Um einen umfassenderen Eindruck der Erfahrungen mit den verschiedenen digitalen Tools zu gewinnen, wurde zum Ende des abgelaufenen Sommersemesters eine Befragung unter den Dozent*innen des Instituts für Politische Wissenschaft und Soziologie der Universität Bonn durchgeführt. Die Befragung wurde als Online-Stichprobe über das Befragungstool Questback konzipiert. Der Link zur Teilnahme wurde am 15. Juli 2020 verschickt, am 3. August 2020 erfolgte die Versendung eines Reminders. Eine Beantwortung war bis zum 31. August 2020 möglich. Der Fragebogen enthielt sowohl geschlossene, als auch offene Frageblöcke, die ein breites Abbild der Erfahrungen der Dozent*innen aus dem Sommersemester 2020 zeichnen sollten. Insgesamt wurde die Befragung von 46 von 78 Lehrpersonen ausgefüllt.
Zunächst wurde in dem Fragebogen die Frage nach dem Lehrformat/den Lehrformaten gestellt, welche(s) von den Befragten im vergangenen Semester in digitaler Form abgehalten worden ist/sind. Dabei gaben 36 Befragte an, ein oder mehrere Seminare und sieben weitere ein oder mehrere Blockseminar(e) gegeben zu haben. „Vorlesung“ wurde an dieser Stelle nur einmal genannt. Auch Lehrformate wie Kolloquien, Forschungspraktika und Übungen wurden maximal zwei Mal genannt. Aufgrund dieser deutlich höheren Fallzahlen an Seminaren sollen im Folgenden vorrangig die Ergebnisse für dieses Lehrformat zusammengefasst werden.
Ferner wurde nach den verwendeten Unterrichtsmedien gefragt. Bis auf eine Person gaben alle Befragten an (n = 45), Zoom verwendet zu haben. Darüber hinaus verwendeten 34 Befragte die universitätseigene E‑Learning-Plattform eCampus. Acht Personen erstellten für ihre Lehre Videocasts, vier weitere Podcasts. Zudem wurde in der Freitextkategorie dreimal die Webcloud Sciebo genannt, sowie jeweils einmal Loom und Scrumblr.
Die Qualität der digitalen Lehre in den Seminaren (n = 36) im Vergleich zur Präsenzlehre wurde von knapp zwei Dritteln der befragten Dozent*innen als gleichwertig beurteilt (18 Personen bei 29 gültigen Antworten), neun Personen gaben an, dass die digitale Lehre schlechter gewesen sei, zwei Personen stuften sie sogar besser ein. Hinsichtlich der Art, wie die Seminare abgehalten wurden, zeigt sich ein recht diverses Bild, wobei der Anteil an synchroner, durch Videokonferenzen organisierter, Lehre überwiegt. So gaben sieben Personen an, dass sie ausschließlich, und 13 Personen, dass sie überwiegend synchrone Lehre abgehalten hätten. Eine gleichwertige Mischform beider Formate wurde von acht Personen gewählt. Auch wenn zwei Personen überwiegend asynchrone Lehre abgehalten haben, wurden in allen Fällen synchrone Elemente in der Lehre genutzt. Dies unterstreicht die bereits berichtete sehr starke Nutzung von Zoom in der Lehre unter allen Befragten.
Für die Seminare hatten sich im Durchschnitt etwa 25 Personen angemeldet, wobei die Spanne von fünf Personen bis 40 Personen reichte. Die Anwesenheit der Student*innen in den Seminaren wurde als tendenziell überdurchschnittlich wahrgenommen: Etwas weniger als die Hälfte der Befragten berichtete von einer durchschnittlichen Anwesenheit in den Seminaren (13 Personen von 30 gültigen Antworten), ein Drittel sah die Anwesenheit als eher hoch an (10 Personen) und fünf Befragte stuften die Anwesenheit als sehr hoch ein. Nur zwei Personen gaben an, eine geringe Anwesenheit erlebt zu haben. Ähnlich positiv gestalten sich die Aussagen über die Motivation der Student*innen. Hier gab etwas mehr als die Hälfte eine durchschnittliche Motivation an (16 Personen von 30 gültigen Antworten), vier Personen eine eher hohe und sechs Personen eine sehr hohe Motivation. Von Seiten der Student*innen wurde vornehmlich ein positives Feedback zurückgemeldet. Zwölf Dozent*innen gaben an, dass die Rückmeldungen der Student*innen hinsichtlich ihrer Lehrmethoden sehr positiv gewesen seien, bei 15 Befragten war sie eher positiv. Nur zwei Personen berichteten ein neutrales Feedback.
