1 Einleitung: Zur Bedeutung des Bildungsressorts in den deutschen Bundesländern

Bildung, gemessen beispielsweise als kognitive Basiskompetenzen in internationalen Schülervergleichstests, ist der wohl bedeutendste Faktor für den langfristigen Wohlstand einer Gesellschaft (siehe Busemeyer 2015; Hanushek und Woessmann 2008, 2020). Bildung als Politikbereich (im Sinne von Bildungspolitik als Politics) umfasst alle Entscheidungen, die Lernprozesse organisatorisch, inhaltlich oder ressourcentechnisch ausgestalten (zum Begriff Bildungspolitik siehe Reuter 2018). Im vorliegenden Beitrag konzentrieren wir uns auf das Politikfeld der Schule, in dem die Bundesländer aufgrund ihrer Kulturhoheit über einen weitreichenden Handlungsspielraum verfügen (Nikolai 2020; siehe auch GG Art. 30 und Art. 70 Absatz 1). Dementsprechend nimmt dieser Bereich in Landeskabinetten häufig einen eigenen Ministeriumsposten (oder in Stadtstaaten den Posten als Senator:in einer entsprechenden Senatsbehörde) ein (Hepp 2011). Wenn wir im Folgenden von Bildungsministerien sprechen, dann sind damit zum einen die Kultusministerien gemeint, die in der Vergangenheit üblicherweise die für Bildung (und auch Kultur und/oder Wissenschaft) zuständigen Ministerien bezeichneten. Zum anderen bezieht sich der Begriff „Bildungsministerien“ auch auf die in Stadtstaaten für Bildung zuständigen Senator:innen und deren Senatsverwaltungen (zum Begriff Kultus siehe auch Rackles 2022).

Große Teile der deutschen Wählerschaft betrachten Bildungspolitik als einen Bereich, der für ihre Wahlentscheidung wichtig ist (Lergetporer et al. 2021). Es besteht zudem ein starker Zusammenhang zwischen den Bildungsleistungen von Schüler:innen und der Zufriedenheit von Wähler:innen mit der Schulpolitik ihres Landes (Grewenig et al. 2020). Die Ausgestaltung der Schulsysteme, die Regelung der Lehramtsausbildung, Zulassungs- und Prüfungsangelegenheiten sowie die Gestaltung der schulischen Lern- und Lehrprozesse sind aus bildungsökonomischer Perspektive entscheidend für die Humankapitalakkumulation (Hanushek und Woessmann 2008, 2020). Dem Bildungsministerium obliegt die „politische Steuerung des gesamten Schulwesens […], wozu umfassende Gestaltungs‑, Normierungs- und Planungsaufgaben gehören“ (Hepp 2011, S. 177). Die personelle Besetzung dieses Ressorts ist daher von strategischer Bedeutung für die Regierungsführung. Der Entscheidungsspielraum des Kabinettspostens hängt wiederrum von der Stellung im Kabinett, Absprachen in Koalitionsvereinbarungen, verfügbaren finanziellen Ressourcen, Rückhalt des/der Bildungsministers:in in Fraktions- und Parteigremien sowie in der Ministerialverwaltung ab (ebd.).

Der/Die Bildungsminister:in im jeweiligen Bundesland ist verantwortlich für die Aushandlung der Höhe der Ausgaben für den Schulbereich im Rahmen der Haushaltsverhandlungen des Bundeslandes (Wolf 2008) und nimmt damit auch eine zentrale Stellung bei der Bestimmung der Qualität und Wirksamkeit des Schulsystems ein.

Trotz der bedeutenden Rolle des Ressorts Schule für die Politik sowie die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung der Bundesländer, haben Analysen von Frieder Wolf zur Höhe und Entwicklung von Bildungsausgaben in den deutschen Bundesländern gezeigt, dass Bildungspolitiker:innen in den Kabinetten der Bundesländern keine machtvolle Position im Vergleich etwa zu Finanzpolitiker:innen einnehmen und bei Konflikten zu Mittel- und Stellenkürzungen kaum eine Unterstützung durch den/die Ministerpräsident:in oder anderen Kabinettsmitgliedern erfahren (Wolf 2006). Eine aktuelle Studie von Riethmüller (2021) zeigt zudem, dass Frauen weniger prestigeträchtige Landesministerien besetzen und häufig die Ressorts Soziales, Familie oder Bildung erhalten. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wer in Deutschland überhaupt Bildungsminister:in wird? Eine weitere Fragestellung des Beitrags ist, welche (biografischen) Merkmale Minister:innen haben, die das Bildungsressort in ihrem Bundesland verantworten?

