Wählergemeinschaften führten in der deutschen Politikwissenschaft über Jahrzehnte ein Schattendasein. Trotz stetiger Präsenz und steigender Wahlerfolge auf kommunaler Ebene widmeten sich bis zum Ende der 1990er-Jahre nur wenige Studien Wählergemeinschaften als eigenständigem Akteur. Erst in den vergangenen Jahren wuchs das politikwissenschaftliche Interesse hierzulande. Im Gegensatz zu Parteien begrenzen Wählergemeinschaften ihre Aktivität ausschließlich auf die kommunale Ebene. In Deutschland entsprechen sie deshalb nicht den rechtlichen Anforderungen des Parteiengesetzes zur Erlangung des Parteienstatus. So sieht §2 des Parteiengesetzes vor, dass Parteien auf Landes- oder Bundesebene aktiv sein müssen. Formal betrachtet sind Wählergemeinschaften damit Nichtparteien. Im Gegensatz zu Bürgerinitiativen oder politischen Bewegungen zielen sie auf die unmittelbare Beeinflussung der Politik vor Ort durch die Teilnahme an Kommunalwahlen.

Der Status als kommunale Nichtpartei ist womöglich ein Grund für das geringe Forschungsinteresse: Der Fokus der deutschen Politikwissenschaft liegt zumeist auf der überörtlichen Politik. Die Kommunalpolitik erfährt vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit. Für die Parteienforschung im Speziellen mag zusätzlich der Status als Nichtpartei dazu geführt haben, dass Wählergemeinschaften gegenüber dem grundlegenden Untersuchungsgegenstand, den Parteien, wesensfremd erschienen. Wie im Folgenden dargestellt wird, ist es jedoch gerade dieser Status, der die Forschung zu Wählergemeinschaften in den vergangenen Jahren belebt hat: In Zeiten eines verbreiteten Misstrauens gegenüber etablierten Parteien (Angenendt 2018c; Biehl 2013) präsentieren sich Wählergemeinschaften als Antiparteien und profitieren von ihrer Selbstdarstellung als parteilose Alternative im kommunalpolitischen Wettbewerb. In den vergangenen Jahrzehnten haben sie sich zu ernsthaften Konkurrenten gegenüber den Parteien entwickelt und dominieren mancherorts bereits den politischen Wettbewerb – auch außerhalb der südlichen Bundesländer, wo sie traditionell eine starke Stellung einnehmen (Angenendt 2021; Holtmann 2012). Schätzungen zufolge stellen sie mit einer Zahl von über 420.000 (Grein 2007) nahezu so viele Mitglieder wie CSU, Linke, Grüne, FDP und AfD zusammen.

Der vorliegende Beitrag stellt deshalb das Verhältnis von Wählergemeinschaften und Parteien dar und fragt, ob Wählergemeinschaften eine partizipatorische, parteienskeptische und elektorale Alternative zu den Parteien bilden. Zur Beantwortung wird der Forschungsstand getrennt nach drei Bereichen dargestellt: Der erste Abschnitt widmet sich dem Sozialprofil, den Beitrittsmotiven und dem Partizipationsverhalten der Mitglieder. Der zweite Abschnitt widmet sich den Einstellungen der Mitglieder zu Demokratie, Politik und Parteien. Der dritte Abschnitt widmet sich der Organisationsstruktur der Wählergemeinschaften sowie ihrer Präsenz und ihrem Erfolg. Der Beitrag schließt mit der Benennung von Forschungsdesideraten und einem Ausblick auf die mögliche Entwicklung von Wählergemeinschaften in Deutschland.

1 Wählergemeinschaften als partizipatorische Alternative?

1.1 Sozialprofil

Aus einer Vielzahl von Studien ist bekannt, dass die höheren Gesellschaftsschichten häufiger an Wahlen und in Parteien partizipieren (Barnes und Kaase 1979; Brady et al. 1995; Klein 35,36,a, b; Schlozman et al. 2018; Steinbrecher 2009). In Bezug auf Wählergemeinschaften stellt sich die Frage, ob es ihnen aufgrund ihrer Selbstdarstellung als Nicht- oder Antipartei gelingt, dieses Muster zu durchbrechen und vermehrt diejenigen zur politischen Partizipation zu motivieren, die sich als Teil der unteren Gesellschaftsschichten typischerweise nicht beteiligen. Im Folgenden wird deshalb aufgezeigt, welche Bevölkerungsschichten die Parteifreien repräsentieren, weshalb sich abseits der Parteien engagiert wird und wie sich das Engagement in einer Wählergemeinschaft gestaltet.

In den frühen Studien zur Untersuchung des Sozialprofils der Mitglieder wird hervorgehoben, dass es zu den Grundsätzen der Wählergemeinschaften gehöre, lokale Honoratioren zur Mitarbeit und Kandidatur zu bewegen, also diejenigen, die in der Kommune durch ihre berufliche oder soziale Stellung ein besonderes Ansehen genießen (Luckmann 1970; Stockinger 1975). Demnach repräsentieren die Mitglieder nicht den Querschnitt der Bevölkerung, sondern vorwiegend die höheren Gesellschaftsschichten. Die These bestätigt sich in einer Reihe von Fallstudien, die eine Dominanz von Angestellten und Selbstständigen aus der mittleren bis oberen Mittelschicht konstatieren (Haller 1979; Klotzsch 1984, S. 2451; Naßmacher 1996, S. 181–183; Rüdiger 1966, S. 163; Stortz 2009, S. 48–52). Jüngere Ergebnisse deuten auf einen Wandel in der deskriptiven Repräsentation von Frauen hin. Nach Holtkamp und Eimer (2006) ist der Frauenanteil unter den Ratsmitgliedern baden-württembergischer Wählergemeinschaften jüngeren Ursprungs deutlich höher als unter den Ratsmitgliedern traditionsreicher Wählergemeinschaften. Zur Erklärung verweisen die Autoren auf die von Holtmann (1992) formulierte Strukturwandel-These. Der These nach vollzieht sich seit den 1980er-Jahren ein Wandel im Spektrum der Wählergemeinschaften:

