darbietungsdauern lagen im Einzelnen bei M0,005 = 1,198 (VH450 = 1,44 mm); M0,01 = 1,212 (VH450 = 1,49 mm); M0,02 = 1,152 (VH450 = 1,30 mm); M0,05 = 1,110 (VH450 = 1,18 mm) und M0,1 = 1,134 (VH450 = 1,24 mm). Damit kann die Hypothese H2, die besagt, dass die benötigte Mindestdarstellungsgröße größer wird, je kürzer die Wörter dargeboten werden, angenommen werden.

In den paarweisen Post-Tests mit Bonferroni-Korrektur fanden sich signifikante wie auch nicht-signifikante Unterschiede. Nicht-signifikante Unterschiede fanden sich zwischen den beiden kurzen Darbietungsdauern 0,005 und 0,01 s (p = 1,0) sowie zwischen den beide längsten Darbietungsdauern 0,05 und 0,1 s (p = 0,877) sowie zwischen 0,02 und 0,1 s (p = 0,695). Die mittlere Darbietungsdauer 0,02 s unterschied sich signifikant sowohl von den kürzeren Darbietungsdauern 0,005 s (p < 0,01, Diff.: 0,047′), 0,01 s (p < 0,01, Diff.: 0,060′), als auch von der längeren Darbietungsdauer 0,05 s (p < 0,01, Diff.: 0,042′). Weitere signifikante Unterschiede fanden sich zwischen den längeren Darbietungsdauern und den kürzeren Darbietungsdauern (0,1 s vs. 0,005 s: p < 0,05, Diff.: 0,064′; 0,1 s vs. 0,01 s: p < 0,01, Diff.: 0,077′; 0,05 s vs. 0,005 s: p < 0,01, Diff.: 0,088′; 0,05 s vs. 0,01 s: p < 0,01, Diff.: 0,102′). Die benötigte Schriftgröße fällt mit der Darbietungsdauer, der Unterschied zwischen den kurzen Darbietungsdauern beträgt VH450;diff = 0,14 mm oder 10 % (0,005 s vs. 0,01 s) bzw. VH450;diff = 0,1 mm oder 12,9 % (0,01 s vs. 0,01 s). Der größte Unterschied findet sich zwischen der kurzen Darbietungsdauer 0,01 s und den langen Darbietungsdauern 0,05 s, mit einem Wert von VH450;diff = 0,31 mm oder 20,9 %. Die Differenz zwischen der mittleren Darbietungsdauer 0,02 s und der langen Darbietungsdauer 0,05 s beträgt VH450;diff = 0,12 mm oder 9,2 % und liegt damit in derselben Größenordnung wie der Unterschied zwischen den kurzen und den mittleren Darbietungsdauern.

Die Varianzanalyse ergab für die Gehgeschwindigkeit einen signifikanten Einfluss, dezidierte Ergebnisse werden weiter unten berichtet.

Eine Interaktion zwischen den Versuchsfaktoren wurde beobachtet (F(4,76) = 27,561; p < 0,01; η2 = 0,592). Es zeigte sich eine hybride Interaktion, die sich lediglich auf die längste Darbietungsdauer von 0,5 s bezog. Für die anderen Darbietungsdauern war die Interaktion ordinal und somit der Haupteffekt interpretierbar. Während im Stehen die PSE mit steigender Darbietungsdauer sinkt, ist dieser Effekt im Gehen nur schwach zu bemerken. Insbesondere der beobachtete Effekt, dass bei der längsten Darbietungsdauer im Gehen eine höhere PSE benötigt wurde als bei der nächstkürzeren Darbietungsdauer ist bemerkenswert. Im Ganzen ist der Effekt der sinkenden PSE bei steigender Darbietungsdauer im Stehen deutlicher ausgeprägt als im Gehen.

Für die JND konnte weder für die Darbietungsdauer (F(4,76) = 2,021; p = 0,171), noch für die Gehgeschwindigkeit (F(4,76) = 0,048; p = 0,828) ein signifikanter Einfluss gefunden werden.

3.1.3 Wortlänge

In einer dreifaktoriellen (2 * 2 * 2) MANOVA mit Messwiederholungen wurde der Einfluss der Wortlänge (kurz/lang) in Zusammenhang mit der Darbietungsdauer (0,01 und 0,05 s) sowie der Gehgeschwindigkeit (0 und 5 km/h) analysiert.

In der folgenden Tab. 3 sind die Mittelwerte und Standardabweichungen der in der abhängigen Variablen PSE und JND gemessenen Werte dargestellt.

