1 Einleitung

Die Wirkungspotenziale von Haustürwahlkampf in Deutschland können bisher noch als deutlich untererforscht gelten. Podschuweit und Geise (2015) führten eine Untersuchung von Wahlkampfmanager*innen durch, die in den Landesparteizentralen von Thüringen den dortigen Landtagswahlwahlkampf 2014 koordiniert haben. Mit Rückgriff auf Lazarsfeld et al. (1960 [1944]) zeigen die Autor*innen auf, dass bereits in der vorgenannten Untersuchung, die im Jahr 1940 durchgeführt wurde, die Rolle der interpersonalen Kommunikation im Wahlkampf als eine herausgehobene betrachtet werden kann (Podschuweit und Geise 2015, S. 400). Ihr Fazit lautet, dass sich Haustürwahlkämpfe, „[u]ngeachtet der heutigen Möglichkeiten einer personalisierten Wähleransprache […] nach wie vor unspezifisch an ganze Wählersegmente oder -Gruppen [richten], wobei die Generierung einer möglichst hohen Reichweite einseitig vermittelter Botschaften im Vordergrund steht“ (Podschuweit und Geise 2015, S. 420).

Die Rolle der sozialen Medien, das muss anerkannt werden, hat seit Publikation der Untersuchung von Podschuweit und Geise (2015) deutlich zugenommen (siehe bspw. Stier et al. 2021; Wurthmann und Marschall 2022; Schüler et al. 2021). Digitale scheinen analoge Wahlkampfmittel zur Steigerung von Reichweite, wenn nicht abgelöst, so doch zumindest teilweise kompensiert zu haben. Hier ist an Facebook-Ads (Wurthmann und Marschall 2022), Influencer*innen-Marketing (Duckwitz 2023) und E‑Mail-Ansprache (Haller et al. 2023) zu denken. Dennoch sind die Potenziale persönlicher Gespräche aufsuchenden Charakters in Wahlkämpfen mitnichten zu unterschätzen. Gerade die Corona-Pandemie hat eine Form sozialer Isolation generiert, die vorher nicht zu erahnen war. Die Relevanz des persönlichen Kontaktes aus Sicht der Wahlkämpfer*innen müsste daher in dieser Phase deutlich zugenommen haben, auch im Wahlkampf. Zugleich hat die Digitalisierung auch diesen partisan-centered campaigns (Kruschinski und Haller 2018, S. 296) erheblichen Vorschub verschaffen können, arbeiten Parteien nun mit Tür-zu-Tür-Apps, Mobilisierungsplanern und Milieudaten, die eine zielgerichtetere Ansprache im Haustürwahlkampf ermöglichen.

Vor diesem Hintergrund erscheint es vielversprechend, die Landtagswahl im Saarland 2022 und den ihr vorausgegangenen Wahlkampf näher zu untersuchen. Mit dem Wahltermin am 27. März fand der Landtagswahlkampf nach einem weiteren ‚Corona-Winter‘, in dem persönliche Kontakte eingeschränkt waren, statt. Der Haustürwahlkampf brachte damit einen Teil dieses persönlichen Kontaktes zurück, wenn auch noch mit Maske und Abstand. Zudem lassen sich mit Blick auf den besonderen Charakter des Saarlandes günstige Rahmenbedingungen für Haustürwahlkampf konstatieren. Saarländer*innen messen dem interpersonalen Kontakt traditionell eine hohe Bedeutung bei. Für das Saarland lässt sich damit ein hohes Maß an SozialkapitalFootnote 1 annehmen (u. a. auch sichtbar anhand des vergleichsweise hohen Organisationsgrads der Parteien, siehe Niedermayer 2022). Die weitgehend dörfliche Prägung des kleinsten Flächenlandes führt auf der Mikroebene zum überspitzten, aber doch nicht ganz von der Hand zu weisenden Vorurteil, jede*r kenne hier jede*n. Mindestens lässt sich daraus das tief in der saarländischen Kultur verankerte „Vitamin B“ ableiten, demnach sich in der Regel eine Person im eigenen Umfeld findet, die in bestimmten Situationen helfen kann und will. Für die Berechtigung der Annahme eines hohen Sozialkapitals im Saarland lässt sich auf der Makroebene angesichts neuester Zahlen ein weiteres Indiz finden, wonach das Saarland im bundesweiten Vergleich die höchste Vereinsdichte mit elf Vereinen pro 1000 Einwohner*innen aufweist (Schubert et al. 2023, S. 9 f.). Während also im Saarland günstige Rahmenbedingungen für erfolgreichen Haustürwahlkampf gegeben sind, lässt das Landtagswahlergebnis 2022 der siegreichen Saar-SPD, die seither die einzige Alleinregierung in den deutschen Ländern stellt, den Schluss zu, dass diese im Zuge des Wahlkampfes die Wähler*innenschaft im Gegensatz zu ihrer direkten und einzigen wirklichen Konkurrenz, der CDU, erfolgreich mobilisieren und von sich überzeugen konnte. Das Parteiensystem des Saarlandes ist schließlich gekennzeichnet durch starke wechselseitige Dominanzphasen von SPD und CDU sowie der kontinuierlich eher schwachen Performanz aller anderen Parteien, die sich in diesem Bundesland nie dauerhaft etablieren konnten (siehe für einen umfassenden Überblick zum Parteiensystem des Saarlandes: Jun und Minas 2023). Nicht nur aufgrund der Forschungsrelevanz, die das vorliegende Thema genießt, sondern auch aufgrund dessen, dass die Sozialdemokraten im Saarland 2022 die absolute Mehrheit errungen haben, fokussiert dieser Beitrag auf die SPD.

Angenommen wird, dass der Haustürwahlkampf stimmenmaximierende Wirkungen hatte. Dass die Wirkungen nur ‚angenommen‘ werden können, liegt am Forschungsdesign dieser Studie, in deren Rahmen lediglich Daten für die Wahlkämpfer*innen, nicht aber für die Wähler*innen erhoben werden konnten. Ausgehend von den Wirkungspotenzialen von Wahlkampfkommunikation aus wahlsoziologischer Perspektive (Abschn. 2.1) werden im Folgenden Erläuterungen zur psychologischen Relevanz von Wertschätzung sowie zu Potenzialen interpersonaler Kommunikation beleuchtet (Abschn. 2.2), um Haustürwahlkampf konzeptionell zu rahmen. Mit zehn Akteur*innen (Spitzenpolitiker*innen sowie neuen Landtagsabgeordneten und Wahlstrateg*innen der SPD) wurden leitfadengestützte Interviews geführt (siehe Abschn. 3). Ziel ist dabei zu ermitteln, wie Haustürwahlkampf geführt wurde, welche Strategien und Taktiken die Akteur*innen im Haustürwahlkampf verfolgten und welche Mittel zur Mobilisierung und Persuasion sie als erfolgreich betrachteten. Genuines Forschungsanliegen dieses Beitrags ist dabei keine Theorieentwicklung, sondern eine überwiegend deskriptiv-analytische Darstellung zur operativen Durchführung eines Haustürwahlkampfes selbst. Die vorliegende Untersuchung soll damit einen Beitrag zur Frage leisten, wie Haustürwahlkampf operativ durchgeführt wird und welche Wirkfaktoren kandidat*innenseitig berücksichtigt werden, auch mit Blick auf die Frage nach kürzeren oder längeren Gesprächen an den Haustüren und den ihnen zugeschriebenen Wirkpotenzialen. Die Perspektive der Praktiker*innen ist zwar mit Blick auf die Effekte von Haustürwahlkämpfen auf die Wähler*innen limitiert, kann aber einen Beitrag zur tatsächlichen Durchführung von Haustürwahlkämpfen leisten, aufbauend auf den Untersuchungen, die Podschuweit und Geise (2015) beziehungsweise Geise und Podschuweit (2019) durchgeführt haben.

Leitende Forschungsfragen sind dabei:

1

Wie wurde der Haustürwahlkampf strategisch vorbereitet, auch mit Blick auf datengestützten Wahlkampf?

2

Welche Potenziale werden dem Haustürwahlkampf vonseiten der handelnden Akteur*innen auf die Steigerung des eigenen Wahlergebnisses zugewiesen?

