1 Einleitung

Das Jahr 2017 war geprägt von einer entschlossenen Verteidigung der Wahrheit durch Politiker, Journalisten und vor allem WissenschaftlerFootnote 1. Diese Verteidigung kam zunächst nicht überraschend angesichts eines (scheinbar) neuen Trends, der die Ablehnung von Fakten, und damit auch der Wissenschaft, als eine legitime politische Position präsentiert. „Post-truth“ wurde von den Oxford Dictionaries zum Wort des Jahres 2016 gekürt, was die öffentliche Diskussion der Rolle der Wahrheit in der Demokratie noch verstärkte. Auch in den öffentlichen Reden des neuen amerikanischen Präsidenten Donald Trump wurde Wissenschaft immer häufiger als der Ausdruck einer elitären Macht- und Kulturposition dargestellt, die den Alltag der Menschen vergesse oder vernachlässige. Diese über die USA hinausgehende politische Dynamik der Akzeptanz bzw. Nicht-Akzeptanz wissenschaftlicher Expertise wurde von Journalisten und Sozialwissenschaftlern (d’Ancona 2017; Higgins 2016) als Ausdruck einer „postfaktischen Zeit“ charakterisiert, welche Emotionen und Vermutungen einen Vorrang gegenüber Fakten einräume.

Diese Trennung von Faktizität und Emotionen überschneidet sich zeitlich mit der Entstehung einer gesellschaftspolitischen Polarisierung, die sich nicht mehr entlang einer Links-Rechts-Achse abspielt, sondern sich entlang eines Kulturstreits um die Befürwortung oder Ablehnung eines liberalen bzw. kosmopolitischen Weltbildes entwickelt. Dies zeigt etwa die Analyse des letzten US-amerikanischen Präsidentschaftswahlkampfs durch Pippa Norris und Roland Inglehart (2019). Die Tendenz zur Ablehnung von Expertise als Teil einer tieferen gesellschaftlichen Polarisierung unterstreicht auch Katherine Cramer (2016), indem sie einen Konflikt zwischen einem kosmopolitischen Liberalismus einerseits und einem sozialen Konservativismus andererseits identifiziert. Letzterer versucht, eine Veränderung der bestehenden Strukturen zu verhindern, und gerade diese Angst vor Veränderung wendet sich gegen die Wissenschaft und ihre Erkenntnisse. Dass gerade Postfaktizität die ökonomisch-kulturelle Bedeutung der Wissensproduktion sichtbar macht, hat Linsey McGoey (2016; Kelly und McGoey 2018) herausgearbeitet, indem sie die gesellschaftspolitischen Bedingungen, unter denen Wissen entsteht und legitimiert wird, in den Blick nimmt.

Basierend auf einer interpretativen Analyse der Vorbereitung und Durchführung des March for Science in den USA im April 2017 zeigt der vorliegende Beitrag, dass die Proteste der US-Wissenschaftler als ein Ausdruck dieser gesellschaftspolitischen Polarisierung zwischen „Elite“ und „Volk“ („the people“) betrachtet werden können. Die Analyse der rhetorischen, metaphorischen und narrativen Sprachmittel, mittels derer der March for Science von den Akteuren inszeniert wurde, zeigt, dass die Wissenschaftler, und jene, die deren Sorgen um eine steigende Ablehnung der Wissenschaft unterstützten, diese Polarisierung durch ihren Aufruf zur Verteidigung der Fakten bedienen und verstärken. Sprachmittel werden im vorliegenden Beitrag als „Skripte“ (Alexander und Smith 2001; Alexander 2004) verstanden, mittels derer Ereignisse in bestimmter Art und Weise erzählt werden und somit eine bestimmte Bedeutung des Protestes hervorbringen und legitimieren. Zugleich dienen diese Skripte einer ‚Vergesellschaftung‘ der Wissenschaft („societalization“ bei Alexander 2018), insofern sie die Wissenschaft in der Gesellschaft verorten.

Im Sinne einer solchen Vergesellschaftung bot der March for Science 2017 mit seiner Reichweite eine einzigartige Gelegenheit, Wissenschaft mittels alltagsweltlicher Sprüche und Wortspiele erfahrbar zu machen und die Öffentlichkeit mit der Demonstration für ein ‚Fest der Wissenschaft‘ zu begeistern. Der March for Science stellt sich als breiter Protest dar, der nicht nur von Wissenschaftlern, sondern vor allem auch von „Wissenschaftsfreunden“ – so die Rahmung der nicht-wissenschaftlichen Öffentlichkeit durch die Organisatoren – unterstützt wird. Zahlreiche popularisierende Formen der Wissenschaftsvermittlung – Science Slams oder Wissenschaftsworkshops für Kinder – wurden ebenso verwendet wie T‑Shirts und Poster, die ein positives Bild der Wissenschaft und deren Relevanz jenseits von Politik erzeugen sollten (unterstützt durch Slogans wie „Science is not a partisan issue“ oder „Science is not politics“). Die verschiedenen Sprüche und Wortspiele, die während der Demonstration am 22. April 2017 und im Vorfeld in Sozialen Medien genutzt wurden, werden in der folgenden Analyse als eine Praxis der „Vergesellschaftung“ von Wissenschaft interpretiert.

Die Analyse arbeitet ein dominantes Skript heraus, das einerseits die unterstützten Ziele darlegt, andererseits aber auch Bedenken und Zweifel bezüglich der Rolle von Wissenschaft anführt. Das Skript transportiert die Gründe der Teilnahme oder Nicht-Teilnahme am March for Science und präsentiert ihn als eine Feier, reproduziert aber zugleich die oben genannte gesellschaftspolitische Trennung. Die Analyse kombiniert interpretative Zugänge der Politikwissenschaft (Schwartz-Shea und Yanow 2013; Yanow 2009; Durnova 2011), die politische Phänomene anhand von Diskursen analysieren, mit dem Strong Program der Kultursoziologie (Alexander 2004, 2018; Alexander und Smith 2001; Binder 2018), da beide Zugänge durch ihre bedeutungsorientierte Perspektive auf gesellschaftspolitische Phänomene die politische Kontingenz des Alltags sichtbar machen können. Diskurs und Kultur sind diesen Ansätzen zufolge Phänomene, deren Bedeutung durch die in der öffentlichen Debatte eingesetzten Sprach- und Interaktionsmittel zustande kommt. Die Erfassung dieser Bedeutungen durch „Skripte“ (Alexander 2006) ermöglicht darüber hinaus eine systematische Annäherung an die Diversität des analysierten Materials, das rund um den March for Science zum Einsatz gekommen ist, wie etwa bei der Demonstration präsentierte Poster, die Slogans und Sprüche auf T‑Shirts sowie Zeitungskommentare und Blogs zum Thema.

