Datenerhebung und Stichprobe
Für die Studie wurden solche Tweets, die per @‑Adressierung („Mention“) an die Accounts von Politikjournalisten gerichtet sind, unter Verwendung des Twitter Capture and Analysis Toolkit (TCAT) seit Ende 2016 aufgezeichnet (siehe zum Toolkit Borra und Rieder 2014). Für das Tracking wurden für Journalisten in der Bundespressekonferenz (BPK) 2016/2017 zunächst 461 Accounts recherchiert und anschließend deren eigene Aktivitäten sowie die an sie gerichteten Tweets erfasst. Im Verein der BPK, der mehr als 900 Mitglieder umfasst, organisieren sich (Hauptstadt‑)Journalisten, die über Bundespolitik aus Berlin oder Bonn berichten. Sie gehören bekannten Leitmedien (zur Einteilung Greck 2017), aber auch anderen publizistischen Einheiten, wie etwa Lokal- und Regionalzeitungen oder den Nachrichtensendungen privater Rundfunkprogramme und Landesrundfunkanstalten, an.
Im Jahr 2017 konnten insgesamt 548.651 Erwähnungen per @‑Adressierung an die BPK-Journalisten (mit Twitter-Account) erfasst werden, die wiederum von 86.900 Accounts abgesetzt wurden (zur Funktionsweise der Operatoren auf Twitter siehe Thimm et al. 2012). Über das Tracking ließen sich somit auch Accounts ermitteln, die mit Journalisten öffentlich interagiert haben (FF1).
Diese Nutzergruppe wurde im Rahmen der Studie zusätzlich um Teilnahme an einer (Online‑)Befragung gebeten, um FF2 und FF3 zu beantworten. Aus einer Gruppe von 12.018 Accounts, die im Zeitraum April/Mai 2017 mit den Journalisten interagierten, wurde eine Zufallsstichprobe von 4000 Accounts gezogen, wobei abzüglich institutioneller sowie gesperrter Accounts, 3743 Accounts in der Stichprobe verblieben sind. Die Onlinebefragung der Accountinhaber erfolgte im Juni 2017; via Einladungstweets wurde um Teilnahme an der Befragung gebeten. Eine Benachrichtigung darüber erhielten die Nutzer nur sofern sie in ihren persönlichen Einstellungen angegeben hatten, dass sie auch Accounts unabhängig von einem Folgeverhältnis anschreiben dürfen (standardmäßig deaktiviert). Ein massenhaftes Anschreiben mit identischen Tweets wird von Twitter durch plattformspezifische Filter unterbunden, so dass die Einladungstweets kleinschrittig und in mehreren Textvarianten von extra für die Befragung angelegten Accounts verschickt wurden. Trotz dieser Einschränkung nahmen 159 Personen an der Onlinebefragung teil (4,2 %), wobei Personen, die sich selbst als Journalisten identifizierten, ausgeschlossen wurden. Von den übrigen Befragten gaben 92,6 % (n = 136) an, mindestens selten über Twitter mit Journalisten zu interagieren.
Untersuchungsdesign
Der Fragebogen bestand aus mehreren Teilbereichen. Grundlegend für die Durchführung der Studie war zunächst die Ermittlung der Interaktionshäufigkeit auf Twitter. Die Häufigkeit der Interaktionen der Befragten mit Journalisten und anderen, getrennt aufgeführten Nutzertypen (Politiker, Prominente, andere Nutzer) wurde dafür vergleichend abgefragt. Da vermutet wurde, dass die Befragten die Häufigkeit bisheriger Interaktionen nicht exakt quantifizieren können, wurde eine Ordinalskala gewählt (1 = (noch) nie – 5 = sehr häufig). Ebenso wurden weitere grundlegende Variablen, die sich speziell auf Twitter beziehen, erfragt. Erhoben wurde der Beginn der eigenen Mitgliedschaft (also das „Accountalter“). Auch die Häufigkeit der Verwendung von Twitter zum Verfassen eigener Beiträge sowie zum Lesen von Tweets wurde abgefragt (von „seltener als monatlich“ bis „mehrmals täglich“). Zu den ermittelten soziodemographischen Variablen zählen Alter, Geschlecht, formale Bildung und der Beschäftigungsstatus.
Die Bereiche zur Beantwortung von FF2 fokussieren insbesondere auf die Erfahrungen, die die anschreibenden Nutzer im Kontext ihrer Interaktionsversuche mit Journalisten machen. Zu den Erfahrungen mit Interaktionen wurde eine Liste mit neun Items erstellt, die den Austausch von Journalisten mit Nutzern charakterisieren sollen (z. B. Journalistinnen und Journalisten „… antworten auf Kritik von Nutzern“, „… ignorieren Nutzer, die sie anschreiben“). Die Nutzer wurden gebeten, auf einer fünfstufigen Skala anzugeben, wie stark diese Items, die vor allem auf die journalistische Rückmeldung eingehen, ihrer Erfahrung nach zutreffen (1 = trifft überhaupt nicht zu – 5 = trifft voll und ganz zu). Eine weitere Frage mit zehn Items bezog sich wiederum darauf, wie die Nutzer die Häufigkeiten einzelner journalistischer Aktivitäten auf Twitter einschätzen (Antwortoptionen „häufig“, „selten“, „nie“). Gefragt wurde hier auch nach Aktivitäten, die sich nicht auf Interaktionen mit dem Publikum beziehen (z. B. Journalistinnen und Journalisten „… nutzen die Plattform privat“, „… teilen dort ihre persönliche Meinung mit“, „… werben dort für sich und ihre Arbeit“, „… diskutieren mit Politikerinnen und Politikern“).