Für die Beantwortung dieser Frage stellen wir in diesem Artikel einen von uns erstellten Datensatz vor, der erstmals die biografischen Merkmale aller Bildungsminister:innen der deutschen Bundesländer seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland systematisch darstellt (Abschn. 2). Zur anschaulichen Beschreibung der möglichen Verwendung der Daten konzentrieren wir uns in Abschn. 3 beispielhaft auf zwei Größen: das Geschlecht und die berufliche Vorerfahrung. Bei letzterem unterscheiden wir zwischen politischer Erfahrung und Lehrerfahrung an allgemeinbildenden Schulen. Die Charakteristika verknüpfen wir zudem mit Daten zur Höhe und Entwicklung von Bildungsausgaben, um zu prüfen, ob wir deskriptiv einen Zusammenhang erkennen können (Abschn. 3.2). Der Beitrag schließt mit einem Fazit (Abschn. 4) und einer Beschreibung des Datenzugangs (Abschn. 5).

2 Der Bildungsminister:innen-Datensatz

Für die Datenbank haben wir biografische (d. h. persönliche sowie politische) Merkmale aller zwischen 1950 und 2020 amtierenden Bildungsminister:innen erhoben. Die Daten wurden von den persönlichen Websites der Minister:innen, Medienarchiven, Websites und Publikationen von Regierungen und Parlamenten zusammengetragen. Eine Auflistung der 117 Einzelquellen ist im vollständigen Datensatz enthalten (zum Datenzugang siehe Abschn. 5). In den Daten enthalten sind die 10 westdeutschen Bundesländer von 1950–1990Footnote 1 sowie alle 16 deutschen Bundesländer seit der Wiedervereinigung von 1990–2020. Folglich umfasst der Datensatz im Zeitraum von 1950–2020 insgesamt 181 Minister:innen bzw. 921 Beobachtungen.Footnote 2

Neben dem Namen des/der im jeweiligen Jahr und Bundesland amtierenden Bildungsminister:in enthält der Datensatz monatsgenaue Informationen zum Beginn und Ende der Amtszeit der jeweiligen Minister:innen („start date“, „end date“) (siehe Tab. 1). Diese Variablen ermöglichen es zum einen, die Länge der Amtszeit der Minister:innen in Jahren bzw. Monaten zu bestimmen. Zum anderen dient der Beginn der Amtszeit auch der Zuordnung der Bildungsminister:innen zu den jeweiligen Jahren des Datensatzes. Da die Landtagswahlen zu unterschiedlichen Zeitpunkten innerhalb eines Jahres stattfinden, musste ein Stichtag festgelegt werden, um eine:n Bildungsminister:in einem bestimmten Jahr zuzuordnen.

Tab. 1 Biografische Merkmale der Bildungsminister:innen im Datensatz

In Anlehnung an Jochimsen und Thomasius (2014) sowie Pilny und Rösel (2020) wurde der 1. Februar als Stichtag gewählt: Der/Die am 1. Februar amtierende Bildungsminister:in wird diesem Jahr als Verantwortliche:r für die politischen Entscheidungen und Maßnahmen des Ressorts zugeschrieben. Bei der Wahl dieses Datums wurde berücksichtigt, dass viele Landtagswahlen gegen Ende des Jahres stattfinden, und die neue Regierung erst zu Beginn des darauffolgenden Jahres die Amtsgeschäfte aufnehmen wird, da hierfür typischerweise zeitintensive Koalitionsverhandlungen nötig sind.

Darüber hinaus sind weitere politische Merkmale enthalten: die Partei, der die Bildungsminister:innen angehören („party“), das Kabinett der amtierenden Regierung („cabinet“), die Anzahl an Parteien, die ein Kabinett bilden („parties“), sowie die Partei des/der Ministerpräsidenten/in des Bundeslandes („party of government“). Hinsichtlich der Parteizugehörigkeit ist darauf hinzuweisen, dass diese nicht unbedingt einer Partei angehören müssen und auch parteilos dieses Amt übernehmen können.