2 Haustürwahlkampf als Wahlkampfinstrument

2.1 Wirkungspotenziale von Wahlkampfkommunikation aus wahlsoziologischer Perspektive

Haustürwahlkampf definiert sich durch die Kombination aus der direkten zwischenmenschlichen Begegnung auf Augenhöhe zwischen Wähler*innen und Repräsentant*innen von Parteien und dem aufsuchenden Charakter, der durch andere Wahlkampfmethoden in diesem hohen Maß kaum gewährleistet werden kann. Dass soziale Interaktionen eine hohe Mobilisierungs- und Überzeugungskraft entfalten können, zeigten bereits die Erkenntnisse von Lazarsfeld et al. (1960 [1944]) sowie Berelson et al. (1986 [1954]), die den mikrosoziologischen Ansatz der Wahlforschung begründen. Grundlegend für diesen Ansatz ist die Annahme: „[…] a person thinks, politically, as he [or she, Anm. d. A.] is, socially. Social characteristics determine political preference“ (Lazarsfeld et al. 1960 [1944], S. 27). Demnach entwickeln Personen, die sich in einer gleichen sozialen Lage befinden, ähnliche Bedürfnisse und Interessen und verhalten sich daher ähnlich zueinander hinsichtlich ihrer Wahlentscheidung (Lazarsfeld et al. 1960 [1944], S. 148 f.; Foladare 1968). Als homo sociologicus (Dahrendorf 2006) – das Menschenbild, dem dieser Ansatz folgt – entwickeln Menschen die Einstellungen, die das Wahlverhalten maßgeblich bestimmen, nicht aus sich selbst heraus, sondern vor allem durch soziale Interaktionen mit anderen Menschen, sodass politische Präferenzen der Familie, des Freund*innenkreises, der Nachbarschaft oder aus der Arbeitswelt möglichst adaptiert werden (Schoen, 2014, S. 172f; siehe hierzu auch: Campbell und Cooper 1956, S. 148 f.; Foladare 1968). „Auch wenn sie sich nur gelegentlich und beiläufig über Politik unterhalten, entwickeln folglich Mitglieder einer Gruppe im Laufe der Zeit ähnliche Attitüden und Parteipräferenzen“ (Schoen 2014, S. 173; siehe hierzu auch: Berelson et al. 1986 [1954]). Der Zusammenhang zwischen der Wahlentscheidung und der Zugehörigkeit zu sozialen Gruppen, also die entscheidende Rolle persönlicher Kontakte bei der Bestimmung der Wahlentscheidung, deuten darauf hin, dass diese eher ein Prozess des Gruppenzusammenhalts als des individuellen Handelns ist (Antunes 2010, S. 149). Die maßgebliche Determinante dieses Prozesses ist Vertrauen. Personen übernehmen Einstellungen eher von anderen Personen, wenn sie ihnen etwas bedeuten bzw. sie ihnen vertrauen. Demnach ist eher zu erwarten, dass politische Einstellungen von Familienmitgliedern, Freund*innen und gegebenenfalls Nachbar*innen übernommen werden als von Fremden oder flüchtigen Bekannten (Schoen 2014, S. 173; siehe hierzu auch: Berelson et al. 1986 [1954]). Besonders zugänglich für äußere Einflüsse sind Personen, die in einem heterogenen Umfeld leben oder im Verlauf ihres Lebens, beispielsweise durch einen Umzug oder Arbeitsplatzwechsel, in ein neues soziales Umfeld gelangen, also durch sozio-strukturell bedingte, multiple Zugehörigkeiten zu sozio-kulturellen und sozio-ökonomischen Großgruppen sogenannten Cross-Pressures ausgesetzt sind.

Lazarsfeld et al. (1960 [1944], S. 52 ff.) konnten dahingehend zeigen, dass je mehr und je gleichgewichtigere gegensätzliche Einflüsse (cross pressures) auf eine Person einwirken, sowohl das Interesse jener Wähler*innen an der Wahl abnimmt als auch sich deren Entscheidung darüber, welcher Partei sie ihre Stimme letztlich geben, zeitlich verzögert. Jene Personen zeichnet demnach ein vergleichsweise instabiles Stimmverhalten aus und sie gelten als „idealtypische Nicht- und Wechselwähler“ (Schoen 2014, S. 178). Mayer und Schultze (2017, 2018) beobachten dahingehend auch das Auftreten multipler Parteiidentifikationen (siehe zur Interdependenz von Cross-Pressures und Parteiidentifikationen auch: Powell 1976). Sie konstatieren, dass knapp die Hälfte der Personen mit Parteiidentifikation angibt, sich mit zwei oder auch drei Parteien simultan identifizieren zu können (Mayer und Schultze 2017, S. 380). Dieser Effekt der multiplen Parteiidentifikation lässt sich dann auf ein heterogenes soziales Umfeld, also mehrere prägende soziale Gruppen zurückführen, wenn diese Werte und politische Einstellungen betonen, die im Cross-Cutting Cleavage entweder der sozio-ökonomischen oder der sozio-kulturellen Achse (siehe für das deutsche Parteiensystem: Minas et al. 2023; und für das saarländische Parteiensystem: Jun und Minas 2023) zugeordnet werden können, also gerade nicht dem gleichen ideologischen Lager zuzuordnen sind (Mayer und Schultze 2018, S. 12 f.).

Die Entscheidung am Wahltag erfolgt dann anhand der Einschätzung, welcher Problematik eine höhere Dringlichkeit beigemessen wird.

„[I]f cross-pressured voters attach more salience to economic issues they would support the party that most closely represents their economic views, and if they attach more salience to cultural issues they will support the party that best represents their cultural values. Yet different cross-pressured voters are likely to systematically attach more salience to some issues than others, which allows us to generate predictions about the electoral behavior of cross-pressured voters“. (Gidron 2022, S. 148; siehe auch: Lefkofridi et al. 2014)

Für den Haustürwahlkampf ergeben sich aus diesen Erkenntnissen gleich mehrere Implikationen, darunter drei allgemeinere Effekte, die Wahlkampfkommunikation primär erreichen kann: „activation of the indifferent, strengthening the link to the political party, and conversion of the undecided“ (Antunes 2010, S. 148). Ein erstrebenswertes Zwischenziel der Wahlkämpfer*innen an der Haustür ist es, zwischenmenschliches Vertrauen und (Bürger‑)Nähe herzustellen. Die eigene Bekanntheit kann hier nur als eine erste Annäherung an dieses Ziel verstanden werden, sodass Vertrauen darüber hinaus generiert werden kann, indem lokal bekannte und beliebte Persönlichkeiten – die bereits ein Grundvertrauen vor Ort genießen – die Wahlkämpfer*innen auf ihrer Tour begleiten und buchstäblich als Türöffner fungieren. Lohnend ist es zudem nicht nur, solche Gebiete für die Tour aufzusuchen, die sowieso die klassischen Wähler*innenklientele vermuten lassen, sondern explizit auch dorthin zu gehen, wo vermehrt Cross-Pressures und somit Nicht- und Wechselwähler*innen aufzufinden sind. „[…M]ore than anything else people can move other people. […] The side which has the more enthusiastic supporters and which can mobilize grass-root support in an expert way has great chances of success“ (Lazarsfeld et al. 1960 [1944], S. 158). Wie Klein et al. (2019, S. 37ff.) jedoch feststellten, tritt der Effekt der KonversionFootnote 2, also der durch Wahlkampf initiierte Wechsel zwischen Parteipräferenzen bezüglich der Wahlabsicht, nur sehr selten zu Tage (siehe hierzu auch: Antunes 2010, S. 148). Wahlkampf führt demnach eher zu einer Verstärkung der ursprünglichen Wahlabsicht; er kann also bis zu einem gewissen Grad aktivierend wirken. Demnach empfiehlt es sich auch im Sinne dieses Ansatzes auch im Haustürwahlkampf Orte aufzusuchen, die vor allem auf die eigene Wähler*innenklientel, aber auch potenzielle Wechsel- und Nichtwähler*innen schließen lassen.

Nicht vernachlässigt werden dürfen zudem sog. spill-over- bzw. Multiplikatoreffekte, die noch mehr als der Besuch der Kandidat*innen an der Haustür auf der Übertragung von politischen Präferenzen durch Vertrauen beruhen. Wähler*innen, die an ihrer Haustür, durch die direkte Ansprache ein positives Erlebnis mit den Wahlkämpfer*innen erfahren haben, geben dies – explizit oder auch ganz nebenbei – an Familie, Freund*innen, Nachbar*innen und Bekannte weiter und betreiben durch die oben dargelegten Effekte auf ihre eigene Weise Wahlkampf für die Haustürbesucher*innen (siehe dazu weiter Abschn. 2.2).

Nicht zuletzt ist zu erwarten, dass es am persönlichen Erscheinungsbild der wahlkämpfenden Kandidat*innen liegt, wie hoch der Zuspruch an den Haustüren ist, den sie generieren können. Die jüngere Literatur zur kandidat*innenorientierten Wahlverhaltensforschung zeigt dabei, dass die physische Attraktivität von Kandidat*innen deren Wahlausgang positiv beeinflusst (Gaßner et al. 2019). Weiter bestätigt wurden diese Ergebnisse von Masch et al. (2021), die sogar Belege vorlegen konnten, dass ein bloßes Lächeln bei als attraktiv wahrgenommenen Kandidat*innen auf Kampagnenpostern die positive Wirkung der attraktiven Kandidat*innen auf die Wähler*innen und deren Wahlentscheidung nochmals erhöht (Masch et al. 2021, S. 220 f.). Dass weitere Emotionen wiederum verschiedene Wirkungen auf die Wähler*innen haben können, zeigt Masch (2020), die dabei auch auf die Rolle von Geschlechterstereotypen eingeht.