Die Bereiche zur Beantwortung von FF3 bezogen sich sowohl auf die Motive Journalisten anzuschreiben als auch auf weitere Merkmale, die die Befragten anhand von Persönlichkeitsmerkmalen wie der Persönlichkeitsstärke charakterisieren und ihr politisch-mediales Profil herausarbeiten sollen (politische Orientierung, politisches Partizipationsverhalten, Mediennutzung und Medienvertrauen).
Die Motive zur Interaktion mit Journalisten auf Twitter wurden in Anlehnung an Ziegele et al. (2013) abgefragt (Motivgruppen: Informationsinteresse, Ergänzung fehlender Standpunkte, Korrektur, Widerspruch, Diskussion, Gemeinschaftsgefühl) und an den vorliegenden Kontext angepasst. Die Abfrage erfolgte anhand von fünfstufigen Skalen (1 = trifft überhaupt nicht zu – 5 = trifft voll und ganz zu).
Zur Mediennutzung der Befragten wurden das Medienrepertoire (Häufigkeit der Nutzung von Nachrichtenquellen) sowie ihr Medienvertrauen gemessen. Für die Abfrage des generalisierten Medienvertrauens wurde die Formulierung aus Hölig und Hasebrink (2016) übernommen (fünfstufige Skala mit Zustimmung zum Item „Ich glaube, man kann dem Großteil der Nachrichten meist vertrauen“, M = 2,90; SD = 1,15) und das Vertrauen auch hinsichtlich einzelner Nachrichtenkanäle abgefragt. Die Befragten wurden überdies gebeten anzugeben, wie häufig sie bereits Nutzerkommentare auf Online-Nachrichtenseiten verfasst haben (1 = (noch) nie – 5 = sehr häufig).
Die politische Online-Partizipation wurde in Anlehnung an Gil de Zúñiga et al. (2012) mit acht Items gemessen, mit denen die Partizipationshäufigkeit in den letzten 12 Monaten, unter Verwendung einer fünfstufigen Skala, abgefragt wurde (1 = nie – 5 = sehr häufig, M = 2,62; SD = 0,76; Mittelwertindex). Mittels einer weiteren Frage wurden zwölf generelle politische Partizipationsformen (übernommen aus ALLBUS 2008, siehe Gesis 2010), die schon einmal praktiziert wurden, ermittelt. Außerdem wurden die Befragten auf einer fünfstufigen Skala gebeten, ihr Interesse an Informationen über das politische Geschehen einzustufen (1 = überhaupt nicht interessiert – 5 = sehr interessiert, M = 4,74; SD = 0,55). Die politische Orientierung wurde mit einer elfstufigen Links-Rechts-Skala im Anschluss an Vonbun und Schönbach (2014) erhoben, auf der die Befragten ihre politische Einstellung selbst einschätzen sollten (1 = links – 11 = rechts, M = 4,57; SD = 2,44). Durch die Selbsteinschätzung lassen sich in der Analyse moderate und starke, zu den Extremen tendierende politische Orientierungen unterscheiden.
Zur Erfassung von Persönlichkeitsmerkmalen wurde das Konzept der Persönlichkeitsstärke übernommen, mit dem einflussreiche Personen mit Ausstrahlung und Durchsetzungskraft ermittelt werden (Noelle-Neumann 1986). In der vorliegenden Studie wurde die Persönlichkeitsstärke im Anschluss an Schenk und Scheiko (2011) mit zehn Items und fünffach gestuften Antwortmöglichkeiten (1 = trifft überhaupt nicht zu – 5 = trifft voll und ganz zu) gemessen. Für die Auswertung wurden die Items nach einem Schema (1 = 0 Punkte, 2 = 0,25 Punkte, 3 = 0,5 Punkte, 4 = 0,75 Punkte, 5 = 1 Punkt) gewichtet und ein Summenindex gebildet (α = 0,83; Min = 0 bis Max = 10; M = 5,27; SD = 0,93).
Die Datenauswertung für FF3 erfolgte mittels binär-logistischer Regression. Die ursprünglich ordinalskalierte AV zur Häufigkeit der Interaktionen wurde binarisiert. Die Reduktion der ursprünglichen Skala auf zwei Ausprägungen vor der Regression empfiehlt sich hier, weil bestimmte Ausprägungen sonst zu wenige Beobachtungen aufweisen. Aus diesem Grund wurde die Modellierung einer ordinal-logistischen Regression verworfen. Für die Regression wird hier speziell das Vorliegen einer mindestens häufigen Interaktion mit Journalisten vorhergesagt.