Tab. 3 Table 3 Wortlänge: Mittelwerte und Standardabweichungen von PSE und JND der Sehwinkel in logNumber of letters: Mean and standard deviation of PSE and JND

Die Grafik in Abb. 5 dient der Veranschaulichung der gefundenen Werte.

Abb. 5 Fig. 5
figure 5

Mittelwerte ± 1 Standardfehler der PSE für die Wortlänge

Mean ± 1 standard error of PSE for word length

Die varianzanalytische Auswertung ergab einen hochsignifikanten Effekt der Wortlänge (F(4,76) = 17,4; p < 0,01; η2 = 0,478). Somit kann die Hypothese H3 angenommen werden. Die teilweise hochsignifikanten Einflüsse der anderen beiden Faktoren sind weiter oben angegeben.

Die Überprüfung der Interaktion zwischen den Faktoren ergab weder für die Interaktion 1. noch für die Interaktion 2. Ordnung signifikante Effekte.

Für die Wortlänge ergab sich ebenfalls ein hochsignifikanter Einfluss: während bei kurzen Wörtern eine PSE von 1,161 (VH450 = 1,32 mm) gefunden wurde, ergab sich bei längeren Wörtern mit 1,212 (VH450 = 1,49 mm) eine um 0,052 (VH450;dIff = 0,16 mm; 12 %) höhere PSE.

Die varianzanalytische Auswertung der JND ergab keinen signifikanten Einfluss für Gehgeschwindigkeit (s. oben) und Wortlänge (F(1,19) = 0,943; p = 0,344).

3.2 Präferierte Schriftgröße

Die von den Teilnehmern unter verschiedenen Stufen der Bedingungen Gehgeschwindigkeit und Wortlänge angegebenen Schriftgrößen wurden aufgezeichnet. Für jede Versuchsperson wurde für jede Versuchsbedingung ein individueller Mittelwert gebildet. Mittelwerte und Standardabweichungen der gefundenen Werte sind in der folgenden Tab. 4 vorgestellt.

Tab. 4 Table 4 Mittelwerte und Standardabweichungen der präferierten Schriftgröße in logMean and standard deviation of preferred letter size

Abb. 6 dient der Veranschaulichung dieser Werte.

Abb. 6 Fig. 6
figure 6

Mittelwerte ± 1 Standardfehler der präferierten Schriftgröße

Mean ± 1 standard error of preferred letter size

Die varianzanalytische Auswertung ergab einen signifikanten Einfluss der Gehgeschwindigkeit (F(2,38) = 24,963; p < 0,01; η2 = 0,568) mit Mstehen = 1,236 (VH450 = 1,58 mm); M2,5 = 1,280 (VH450 = 1,75 mm) und M5 = 1,318 (VH450 = 1,91 mm). Die anschließend durchgeführten paarweisen Vergleiche mit Bonferroni-Korrektur ergaben hochsignifikante Unterschiede zwischen allen drei Bedingungen (jeweils p < 0,01). Somit lag die präferierte Schriftgröße im schnellen Gehen am höchsten, sie war um 0,036 (VH450;diff = 0,16 mm; 9,1 %) höher als die für das langsame Gehen und um 0,8 (VH450;diff = 0,33 mm; 20,1 %) höher als im Stehen. Dies bestätigt die Hypothese H4, die damit angenommen werden kann.

Die Wortlänge zeigte ebenfalls einen signifikanten Einfluss (F(2,38) = 4,476; p < 0,05; η2 = 0,191). Für kurze Worte wurde eine präferierte Wortlänge von 1,284 (VH450 = 1,71 mm) gemessen, für lange Worte lag dieser Wert bei 1,271 (VH450 = 1,76 mm). Somit war die präferierte Schriftgröße bei langen Wörtern etwas kleiner als bei kurzen Wörtern (VH450;diff = 0,05 mm; 3,0 %). Somit kann die Hypothese H5 angenommen werden.

Zwischen den beiden untersuchten Faktoren wurde keine Interaktion festgestellt (F(2,38) = 3,00; p = 0,61).

3.2.1 Vergleich gemessener Werte und präferierter Schriftgrößen

Die höchsten gemessenen Schriftgrößen in dem Experiment zur Darbietungsdauer fanden sich für die kurze Darbietungsdauer von 0,01 s. Im Folgenden werden diese mit den Schriftgrößen verglichen, die die Versuchspersonen bevorzugten. In der folgenden Tab. 5 sind die Werte aus früher vorgestellten Daten zusammengefasst dargestellt.

