Zusammenfassung
Sachsen stand in den vergangenen Jahren immer wieder im Fokus der Öffentlichkeit. Aufmärsche von Neonazis und ‚Wutbürgern‘, Wahlerfolge von NPD und AfD sowie stetige Protestereignisse ließen das Bundesland als eine Hochburg von Ressentiment, Populismus und Demokratieverdruss erscheinen. Dabei zeigen Studien, dass Sachsen innerhalb Ostdeutschlands und Europas keine grundsätzliche Sonderstellung zufällt, gar stärker von regionalen Unterschieden im Inneren geprägt ist. Vor diesem Hintergrund analysiert der Beitrag die Einstellungen zur Demokratie in Sachsen, indem er Zufriedenheit, Vertrauen sowie damit verbundene Wertungen herausarbeitet und mit zentralen Erklärungsfaktoren zusammenbringt. Die Grundlage dafür bilden aktuelle Datenbestände zur politischen Kultur Sachsens, welche im Rahmen des Sachsen Monitors 2021/22 und der CoviSax-Erhebung des Mercator Forums Migration und Demokratie (MIDEM) gewonnen wurden. Dabei zeigen sich die demokratiebezogenen Einstellungen in Sachsen stark von subjektiven Deprivationserfahrungen abhängig – von Gefühlen einer mangelnden politischen Selbstwirksamkeit, eines drohenden sozialen Abstiegs und einer kulturellen Bevormundung, die nicht zuletzt mit biographischen Erfahrungen im Zuge der Transformation begründet werden. Auch der in Sachsen weit verbreitete Wunsch nach einer ‚direktdemokratischen‘ Umgestaltung der bestehenden Ordnung wird von einer damit verbundenen Unzufriedenheit mit bestehenden repräsentativen Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen getragen. Starke Formen ethnozentrischer Selbstbezogenheit, extremistische Orientierungen aber auch sozialräumliche Besonderheiten verstärken bestehende demokratiekritische Tendenzen, wobei nicht etwa die Großstädte mit ihren sozialen Brennpunkten oder die ländlichen Regionen mit ihren stärker durch Religionsgemeinschaften vermittelten Sozialisationen, sondern die sogenannten ‚Mittelzentren‘ sich besonders auffällig zeigen.
Abstract
Saxony has repeatedly been in the public eye in recent years. Marches by neo-Nazis and “angry citizens,” electoral successes of far-right parties like the National Democratic Party (NPD) and Alternative for Germany (AfD), as well as ongoing protest events in the streets, have created the image of a stronghold of resentment, populism, and disillusionment with democracy. However, studies indicate that the state’s political culture is not fundamentally unique compared to other parts of Eastern Germany and Europe but is instead shaped by internal regional differences. Against this backdrop, the paper analyzes political attitudes in Saxony, focusing on satisfaction with democracy, trust in its institutions, as well as related sentiments and opinions. Drawing on recent data obtained from the ‘Saxony Monitor’ in 2021/22 and the Mercator Forum Migration and Democracy (MIDEM) at TU Dresden the paper also identifies key factors to explain these characteristics of the state’s local political culture. We find that negative attitudes towards democracy in Saxony strongly depend on subjective experiences of deprivation—feelings of lacking political efficacy, facing potential social decline, and experiencing cultural domination. These sentiments are partly rooted in biographical experiences during the period of transformation after 1989. The widespread desire for an alternative form of democracy, based on ‘direct democratic’ instruments of participation, is also driven by dissatisfaction with current representative decision-making processes. Strong forms of ethnocentric self-reference, extremist orientations, as well as regional characteristics, reinforce existing tendencies of criticism toward democracy. Interestingly, it is not urban areas with their social hotspots, nor rural regions with their stronger influence of religious communities, that exhibit the most noticeable trends towards mistrust and democratic disenchantment in Saxony, but rather medium-sized towns and smaller cities.
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1 Einleitung: Politische Kultur in Sachsen
Sachsen stand in den letzten Jahren immer wieder im Rampenlicht der Öffentlichkeit. Eine Reihe spektakulärer Ereignisse brachte das Bundesland in die Schlagzeilen. Schon seit den späten 1990er-Jahren war es anlässlich des Gedenkens an die Bombardierung Dresdens im Jahre 1945 alljährlich zu Aufmärschen von Neonazigruppen gekommen. 2004 zog die NPD mit einem Stimmenanteil von beinahe zehn Prozent in den Sächsischen Landtag ein und blieb bis 2014 dort vertreten. Sie wurde dann von der AfD abgelöst, die seitdem bei Wahlen Aufsehen erregende Erfolge verzeichnet. PEGIDA, eine Bewegung, die im Herbst 2014 entstand und Anfang 2015 rund 25.000 Menschen auf den Straßen Dresdens versammelte, gab mit ihrer Bezeichnung „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ ebenfalls Veranlassung, in Sachsen eine Hochburg von Fremdenfeindlichkeit, Rechtsextremismus und Gewalt zu vermuten. Es folgten Ausschreitungen in Heidenau, Freital, Clausnitz und andernorts gegen Flüchtlinge und Erstaufnahmeeinrichtungen. Während der Corona-Pandemie machte Sachsen dann erneut als Hotspot von Unzufriedenheit, Widerstand und Protesten auf sich aufmerksam. In keinem anderen Bundesland trafen während der Pandemie corona-bezogene Verschwörungsmythen auf so breite Resonanz und auch die Quote der Impfungen gegen COVID-19 ist bis heute nirgendwo so niedrig wie in Sachsen (Robert Koch-Institut 2023; Reuband 2022c).
Diese Ereignisse und Entwicklungen ließen Befürchtungen entstehen, dass aus einem Vorzeigeland erfolgreich bewältigter Transformation ein Failed Freistaat geworden war, wie „Spiegel online“ schrieb – ein gescheiteter Staat also, der seinen grundlegenden Aufgaben, nämlich Demokratie, Freiheit und Sicherheit zu gewährleisten, nicht mehr nachzukommen in der Lage ist (Gathmann 2016; Vorländer 2017).Footnote 1 Dabei waren 1990 die Voraussetzungen für Sachsen günstig. Die Beratungen über eine neue demokratische Verfassung hatten schon lange vor der tatsächlichen Landesbildung, die mit dem Beitritt der DDR am 3. Oktober zum Geltungsbereich des Grundgesetzes vollzogen war, begonnen. Der nach der Wahl am 14. Oktober konstituierte Landtag nahm zugleich die Aufgabe der verfassungsgebenden Landesversammlung an. Diese beschloss am 26. Mai 1992 die Landesverfassung, die am darauffolgenden Tag in Kraft trat. In ihr wird an die Geschichte des Landes und seine kulturelle Tradition angeknüpft. Zugleich war Sachsen das Land der Friedlichen Revolution, hatten doch die großen Demonstrationen des Oktobers 1989 vor allem in Plauen, Dresden und Leipzig stattgefunden. Landsmannschaftlich standen somit Identifikationspunkte bereit, die Sachsen ein (Sonder‑)Bewusstsein der Eigenstaatlichkeit zu geben vermochten, welches in der Lage zu sein schien, auch die Härten der ökonomischen, sozialen und politischen Transition bewältigen zu können (Jesse et al. 2014; Thieme 2010; Vorländer 2011).
Politisch hatten die ersten Wahlen eine klare, absolute Mehrheit der CDU etabliert. Seit 1990 ist die CDU trotz erheblicher Verluste an Wahlstimmen nicht nur an der Regierung des Freistaates beteiligt, sie war auch immer, soweit sie Koalitionen eingehen musste, die stärkste Kraft. Anfangs verschaffte diese Konstellation dem Land nicht nur politische Stabilität, sondern unter Ministerpräsident Kurt Biedenkopf auch eine aussichtsreiche Perspektive, den Prozess wirtschaftlicher Transformation durch die Ansiedlung von Automobilunternehmen (in Leipzig, Dresden und Zwickau) und die Etablierung von Hightech-Unternehmen aus dem IT-Bereich (in Dresden) abzufedern. Doch blieb dieser Umbruch nicht ohne soziale Verwerfungen, die sich in Arbeitslosigkeit und massiven demographischen Veränderungen, vor allem dem Wegzug junger und mobiler Arbeitskräfte, niederschlugen.
