Zusammenfassung
In der Gegenwartslyrik kommen immer öfter Geräte zum Einsatz, die bislang nicht als künstlerische Werkzeuge galten und deren Zweck in der kreativen Zerstörung besteht. Anstatt ein Werk gleichsam aus dem Nichts heraus zu erschaffen, bringen sie durch Demontage des schon Bestehenden etwas Neues hervor. Verwendung findet dieses Verfahren der Texttilgung in der so genannten »Erasure Poetry«. Damit ist eine Form der Lyrikproduktion bezeichnet, bei der es darauf ankommt, einen vorhandenen Text mit einem zum Übermalen geeigneten Büroutensil, vorzugsweise einem schwarzen Filzmarker, nach bestimmten Regeln zu bearbeiten. Der Aufsatz geht der Frage nach, was sich ändert, wenn Texte nicht mehr geschrieben, sondern durchgestrichen werden. Beispiele aus verschiedenen Gebrauchszusammenhängen zeigen das Spektrum gestalterischer Möglichkeiten und zugleich die unterschiedlichen Funktionen auf, die die erasure erfüllen kann: als kollektive Praxis dient sie der Selbsttherapie und Lebensbewältigung; als artistisches Verfahren dagegen kommt sie derzeit in vielen Lyrikbänden und Künstlerbüchern zum Einsatz, die den herkömmlichen Umgang mit Literatur ebenso in Frage stellen wie bestimmte Praktiken der Macht. Die erasure erweist sich hier als ästhetische Strategie der Offenlegung verschwiegener, negierter oder vom Vergessen bedrohter Inhalte. Entscheidend in produktions- wie wirkungsästhetischer Hinsicht ist dabei der Bruch mit konventionellen Darstellungsweisen. Er manifestiert sich in der Art, wie die übrig gebliebenen Wörter oder Lettern auf der Buchseite angeordnet und in Beziehung zu den sie umgebenden leeren Flächen gesetzt werden: Word placement und white space managment bezeichnen die beiden zentralen Operationen der post-avantgardistischen Literatur und ihres page design.
Abstract
In contemporary poetry, devices serving the purpose of creative destruction are increasingly coming into use. Usually not considered as proper to art making, these tools create by dismantling what is already there rather than generating something entirely new from nothing. Such methods of text deletion are at stake in so-called »erasure poetry«. Erasure poetry designates a mode of poetic production, in which an existing text is edited with a black felt marker or painted over with other suitable office supplies according to a set of given parameters. This essay explores what happens when texts are no longer written but crossed out. Examples from a variety of contexts of use illustrate both the wide spectrum of the phenomenon and different functions of erasure. As a collective practice the technique may be therapeutic or simply helpful in coping with life. However, as an artistic strategy, erasure is currently deployed in many poetry collections and artists’ books that question common ways of engaging with literature as well as certain practices of power. Here, erasure emerges as an aesthetic strategy that can in fact reveal contents that have been concealed, negated, or threatened with oblivion. Both in terms of production and of reception, the decisive aesthetic feature in such cases is a break with conventional modes of representation. This break manifests itself in the ways the remaining words or letters are arranged on the page and put into relation to the empty space that surrounds them: Word placement and white space management are the two central operations of post-avant-garde literature and its page design.
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I.
gedichte machen i und ii
Zwei Gebrauchsanweisungen für Lyrik: »Nehmt eine Zeitung./Nehmt Scheren« heißt es zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts.Footnote 1 »All you need is a book, a marker pen, a few minutes and an open mind« hundert Jahre später.Footnote 2 Die erste Anweisung geht auf den Dichter Tristan Tzara zurück, die andere stammt von einem Instagram-Poeten namens John Carroll. Tzaras Programm- und Lehrgedicht fordert dazu auf, »ein dadaistisches Gedicht zu machen«;Footnote 3 in Carrolls 2017 erschienenem Buch Hidden Messages of Hope wird erklärt, »[how to] make Blackout Poetry«.Footnote 4 Beide Male geht es also um die Verfertigung von Gedichten, und beide Male hat dabei das Machen Vorrang vor dem Gemachten. In beiden Fällen wird außerdem mit vorgefundenem, nicht näher spezifiziertem Material gearbeitet.