Es tritt eine neue Variante parteifreier Bürgerlisten auf. Diese unterscheiden sich von dem altmittelständisch-konservativen Programm- und Sozialprofil der traditionellen FWG [Freien Wählergemeinschaften, Anm. des Verfassers] deutlich […] (Holtmann 1992, S. 21).

Zu der Repräsentation „des alten Mittelstandes von Handwerk, Handel und Gewerbe“ (Holtmann 2001, S. 426) – mit seiner besonders in Süddeutschland verwurzelten Vorstellung parteiferner Selbstverwaltung – tritt demnach die Repräsentation postmaterialistischer Milieus, die ein divergierendes Sozialprofil zum alten Typ von Wählergemeinschaft erwarten lassen (Holtmann 1999, S. 221; Reiser und Holtmann 2009, S. 196). Für die These spricht auch die Untersuchung von Klein et al. (2021), der zufolge es Wählergemeinschaften gelingt, Frauen und Männer gleichermaßen zur Kandidatur bei den Kommunalwahlen zu bewegen.

Der Vergleich des Sozialprofils von parteilosen und parteilichen Fraktionsvorsitzenden zeigt, dass Gemeinsamkeiten bei der Geschlechts- und Altersstruktur Unterschiede in der Bildungs- und Berufsstruktur gegenüberstehen (Holtmann 2012, S. 32–35; Reiser und Krappidel 2008, S. 86–90). In beiden Organisationsformen sind unter den Fraktionsvorsitzenden Männer stark und junge Menschen schwach vertreten. Im Durchschnitt sind parteiangehörige Fraktionsvorsitzende höher gebildet als parteilose. In Bezug auf die Berufsstruktur bestätigen die Ergebnisse die Befunde früherer Fallstudien: Selbstständige und Freiberufler stellen die größte Gruppe unter den Fraktionsvorsitzenden der Wählergemeinschaften dar und sind häufiger als unter den parteilichen Fraktionsvorsitzenden anzutreffen. Dort dominieren stattdessen Beamte und Angestellte im öffentlichen Dienst.

Angenendt (2021, S. 91–101) hingegen nimmt das Sozialprofil des gesamten Mitgliederspektrums der Wählergemeinschaften in den Blick, also auch solche ohne Amt und Mandat. Er konstatiert, dass das typische Mitglied einer Wählergemeinschaft männlich, rund fünfzig Jahre alt und höhergebildet ist und sich in der mittleren bis oberen Mittelschicht verortet (Angenendt 2021, S. 133–134). Im Ergebnis gleicht sich damit das Sozialprofil der Mitglieder von Wählergemeinschaften und Parteien weitgehend. Hervorzuheben ist, dass Wählergemeinschaften im Vergleich zu Parteien in geringerem Umfang von der Überalterung ihrer Mitglieder betroffen sind, wenngleich auch das Durchschnittsalter in den Wählergemeinschaften über dem in der Gesamtbevölkerung liegt. Im Vergleich zur gesamten Bevölkerung sind sowohl in Wählergemeinschaften als auch Parteien Männer, Hochgebildete und Angehörige der höheren Gesellschaftsschichten und Berufsgruppen überproportional vertreten (Angenendt 2021, S. 92).

1.2 Beitrittsmotive

Richtet man den Blick auf die Beitrittsmotive der Mitglieder und fragt explizit danach, weshalb sie sich in einer Wählergemeinschaft statt in einer Partei engagieren, zeigt sich, dass sie der Anspruch motiviert, eine sachbezogene, ideologiefreie und pragmatische Politik zu betreiben sowie die Interessen der Bürger in ihrer Kommune zu repräsentieren. Hinzu tritt die aus Sicht der Parteifreien fehlende Bürger- und Praxisnähe der Ortsvereine der etablierten Parteien. Pragmatische Motive, wie die Erfolgsaussichten einer Wählergemeinschaft, besitzen eine untergeordnete Bedeutung (Angenendt 2021, S. 109; Holtmann 2012; Reiser und Krappidel 2008, S. 93–94). Zielt man auf die Beitrittsanreize in eine politische Organisation im Allgemeinen ab und zieht dazu das Generelle Anreizmodell nach Whiteley und Seyd (1996) heran, zeigen sich allerdings weitreichende Gemeinsamkeiten zwischen Wählergemeinschafts- und Parteimitgliedern (Angenendt 2018b, 2021, S. 102): Ein zentrales Motiv stellt für die Mitglieder beider Organisationsformen die Durchsetzung eigener politischer Vorstellungen dar sowie der Wunsch, durch das eigene Engagement einen Beitrag zu einer vitalen Demokratie zu leisten. Berufliche oder politische Karriereambitionen sowie sozialer Druck durch Familie und Freunde besitzen einen untergeordneten Stellenwert.