2.2 Forschungsbefunde zur direkten Ansprache im Haustürwahlkampf

Bereits 1927 untersuchte Harold Gosnell, wie sich Mobilisierungsbriefe, die Wähler*innen vor Wahlen zugestellt werden, auf deren Bereitschaft zu wählen auswirken. Der Befund war, dass die Briefe durchaus mobilisierende Effekte hatten (Gosnell 1927). Eldersveld (1956, S. 160) zeigte darauf aufbauend, dass der Kontakt über persönliche Ansprache deutlich größere Effekte auf die Wahlmobilisierung als andere Wahlkampfinstrumente hatte (kritisch zu seinem Beitrag siehe García Bedolla und Michelson 2012, S. 89). Nicht zuletzt zeigen die bereits zitierten Autor*innen Gerber und Green (2017) die Mobilisierungspotenziale der direkten Ansprache vor Wahlen auf. Auch Faas und Hohmann (2015, S. 20) weisen in einer Experimentaluntersuchung Mobilisierungseffekte von Haustürgesprächen nach, wobei weiterhin aussteht, welche Art der Ansprache die mobilisierungsförderlichste ist.

Insgesamt konstatieren García Bedolla und Michelson (2012, S. 92), dass Haustürwahlkämpfe die effektivste Get-Out-The-Vote-Taktik darstellen, weisen aber auch auf logistische Probleme vonseiten der Wahlkämpfer*innen hin. So stehe dem Haustürwahlkampf im Gegensatz zu anderen Mobilisierungstaktiken nur ein gewisses Zeitfenster am Tag zur Verfügung, Menschen an Haustüren zu erreichen (nach der Arbeitszeit mit Blick auf Berufstätige, und generell vor Einbruch der Dunkelheit). Zur Gewährleistung der eigenen Sicherheit geben die Autor*innen zudem an, dass Haustürwahlkämpfer*innen nicht allein, sondern in Teams unterwegs sein sollen, was jedoch weitere Ressourcen bindet (García Bedolla und Michelson 2012, S. 93). Zur generellen Effektivität des Haustürwahlkampfes ermitteln auch Moura und Michelson (2017) über eine Experimentalstudie dessen mobilisierende Wirkung. Auf methodische Limitationen vieler der zu Haustürwahlkämpfen durchgeführten Studien weisen Bhatti et al. (2019) hin, die nichtsdestotrotz insgesamt aus der Literatur positive Effekte des Haustürwahlkampfes (im europäischen Vergleich) auf den Wahlausgang erkennen (Bhatti et al. 2019, S. 285 f.).

Die Wirkungspotenziale direkter Ansprache können in zwei Kategorien dargestellt werden. Die erste Kategorie geht auf die Psychologie von Wertschätzung ein und darauf, was direkte Ansprache leisten kann, wenn sie wertschätzend gestaltet ist. Die zweite Kategorie fokussiert die Psychologie von Groupthink und Multiplikation, also die Weitergabe positiv empfundener Kontakte von Politiker*innen im eigenen sozialen Nahraum. Hier kommt interpersonales Vertrauen ins Spiel, das als Moderatorvariable hinsichtlich der Verstärkung der Wahlentscheidung durch bereits vorhandene Mobilisierungsmaßnahmen betrachtet wird. Dabei gehen die folgenden Abschnitte von fünf Wirkfaktoren interpersonaler Kommunikation aus (Podschuweit und Geise 2015, S. 403 ff..). Zum einen wird postuliert, dass interpersonale Kommunikation weniger zweckorientiert erscheint, glaubwürdiger sei und flexibler gestaltet werden könne als andere Arten der Wahlkampfkommunikation (Podschuweit und Geise 2015, S. 403 ff..). Zum anderen müssen Effekte von Gruppendruck und Multiplikation einbezogen werden, die bei Podschuweit und Geise (2015, S. 405 ff..) in zwei weiteren Punkte zusammengefasst werden: einmal hinsichtlich des möglichen Effekts, dass das Ignorieren von Empfehlungen aus dem sozialen Umfeld soziale Sanktionen nach sich ziehen kann und einmal, vice versa, dass das Anpassen an ebendiese Empfehlungen sozial belohnt werden und identitätsstiftend wirken kann. Die Erläuterung dieser Wirkfaktoren ist für den vorliegenden Beitrag gleichwohl wichtig, auch wenn die Angebotsseite des Wahlkampfes beleuchtet wird.

Zentraler Wirkfaktor bei der Durchführung von Haustürwahlkämpfen, so die Annahme an dieser Stelle, bildet das Aussenden von Wertschätzung durch den aufsuchenden Charakter der Gespräche. In der Arbeits- und Organisationsforschung sind die positiven Effekte von Wertschätzung weithin erforscht (Stocker et al. 2014) und werden im Sinne von contingent reward (siehe bspw. Felfe 2008) sowie individualized consideration (Avolio und Bass 2002) gleich in mehreren Führungsstilen angelegt. Der Wunsch nach Wertschätzung wird dabei als menschliches Grundbedürfnis betrachtet. Das wiederum leitet über zu einer Besprechung der (a) kommunikationspraktischen Schlüsse, die aus diesen Befunden gezogen werden können und (b) zu einer kurzen Analyse, wie Parteien selbst dies in Handlungsanleitungen integrieren.

Ausgehend von diesen Befunden werden im Folgenden zum einen die kommunikationspraktischen Schlüsse, die hieraus gezogen werden können, untersucht. Zum anderen erfolgt eine kurze Analyse, wie Parteien diese Befunde in konkrete Handlungsanleitungen für sich selbst umwandeln.

Das Tür-zu-Tür-Manual der SPD integriert dies beispielsweise nicht, sondern sieht Haustürwahlkampf eher als reines Mobilisierungstool, denn als tatsächliche Dialoginstanz an. Hier folgt Haustürwahlkampf einem quantitativen Paradigma und wird auf Masse angelegt. „Ein Gespräch sollte nicht länger als 3 Minuten [Hervorhebung i. O.] dauern. Weise für ausführliche Diskussionen auf andere Möglichkeiten hin“ (SPD 2020, S. 7), heißt es dort. Allein der kurze Ausdruck von Dank darüber, dass Menschen bei der letzten Wahl überhaupt gewählt haben, zeigt eine Erhöhung der Wahlbeteiligung um mehr als zwei Prozentpunkte (Gerber und Green 2017, S. 429). Es erscheint daher also nur folgerichtig, wenn Parteien in Hochburgen Haustürwahlkampf nutzen wollen, da sie den Haustürwahlkampf vor allem als zur Wähler*innenaktivierung geeignet ansehen. Die Empfehlungen anderer Parteien lauten ähnlich (siehe z. B. Bündnis90/Die Grünen 2021, S. 15 ff..; CSU-Landesleitung 2021, S. 2). Vor allem bei Unentschlossenen, Wechselwähler*innen und Interessierten seien jedoch Ausnahmen von der Regel lohnenswert (Bündnis90/Die Grünen 2021, S. 24).

Damit scheinen sich Parteien immer noch auf die von Lazarsfeld et al. (1960) 1944 erstmals publizierten und von Klein et al. (2019) replizierten Erkenntnisse zu stützen, dass die Hauptwirkung von Wahlkampf im Reinforcement besteht, also in „der Bestätigung einer bereits weit vor dem Wahltag getroffenen Entscheidung“ (Klein et al. 2019, S. 40). Dort wird aber ein Haustürwahlkampf, der nicht quantitativ, sondern qualitativ vorgeht, überhaupt nicht beleuchtet. Ein Haustürwahlkampf, der Bürger*innen ein Zuhören suggeriert, dann aber kurz angebunden und hektisch wirkt, verliert seine Authentizität, bevor er sie aufbauen kann.

Hier ist unter dem Aspekt der Wertschätzung also zu differenzieren, ob Dialogpartner*innen an der Haustür – also die potenziellen Wähler*innen – dankbar für ein kurzes ‚Fresh Up‘ vor der Wahl sind und sich das ausgeteilte Informationsmaterial anderentags in Ruhe durchlesen wollen, oder ob ihnen tatsächlich ein Thema sprichwörtlich unter den Nägeln brennt, dessen Diskussion sie nun erreichen könnten – weil eben die entsprechenden Ansprechpartner*innen just vor der eigenen Haustür stehen. Werden dann Versuche, einen Dialog aufzubauen, vonseiten der Wahlkämpfer*innen geblockt, sind demobilisierende Wirkungen zu erwarten, da Wertschätzung und damit Anerkennung entzogen wird. Geise und Podschuweit (2019, S. 184) konstatieren dazu, dass Parteien den Haustürwahlkampf nicht als echten Dialog, sondern als symbolische Politik verstehen, womit letztlich ein Teil seiner Potenziale ungenutzt bleibt.