Im Schatten gouvernementaler Stabilität vollzogen sich politische Veränderungen auf dem Wählermarkt. So war seit 1994 eine stetige Zunahme der „Partei der Nichtwähler“ zu verzeichnen. Bei der Landtagswahl 2014 stimmten nur noch rund 49 % der Wahlberechtigten ab. Die seit 1990 regierende CDU hatte, wenngleich sie immer noch mit Abstand die stärkste Partei war, über 26 Jahre ca. 800.000 Stimmen verloren. Zugleich vermochten die anderen Parteien die Verluste der CDU nicht aufzufangen. Indes konnten Gruppierungen am rechten Rand des sächsischen Parteiensystems seit 1994 im Mittel stets rund 15 % der abgegebenen Stimmen auf sich versammeln, wobei die NPD von 2004 bis 2014 und die AfD seit 2014 im Landtag vertreten war (Abb. 1). Hier zeigte sich also insgesamt ein erheblicher Vertrauensverlust der sogenannten „etablierten“ Parteien, von CDU, SPD, Grünen, Linken und FDP (seit 2014 nicht mehr im Landtag vertreten). Der mobilisierbare Teil des sich hieraus ergebenden politischen Protestpotenzials wird seit 2014 immer wieder auf den Straßen und Plätzen des Freistaats sichtbar.Footnote 2
Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen drängt sich die Frage auf, inwiefern Sachsen einen besonderen Resonanzraum für demokratiekritische Ressentiments und verfassungsfeindliche Bestrebungen bereitstellt. Wie hoch fallen also Demokratiezufriedenheit, Institutionenvertrauen sowie weitere Einstellungen und Vorstellungen zur Demokratie in Sachsen aus? Welche Einflussfaktoren spielen bei ihrer Ausprägung eine zentrale Rolle?
Diese Fragen werden im Folgenden adressiert. Grundlage dafür sind die Befunde der beiden derzeit aktuellsten repräsentativen Erhebungen in Sachsen, des Sachsen-Monitors 2021/22 (n = 2013) und der Studie COVID-19 in Sachsen (CoviSax) des Mercator Forums Migration und Demokratie (MIDEM) an der TU Dresden (n = 1008) (dimap 2022; Vorländer et al. 2021). Dabei zeigt sich, dass demokratiekritische Einstellungen in Sachsen oft mit dem Eindruck persönlicher Zurücksetzung einhergehen – mit Gefühlen einer mangelnden politischen Selbstwirksamkeit, eines drohenden sozialen Abstiegs und einer kulturellen Bevormundung. Der verbreitete Wunsch nach ‚direktdemokratischer‘ Umgestaltung der bestehenden Ordnung zeugt dabei von einer Unzufriedenheit mit bestehenden Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen sowie einem mangelnden Verständnis für die konstitutionellen Grundlagen repräsentativer Demokratie. In einige Teilen der Bevölkerung werden diese demokratiekritischen Tendenzen zusätzlich durch Formen ethnozentrischer Selbstbezogenheit und einer Offenheit für rechtsextremistische Ideologeme verstärkt. Insgesamt erwiesen sich dabei in Sachsen nicht etwa die ländlichen Regionen mit ihren zum Teil durch Religionsgemeinschaften vermittelten Sozialisationen, sondern die sogenannten ‚Mittelzentren‘ als besonders auffällig.
Nach einem knappen Überblick über die bisherige Forschung zu demokratischen Einstellungen in Sachsen (Abschn. 1) werden Konzeptionalisierung und Methodik der hier zugrundeliegenden Erhebungen kurz beschrieben (Abschn. 2). Anschließend werden die Befunde zu Demokratiezufriedenheit und Institutionenvertrauen (Abschn. 3) sowie weitere Einstellungen zur Demokratie in Sachsen (Abschn. 4) präsentiert und im Hinblick auf mögliche Erklärungsfaktoren analysiert (Abschn. 5), bevor ein letztes Kapitel die Ergebnisse kurz zusammenfasst.
2 Politische Einstellungs- und Kulturforschung in Sachsen
Empirische Untersuchungen zu demokratischen Einstellungen in Sachsen waren lange eher rar gesät. Zwar ließ bereits zwischen 1991 und 2006 die Sächsische Staatskanzlei durch das Umfrageinstitut Emnid regelmäßig kleinere Bevölkerungsumfragen durchführen, deren Ergebnisse wurden allerdings nicht in eine systematische Erhebungsreihe überführt (Emnid-Institut 1991–2006; Schöppner und Sagurna 1995). Stattdessen stellte man 2006 die Emnid-Erhebungen ein. In den Folgejahren wurden dann anlassbezogen und in unregelmäßigen Abständen Umfragen realisiert, ohne damit an die vorausgegangenen Untersuchungen anzuknüpfen oder einem vergleichenden Forschungsinteresse zu folgen (Aproxima 2008–2011; TNS-Emnid 2012; Schöppner 2014). Auskunft über die politische Kultur in Sachsen boten allerdings Studien, die sich mit spezifischen Einzelphänomenen befassten. Zu nennen ist hier etwa eine Reihe von Publikationen zu den sächsischen Landtagswahlen. Als eine Art gemeinsames Ergebnis sticht in ihnen die besondere Fixierung der Parteien auf das Land Sachsen sowie dessen meist positiv konnotierte regionale und kulturelle Besonderheiten hervor (Brümmer 2006; Herold 2019; Jesse 2015; Müller 2011; Schubert 2011). Besondere Einblicke in die Verlaufswege sächsischer Biografien im Zuge von Transformation und gesellschaftlichem Wandel bot außerdem die 1987 begonnene Sächsische Längsschnittstudie (zuletzt Berth et al. 2020).
Ab Herbst 2014 begann dann PEGIDA ein besonderes Maß an Aufmerksamkeit auf den Freistaat zu lenken. Studien zur Protestbewegung, zu ihren Organisatoren sowie Unterstützern boten Einblicke in ein besonderes politisch-kulturelles Milieu, das seine ablehnende Haltung an den Eliten und Institutionen der bundesdeutschen Demokratie öffentlich zur Schau stellte (Vorländer et al. 2016, 2018; Herold und Schäller 2023). Ähnliches gilt für die inzwischen umfangreiche Literatur zu den sog. Corona-Protesten. Auch hier gilt Sachsen als zentraler Untersuchungsfall, wobei die Mehrzahl an Protestinitiativen – anders als in Süddeutschland – von einschlägig bekannten rechtsextremen Personen und Gruppierungen, wie den Freien Sachsen, initiiert wurden (Brieger et al. 2022; Panreck 2021; Spöri und Eichhorn 2021; Vorländer et al. 2021). Nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine machten einige sächsische Städte schließlich erneut durch ‚Montagsmahnwachen‘ und ‚Friedensproteste‘ auf sich aufmerksam (Fröhlich et al. 2023).
Vor diesem Hintergrund stand seit den 1990er-Jahren nicht zuletzt das Thema Extremismus im Fokus politikwissenschaftlicher Befassung mit Sachsen (vgl. nur Backes und Kailitz 2020; Kailitz 2021; Pickel und Decker 2016). Aufsehenerregende Wahlerfolge von Parteien wie NPD und DVU, der starke Zuspruch für die AfD sowie die zahlreichen, medial sehr aufmerksam begleiteten fremdenfeindlichen Ausschreitungen, rechtsextremen Aufzüge und kontinuierlichen Protestaktivitäten ließen dabei immer wieder die Frage nach den Einstellungen der Bevölkerung zur Demokratie virulent werden. Während Kategorien wie Demokratiezufriedenheit und Institutionenvertrauen dabei meist im Kontext eines Vergleichs zwischen Ost- und Westdeutschland abgefragt und diskutiert werden (Best et al. 2023; Holtmann 2019; Reiser und Reiter 2023), sind mit Blick auf extremistische Orientierungen auch einzelne Bundesländer in den Fokus genommen worden.