Durch einen solchen Zugang soll gleichzeitig deutlich gemacht werden, dass die interpretative Analyse des Kampfes für die Wahrheit nicht die Frage beantwortet – und auch nicht beantworten möchte –, ob sich die Gesellschaft tatsächlich in einem postfaktischen Zeitalter befindet oder ob die Wissenschaft in eine Krise geraten ist. Die Bezeichnungen „postfaktisch“ und „anti-wissenschaftlich“ werden hier deshalb analysiert, um zu erklären, welche soziopolitischen Kontexte ihre Verbreitung möglich machen und legitimieren. Es geht also nicht um die Frage, ob die Wissenschaftskritik von einem gewissen Standpunkt aus „wahr“ sein könnte, sondern um die Erfassung der Kontexte, Narrative und Symbole, in denen und durch die sie artikuliert wird. Die Analyse geht ebenfalls nicht auf die Frage ein, ob der March for Science ein kluger strategischer Schritt war, um der (vermeintlichen) Bedrohung durch Postfaktizität zu begegnen, und sie bewertet auch nicht, ob die Absichten ihrer Organisatoren von der Öffentlichkeit „richtig“ verstanden wurden. Damit geht einher, dass der häufig wiederholte Vorwurf an interpretative Ansätze, sie würden einer Relativierung von Wahrheit das Wort reden oder sogar die Wurzel der aktuellen Wissenschaftsverweigerung bilden, den Kern einer interpretativen Perspektive verfehlt. Interpretative Analysen werden als relativierend missverstanden, weil sie durch ihren Fokus auf Sprachmittel und Erzählungen die Darstellungsstrukturen einer öffentlichen Debatte verdeutlichen. Diese Kontextualisierung und die Sichtbarmachung gesellschaftspolitischer Bedingungen von Aussagen oder Argumenten, welche die interpretative Analyse ermöglichen, sind nicht mit einer Relativierung gleichzusetzen, denn eine Analyse von Akzeptanz beinhaltet keineswegs eine normative Bestätigung derselben.

2 Der kulturelle Kontext der Wissensproduktion und dessen Nutzung in der interpretativen Forschung

Unter Wissenschaftlern in der westlichen Welt lösten die Ereignisse rund um die Proklamation eines postfaktischen Zeitalters zunächst eine Betonung der Rationalität wissenschaftlicher Untersuchungen aus (Higgins 2016). Im politischen Diskurs der USA wurde diese Debatte direkt mit der Kritik an der Trump-Administration verknüpft; nicht nur, weil sie sich zeitlich überschnitten, sondern auch, weil Trump und seine Administration wissenschaftliche Expertise mehrmals direkt angriffen. Die frühere klimapolitische Agenda des Weißen Hauses wurde unmittelbar nach Trumps Amtseinführung von der offiziellen Webseite gelöscht und der Präsident kündigte im Februar 2017 den Ausstieg der USA aus dem Pariser Klimaabkommen an. Die Watch-Dog-Organisation Silencing Science Tracker berichtete wiederholt von Versuchen seitens der neuen Administration, Klimaexperten zu marginalisieren. Darüber hinaus bediente sich Donald Trump in seinen Statements einer diskursiven Trennung zwischen „den Experten“ und „dem Volk“, und zahlreiche Analysen sahen seinen Sieg verbunden mit dem Image eines Anti-Establishment-Kandidaten. Dieser Kontext der neuen Präsidentschaft hat bei einigen Wissenschaftlern den Eindruck erweckt, sie müssten öffentlich für die Wissenschaft kämpfen. So formierte sich Ende Januar 2017 eine Gruppe aus Wissenschaftlern, die einen March for Science ankündigte.

Dieser March for Science war die bis dato größte öffentliche Demonstration für die Wissenschaft. Als globale Veranstaltung machte der March for Science gleichzeitig die Ambivalenz der Rolle der Wissenschaft gegenüber der Öffentlichkeit deutlich. Diese ambivalente Rolle wurde während der Vorbereitung auf die Veranstaltung in den Medien diskutiert und sie wird auch in den Slogans, Tweets und Aussagen, die von den Wissenschaftlern vor und während der Demonstration getätigt wurden, deutlich sichtbar. Obwohl die Diskussionen mit konkreten politischen Entwicklungen der Trump-Präsidentschaft verbunden waren, wurden sie gleichzeitig als Ausdruck eines über die USA hinausreichenden Phänomens präsentiert, wonach sich wissenschaftliche Fakten zunehmend „unter Belagerung“ befänden.

„Wir sind in Vor-Aufklärungs-Zeiten gelandet!“ waren etwa in diesem Kontext die Worte der prominenten amerikanischen Wissenschaftstheoretikerin Sheila Jasanoff, die anlässlich eines Straßenprotests in Boston von den mitorganisierenden Studierenden nach ihren Gründen für die Unterstützung des Protestes gefragt wurde. Donald Trump, so äußerten sich auch andere Wissenschaftler, sei ein „Anti-Wissenschaft“-Präsident. Unmittelbar nach der Wahl von Donald Trump zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten am 8. November 2017 äußerten Wissenschaftler in den Vereinigten Staaten ihre Befürchtungen über den Niedergang der Wissenschaft und einen Rückgang der Demokratie. Die Union of Concerned Scientists (UCS) verschickte einen offenen Brief an den gewählten Präsidenten und an den kommenden Kongress und rief zum Schutz der Wissenschaft auf. Das Jahrestreffen der American Geophysical Union organisierte eine „Stand up for Science“-Rallye. „Stand up for Science“ wurde im Zuge der Entwicklung weiterer Proteste zu einem Slogan, der Wissenschaftler verschiedener Disziplinen und verschiedener Karrierestufen mobilisierte, um ihre Ängste über das zukünftige Ansehen der Wissenschaft zum Ausdruck zu bringen. „Stand up for Science“ wurde aber auch zu einem hoch emotionalen Aufruf an diejenigen, die von den Nachrichten in den ersten Wochen der Präsidentschaft entsetzt waren, als die neue Regierung – mit dem Rest der Nation als Geisel – entschlossen einen Weg der Wissenschaftskritik und -bekämpfung beschritt.