Wie Podschuweit und Geise (2015, S. 401) mit Blick auf die Agenda-Setting-Forschung konstatieren, werden in Medien berichtete Themen erst dann wirklich mit Relevanz gefüllt, wenn sie in persönlichen Gesprächen ausgehandelt werden. Zudem gilt: „Kommunikatoren aus dem persönlichen Umfeld erscheinen glaubwürdiger“ (Podschuweit und Geise 2015, S. 403). Aus der Perspektive der Theory of Planned Behavior (Ajzen 2005) kann eine geplante Handlung dann unternommen werden, wenn u. a. das soziale Umfeld diese als erwünscht artikuliert – ein Gedanke, der sich nicht zuletzt bei Lazarsfeld et al. (1960 [1944]) mit Blick auf Wahlverhalten findet. Zugleich zeigt die Literatur, dass politische Informiertheit mit Wahlbeteiligung positiv korreliert (Gralka und Heller 2015, S. 8), was für Wahlkämpfer*innen das Einfallstor bietet, diese Informiertheit direkt und ungefiltert an der Haustür zu erzeugen. Was passiv an Wahlständen erfolgt, findet mit dem Haustürwahlkampf seine aktive Entsprechung mit aufsuchendem Charakter. Weiter können Gerber und Green (2017, S. 425) zeigen, dass eine Mobilisierung über Wahlaufrufe gerade dann wirkt, wenn diese darauf hinweisen, dass die Nachbar*innen der angesprochenen Personen bereits gewählt hätten. Das zeigt zugleich die hohen Potenziale von Groupthink – doch nur für die Beantwortung der Frage danach, ob gewählt wird und nicht, welche Partei gewählt wird (siehe dazu auch den Beitrag von Rogers et al. 2017; sowie die Kritik von Shaw et al. 2022). Hierzu zeigen wiederum Johnston et al. (2012) auf, dass die wiederholte direkte Ansprache die Wahrscheinlichkeit der Wahl einer spezifischen Partei erhöhen kann, betrachten die Effekte von Haustürwahlkampf dabei aber nicht isoliert.

3 Der Haustürwahlkampf der SPD im Saarland 2022

3.1 Der Wahlsieg der SPD im Saarland 2022

Die SPD erzielte bei der saarländischen Landtagswahl im März 2022 mit 43,5 % der Stimmen 29 der 51 Sitze im Landtag und erreichte damit die deutschlandweit einzige absolute Mehrheit in einem Landesparlament. Allgemein werden im Saarland die 51 Abgeordneten in drei Wahlkreisen durch Listenwahl nach reinem Verhältniswahlrecht gewählt. Um wahlberechtigt zu sein, muss man die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, mindestens 18 Jahre alt sein, seit mindestens drei Monaten seinen Hauptwohnsitz im Saarland haben und nicht explizit vom Wahlrecht ausgeschlossen sein (Kollmann 2020, S. 361). Jede*r Wähler*in hat eine einzige Stimme, mit der eine Partei oder Wähler*innengruppe gewählt werden kann, deren Kandidat*innen auf festen Listen aufgestellt sind. Die Parteien oder Wähler*innengruppen haben die Möglichkeit, in jedem der drei Wahlkreise eine Kreisliste einzureichen und/oder eine Landesliste für das gesamte Saarland als Wahlvorschlag vorzulegen. Sie können ihre Kandidat*innen auf den Listen verteilen und die Reihenfolge selbst bestimmen (Kollmann 2020, S. 363 f.). Die Besonderheit des saarländischen Wahlsystems besteht darin, dass die drei Mehrpersonenwahlkreise die rechnerische Umsetzung der Stimmen in Mandate bedingen. Die Sitzverteilung erfolgt nach dem d’Hondtschen Höchstzahlverfahren, basierend auf der Anzahl der abgegebenen Stimmen, sofern mindestens fünf Prozent der Stimmen erreicht wurden. Von den 51 Abgeordneten des Landtags werden 41 über die Wahlkreislisten und zehn über die Landeslisten bestimmt (siehe hierzu auch: Jun und Minas 2023).

Betrachtet man das Wahlergebnis der Landtagswahl 2022 auf der politischen Landkarte genauer, fällt auf, dass diese nicht nur im Gesamtblick auf das ganze Bundesland, sondern sowohl auf Wahlkreis-, als auch auf der Gemeindeebene gänzlich rot gefärbt ist. Das bedeutet, dass die SPD in allen 52 Gemeinden die meisten Stimmen erhielt. Dies ist insofern ein entscheidender Indikator für die hohe Mobilisierungskraft der Saar-SPD, da sie bei der vorangegangenen Wahl 2017 nur in zwei von 52 Gemeinden siegreich war. Darüber hinaus zeigt „[e]in detaillierterer Blick […], dass sie zudem in allen Gemeinden ihren Wähleranteil vergrößern konnte – in 47 davon zweistellig. […] Die CDU hingegen musste in allen Gemeinden Einbußen verzeichnen, wobei sie in 44 davon zweistellig an Prozentpunkten verlor“ (Jun und Minas 2022, S. 536). Doch nicht nur aus regionaler, sondern auch aus sozio-demographischer Perspektive konnte die SPD besser als fünf Jahre zuvor abschneiden und „in allen Wählergruppen Stimmenanteile hinzugewinnen“ (Jun und Minas 2022, S. 541). Ein Blick auf die Wähler*innenwanderung komplettiert das Bild der am stärksten mobilisierenden und überzeugenden Partei an der Saar, da das Wähler*innenstromkonto einen Zustrom vor allem von CDU und Linkspartei verzeichnet (Jun und Minas 2022, S. 541).

Wie der Titel des Beitrags von Jun und Minas (2022) „Der Triumph von Anke Rehlingers SPD“ bereits vermuten lässt, entpuppt sich die Rolle der SPD-Spitzenkandidatin als der Faktor mit der höchsten Erklärungskraft für das Wahlergebnis im Jahr 2022 (Minas 2022). Dies war auch dem Umstand geschuldet, dass in diesem Wahlkampf „kein Thema […] polarisierend eingesetzt werden“ (Jun und Minas 2022, S. 532) konnte. Diese Umstände sollen jedoch keineswegs die Rolle der Parteiorganisation schmälern, schließlich erkannte diese frühzeitig das Potenzial ihrer Anwärterin auf das Ministerpräsident*innenamt und richtete einen hohen Anteil der Wahlkampfstrategie darauf aus, Anke Rehlinger in den Mittelpunkt des Wahlkampfes zu rücken (Minas 2022).

Während die Wahlbevölkerung parteiinterne Unstimmigkeiten in der Konkurrenz, wie beispielsweise bei der Linkspartei (siehe hierzu: Jun und Minas 2022, S. 497 ff..; Minas 2022), teils wahlentscheidend abstrafte, konnte die SPD mit Blick auf das drängendste Problem des Landes – dem anstehenden wirtschaftlichen Strukturwandel – mit genuin sozialdemokratischen Ideen und Kompetenzen punkten. Dieser Faktor wurde zudem noch dadurch verstärkt, dass Rehlinger als damals amtierende Wirtschaftsministerin des Landes sich qua Amt mit diesen Problematiken beschäftigte und die SPD sich daher mit hohen Kompetenzzuschreibungen in den wichtigsten Themenfeldern schmücken konnte (Jun und Minas 2022, S. 509).

Die Saar-SPD ging demnach bereits mit mindestens guten Voraussetzungen in die entscheidende Wahlkampfphase und musste sich nicht scheuen, den Menschen im Haustürwahlkampf direkt zu begegnen, sondern konnte begründeterweise auf einen mehrheitlich warmen Empfang an den Eingangspforten potenzieller Wähler*innen hoffen. Dies gilt es für die weitere Analyse zu berücksichtigen.

3.2 Empirische Analyse: Techniken und Taktiken des Haustürwahlkampfs

3.2.1 Methodischer Ansatz

Die in dieser Untersuchung verwendete Methode qualitativer, leitfadengestützter Interviews sieht sich im Gefolge konstruktivistischer Paradigmen (Johnson et al. 2007). Ausgehend von Berichten von Wahlkampfakteur*innen können damit Innenansichten ihrer jeweils sozial konstruierten Erfahrungen gesammelt und mit Blick auf Übereinstimmungen und Unterschiede verglichen werden. Zur Auswertung der durchgeführten Interviews bedienten sich die Autor*innen einer inhaltlich-strukturierenden Analyse nach Kuckartz (2018), die im Gegensatz zu Mayring (2015) auf die Paraphrasierung der Interviewinhalte und die daraus resultierende Übersetzung in die Sprache der Forschenden verzichtet.