Der Vergleich zwischen den allgemeiner formulierten Beitrittsmotiven des Generellen Anreizmodells und den konkreten, wählergemeinschaftsspezifischen Beitrittsmotiven zeigt, dass Wählergemeinschafts- und Parteimitglieder ihrer Organisation aufgrund ähnlicher Anreize beitreten, für die Wählergemeinschaftsmitglieder der Stellenwert ihrer Organisation als Nichtpartei subjektiv aber eine gewichtige Rolle spielt. Damit in Einklang stehen die Befunde von Klein et al. (2021). Die Autoren zeigen, dass die Bereitschaft zur Kandidatur für eine Wählergemeinschaft bei den Personen steigt, die sich mit keiner Partei identifizieren und mit der Demokratie unzufrieden sind. Demnach könnte der Bedeutungszuwachs von Wählergemeinschaften „zumindest teilweise die zunehmende Abkopplung der Bevölkerung von der repräsentativen Parteiendemokratie reflektieren“ (Klein et al. 2021, S. 58).

1.3 Partizipationsverhalten

Über das Partizipationsverhalten in den Wählergemeinschaften lagen lange Zeit keine Informationen vor, weil sich die Studien meist auf die Ratsmitglieder – und damit auf den aktiven Teil in den Wählergemeinschaften – konzentrierten. Erst in jüngerer Zeit konnte Angenendt (2021, S. 114–119) die These empirisch bestätigen, dass die Parteifreien deutlich aktiver sind als Parteimitglieder. Sie partizipieren häufiger an den Versammlungen ihrer Wählergemeinschaft und sind häufiger zur Übernahme von Ämtern und Mandaten bereit. Dennoch sind auch in den Wählergemeinschaften inaktive Mitglieder anzutreffen, die sich auf den sporadischen Besuch von Versammlungen beschränken und ansonsten nicht weiter in Erscheinung treten. Daneben gibt es solche, die vorwiegend am sozialen Austausch mit kommunalpolitisch Gleichgesinnten interessiert sind, aber wenig Ambitionen zur Übernahme von Ämtern und Mandaten zeigen. Die Gruppe der ämterorientierten Aktiven hat hingegen vorrangig genau das zum Ziel, während die Allrounder sich an allen Formen innerwählergemeinschaftlicher Partizipation intensiv beteiligen. Die Art und Weise ihres Partizipationsverhaltens wird durch persönliche Ressourcen, beitrittsrelevante Anreize und politische Prädispositionen beeinflusst (Angenendt 2021, S. 123–133): Mitglieder aus höheren Gesellschaftsschichten engagieren sich umfangreicher als Mitglieder aus niedrigeren Bevölkerungsschichten. Auch diejenigen, die in starkem Maß den Austausch mit politisch Gleichgesinnten suchen und sich von ihrem Engagement berufliche Vorteile versprechen, engagieren sich stärker innerhalb der Wählergemeinschaften. Ebenso begünstigend wirken ein umfangreiches politisches Interesse und die Überzeugung, durch das eigene Engagement kommunalpolitische Prozesse wirksam beeinflussen zu können.

Sozial und politisch aktiv sind die Mitglieder auch außerhalb ihrer Wählergemeinschaft. So deutet der Befund von Angenendt (2021, S. 120), dass sich die die überwiegende Mehrheit in einem örtlichen Freizeitverein engagiert, auf eine Bestätigung der Sozialbruderschafts-These von Holtmann (2012, S. 42) hin, nach der die Mitglieder eine enge Verbindung zu ihrer Kommune aufweisen. Überdies ist der Nichtwähleranteil bei Bundestagswahlen gering und etwas mehr als jeder Achte ist neben seinem Engagement in einer Wählergemeinschaft auch Mitglied in einer Partei, überwiegend bei den Freien Wählern. Bei Bundestagswahlen entscheiden sich die Wählergemeinschaftsmitglieder dennoch am häufigsten für die CDU/CSU. Den Freien Wählern geben sie am zweithäufigsten ihre Stimme. In der Gesamtbetrachtung lässt sich etwa jedes zweite Mitglied der Wählergemeinschaften im konservativen politischen Spektrum verorten (Angenendt 2021, S. 122).

In Anbetracht der empirischen Ergebnisse ist zu konstatieren, dass sich Wählergemeinschaften im politischen Wettbewerb zwar gerne als partizipatorische Alternative zu den Parteien präsentieren, faktisch aber weitreichende Gemeinsamkeiten im Sozialprofil, den Beitrittsmotiven und dem Partizipationsverhalten bestehen. Bislang gelingt es ihnen insofern nicht, substanziell andere Bevölkerungsschichten zur politischen Partizipation zu motivieren. Allzu optimistische Erwartungen in Bezug auf ihr Mobilisierungspotenzial sind deshalb zu dämpfen. Der formale Status als kommunale Nichtpartei ist letztlich nicht ausreichend, um den parteienfernen Bevölkerungsschichten ein ansprechendes Partizipationsangebot zu unterbreiten. Die gefühlte Distanz der Wählergemeinschaften zu den Parteien ist allerdings für die Mitglieder identitätsbestimmend, was im folgenden Abschnitt näher thematisiert wird.

