Der 11. September 2001 ist zweifelsfrei der bisher folgenreichste Tag des 21. Jahrhunderts. Die Terroranschläge auf das World Trade Center in New York trafen nicht nur die Vereinigten Staaten, sondern erschütterten die gesamte Welt. Die von der Terrorgruppe al-Qaida initiierten Angriffe wurden als Angriff auf das gesamte freiheitlich-demokratische Wertesystem begriffen und haben die internationalen Beziehungen tiefgreifend verändert (Gunaratna et al. 2021). Obwohl mittlerweile über 20 Jahre vergangen sind, haben die Ereignisse des letzten Sommers rund um den Abzug der internationalen Truppen aus Afghanistan und die daraus resultierende erneute Machtübernahme der Taliban das Thema zurück in den Mittelpunkt der globalen Aufmerksamkeit gerückt.

Bereits am Abend des 11. September 2001 richtete sich der damalige US-Präsident George W. Bush mit einer Rede an die US-Nation und kündigte den „Krieg gegen den Terror“ an. Erstmalig wurde der Bündnisfall nach Artikel 5 des Nordatlantikvertrags ausgerufen; Deutschland und auch weitere Bündnispartner bekundeten ihre Solidarität mit den USA (Buckley 2006). Die Strategie für das weitere Vorgehen fasste Bush (2001a) dabei wie folgt zusammen: „From this day forward, any nation that continues to harbor or support terrorism will be regarded by the United States as a hostile regime“. Mit dieser Prämisse wurde schließlich der Einmarsch der US-geführten Koalition in Afghanistan legitimiert, wo sich der al-Qaida-Anführer Osama bin Laden nach damaligen Erkenntnissen unter dem Schutz der Taliban-Regierung versteckt hielt.

Die deutsche Beteiligung an diesem Einsatz wurde vom Deutschen Bundestag im Dezember 2001 auf den Weg gebracht. Das Mandat sah dabei vor, dass sich die deutschen Streitkräfte an der Mission „International Security Assistance Force“ (ISAF) beteiligen, die das Ziel hatte, den neu eingesetzten afghanischen Übergangspräsidenten Hamid Karzai zu unterstützen und für eine Stabilisation des Landes zu sorgen (Deutscher Bundestag 2001).Footnote 1 Die ISAF-Streitkräfte waren dabei zunächst nur in Kabul und in der unmittelbaren Umgebung stationiert. Zeitgleich führten die USA mit Unterstützung Großbritanniens im Rahmen der Mission „Operation Enduring Freedom“ (OEF) eine militärische Offensive gegen das Taliban-Regime in den übrigen Provinzen durch (Bush 2001b). Das Jahr 2003 stellte dann allerdings eine Zäsur dar. Durch den Beginn des Angriffs auf den Irak war Afghanistan für die USA nur noch zweitranging. Am 20. März 2003 begann die Invasion des Iraks, die mit dem Fall Baghdads am 1. Mai 2003 endete und in die 8‑jährige Besatzung des Iraks mündete.Footnote 2

Die Schlachtfelder des US-geführten Kriegs gegen den Terror lagen aber nicht nur in Kabul und Baghdad, sondern effektiv überall – er wurde von den Vereinigten Staaten auf jedem Kontinent und über alle nationalen Grenzen hinweg geführt. Ihren Ursprung nahm diese Entwicklung mit der Verabschiedung des „Patriot Act“Footnote 3 am 26. Oktober 2001, einem US-Bundesgesetz, dass den Sicherheitsbehörden und Nachrichtendiensten weitreichende Befugnisse einräumte und bis ins Jahr 2020 mehrfach vom US-Parlament erneuert wurde. Während die Instrumente des Patriot Acts sicherlich dabei geholfen haben terroristische Anschläge zu verhindern, muss ebenfalls festhalten, dass sie die Grundlage für die Entstehung von Orten wie Guantanamo Bay und Abu-Ghuraib geschaffen haben. Die gravierenden Menschenrechtsverletzungen, die an diesen Orten Alltag waren (Maran 2006; Rosenberg 2019), stellen dabei wohl den moralischen Tiefpunkt des Krieges gegen den Terror dar.