3.2.2 Datenzugang und -akquise

Die Interviewpartner*innen wurden weitgehend über persönliche Kontakte, die aus Expert*innengesprächen in der Vergangenheit entstanden sind, akquiriert, was in diesem Fall den Vorteil bot, auch mit Spitzenpolitiker*innen und Wahlkampf-insider*innen in Kontakt treten zu können. Die insgesamt zehn Interviews wurden zwischen September und November 2022 geführt. Alle Befragten eint, dass sie aktiv Haustürwahlkampf geführt haben. Teilweise haben sie auch Regierungsämter inne, sind aber ‚mindestens‘ gewählte Landtagsabgeordnete oder Wahlkampfstrateg*innen, die den Haustürwahlkampf von Beginn an begleitet und aufgebaut haben. Die Mindestanzahl kontaktierter Haushalte kann nach Schätzungen auf ein Minimum von 300–500 pro Person beziffert werden.

Die Interviewpartner*innen können damit als Expert*innen im Sinne der Durchführung sozialwissenschaftlicher Expert*inneninterviews gelten (Goldberg und Hildebrandt 2020, S. 268). Dabei vermischen sich jedoch Wissen und persönliche Ansichten in den Interviews, was beim Gegenstand der Untersuchung letztlich unvermeidbar ist. Die Differenzierung zwischen Wissen und Ansichten ist dabei genuine Aufgabe der im nächsten Unterkapitel folgenden Interviewanalyse. Auch galt es dabei für die Autor*innen dieses Beitrags, kritische Distanz zu wahren. Wie bereits Helfferich (2009, S. 155) ausführt, kann es in der qualitativen Forschung nicht um Objektivität gehen, „sondern um einen anzustrebenden angemessenen Umgang mit Subjektivität“ (Helfferich 2009, S. 155). Dass die gleichen Fragen je nach Interviewpartner*in völlig anderen Antworten produzieren können, macht die Ergebnisse in der qualitativen Forschung erst brauchbar (siehe dazu auch Helfferich 2009, S. 155). Es liegt dann an den Forschenden, über die Interviewanalyse selbst eine Einordnung in verschiedene thematische Kategorien vorzunehmen. In den Interviews wurde mittels Steuerung, wenn notwendig, der Fokus der einzelnen Fragen bestimmt (siehe auch Helfferich 2009, S. 156). Eine solche Steuerung ist unmittelbar erforderlich, um sich als Interviewende*r eben nicht von den subjektiven Interpretationen einer Frage durch die Interviewpartner*innen vollständig leiten zu lassen, sondern möglichst konstant die Fokussierung auf die gestellten Forschungsfragen (wieder)herzustellen. Zugleich gelten aber auch hier die Ausführungen aus Podschuweit und Geise (2015, S. 409 f.), dass Expert*inneninterviews allein aus dem Grund notwendig waren, da sich die Befragten im zu erforschenden Handlungsfeld selbst befinden und damit deutlich bessere Einblicke in die Empirie ermöglichen lassen als beispielsweise durch Dokumentenanalysen allein (siehe dazu beispielsweise auch das Vorgehen von Jakobs 2021).

3.2.3 Deskriptive Analyse der Interviews und Interpretation der Ergebnisse

Die erste Kategorie, die zur Analyse gebildet wurde, umfasst die Gründe für den Wahlsieg. Die Befragten glauben unisono, dass der Wahlsieg der SPD nicht allein ein Produkt der Mobilisierungsstärke der SPD darstellt, sondern durchaus auch mit der Schwäche der anderen Parteien zusammenhängt. IP 1 (8Footnote 3) nennt dabei „verstärkende Effekte“ auf den eigenen Wahlsieg, die durch die Beschäftigung der CDU mit sich selbst ausgegangen seien und die „bis in die Verästelungen der Partei auch auf der lokalen Ebene spürbar waren“. Das soll jedoch die Eigenmobilisierung der SPD keinesfalls schmälern (IP 1: 9), die auch von den anderen Interviewpartner*innen gestützt wird (IP 2: 4; IP 4: 8; IP 6: 15; IP 9: 4; IP 10: 10). IP 3 (4) berichtet als langjähriges Parteimitglied und Funktionär gar davon, dass er eine solche Mobilisierung „seit 1998 nicht mehr erlebt“ habe.

Die Wichtigkeit des Haustürwahlkampfes wird dabei von den Befragten als durchgehend hoch bis sehr hoch eingeschätzt. Abgefragt auf einer Likert-Skala von 1 (sehr unwichtig) bis 5 (sehr wichtig), gaben alle Befragten mindestens eine 4 als Bewertung an. Gründe dafür lagen auch in der Corona-Pandemie und in der vorher kaum vorhandenen Möglichkeit, mit Menschen persönlich, also von Angesicht zu Angesicht (abseits von sozialen Medien und Zoom-Calls) ins Gespräch zu kommen (IP 1: 13–14; IP 7: 6). Damit deckt sich die Einschätzung der Befragten im Übrigen auch mit den Befunden der Get-Out-The-Vote-Literatur (z. B. García Bedolla und Michelson 2012; Moura und Michelson 2017). Nicht zuletzt seien die Kosten von Online-Formaten beileibe nicht zu unterschätzen; allein für die notwendige Technik, Begleitung und Ausstattung größerer Veranstaltungen werden mehrere tausende Euro fällig, so IP 4 (12). Zudem blieben solche Veranstaltungen meist in der eigenen „Bubble“. „Es bringt ja nix, wenn bei deiner Online-Veranstaltung 200 Genossen zugucken, die sowieso SPD wählen“ (IP 4: 12). Der Effekt, den IP 2 dem Haustürwahlkampf dabei zuschreibt, ist auch derjenige, dass die Wähler*innen den Menschen hinter den Politiker*innen kennenlernen (IP 2: 6), was wiederum Nähe und Vertrauen erzeugen kann.

Das strategische Vorgehen zum Haustürwahlkampf lief unterschiedlich ab. Einige Befragte verweisen auf eine zentrale Organisation (IP 2: 16), andere auf die Zusammenarbeit mit anderen Wahlkämpfer*innen (IP 1: 16), manche nutzten Analysen des Landesverbandes im Vorfeld (IP 7: 17) und wieder andere geben an, selbst diejenigen Personen aus der Partei ausgewählt zu haben, die lokale Bekanntheit in Orts- bzw. Stadtteilen genießen (IP 4: 14). Unterstützung erhielten dabei alle Befragten von der Landesgeschäftsstelle, auf die weiter unten noch eingegangen wird. Elemente des strategischen Vorgehens beinhalten dabei möglichst omnipräsent in allen Gemeindeverbänden des jeweiligen Landtagswahlkreises gewesen zu sein (IP 1: 30), was nicht gleichbedeutend damit ist, wirklich an jeder Tür zu klingeln – das ist schlichtweg nicht machbar, wie auch aus den Interviews hervorgeht. Unterschiede wurden auch bei Einfamilien- und Mehrfamilienhäusern bzw. Hochhäusern gemacht, da die Ansprache bei Letzteren tendenziell schwieriger sei. Dort „habe ich es meistens dann dabei belassen, dass ich dann zu dem gegangen bin, der die Tür geöffnet hat. Und dann beim Rest haben wir dann was eingeworfen und sind wieder gegangen“ (IP 1: 35). IP 2 hat den Haustürwahlkampf vorbereitet, indem sie bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt des Wahlkampfes, „als noch keine Plakate hingen“ (IP 2: 8), Flyer in Briefkästen eingeworfen hat, damit die Wähler*innen bereits ein Bild der Kandidatin vor Augen haben, wenn diese dann zu einem späteren Zeitpunkt des Wahlkampfes mit dem Haustürwahlkampf beginnt.