Durch diese Aufrufe zur Verteidigung der Wissenschaft – so die Initiatoren – sollte über die üblichen Unterschiede zwischen wissenschaftlichen Disziplinen und Ansätzen hinausgegangen werden; „Wissenschaft“ wurde seitens der Protestierenden als eine disziplinenübergreifende Praxis verstanden (vgl. Frickel 2018; MacKendrick 2017; Brulle 2018). Diese Aufrufe sollten auch über ideologische Unterschiede zwischen republikanischen und demokratischen Wählern hinausgehen. Um die Wissenschaft vor Angriffen zu schützen, sollten Fakten und deren Vertretung durch die Wissenschaft betont werden. Fakten seien in Gefahr, wenn sie einem Präsidenten gegenüberstehen, der verschiedentlich lügt, der zuvor artikulierte Ungenauigkeiten nicht korrigiert und diese sogar wiederholt; einem Präsidenten, der es als erster seit fünfundsiebzig Jahren versäumt hat, rechtzeitig einen wissenschaftlichen Berater zu ernennen. Wie es einer der Hauptorganisatoren des March for Science gegenüber einem Radioreporter ausdrückte: Beim Protest der Wissenschaftler gehe es „darum, an die Wahrheit zu kommen“ (Chronicle 2017; Hervorhebung durch die Autorin).

Diese Argumente bildeten das Hauptnarrativ der Kritik an Trump, das auch die Medien rund um die Vorbereitung des March for Science aufgriffen. Trump wurde nicht wegen einer Ideologie oder der Parteizugehörigkeit kritisiert, sondern wegen seiner Abneigung gegenüber Fakten und seinen wiederholten Attacken auf die Wissenschaft. So betonten etwa die in den US-Medien vorgenommenen Fact-Checking-Initiativen, dass die Trump-Administration wissenschaftliche Expertise nicht kennen oder gar missbrauchen würde, um flammende Reden zu halten. Diese diskursive Opposition von Wissenschaft und Trump offenbart gleichzeitig die zuvor beschriebene Trennung von Fakten und Emotionen, wie sie etwa in dem Spruch „Trust the science, not the spin“ sichtbar wird, der während der Demonstration in Washington D. C. verwendet wurde. Der Zusammenhang dieser diskursiven Oppositionen wird ebenso sichtbar in der fortwährenden Betonung seitens der Journalisten und Wissenschaftler, wonach der Präsident offene Gegner der Wissenschaft in Führungspositionen in US-Verwaltungsgremien für wissenschaftliche Expertise bestelle, vor allem im Bereich des Klimawandels. Die Ernennung des bekannten Klimawandelleugners Scott Pruitt zum Leiter der Environmental Protection Agency (EPA) war einer der wichtigsten Schritte, der zur weiteren Mobilisierung der Wissenschaftler gegen Donald Trump beitrug.

Vor dem Hintergrund einer von den Protestierenden identifizierten Krise des Ansehens der Wissenschaft muss allerdings konstatiert werden, dass Wissenschaft im Rahmen ihrer Etablierung in den modernen Demokratien der Nachkriegszeit eine historisch durchaus wandelbare und dynamische gesellschaftliche Rolle eingenommen hat (siehe z. B. Porter 1996). Einerseits steht die Wissenschaft über der Gesellschaft, insofern ihr Ziel darin besteht, die Regeln der alltäglichen Komplexität zu erklären sowie Prognosen zu erstellen, die ein erfolgreiches Wachstum und Wohlstand sichern sollen (vgl. Nowotny 2015). Die wissenschaftlichen Prognosen produzieren wiederum Instrumente, mittels derer die Gesellschaft regiert wird (Lascoumes und Le Galès 2007). Andererseits ist die Wissenschaft gerade durch diese Rolle nicht ohne Weiteres von den gesellschaftspolitischen Kontexten, innerhalb derer wissenschaftliches Wissen erstellt und angenommen wird, loszulösen (worauf insbesondere die Science and Technology Studies hinweisen, siehe z. B. Jasanoff und Simmet 2017; Jasanoff 2005). Diese Konstellation ergibt einen ambivalenten gesellschaftspolitischen Status der Wissenschaft, denn die überlegene gesellschaftliche Position, die Prognosen und neutrale Analysen ermöglichen soll, schafft zugleich die Bedingungen für die Kritik, dass sich die Wissenschaft vom Alltag entkoppelt und die gesellschaftspolitischen Bedingungen, die sie mitproduziert, perpetuiert – nicht zuletzt deshalb, so heißt es seitens der postkolonialen und feministischen Wissenschaftskritik, weil die Produktion wissenschaftlichen Wissens die in den patriarchalen kapitalistischen Gesellschaften üblichen Hierarchien lediglich reproduziert, anstatt ihnen entgegenzutreten (vgl. Harding 2008, 2011; Haraway 1988).