Besonders Video-Kommunikationsplattformen wie Zoom kommt in der digitalen Lehre eine wichtige Bedeutung zu, da Sie das entscheidende Werkzeug für synchrone Lehrformate darstellen. Auch hier wurden die Erfahrungen mit der Lehre über Zoom in der Studie abgefragt und fielen durchweg positiv aus: 16 Personen gaben an, den Einsatz von Zoom in der Lehre als sehr gut zu bewerten, 22 Personen empfanden diesen als eher gut (von insgesamt 38 gültigen Antworten).
Die als positiv wahrgenommene Umsetzung der digitalen Lehre fordert allerdings durchaus an anderer Stelle Ihren Tribut, war die Umstellung für die Lehrenden doch mit großem Aufwand verbunden. Im Vergleich zu vorherigen Semestern gaben 13 Befragte den zeitlichen Aufwand für die Vorbereitung der Lehre als sehr viel höher an, 20 als eher höher. Nur zwei Personen hatten einen vergleichbaren zeitlichen Aufwand. Eine Zeitersparnis durch die digitale Lehre ergab sich in der Vorbereitung für keinen der Befragten. Dies spiegelt sich auch in der Forschungsarbeit wider. In Anlehnung an eine Befragung des Wissenschaftsverlags De Gruyter fragten wir danach, welche Auswirkung die digitale Lehre auf die Forschungsarbeit gehabt hat. Dort hatte etwa die Hälfte der Befragten angegeben, durch die Auswirkungen des Coronavirus weniger zum Schreiben gekommen zu sein als zuvor (De Gruyter Conversations 2020). Als Grund dafür gaben 68 % die Online-Lehre an. In unserer Befragung fiel das Ergebnis sogar noch deutlicher aus. Nur drei Befragte gaben an, im Sommersemester 2020 durch die digitale Lehre eher mehr Zeit für die Forschung gehabt zu haben, vier Personen hatten etwa die gleiche Zeit zur Verfügung. Hingegen hatten 16 Personen „eher weniger“ und neun „sehr viel weniger“ Zeit für Forschungsarbeit. Zudem gaben zwei Personen an, dass andere Gründe sie vom Forschen abgehalten hätten.
Die Auswertung der Antworten auf die offenen Fragen kann sich ebenfalls nur auf das Lehrformat der Seminare beschränken, da das Sample für Übungen und Vorlesung für eine qualitative Auswertung zu klein ist. Grundsätzlich sind die Ergebnisse vor allem geprägt durch Berichte von überrascht positiven Erfahrungen mit der plötzlich neuen Situation der digitalen Lehre. So waren nur wenige Dozent*innen bereits vorher mit den neu einzusetzenden Tools vertraut und dennoch wurde durch erhebliches Eigenengagement und zeitlichen Aufwand die Lehre häufig innerhalb von weniger als 2 Monaten mit großem Erfolg auf den digitalen Lehrbetrieb umgestellt. Negativ vermerkten die Dozent*innen vor allem eine im Vergleich zur Präsenzlehre deutlich verschlechterte Diskussionskultur in den Zoomsitzungen. So wurde der direkte Austausch und die Ansprechbarkeit nicht zuletzt durch ausgeschaltete Kameras als stark eingeschränkt wahrgenommen. Dies lässt auch die überdurchschnittlichen Anwesenheitswerte in einem differenzierteren Licht erscheinen: Im Vergleich zum Normalbetrieb quantitativ hohen Teilnehmer*innenzahlen steht eine qualitativ vergleichbare oder sogar geringere aktive Beteiligung gegenüber. Die Passivität der Student*innen wurde dabei durch Scheu, mangelnde menschliche Beziehungen zwischen den Studierenden wie auch zu den Dozent*innen und technische Hindernisse (Internetverbindung, keine Kamera vorhanden etc.) begründet. Die fehlende direkte Resonanz der Student*innen wurde ebenfalls moniert. So fiel es schwer einzuschätzen, „ob das angestrebte Niveau adäquat für die Student*innen ist, welche Themen mehr Aufmerksamkeit verdient hätten und welche zusätzlichen Interessen von den Student*innen noch angesprochen werden sollten“ (Fbn. 56). Die fehlende Interaktion mit den Student*innen, beschrieben als „lifeless as images“ (Fbn. 92) und „das Gefühl eine Wand zu unterrichten“ (Fbn. 47) war deshalb vor allem in den Zoom-gestützten Seminaren für viele Dozent*innen eine Herausforderung. Die „berühmten schwarzen Kacheln“ (Fbn. 43, 54, 56, 72) waren dabei im Verhältnis zur Gruppengröße tendenziell vor allem bei größeren Seminaren ein Problem.