Der datengestützte Wahlkampf wurde insbesondere durch den Mobilisierungsplaner der SPD angeleitet. Wie die Daten in diesem Planer zustande kommen, ist selbst den Befragten, die damit maßgeblich im Strategiebereich gearbeitet haben, unbekannt, sodass sie sich auf die Kompetenz der Bundesparteizentrale verlassen haben (z. B. IP 6: 27). Material der Partei findet sich dazu kaum; die Autoren dieses Beitrags sind auf eine (offenkundig) schon ältere Kurzanleitung ohne Angaben von Veröffentlichungsdatum und Autor*innen gestoßen, die angibt, dass die detailreichste Ebene im Planer die Straßenabschnittsebene umfasst. Die Daten seien aus vorhergehenden Wahlen, soziodemographischen Daten und Berechnungen durch einen Algorithmus generiert, wenngleich damit wenig transparent ist, welches Datenmaterial tatsächlich eingespeist wurde.Footnote 4 Damit ist zu erwarten, dass der Mobilisierungsplaner maßgeblich die Wahlergebnisse der letzten Wahlen über Wahlbezirke der letzten Bundestagswahlen sowie über die Stimmbezirke der letzten Landtags- und Kommunalwahlen einbezieht. Aus Perspektive des mikrosoziologischen Ansatzes (und mit Blick auf das traditionelle Verständnis von Cross-Pressures) mag dies verlässliche Prognosen ermöglichen, aus Sicht der zunehmenden Personalisierung von Wahlen (siehe z. B. Garzia 2014; sowie Poguntke und Webb 2005) sowie multiplen Parteibindungen ist ein solches Vorgehen jedoch zumindest kritisch zu hinterfragen. Das spiegelt sich auch im Interview von IP 4 wider, der den Mobilisierungsplaner für die letzten Wahlkämpfe als „irgendwie auch nicht wirklich […] zielführend“ beschreibt (IP 4: 22). Ansatzpunkt ist jedenfalls, über diese Ermittlung von Mobilisierungspotenzialen die Ansprache an der Haustür zu erleichtern, da mit dem vermuteten (höheren) Wähler*innenpotenzial für die eigene Partei auch ein vermutetes (höheres) Vertrauen zu Akteur*innen dieser Partei einhergeht (Kruschinski und Haller 2018, S. 301).

Dennoch wurden in der Landesparteizentrale mithilfe der in diesem Planer hinterlegten Mobilisierungs-Indizes Gebiete unterschiedlicher Farbschraffierungen selektiert, die hohes Wähler*innenpotenzial für die SPD vermuten ließen. Die Straßenzüge, die IP 6 dann für die Kandidat*innen und Wahlkämpfer*innen selektiert hat, sind jene mit hohem und eher hohem Mobilisierungsindex, um die Mobilisierungseffekte des Haustürwahlkampfes ebendort auszuschöpfen. Die Kacheln, die ihr dabei in den Straßenzügen angegeben wurden, umfassen ca. 500–1000 Haushalte und sind damit längst nicht so genau wie beispielsweise die oben genannten Sinus-Geo-Milieus, die auf Häuserblockebene skaliert werden können. Jedoch ließ der Mobilisierungsplaner auch den Blick auf das Durchschnittseinkommen oder die Zahl der Rentner*innen in einzelnen Bezirken zu (IP 9: 17). So bot er aus wahlkampfpraktischer Perspektive einen guten Anhaltspunkt zur Orientierung für die Wahlkämpfer*innen, wo mit welchen Mobilisierungs-Potenzialen zu rechnen war. Ob hier der Weg das Ziel sein darf, also die Orientierung an vermutlich nicht allzu verlässlichen und wenig skalierbaren Daten zur Steigerung der Motivation von Wahlkämpfer*innen, ist kritisch zu hinterfragen.

Zugleich gab es auch einen Überzeugungs-Index, den die Wahlkämpfer*innen selbst nach eigenem Gusto nutzen konnten (IP 6: 27). Empfohlen wurde aber, insbesondere kurz vor dem Wahltermin nicht mehr in „die tiefschwarzen […] und konservativen Gebiete rein[zu]gehen“ (IP 6: 70–71), die über den Mobilisierungsplaner zu erkennen waren. Im praktischen Vorgehen bedeutete das für einen Befragten, die Potenzialgebiete in absteigender Reihenfolge zu bearbeiten und „möglichst flächendeckend abzudecken“ (IP 3: 16) bei gleichzeitiger Priorisierung von Hochburgen in einem ersten Schritt (IP 3: 31). Dabei sei für IP 3, der „seit über 30 Jahren Haustürwahlkampf“ (IP 3: 25) macht, das Maß an Professionalität durchaus neu gewesen. Hinsichtlich des Organisationsgrades hat das aber auch einen gewissen Beigeschmack. Zwar sei diese Art der Professionalisierung und des datengestützten Vorgehens durchaus hilfreich, auf der anderen Seite aber auch notwendig geworden, weil der Organisationsgrad stark gesunken sei, genau wie die Zeit, die Parteimitglieder für die Partei einzubringen bereit seien (IP 3: 25).

IP 4 ist diesem Vorgehen ebenfalls gefolgt, hat aber auch diejenigen Gebiete nicht außer Acht gelassen, die einst zu den stärkeren Gebieten für die SPD zählten, in den letzten Jahren aber hinsichtlich der Wahlbeteiligung nachgelassen hätten. In diesen wurde ebenfalls ein Schwerpunkt seines Haustürwahlkampfes gelegt, „in der Hoffnung, dass man da dann die SPD-Wähler, die in der letzten Zeit daheim geblieben sind, da nochmal mobilisiert“ (IP 4: 18). Ähnlich ging auch IP 7 vor, der verstärkt Gebiete aufsuchte, in denen die Wahlergebnisse der SPD „etwas unter dem lagen, was wir normalerweise dort zu erwarten haben“ (IP 7: 18), was sich auch wieder über den Mobilisierungsplaner, aber letztlich ganz klassisch über Daten aus vorangegangenen Wahlen über die Wahlleiter bzw. Kommunen und Städte erschließen lässt. Taktische Überlegungen des Wahlkampfes bestanden dabei auch darin, sich sprachlich an verschiedene Milieus anzupassen. Auf die Verwendung von Dialekt wurde in Gebieten mit höherem Wohlstandsniveau tendenziell verzichtet, wohingegen in alten Arbeiter*innenmilieus, in denen die Haustür ohnehin bereits mit einer Begrüßung im Dialekt geöffnet wurde, kandidat*innenseitig auch in den Dialekt ‚geswitcht‘ wurde (IP 4: 20). Ein solches Vorgehen empfiehlt sich durchaus mit Blick auf die unterschiedliche Sprachverwendung verschiedener sozialer Milieus (siehe z. B. Hempelmann und Flaig 2019; die dies für die Sinus-Milieus zumindest kursorisch besprechen).

Die Frage nach der Mobilisierung versus Überzeugung, wenn man diese beiden Pole so öffnen möchte, ist in ihrer Priorisierung durchaus kandidat*innenabhängig. IP 1 (34) weist darauf hin, dass sie lieber an Orten Wahlkampf macht, an denen der Widerspruch zu den eigenen Positionen tendenziell gering ist. Das heißt freilich nicht, andere Gebiete zu vernachlässigen, zeigt aber das urmenschliche Bedürfnis auf, nicht primär dort Gespräche zu führen, wo Kritik an der eigenen Parteipolitik häufig geäußert wird. IP 4 (22) hingegen präsentiert eine anderslautende Meinung und zeigt auf, dass der Mobilisierungsplaner seiner Meinung nach in den letzten Wahlkämpfen nicht zielführend gewesen sei; er sei eher erfahrungsgestützt vorgegangen (siehe dazu auch IP 10: 22). Oberstes Anliegen war für IP 4, immer jemanden in seinem Haustürwahlkampfteam zu haben, der oder die eine persönliche Verbundenheit und persönliche Bekanntheit zum jeweiligen Orts- bzw. Stadtteil hat (IP 4: 22). Nicht zuletzt gibt auch IP 5 (28) an, dass es ihm wichtig gewesen sei, „die PS jetzt auf die Straße [zu] kriegen“. Die Auseinandersetzung mit den entsprechenden Details aus dem Mobilisierungsplaner seien dabei nachrangig gewesen. Es scheint dabei vor allem die Intransparenz der angezeigten Mobilisierungs- und Überzeugungspotenziale, gepaart mit den eigenen persönlichen Kenntnissen und Erfahrungen über Wahlbezirke gewesen zu sein, die das tatsächliche Vorgehen im Haustürwahlkampf angeleitet haben (siehe bspw. IP 1: 34; IP 2: 36; IP 8: 16; IP 9: 17).

Unisono schreiben die Befragten dem Haustürwahlkampf eine große Wirkung zu, was sie insbesondere auf den aufsuchenden Charakter dieses Wahlkampfinstrumentes zurückführen (IP 2: 38; IP 3: 14). Dabei ginge es vor allem darum, für ein Thema auch zu „brennen“. „Und wenn ich von etwas überzeugt bin, dann kann ich auch andere überzeugen. Überreden ist immer das Schlimmste, aber wenn man wirklich für etwas brennt, dann kann man das so vermitteln, dass andere dafür brennen. Das merkt man“ (IP 5: 54). Sicherlich lag diese Wirkungszuschreibung auch an der hohen Zahl kontaktierter Haustüren, die die Befragten regelmäßig im unteren vierstelligen Bereich verorten (IP 1: 40; IP 3: 22; IP 4: 24–26; IP 6: 35; IP 8: 17; IP 9: 27). Insgesamt sei dabei das Ziel, mit allen Wahlkämpfer*innen 90.000 Haushalte zu erreichen, geschafft worden (IP 6: 37). Was die Länge der Gespräche angeht, so seien die Empfehlungen, drei Minuten an Haustüren zu sprechen, hinsichtlich der Mobilisierung von Wähler*innen durchaus gangbar (IP 6: 41). Jedoch müsse immer situativ entschieden werden, auch mit Blick auf positive (und negative) Multiplikatoreffekte, mit welchen Wähler*innen auch längere Gespräche geführt werden müssten (IP 4: 28; IP 5: 42; IP 2: 20; IP 7: 32). Die Inhalte der Gespräche hatten dabei sowohl die Bewerbung der Wahlkämpfer*innen selbst zum Thema (IP 5: 42) als auch außerpolitische Themen (IP 10: 34) sowie nicht zuletzt auch den Versuch, anhand des ersten Eindrucks vom Wähler bzw. der Wählerin an der Haustür gezielt politische Themen anzusprechen, die für das Gegenüber möglicherweise von Belang sein könnten (IP 2: 12).