Umso konkreter ist die Liste der für den Fertigungsprozess benötigten Geräte. Anfang des 20. Jahrhunderts sind es vier: eine Zeitung als zu bearbeitendes Objekt, eine Schere, eine Tüte und irgendein beliebiges Schreibutensil. Dann wird ausgeschnitten, eingetütet, einmal »leicht« geschüttelt und schließlich »in der Reihenfolge«, in der die »Schnipsel« aus der Tüte fallen, »gewissenhaft« abgeschrieben.Footnote 5 Heraus kommt ein Gedicht, das »Euch ähneln« wird, schreibt Tzara 1920: »Und damit seid Ihr ein unendlich/Origineller Schriftsteller mit einer/charmanten, wenn auch von den/Leuten unverstandenen Sensibilität.«Footnote 6 »Der moderne Text«, fasst Juliane Vogel die avantgardistische Produktionspraxis um 1900 zusammen, »soll nicht mehr geschrieben, er soll geschnitten werden«.Footnote 7
Ein Jahrhundert später fällt die Liste noch knapper aus. Zwar ist in bestimmten Fällen auch noch die Schere in Gebrauch, für gewöhnlich kommen aber nur ein schwarzer Filzmarker oder ein anderes zum Übermalen geeignetes Büroutensil zur Verwendung. Erasure Poetry, so der Sammelbegriff,Footnote 8 unter den auch Carrolls blackout poems und deren Korrelat, die whiteout poems,Footnote 9 fallen, beruht darauf, bestehende Textvorlagen aus- und durchzustreichen. Es kommt sowohl auf Instagram und anderen online-PlattformenFootnote 10 zum Einsatz als auch in anspruchsvoll gestalteten Lyrikbänden und Künstlerbüchern. Bei der populären Spielart werden kleinere Textgebilde nach einem Prinzip fabriziert, das Carroll und andere Creative Writer, darunter Austin Kleon,Footnote 11 zu Anfang des Jahrtausends bekannt gemacht haben. Die unter dem Hashtag #makeblackoutpoetry in Umlauf gebrachten Fabrikate bestehen zumeist aus wenigen Worten oder Wortclustern, die einem Buch oder sonstigen Druckerzeugnis entnommen sind, dessen restlicher Inhalt getilgt wurde. Entscheidend neben der Aktivität des Tilgens ist dabei die räumliche Anordnung der Worte. Diese muss gewahrt werden, denn erst die Formation, in der die Buchstaben auf der Seite auftreten, verleiht den inhaltlich überaus schlichten Wortgebilden die erwünschte lyrische Anmutung.
Anders als bei Tzara und anders auch als bei den Collage- beziehungsweise Montagetechniken der klassischen Avantgarden richtet sich die gestalterische Tätigkeit hier allerdings nicht in erster Linie darauf, ein zuvor spielerisch-gewalttätig zerstückeltes Textmaterial mehr oder minder willkürlich neu zu konfigurieren. Dem Zufall wird vielmehr ein Riegel vorgeschoben und die ganze Energie auf den Akt des Durchstreichens gerichtet, der nicht nur sichtbar bleibt, sondern auch den optischen Gesamteindruck dominiert (siehe Abb. 1 u. 2). Der Akzent liegt, mit einem Wort, weniger auf einer lustvollen Kombinatorik sinnbefreiter Sprachpartikel als auf der negativen Arbeit der Reduktion und des Unleserlich-Machens. Insofern ist auch der Unterschied im Zielmaterial der betreffenden Verfahren bedeutsam: Während die Dadaisten Zeitungen zerschneiden – ein billiges Medium, jeden Tag neu auf den Markt geworfen und von schnell vergehendem Wert –, richten sich die neuen Verfahren vorzugsweise auf das mit hohem kulturellem Kredit ausgestattete, als traditionelles Trägermedium des kanonischen Wissens dienende Buch. Neben Gebrauchstexten (Lexika, Wörterbücher usf.) kommen dabei regelmäßig literarische Texte zur Verwendung. Besonders beliebt sind Klassiker. In Carrolls zweitem Buch – einem do-it-yourself-Band mit dem Titel Make Blackout PoetryFootnote 12 – finden sich Auszüge aus den homerischen Epen, Shakespeares Dramen und anderen Werken der Weltliteratur. Einige sind bereits mit dem Filzstift bearbeitet worden, sie dienen als Vorlage, nach der die anderen Bögen, die sich übrigens ganz leicht aus dem Buchblock herauslösen lassen, eigenhändig gestaltet werden sollen (siehe Abb. 3 u. 4).
II.
durchstreichen und hervorbringen
Wenn Carroll seine Follower dazu aufruft, diesen Werken mit Filzmarker oder Korrekturflüssigkeit zu Leibe zu rücken, dann nicht, um sich von ihrem Nimbus der Autorität beeindrucken zu lassen. »Most people«, erklärt er und schließt sich dabei selbst explizit mit ein, »feel like they’re not good enough to be an artist, so they never try«.Footnote 13 Carroll zielt also nicht auf eine privilegierte, nur einem kleinen Kreis vorbehaltene Künstlerschaft. So wie Tzaras Gebrauchsanweisung für Textproduzenten sich bei aller Ironie als »große Einladung an alle« (Juliane Vogel)Footnote 14 versteht – »Kunst für alle«Footnote 15 lautet bekanntlich die Losung der Avantgarden –, richten sich auch Carrolls Botschaften an ein Kollektiv, dem jedermann beitreten kann: »Who is this community? It’s you, and me, and anyone who ever picks up a marker pen or a paintbrush to make the first of many blackout poetry pieces. This is my favorite community because blackout poetry is for everyone. It’s inclusive.«Footnote 16
Um blackout poems zu produzieren, bedarf es mithin keiner besonderen Fertigkeiten: Jede und jeder soll mitmachen können. Ein ästhetischer Anspruch wird dabei ausdrücklich nicht erhoben. »It doesn’t matter if you’re the next Picasso or have never made art in your life, the process is beneficial for everyone«, heißt es in der 2017 erschienenen Einführung.Footnote 17 Vielmehr wird der Literatur beziehungsweise dem kreativen Umgang mit ihr ein außerästhetischer Wirkungszweck zugeschrieben. Mit »the process is beneficial for everyone« spielt Carroll nämlich auf die eigene Krankheitsgeschichte an und damit auch auf den spezifischen Gebrauchskontext der blackout poetry. Jahrelang, erklärt er in der Einleitung zu seinem Buch, habe er an Depressionen gelitten und oft nicht gewusst, »[how] to get out of bed in the morning«.Footnote 18 Irgendwann sei er im Internet jedoch auf die blackout poems von Austin Kleon gestoßen und habe sich selbst daran versucht. Die tägliche Routine des Ausstreichens fremder Texte, das Auffinden und Hervorbringen von darin enthaltenen verborgenen (»hidden«Footnote 19) Botschaften, die, obgleich sie nicht dem eigenen Sprachschatz entstammen, das eigene Empfinden zum Ausdruck bringen und zugleich bei Anderen auf Resonanz stoßen: All dies habe ihm geholfen, zu sich selbst zu finden. Der Akt der Hervorbringung umfasst hier beides, einen technischen und einen psychischen Vorgang. Bezogen auf das Material fördert er etwas hervor, was darin immer schon enthalten war, aber erst durch die Zerstörungsarbeit eines Dritten sichtbar wird; hinsichtlich des gestaltenden Subjektes ist damit ein Vorgang der Bewusstwerdung verbunden. »I’ve always considered blackout poetry an exercise for the subconscious mind«, schreibt Carroll.Footnote 20 Ob die Botschaften dem eigenen Unbewussten entstammen oder dem fremder Texte, bleibt offen. Entscheidend ist die Aktivität als solche: »It’s therapeutic!«Footnote 21
III.