2 Wählergemeinschaften als parteienskeptische Alternative?

2.1 Einstellungen der Mitglieder zu Demokratie, Politik und Parteien

Das Selbstverständnis als Nicht- oder Antipartei prägt die Forschung zu Wählergemeinschaften seit jeher. Es hat jedoch in den vergangenen Jahren aufgrund des Aufstiegs populistischer Parteien und Anti-Establishment-Parteien weiter an Bedeutung gewonnen und eine Reihe von Untersuchungen angeregt (Angenendt 2015, 2018a; Jankowski et al. 2020). Auf der einen Seite seien Wählergemeinschaften der Prototyp einer unpolitischen und am örtlichen Gemeinwohl orientierten Gruppierung, die gut zur Funktionsweise der Kommunalpolitik und dem Wunsch vieler Bürger nach einer unparteiischen Politik vor Ort passe (Klotzsch 1984, S. 2438; Möller 1985, S. 193; Stockinger 1975). Auf der anderen Seite wird der Vorwurf erhoben, dass ihre Selbstdarstellung Ausdruck einer antiparlamentarischen Haltung ist (Kaack 1972, S. 136; Lütjen 2012), sie in einer „pluralismusfeindlichen Tradition deutschen Denkens“ stehen (Haller 1979, S. 366) und „ein wichtiger Multiplikator des ‚Antiparteieneffekts‘“ sind (Stöss 1984, S. 2423). Ältere, qualitative Fallstudien untermauern, dass die Skepsis gegenüber den örtlichen Parteien ein die Mitglieder einendes Merkmal darstellt (Grundmann 1960; Möller 1985). Allerdings fehlte es noch bis in das neue Jahrtausend hinein an quantifizierbaren Ergebnissen. Diese liefern einen tieferen Einblick in die Einstellungen der Mitglieder zu den etablierten Parteien. Die Umfrage unter Fraktionsvorsitzenden aus Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg von Holtkamp und Eimer (2006) zeigt deutlich, dass politischer Dissens unter parteilosen Ratsmitgliedern mehrheitlich negativ beurteilt wird und Parteien in der Kommunalpolitik als entbehrlich gelten. Bei der Einordnung der Ergebnisse ist zu berücksichtigen, dass sich die Funktionslogik der Kommunalpolitik auch aus der Sicht parteiangehöriger Ratsmitglieder von der Logik der Landes- und Bundespolitik unterscheidet. Dennoch vertritt nur eine Minderheit unter ihnen die Sichtweise, dass fachlich-technischer Sachverstand vor Ort die politische Überzeugung ersetzt; sie bejahen deutlich stärker parteienwettbewerbliche Handlungslogiken (Holtkamp und Eimer 2006, S. 267). Die erste bundesweite Studie, die sich umfassend dem Vergleich von parteilosen und parteiangehörigen Fraktionsvorsitzenden widmet, bestätigt weitgehend die genannten Befunde (Holtmann 2008; Holtmann et al. 2012). Die Parteilosen bejahen nahezu ausnahmslos, dass Sacharbeit auf kommunaler Ebene Vorrang vor Parteipolitik haben sollte (Reiser und Krappidel 2008, S. 91). Deutliche Unterschiede zeigen sich erneut zwischen parteilosen und parteiangehörigen Fraktionsvorsitzenden: Dass Parteien ihre Konkurrenz zurückstellen sollten, lokale Persönlichkeiten wichtiger als Parteipolitiker und Parteien für ein politisches Gesamtkonzept in der Kommunalpolitik überflüssig sind, bejahen weit mehr Parteilose als Parteiangehörige (Reiser und Krappidel 2008, S. 91).

Die ausgeprägte Skepsis gegenüber den örtlichen Parteien belegen auch die Befunde von Angenendt (2018a, 2021). Überdies unterscheidet Angenendt (2018a, S. 404–405) anhand von zwei Dimensionen zwischen vier Typen der Parteienskepsis. Dadurch kann empirisch geprüft werden, ob die Parteienskepsis der Wählergemeinschaftsmitglieder auch die höheren Ebenen des politischen Systems umfasst (räumlicher Fokus der Kritik) und sich die Skepsis auf die politische Praxis der etablierten Parteien beschränkt oder in einer Fundamentalopposition gegenüber der Parteiendemokratie äußert (Objekt der Kritik). Die Ergebnisse zeigen, dass das Ausmaß der Parteienskepsis zwischen den Typen variiert. Die überwiegende Mehrheit der Mitglieder begegnet den Ortsvereinen der Parteien mit Skepsis. Ressentiments gegenüber den Parteien in der Landes- und Bundespolitik sind seltener anzutreffen. Gänzlich abgelehnt wird die Parteiendemokratie von den Wenigsten, wenngleich etwas häufiger als in der Gesamtbevölkerung. Auch antipluralistische Politikkonzeptionen werden nur von einer kleinen Minderheit der Mitglieder geteilt. Diese Mitglieder konzentrieren sich auf einige wenige Wählergemeinschaften – hauptsächlich in den Großstädten (Angenendt 2021, S. 187). Extremistische Wählergemeinschaften stellen folglich im Spektrum eine Randerscheinung dar. Zieht man die Einstellungen der Parteifreien zur Kommunalpolitik und zur Zufriedenheit mit der Demokratie hinzu, ergibt sich ein klares Bild: Das Spektrum eint die Identität als parteienskeptische Alternative in der Kommunalpolitik ebenso wie die Überzeugung, dass Parteien jenseits davon eine unerlässliche Funktion für die repräsentative Demokratie erfüllen.