Auch die hohen Anforderungen an die Aufmerksamkeit der Dozent*innen durch die Gleichzeitigkeit von mehreren Kommunikationskanälen (Wortbeiträge, Handzeichen, Chatbeiträge, laufende Präsentationen) wurden „generell als anstrengender und aufzehrender“ (Fbn. 56) als die Präsenzlehre eingestuft. Dies spiegelt noch einmal die bereits im quantitativen Teil berichtete Mehrbelastung der Dozent*innen wider. Weiterhin wurden Zweifel am Datenschutz von Zoom geäußert (vgl. Fbn. 47, 50, 63), die auch nicht durch die breit kommunizierte Nutzung der Server des universitätsinternen Rechenzentrums ausgeräumt werden konnten. Trotz dieser Schwierigkeiten wurde der Einsatz synchroner Elemente der Lehre im Vergleich zu asynchronen als erfolgreicher eingestuft. Dies zeigte sich auch bereits in den oben beschriebenen statistischen Daten zur Häufigkeit der Nutzung synchroner Lehre. Es gab aber auch Stimmen, die sich für eine Kombination aus beiden Formaten aussprachen und damit die zeitliche Flexibilität von asynchronen Anteilen mit der pädagogisch wertvollen direkten Interaktion von synchroner Lehre zu vereinen versuchten.
In großer Breite wurde aber auch von positiven Erfahrungen mit der neuen, digitalen Lehre berichtet. So wich die anfängliche Skepsis schnell der Experimentierfreude und einer in den Antworten auch immer wieder wahrzunehmenden Begeisterung über die freigesetzten Potentiale der neuen Lehrformate. Der angestrebten Kompensation der negativen Effekte räumlicher Entfernung näherte man sich dabei über ständige Anpassungen und Verbesserung auch noch während des Semesters weiter an. So konnte das Problem erhöhter Scham für Wortbeiträge im Plenum durch Break-Out-Sessions innerhalb von Zoom vermindert und durch kleinere wöchentliche Studienleistungen der Austausch zwischen Studierenden und Dozent*innen im digitalen Studium erhöht werden.
Aufseiten der Studierenden wurde eine große Bereitschaft, sich auf die neuen Formate einzulassen, beobachtet, wenn etwa von den Dozierenden eine „überdurchschnittlich gute Vorbereitung der Studierenden“ (Fbn. 34) konstatiert wurde. Gerade durch die Möglichkeit Studienleistungen zu diversifizieren, „wurde sehr viel kreatives Potential freigesetzt“ (Fbn. 40). So wurden verschiedenste Varianten von Studienleistungen in der Lehre eingesetzt, etwa: Podcasts, Essays, Exzerpte, Poster, Online-Glossar, wöchentliche Beantwortung von Übungsaufgaben, Teilnahme am Forum, Positionspapiere, Rezensionen, Diskussionsreferate, Sitzungsprotokolle. In der synchronen Lehre mit Zoom wurde zudem mehrfach das implementierte Tool der Umfragefunktion gelobt, da hiermit eine „hohe Aktivierung der Studierenden“ (Fbn. 68) erreicht werden konnte. Dabei wurde angemerkt, dass „Meinungs- und Erfahrungsabfragen“ gewinnbringender seien als Wissensfragen im Stil von „Wer-wird-Millionär“ (vgl. Fbn. 56).