arbeit am kanon
Die Arbeit mit oder, besser gesagt, ›gegen den Text‹ hat aber nicht nur diese dem breiteren Publikum zugewandte, sozusagen exoterische Seite. Dem Verfahren der erasure begegnet man aktuell auch in einer Anzahl von Lyrikbänden und artist books, die sich durch ihre materielle BeschaffenheitFootnote 22 wie ihr esoterisches Textbild auszeichnen. Viele von ihnen sind in independent-Verlagen oder im Selbstverlag erschienen, häufig nicht im Buchhandel zu erwerben und oftmals teuer in der Anschaffung.Footnote 23 Die Bücher sind aber noch in einer anderen Hinsicht nicht leicht zugänglich, setzen sie doch auf Seiten der Leserschaft ein breites literaturgeschichtliches Vorwissen voraus. Das spiegelt sich bereits in der Wahl der hochliterarischen Ausgangstexte,Footnote 24 deren nicht nur oberflächliche Kenntnis wie selbstverständlich erwartet wird. Bereits ein kursorischer Blick in die entsprechenden Bücher zeigt, dass die erasure hier zu Zwecken einer hochartistischen, ästhetisch sehr bewussten Auseinandersetzung mit Literatur wie literaturwissenschaftlichen Kategorien und Konzepten eingesetzt wird. Das betrifft den Kanon und die in ihm sedimentierten Macht- und Geschlechterstrukturen ebenso wie das Konzept der (singulären) Autorschaft.
Auch wenn einige der hier in Betracht kommenden Bücher sich als Hommage verstehen – so etwa Jérémie Bennequins Ausradierung von Prousts À la recherche du temps perdu, bei der noch die Radiergummireste zu Exponaten erklärt werden (siehe Abb. 5):Footnote 25 In der Regel gestaltet sich das Verhältnis zum Ausgangstext ambivalenter. Jen Bervins Gedichtband Nets (2004) zum Beispiel ist zwar dem Stammvater der englischen Sonettdichtung gewidmet (siehe Abb. 6 u. 7).Footnote 26 Dieser wird in den Gedichten jedoch als »master-mistress«Footnote 27 adressiert und damit in einen queeren Zusammenhang gestellt.Footnote 28
Auch das bei Shakespeare zentrale Thema der Prokreation und Sukzession wird von Bervin zwar aufgegriffen. Die Vorstellung eines linearen Modells aber wird bei ihr ersetzt durch die titelgebende Netz-Metapher. Der durch Ausstreichungen entstandene Titel spielt zum einen auf die Frage der Genealogie an, wobei der Sohn oder son die Bearbeitung buchstäblich nicht überlebt; zum anderen auf die Gattung. In Bervins Nets sind Shakespeares Gedichte bereits optisch, durch die graue Schrift, in den Hintergrund gedrängt. Umso stärker treten die Worte hervor, die Bervin auswählt und aus der starren Form herauslöst, in der sie jahrhundertelang aufbewahrt waren (siehe Abb. 8). »I stripped Shakespeare’s sonnets bare to the ›nets‹ to make the space of the poems open, porous, possible – a divergent elsewhere«, heißt es in einer »Working Note« der Autorin, in der noch einmal das Geschlechterverhältnis ironisiert wird.Footnote 29
Auch der 2018 in dem Independent-Verlag information as material (iam) erschienene Gedichtband Perfect Love besticht durch Minimalismus.Footnote 30 Er umfasst gerade einmal 50 Buchseiten, wobei die Nummerierung seltsamerweise bei 180 beginnt.Footnote 31 Ungewöhnlich ist auch, dass sich auf dem Cover kein Name findet, sondern lediglich der Titel (siehe Abb. 9).