Zwar wird Sachsen in der Hitze der öffentlichen Erregung dabei regelmäßig zum besonderen Problemfall erklärt, vorliegende Befunde zeigen jedoch, dass dem Bundesland innerhalb Deutschlands keine grundsätzliche Sonderstellung zufällt. So unterscheiden sich Einstellungen zu Fremden- und Islamfeindlichkeit in Sachsen kaum von denen anderer ostdeutscher Bundesländer, wiewohl sie deutlich negativer als im Westen der Republik ausfallen (Decker et al. 2022; Reuband 2022a).Footnote 3 Vielfach sind die Werte auch im Vergleich zu Erhebungen der Vorjahre zurückgegangen (dimap 2022) – was wiederum nicht heißt, dass sie nicht signifikant höher als im Durchschnitt Westdeutschlands liegen.Footnote 4 Daneben haben Untersuchungen zu den Hintergründen von Migrationsprotest, Impfverweigerung und AfD-Erfolgen auch gezeigt, dass die regionalen Unterschiede innerhalb Sachsens teilweise weitaus größer sind als zwischen Sachsen und anderen Bundesländern (Reuband 2022b; Vorländer et al. 2021). Mit Blick auf politisch motivierte Gewalttaten setzt sich diese Ambiguität fort. So entwickelte sich der Freistaat, der beinahe doppelt so viele Einwohner wie Thüringen, Sachsen-Anhalt oder Brandenburg zählt, zu einem der Bundesländer mit der höchsten Rate an politisch motivierten Gewalttaten pro 1 Mio. Einwohner. Andererseits aber zeigen die jüngsten Zahlen von Bundeskriminalamt und Verfassungsschutz zur „politisch motivierten Kriminalität – rechts“ Sachsen unverändert am unteren Ende der ostdeutschen Bundesländer (Abb. 2).
Die nach der Entstehung von PEGIDA und dem Aufstieg der AfD einsetzende Aufmerksamkeit für die politische Kultur Sachsens führte schließlich dazu, dass in Hinblick auf den Mehrwert systematischer Erhebungsreihen zur regionalen politischen Kulturforschung ein gewisses Umdenken stattfand. So ließ die Sächsische Staatskanzlei 2016 die Einstellungen der Sächsinnen und Sachsen erstmalig im Format eines sog. Sachsen-Monitors erheben.Footnote 5 Dessen Fragebogen zielte nicht nur auf Einschätzungen zur wirtschaftlichen Situation und sozialen Lage, sondern auch auf die politischen Orientierungen der Bevölkerung, auf deren Partizipationsverhalten, das politische Interesse sowie auf Ressentiments, Extremismus und andere demokratiegefährdende Einstellungen. Mit einem gleichbleibenden Kernbestand an Fragen wurde der Sachsen-Monitor in den beiden Folgejahren 2017 und 2018 wiederholt und jeweils um spezifische Schwerpunktsetzungen ergänzt, bevor – begründet u. a. mit der sächsischen Landtagswahl 2019 und dem Beginn der Corona-Pandemie 2020 – bis 2021 keine weitere Erhebung stattfand.Footnote 6 Erst 2021 erhielt das Umfrageinstitut dimap erneut den Auftrag zur Durchführung einer entsprechenden Erhebung. Anstatt wie 2016–18 jeweils rund 1000 Personen zu interviewen, wurde die Zahl nun auf rund 2000 Befragte verdoppelt, was nicht zuletzt eine bessere regionale Auflösung ermöglichte.
3 Theorie und Methodik
Die Zufriedenheit mit einer demokratischen Ordnung, das ihren Institutionen entgegengebrachte Vertrauen sowie die Bewertung möglicher alternativer Demokratiemodelle wird auf nationaler und internationaler Ebene regelmäßig erhoben und hat in den vergangenen Jahren im Kontext der Verbreitung rechtspopulistischer Eliten- und Systemkritik weiter an Bedeutung gewonnen (Best et al. 2023; European Social Survey 2022). Zur Erklärung der dabei gewonnenen Befunde wird in der Literatur einerseits auf kontextuelle Faktoren, wie die Performanz politischer Institutionen, die Polarisierung des Parteiensystems, andererseits auf individuelle Einflussgrößen wie die Interessen, Einstellungen und Werthaltungen der Bürgerinnen und Bürger verwiesen (Cutler et al. 2023; Hoerner und Hobolt 2020; Singh und Mayne 2023; Welsch 2022). Mit Blick auf letztere haben sich in der Literatur dabei weniger objektive sozioökonomische Indikatoren wie niedrige soziale Statuslagen, geringe Bildung und ausgeprägte Deprivationserfahrungen als vielmehr subjektive Einflussfaktoren – etwa eine negative Bewertung der eigenen Lage, damit verbundene Verunsicherungen und Zukunftsängste – als zentrale Determinanten von Demokratiezufriedenheit und Institutionenvertrauen erwiesen (Gidron und Hall 2019; Lühiste 2006; Loveless und Binelli 2020). Daneben wird regelmäßig die Bedeutung sozialräumlicher Disparitäten – etwa Stadt-Land-Unterschiede sowie den Einfluss von Abwanderungsbewegungen und demographischen Wandlungsprozessen –, aber auch politisch-kultureller Einstellungsmuster betont. So sind auch in Deutschland autoritäre und extremistische Orientierungen typischerweise eng mit einer Ablehnung der liberalen Demokratie und einem Misstrauen gegenüber ihren Institutionen verbunden (Decker et al. 2022; Zick et al. 2023).
Hinter dem Wunsch nach mehr ‚direkter Demokratie‘ hingegen steht die Idee, dass wichtige politische Entscheidungen nicht von gewählten Amts- und Mandatsträgern, sondern unmittelbar von den Bürgerinnen und Bürgern getroffen werden sollten. Die Ursprünge dieser Vorstellung wird in der Literatur – je nach Kontext – einerseits den partizipatorischen Ansprüchen einer postmaterialistisch geprägten ‚neuen Mittelschicht‘, andererseits den politischen Deklassierungsgefühlen rechtpopulistischer Wählergruppen zugerechnet und mit den gegenläufigen Merkmalen der entsprechenden sozialen Trägergruppen in Verbindung gebracht (Dalton et al. 2001; Donovan und Karp 2006; Inglehart 1997).
Innerhalb Sachsens haben Untersuchungen in den vergangenen Jahren schließlich auch gewisse regionale Unterschiede vermuten lassen. So fanden die PEGIDA-Demonstrationen vor allem in Dresden ihren größten Zulauf, wobei sich ein großer Teil der Demonstranten, die dort ihrem Frust über die Eliten und Institutionen der bundesdeutschen Demokratie freien Lauf ließen, aus der näheren Umgebung der Landeshauptstadt und den östlichen Teilen Sachsens stammten (Vorländer et al. 2018). Jene Teile Sachsens sind es auch, in denen die AfD bisher ihre stärksten Ergebnisse erzielen, bei den vergangenen Landtags- und Bundestagswahlen gar die meisten Direktmandate gewinnen konnte. Während der COVID-19 Pandemie machten neben Ostsachsen schließlich die Landkreise Mittelsachsen und Erzgebirge durch zahlreiche lokale Protestinitiativen auf sich aufmerksam, während in den nördlichen Teilen des Freistaats und in Leipzig die Ablehnung der Infektionsschutzmaßnahmen am geringsten, die Impfquote hingegen am höchsten ausfiel (Brieger et al. 2022; Reuband 2022b; Vorländer et al. 2021).