Parallel zu dieser Kritik an der Rolle der Wissenschaft in der Gesellschaft wurde auch die Einbeziehung der Öffentlichkeit in den Prozess der Wissensgenerierung zum zentralen Impuls für die Etablierung von Public Understanding of Science. Diese Subdisziplin der Wissenschaftsforschung problematisiert die vermeintlich überlegene Position von Wissenschaft und versucht, sie in ein umfassendes Programm zur systematischen Einbindung von Öffentlichkeit in die Diskussionen rund um wissenschaftliche Entdeckungen und Erkenntnisse umzuwandeln (Lewidow 2018). In der Folge wurde die Generierung von Wissen als dynamisches und kollektives Unternehmen konzipiert, und die Wissenschaftsforschung wurde zum Türöffner für die Problematisierung der Vermittlungs- und Legitimierungsräume der Wissenschaft (vgl. Collins und Pinch 2008; Collins und Evans 2008). Vor allem die jüngsten Aktivitäten auf diesem Feld, wie etwa „Citizen Science“ oder „Science Slams“, sowie vielfältige Popularisierungsprogramme und deren Unterstützung durch nationale Wissenschaftsfonds lassen den Willen erkennen, die Öffentlichkeit stärker einzubinden. Gleichzeitig wurde bei diesen Aktivitäten deutlich, dass die Öffentlichkeit oft als eine Gruppe besonders interessierter, gebildeter und aufgeschlossener Bürger konzipiert wurde (kritisch hierzu Irwin 1995; Irwin und Horst 2016) und dass die Polarisierung zwischen Wissenschaftlern und einer breiten Öffentlichkeit bestehen blieb (vgl. Wynne 2006).

Unter diesem Gesichtspunkt bringen die Debatten, die ein postfaktisches Zeitalter proklamieren und die Wissenschaft bedroht sehen, einen gesellschaftspolitischen Kontext ein, den es zu problematisieren gilt. Wie die Kultursoziologin Mabel Berezin (2017) in ihrer Analyse der Wählerschaft von Trump zeigt, ist deren Identität durch gesellschaftspolitische Hintergründe geprägt, die bis zur Debatte über den Vietnamkrieg und die damit verbundenen Bürgerproteste zurückreichen. Im Lichte von Trumps Anti-Establishment-Pose identifiziert Berezin eine Aufteilung der Öffentlichkeit in einen Bereich derjenigen, die in den Krieg zogen, und derjenigen, die als privilegierte Gruppe gegen diesen Krieg protestieren konnten. Akademiker, die vermehrt zur zweiten Gruppe zählten, wurden als Teil einer elitären, privilegierten oder sogar arroganten Gruppe empfunden, die es sich aufgrund ihres gesellschaftlichen Status leisten konnte, zu protestieren, anstatt im Krieg zu kämpfen. Berezin rekonstruiert in ihrer Analyse eine diskursive Spaltung zwischen einer intellektuellen Elite, die sich an akademischen Diskussionen und Protesten beteiligt und beteiligen kann, und den alltäglichen Erfahrungen von Menschen, die von vielen dieser Intellektuellen als „hasserfüllte Menschen“ verachtet werden, weil sie sich auf die falsche politische Seite stellen würden. Diese Polarisierung manifestiert sich ebenfalls im Diskurs der Postfaktizität, der eine Spaltung befeuert zwischen einer privilegierten und wissenden „Elite“ und einem zornigen „Volk“ (Polletta und Callahan 2017). Eine ähnliche kulturelle Spaltung diagnostiziert Arlie Hochschild (2016), die historische Pfadabhängigkeiten lokalisiert, welche dazu beigetragen haben, dass liberale Werte zurückgedrängt wurden und die Wissenschaftsleugnung an Zuspruch gewinnen konnte. Hochschild zeichnet ein Bild einer gespaltenen Nation, mit der gelebten Erfahrung von „gewöhnlichen“ US-Bürgern, die hart gearbeitet haben, auf der einen Seite, und einer Elite, die von diesen Alltagserfahrungen losgelöst ist, auf der anderen. Ein solches Bild einer gespaltenen Gesellschaft (siehe auch Hayes 2013) zeichnen auch die Analysen zum zivilen Engagement der US-Bevölkerung nach 9/11 (Sander und Putnam 2010).

Um diese Analysen der Polarisierung der amerikanischen Gesellschaft mit dem Diskurs der Postfaktizität zu verbinden, bietet sich der Zugang von Linsey McGoey an: In ihrem Ansatz geht es darum, die öffentliche Ablehnung wissenschaftlicher Expertise auf Grundlage der politischen Dynamik zu erklären, die bestimmte Wissenspraktiken mitproduzieren und Machtverhältnisse beinhalten (McGoey 2016; Kelly und McGoey 2018). Zentral für eine Analyse kollektiver Verständnisse von Wissenschaft ist auch Sheila Jasanoffs (2005) Konzept der „civic epistemologies“, das darauf gerichtet ist, die kulturellen und gesellschaftspolitischen Bilder und Hoffnungen, die in der Öffentlichkeit auf Wissenschaft projiziert werden, analytisch zu erfassen. Der Status von Fakten und Wissen ist somit innerhalb einer gesellschaftspolitischen Einbettung zu verstehen. In diesem Sinne ist das Aufkommen bzw. die Deklarierung eines postfaktischen Zeitalters nicht neu, sondern Resultat einer kontinuierlichen Verbindung zwischen wissenschaftlichem Wissen und gesellschaftspolitischen Anliegen, die bestimmte „civic epistemologies“ mitproduzieren (Jasanoff und Simmet 2017).

Mit dieser Kontextualisierung eröffnet sich die Möglichkeit, die gesellschaftspolitischen Bedingungen der Wissensproduktion und deren Legitimität, wie etwa in Form des March for Science, in den Blick zu nehmen. Interpretative Ansätze der Politikwissenschaft ermöglichen es hier, zu analysieren, wie Wissen geschaffen, geteilt und verhandelt wird, und diese Verhandlungen treten zugleich als Spielorte der Politik hervor, insofern sie Werte und Normen sichtbar machen, die solche Verhandlungen strukturieren und von denen sie gleichzeitig strukturiert werden (Yanow 2009; Feindt und Oels 2005). Bisher jedoch haben sich interpretative Ansätze in der Politikwissenschaft nur bedingt für öffentliche Debatten, die nicht direkt an eine politische Regulierung anknüpfen oder aus einer solchen hervorgehen, interessiert. Alltagsweltliche Praktiken und Artefakte, wie etwa Sprachspiele, Witze oder Artikel der Populärkultur wie bspw. T‑Shirts, stehen in der Regel nicht im Fokus dieser Ansätze.