Des Weiteren wurden Variablen zur Ausbildung und Berufserfahrung erfasst. Hierbei wird zwischen branchenspezifischer sowie politischer Berufserfahrung unterschieden. Zunächst bilden die Variablen „university degree“ und „title“ ab, ob amtierende Bildungsminister:innen einen Universitätsabschluss, Doktortitel sowie möglicherweise zusätzlichen Hochschultitel (Professor:in) innehaben. Außerdem werden durch die Variablen „area of studies 1–3“ bis zu drei Studienfächer erfasst – Pädagogik bezeichnet dabei ein Lehramtsstudium. Es ist plausibel, dass neben Bildung und Ausbildung eine gewisse branchenspezifische Berufserfahrung für die Arbeit eines/r Bildungsministers/in prägend sein kann, da diese sein/ihr selbst aufgebautes Expertenwissen anwenden können, um den Politikbereich besonders wirksam zu leiten (Jacqmin und Lefebvre 2016; Jochimsen und Thomasius 2014). Solche bildungsspezifischen Berufserfahrungen werden durch die Variablen „experience in teaching“ sowie „experience in the area of education“ erfasst. Erstere beschreibt, ob die Bildungsminister:innen bei Amtsantritt Erfahrung in einer Lehrtätigkeit besitzen und somit praktische Kenntnisse im Bildungswesen sammeln konnten. Hierbei wird gemäß der in Tab. 1 genannten Ausprägungen zwischen der Lehrtätigkeit in Schulen, im Kindergarten und an Universitäten sowie keiner Vorerfahrung in der Lehre unterschieden. Die zweite Variable beschreibt, ob Berufserfahrung im Bildungsbereich unabhängig von einer Lehrtätigkeit vorliegt. Insbesondere umfasst dies die folgenden Positionen: Schulleitung, Position im Bildungsministerium (Staatssekretär:in und Bildungsminister:in ausgenommen), Staatssekretär:in für Bildung, Dekan:in einer Fakultät, Präsident:in einer Universität, Berater:in für Bildungspolitik, Leiter:in anderer Institutionen im Bildungsbereich. Letztere Institution muss in keinem Zusammenhang zur politischen Ebene stehen und beinhaltet beispielsweise Referent:innen bei Kinder- und Jugendorganisationen. Neben dieser branchenspezifischen Berufserfahrung, wurde mit der Variable „electoral experience“ die politische Erfahrung der amtierenden Bildungsminister:innen erfasst. Der Grund hierfür ist, dass vorherige politische Erfahrung positiv zum Erfolg der Minister:innen beitragen kann (Jacqmin und Lefebvre 2016; Jochimsen und Thomasius 2014). Vogel (2009) konnte zudem zeigen, dass das Parlament ein wichtiger Rekrutierungspool für angehende Minister:innen ist. Daher werden folgende Positionen durch diese Variable abgebildet: Mitglied des Bundestages, Mitglied des Landtages, Minister:in in einem anderen Bereich und Staatssekretär:in (sowohl Bildungs- als auch anderer Bereich) sowie keinerlei politische Erfahrung. In Abschn. 3.1 werden diese Variablen der branchenspezifischen sowie politischen Berufserfahrung genauer untersucht.

Zuletzt sind weitere persönliche Merkmale der Bildungsminister:innen enthalten. Mit der Variable „gender“ wird das Geschlecht – männlich oder weiblich – der Bildungsminister:in erfasst. Die Variablen „married“ (verheiratet, nicht verheiratet oder geschieden) sowie „children“ (ja oder nein) geben Auskunft über die familiären Verhältnisse der amtierenden Bildungsminister:innen. Darüber hinaus wird das Geburtsjahr der Minister:innen mit Hilfe der Variable „birth year“ erfasst – und gibt somit in Kombination mit der Jahresangabe Aufschluss über das Alter der Minister:innen während der Amtszeit. Zuletzt gibt die Variable „confession“ die konfessionelle Zugehörigkeit der Bildungsminister:innen an (katholisch, protestantisch oder konfessionslos).

3 Beispiele zur Nutzung des Bildungsminister:innen-Datensatzes

3.1 Untersuchte Charakteristika: Geschlecht und Berufserfahrung

3.1.1 Geschlecht

Ökonomische Analysen gehen davon aus, dass das Geschlecht eine Rolle für inhaltliche Themensetzungen spielt (siehe z. B. Hessami und Lopes da Fonseca 2020). Eine häufige Beobachtung ist, dass Politikerinnen Themen, die Frauen und Kinder betreffen – wie zum Beispiel Bildung – eine höhere Priorität als ihre männlichen Kollegen einräumen. Die starke Motivation zur Verbesserung des Bildungssektors könnte dazu führen, dass Frauen häufiger das Bildungsressort in einem Kabinett besetzen (Chattopadhyay und Duflo 2004; Svaleryd 2009; Clots-Figueras 2011, 2012; Bhalotra und Clots-Figueras 2014).

Aus einer politikwissenschaftlichen Perspektive kann jedoch das Argument vertreten werden, dass stattdessen die Machtkonstellationen innerhalb von Kabinetten erklären könnten, warum Frauen überproportional häufig Bereiche wie Soziales, Familie oder Bildung als Ministerin übernehmen. Trotz eines wachsenden Anteils von Frauen in Kabinetten der Bundesländer zeigt sich, dass Frauen seltener prestigeträchtige Ministerien wie das Finanzministerium besetzen (z. B. Goddard 2019; Höhmann 2017; Krook und O’Brien 2012; Riethmüller 2021; Sieberer 2015).

