Zum Auftakt des Bandes wird ein theoretisch-konzeptioneller Blick auf den Zusammenhang von Digitalisierung und Demokratie geworfen. Im ersten Beitrag erarbeiten Sebastian Berg, Niklas Rakowski und Thorsten Thiel ein politikwissenschaftliches Verständnis von Digitalisierung auf Basis der Wechselwirkung technischer und gesellschaftlicher Entwicklungen. Nach einer Rekonstruktion von Digitalisierungsverständnissen aus den Nachbardisziplinen der Soziologie und der Rechtswissenschaft (Baecker, Nassehi, Reckwitz, Stalder und Vesting) schlagen sie eine Perspektive des Formwandels der Demokratie in der digitalen Konstellation vor, deren Konzeptualisierung von Politik und Demokratie über die der Nachbardisziplinen hinausgeht. Exemplifiziert wird ihre theoretische Perspektive am Wandel der Repräsentation in der digitalen Konstellation.
Anschließend steht das Thema digitale Öffentlichkeiten im Fokus der folgenden drei Beiträge. Pablo Joost, Marc Ziegele und Teresa K. Naab widmen sich im zweiten Beitrag des Bandes dem Diskussionsklima auf Facebook. Sie untersuchen begünstigende und hemmende Bedingungen für eine digitale Zivilcourage, d. h. ein Einschreiten in Online-Diskussionen, die von Aggression, Drohungen, Beleidigungen oder Abwertungen geprägt sind. Ihr Fallbeispiel der Gruppe #ichbinhier zeigt unterschiedliche Bedingungen für ein Einschreiten mittels eigener Kommentare im Gegensatz zum Einschreiten durch Bewertung bereits vorhandener Kommentare. Eine politisch geprägte Nutzung der Plattform, ein Gefühl persönlicher Verantwortung und eine Erwartung, dass das Diskussionsklima sich nach dem Einschreiten verbessere, bilden hingegen die gemeinsame Grundlage der digitalen Zivilcourage.
Auch der dritte Beitrag beschäftigt sich mit der Kommunikation der NutzerInnen auf Facebook und betrachtet dabei den Austausch mit den politischen Parteien. Elina Spieß, Dennis Frieß und Anne Schulz widmen sich dem Phänomen des Populismus, der durch die spezifischen Strukturen sozialer Medien zu florieren scheint. Ihre explorative Untersuchung der Facebook-Seiten von AfD, CDU und SPD bringt dabei erstmals den Populismusgehalt von Parteikommunikation mit dem Populismusgehalt der NutzerInnenkommentare unter den Posts der Parteien in Verbindung. Während Initialposts der AfD den höchsten Populismusgehalt aufweisen, sind es bei den Kommentaren die NutzerInnen der CDU. Bei beiden Parteien wird zudem nachgewiesen, dass von Populismus geprägte Kommunikation der Parteien ebenfalls populistische Anschlusskommunikation nach sich zieht, was für die SPD allerdings nicht festgestellt werden konnte.
Anschließend wird im vierten Beitrag, ebenfalls zum Thema digitale Öffentlichkeiten, der Fokus auf die Rolle des Journalismus in sozialen Medien gelenkt. Christian Nuernbergk untersucht die Gruppe der NutzerInnen von Twitter, die mit PolitikjournalistInnen in direkten Kontakt treten, indem er fragt, wer den Kontakt zu PolitikjournalistInnen sucht und mit welcher Motivation dies geschieht. Er zeigt auf, dass es den Twitter-NutzerInnen vorrangig um Expressivität geht, teilweise aber auch um deliberative Motive, da auch das Weitergeben von Feedback intendiert wird.