Vor dem Hintergrund dieser vorliegenden Befunde gehen wir davon aus, dass auch in Sachsen die Zufriedenheit mit der Demokratie, das Vertrauen in ihre Institutionen und der Wunsch nach einem Ausbau direktdemokratischer Beteiligungsformen von sozioökonomischen, sozialräumlichen und politisch-kulturellen Erklärungsfaktoren abhängig sind. Wir vermuten konkret, dass geringe Zufriedenheits- und Vertrauenswerte oft mit niedrigen Bildungsgraden und hoher ökonomischer Verunsicherung, mit autoritären und extremistischen Orientierungen sowie mit geringen politischen Selbstwirksamkeits- und ausgeprägten Deprivationswahrnehmungen einhergehen. Wir vermuten außerdem, dass Demokratiezufriedenheit und Institutionenvertrauen in den ländlichen Regionen sowie insbesondere in den östlichen und südöstlichen Teilen Sachsen eher gering, in Nordsachsen und den Großstädten eher überdurchschnittlich ausgebildet sind. Im Hinblick auf mögliche Sympathien mit alternativen Demokratiemodellen nehmen wir an, dass auch der Wunsch nach mehr ‚direktdemokratischer Beteiligung‘ vor allem in jenen Milieus ausgeprägt ist, in denen die Distanz zur bundesrepublikanischen Ordnung und die Nähe zur AfD besonders groß ausfällt.
Die im Folgenden präsentierten Befunde zu Sachsen stützen sich vorrangig auf die derzeit aktuellsten repräsentativen Erhebungen, den Sachsen-Monitor 2021/22 (n = 2013) und die Studie COVID-19 in Sachsen (CoviSax) des Mercator Forums Migration und Demokratie (MIDEM) an der TU Dresden (n = 1008) (dimap 2022; Vorländer et al. 2021). Beide bieten nicht nur repräsentative Daten für Sachsen, sondern ermöglichen aufgrund ihres spezifischen Studien- bzw. Sampling-Designs außerdem Rückschlüsse auf regionale Besonderheiten innerhalb Sachsens.Footnote 7
Das erklärte Ziel der CoviSax-Studie war es, die soziodemographischen und sozialräumlichen Rahmenbedingungen des Pandemiegeschehens in Sachsen zu evaluieren und dabei mit subjektiven Deprivationsgefühlen, sozialen Abstiegsängsten und politischen Einstellungen zusammenzubringen. Methodisch basierte die Erhebung auf einem Mixed-Mode-Ansatz, bei dem ein Teil der Interviews mittels computergestützter Telefoninterviews (CAPI, 60 % aller Interviews) und ein Teil mittels Online-Interviews (CAWI) durchgeführt wurde (40 % aller Interviews). Ihre Daten sind für Sachsen insgesamt sowie für vier Regionen Sachsens (Nordsachsen, Südwestsachsen, Ostsachsen, Großstädte) repräsentativ. Für den Sachsen-Monitor 2021/22 wurden zwischen November 2021 und März 2022 sogar fünf Regionen innerhalb Sachsens mit eigenen, mehrstufigen Zufallsstichproben von jeweils rund 400 Befragten bedacht: Vogtland/Zwickau, Chemnitz/Erzgebirge, Leipzig/Nordsachsen, Dresden/Sächsische Schweiz und die Oberlausitz. Die Methodik der Erhebungsreihe ist seit 2016 gleichgeblieben und stützt sich auf Face-to-Face-Interviews, die mit dem CAPI-Verfahren durchgeführt werden.
Trotz ihrer unterschiedlichen inhaltlichen Schwerpunktsetzungen zielten beide Untersuchungen auch auf die Einstellungen zur Demokratie. Das Ausmaß an Demokratiezufriedenheit wird dabei in Umfragen typischerweise mit zwei Standardfragen ermittelt, die jeweils auf unterschiedlichen Abstraktionsebenen ansetzen: einerseits die Einstellung zur Demokratie als Idee, andererseits zur konkreten Umsetzung dieser Idee „in der Praxis“, d. h. im System der Bundesrepublik Deutschland (GESIS 2022; ESS 2022). In den vier bisher erhobenen Sachsen-Monitoren kamen diese beiden Fragen ebenfalls zum Einsatz, wurden dabei allerdings noch zusätzlich um eine dritte ergänzt, die auf das praktische Funktionieren der Demokratie in Sachsen zielte.Footnote 8 Darüber hinaus interessierte in den bisherigen Sachsen-Monitoren auch, inwiefern die Befragten konkrete Aspekte einer demokratischen Ordnung als wichtig erachten und im System der Bundesrepublik Deutschland „umgesetzt“ oder „nicht umgesetzt“ sehen – etwa „freie und faire Wahlen“, der Schutz von Minderheitenrechten oder „Gerichte, die jeden gleich behandeln“.Footnote 9
Ein wichtiger Aspekt demokratiebezogener Einstellungen und Indikator für die Akzeptanz eines demokratischen Regierungssystems richtet sich auf die Legitimität und Anerkennung spezifischer Institutionen einer freiheitlichen Ordnung, wie Parlamente, Gerichte, Parteien, Kirchen, Gewerkschaften oder Exekutivämtern. Um das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in diese staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen zu ermitteln, fand sich in den bisherigen Sachsen-Monitoren eine Batterie mit insgesamt 20 Items integriert. Ein weiterer Schwerpunkt der Erhebungsreihe liegt auf der Abfrage von Meinungen zur direkten Demokratie. Auch 2021/22 wurden den Befragten vor diesem Hintergrund verschiedene Aussagen zu direktdemokratischen Instrumenten sowie ihren möglichen Folgewirkungen vorgelegt (vgl. Anhang 1).
Bestandteil des Fragebogens der CoviSax-Untersuchung war wiederum eine kurze Skala, die das Ausmaß an Zustimmung oder Ablehnung zu jenen demokratiebezogenen Einstellungen ermittelte, wie sie mit dem Begriff ‚Populismus‘ gefasst werden. Kernelement ist hier typischerweise die polemische Abgrenzung gegenüber als abgehoben, korrupt und moralisch verkommen wahrgenommenen Eliten in Politik, Medien und Gesellschaft. Hinzu kommt ein antipluralistisch übersteigerter Verweis auf die Souveränität ‚des Volkes‘ und ihre polemische Entgegenstellung zu den Institutionen der repräsentativen Demokratie (Jörke und Selk 2017; Mudde 2004; Priester 2007; Vorländer 2019).Footnote 10
4 Demokratiezufriedenheit und Institutionenvertrauen in Sachsen
Beim Blick auf die der demokratischen Ordnung entgegengebrachte Zufriedenheit und Unterstützung ergibt sich für Sachsen zunächst ein Bild, das nur wenig Überraschungen bietet. Während die allgemeine Aussage zur „Demokratie als Idee“ eine überwältigende Zustimmung erfährt, fallen die Zufriedenheitswerte für die Art und Weise, „wie die Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland in der Praxis funktioniert“, deutlich geringer aus (Abb. 3). Gerade einmal 58 % der Sächsinnen und Sachsen zeigten sich 2022 hier „sehr zufrieden“ (5 %) oder „eher zufrieden“ (54 %).Footnote 11 Diese Differenz in der Bewertung von Idee und Praxis der Demokratie ist ein allgemein beobachtbares Phänomen, das auch in Sachsen nicht schärfer ausfällt als anderswo. In der Leipziger Autoritarismus-Studie etwa zeigten sich 2022 bei einer fast wortgleichen Frage nach der Zufriedenheit mit der Demokratie, „wie sie in der Bundesrepublik Deutschland funktioniert“, deutschlandweit 58 %, in Ostdeutschland hingegen 54 % zufrieden (Decker et al. 2022, S. 65). Im ALLBUS lagen die entsprechenden Werte zuletzt bei 53 % für Gesamtdeutschland bzw. 48 % für Ostdeutschland (GESIS 2022).