Dass solches Material ebenfalls eine politische Relevanz hat und Gegenstand politikwissenschaftlicher Analysen sein kann, argumentiert der Kultursoziologe Jeffrey Alexander mit seinem Konzept der „Vergesellschaftung“. Der Prozess der Vergesellschaftung beschreibt die Umstände einer öffentlichen Debatte rund um ein bestimmtes Thema. Zunächst wird ein Thema, das zuvor im Rahmen einer abgegrenzten Gruppe besprochen wurde, öffentlich gemacht. Laut Alexander (2018) geschieht dies durch eine moralische Empörung, durch die das Thema von einem Fachthema in ein „öffentliches“ Phänomen transformiert wird, das die Prinzipien des gesellschaftlichen Zusammenlebens thematisiert, ihre Legitimität in Frage stellt oder revidiert. Dadurch wird ein Feld der gesellschaftlichen Interaktion geschaffen, die mit und von der Öffentlichkeit gestaltet wird. In dieser Hinsicht thematisiert die durch den March for Science erfolgte Vergesellschaftung die Normen der Wissensgenerierung und die Strukturen der Wissensaneignung sowie deren Legitimität in demokratischen Gesellschaften. Sie schafft somit einen Diskurs des Wissens, der gleichzeitig markiert, was nicht mehr wissenschaftlich ist. In der folgenden interpretativen Analyse des March for Science soll dieser Prozess der Vergesellschaftung rekonstruiert werden.

3 Eine interpretative Perspektive auf den March for Science

Die Analyse des March for Science nimmt interpretative Ansätze in der Politikwissenschaft zum Ausgangspunkt. Diesen Ansätzen zufolge sind politische Ereignisse über die Bedeutungen erforschbar, die Akteure, Öffentlichkeiten und Institutionen ihnen zuschreiben. Somit werden konkrete rhetorische Figuren, Metaphern und andere sprachliche Instrumente, die zur Wissenspräsentation verwendet werden, als Teil sozialer Handlungen gesehen, durch die Politik erklärt werden kann (Durnova und Zittoun 2013; Yanow 1996, 2003; Wagenaar 2011; Bevir und Rhodes 2015). Der Ort der Politik befindet sich nicht allein in den dezidiert als politisch ausgewiesenen Institutionen oder in den Interaktionen politischer Akteure, sondern er entsteht und legitimiert sich zuallererst in Diskursen. Folglich sind jegliche diskursiven Einrahmungen der öffentlichen Diskussion Gegenstand der Analyse, weil sie laut interpretativer Ansätze Informationen über gesellschaftspolitische Kontexte und Dynamiken liefern, und weil sie die Positionierung der Akteure zueinander offenlegen.

Um den March for Science analysieren zu können, wurde eine Materialsammlung von Januar 2017 bis April 2017 durchgeführt. Zunächst wurden Medieneinheiten über das Google News-Tool unter dem Stichwort „March for Science“ erfasst. Dazu gehören alle elektronisch archivierten Pressetitel, persönliche Blogs und die Pressemitteilungen von Universitäten oder gemeinnützigen Organisationen. Insgesamt wurden bei dieser Suche 428 Texteinheiten und 45 Bilder identifiziert. Das Textkorpus wurde durch eine teilnehmende Beobachtung des March for Science am 22.04.2017 in New York und durch eine begleitende Recherche auf Twitter am Tag der Demonstration ergänzt. Zusätzlich wurden im Zusammenhang mit der Werbung für den March for Science über Twitter und Facebook veröffentlichte Aussagen in den Datensatz einbezogen. Diese Datensammlung ergab weitere 130 Texteinheiten.

In einer ersten inhaltsanalytischen Auswertung wurde der jeweils dominierende thematische Fokus der Texte identifiziert (Bauer und Gaskell 2000). Es zeigte sich, dass eine dominante Thematisierungsweise die Frage nach dem Charakter des March for Science darstellte: Entweder wurde das Ereignis als unpolitisches Fest der Wissenschaft („celebration of science“) oder als Demonstration gegen die aktuelle Präsidentschaft („political demonstration“) dargestellt. Die Kategorie des Festes wurde in der zweiten Phase des analytischen Verfahrens anhand der jeweiligen Sprüche, Poster und Slogans, die anlässlich des March for Science verwendet wurden, interpretiertFootnote 2, weil gerade diese Kategorie die umstrittene Rolle der Wissenschaft gegenüber der Öffentlichkeit zum Ausdruck brachte. Die Diskussion um den apolitischen Charakter des March for Science ist als ein Diskurs zu verstehen, der durch bestimmte Skripte die Ambivalenz des Verhältnisses von Wissenschaft und Öffentlichkeit entfaltet und deren Zusammenhang anhand der Polarisierung zwischen „Elite“ und „Volk“ darlegt. Die Erweiterung der interpretativen Ansätze durch das Strong Program der Kultursoziologie ermöglicht es, die politische Relevanz dieser Feier der Wissenschaft als ein Produkt eines Prozesses der Vergesellschaftung zu lesen. Die vielfältigen Äußerungen, der March for Science sei apolitisch, sind gerade durch diesen wiederholten Aufruf interessant, und die Witze, die Bezüge zur Populärkultur und zum Alltag herstellen, verdeutlichen die Rolle der Wissenschaft gegenüber der Öffentlichkeit (Alexander und Smith 2001; Alexander 2006).