In der Diskussion um die Rolle des Geschlechts für den Erfolg von Verhandlungen zeigt die experimentelle Literatur in der Verhaltensökonomie, dass Frauen im Durchschnitt risikoscheuer sind als Männer und weniger bereit sind, in einen Wettbewerb, um Macht und Ressourcen einzutreten (Niederle und Vesterlund 2008; Eckel und Grossman 2008; Croson und Gneezy 2009). Dies lässt vermuten, dass Frauen auch in der Politik eine kooperativere Haltung bei Verhandlungen einnehmen. So könnten Frauen in Koalitionsverhandlungen bei der Kabinettsvergabe eher dazu neigen, Konflikte zu scheuen, auf Kompromisslösungen einzugehen und daher weniger auf Kabinettsposten wie etwa Finanzen oder Inneres zu bestehen.

Abb. 1 zeigt die Zusammensetzung des Bildungsressorts der einzelnen Bundesländer nach Geschlecht. Die Säulen sind umso größer, je höher die Anzahl der Bildungsminister:innen des Bundeslandes seit 1952 ist. Dies hängt sowohl von der Dauer der Amtszeit als auch vom Alter des Bundeslandes ab. Die Säulen der ostdeutschen Bundesländer sind daher kleiner als die der westdeutschen. In den meisten Bundesländern wurden zwischen 1952Footnote 3 und 2020 mehr Männer als Frauen zum/zur Bildungsminister:in ernannt. Ausnahmen bilden die Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein, in denen sich die Anzahl an weiblichen und männlichen Bildungsminister:innen die Waage hält. Im Gegensatz dazu ist der Frauenanteil unter Bildungsminister:innen in Bundesländern wie Bayern und Niedersachsen sehr gering.

Abb. 1
figure 1

Bildungsminister:innen nach Bundesland und Geschlecht seit 1952

Abb. 2 zeigt den zeitlichen Verlauf des Frauenanteils als Durchschnitt der westdeutschen (1952–2020, blaue Linie) und ostdeutschen Bundesländer (1990–2020, rote Linie). Dabei wird deutlich, dass vor 1990 die Ernennung von Männern zum Bildungsminister dominierte: der Anteil der Frauen liegt in dieser Periode lediglich zwischen 0 und 10 %. Bildungsministerinnen wurden dann vornehmlich in der Zeit nach der Wiedervereinigung ernannt: in diesem Zeitraum liegt der weibliche Anteil im Durchschnitt bei fast 50 %. Des Weiteren zeigt die Abbildung, dass der Anstieg des Frauenanteils nach 1990 nicht durch die ostdeutschen Bundesländer getrieben wird, wie auf Grund der stärker geschlechteregalitären Vergangenheit vermutet werden könnte (Riphahn und Trübswetter 2011). Vielmehr stieg der Anteil von Frauen nach 1990 insbesondere in westdeutschen Bundesländern kontinuierlich an.

Abb. 2
figure 2

Anteil weiblicher Bildungsministerinnen seit 1952

In Bezug auf die Parteizugehörigkeit der Bildungsminister:innen zwischen 1952 und 2020 ist Folgendes festzustellen: In absoluten Zahlen gemessen sind die meisten Bildungsminister:innen seit 1952 von den großen Parteien CDU/CSU und SPD gestellt worden. Parteien wie die FDP, die Grünen und die Linke spielen hingegen nur eine kleine Rolle. Dies ist ein Hinweis darauf, dass in Koalitionsregierungen von CDU/CSU oder SPD mit kleineren Parteien die großen Parteien zumeist auch das Ressort Bildung besetzen. Nun stellt sich die Frage, wie die Geschlechter innerhalb einer Partei verteilt sind. Da Parteien links der Mitte der Geschlechtergleichheit eine höhere Priorität einräumen (Riethmüller 2021), ist zu vermuten, dass linke Parteien auch häufiger Frauen für ein Ministeramt nominieren. Jedoch unterscheiden sich Frauenanteile kaum nach Parteien, denn Parteien links der Mitte (SPD, Grünen und Linke) besetzen das Bildungsresort nicht häufiger mit Frauen.

3.1.2 Berufserfahrung

Berufserfahrung im Bildungsbereich kann für Minister:innen von Vorteil sein, da sie ihr Expertenwissen einsetzen können, um Reformen zu implementieren und die Effizienz des Sektors zu erhöhen. Jacqmin und Lefebvre (2016) kommen zu dem Ergebnis, dass eine Vorerfahrung im Hochschulbereich die Leistung von Wissenschaftsminister:innen in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union verbessert. Des Weiteren zeigen Jochimsen und Thomasius (2014), dass deutsche Länderfinanzminister:innen mit relevanter Berufserfahrung das Haushaltsdefizit erfolgreicher reduzieren können als Minister:innen ohne dieses Expertenwissen. Auch Fuchs und Müller (2018) stellen fest, dass die Entwicklungshilfe in OECD Mitgliedsstaaten von größerer Qualität ist, wenn die Entwicklungsminister:innen branchenspezifische Berufserfahrung vorweisen können.