Tab. 5 Table 5 Präferierte Schriftgrößen im Vergleich zu gemessenen Werten in log sowie die resultierende Versalhöhe für einen Leseabstand von 450 mmMean, standard deviation and letter size in mm (reading distance 450 mm) for threshold and preferred size

Obwohl es bei der Angabe der präferierten Schriftgröße keine Beschränkung der Darbietungsdauer gab, liegt die mittlere Schriftgröße über der früher gemessenen Schriftgröße.

Eine varianzanalytische Auswertung mit dem Faktor gemessene/präferierte Schriftgröße ergab einen signifikanten Unterschied zwischen den Größen (F(2,38) = 5,626; p < 0,05; η2 = 0,228). Die präferierten Schriftgrößen (gemessen: 1,215; VH450 = 1,50 mm; präferiert: 1,284; VH450 = 1,76 mm) waren im Durchschnitt 0,069 (VH450;diff = 0,26 mm; 17 %) höher als die gemessenen Werte.

Die präferierte Schriftgröße lag unter sämtlichen Versuchsbedingungen über den gemessenen Werten, sie war im Stehen um 29,6 %, im langsamen Gehen um 13,7 % und im schnellen Gehen um 9,0 % höher als die gemessenen Werte. Mit der Gehgeschwindigkeit nahmen die Unterschiede zwischen gemessener und präferierter Schriftgröße ab.

3.2.2 98. Perzentil der gemessenen Werte und der präferierten Schriftgrößen

Als Maß für eine empfehlenswerte Schriftgröße, die die Anforderungen der meisten Anwender berücksichtigt, wird im Folgenden das 98. Perzentil (P98) verwendet. Es wird mit Hilfe der gefundenen Mittelwerte (M) und Standardabweichungen (SD) nach der folgenden Formel errechnet:

$$P_{98}=M+2SD$$

Die errechneten Werte für das 98. Perzentil sowie deren Umrechnung in die Versalhöhe in 45 cm Leseentfernung sind Tab. 6 zu entnehmen. Dabei wird sich auf die Werte aus dem vorherigen Kapitel bezogen.

Tab. 6 Table 6 98. Perzentile der gemessenen und präferierten Werte in log sowie die resultierende Versalhöhe für einen Leseabstand von 450 mm98. percentile and letter size in mm (reading distance 450 mm) for threshold and preferred size

Als ideale Lesebedingungen können die Bedingungskombination von Stehen, längster Darbietungsdauer und kurzen Wörtern gesehen werden. Hierfür fand sich der geringste Wert für die PSE. Der zugehörige P98 für diese Versuchsbedingung lag bei 1,15766 mit einer VH450 = 1,31 mm.

Die präferierten Schriftgrößen lagen bei allen Versuchsbedingungen deutlich über den gemessenen Werten. Die präferierte Schriftgröße war im Stehen um 46,0 %, im langsamen Gehen um 36,4 % und im schnellen Gehen um 17,0 % höher als die gemessenen Werte. Die höchste Differenz fand sich im Stehen, die geringste beim schnellen Gehen.

4 Diskussion

Mittels der vorliegenden Untersuchung konnte gezeigt werden, dass bei der Nutzung von mobilen Geräten sowohl das Gehen, die Darbietungsdauer von Worten als auch die Wortlänge einen Einfluss auf die Schriftgröße haben, die benötigt wird, um die Worte sicher erfassen zu können. Dabei wurde sich beschränkt auf Wörter, die innerhalb eines „Blickes“ erfassbar sind. Die Darbietungszeiten wurden aufgrund von Vorstudien sowie von eigenen Voruntersuchungen ausgewählt. Sie lagen teilweise unter denen von üblichen Fixationen (Inhoff und Rayner 1996). Dies ist darauf zurückzuführen, dass lediglich übliche und vertraute Wörter, in nicht vorhersehbarer Reihenfolge, verwendet worden sind, sowie auf Nacheffekte bei der visuellen Aufnahme (Smith 1996). Sie sind vergleichbar mit Darbietungsdauern, die in Studien zur Lesegeschwindigkeit verwendet werden (z. B. Yu et al. 2010).

Die Wortlänge der dargestellten Wörter beeinflusste die mittlere benötigte Darbietungsdauer. Längere Wörter benötigten eine 12 % größere Schriftgröße als kürzere Wörter. Dieser Unterschied in der Schriftgröße entsprach etwa der halben Visusstufe eines Sehtests nach DIN EN ISO 8596 (2009).