2.2 Determinanten der Anti-Parteien-Haltung

Zur Erklärung der Parteienskepsis werden in der lokalen Politikforschung drei Faktoren als einflussreich erachtet: Die Prägekraft der Kommunalverfassungen, die Städte- und Gemeindegröße sowie die politische Kultur in Ost- und Westdeutschland (Bogumil 2002; Heinelt 2012; Holtkamp et al. 2015). Die Analysen von Holtkamp et al. (2015) heben die Bedeutung des kommunalen Demokratietyps und der Kommunengröße als Einflussfaktoren hervor: In kommunalen Konkurrenzdemokratien wird die Organisationsform Partei sowohl von parteigebundenen als auch parteilosen Ratsmitgliedern als relevanter für eine funktionierende kommunale Demokratie betrachtet als in kommunalen Konkordanzdemokratien (zum Konzept der kommunalen Konkordanz- und Konkurrenzdemokratie siehe Holtkamp 2008). Überdies wird politischer Dissens von den Ratsmitgliedern in einwohnerreichen Kommunen eher als legitim betrachtet als in einwohnerarmen (Holtkamp et al. 2015, S. 11). Die Überzeugung, dass Sachpolitik Vorrang gegenüber Parteipolitik haben sollte, ist hingegen in einwohnerarmen Kommunen stärker verbreitet und schwächt sich mit steigender Einwohnerzahl ab. Dieser Befund trifft allerdings nur auf parteigebundene Ratsmitglieder zu. In der Konsequenz vertreten die Ratsmitglieder der Wählergemeinschaften ihre Überzeugung, eine rein sachliche und ideologiefreie Politik zu betreiben, unabhängig davon, ob sie in einwohnerarmen oder -reichen Kommunen kandidieren.

Die Studie von Angenendt (2021, 157ff.) ergänzt die genannten Erklärungsfaktoren um organisationsspezifische und individuelle, die sich ebenfalls als einflussreich erweisen. Gehören die Mitglieder den seit Jahrzehnten in der Kommunalpolitik verankerten Freien Wählern an, die sich als Speerspitze eines ideologiefreien und pragmatischen Politikstils verstehen, stehen sie den Parteien vor Ort signifikant skeptischer gegenüber als Mitglieder ohne Zugehörigkeit zu den Freien Wählern (zur Organisationsstruktur der Freien Wähler als Hybrid zwischen Wählergemeinschaft und Partei siehe Walther und Angenendt 2018, 2021). Überdies variiert die Anti-Parteien-Haltung auch innerhalb der Wählergemeinschaften (Angenendt 2021, S. 209–218). Hier sind es in einem weiten Sinn politische und ökonomische Ungleichheiten, die die Mitglieder prägen: Wer Politikern überwiegend mit Misstrauen begegnet, lehnt auch Parteien als Organisationsform ab. Insofern ist ein Spill-Over-Effekt zu konstatieren. Auch die besonders aktiven Mitglieder der Wählergemeinschaften stehen den Parteien kritischer gegenüber als weniger aktive. Sie haben die kommunale Anti-Parteien-Haltung besonders stark verinnerlicht. Wenngleich Wählergemeinschaftsmitglieder überwiegend nicht zu den finanziell benachteiligten Schichten gehören, gilt: Wer der Überzeugung ist, dass ihm sein gerechter Anteil am gesellschaftlichen Wohlstand vorenthalten wird, steht der Parteiendemokratie kritisch gegenüber, was auf die Wirkmächtigkeit von Gefühlen verweist, die losgelöst von der tatsächlichen materiellen Lage einflussreich sind.

Sind Wählergemeinschaften in Anbetracht der Ergebnisse als parteienskeptische Alternative zu bezeichnen? Die Frage lässt sich nur mit Einschränkungen bejahen. Auf der einen Seite teilen die Mitglieder die Vorstellung, Teil einer kommunalen Antipartei zu sein, was identitätsstiftend wirkt. Auf der anderen Seite fällt die Anti-Parteien-Haltung gegenüber den Parteien in der Landes- und Bundespolitik deutlich schwächer aus. Zudem stehen sie der Parteiendemokratie hierzulande überwiegend positiv gegenüber. Die in der Literatur geäußerte Sorge, das Mitgliederspektrum kennzeichne sich durch eine antipluralistische Haltung und unterscheide in der Kritik an den Parteien nicht zwischen den Ebenen des politischen Systems, ist deshalb zu entkräften – aus demokratietheoretischer Perspektive ist Entwarnung zu geben.

3 Wählergemeinschaften als elektorale Alternative?

3.1 Organisationsstruktur

Hinter dem Begriff Wählergemeinschaft verbergen sich unterschiedliche lokalpolitische Gruppierungen, die sich in ihrer Organisationsstruktur und in ihren Wahlerfolgen unterscheiden (Morlok et al. 2012). Im Folgenden wird deshalb dargestellt, welche formal-strukturellen Merkmale die Organisationsform Wählergemeinschaft kennzeichnen, ob sie faktisch die gleichen Funktionen in der kommunalpolitischen Praxis wahrnehmen wie Parteien und wo und weshalb sie im politischen Wettbewerb erfolgreich sind.

In der Frühphase der wissenschaftlichen Auseinandersetzung wurde zwischen zwei Typen unterschieden: Den organisatorisch festgefügten, langlebigen Rathausparteien und den lose organisierten, kurzlebigen Wählervereinigungen (Becker und Rüther 1976, S. 296–298; Grundmann 1960, S. 2; Stockinger 1975, S. 28). Im Gegensatz zu Letztgenannten kennzeichnen sich Rathausparteien, wie der Begriff andeutet, durch eine ähnliche interne Organisationsstruktur wie die Ortsvereine der auf Landes- und Bundesebene etablierten Parteien. Demnach besitzen sie beispielsweise eine Satzung, wählen einen Vorstand, erarbeiten Programme für die Kommunalwahl und weisen eine formal geregelte Mitgliedschaft auf. Empirisch wurde eine Dominanz der losen Wählervereinigungen erwartet, die organisatorisch den Honoratiorenparteien ähneln und im Wahlkampf auf den Bekanntheitsgrad lokaler Persönlichkeiten setzen, die sich zur Kandidatur auf einer parteilosen Liste bereiterklären.