Die Analyseeinheiten werden im Sinne des interpretativen Verfahrens als dynamische semantische Einheiten definiert, und sie beziehen sowohl Text-, als auch Video- und Bildmaterial mit ein (vgl. Hajer 2005). Gleichzeitig impliziert der dynamische Charakter, dass konkrete sprachliche Formen innerhalb eines gesellschaftspolitischen Kontextes verankert sind, und diese Kontexte zugleich auch verändern können (vgl. Yanow 1996). Es wird daher untersucht, welche Akteure in welchem Kontext und durch welche Sprach- und Rhetorikmittel das Geschehen darstellen oder ihre Positionen und Argumente ausdrücken (zur Entwicklung des Analyseschemas siehe Durnová 2018). In diesem Sinne ermöglicht die kultursoziologische Perspektive über das interpretative Verfahren hinaus, Demonstrationen und Feste wie den March for Science analytisch als kollektive Skripte zu erfassen, die zur Diskussion und Reaktion einladen und daher einen Schauplatz bieten, um gesellschaftliche Regeln und Normen zu beobachten und zu interpretieren (Bartmański und Alexander 2012).

4 Der March for Science als eine Feier der Wissenschaft

Wie die Analyse der Mediendebatte zeigt, wurde der March for Science einerseits als eine „Feier“ der Wissenschaft betrachtet, die mit einer positiven Botschaft der düsteren Kritik an der Wissenschaft seitens der Trump-Administration entgegentrat. Andererseits wurde der Protest von vielen Teilnehmenden und Beobachtern als ein politischer Akt verstanden, der gegen die US-Administration mobilisierte, um die fatalen Konsequenzen für die Entwicklung der Menschheit, die bei einer Marginalisierung von Wissenschaft drohen würden, abzuwenden. Bei diesen Diskussionen um den Charakter des March for Science wird in der folgenden Analyse sichtbar, dass es nicht darum ging, ob und ggf. warum sich die Protestierenden gegen Trump positionieren, sondern um die Frage, ob und ggf. wie sich Wissenschaft einen politischen Protest leisten darf. Die folgende Analyse fokussiert auf die dezidiert apolitischen bzw. von der Politik losgelösten Darstellungen von Wissenschaft, um zu zeigen, wie auch diese Botschaften die oben skizzierte Polarisierung zwischen Elite und Öffentlichkeit reproduzieren.

Der March for Science wurde in seiner Vorbereitungsphase als eine einzigartige Gelegenheit konzipiert, die Bedeutung, den Wert und die „beauty of science“ zu vermitteln (so der Slogan der Association for Advancement of American Science, der im Rahmen der Unterstützung des Protests am 17.04.2017 veröffentlicht wurde; Hervorhebung durch die Autorin). Er wurde inszeniert als ein Treffen von „Science Lovers“ (Kgou 2017), die keinen Bezug zu anderen sozialen Bewegungen, geschweige denn zu anderen politischen Demonstrationen gegen Trump aufweisen würden. Diese Konzeption wurde durch begleitende Veranstaltungen zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit für die Wissenschaft verstärkt, wie z. B. die sog. Teach-In-Sitzungen während der Märsche oder die Organisation der Kundgebung Kids March for Science anlässlich des March for Science in Washington D. C. Die Beteiligung von Kindern an Aufführungen rund um den March for Science nutzte zudem das Klischee von Kindheitsträumen, um ein positives Bild von Wissenschaft zu vermitteln: „Forget Princess, I want to be a scientist“ (BuzzFeed 2017). Ebenso präsentierten Poster wie „THIS IS WHAT A SCIENTIST LOOKS LIKE“ (Poster 1) das integrative Gesicht der Wissenschaft. Indem sie mit einem Pfeil auf die Person verwiesen, die das Poster trägt, senden sie die Botschaft, Wissenschaft sei nicht vom Alltag entkoppelt (z. B. Washington Post 2017b).

Ergänzt wurde dieses öffentlichkeitsnahe Bild von Wissenschaft durch Wortspiele, die während des March for Science genutzt wurden, um Wissenschaft und Vergnügen zu verbinden. Rhetorische Spiele wie etwa „SCIENCE ROCKS“ (Poster 2) beziehen sich beispielsweise auf den Geek- oder Nerd-Faktor, den die Öffentlichkeit mit Wissenschaftlern regelmäßig verbindet. Ein weiterer Slogan „AMERICA RUNS ON SCIENCE“ (Poster 3) greift die in den USA bekannte Dunkin’ Donuts-Werbung „America runs on Dunkin“ auf. Durch diese Referenz wird ein Bild von Wissenschaft vermittelt, in dem diese nicht nur notwendig, sondern auch gewünscht ist (so wie die Produkte von Dunkin’ Donuts jeden Morgen von Amerikanern nachgefragt werden). Schließlich findet sich der Slogan „SCIENCE: IT IS LIKE MAGIC: BUT REAL“ (Poster 4), der zudem als T‑Shirt-Aufdruck angeboten wurde. Er vermittelt ein Narrativ der Wissenschaft, in dem die wissenschaftlichen Erkenntnisse neue Wahrnehmungsdimensionen öffnen, die wie „Magie“ wirken; hinter dieser Magie verbirgt sich jedoch eine systematische „reale“ Vorgangsweise. Durch die syntaktische Struktur dieses Slogans wird die Bedeutung der „realen“ Dimension in ihrer Opposition zu einer unerklärbaren Magie noch verstärkt. Die Relevanz der Wissenschaft wurde auch durch Slogans wie „SCIENCE IS MY SUPERPOWER“ (Poster 5) spielerisch zum Ausdruck gebracht, denn dieser beruft sich nicht exklusiv auf den politischen, sondern auch auf den spielerischen Kontext einer Abenteuergeschichte.