Pilny und Rösel (2020) zeigen hingegen, dass eine Zugehörigkeit zu einer für das Ministeramt relevanten Berufsgruppe auch gegenteilige Effekte haben kann. Sie beobachten, dass die Nominierung von Ärzt:innen als Gesundheitsminister:innen in Deutschland die Produktivität im Gesundheitssektor senkt. Dies könnte auf eine Bevorzugung der eigenen Berufsgruppe auf Kosten des Allgemeininteresses zurückzuführen sein.

Neben Expertenwissen ist auch politische Vorerfahrung potenziell von Bedeutung. Erfahrungen in Verhandlungsführung und Kompromissfindung könnten Minister:innen helfen, ihre Positionen gegenüber anderen Minister:innen und Ministerpräsident:innen durchzusetzen: So belegen Jacqmin und Lefebvre (2016), dass branchenspezifische Erfahrung in Verbindung mit vorheriger Wahlerfahrung von Wissenschaftsminister:innen besonders hilfreich ist, die Leistungsfähigkeit des korrespondierenden Sektors zu verbessern. Jochimsen und Thomasius (2014) kommen ebenfalls zu dem Ergebnis, dass Finanzminister:innen mit parlamentarischer Erfahrung das Haushaltsdefizit erfolgreicher reduzieren als Minister:innen ohne vorherige politische Erfahrung.

In Abb. 3 ist die Anzahl der Bildungsminister:innen der einzelnen Bundesländer zwischen 1952 und 2020 nach Berufserfahrung als Lehrkraft dargestellt. Berufserfahrung bedeutet in diesem Kontext, dass der/die Bildungsminister:in vor der Nominierung als Lehrkraft an einer allgemeinbildenden Schule tätig war und damit Erfahrungen hat, wie Reformprozesse an Schulen angestoßen werden können. Die Abbildung zeigt, dass in allen Bundesländern ein Teil der Bildungsminister:innen zuvor als Lehrkraft tätig war, die Mehrheit jedoch keine Lehrerfahrung vorweisen kann. Ausnahmen bilden die Bundesländer Nordrhein-Westfalen, wo die meisten der zwischen 1952 und 2020 nominierten Bildungsminister:innen Lehrerfahrung hatten, sowie Bremen und Hamburg mit jeweils ungefähr gleichen Anteilen von Bildungsminister:innen mit und ohne Lehrerfahrung.

Abb. 3
figure 3

Bildungsminister:innen nach Bundesland und Vorerfahrung als Lehrkraft seit 1952

In Bezug auf die Anzahl der Bildungsminister:innen in den Bundesländern nach politischer Erfahrung zeigt sich, dass in allen Bundesländern mehrheitlich Bildungsminister:innen mit politischer Erfahrung nominiert wurden. Bei der Auswahl von Bildungsminister:innen wurde somit auf Kandidat:innen gesetzt, die bereits in anderen politischen Ämtern Erfahrungen sammeln konnten.

Abb. 4 zeigt die Anzahl der Bildungsminister:innen seit 1952 nach Parteizugehörigkeit und Erfahrung. Die Mehrheit der Bildungsminister:innen wird von CDU/CSU und SPD gestellt. Grundsätzlich nominieren alle Parteien mehrheitlich Kandidat:innen mit politischer Erfahrung als Bildungsminister:in. Eine Ausnahme davon bildet die Rubrik ‚Sonstige‘, die zumeist parteilose Minister:innen beinhaltet. Diese Amtsträger:innen bringen zum Großteil keine politische Vorerfahrung mit, sondern wechseln als Quereinsteiger:innen in das Amt. Außerdem veranschaulicht die Abbildung, dass von allen Parteien bereits Kandidat:innen mit Lehrerfahrung nominiert wurden. Ein Vergleich von CDU/CSU und SPD, welche die Mehrheit der Bildungsminister:innen stellen, zeigt, dass der Anteil mit vorheriger Lehrerfahrung bei der SPD leicht höher ist als bei der CDU/CSU.