Weiterhin wurde die im Digitalen deutlich unkompliziertere Zuschaltung von Fachexperten und Kollegen von anderen Standorten hervorgehoben. So konnte auf spezifische Interessen der Student*innen über die Zuschaltung eines*r Gastreferent*in teilweise sogar kurzfristig noch eingegangen werden. Die technischen Schwierigkeiten durch die Zoom-Umgebung wären dabei sogar geringer als „beim Anschluss der Technik im Seminarraum“ (Fbn. 76). Die amerikanische Videokonferenzsoftware wurde dabei generell als „technisch zuverlässig“ (Fbn. 83) und „intuitiv“ (Fbn. 40) beschrieben. Gerade auch durch die diversen Möglichkeiten an den Sitzungen teilzunehmen (dies ist bspw. auch telefonisch möglich) wurde „weitestgehend Vollinklusion“ (Fbn. 56) ermöglicht. Eine Person lobte auch die Whiteboard-Funktion, die eine Archivierung der Gruppenergebnisse ermöglichte. Die fast kanonisch gewordene Form der Power-Point-Präsentation wurde allerdings als für die digitale Lehre (noch) unvorteilhafter eingeschätzt, da vor allem stark reproduktive und auf reine Wissenspräsentation angelegte Präsentation nicht zur nötigen „Aufmerksamkeit“ führten und im digitalen Unterricht die Gefahr der Ablenkung deutlich höher sei. Dagegen wurden große Erfolge mit Video- und Podcasts erzielt, die die Student*innen bereits vor den Sitzungen hochluden und rezipierten, um dann in der Seminarstunde selbst mehr Zeit für die direkte Interaktion zu haben. Allerdings sahen einige Dozent*innen die Methodenpluralität in den verschiedenen Seminaren auch kritisch, da sich die Student*innen immer wieder auf ein neues Tool einlassen müssten und leicht den Überblick verlieren könnten. Solche Schwierigkeiten müssten sich ggf. in der im nächsten Kapitel vorgestellten Student*innenbefragung widerspiegeln. Ähnlich wurden die Tendenzen zu einer „Verschulung“ des Studiums durch „Deadlines“ (Fbn. 32) und einen „Zwang zur Partizipation“ (Fbn. 51) im „digitalen Semester“, mit Blick auf die Student*innen und die Institution Universität Bonn, in ihrer Ambivalenz zwischen Leistungssteigerung und Bevormundung auch kritisch betrachtet.
Aufgefordert ein Gesamtfazit zu ziehen, betonten die meisten Dozent*innen eher die positiven Momente der erfolgreichen Bewältigung der Herausforderung. Mit gesteigerter „Experimentierfreudigkeit und viel Motivation auf allen Seiten“ (Fbn. 34) ließe sich doch auf ein „gelungenes Semester“ zurückblicken. Zoom sei dabei zu „mehr als nur einer Notlösung“ (Fbn. 51) geworden und der allgemeine Tenor entsprach der Freude über die neu erlernten digitalen Kompetenzen, die in Zukunft auch in der Präsenzlehre eingesetzt werden könnten. Zwar darf man mit Blick auf die Aussagen der Dozent*innen am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie in Bonn festhalten, dass, bei allem Erfolg, die digitale Lehre den Präsenzbetrieb nicht ersetzen kann und man – sobald es das Infektionsgeschehen zulässt – die Rückkehr in die Seminarräume begrüßen würde, solange dies allerdings nicht möglich ist, lässt sich wohl eine der Antworten auf die letzte Frage unserer Umfrage als Devise ausgeben: „Weitermachen, weniger jammern“ (Fbn. 65).