Titelei und Schmutztitel sorgen für zusätzliche Verwirrung. Nicht nur erscheint auf dem Titelblatt ein leicht anderer Titel (»The Perfecting of a Love«) als auf dem Cover, es enthält auch bereits den Anfang des Textes (siehe Abb. 10). Auf dem Schmutztitelblatt wiederum ist nicht, wie üblich, der Titel, sondern der Name eines Autors abgedruckt, dieser aber ist schon lange tot (siehe Abb. 11). Dazu passt das Wortgerippe, auf das man im Buchinneren stößt. Es besteht aus einer von großen Lücken durchstoßenen Kette von Halbsätzen, die nur die Struktur gemeinsam haben (siehe Abb. 12). Aufschluss über das Verfahren und die Frage der Verfasserschaft erhält man erst am Buchende. Der auf dem hinteren Vorsatzblatt abgedruckten Erklärung ist zu entnehmen, dass der Verlag sich auf Konzeptkunst, genauer: Conceptual Writing, spezialisiert hat und damit auf eine Kunstform, die eng mit der Erasure Poetry verbunden ist.Footnote 32 Der zweite Hinweis findet sich, wenn man das Buch wieder zuklappt. »A perfecting by Pavel Büchler of The Perfecting of Love by Robert Musil« ist auf der Rückseite des Pappeinbandes zu lesen (siehe Abb. 13).Footnote 33 Es handelt sich also um einen Fall von ›kollektiver‹ Autorschaft, wobei die ›alte‹ Frage nach Original und Kopie oder – in der Terminologie GenettesFootnote 34 – Hypotext und Hypertext durch die Doppelung der Präposition geschickt unterlaufen wird. Auch die Genrebezeichnung (»a perfecting«) ist uneindeutig, kann sie doch ebenso gut auf den Titel von Musils Erzählung anspielen und also ›Vollendung‹ meinen wie ›Verbesserung‹.
IV.
arbeit am text – arbeit an der macht
Wie die diskutierten Beispiele zeigen, kommt das Verfahren der erasure gegenwärtig in zwei überaus unterschiedlichen Zusammenhängen zur Anwendung: einerseits als kollektive Beschäftigungs- und Therapieform, andererseits als hochreflexives, ästhetisches Verfahren, das Kunst über Kunst produziert. Die Bandbreite des Phänomens ist damit aber noch nicht erschlossen. Insbesondere in den USA ist in den letzten beiden Jahrzehnten eine Reihe von Lyrikbänden erschienen, die ein ästhetisches mit einem politisch-ethischen Anliegen verbinden. Hier gibt sich die erasure als macht-, institutionen- und gesellschaftskritische Operation zu erkennen.
Dass sich das Verfahren besonders gut dazu eignet, um die Aufmerksamkeit auf politische Missstände wie die Verbreitung von »Halbwahrheiten« (Nicola Gess)Footnote 35 oder schlichtweg Lügen zu lenken, wurde besonders deutlich während der Präsidentschaft von Trump. Bereits im Herbst 2017 erschien in The New Republic ein Artikel, der einen massiven Anstieg an erasures verzeichnete und diesen »Boom« mit der politischen Situation in den USA in Verbindung brachte.Footnote 36 Er betont, dass Niina Pollaris Gedicht Form N‑400 ErasuresFootnote 37 (siehe Abb. 14) nicht zufällig genau einen Monat nach Trumps erster Executive Order erschienen ist, die es Menschen aus dem Irak, Iran, Syrien, Somalia, dem Sudan, Libyen und dem Yemen zeitweise verbot, in die USA einzureisen. Oder dass zwei Tage nach seiner Amtseinführung auf PANK eine erasure von Trumps AntrittsredeFootnote 38 erschien – und kurz darauf, in dem online-Literaturmagazin The Rumpus, eine Serie von Gedichten, deren erklärtes Ziel es war, »to subvert, rebut, and reverse the language of the alt-right«.Footnote 39 Mittlerweile ist sogar von einem eigenen Genre die Rede. Während diese sogenannten »anti-Trump poems«Footnote 40 ein aktivistisches Ziel verfolgen und sich als Akt des poetischen Widerstandes begreifen, ist ihre diagnostische Funktion begrenzt. Das betont Rachel Stone, die darauf hinweist, dass in der Figur Trumps Vorstellungen kulminieren, »that are not at all new, but have long percolated in American politics, often quietly or euphemistically and mostly unquestioned«.Footnote 41
Um solche tieferliegenden Strukturzusammenhänge aufzudecken, sind für das hier beschriebene Verfahren vor allem solche historischen Dokumente geeignet, die von Gewalt, Krieg und Repression handeln und dabei auf ihre Weise die Erfahrungen von Betroffenen tilgen oder überschreiben. Die Erasure Poetry erweist sich hier als ästhetische Operation der Offenlegung von Folter- und Zensurmaßnahmen, unterdrückten Erinnerungen und ausgelöschten Menschenleben; kurz: als Spiegel einer zerstörerischen Praxis der Macht.