Die zeitliche Dauer der Einblendung (Darbietungsdauer) der Wörter hatte einen starken Einfluss auf die mittlere benötigte Wortgröße. Aufgrund der Ergebnisse lassen sich die Darbietungszeiten grob in kürzere (0,005 s; 0,01 s), mittlere (0,02) und längere (0,05 s; 0,1 s) unterteilen. Zwischen den beiden kürzeren bzw. zwischen den beiden längeren Darbietungsdauern lassen sich keine signifikanten Unterschiede feststellen, so dass sie für die weitere Diskussion zusammengefasst werden. Längere Anzeigedauern benötigten eine geringere mittlere Schriftgröße als mittlere und kürzere Darbietungsdauern. Dabei betrug der Unterschied zwischen den kürzeren und den längeren Dauern etwa eine Visusstufe, d. h. die Schrift musste um 20 % vergrößert werden, um bei kurzen Anzeigendauern genauso gut lesbar zu sein, wie bei längeren. Für die mittlere Dauer halbiert sich diese Differenz in etwa. Diese Ergebnisse sind in Einklang mit den Resultaten von Yu et al. (2007), die ebenfalls einen Effekt der Buchstabengröße auf die Lesegeschwindigkeit belegten.

Auch die Gehgeschwindigkeit übte einen Einfluss auf die benötige Schriftgröße aus. Zwischen dem Stehen und dem schnellen Gehen (5 km/h) fand sich eine Differenz für die Schriftgröße von etwa 1,7 Visusstufen. Um ein vergleichbares Resultat zu erzeugen, musste die Schrift im Gehen um 47 % größer angezeigt werden als im Stehen. Eine ebenfalls signifikante Differenz von etwas über einer Visusstufe (ca. 28 %) fand sich zwischen Stehen und langsamem Gehen, sowie etwa eine halbe Visusstufe (ca. 15 %) zwischen langsamem und schnellem Gehen. Die Differenz zwischen langsamem und schnellem Gehen war somit etwa halb so groß wie zwischen Stehen und langsamem Gehen. Diese Ergebnisse können teilweise zurückgeführt werden auf die Verringerung der Sehschärfe durch Effekte der dynamischen Sehschärfe beim Gehen (Miller und Ludvigh 1962). Nach Conradi und Alexander (2014) fanden sich Sehschärfeverluste bei einem Sehtest beim Gehen von etwa einer Visusstufe. Die in der vorliegenden Untersuchung gefundenen größeren Werte müssen zurückgeführt werden auf sich unterscheidende Versuchsfaktoren, wie die verschiedenen Stimuli. Während in der früheren Untersuchung einzelne Landoltringe als Stimulus verwendet wurden, waren in der vorliegenden Untersuchung ganze Wörter zu erkennen. Der größere Unterschied könnte mit der komplexeren Aufgabe, ein ganzes Wort zu erfassen, zusammenhängen. Auch könnte die begrenzte Darbietungsdauer den Einfluss des Gehens auf das Erkennen von Wörtern stärker beeinflusst haben.

Die Schriftgröße, die sich die Teilnehmer frei auswählen konnten, liegt für alle Versuchsbedingungen deutlich über den in dem Versuch gemessenen Werten. Im Mittel waren die präferierten Schriftgrößen etwa 17 % größer als die gemessenen Minimalwerte, dies entspricht etwa 0,7 Visusstufen.

In den bisherigen Betrachtungen wurde als Vergleichsgröße die mittlere PSE verwendet, um Unterschiede zwischen den einzelnen Versuchsbedingungen darzustellen. Um jedoch eine Schriftgröße zu finden, die für einen möglichst großen Anteil der Nutzer gut lesbar ist, müssen Werte verwendet werden, die eine sichere Leserlichkeit für die meisten Nutzer ermöglicht. Dazu wird im Folgenden das 98. Perzentil verwendet. Die angegebenen Schriftgrößen sind Versalhöhen und beziehen sich dabei auf einen Leseabstand von 450 mm. Um eine größere Vergleichbarkeit herzustellen wird zusätzlich analog der DIN EN ISO 9241-303 (2012) Winkel in Winkelminuten [′] angegeben.