Ein weiteres Bedeutungsgeflecht, welches ein positives Bild von Wissenschaft darbieten sollte, war die Betonung wissenschaftlicher Rationalität. Denn Wissenschaft, so die Demonstranten, weiß, was sie tut. Wissen hat Vorrang, denn „WITHOUT SCIENCE IT’S JUST FICTION!“ (Poster 6). Wahrheit sei nicht einfach „wegzutweeten“ (SCIENCE, YOU CAN’T TWEET IT AWAY, Twitter am 22.04.2017), womit sich die Demonstranten auf die Gewohnheit des US-Präsidenten bezogen, politische Konflikte durch Tweets – anstatt durch fachliche Diskussionen – beseitigen zu wollen. Manche Teilnehmenden waren in ihrer Verbindung der Relevanz von Fachwissen und der Opposition gegen den Präsidenten sehr viel expliziter: „MR. PRESIDENT, GO FACT YOURSELF!“ (Poster 7) Gerade solche Inszenierungen machten den Bezug zur Trump-Administration und zu den politischen Kontexten des March for Science deutlich. Diese waren Teil der Diskussion rund um den politischen Kontext der Demonstration:

I know some scientists are concerned that the March for Science campaign will politicize science and fuel conservative distrust in science. I’m sorry. It is far too late for that. Science has already been politicized—that started decades ago—and a growing anti-science sub-culture has infected and perhaps taken over the Republican Party, leaving pro-science without a champion or a home. (Sun Journal 2017)

5 Die Bestrebungen eines ideologieneutralen Protestes

Mit der Hervorhebung des apolitischen Charakters der Feier ergab sich im Rahmen der Inszenierung durch den March for Science ein weiteres Bedeutungsgeflecht, das durch die Betonung der Rolle der Wissenschaft einen Protest gegen Trump zum Ausdruck brachte: Dass Trump unwissenschaftlich sei und dass er Faktizität leugne, sei nicht als eine Ideologie zu verstehen, denn „TRUTH IS NOT A PARTISAN ISSUE“ (Poster 8). Es ging vielmehr darum, die Kritik an Trump abseits der politischen Achse zu verorten und sie ideologieneutral zu inszenieren. Ein Teil dieser Argumentation, die sich auf die Gefährdung der Wissenschaft richtete, bezog sich daher auf die Wissenschaftsförderung. In diesem Zusammenhang stellten sich die protestierenden Wissenschaftler nicht als eine Gruppe vor, die ihre Rechte fordert, sondern als eine ideologieneutrale Gruppe, die Wissen schaffe. Einige Aussagen forderten diesbezüglich explizit, dass die Regierung über Forschungsförderungen auf der Grundlage der Faktenlage entscheiden solle: „HEY CONGRESS, DON’T UNDERSTAND IT? DON’T DEFUND IT!!! ASK! LEARN!!!!“ (Poster 9). Einige der Poster verkörperten diese Kritik, indem sie sich auf übliche Körperbewegungen von Trump während seiner Pressekonferenzen bezogen, womit sie sich zugleich vom ideologieneutralen Bild des Protests distanzierten. Der immer wieder auftauchende Hinweis auf Trumps „winzigen Hände“, die in den US-Medien in Verbindung mit Trumps angeblicher Unwissenheit, narzisstischem Verhalten, Engstirnigkeit und Irrationalität in Zusammenhang gebracht werden, wurden verwendet, um die Kritik zu verstärken: „FUNDING: KEEP YOUR TINY HANDS OFF MY PIPETTES!“ (Poster 10). Mit Slogans wie „FUND BRAINS NOT BOMBS“ und „LESS INVASIONS MORE EQUATIONS“ (Poster 11) wurde darüber hinaus eine Opposition zwischen Wissenschaft und Krieg konstruiert. Eine ähnliche Opposition wurde entlang von Slogans wie „BUILD LABS NOT WALLS“ (Poster 12) aufgebaut, die sich auf Trumps Versprechen bezog, eine Mauer entlang der mexikanischen Grenze zu bauen.

Diese Aussagen sind Teil des Wahrheitsverständnisses, welches der March for Science nicht nur am Tag des Protestes selbst, sondern auch durch die im Vorfeld präsentierten Argumente hervorbringt: Die Rationalität, das Wissensvermögen und die Nüchternheit von Wissenschaft stehen gegen Unordnung, Irrationalität und sogar Willkür. Die Demonstranten argumentierten etwa wiederholt, dass Wissenschaft „REAL“ und „TRUE“ sei, „WETHER YOU BELIEVE IN IT OR NOT“ (Poster 13). An die Vernunft und an die Wissenschaft zu glauben – „BELIEVE IN REASON“ (Poster 14), oder schlichtweg „SCIENCE!“ (Poster 15) –, wird hier gleichzeitig zu einem Identitätszeichen. Diese Identitätsmarke schuf ein Bild der Demonstranten, die im Vorfeld beschrieben wurden als „people who believe in fact-based policies [and] raise their voice“ (Alligator 2017). Die Klassifizierung als „faktenbasiert“ bezog sich dabei auf kulturelle Werte, die Vernunft und Wissen hervorheben und die zum Misstrauen gegenüber Emotionen und Intuitionen aufrufen. Indem sie eine Reihe von Verweisen auf „Fakten“ verwendeten sowie Intuition und Glauben widersprachen, führten diese Plakate eine argumentative Haltung ein, wonach die Verteidigung der Wahrheit die Verteidigung einer „rationalen“ Kultur bedeutet: „π IS ALL THE IRRATIONALITY I NEED“ (Poster 16).

Der March for Science artikulierte eine ideologieneutrale Bedeutung von „Wahrheit“, „Vernunft“ und „Rationalität“. „MAKE AMERICA THINK AGAIN“ (Poster 17) war ein Poster auf einem einfachen Stück Pappe, das eine Frau in den Händen hielt, während sie eilig durch den Central Park zum Treffpunkt des March for Science in New York ging. Es war ein weithin vertretenes Anliegen der protestierenden Wissenschaftler, die Sichtbarkeit ihrer Argumente in der gesamten US-Gesellschaft zu erhöhen, da diese wissenschaftliche Expertise benötige und Fakten und Wahrheit brauche: „MAKE AMERICA SMART AGAIN“ (Poster 18), „MAKE AMERICA SCIENTIFIC AGAIN“ (Poster 19) oder „AMERICA NEEDS SCIENCE“ (Poster 20). Wissenschaft wurde regelmäßig als eines der wertvollsten öffentlichen Güter dargestellt, „[that] deserves a support of every single citizen“ (Boston Rally 2017). Dass Wissenschaft gleichbedeutend mit Fortschritt sei und dass diejenigen, die Wissenschaft ignorieren, auch zukünftige Generationen ignorierten, wird in der Losung von Wissenschaft als „engine of prosperity“ sichtbar (Spectrum 2017). Derartige Slogans verfolgten ein größeres Ziel, als die Vernünftigkeit und Rationalität der Wissenschaft zu loben. Sie stellten Wissenschaft vielmehr als einen zivilisatorischen Wert dar, als etwas, das alle Bürger vereint und zusammenhält. Wie ein Wissenschaftler während der Vorbereitung des March for Science schrieb: „I march in the general interest of all Americans“ (Spectrum, 14.02.2017). Die Gesellschaft sei „smarter together“, weshalb „STRONG SCIENCE – STRONG AMERICA“ bedeute (Poster 21).