Die tatsächlichen Effekte des Haustürwahlkampfes zu überprüfen, ist hingegen nicht geleistet worden. Nachwahlbefragungen mit besonderem Blick auf den Haustürwahlkampf sowie gezielte Analysen dazu wurden nicht durchgeführt. In den Interviews nachgefragt, berichteten die Befragten lediglich anekdotisch über die Effekte des Haustürwahlkampfes (IP 6: 45). Zu erkennen war zumindest in lokal durchgeführten Kreiswahlanalysen, wo die Mobilisierung gut gelungen sei und wo nicht (IP 1: 47). Dabei regt sich für die Befragten zumindest der Verdacht, dass dort – bei entsprechender Durchführung von Haustürwahlkampf – ein Effekt von ebendiesem erzielt wurde. Freilich können es aber auch andere Gründe gewesen sein, wie der schon genannte Personeneffekt durch Anke Rehlinger, der Menschen unabhängig vom Haustürwahlkampf zur Wahl motiviert hat oder noch vorhandene, starke Parteiidentifikation. Insgesamt aber, so muss hier konstatiert werden, kann über die tatsächliche Wirkung des Haustürwahlkampfes auf Basis der vorliegenden Interviewdaten keine Aussage getroffen werden.

4 Diskussion

„Trotz der im saarländischen Wahlrecht festgelegten Listenwahl lässt sich ein entscheidender Personenfaktor feststellen, der das Wahlmotiv vieler Saarländer*innen maßgeblich prägte [Übersetzung d. A.]“ (Minas 2022). Die Effekte, die der Stimmungsumschwung zugunsten der SPD in den Wochen und Monaten vor dem Wahltermin auf die Wahlentscheidung der Wähler*innen hatte, sind sicherlich nicht zu unterschätzen. Zugleich fand der Haustürwahlkampf maßgeblich in der Phase statt, in der ebenjener Stimmungsumschwung bereits konsolidiert war. Ob der Haustürwahlkampf damit unabhängige Variable oder moderierende Variable zur Wahlentscheidung war, lässt sich auf Basis der vorliegenden Daten nicht ermitteln. Jedenfalls ist den Dokumentationen der hauptamtlich bei der SPD beschäftigten Akteur*innen zu entnehmen, dass ca. 90.000 Haushalte und damit circa ein Fünftel aller saarländischen Haushalte durch die SPD an den Haustüren aufgesucht wurden. Das lässt zumindest die begründete Vermutung zu, dass der Haustürwahlkampf der Saar SPD einen Mobilisierungseffekt hatte, wenngleich bei dieser Einschätzung Vorsicht angebracht ist. Mit Blick auf die Erkenntnisse der Get-Out-The-Vote-Forschung (z. B. García Bedolla und Michelson 2012; Moura und Michelson 2017) ist das Vorhandensein eines solchen Effekts anzunehmen, doch ist es nicht möglich – vor allem nicht mit den hier erhobenen Daten – seine Größe zu spezifizieren. Hinsichtlich der hohen Zahl an Briefwähler*innen ist hier zudem hervorzuheben, dass der Haustürwahlkampf der SPD bereits vor dem frühestmöglichen Briefwahltermin begonnen hatte (IP 4: 38); auch sind Mobilisierungseffekte mittels der vorliegenden qualitativen Studie nicht nachzuweisen, jedoch plausibel anzunehmen. Um diese Annahme zu sichern, bedürfte es weiterer, quantitativer und wähler*innenseitiger Untersuchungen.

Es stellt sich zudem weiterhin die Frage nach Überzeugungseffekten des Haustürwahlkampfes im Speziellen. Wie von einigen Befragten berichtet, konnte die SPD auch bei Wähler*innen ‚punkten‘, die laut Mobilisierungsplanern und laut Eigenaussagen ebendieser Wähler*innen bisher nicht zur Wähler*innenschaft der SPD gehörten. Ob der Haustürwahlkampf dafür ursächlich war oder nicht, ist nicht zu ermitteln. Wohl aber ist zu erwarten, dass er auch auf diese Wähler*innen einen mobilisierenden, also wahlentscheidungsverstärkenden Effekt hatte (Klein et al. 2019, S. 37ff.).

Auf Basis der bisher geführten Interviews kommen die Autoren dieses Beitrags zum Schluss, dass der Haustürwahlkampf eine deutlich größere Rolle in der Wahlforschung einnehmen sollte, insbesondere hinsichtlich datengestützter Mobilisierungstools. Wie sich in den Interviews herausgestellt hat, war zwar ‚Parteilinie‘, dass der Mobilisierungsplaner der SPD genutzt wird; dieser setzte sich aber nicht konsequent in der operativen Haustürwahlkampfphase bei allen Wahlkämpfer*innen durch. Grund dafür mag zum einen die Intransparenz der aus dem Mobilisierungsplaner entwickelten Mobilisierungskarten sowie deren Skalierung sein, andererseits aber auch die Einschätzung einiger Interviewpartner*innen, dass sie selbst die Wähler*innenschaft vor Ort doch kennen. Diese Einschätzung mag vielleicht für ländlich geprägte Regionen wie das Saarland (halbwegs) zutreffend sein, in Ballungszentren ist davon jedoch nicht auszugehen. Dahingehend müssten vergleichende Studien in weiteren ländlichen sowie darüber hinaus in städtischen Regionen/Ballungszentren durchgeführt werden.

Für die Forschung zum datengestützten Haustürwahlkampf gilt es dabei weiter zu untersuchen, wie die von den Parteien entwickelten Mobilisierungsplaner ihre Mobilisierungsindizes entwickeln und welche Reliabilität sowie Validität diesen Tools zugemessen werden kann. Für die Parteiorganisationsforschung hingegen hat sich erneut der Befund bekräftigt, dass Parteien nicht als hierarchische Systeme begriffen werden können, in denen von den parties in central office getroffene Strategieentscheidungen durch die party on the ground auch umgesetzt werden. Die „lose verkoppelte Anarchie“ als Modell der Parteiorganisation sollte hierbei berücksichtigt werden (siehe dazu grundlegend Weick 1976; für Parteien dann Wiesendahl 1984; sowie prominent Lösche und Walter 1992).

Die Aussagen der Interviewpartner*innen zu den Wirkungszuschreibungen lassen sich zumindest als Indiz für ein Postulat der der Berater*innen des US-Demokraten Bernie Sanders Bond und Exley lesen: „Direct Mail doesn’t have much of an effect. As it turns out, when you look at the actual campaign results, the gold standard for moving voters in elections is a volunteer having a conversation with a voter on the doorstep or on the telephone“ (Bond und Exley 2016, S. xiv), wobei die Autor*innen dieses Beitrags das freilich auf die Haustürgespräche eingrenzen würden, auch mit Blick darauf, dass der Telefon-Wahlkampf in Deutschland wohl bis auf Einzelfälle nicht genutzt wird.Footnote 5 Neben der bereits angesprochenen Wähler*innenumfrage zur Ermittlung der Effekte von Haustürwahlkämpfen auf das Wahlergebnis lässt sich dabei auch an Experimentaldesigns im Vorfeld künftiger Wahlen denken (siehe dazu bspw. Bhatti et al. 2019), um die Mobilisierungseffekte des Haustürwahlkampfes zu untersuchen.