Zwei Beispiele mögen das verdeutlichen. Bei dem ersten Beispiel, Dear Salim (siehe Abb. 15), handelt es sich um eine Gedichtserie fiktionaler Briefe. Sie sind 2016 in dem Lyrikband Look von Solmaz Sharif erschienen,Footnote 42 wurden jedoch schon 2008 verfasst. Das geht aus einem Essay Sharifs hervor,Footnote 43 der die Entstehungsgeschichte und ihre Vorgehensweise erläutert und in einer Art von poetischem Manifest gipfelt: »Possible political and aesthetic objectives of poetic erasure«Footnote 44. Ihm ist als Motto ein dreizeiliger Syllogismus vorangestellt, der Sharifs Selbstverständnis bündig zusammenfasst: »Every poem is an action./Every action is political./Every poem is political.«Footnote 45 Die unter der Überschrift Reaching Guantánamo erschienenen Dear Salim-Gedichte wenden sich an Salim Hamdan, über den 2008 ein Artikel in der New York TimesFootnote 46 zu lesen war. Der Artikel handelt von den Haftbedingungen in Guantánamo und deren mentalen Auswirkungen. Er schildert, dass Salim Hamdan jahrelang in einer Einzelzelle untergebracht war und nur durch die Zellenmauern mit den anderen Häftlingen kommunizieren konnte. Das Statement der Anwälte Hamdans: »Mail is late and often censured«,Footnote 47 veranlasst Sharif dazu, eine Reihe von Briefen in Gedichtform zu verfassen, der Fiktion nach von der Ehefrau des Häftlings geschrieben, aber »redacted by the Joint Task Force«.Footnote 48
Anders als in den offiziellen Dokumenten sind die zensierten Stellen in Sharifs Gedichtband nicht geschwärzt, sondern durch blanks markiert. Diese Übertragung dient erkennbar dem Zweck, das staatliche Verfahren auszustellen, ohne es sich zu eigen zu machen. Oder anders: Wenn die Funktion staatlicher Informationskontrolle darin besteht, »[to] render information illegible to make the reader aware of her/his position as one who will never access a truth that does, by state accounts, exist«,Footnote 49 dann zielt die ästhetische Taktik der erasure darauf ab, diesen Prozess des Unleserlichmachens als solchen durch das Einfügen von Lücken ans Licht zu bringen.
»To care for what is left behind«,Footnote 50 lautet ein anderer Punkt in Sharifs Erasure-Manifest. Ein ähnliches Anliegen verfolgt M. NourbeSe Philip in ihrem 2008 erschienenen Langgedicht Zong!Footnote 51 Auch dieses Gedicht behandelt ein historisches Ereignis. Es hat allerdings nicht mit Zensur im engeren Sinne zu tun. Stattdessen handelt es sich um einen brutalen Akt der Auslöschung, festgehalten in der nüchternen Sprache des Rechts in einem historischen Dokument aus dem 18. Jahrhundert. Gemeint ist das berüchtigte Massaker auf der ›Zong‹,Footnote 52 einem britischen Sklavenschiff, das 1781 vollkommen überladen und nur mangelhaft mit Nahrungsmitteln und Trinkwasser ausgestattet von der Westküste Afrikas nach Jamaika aufbrach. Viele der für die karibischen Sklavenplantagen bestimmten Afrikanerinnen und Afrikaner starben unterwegs an Unterernährung oder verdursteten; 150 aber wurden auf Befehl des Kapitäns über Bord geworfen. »Were obliged to throw overboard«: so steht es in dem juristischen Fallbericht, Gregson v. Gilbert, der im Anhang von Zong! wiederabgedruckt ist.Footnote 53 Er beschreibt die juristische Auseinandersetzung zwischen dem Schiffseigentümer, der für seinen Verlust entschädigt werden wollte, und der Versicherung, die die Zahlung verweigerte.Footnote 54 Der Bericht, der NourbeSe Philip als Wortspeicher (»word store«)Footnote 55 dient, ist gerade einmal zwei Seiten lang, nennt keines der Opfer beim Namen und bestreitet, dass der Vorfall den Tatbestand des Mordes erfüllt.Footnote 56
NourbeSe Philip trägt diesem doppelten Akt der Auslöschung literarische Rechnung, indem sie auf das verzichtet, was Dichter für gewöhnlich tun: nämlich zu erfinden. »A novel requires too much telling« lautet ein Eintrag in ihrem Schreibtagebuch, den sie im Anhang von Zong! zitiert.Footnote 57 Erzählen bedeutet hier: »to ›make sense‹ of something«, »to understand«.Footnote 58 Genau diesem Bedürfnis aber gilt es zu widerstehen.Footnote 59 »To not tell the tale that must be told«,Footnote 60 sind verschiedene Arbeitsschritte und Techniken nötig. Eine Technik besteht darin, das Massaker auf der Ebene der Syntax und im Textbild (siehe Abb. 16) abzubilden. Dabei sieht der erste Schritt vor, »to white out and black out words«.Footnote 61 Der restliche Text wird zerstückelt beziehungsweise verstümmelt:
I murder the text, literally cut it into pieces, castrating verbs, suffocating adjectives, murdering nouns, throwing articles, prepositions, conjunctions overboard, jettisoning adverbs: I separate subject from verb, verb from object – create semantic mayhem, until my hands bloodied, from so much killing and cutting, […].Footnote 62
Eine andere Technik der ›Fragmentierung‹ und ›Verstümmelung‹Footnote 63 besteht im Einfügen von Weißräumen: »Some – all the poems – need a great deal of space around them – as if there is too much cramping around them, as if they need to breathe …«,Footnote 64 lautet ein entsprechender Kommentar. Ein weiteres Verfahren zielt darauf ab, den Toten eine Stimme zu geben. Zu diesem Zweck formt NourbeSe Philip aus den Buchstaben, die in dem Fallbericht vorkommen, eine Figur namens »Setaey Adamu Boateng«. Sie repräsentiert das Ahnenkollektiv (»the collective voice of the ancestors«Footnote 65) und firmiert zugleich als Mitautorin. »Zong! is a collaboration between myself, the unvoiced or devoiced and the ancestors as represented by Setaey Adamu Boateng«,Footnote 66 erklärt NourbeSe Philip in einem überaus lesenswerten Kollektiv-Interview, in dem sie auch auf den Widerstand seitens des Verlages eingeht, ihrem Wunsch nach Kennzeichnung der geteilten AutorschaftFootnote 67 zu entsprechen. Der durch Permutation gebildete Name stellt zugleich eine Chiffre dar. Darauf deutet eine Interviewaussage NourbeSe Philips hin, in der sie ihre Arbeit in einen größeren raum-zeitlichen Kontext einbettet:
I was deeply aware at the time I worked on Zong! that the intent of the transatlantic slave trade was to mutilate – languages, cultures, people, communities and histories – in the effort of a great capitalist enterprise. And I would argue that erasure is intrinsic to colonial and imperial projects. It’s an erasure that continues up to the present.Footnote 68
V.