Abb. 4
figure 4

Bildungsminister:innen nach Parteizugehörigkeit und Vorerfahrung seit 1952

3.2 Verknüpfung des Bildungsminister:innen-Datensatzes mit weiteren Daten: Deskriptive Analyse der Zusammenhänge zwischen Geschlecht, Berufserfahrung und Schulausgaben

Nachdem wir im vorherigen Abschnitt die persönlichen Hintergründe der deutschen Bildungsminister:innen untersucht haben, betrachten wir im Folgenden den Zusammenhang dieser Merkmale mit der Häufigkeit der Amtszeiten, Amtszeit nach Geschlecht und Lehrerfahrung bzw. politischer Erfahrung und mit der Höhe der Bildungsbudgets. Unsere Analyse zeigt damit beispielhaft die Forschungsmöglichkeiten auf, die sich aus einer Verknüpfung der Bildungsminister:innen-Datenbank mit anderen Datensätzen ergeben.

Für die folgenden Analysen nutzen wir Daten zu den Haushalten der Länder. Wir konzentrieren uns dabei auf die Ausgaben für allgemeinbildende Schulen pro Einwohner:in, sowohl absolut als auch anteilig am Gesamthaushalt des Bundeslandes. Diese Daten wurden vom Bundesamt für Statistik für die Jahre 1985–2020 zur Verfügung gestellt.Footnote 4 Die Verknüpfung dieser Daten mit dem Datensatz zu Bildungsminister:innen erfolgte gemäß Bundesland und Jahr – folgend der in Abschn. 2 beschriebenen Zuordnung gemäß des Stichtages 1. Februar.

3.2.1 Amtszeit

Da Reformen insbesondere im Bildungsbereich oft mehr Zeit als in anderen Politikbereichen benötigen, und ihre Wirkung sehr viel später entfalten (wenn z. B. die Lehrkräfte infolge einer veränderten Lehramtsausbildung an Hochschulen im Arbeitsmarkt ankommen), ist bei Bildungspolitiker:innen eine Langfristperspektive nötig. Die Handlungsfähigkeit von Bildungsminister:innen wird vermutlich dann größer, wenn deren Amtsdauer länger ist und sich über mehrere Wahlperioden hinweg erstreckt.

Die gesetzliche Dauer einer Amtsperiode zwischen den Wahlen beträgt in beinahe allen Bundesländern fünf Jahre – die Ausnahme hiervon stellt Bremen mit vier Jahren dar. Aufgrund der unterschiedlichen Periodendauern sowie Einzelfällen, in welchen die Perioden unvorhergesehen kürzer ausfielen, ist die Länge der Amstzeit von Bildungsminister:innen in Abb. 5 in Jahren dargestellt. Es ist erkennbar, dass Bildungsminister:innen eines Bundeslandes meist nicht länger als eine Wahlperiode – also vier bzw. fünf Jahre – im Amt sind. In der Tat fallen die Amtszeiten nicht selten noch kürzer aus, das heißt Minister:innen treten von ihrem Amt vor Ende der Wahlperiode zurück. Diese Erkenntnis deutet auf ein Problem der Bildungspolitik hin: bildungspolitische Veränderungen benötigen zumeist einen langen Atem und sind somit schwer umsetzbar, wenn der/die Bildungsminister:in häufig wechselt. Der in Abb. 5 erkennbare Anstieg bei sieben Jahren ist ebenfalls dadurch erklärbar, dass Minister:innen oftmals nicht zwei volle Amtsperiode absolvieren, sondern frühzeitig ausscheiden.

Abb. 5
figure 5

Häufigkeiten – Amtszeiten von Bildungsminister:innen seit 1952

In Abb. 6 ist nun die Amtszeit nach Geschlecht und Lehrerfahrung dargestellt. Zunächst zeigt sich, dass Männer tendenziell länger im Amt sind als Frauen. Bei beiden Geschlechtern ist jedoch zu erkennen, dass sich vorherige Erfahrungen im Lehrberuf hinsichtlich der Amtszeit auszahlen. Sowohl weibliche als auch männliche Bildungsminister:innen mit vorheriger Lehrerfahrung weisen im Durchschnitt längere Amtszeiten auf.

Abb. 6
figure 6

Amtszeit nach Geschlecht und Lehrerfahrung

Hinsichtlich der Amtszeit der Bildungsminister:innen nach Geschlecht und politischer Erfahrung ist Folgendes festzustellen: Auch hier haben – ähnlich wie in Abb. 6 sichtbar – Männer längere Amtszeiten als Frauen. Während sich Lehrerfahrung bei den Geschlechtern auf eine ähnliche Weise auszuwirken scheint, ist der Zusammenhang zwischen politischer Erfahrung und Amtszeit nicht eindeutig: Frauen mit politischer Erfahrung haben tendenziell längere Amtszeiten; Männer mit politischer Erfahrung hingegen sind im Durchschnitt kürzer im Amt.