Beim Blick in einzelne soziodemographische Subgruppen lassen sich hinsichtlich Zufriedenheit mit der Demokratie „allgemein“ und ihrer „Funktionsweise“ in Deutschland und Sachsen ähnliche Verteilungen beobachten. Werden alle Antworten zu einem Index zusammengefasst, dann sind zunächst signifikante, wenn auch wenig überraschende Unterschiede nach Bildungsgrad erkennbar, wonach Personen mit höheren Abschlüssen der Demokratie insgesamt weniger kritisch gegenüberstehen (Abb. 4). Die Verteilung nach Altersgruppen weist wiederum für 50- bis 70-Jährige die geringsten Zufriedenheitswerte auf, jene Gruppen also, die sich in der Vergangenheit auch im Kontext von migrations- und corona-kritischen Protestereignissen in Sachsen besonders zahlreich mobilisieren ließen (Vorländer et al. 2016, 2018, 2021). Die signifikant stärker ausgeprägte Unzufriedenheit unter nur teilweise oder nicht berufstätigen Personen scheint bemerkenswert, ebenso wie die Gruppenunterschiede in Bezug auf konfessionelle Bindung. Schließlich fällt die Demokratiezufriedenheit in Ostsachen, d. h. in den Landkreisen Bautzen und Görlitz, deutlich geringer aus als in Nordsachsen – ein Muster, das auch in anderen Untersuchungen zutage getreten ist (Vorländer et al. 2021).Footnote 12
Mit Blick auf den Gemeindetyp zeigt die Verteilung der Mittelwerte ein Muster, welches nicht der klassischen Annahme eines Gefälles zwischen urbanen Zentren und ländlicher Peripherie entspricht. Demnach fallen – neben Chemnitz als einzige Großstadt über 100.000 und unter 500.000 Einwohnern – vor allem die sog. Mittelzentren, kleinere Städte mit Einwohnerzahlen zwischen 20.000 und 100.000, durch eine geringe Demokratiezufriedenheit auf. Damit sind besonders geringe Werte an Demokratiezufriedenheit in Städten wie Freiberg, Freital, Zwickau, Pirna, Bautzen, Görlitz, Riesa oder Hoyerswerda zu verzeichnen.Footnote 13 Die besondere Rolle dieser Mittelzentren für die regionale politische Kultur in Sachsen ist bisher kaum untersucht, die Ursache der geschilderten Befunde weitgehend ungeklärt. Sie wird in der Regel von der Diskussion über die Unterschiede zwischen Stadt und Land in Wirtschaftsentwicklung, Infrastruktur und der Qualität öffentlicher Daseinsvorsorge überlagert. Auffällig ist jedoch, dass gerade Städte wie Döbeln (−22 %), Riesa (−31 %) und Hoyerswerda (−48 %) seit 1990 einen rapiden Bevölkerungsrückgang sowie einen damit verbundenen Rückbau öffentlicher Infrastruktur hinnehmen mussten. Über die damit verbundenen Auswirkungen auf Zusammenhalt, Bürgerethos und Sozialkapital lässt sich nur mutmaßen, ein Zusammenhang zwischen Abwanderung und rechtspopulistischen Wahlpräferenzen ist jedoch bekannt. Andere Mittelzentren konnten hingegen sowohl wirtschaftlich als auch demographisch von ihrer Nähe zu den Großstädten Leipzig und Dresden profitieren und sich – wie etwa Radebeul, Radeberg oder Markkleeberg – hinsichtlich Einwohnerzahl oder Wanderungsgewinnen eher überdurchschnittlich entwickeln (Herold und Otteni 2020; Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen 2015).
Schließlich können auch in Bezug auf Parteineigung signifikante Gruppenunterschiede festgestellt werden: Wer in Sachsen mit der AfD sympathisiert, zeigt eine deutlich geringere Zufriedenheit mit der Demokratie, wie sie „in der Bundesrepublik Deutschland in der Praxis funktioniert“, als die Anhängerinnen und Anhänger aller anderen großen Parteien. Wer der Partei Die Linke nahesteht, ist im Schnitt weniger zufrieden als die Anhängerinnen und Anhänger von CDU, SPD und Grünen, die sich diesbezüglich wiederum kaum voneinander unterscheiden (Abb. 4).
Das Vertrauen, das die Bürgerinnen und Bürger den Institutionen von Demokratie, Rechtsstaat und Gesellschaft entgegenbringen, hat der Sachsen-Monitor mit Blick auf eine große Fülle an Einzelbeispielen erhoben. Insgesamt wurde zuletzt 2021/22 mit 20 Fragen die Meinung der Sächsinnen und Sachsen zu Parlamenten, Regierungen und Exekutivorganen auf unterschiedlichen Ebenen, aber auch zu gesellschaftlichen Akteuren wie Gewerkschaften, Kirchen, Medien und dem Robert-Koch-Institut ermittelt. Im Ergebnis zeigte sich dabei, dass die Sächsinnen und Sachsen der Wissenschaft, der Polizei sowie politischen Verantwortungsträgern und Institutionen auf lokaler Ebene ein verhältnismäßig hohes, der Bundesregierung und dem Bundestag in Berlin sowie Kirchen, Parteien, Medien und den Institutionen der EU eher ein geringes Maß an Vertrauenswürdigkeit bescheinigen (Abb. 5). Dieses Muster kann auch in anderen Befragungen festgestellt werden, und auch die Werte des Sachsen-Monitors 2021/22 liegen damit im Rahmen dessen, was etwa im ALLBUS – ebenfalls 2021 – für Gesamtdeutschland ermittelt wurde. Hier wurden etwa für das Bundesverfassungsgericht (72 %), die Polizei (69 %), die Bundesregierung (45 %), den Bundestag (43 %), die EU-Kommission (29 %) und die Parteien (17 %) ähnliche Vertrauenswerte ermittelt (GESIS 2022).
Zur genaueren Kartierung dieses Institutionenvertrauens in Sachsen lässt sich aus diesen 20 Items ein Index errechnen, der für jeden Befragten den durchschnittlichen Wert an Vertrauen gegenüber allen abgefragten politischen und gesellschaftlichen Institutionen angibt.Footnote 14 Bei der Analyse dieser Indexmittelwerte mit zugehörigen 95 %-Konfidenzintervallen zeigen sich erneut Unterschiede zwischen einzelnen Altersgruppen (Abb. 6).Footnote 15 Junge Menschen weisen ein deutlich höheres Vertrauen auf als der sächsische Durchschnitt, während insbesondere die Altersgruppen der etwa zwischen 1950 und 1970 Geborenen und heute 50- bis 69-jährigen durch besonders geringe Vertrauenswerte auffallen. Das Ausmaß an Vertrauen, das die Sachsen politischen und gesellschaftlichen Institutionen wie Parlamenten, Regierungen, Gerichten, Gewerkschaften, Kirchen und Medien entgegenbringen, zeigt sich außerdem stark vom jeweiligen Bildungsgrad abhängig. Höher Gebildete weichen hier ebenso signifikant nach oben vom gesamtsächsischen Mittelwert ab, wie Menschen mit niedrigen oder mittleren Bildungsgraden nach unten. Wer einer Religionsgemeinschaft angehört, zeigt zudem deutlich höhere Vertrauenswerte als Konfessionslose.
In sozialräumlicher Hinsicht gerät in diesem Zusammenhang erneut die besondere Rolle der sog. Mittelzentren in den Blick. Menschen in sächsischen Regionen mit einer Einwohnerzahl zwischen 20.000 und 100.000 weisen ein deutlich geringeres Vertrauen in staatliche und gesellschaftliche Institutionen auf als der Durchschnitt der Bevölkerung. Ihr Vertrauen ist im Mittel ebenfalls signifikant niedriger als das von Sächsinnen und Sachsen, die in Kleinstädten und ländlichen Regionen, d. h. in Gemeinden mit unter 20.000 Einwohnern leben. Ein Vergleich mit den beiden sächsischen Großstädten mit mehr als 500.000 Einwohnern, Dresden und Leipzig, fällt ähnlich aus, wobei das Antwortverhalten der Befragten aus der dritten sächsischen Großstadt Chemnitz eher dem der Mittelzentren entspricht.Footnote 16 Diese Mittelzentren scheinen hinsichtlich einer notwendigerweise den staatlichen Institutionen entgegenkommenden demokratischen Kultur in Sachsen ein besonderes Problem darzustellen. Menschen aus den ländlich geprägten Peripherien des Freistaats wiesen in der Stichprobe des Sachsen-Monitors 2022 hingegen eher mittlere Vertrauenswerte auf, die oft über dem sächsischen Durchschnitt lagen.Footnote 17
5 Weitere Einstellungen zur Demokratie
Die Zufriedenheit mit der demokratischen Ordnung der Bundesrepublik ist in einzelnen Gruppen der sächsischen Bevölkerung also durchaus unterschiedlich ausgeprägt. Doch welches konkrete Verständnis von Demokratie wird dabei vorausgesetzt? Welche Elemente sind aus Sicht der Sächsinnen und Sachsen in Deutschland gut, welche weniger gut umgesetzt? Hinweise dazu bieten ebenfalls die Befunde des Sachsen-Monitors. Demnach zeigen sich die Sächsinnen und Sachsen insbesondere mit Blick auf die Bekämpfung sozialer Ungleichheit, die Implementierung direktdemokratischer Beteiligungsformen und die Kommunikation politischer Entscheidungen skeptisch, während sie „Freie und faire Wahlen“, eine „freie Opposition“ sowie die Gewährung von Minderheitenrechten als weitgehend umgesetzt betrachten. Auch Aspekte wie eine Gleichheit vor Gericht oder die „Gleichberechtigung der Geschlechter“, die von einer großen Mehrheit als „sehr wichtig“ erachtet werden, sieht über ein Drittel der sächsischen Bevölkerung in Deutschland bisher nur unzureichend umgesetzt (Abb. 7).