Anti-wissenschaftliches Verhalten wurde als antidemokratisch dargestellt, denn gute Wissenschaft brauche gute Demokratie, wie auch viele Berufsverbände mit ihrer Unterstützung des March for Science argumentierten. Viele Texte und Interviews mit Wissenschaftlern, die während der Vorbereitung des March for Science veröffentlicht wurden, unterstrichen diesen konstitutiven Zusammenhang und betonten, dass Wissenschaft nur in Demokratien gedeihe: „The United States has proven that both science and democracy are the most effective systems we’ve developed to organize, understand and improve our world“ (Washington Post 2017a). Dieses Argument verdeckt, dass die Wissenschaftsgeschichte auch Gegenbeispiele bereithält, wie etwa den Bereich der Nuklearforschung in einigen nichtdemokratischen Ländern, welche nicht trotz des Mangels an Demokratie voranzukommen scheint, sondern – wie man argumentieren könnte – gerade wegen dieses Mangels. Der March for Science war diesbezüglich jedoch eindeutig: Die Wissenschaft brauche Autonomie und „TRUTH IS FREEDOM“ (Poster 22).

Durch dieses Skript setzt sich die faktizitätsorientierte Gruppe der Wissenschaftler und „Wissenschaftsfreunde“ einem emotionalisierten, irrationalen und sogar ignoranten „Volk“ entgegen. Die im Protest realisierte Praktik, die Missachtung von Fachwissen zu einer über ideologische Strategien hinausgehenden Bedrohung für die Demokratie zu erklären, impliziert eine Konzipierung von Wissenschaft als einem System von Fakten ohne emotionalen Kontext. Gerade diese Hervorhebung einer ideologieneutralen Wissenschaft verstärkt jedoch umgekehrt die Ablehnung eines Bildes von Wissenschaft als Teil einer gesellschaftspolitischen Identität, welche die soziale Polarisierung weiter befeuert.

6 Fazit

Ziel der hier vorgelegten Analyse war es, die Praktiken und Artefakte des March for Science im Lichte der aktuellen gesellschaftspolitischen Lage in den USA zu interpretieren. Obwohl die durch die Protestierenden artikulierte kollektive Verteidigung der Wahrheit als eine apolitische und feierliche Vereinigung von Wissenschaft und Demokratie konzipiert wurde – und somit die Wissenschaft zu einem gemeinsamen und dringenden Interesse für alle Amerikaner machte –, offenbart gerade ein solchermaßen gestaltetes Skript einen engen Bezug zu der allgemein zu diagnostizierenden Polarisierung zwischen „der Elite“ und „dem Volk“.

Ausgehend einerseits von aktuellen politikwissenschaftlichen Analysen, die eine solche kulturbedingte Polarisierung zwischen Elite und Volk beobachtet haben, und andererseits von Arbeiten der Wissenschaftsforschung, welche diese kulturellen Komponenten in der Wissenskluft zwischen Experten und Öffentlichkeit problematisieren, schlägt die hier präsentierte interpretative Analyse vor, den March for Science als einen der Schauplätze dieser gesellschaftspolitischen Polarisierung zu verstehen. Wissenschaft fühlt sich bedroht, Wissenschaftler wollen sich als Hüter der Demokratie inszenieren, und obwohl diese Inszenierungen im Rahmen einer allgemeinen und apolitischen „Feier der Wissenschaft“ zum Ausdruck gebracht werden sollen, ist diese Inszenierung hochgradig politisch. Das in der Analyse identifizierte Skript, wonach Wahrheit über politischen Ideologien und Glaubensbekenntnissen stehe, nimmt unweigerlich selbst eine politische Form an. Diese wird durch eine diskursive Trennung zwischen Vernunft und Rationalität einerseits sowie einer Wissens- und Wissenschaftsverweigerung andererseits zum Ausdruck gebracht, und sie wird unter der Begrifflichkeit der Postfaktizität als eine Opposition von Faktizität und Emotion mitgesteuert. Eine auf diese Weise manifeste Feier der Wissenschaft wirkt dann nicht inklusiv, sondern trägt weiter zur Polarisierung zwischen „Elite“ und „Volk“ bei.

Mit der Sichtbarmachung dieses Skripts leistet die Analyse letztendlich auch einen Beitrag zur Diskussion rund um die Nutzung interpretativer Verfahren für eine Analyse von Postfaktizität. Der vorliegende Beitrag zeigt die gesellschaftspolitischen Zusammenhänge des Kampfes um Wahrheit auf, die eine diskursive Trennung von Faktizität und Emotionen mitsteuern und somit zur gesellschaftspolitischen Spaltung beitragen, anstatt diese zu mildern. Die Enthüllung einer diskursiven Trennung von Faktizität und Emotionen soll dabei nicht mit einer Relativierung der Fakten oder gar Legitimierung einer Wissenschaftsverweigerung gleichgesetzt werden. Es soll vielmehr auf die Notwendigkeit einer Kontextualisierung von Faktizität aufmerksam gemacht werden. Eine solche Kontextualisierung könnte z. B. das Nicht-Wissen und die konkreten Gründe des Nicht-Glaubens an wissenschaftliche Expertise systematisch veranschaulichen. Die Gründe für Wissenschaftsverweigerung sollten jenseits einer simplen Dichotomie zwischen Faktizität und Emotionen gesucht werden, wozu interpretative Perspektiven einen originären Beitrag leisten können.