»how do i read a work like this?«
Footnote 69
oder: seitenästhetik
So unterschiedlich das Spektrum der hier behandelten literarischen Erzeugnisse ist, sie lassen sich – um die bekannte Formel des Ökonomen Joseph Schumpeter in einen anderen Kontext zu versetzen – unter den Generalnenner einer ›schöpferischen Zerstörung‹Footnote 70 überlieferter Sinn- und Gedächtnisbestände mitsamt ihren jeweiligen Darstellungskonventionen zusammenführen. Mit der Fragmentierung der Texte, der Aufsplitterung von Sätzen und Wörtern wie der Einfügung von Zäsuren, schwarzen Balken und weißen Lücken geht auch ein Werk der semantischen Zersetzung einher. Die Erasure Poetry sucht die Brüche in der Überlieferung auf, das Nicht-Gesagte, Vergessene, Unterdrückte und Getilgte. Indem sie ihre Vorlagen verrätselt, macht sie sie gegen den Strich oder besser von ihrer Kehrseite her auf neue Art erlebbar.
Dabei stellen die Texte in dem Maße, in dem die Seiten leerer werden, eine wachsende Herausforderung für die Leser dar. Man wird hier mit einem Dilemma konfrontiert, das sich auch in der (übrigens überschaubaren) Forschung zur Erasure Poetry spiegelt. Entweder beschreibt man das jeweilige Verfahren, über das die Dichterinnen und Dichter indes häufig selbst schon Auskunft geben.Footnote 71 Oder man unterzieht die Texte einer hermeneutischen Lektüre, wendet also genau das Verfahren an, gegen das sie sich selbst mit allen Mitteln abzuschirmen versuchen. Indem man das Unbegreifliche oder Unaussprechliche hervorkehrt, holt man sie gewissermaßen ex negativo in die Welt der konventionellen Botschaften zurück. Hermeneutische Bemühungen laufen dann auf die Feststellung hinaus, dass man darüber hermeneutisch nichts sagen kann.
Diese Abwehr gegenüber sprachlichen Sinnstiftungskonventionen verbindet die Erasure Poetry mit den Avantgarden vor hundert Jahren. Das von Tzara empfohlene Verfahren führte zu dadaistischer Nonsense-Poesie in der Art der folgenden Verse:
Wenn die hunde die luft in einem diamanten durchqueren
wie die ideen und der fortsatz der hirnhaut zeigt die stunde
des weckers programm (der titel ist von mir)
preis sie sind gestern passend dann bilder/schätzen den
traum epoche der augen/pompös daß rezitieren das evan-
gelium
[…]Footnote 72
Der ästhetische Reiz solcher Reihungen liegt darin, dass sie durch Zufallsfügung einen Assoziationsraum zwischen den Wörtern entstehen lassen, der nicht mehr durch Bedeutungskonventionen gebändigt ist. Die Erasure Poetry erzeugt mitunter ähnliche Effekte, aber der Akzent liegt doch anders, weil die Verbindungen gerade durch gezielte Weglassung gestiftet werden. Die Arbeit der Negation ist hier, wenn man so will, spezifischer und präziser; die bearbeiteten beziehungsweise zerstörten Vorlagen bewahren ein weit größeres relatives Gewicht. Auch wenn durch erasure neue Textarten und mitunter sogar Gattungen entstehen, indem sich Dokumente in lyrische Gebilde verwandeln, ist gerade der Widerstand des bearbeiteten Materials das entscheidende formbestimmende Element. In den politisch-aktivistischen Manifestationen ist erasure Arbeit am Gedächtnis einer Gewaltgeschichte, individuell oder kollektiv, das unterdrückt, verschüttet, überschrieben sein mag, aber nicht stillgestellt werden soll oder kann. Einer ihrer Gegenstände ist denn auch die NS-Gewaltherrschaft, sei es durch das Ausstellen einer Leugnung, wie in Srikanth Reddys Bearbeitung der Lebenserinnerungen des in den Nationalsozialismus verstrickten vormaligen österreichischen Staatspräsidenten Kurt Waldheim,Footnote 73 sei es, mit einem benachbarten Verfahren, durch Herstellung durchlöcherter Texte wie in Jonathan Safran Foers Tree of Codes.Footnote 74
Diese Persistenz einer Vergangenheit, die nicht vergehen will, zeigt sich schon daran, dass die übrig gebliebenen Wörter nicht einfach, wie bei Tzara, zu neuen Satzreihen zusammengefügt werden können. Das räumliche Arrangement, und dabei vor allem ihr Abstand voneinander, ist wesentliches Element ihrer Anordnungsästhetik. Das rückt die erasure in die Nähe eines anderen avantgardistischen Verfahrens, nämlich der Auflösung der Grenze zwischen Wort und Bild. Texte dieser Art kann man nicht mehr nur ›lesen‹, man muss sie zugleich ›sehen‹. Die ihnen angemessene Rezeptionshaltung verschiebt sich auf das Textbild, das page design, »the look« (Marjorie PerloffFootnote 75), genauer: auf den Weißraum zwischen den Wörtern, der Figur und Grund in eine neue Art von Beziehung eintreten lässt. Indem sie den ihnen vorgegebenen Inhalt radikal reduzieren, rücken die Texte den Überlieferungsträger als solchen nach vorne. Sie geben dadurch Anlass, jenseits ihrer Sprachlichkeit, zu einer radikalen Reflexion über Form.