3.2.2 Schulausgaben

Im nächsten Schritt der Analyse betrachten wir die Entwicklung der Schulausgaben im Zeitverlauf. Abb. 7 zeigt die durchschnittlichen Ausgaben der Bundesländer für allgemeinbildende Schulen, sowohl in Euro pro Einwohner:in (nominal) als auch anteilig in Prozent an den Gesamtausgaben. Hier zeigt sich, dass die Schulausgaben der Bundesländer in Relation zu den Gesamtausgaben über den Zeitraum von 1970–2020 stetig stiegen. Zum einen könnte es sein, dass der Bereich Bildung in der Haushaltsplanung an Bedeutung gewonnen hat. Zum anderen ist der Anstieg der Bildungsausgaben auch auf die Zunahme der Personalausgaben zurückzuführen (Wolf 2006). Diese hängt wiederum mit dem Ausbau der Bildungsinfrastruktur – auch in ländlichen Regionen – zusammen, der einen Anstieg in der Anzahl der Lehrkräfte an Schulen und Universitäten bewirkt hat. Durch den demografischen Wandel in den 1969er-Jahren mit steigendenden Geburten und höheren Zahlen an Schüler:innen sowie durch die Bildungsexpansion, die mit einer höheren Anzahl von Schüler:innen an weiterführenden Schulen einherging (z. B. an Gymnasien und Realschulen), stieg ebenfalls der Bedarf an Lehrkräften und Schulgebäuden (Furck 1998; Klemm 2008). Die Personalkosten nahmen im Zeitverlauf stetig zu und das auch in Phasen zurückgehender Schülerzahlen in den 1990er und 2000er Jahren (Helbig et al. 2019). Mit Blick auf Abb. 7 fällt zudem auf, dass die Schulausgaben als Prozentsatz des Gesamtbudgets im Gegensatz zum stetigen Anstieg der Schulausgaben pro Einwohner:in einige Schwankungen aufweisen. Beispielsweise sei hier der Einbruch der Ausgaben um das Jahr 1990 erwähnt. Dieser könnte auf die Wiedervereinigung zurückzuführen sein, im Zuge derer die Bildungsausgaben nicht in gleichem Maße wie die gesamten Staatsausgaben stiegen.

Abb. 7
figure 7

Entwicklung der Schulausgaben

Betrachten wir die Zusammenhänge zwischen den Schulausgaben der Bundesländer und den persönlichen Merkmalen der Bildungsminister:innen ist Folgendes zur Höhe der Schulausgaben in Prozent nach Geschlecht und Lehrerfahrung der Bildungsminister:innen festzustellen: Die Anteile der Bildungsausgaben am Gesamthaushalt unter weiblichen und männlichen Bildungsminister:innen sind kaum zu unterscheiden. Andererseits zeigt sich, dass während der Amtszeiten von Bildungsminister:innen mit Lehrerfahrung, unabhängig von deren Geschlecht, geringere Anteile des Gesamthaushaltes für Bildung aufgewendet wurden als bei Bildungsminister:innen ohne Lehrerfahrung. Vorherige Erfahrungen der Bildungsminister:in als Lehrkraft gehen somit nicht mit höheren Ausgaben für Schulen einher.

In Abb. 8 sind nun die Schulausgaben nach Geschlecht und politischer Vorerfahrung der Bildungsminister:innen dargestellt. Es wird ersichtlich, dass politische Vorerfahrung des/der Ministers/in je nach Geschlecht unterschiedlich mit dem Budget des Bildungsressorts zusammenhängt. Während Frauen mit politischer Erfahrung tendenziell geringere Ausgaben verbuchen, ist politische Erfahrung bei Männern positiv mit der Höhe des Bildungsbudgets korreliert. Hier wäre in weiteren Studien zu überprüfen, warum sich diese deskriptiven Zusammenhänge zeigen und ob inwieweit sich Frauen trotz politischer Vorerfahrung am Kabinettstisch in den Bundesländern scheinbar weniger gut als Männer im Ministeramt für höhere Bildungsausgaben durchsetzen können. Doch muss auch festgehalten werden, dass der jährliche Veränderungsspielraum im Bildungsbereich am Kabinettstisch aufgrund der Personalkosten zumeist sehr gering ist (Wolf 2006, S. 233).