Die jüngere Literatur verweist darauf, dass sich das Spektrum seit den 1980er-Jahren ausdifferenziert hat. Der sogenannte neue Typ Wählergemeinschaft kennzeichnet sich durch die Repräsentation der neuen Mittelschichten und vertritt programmatische Positionen, die dem postmaterialistischen Spektrum zugeordnet werden, wie beispielsweise Umweltschutzthemen und aktive Sozialpolitik (Reiser 2006, S. 279–280). Daneben existieren Single-Issue-Gruppen, die Protest gegenüber großen Infrastrukturprojekten artikulieren und meist nur so lange existieren, wie das jeweilige Thema akut ist (Holtkamp und Eimer 2006, S. 266–267). Rechtsextreme Wählergemeinschaften, sogenannte „RexKWG“ (Krappidel 2012, 2016), sind nach bisherigen Erkenntnissen ein neues Phänomen im Spektrum. Als „Ersatzparteien“ (Reiser und Krappidel 2008, S. 95) fungieren lokale Vereine, die sich mangels parteilicher Alternativen in einigen Städten und Gemeinden als Wählergemeinschaften an den Kommunalwahlen beteiligen. Dazu zählen etwa der örtliche Sportverein und die freiwillige Feuerwehr.

Entgegen der Erwartung, dass es sich bei Wählergemeinschaften häufig um lose organisierte Gruppierungen handelt, deuten jüngere Befunde auf eine organisatorische und funktionale Nähe zu den Ortsvereinen der Parteien: Die Mehrheit der Wählergemeinschaften besitzt eine Satzung, ist vereinsmäßig organisiert und fordert eine Beitrittserklärung ein (Reiser und Krappidel 2008, S. 80). In der Regel sind sie dauerhafte Vereinigungen mit stetiger Mitgliederzahl, die den Anspruch erheben, politischen Einfluss in der Kommunalpolitik auszuüben. Sie werben um politischen Nachwuchs und selektieren Kandidaten, die in den Stadt- oder Gemeinderat einziehen wollen (Angenendt 2021, S. 260–264). Zu bilanzieren ist auch, dass die Wahlkampforganisation und -kommunikation weniger kandidatenbasiert ist, als gemeinhin erwartet: Wählergemeinschaften stellen ihren Kandidaten häufig finanzielle Ressourcen für den Wahlkampf zur Verfügung und erarbeiten politische Programme, die beworben werden und die Grundlage für die spätere Arbeit im Rat bilden (Angenendt 2021, S. 265–266). Damit übernehmen Wählergemeinschaften faktisch die den Parteien zugedachten Funktionen in der Kommunalpolitik.

3.2 Präsenz und Erfolg

Seit dem Bestehen der Bundesrepublik bilden Wählergemeinschaften einen festen Bestandteil des kommunalen Parteiensystems, wenngleich ihr Schwerpunkt bis in die 1980er-Jahre hinein in Südwestdeutschland lag (Bogumil und Holtkamp 2006, S. 253–255; Reiser 2006, S. 277; Reiser et al. 2008, S. 123). Seitdem etablierten sie sich in allen westdeutschen und nach 1990 auch in allen ostdeutschen Bundesländern (Holtmann 2012, S. 26–27). Heutzutage sind Wählergemeinschaften damit bundesweit präsent, in einigen Regionen sind sie gar die erfolgreichsten kommunalpolitischen Akteure (Reiser et al. 2008, S. 123). Mittlerweile sind sie nicht nur in Land- und Klein-, sondern auch in Großstädten anzutreffen. Dort sind sie sogar flächendeckend und in größerer Zahl präsent als in den ländlichen Regionen (Angenendt 2021, S. 269–270; Reiser 2012, S. 81–85). Hochrechnungen zufolge kandidieren sie bei den Kommunalwahlen in etwa 80 % der Städte und Gemeinden (Angenendt 2015, S. 130).

Die Forschungsergebnisse widersprechen damit der These einer steigenden Parteipolitisierung der Kommunalpolitik, der zufolge sich die „Kommunalpolitik [.] zunehmend parteienstaatlich strukturiert und die Politik sich in den Städten und Gemeinden somit immer stärker den konkurrenzdemokratischen Strukturen auf Bundes- und Landesebene annähert“ (Holtkamp und Eimer 2006, S. 249). Die wachsende Präsenz und der zunehmende Erfolg der Wählergemeinschaften deuten vielmehr darauf hin, dass die als dealignment bezeichnete abnehmende Parteiidentifikation in der Bevölkerung auch auf das kommunalpolitische System durchschlägt und sich dort in einem Bedeutungsverlust der etablierten Parteien äußert (Bogumil 2010; Kuhn und Vetter 2013, S. 116–118). Die skizzierte Entwicklung lässt indes unberücksichtigt, dass die Präsenz und der Erfolg im Zeitverlauf erheblichen Schwankungen unterlag. Grob lässt sich die Entwicklung der Präsenz in drei Phasen einteilen (Holtmann 2001, 2012): Die erste Phase reicht von Ende der 1940er-Jahre bis Mitte der 1960er-Jahre und kennzeichnet sich durch die Etablierung der Wählergemeinschaften im kommunalen Parteiensystem. Dem Aufschwung folgt ab den 1970er-Jahren die Phase des Abschwungs, die bis Mitte der 1980er-Jahre reicht. Seitdem ist in fast allen Bundesländern ein erneuter Aufschwung festzustellen, der bis in die Gegenwart reicht und die dritte Entwicklungsphase darstellt. Rückblickend hat sich also die in den 1960er und 1970er-Jahren verbreitete These von der mangelnden Überlebenswahrscheinlichkeit der Wählergemeinschaften nicht bewahrheitet (vgl. Holtkamp und Eimer 2006, S. 249; Holtmann 2009).