Aufschlussreich ist auch der Blick auf die Umsetzung der zentralen Thesen verschiedener Erklärungsansätze des Wahlverhaltens durch die Wahlkämpfer*innen, wenngleich diese Umsetzung sicherlich nicht im expliziten Wissen um ebenjene geschah. Die sozialräumliche Verortung von Wähler*innenklientelen mit den angenommenen Multiplikator- und Mobilisierungseffekten entsprechen klar dem Ansatz von Lazarsfeld et al. (1960 [1944]). Der daraufhin durchgeführte Haustürwahlkampf, der insbesondere zur Bekanntheitssteigerung der Kandidat*innen und Themen dienen sollte, wurzelt wiederum im Ansatz von Campbell et al. (1980). Die Rolle der Parteiidentifikation, insbesondere mit Blick auf die Wechselwähler*innen, bleibt damit weiterhin diskutabel (siehe dazu auch die neueren Erkenntnisse von Mayer 2017; Mayer und Schultze 2017). Ausgangspunkt der Mobilisierungsplaner hingegen ist die angenommene (!) Parteiidentifikation, wobei hier die Limitation vorliegt, dass diese nur über vergangene Wahlergebnisse auf der Aggregatebene ermittelt wurde. Ein ökologischer Fehlschluss ist damit nicht auszuschließen (siehe dazu Löffler 2022, S. 201). Ob nun implizit oder ganz bewusst haben die Wahlkämpfer*innen der SPD im saarländischen Haustürwahlkampf zumindest einige Grundkonstanten der politikwissenschaftlichen Wahlforschung berücksichtigt. Ein Modell oder gar eine Theorie des Haustürwahlkampfes lässt sich daraus jedoch nicht bilden.

Dieser Beitrag ist insgesamt nicht frei von Beschränkungen: Den Autoren ist bewusst, dass mit der spezifischen Auswahl von Akteur*innen der SPD ein Vergleich zu anderen Parteien genauso wenig möglich ist wie die Erzeugung von Repräsentativität (selbst hinsichtlich der SPD selbst). Die akteur*innenseitige ‚Messung‘ muss weiter flankiert werden von einer quantitativen Untersuchung, die wähler*innenseitig aufgebaut ist. Mit Blick auf Verzerrungen durch Rückerinnerungseffekte kann dies zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mehr erfolgen, sondern frühestens zu einer nächsten Wahl, zu der der Haustürwahlkampf elementares Instrument ist, durchgeführt werden. Wohl aber hat die vorliegende Untersuchung gezeigt, dass Haustürwahlkampf in solch großem und organisiertem Maßstab durchgeführt wurde, dass er hinsichtlich seiner Relevanz für die Wahlkämpfer*innen selbst mindestens auf einem Niveau mit anderen Wahlkampfinstrumenten wie Plakatkampagnen, TV-Duellen und sozialen Medien genannt werden muss – und dass er hier offensichtlich keinen reinen Symbolcharakter hatte, sondern dialogorientierte Gespräche ermöglichte. Dass bisher keine Untersuchungen zu den direkten Effekten des Haustürwahlkampfes in Deutschland stattgefunden haben, bleibt ein eklatantes Forschungsdesiderat. Dieser Beitrag kann hierzu als – auch empirischer – Aufschlag betrachtet werden, sich einem Forschungsfeld anzunähern, das in der Literatur nur geringe Zuwendung erfährt. Dabei kann in einem ersten Schritt die akteur*innenseitige Beschäftigung mit dem Thema in einem qualitativen Forschungsdesign auf andere Parteien im Landtagswahlkampf 2022 ausgeweitet werden, um einen Vergleich zu ermöglichen, der wiederum oben genannte weiterführende wähler*innenseitige Untersuchungen anleitet.

5 Fazit

Ausgehend von den eingangs gestellten Forschungsfragen sind abschließend folgende Erkenntnisse zu nennen: Der Haustürwahlkampf der Saar-SPD wurde maßgeblich von der Landesparteizentrale gesteuert (siehe dazu das Interview mit IP 6) und mithilfe des Mobilisierungsplaners der SPD zentralisiert geplant. Dieser nutzt unter anderem Daten vergangener Wahlen und ermittelt daraus Potenzialgebiete für den Haustürwahlkampf, wobei nach Mobilisierungs- und Überzeugungspotenzialen differenziert wird. Diese Daten erfahren die Beschränkung, lediglich ein äußerst grobes Raster hinsichtlich der Skalierung von Haushalten zu bieten, ökologische Fehlschlüsse damit nicht gänzlich zu vermeiden und zugleich ein Problem der Nichtnachvollziehbarkeit bei der Entwicklung der Mobilisierungs- und Überzeugungsindizes aufzuwerfen. Weiter kann konstatiert werden, dass die Akzeptanz dieses Planers nicht durchweg bei den Wahlkämpfer*innen vorhanden war. In Teilen nutzen die Interviewpartner*innen in der Planung und Durchführung ihres Haustürwahlkampfes eigene Erfahrungen, Ortskenntnisse und nicht zuletzt das sprichwörtliche Bauchgefühl, also Intuition. Damit zeigt sich abermals, dass hierarchische Anordnungen bzw. Beschlüsse von Parteigliederungen nicht auf alle Ebenen der Partei durchdringen müssen, sondern sich die lose verkoppelte Anarchie sporadisch bildet und genauso sporadisch auch wieder einem zentralisierten Vorgehen weichen kann.

Die Potenziale des Haustürwahlkampfes wurden unisono als (sehr) hoch eingeschätzt. Dabei haben sich die Befragten weitgehend an Vorschläge gehalten, Haustürgespräche kurz zu halten, um die ihnen zugeschriebene wahlentscheidungsverstärkende, mobilisierende Wirkung zu entfalten, blieben darauf aber nicht beschränkt. Wo es sich situativ anbot, wurden auch längere Gespräche mit dem Ziel der Überzeugung bzw. der Konversion geführt. Aus den Interviews konnte nicht ermittelt werden, dass die Spitzenkandidatin durchweg im Mittelpunkt stand, was auch zu erwarten war, da einige der befragten Interviewpartner*innen für ihren eigenen (teilweise erstmaligen) Einzug in den saarländischen Landtag kämpften. Zumindest mit Blick auf die Selbstberichte der Interviewpartner*innen durchbrachen die Akteur*innen den Symbolcharakter des Haustürwahlkampfes, den Geise und Podschuweit (2019, S. 184) ermittelt haben. Weitere Untersuchungen zur Konversion bzw. Reaktivierung von Wähler*innen (aber auch zur Mobilisierung) sollten dabei vor allem wähler*innenseitig und mit einem quantitativen Design durchgeführt werden. Insbesondere die teils anekdotischen Berichte der Befragten zu ehemaligen Stamm- und jetzigen Wechselwähler*innen, sind mit Blick auf die darin wirkenden Kausalmechanismen in Verbindung mit Haustürwahlkämpfen zu untersuchen. Auch die Frage nach den konkreten Mitteln und Mechanismen von Mobilisierung über Konversion durch Argumentation und Persuasion gilt es genauer zu betrachten. Hier kann sich die politikwissenschaftliche Wahlforschung bei Befunden aus der Persuasionsforschung bedienen, die verschiedene Hebel der Überzeugung ermittelt hat (siehe dazu bspw. Schönbach 2022; Young 2016).

Ziel der SPD war im vorliegenden Fall, 90.000 Haushalte zu erreichen, was nach Auskunft der Interviewpartner*innen auf Basis vorhandener Dokumentationen wohl gelang. Gemessen daran, dass das Saarland lediglich über ca. 475.000 Haushalte verfügt und Multiplikator*inneneffekte zu erwarten sind, ist diese Zahl beträchtlich. Der Haustürwahlkampf wurde als essenzielles Element des Wahlkampfes genutzt und diente dazu, vor allem die ältere Wähler*innenklientel zu erreichen. Mit Blick auf die Wahlbeteiligung in verschiedenen Altersgruppen bei Wahlen war es wahltaktisch sinnvoll, nicht nur Menschen in den jungen Altersgruppen zu fokussieren, sondern auch die älteren, ‚wahltreueren‘ Wähler*innen über einen Kanal anzusprechen, der zielgruppenadäquat ist.

Haustürwahlkampf als (Forschungs‑)Gegenstand ist weiterhin sowohl für die Wahlkampfforschung als auch -praxis von hoher Relevanz. Deshalb sollten dieser Studie weitere Analysen folgen, wobei insbesondere auf die Wirkungspotenziale von Haustüransprachen fokussiert werden sollte.

Dass der Haustürwahlkampf weiterhin in seiner operativen Durchführung als untererforscht gelten muss, ist eine eklatante Lücke in der politikwissenschaftlichen Wahlkampfforschung. Allein die strategischen Elemente zu datengestütztem Haustürwahlkampf zu untersuchen, stellt mit Perspektive darauf, welche Tools in der Wahlkampfpraxis tatsächlich eingesetzt werden, einen überhöhten Blick auf wahlkampfstrategischen Anspruch versus wahlkampftaktische Wirklichkeit dar. Zudem ist in weiteren Untersuchungen der Schulterschluss zur Psychologie zu suchen, um noch stärker zu den Effekten von Wertschätzung, dem Aufbau interpersonalen Vertrauens und den daraus resultierenden Multiplikatoreffekten vorzudringen. Den Haustürwahlkampf wissenschaftlich zugunsten einer immer stärkeren Beschäftigung mit den sozialen Medien zu vernachlässigen, ist auch mit Blick auf die Wahlanteile älterer Bürger*innen sowie den aufsuchenden Charakter des Haustürwahlkampfes nicht sinnvoll.