Die in der eigenen Untersuchung gemessenen 98. Perzentile für die Versalhöhen lagen bei 2 mm (15,2′) im Stehen, im Gehen wurden 2,3 mm (17,7′; langsam) bzw. 2,8 mm (21,5′; schnell) gefunden. Dies ist in Übereinstimmung mit den DIN EN ISO 9241-303 (2012) und DIN EN ISO 15008 (2009). Diese empfehlen als Mindestzeichenhöhe 16′ und fordern, dass auch 20′ (DIN EN ISO 15008 2009) bzw. 20–22′ (DIN EN ISO 9241-303 2012) darstellbar sein müssen. Auch die Mindestzeichenhöhe von 10′ für ideale Lesebedingungen (optische Anzeigen, die der Darstellung auf Papier nahekommen, DIN EN ISO 9241-303 2012) konnten bestätigt werden. In derjenigen Bedingung, die der idealen Bedingung am nächsten kommt (Stehen, lange Darbietungszeit, kurze Wörter) fand sich ein Wert für das 98. Perzentil von 10,0′ (1,31 mm). Die präferierten Werte der eigenen Untersuchung übertreffen diese Werte jedoch, insbesondere für das zügige Gehen, für das eine Schriftgröße von 3,3 mm (25,1′) gefunden wurde. Dieser Wert liegt jedoch noch innerhalb des Bereiches, der in der DGUV Information 215-410 (2015) gefordert wird und bei einer Höhe der Buchstaben von 22–31′ liegt. Die dort angegebene Faustformel (Zeichenhöhe = Sehabstand/155) ergibt eine Versalhöhe von 2,9 mm in 450 mm Leseentfernung. Dies entspricht der präferierten Größe im Stehen bzw. der gemessenen Größe im schnellen Gehen. Das Handbuch der Ergonomie (Schmidtke, 2007) empfiehlt für eine Leseentfernung von 450 mm eine Schriftgröße von ca. 2,3 mm, für Kurzzeitdarbietungen oder Schwingungseinwirkungen etwa 3,3 mm. Diese Angaben entsprechen den eigenen Untersuchungen für das Stehen bzw. das Gehen. Nach DIN EN ISO 9241-303 (2012) sollten die Mindestschriftgrößen bei 10′ liegen, dies entspricht den kleinsten in der eigenen Untersuchung gefunden Werten.

In der eigenen Untersuchung fanden sich für das 98. Perzentil deutliche Unterschiede zwischen gemessenen und präferierten Werten. Die präferierten Werte waren im Stehen um 46 % größer, im langsamen Gehen um 36,4 % und im schnellen Gehen um 17 %. Der Unterschied sinkt also mit steigender Gehgeschwindigkeit. Somit ist die Unzufriedenheit bei der Darbietung gerade noch leserlicher Schriften im Stehen am höchsten. Dieser Unterschied mag in der sehr geringen Schriftgröße begründet liegen, die im Stehen noch leserlich ist. Die Diskrepanz zwischen präferierter und gemessener minimaler Schriftgröße sollte beim Design von GUIs berücksichtigt werde, indem eher größere Schriftgrößen als die gerade noch lesbaren Mindestschriftgrößen angeboten werden.

Limitierungen der Übertragbarkeit der gefunden Werte ergeben sich aus der relativ geringen Teilnehmerzahl sowie der Alterspanne (18–41 Jahre) der Teilnehmer. Die Teilnehmer wurden so ausgewählt, dass keine Einflüsse von altersbedingten Einschränkungen des Sehens zu erwarten waren, um diesen Effekt aus den Ergebnissen auszuschließen. Daher müssen die gefundenen Ergebnisse in weiteren Untersuchungen mit größeren Teilnehmergruppen und einer durchmischteren Altersstruktur auf die Übertragbarkeit auf weitere Altersklassen überprüft werden.

Weiterhin ist zu beachten, dass die Teilnehmer während der Untersuchung vollständig auf die Versuchsaufgaben konzentriert waren. Hingegen ist bei der Nutzung von mobilen IT-Geräten im Gehen zu erwarten, dass die Nutzer sich in einer Umgebung befinden, die der Aufmerksamkeit bedarf. Daher müssen die erhaltenen Ergebnisse in weiteren Untersuchungen, in denen die Aufmerksamkeit der Nutzer nicht auf dem Smartphone, sondern auf der Umgebung liegt, gegengeprüft werden.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass dem Einfluss des Gehens auf die dynamische Sehschärfe durch die Verwendung von angepassten Schriftgrößen wirksam entgegengewirkt werden kann. Die Ergebnisse sollten bei der Entwicklung von Smartphone-Interfaces, die während des Gehens verwendet werden, berücksichtigt werden. Für die Interaktion im Gehen sind deutlichgrößere Schriftarten vorzusehen, als für die Interaktion im Stehen.