Was konkrete Veränderungs- und Verbesserungsvorschläge der Demokratie in Deutschland betrifft, so besteht in Teilen der sächsischen Bevölkerung offenbar der Wunsch nach einer stärkeren Etablierung von direktdemokratischen Beteiligungsformen. Diese Beliebtheit von Vorstellungen und Instrumenten direkter Demokratie zeigt sich auch im Sachsen-Monitor 2022. Hier verbinden bis zu 85 % der Befragten mit Volksabstimmungen und Referenden eher positive Auswirkungen auf die Demokratie, etwa eine Steigerung des politischen Interesses der Bürgerinnen und Bürger oder eine höhere Responsivität auf Seiten politischer Verantwortungsträger (Abb. 8). Knapp die Hälfte der Sächsinnen und Sachsen sind gar der Auffassung, dass der Wunsch einer „Mehrheit des Volkes“ auch den Willen von Gerichten, Parlamenten und Verfassung überschreiben sollte. Hinter der Sympathie für neue Beteiligungsformen wird damit auch ein mangelndes Verständnis für die konstitutionellen Grundlagen repräsentativer Demokratie sichtbar.
Als besonders kritisch gegenüber der Ausweitung direktdemokratischer Instrumente erweisen sich dementsprechend Sächsinnen und Sachsen mit hohen Bildungsabschlüssen. Eher aufgeschlossen zeigen sich hingegen jene, die bei Demokratiezufriedenheit und Institutionenvertrauen vergleichsweise geringe Werte vorweisen. Bei den Parteien findet sich ein ähnlich klares Bild: Die Anhängerinnen und Anhänger der in Sachsen seit 2019 regierenden Parteien CDU, SPD und Grüne sind skeptischer, jene der AfD offener gegenüber dem alternativen Modell einer direkten Demokratie (Abb. 9).
Tatsächlich verweisen bereits einige der in Abb. 10 dargestellten Aussagen indirekt auf jene Tendenz der polemischen Gegenüberstellung zwischen „Elite“ und „Volk“, wie sie typischerweise mit dem Begriff des Populismus verknüpft ist. Die Antwortverteilung zeigt hier eine ausgeprägte Zustimmung zu einzelnen Indikatoraussagen populistischer Demokratiekritik. Über 70 % stimmen etwa der Aussage zu, dass die Parteien letztlich nur an Wählerstimmen interessiert seien. Ebenso viele unterstützten die Forderung, mit Hilfe von Volksabstimmungen die Macht der Parlamente einzuschränken. Eine relative Mehrheit von 45 % war schließlich der Ansicht, dass Kompromisse in der Politik nur den „Verrat der eigenen Prinzipien“ bedeuteten (Abb. 10).
6 Erklärungsfaktoren
Um die Hintergründe für fehlende Demokratiezufriedenheit, mangelndes Institutionenvertrauen und die Befürwortung direktdemokratischer Entscheidungsverfahren in Sachsen weiter zu beleuchten, werden in einem letzten Schritt multivariate Modelle errechnet, die mögliche sozioökonomische sowie politisch-kulturelle Erklärungsfaktoren aufnehmen und nach weiteren soziodemographischen Merkmalen der Befragten kontrollieren. Viele dieser Determinanten, deren theoretische Begründungen und empirische Evidenzen hier im Einzelnen nicht dargestellt werden können, werden in der internationalen Literatur breit diskutiert und haben insbesondere für die Erklärung des jüngsten Erstarkens rechtspopulistischer Demokratie- und Elitenkritik ihren Stellenwert nachgewiesen (vgl. nur Gidron und Hall 2019; Manow 2018; Norris und Inglehart 2019; Rodrik 2021). Mit Blick auf Ostdeutschland wird dabei nicht zuletzt auf die Spätfolgen der ökonomischen, politischen und kulturellen Transformation nach 1989 sowie damit verbundene kollektive Gefühlslagen verwiesen (Frevert 2022; Mau 2019; Pickel und Pickel 2023; Reiser und Reiter 2023).
Auch in unserer, auf Sachsen bezogenen Analyse zeigen sich sowohl die Demokratiezufriedenheit als auch das Institutionenvertrauen stark von subjektiven Deprivationserfahrungen abhängig (Tab. 1). Sowohl wirtschaftliche als auch politisch-kulturelle Faktoren vermögen die Sicht der Sächsinnen und Sachsen auf die Demokratie nachhaltig zu beeinflussen. Wer etwa seine persönliche wirtschaftliche Situation als „eher schlecht“ oder „sehr schlecht“ beurteilt, neigt dazu, auch die Demokratie in Deutschland negativer zu beurteilen als der Durchschnitt. Wer sich sorgt, dass es ihm in Zukunft „insgesamt eher schlechter gehen wird“, seine Rente später „nicht zum Leben ausreicht“ und das, was seit 1990 mühevoll erarbeitet wurde, wieder verloren gehen könnte, der bringt auch den staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen der Bundesrepublik im Schnitt weniger Vertrauen entgegen. Das gleiche gilt für Personen, die sich als Ostdeutsche in besonderer Weise benachteiligt fühlen, sich als „Bürger zweiter Klasse“ empfinden und die eigenen Leistungen „für den Aufbau der neuen Bundesländer“ nicht angemessen gewürdigt sehen. Neben einer empfundenen ökonomischen Zurücksetzung ist in diesem Kontext auch die Wahrnehmung politischer Machtlosigkeit – etwa der Eindruck, dass man „so oder so keinen Einfluss darauf [habe], was die Regierung tut“ – von Bedeutung. Dass derartige Gefühle einer mangelnden politischen Selbstwirksamkeit (external political efficacy) und eines drohenden sozialen Abstiegs in einigen Gruppen der sächsischen Bevölkerung durchaus verbreitet sind und im Kontext multipler Krisenszenarien und -diskurse im vergangenen Jahrzehnt eher zugenommen haben, ist gut dokumentiert (dimap 2022; Köpping 2018).
Eine nativistisch-ethnozentrische bzw. neo-nationalsozialistische Gesinnung geht ebenfalls mit weniger Demokratiezufriedenheit, geringerem Institutionenvertrauen sowie einem stärkeren Ruf nach direktdemokratischen Entscheidungsverfahren einher, während das (mit dem Begriff des Autoritarismus gefasste) Verlangen nach der Durchsetzung „Recht und Ordnung“ durch eine „starke Hand“ zum Teil gegenteilige Wirkungen entfalten kann.Footnote 18 Interessant ist auch der Einfluss der Religionszugehörigkeit, wobei im Modell christliche, jüdische und muslimische Überzeugungen zusammengefasst und lediglich nach Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einer (beliebigen) Religionsgemeinschaft unterschieden wird.Footnote 19 Wie sich dabei zeigt, steht die konfessionelle Bindung in einem positiven Verhältnis zu Demokratiezufriedenheit und Institutionenvertrauen. Ein distanziertes Verhältnis zur Demokratie scheint in Sachsen jedenfalls kaum mit religiösen, etwa in bestimmten Regionen einflussreichen christlich-evangelikalen Prägungen erklärbar zu sein.