3.3 Erfolgsdeterminanten

Um den Wahlerfolg von Wählergemeinschaften zu erklären, wird theoretisch zwischen kulturellen, strukturellen, institutionellen und akteurspezifischen Determinanten unterschieden (Angenendt 2021; Holtmann 2012, S. 42–44; Reiser et al. 2008). Der kulturelle Erklärungsansatz führt den variierenden Erfolg auf die politische Tradition und kulturelle Prägung durch die bis in die 1990er-Jahre gültigen Kommunalverfassungen zurück. Der strukturelle Erklärungsansatz rückt das Ausmaß parteilicher Konkurrenz sowie den Stellenwert von Parteien in der Kommunalpolitik in den Fokus. Im Fokus des institutionellen Erklärungsansatzes stehen die Komponenten des kommunalen Wahlsystems, meist Sperrklauseln sowie Kumulieren und Panaschieren als Verfahren der Stimmabgabe. Die Studie von Angenendt (2021) ergänzt die Erklärungsansätze um einen akteurspezifischen, um die Heterogenität des Spektrums zu berücksichtigen und rückt die Wahlkampforganisation und -kommunikation der Wählergemeinschaften sowie ihre Anbindung an die multi-level organisierten Freien Wähler in den Fokus.

Entgegen der Erwartung erweisen sich Freie-Wähler-Wählergemeinschaften nicht als erfolgreicher als sonstige Wählergemeinschaften (Angenendt 2021, S. 274–276). Da sich die Marke Freie Wähler mittlerweile als Gattungsbegriff für den Anspruch in der Kommunalpolitik etabliert hat, einen sachorientierten Politikstil zu praktizieren, verlieren womöglich die formal den Freien Wählern zugehörigen Wählergemeinschaften ihr Alleinstellungsmerkmal als parteifreie Alternative und müssen es nunmehr gegen Konkurrenz aus dem eigenen Spektrum verteidigen. Ferner verweist die Analyse akteurspezifischer Faktoren darauf, dass parteilose Kandidaten davon profitieren, ihren Wahlkampf autark, d. h. ohne finanzielle Unterstützung ihrer Wählergemeinschaft zu organisieren (Angenendt 2021, S. 276–282). Der positive Effekt einer kandidaten- statt wählergemeinschaftszentrierten Organisation des Kommunalwahlkampfes sollte jedoch nicht überschätzt werden, da der zunächst signifikante Effekt unter Kontrolle der anderen Erklärungsansätze verschwindet. Institutionelle Faktoren erweisen sich in den bisherigen Studien nicht als erklärungskräftig (Angenendt 2021; Reiser et al. 2008). Die Einwohnerzahl als struktureller Faktor erhöht – entgegen den theoretischen Erwartungen – die Erfolgschancen der Wählergemeinschaften, während sich mit zunehmender parteilicher Konkurrenz die Erfolgschancen der Wählergemeinschaften verschlechtern (Angenendt 2021; Reiser et al. 2008). Wählergemeinschaften können insofern auch in größeren Städten und Gemeinden elektoral erfolgreich sein, insbesondere dann, wenn es dort an parteilichen Wettbewerbern mangelt. Die Ergebnisse von Reiser et al. (2008) bestätigen den positiven Einfluss der politischen Kultur, da Wählergemeinschaften dort, wo die süddeutsche Ratsverfassung galt, am erfolgreichsten sind. Wie von Reiser et al. (2008, S. 126–127) postuliert, verblasst allerdings die Prägekraft der ehemals gültigen Kommunalverfassungen mit der Zeit, da sie seit den 1990er-Jahren zwischen den Bundesländern angeglichen wurden: In der Studie von Angenendt (2021) zeigt sich unter Kontrolle der anderen Erklärungsansätze kein signifikanter Einfluss mehr. Zu konstatieren ist deshalb, dass hauptsächlich die hinter der politischen Kultur verborgene Struktur des Wählerwettbewerbs den Wahlerfolg beeinflusst: Die süddeutschen Bundesländer kennzeichnen sich oftmals durch einwohnerarme Kommunen, in denen Wählergemeinschaften wenig parteilicher Konkurrenz ausgesetzt sind. Im Ergebnis ist es deshalb die geringe Präsenz der etablierten Parteien, die erfolgsentscheidend ist. Aufgrund der schwindenden Verankerung der Parteien in der Kommunalpolitik (Kuhn und Vetter 2013; Träger und Pollex 2017) liegt die Schlussfolgerung nah, dass dort, wo es ihnen nicht mehr gelingt, Präsenz zu zeigen, Wählergemeinschaften die vorhandene Lücke füllen. Aufgrund des Querschnittdesigns der Studie von Angenendt (2021) ist aber ebenso denkbar, dass sich Parteien aufgrund des Erfolgs von Wählergemeinschaften in bestimmten Kommunen erst gar nicht als Konkurrenten etablieren können.