Die folgenden drei Beiträge behandeln das Thema digitale Partizipation. Zunächst werfen Bastian Rottinghaus und Tobias Escher im fünften Beitrag des Heftes einen Blick auf digitale BürgerInnenbeteiligungsverfahren zur Fahrradinfrastruktur in den drei nordrhein-westfälischen Städten Köln, Bonn und Moers. In ihrem Beitrag spüren sie den Bedingungen nach, die eine politische Beteiligung über digitale Instrumente begünstigen oder erschweren und suchen nach Maßnahmen, die eine gleichere Beteiligung fördern könnten. Ihre Ergebnisse bestätigen frühere Erkenntnisse über eine Verzerrung der Beteiligung in Richtung männlicher Bürger mittleren Alters mit überdurchschnittlicher Bildung, überdurchschnittlichem Einkommen sowie einem ausgeprägten Gefühl von Selbstwirksamkeit. Demgegenüber zeigen sie, dass die Informationen über den Beteiligungsprozess in den von ihnen untersuchten Fällen zwar gering, dafür aber gleich verteilt war. Was die Menschen allgemein zur Beteiligung in den untersuchten Verfahren anregte, war die eigene Betroffenheit, d. h. in diesem Fall sowohl die Unzufriedenheit mit der gegenwärtigen Fahrradinfrastruktur, als auch das Interesse an Verbesserungen, da man die Infrastruktur selbst zu nutzen beabsichtigt. Der Umstand, dass das Verfahren digital organisiert wurde, war einigen Menschen ein Beteiligungshindernis.
Im sechsten Beitrag des Heftes untersuchen Julia Schwanholz und Lavinia Zinser die Angebotsseite digitaler Beteiligung. Sie vergleichen sechs kommunale Plattformen der digitalen BürgerInnenbeteiligung, von denen drei über die Software Adhocracy, die anderen drei über die Software LiquidFeedback umgesetzt wurden. Ihre angebotsseitige Evaluation von Kriterien wie Zugang, Freiheit der Themensetzung, Ausrichtung auf das Gemeinwohl, Interaktivität, Transparenz und Responsivität zeigen, dass Plattformen auf Basis der Software Adhocracy die angelegten Kriterien wesentlich besser erfüllen als die Plattformen auf Basis von LiquidFeedback. Allerdings wurden bei fünf der sechs Plattformen hohe Hürden bereits beim Zugang identifiziert, was die Chance einer Beteiligung über diese Plattformen hemmen kann.
Der folgende Beitrag von Jörg Radtke und Sheree May Saßmannshausen dreht sich ebenfalls um das Thema digitale Bürgerbeteiligung, wobei die technische Seite stärker im Fokus steht. In ihrer Untersuchung eines BürgerInnenbeteiligungsverfahrens in der nordrhein-westfälischen Stadt Olpe gehen sie der Frage nach, welche technischen Optionen eine bessere Rückkopplung zwischen BürgerInnen und Politik erzielen können. Im Ergebnis ihrer Analyse kommen sie zu dem Schluss, dass nicht mehr Instrumente allein, sondern eine Integration von digitalen Instrumenten gekoppelt mit einer stärkeren Rückbindung an politische Prozesse vielversprechend sei, um mehr Nähe zwischen BürgerInnen und politischen Institutionen herzustellen und somit Repräsentationsbeziehungen zu stärken.
Im abschließenden Beitrag der HerausgeberInnen dieses HeftesFootnote 2 unterziehen Isabelle Borucki, Dennis Michels und Stefan Marschall die bestehenden Modelle zur Digitaldemokratie einer kritischen Prüfung und gehen der These nach, dass eine adäquate Theoretisierung und Auseinandersetzung mit der Digitaldemokratie nur funktionieren kann, wenn man ihre Funktionslogiken anerkennt und nicht umgekehrt, die bekannten Konzepte und Formate aus der vordigitalen Zeit anwenden möchte. Sie skizzieren – auch angesichts der aktuellen technischen und gesellschaftlichen Dynamik – welchen Fragen sich die Sozialwissenschaften mit Blick auf die Digitalisierung der Demokratie zukünftig zuwenden sollten und welche methodischen wie auch theoretischen Ansätze dabei vielversprechend sein könnten.