Dennoch konnten Terroranschläge nicht gänzlich verhindert werden. Mit den Madrider Zuganschlägen von 2004 und dem Terroranschlag in London 2005 hielt die neue Welle des islamistischen Terrors auch in Europa Einzug. Seither haben es sich auch europäische Regierungen zur Aufgabe gemacht, Terroranschläge um jeden Preis zu verhindern. Josef Braml (2021) spricht davon, dass die Terrorgefahr „als eine für den Staat existenzielle Bedrohung überhöht und damit [ein] Ausnahmezustand geschaffen“ wurde. Auch viele BürgerInnen waren dazu bereit Einschränkungen ihrer Freiheit hinzunehmen, beispielsweise in Gestalt der Erfassung biometrischer Merkmale in Ausweisdokumenten. Zu diesem Zeitpunkt war allerdings das wahre Ausmaß der im Namen des Krieges gegen den Terror eingeführten Überwachungsmaßnahmen noch nicht bekannt. Dies änderte sich erst mit den Enthüllungen verschiedener Whistleblower, allen voran Edward Snowdens Enthüllungen aus dem Jahr 2013. Die von Snowdens Enthüllungen initiierte Debatte darum, wie weit die Befugnisse der Regierung zur Terrorismusbekämpfung reichen sollen, beschäftigt die Gesellschaft bis heute.Footnote 4

Nach fast 20 Jahren endete der Einsatz in Afghanistan schließlich im Sommer 2021. Das im Februar 2020 geschlossene Doha-Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und der Taliban, in dem sich die Parteien auf einen schrittweisen Abzug der NATO-Streitkräfte im Gegenzug für eine Zusicherung, dass von Afghanistan keine Terrorgefahr ausgehe, geeinigt haben, leitete das Ende des Einsatzes ein (Doha-Abkommen 2020). Im Mai 2021 begann der offizielle Abzug internationaler Truppen aus Afghanistan mit dem von US-Präsidenten Joe Biden angekündigten Ziel, dass die US-Truppen spätestens am 11. September das Land verlassen haben sollten (Cooper et al. 2021). Ohne die Unterstützung der US-Truppen vor Ort kam es zwangsweise ebenfalls zu einem Abzug der übrigen westlichen Streitkräfte aus Afghanistan. Durch den zu späten Beginn der Evakuierung deutscher Streit- und Ortskräfte, konnten viele Menschen nicht mehr rechtzeitig gerettet werden. Bündnis 90/Die Grünen, FDP und Die Linke warfen der Bundesregierung vor, nicht früher mit der Evakuierung begonnen zu haben. Zudem habe die Bundesregierung jahrelang weder eine Exit-Strategie vorgelegt noch eine Evaluierung des Afghanistan-Einsatzes vorgenommen (Deutscher Bundestag 2021). Erneut gelang es damit weder Deutschland noch anderen EU-Staaten, eine gemeinsame, von den Vereinigten Staaten unabhängige Strategie zu formulieren und umzusetzen (Schmidt 2021). Darüber welche Lektionen aus den Geschehnissen für die europäische Zusammenarbeit gezogen werden sollen, besteht ebenfalls noch Uneinigkeit.

Vor dem Hintergrund des katastrophalen Scheiterns der westlichen „Strategie“ für Afghanistan und dem ernüchternden Zustand des Landes nach 20 Jahren westlichen Engagements erscheint es besonders dringend, den ausgerufenen Krieg gegen den Terror kritisch zu analysieren. Hierzu leistet die vorliegende Ausgabe einen Beitrag: Zu Beginn beschreibt Luba von Hauff in ihrem Beitrag „Demokratie und Weltordnung: Gerät das westliche System unter Druck?“, weshalb der Westen in Afghanistan Staatsaufbau- und Demokratisierungsambitionen zeigte, warum diese Ambitionen scheiterten und welche Folgen sie letztlich mit sich bringen. Anschließend legt Florian Böller in seinem Beitrag „A Strained Partnership: Krise und Resilienz in den transatlantischen Beziehungen 20 Jahre nach 9/11“ eine detaillierte Chronologie der Entwicklungen der NATO seit dem 11. September 2001 vor und zeigt die Folgen für die transatlantischen Beziehungen auf. Abschließend richtet Carolin Rüger in ihrem Beitrag „20 Jahre nach 9/11 – Wie zukunftsfähig ist die Außenpolitik der EU?“ einen kritischen Blick auf die außenpolitische Strategie der europäischen Union. Sie geht dabei auf Stärken und Schwächen der EU-Außenpolitik ein, die sich vor allem nach dem 11. September entwickelt haben und stellt gleichzeitig dar, welche Chancen sich aus den aktuellen außenpolitischen Herausforderungen für die europäische Union ergeben können.