Neben diesen soziodemographischen und politisch-kulturellen Einflussfaktoren können letztlich auch sozialräumliche Besonderheiten innerhalb Sachsens festgestellt werden. So scheinen die Menschen in den Landkreisen Bautzen und Görlitz („Ostsachsen“) mit der Demokratie in Deutschland insgesamt weniger zufrieden, jene in Südwestsachsen gegenüber staatlichen Institutionen etwas misstrauischer als der sächsische Durchschnitt. Im Hinblick auf die Größe des Wohnorts zeigt sich allerdings für Gemeinden unter 20.000 Einwohnern ein positiver Effekt auf Demokratiezufriedenheit und Institutionenvertrauen, was erneut der These widerspricht, wonach vor allem die ländlichen Peripherien des Freistaats die politischen Potenziale für Politikverdruss und Demokratiefeindlichkeit bereitstellen (vgl. Tab. 1).
Die Wertschätzung direkter Demokratie als einzig „wahre“ Form der Demokratie erweist sich hingegen stark vom Bildungsgrad abhängig: Sächsinnen und Sachsen mit hohen Bildungsabschlüssen können dieser Idee nur wenig abgewinnen. Insgesamt scheint damit der Ruf nach mehr direktdemokratischen Beteiligungsinstrumenten eher in jenen Gruppen der sächsischen Bevölkerung ausgeprägt zu sein, die sich auch gegenüber populistischer Demokratiekritik besonders offen zeigen (Rippl und Seipel 2021; Vorländer et al. 2021, 2016). Für Personen mit ökonomischen Zukunftssorgen sowie starken autoritären oder neo-nationalsozialistischen Einstellungen trifft dies ebenfalls zu. Dies deutet darauf hin, dass der in einigen Teilen der sächsischen Bevölkerung verbreitete Wunsch nach einer stärker ‚direktdemokratisch‘ ausgerichteten Veränderung der bestehenden Ordnung weniger von den wachsenden partizipatorischen Ansprüchen einer postmaterialistisch geprägten ‚neuen Mittelschicht‘ getragen wird. Vielmehr scheint eher die Unzufriedenheit mit bestehenden repräsentativen Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen sowie das Gefühl, dass die eigenen Bedürfnisse von den politischen Mandats- und Funktionsträgern nicht angemessen berücksichtigt werden, eine Offenheit gegenüber direktdemokratischen Beteiligungsformen zu befördern (Dalton et al. 2001; Donovan und Karp 2006; Inglehart 1997).
7 Schluss
Politische Kulturen unterscheiden sich voneinander, weshalb gefragt worden ist, ob Sachsen und Sächsinnen ein besonderes Muster an Einstellungen und Vorstellungen erkennen lassen, welches sich von anderen Länderprofilen unterscheidet und das Aufschluss über die politischen Entwicklungen der letzten Jahre zu geben vermag. Dabei ist in Rechnung zu stellen, dass erst seit wenigen Jahren ein breites Gesamtbild über die politisch-kulturelle Verfasstheit seit der Wiederbegründung des Freistaates 1990 gezeichnet werden kann. Anders als etwa für Thüringen hat es in Sachsen lange Zeit keinen sogenannten „Monitor“ gegeben, der Einstellungen und ihre Veränderung auf dem Wege der sozialwissenschaftlichen Umfrageforschung erhoben hätte. Gleichwohl lässt sich ein Resümee ziehen, welches vor allem die jüngere Vergangenheit und die unmittelbare Gegenwart einfängt.
In Sachsen ist eine affirmative Haltung zur Idee der Demokratie die Regel, doch fallen die Zustimmungswerte zur Praxis der Demokratie deutlich geringer aus. Diese Differenz ist ein allgemein beobachtbares Phänomen. Die Befunde variieren jedoch nach soziodemographischen Subgruppen und Parteineigung. Im Übrigen steht die konfessionelle Bindung in einem positiven Zusammenhang zu Demokratiezufriedenheit und Institutionenvertrauen. Ein distanziertes Verhältnis zur Demokratie scheint in Sachsen jedenfalls kaum mit religiösen, etwa in bestimmten Regionen des Erzgebirges einflussreichen christlich-evangelikalen Prägungen und Kontexten erklärbar zu sein.
Auffallend sind, was Demokratiezufriedenheit und Institutionenvertrauen angeht, auch einige sozialräumliche Unterschiede. So fällt die Zufriedenheit in Ostsachsen, also den Landkreisen Bautzen und Görlitz, am geringsten aus. Bemerkenswert ist auch das hohe Maß an Misstrauen in Städten wie Freiberg, Freital, Zwickau, Pirna, Bautzen, Görlitz, Riesa oder Hoyerswerda aus. Die besondere Rolle dieser Mittelzentren für die regionale politische Kultur in Sachsen ist bisher kaum untersucht, die Ursachen der geschilderten Befunde sind weitgehend ungeklärt. Doch sprechen gute Gründe für die Annahme, dass es sich hier um Sozialräume handelt, die in besonderer Weise von den ökonomischen, demographischen und infrastrukturellen Umbrüchen der letzten Jahrzehnte betroffen gewesen sind. Vielfach sind hier entsprechend hohe Wahlergebnisse der AfD wie auch häufige Protestaktivitäten zu beobachten. Für die ländlichen Peripherien des Freistaats lassen sich hingegen eher positive Effekte auf Demokratiezufriedenheit und Institutionenvertrauen beobachten, was der verbreiteten Annahme widerspricht, dass vor allem hier die Brennpunkte von Politikverdruss und Demokratiefeindlichkeit zu finden sind.
Direktdemokratische Vorstellungen, die mit den Instrumenten von Volksbefragungen und Referenden verbunden werden, erfahren wiederum in vielen Teilen des Freistaats große Beliebtheit. Dabei fällt auf, dass der Ruf nach mehr direktdemokratischer Beteiligung eher von den Gruppen erhoben wird, die gegenüber populistischer Demokratiekritik besonders offen sind. Für Personen mit starken autoritären oder rechtsextremen Einstellungen ist dies in besonderem Maße zutreffend.
Schließlich zeigen sich Demokratiezufriedenheit und Institutionenvertrauen in Sachsen stark von subjektiven Deprivationserfahrungen abhängig. Sowohl wirtschaftliche als auch politisch-kulturelle Faktoren vermögen die Sicht der Sächsinnen und Sachsen auf die Demokratie nachhaltig zu beeinflussen. Dabei ist das Gefühl politischer Benachteiligung ein wichtiger Erklärungsfaktor. Das gilt nicht zuletzt für Personen, die sich als Ostdeutsche in besonderer Weise ungerecht behandelt fühlen, sich gar als „Bürger zweiter Klasse“ empfinden und die eigenen Leistungen „für den Aufbau der neuen Bundesländer“ nicht angemessen gewürdigt sehen. Neben einer ökonomischen Zurücksetzung ist in diesem Kontext auch die Wahrnehmung politischer Machtlosigkeit von Bedeutung. Der gefühlte Mangel politischer Selbstwirksamkeit und die Angst vor sozialem Abstieg scheint in einigen Gruppen der sächsischen Bevölkerung verbreitet zu sein und hat offensichtlich im Kontext multipler Krisenszenarien und -diskurse im vergangenen Jahrzehnt zugenommen.
Sachsen ist ein Land der unruhigen Bürger geworden ist. Der Protest zeigt sich offen, manchmal scheint sich der Stammtisch aus den Gasthäusern auf die Straße verlagert zu haben. Das lässt auch auf eine gewisse Verselbstständigung abgeschlossener Zirkel von Personen schließen, die ihre politischen Vorstellungen nicht mehr in den politischen und medialen Diskursen und den Positionen der ‚etablierten‘ Parteien wiederfinden, dafür jedoch ihre „Echokammern“ in den sozialen Medien und auf öffentlichen Plätzen einrichten. Womöglich sieht aber auch die Sozialbilanz des politischen, ökonomischen und demographischen Strukturwandels der letzten 30 Jahre anders aus, als es die schön restaurierten (Klein‑)Stadtlandschaften nahelegen.
