Zusammenfassung
Stärkere Verteilungs- und Statuskonflikte zwischen verschiedenen Ärztegruppen werden auch in die selbstverwalteten Körperschaften hinein getragen. Katharina van Elten zeigt, dass die Ärztekammern aufgrund des pluralisierten Rollenverständnisses ihrer Mitglieder weniger Integrationsprobleme haben als die Kassenärztlichen Vereinigungen. Deren Schwerpunkt in der Honorarpolitik inspiriert immer mehr Mitgliedsgruppen zum Voice, bis hin zu Putschen an der Führungsspitze. Solche Konflikte mögen teilweise auch vom Gesetzgeber forciert sein, um gesundheitspolitische Entscheidungen leichter durchsetzen zu können.
Abstract
The medical profession in Germany is entangled in conflicts about money and status. Even mandatory organisations are affected. Katharina van Elten argues that professional chambers can deal with this better than medical associations that hand out money. Doctors within professional chambers have manifold roles whereas medical associations focus on revenue. Government might fuel those conflicts to enforce decisions more easily.
Notes
So u. a. in einem Interview mit der SZ am 04.02.2015; CDU online 2015.
Abwanderung kann allerdings als „innere Kündigung“, Austritt aus freiwilligen Unterorganisationen und Rückzug aus dem Ehrenamt klassifiziert werden und kommt in diesem Sinne auch vor (Groser 1992a, S. 135).
In Nordrhein-Westfalen gibt es jeweils eine Einrichtung für Nordrhein und für Westfalen-Lippe.
Hier besonders der Hausarztverband, der u. a. durch die Einführung des „Hausarztmodells“ gestärkt wurde (Knoop 2011, S. 11).
Waren im Jahr 1993 noch lediglich 5397 Ärzte im ambulanten Bereich angestellt hat sich die Zahl bis zum Jahr 2014 auf 26.307 Ärzte erhöht, was alleine einen Zuwachs von 17,9 % binnen eines Jahres bedeutet (BÄK Ärztestatistik 2014, S. 7).
So stellen Klinikärzte beim Deutschen Ärztetag 29 % und niedergelassene Ärzte 57 % der Delegierten. Der Vorstand setzt sich jedoch aus dem Präsidenten (Klinikarzt) und weiteren 12 Landeskammerpräsidenten zusammen, die ebenfalls Klinikärzte sind. Nur vier Landeskammerpräsidenten sind niedergelassene Ärzte. Hinzu kommen je ein gewählter Klinik- und ein niedergelassener Arzt (bäk.de).
Unter der Generation Y wird weitestgehend die Kohorte der Jahrgänge 1977–1998 verstanden. Ihr wird weniger leistungsorientiertes Karrieredenken zugeschrieben. Stattdessen wird Wert auf Work-Life-Balance, familienfreundliche Arbeitsbedingungen und eine gute Arbeitsatmosphäre gelegt. Aus kritischer Perspektive wird dies der Generation Y als arbeitsdistanziert bei zu hoher Anspruchshaltung und Unprofessionalität ausgelegt (u. a. Kienbaum 2009/2010).
Schon Naschold bescheinigte dem politisch intendiertem Wettbewerb, er bewirke „in seiner allgemeinen und speziellen Form […] ein Konkurrenzverhalten, das die auf Kooperation angelegte Standesethik der Ärzte und deren Solidarität als Berufsstand in einer für die interne Kohäsion der freiberuflichen Ärzteschaft negativen Weise beeinträchtigt“ (Naschold 1967, S. 143).
Eindrücklich hier die ärztliche Interpretation des Akronyms KV als „Kohle-Verwaltung“.
Wobei diese politische Marginalisierung höchst kritisch gesehen wird und man sich um mehr Einfluss bemüht.
Dabei bleibt auch zu berücksichtigen, dass nicht wenige niedergelassene Ärzte, die in den KVn aktiv sind, auch in den Kammerversammlungen sitzen. Man hat es also hier mit sich überlappenden Mitgliedschaften zu tun. Solche „Cross-Pressures“ können zur sozialen Öffnung und zur „Entisolierung individueller Interessen“ beitragen (Czada 1992).
So SPD-Gesundheitspolitiker Lauterbach in der Aktuellen Stunde des WDR am 02.12.2015 (WDR 2015b).
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van Elten, K. Dissens und Konfliktlinien in der ärztlichen Selbstverwaltung. Z Politikwiss 26 (Suppl 2), 217–232 (2016). https://doi.org/10.1007/s41358-016-0049-9
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