Notes
Tristan Tzara, »Um ein dadaistisches Gedicht zu machen«, in: Karl Riha (Hrsg.), 113 Dada Gedichte, Berlin 1982, 69 f., hier: 69, zit. n. Juliane Vogel, »Kampfplatz spitzer Gegenstände. Schneiden und Schreiben nach 1900«, in: Helmut Lethen, Annegret Pelz, Michael Rohrwasser (Hrsg.), Konstellationen – Versuchsanordnungen des Schreibens, Göttingen 2013, 67–81, hier: 68.
John Carroll, Hidden Messages of Hope, London 2017, 19.
Tzara (Anm. 1), 69.
Carroll (Anm. 2), III.
Vollständig lautet Tzaras Rezept wie folgt: »Nehmt eine Zeitung./Nehmt Schere./Wählt in dieser Zeitung einen Artikel von der Länge aus, die/Ihr Eurem Gedicht zu geben beabsichtigt./Schneidet den Artikel aus./Schneidet dann sorgfältig jedes Wort dieses Artikels aus und/gebt sie eine Tüte./Schüttelt leicht./Nehmt dann einen Schnipsel nach dem anderen heraus./Schreibt gewissenhaft ab/in der Reihenfolge, in der sie aus der Tüte gekommen sind./« (Tzara [Anm. 1], 69).
Ebd. (Anm. 1). Bei der Datierung folge ich Juliane Vogel, die kürzlich in einem Vortrag in Wien die genauen Entstehungsbedingungen von Tzaras Gedicht rekonstruiert hat.
Vogel (Anm. 1), 67. »Zum Verhältnis von Schreiben und Schneiden in der Moderne«, vgl. auch Juliane Vogel, »Ephemeriden der Schere: Scherenschnitt und Zeitungsausschnitt im 19. Jahrhundert«, in: Maren Jäger, Ethel Matala de Mazza, Joseph Vogl (Hrsg.), Verkleinerung. Epistemologie und Literaturgeschichte kleiner Formen, Berlin, Boston 2021, 15–38; sowie Juliane Vogel, »Die Schere. Die Karriere eines Werkzeugs in den Künsten der Moderne«, Zeitschrift für Ideengeschichte 13/3 (2019), 75–86.
Zur Geschichte der Erasure Poetry vgl. die Überblicksartikel von Viola Hildebrand-Schat, »Erasure Poetry. Zwischen Poesie und Kunst, Appropriation und Conceptual Writing«, in: Annette Gilbert (Hrsg.), Wiederaufgelegt. Zur Appropriation von Texten und Büchern, Bielefeld 2012, 299–313; Brian McHale, »Poetry under Erasure«, in: Eva Müller-Zettelmann, Margarete Rubik (Hrsg.), Theory into Poetry. New Approaches to the Lyrik, Amsterdam, New York 2005, 277–301; sowie Travis Macdonald, »A Brief History of Erasure Poetics«, in: http://jacketmagazine.com/38/macdonald-erasure.shtml (10.05.2023) und daneben die Artikelserie von Jennifer C. Cheng, »Erasure poetry. A revealing (i)«, https://jacket2.org/commentary/erasure-poetry-revealing-i (12.05.2023) sowie dies., »Other ways of seeing: The poetics and politics of refraction«, https://jacket2.org/commentary/jennifer-s-cheng (12.05.2023). Vgl. auch die Website von Emily Ramser: https://www.thehistoryofblackoutpoetry.org/ (07.05.2023).
Whiteout poems werden für gewöhnlich mit Tipp-Ex hergestellt. Zwei Beispiele: Elisabeth Tonnard, Whiteout, Rochester, NY 2006 sowie Mary Ruefle, A Little White Shadow, Seattle, New York 2006. Auszüge aus Ruefles Gedichtband finden sich unter https://www.poetryfoundation.org/poems/48802/a-little-white-shadow (12.05.2023). Einblick in Tonnards Buch gibt die Website der Autorin: https://elisabethtonnard.com/works/whiteout/ (12.05.2023).