Abb. 8
figure 8

Schulausgaben nach Geschlecht und politischer Erfahrung der Bildungsminister:innen

An diesem Punkt gilt es zudem darauf hinzuweisen, dass höhere Ausgaben nicht automatisch bessere Lernergebnisse (gemessen in Schulleistungsstudien) erzeugen (Hanushek 2001). Niedrigere Ausgaben können auch auf eine effizientere Politik hinweisen. Dafür wäre zu analysieren, ob die Testleistungen der Schüler:innen sich als Resultat der Ausgaben erhöht haben, oder nicht. Leider liegen uns keine passenden standardisieren Testdaten der Schüler:innen auf Bundesland-Ebene vor, die wir mit den Amtszeiten der Bildungsminister:innen verbinden könnten.Footnote 5

4 Fazit und Diskussion zum Potenzial des Bildungsminister:innen-Datensatzes für weitere Analysen

Der vorgestellte Datensatz kann für weitere Forschungsprojekte zu bildungspolitischen Entscheidungsprozessen eine hilfreiche Grundlage liefern. So könnte damit z. B. untersucht werden, wie die Eigenschaften der Bildungsminister:innen mit der Häufigkeit und Zielrichtung von Bildungsreformen zusammenhängen (Helbig und Nikolai 2015). Eine interessante Frage wäre zudem, warum die Amtsdauer der Bildungsminister:innen, wie wir es in unserem Datensatz beobachten können, im Durchschnitt so kurz ist und welchen Tätigkeiten die Minister:innen nach diesem Amt nachgehen. So könnte untersucht werden, ob das Bildungsministerium ein Karrieresprungbrett für weitere Ministeriumsposten ist oder ob das Amt des/der Bildungsminister:in einen „karrierepolitischen Sargnagel“ darstellt.

Ein weiterer Analyseschritt könnte sein, unseren Bildungsminister:innen-Datensatz mit Daten zu Untersuchungen des Bildungserfolgs von Schüler:innen der einzelnen Bundesländer zu kombinieren. Vorstellbar wären z. B. die VERA-Lernstandserhebungen, die jährlich erfolgen und damit relativ genau den Amtszeiten von Minister:innen zugeordnet werden könnten (im Gegensatz zu Daten wie den PISA-Tests, zwischen denen die zeitlichen Abstände recht groß sind).

Neben quantitativen Analysen wären auch weitere qualitative Analysen denkbar, bei denen die vorgestellte Datenbasis als Grundlage dient, um Bundesländer für Fallanalysen oder Bundesländervergleiche zu identifizieren. In Fallanalysen oder Bundesländervergleichen kann insbesondere mit Hilfe von Experteninterviews untersucht werden, welche Position die Bildungsminister:innen am Kabinettstisch einnehmen und/oder wie sie sich in möglichen Konkurrenzsituationen gegenüber anderen Politikfelder (nicht) durchsetzen. Ebenso könnte mit einem qualitativen Design erhoben werden, welche Eigenschaften und Strategien mit größeren Bildungsbudgets und längeren Amtszeiten verbunden sind.

In diesem Beitrag gingen wir der Frage nach, wer in Deutschland Bildungsminister:in wird. Zu diesem Zweck analysierten wir einen Datensatz aller Bildungsminister:innen Deutschlands seit 1950. Nach unserem Kenntnisstand liefern wir damit die erste Evidenz zu den Eigenschaften von Minister:innen, die das Ressort Bildung im Zeitraum von 1950–2020 verantwortet haben. Dabei leiteten wir aus Forschungsbeiträgen ab, dass sowohl Geschlecht als auch berufliche Vorerfahrung von Bedeutung sind. Beide Indikatoren verknüpften wir zudem mit Daten zur Höhe und Entwicklung des Bildungsbudgets und Dauer der Amtszeit.

Unsere Ergebnisse zeigen, dass in den Bundesländern zwischen 1950 und 2020 deutlich mehr Männer als Frauen zum/r Bildungsminister:in ernannt wurden. Merkliche Unterschiede zwischen den Parteien, die den/die Bildungsminister:in stellten, sind dabei nicht erkennbar. Politiker:innen mit „Expertenwissen“ – das heißt mit Erfahrungen als Lehrkraft –, sind nicht mehrheitlich unter den Bildungsminister:innen vertreten, auch wenn es in jedem Bundesland in dem untersuchten Zeitraum mindestens einmal vorkam, dass eine Lehrkraft Bildungsminister:in wurde. Politische Vorerfahrung besaß hingegen die Mehrheit der Bildungsminister:innen bei Amtsantritt. Wichtig ist dabei, dass die dargestellten Abbildungen lediglich Korrelationen darstellen und keine kausalen Schlüsse zulassen. Wir laden Forscher:innen dazu ein, die vorgestellte Datenbank zu nutzen und die skizzierten Anschlussfragen weiter zu analysieren.

5 Datenzugang

Unsere Datenbank mit der erstmaligen vollständigen Erhebung der persönlichen Merkmale von Bildungsminister:innen der Bundesländer steht allen interessierten Wissenschaftler:innen unter der DOI https://doi.org/10.7805/education-minister-2022 zur Verfügung. Der Datenzugang erfolgt über eine Registrierung beim Economics and Business Data Center (EBDC) des ifo Instituts und der LMU München. Bei Verwendung der Daten ist dieser Beitrag zu zitieren.