In jüngerer Zeit geraten Wählergemeinschaften durch die rechtspopulistische AfD jedoch selbst unter Konkurrenzdruck. Wie Jankowski et al. (2020) anhand ihrer Analyse von Kommunalwahlen in Niedersachsen zeigen, büßen Wählergemeinschaften dort an Erfolg ein, wo die AfD mit ihnen um Stimmen konkurriert. Bleibt der Konkurrenzdruck durch die AfD aus, gelingt es ihnen hingegen, ihren Stimmenanteil weiter zu steigern. Naheliegend ist deshalb, wie die Autoren folgern (Jankowski et al. 2020, S. 8), dass der steigende Wahlerfolg von Wählergemeinschaften eher auf die Unzufriedenheit der Wähler mit den etablierten Parteien zurückzuführen ist, als auf ein gestiegenes Interesse an kommunalpolitischen Themen. Der AfD gelingt es insofern, einen Teil des Protestpotentials abzuschöpfen. Dass Wählergemeinschaften dort erfolgreich sind, wo die etablierten Parteien an Bedeutung verlieren und lokale politische Deprivationsprozesse stattfinden, legt auch die Analyse von Juen et al. (2021) dar: Fragmentierte Kommunal- und Landtagswahlergebnisse befördern ebenso wie eine geringe Wahlbeteiligung bei Landtagswahlen ihren Erfolg vor Ort.

Sind Wählergemeinschaften in Anbetracht der Ergebnisse eine elektorale Alternative? In Bezug auf ihre Organisationsstruktur und Funktionen in der Kommunalpolitik ist die Frage zu verneinen. Zwar sind sie teilweise informal organisiert, faktisch übernehmen sie aber die den örtlichen Parteiorganisationen zugedachten Funktionen. Insofern bilden sie ein funktionales Äquivalent. Aus der Sicht der Wähler, die von den etablierten Parteien enttäuscht sind, stellen sie hingegen sehr wohl eine Alternative dar.

4 Schlussbetrachtung und Ausblick

Wählergemeinschaften waren lange Zeit ein blinder Fleck der deutschen Politikwissenschaft. Seit einigen Jahren wird sich jedoch zunehmend diesem kommunalpolitischen Akteur zugewandt. Im Fokus der Forschung stehen bislang primär (1) das Sozialprofil der Mitglieder, ihre Beitrittsmotive und ihr Partizipationsverhalten, (2) die Identität der Wählergemeinschaften als kommunale Nicht- oder Anti-Partei sowie (3) ihre Organisationsstruktur und Erfolgsbedingungen. Ausgehend von der Leitfrage, ob Wählergemeinschaften eine Alternative zu den etablierten Parteien im politischen Wettbewerb darstellen, wurde der Forschungsstand aufgeschlüsselt dargestellt. Im Ergebnis ähneln sie den etablierten Parteien mehr, als ihnen womöglich bewusst ist, wenngleich die Vorstellung, Teil einer kommunalen, parteifernen Wahlalternative zu sein, identitätsbestimmend ist und auf viele Wähler anziehend wirkt.

Bislang vergleichsweise wenig Beachtung findet die Frage, ob Wählergemeinschaften eine programmatische Alternative zu Parteien darstellen, die vor Ort vernachlässigte Themen in den kommunalpolitischen Prozess einspeisen. Bisherige Befunde deuten darauf hin, dass auch in programmatischer Hinsicht Gemeinsamkeiten zwischen Wählergemeinschaften und Parteien überwiegen (Holtmann 2012, S. 38–41). Mit dem in jüngerer Zeit ins Leben gerufenen Local Manifesto Project (Gross und Jankowski 2019, 2020) existiert nunmehr eine Datenbasis von Wahlprogrammen der örtlichen Parteien und Wählergemeinschaften, die einen Hinweis darauf liefert, dass Wählergemeinschaften einen deutlichen Kontrast zwischen der örtlichen und überörtlichen Politik zeichnen (Gross und Jankowski 2019, S. 87). Für künftige Untersuchungen ist deshalb von Interesse, wie sich die programmatischen Unterschiede und gesetzten Frames erklären lassen.

Vergleicht man die Fallstudien aus verschiedenen Ländern, zeigen sich Unterschiede in der Präsenz und dem Erfolg zwischen West- und Osteuropa (Boogers und Voerman 2010; Gendźwiłł 2012; Kukovic und Hacek 2011; Reiser und Holtmann 2008). Systematisch ländervergleichende Studien liegen bislang allerdings nicht vor. In Bezug auf die Erfolgsbedingungen ist deshalb für künftige Forschungsanstrengungen der Einfluss divergierender politischer Kulturen und des nationalen Parteiensystems von Interesse.

Ob es vereinzelten Wählergemeinschaften künftig gelingen wird, sich in Form einer Partei auch in der überörtlichen Politik zu etablieren, ist schwer abzuschätzen. Die Erfolge der Partei der Freien Wähler in den vergangenen Jahren bei den Landtagswahlen in Bayern und Rheinland-Pfalz sind bislang die Ausnahme. Dort haben sie zuvor über viele Jahre in der Kommunalpolitik in Form von Wählergemeinschaften Bekanntheit erlangt. Aufgrund des geringen Vertrauens der Bevölkerung in die etablierten Parteien und der Selbstdarstellung der Wählergemeinschaften als parteienskeptische Alternative, ist es hingegen wahrscheinlich, dass Wählergemeinschaften in der Kommunalpolitik auch künftig eine wichtige Rolle im politischen Wettbewerb spielen werden.