Sachsens demokratische Kultur scheint noch nicht gefestigt zu sein, sie weist unübersehbar Risse und Sollbruchstellen auf. Das gilt cum grano salis für ganz Ostdeutschland. Die Transition von einer Diktatur zur Demokratie vollzieht sich nicht linear, sie geht mit vielen Erschütterungen und Enttäuschungen einher. In Sachsen bzw. in Teilen und in bestimmten Gruppen und Regionen Sachsens jedoch spielen anscheinend einige Faktoren eine besondere Rolle: ein struktureller Konservatismus, eine spezifische Form ethnozentrischer Selbstüberschätzung, eine Abwehr des Unbekannten und des Fremden sowie eine unabgeschlossene Vergangenheitsbewältigung.
Der demokratischen Kultur fehlt – regional besonders ausgeprägt – eine Verwurzelung in politischen Organisationen, die für die Ausbildung demokratieförderlicher Einstellungen und Verhaltensweisen wichtig sind. Hinzu kommt eine Schwäche gesellschaftlicher Vermittlungsinstitutionen wie Jugendorganisationen, Gewerkschaften und Berufsverbänden, die nach 1989/90 als freiwillige Assoziationen nicht wirklich neu und flächendeckend etabliert werden konnten. Hier wirkt die Erblast der DDR nach. Allerdings scheinen kirchlich-religiöse Bindungen, die im ostdeutschen Vergleich in Sachsen und dort auch in ländlichen Regionen relativ stark (geblieben) sind, Resilienzen auszubilden. Unbestimmt bleibt die Rolle von Sport‑, Spiel- und Heimatvereinen, die vor allem auch in ländlichen Gebieten sehr präsent sind. Ob sie als demokratische Transmissionsriemen zwischen den Bürgern und den staatlichen Institutionen oder eher als soziale Biotope bürgerschaftlichen Rückzugs und politischer Widerständigkeit wirken, muss dahingestellt bleiben. Generell gilt aber, dass dort, wo es an demokratischen Infrastrukturen mangelt, Resonanzräume für rechtsextreme Aktionen und rechtspopulistische Bewegungen entstehen. Die in Regionen und Teilgruppen der Bevölkerung weit verbreiteten autoritären Mentalitäten, die Offenheit für populistische Einstellungsmuster sowie die Skepsis gegenüber den Institutionen und Verfahren der repräsentativen Demokratie sind als Zeichen einer instabilen politischen Kultur zu deuten, die es einer lauten und organisierten Minderheit erlauben, den Resonanzboden der Unzufriedenheit für politische Mobilisierung auf Straßen und bei Wahlen zu nutzen.
Notes
Der Sächsische Kultursenat nahm die Ereignisse der Jahre 2015/2016 zum Anlass, seinen Kulturbericht 2017 zu betiteln: Nach dem Sturm? Politische Kultur in Sachsen. Darin auch der Beitrag von Hans Vorländer, Vom Musterland zum „Failed State“? Zur politischen Kultur Sachsens (Vorländer 2017).
Zu beachten ist hierbei, dass aufgrund von demografischen Entwicklungen und Abwanderungsbewegungen zwischen 1990 und 2019 zugleich die Zahl der Wahlberechtigten von 3,7 auf 3,3 Mio. geschrumpft ist.
Das trifft insbesondere auf antimuslimische Ressentiments zu, auf die emotionale Faktoren wie Ängste, wahrgenommene Bedrohung der eigenen Kultur und autoritäre Einstellungen einen stärkeren Einfluss haben als eine empfundene ökonomische Benachteiligung (Yendell und Pickel 2020).
Entscheidend waren die Ausschreitungen gegen Flüchtlinge, wobei die Blockade eines Busses, der Geflüchtete zu einer Erstaufnahmeeinrichtung bringen sollte, am 18. Februar 2016 im sächsischen Clausnitz internationale Aufmerksamkeit erregte. Die sächsische Staatsregierung traf sich daraufhin zu einer außerordentlichen Kabinettsitzung am 4. März 2016 und ließ sich dort u. a. über die „Lage in Sachsen“ (durch Hans Vorländer von der TU Dresden) informieren. Zu den Maßnahmen, die in der Folge getroffen wurden, gehörte neben einer Verstärkung politischer Bildung auch die Einführung eines kontinuierlich zu erhebenden „Sachsen-Monitors“ nach dem Vorbild Thüringens. Schon zuvor waren von verschiedenen Seiten diesbezügliche und verstetigte Einstellungsstudien gefordert worden.
Lediglich einige wenige, meist auf wenige Fragen zu einem bestimmten Thema abzielende Umfragen fanden in dieser Zeit statt – etwa eine im Dezember 2017 durchgeführte Umfrage durch das Leipziger Meinungsforschungsinstitut IM Field im Auftrag der Sächsischen Zeitung, die möglichen Hintergründen der AfD-Wahl nachspürte (Pickel 2018).
Der Sachsen-Monitor 2021/22 wurde zwischen November 2021 und März 2022, die CoviSax-Erhebung im Mai 2021 durch das Umfrageinstitut dimap realisiert.
Die hier verwendeten Fragen und einige der dabei gebotenen Antwortmöglichkeiten wurden auch in den ESS10 in Form eines rotating module integriert (ESS 2022).
Die Differenz zwischen Gesamtwert und Summe der Einzelwerte ist die Folge von Rundungen. Tatsächlich liegt die gewichtete Zufriedenheit insgesamt bei 58,47 % mit 4,82 % „sehr zufrieden“ und 53,65 % „eher zufrieden“.
Die Unterschiede zwischen Ostsachsen und Nordsachsen sind signifikant mit p < 0,036 (Wilcoxon Signed-Ranks Test, Bonferroni corrected).
Werden die Daten nach diesem Schema – Großstädte vs. Mittelzentren vs. Kleinstädte und ländliche Gemeinden mit weniger als 20.000 Einwohnern – geclustert, so weisen Befragte aus Wohnorten der mittleren Kategorie mit jeweils p < 0,03 ein signifikant geringeres Maß an Demokratiezufriedenheit auf als jene aus entweder ländlichen oder urbanen Regionen in Sachsen (Wilcoxon Signed-Ranks Test, Bonferroni corrected).
Die einzelnen Items wurden vorher umkodiert, damit höhere Indexwerte ein größeres Institutionenvertrauen anzeigen. Mit 2,49 Punkten liegt der Mittelwert für die im Sachsen-Monitor gezogene Stichprobe dabei ziemlich nah am idealtypischen Mittel der vierstufigen Skala zwischen den Maximalantwortmöglichkeiten „sehr großes Vertrauen“ und „gar kein Vertrauen“.
Alle im Folgenden angesprochenen Gruppenunterschiede sind signifikant mit p < 0,05.
Chemnitz zählte im Sommer 2023 erstmals seit mehr als 20 Jahren wieder mehr als 250.000 Einwohnerinnen und Einwohner.
Was bereits bei ‚Demokratiezufriedenheit‘ beschrieben wurde (vgl. FN 11), kann auch hinsichtlich Institutionenvertrauen festgestellt werden: Befragte aus den beiden Gruppen „Wohnort mit 20–100 Tsd. Einwohnern“ und „Wohnort mit 100–500 Tsd. Einwohnern“ weisen ein signifikant geringeres Institutionenvertrauen auf als jene aus den restlichen (urbanen oder ländlichen) Regionen (p < 0,001, Tukey’s post-hoc).
Zur dimensionalen Struktur rechtsextremer Einstellungen vgl. Best und Salomo (2014).
Unter den 2013 Befragten des Sachsen-Monitors 2021/22 bekannten sich insgesamt 522 Personen zum christlichen, neun zum muslimischen und drei zum jüdischen Glauben. Weitere 15 gaben an, einer anderen Religionsgemeinschaft anzugehören.
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Vorländer, H., Herold, M. Ein unruhiges Land: Sachsen und seine labile demokratische Kultur. Z Politikwiss 33, 709–736 (2023). https://doi.org/10.1007/s41358-023-00362-6
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