Etwa auf tumblr, vgl. https://www.tumblr.com/tagged/makeblackoutpoetry?sort=top (07.05.2023). Oder auf twitter, vgl. https://www.instagram.com/makeblackoutpoetry/ (07.05.2023).
Vgl. Austin Kleon, Newspaper Blackout, New York 2010.
John Carroll, Make Blackout Poetry, New York 2018.
Carroll (Anm. 2), 19.
So Juliane Vogel in einem Radio-Interview auf Kulturwelle am 12. Februar 2020; nachzuhören unter https://kulturwelle.net/dauerrauschen-09-mit-schere-und-kleber/ (08.05.2023).
Vgl. Sergej Tretjakov, »Die Kunst in der Revolution und die Revolution in der Kunst« [1923], in: Heiner Boehncke (Hrsg.), Die Arbeit des Schriftstellers. Aufsätze, Reportagen, Porträts, deutsch von Karla Hielscher, Reinbek bei Hamburg 1972, 7–14.
Carroll (Anm. 2), 19.
Ebd., 19.
Ebd., I.
Ebd., II.
Ebd., II.
Ebd., o.P.
Grundlegend zum Zusammenhang von Erasure Poetry und Materialität vgl. Carlos Spoerhase, »Refabrikationen Rilkes: Uljana Wolfs materielle Poetik der Übertragung«, DVjs 91 (2017), 455–477.
Viele Bücher haben mittlerweile Kultstatus und werden als Sammlerobjekte gehandelt, so etwa Jonathan Safran Foers 2010 erschienenes, im die-cut-Verfahren hergestelltes Buchobjekt Tree of Codes.
Zu diesem Aspekt vgl. auch Brian C. Cooney, »›Nothing is Left Out‹. Kenneth Goldsmith’s Sports and Erasure Poetry«, Journal of Modern Literature 37/4 (2014), 16–33, der zwischen Gedichten unterscheidet, die einen kanonischen Text bearbeiten, und solchen, denen ein nicht-kanonischer beziehungsweise nicht-literarischer Text zugrunde liegt.
Jérémie Bennequin, ommage/À la recherche du temps perdu, opus III, Statement, Paris 2010. Bei dem Neologismus »Ommage« handelt es sich um ein Wortspiel aus ›Hommage‹ und ›Gommage‹. Der Begriff gommage leitet sich vom französischen Wort für Radiergummi (frz. gomme) ab und wird von Bennequin als Synonym für erasure verwendet; vgl. Jérémie Bennequin, »Erased Proust Writing«, https://jeremiebennequin.com/erased-proust-writing#nh1 (09.05.2023). Bennequins Werk wurde mehrfach ausgestellt; vgl. die Bilder, Videos und Hörbeispiele auf der Website des Autors.
Jen Bervin, Nets, 11. Auflage, New York 2019 [2004]. Bervins Widmung »For Will – hold me to my name« spielt erkennbar auf die Widmung »Mr. W. H.« in Shakespeares Sonetten an.
Ebd., 20.
Ausführlicher dazu vgl. Alexandra J. Gold, »At Will. The Queer Possibility of Jen Bervin’s Nets«, Contemporary Women’s Writing 13/1 (2019), 89–106.
Bervin (Anm. 26), o.P.
Pavel Büchler, Perfect Love, England 2018. Im Impressum ist kein konkreter Ort angegeben, nur ein ungefährer Standort (»published in England«).
Es ist anzunehmen, dass die Seitenzählung sich auf den Ursprungstext bezieht.
»information as material publishes work by artists and writers who use extant material – selecting it and re-framing it to generate new meanings – and who, in doing so, disrupt the existing order of things«, lautet die Selbstdarstellung des Verlags (Büchler [Anm. 30]).
Ebd.
Vgl. Gérard Genette, Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe, aus dem Französischen von Wolfram Bayer und Dieter Hornig, Frankfurt a.M. 1993.
Nicola Gess, Halbwahrheiten. Zur Manipulation von Wirklichkeit, Berlin 2021.
Rachel Stone, The Trump-Era Boom in Erasure Poetry, https://newrepublic.com/article/145396/trump-era-boom-erasure-poetry (09.05.2023).
Niina Pollari, »Form N‑400 Erasures«, https://magazine.nytyrant.com/form-n-400-erasures/ (15.05.2023).
Vgl. Jerrod Schwarz, Inaugural Speech Erasure, https://pankmagazine.com/2017/01/22/inaugural-speech-erasure/ (09.05.2023).
Alison Thumel, Author’s note (to six erasure poems), https://therumpus.net/2017/03/26/the-sunday-rumpus-julia-hahnbreitbart-erasure-poems-by-alison-thumel/ (09.05.2023).
Stone (Anm. 36).
Ebd.
Solmaz Sharif, Look. Poems, Minneapolis 2016, 45.
Solmaz Sharif, The Near Transitive Properties of the Political and Poetical. Erasure, in: https://thevolta.org/ewc28-ssharif-p1.html (09.05.2023).
Ebd.
Ebd.
William Glaberson, »Detainees’ Mental Health Is Latest Legal Battle«, https://www.nytimes.com/2008/04/26/washington/26gitmo.html?ref=salimahmedhamdan (09.05.2023).
Ebd.; hier zit. n. Sharif (Anm. 43).
Sharif (Anm. 43).
Ebd.
Ebd.
M. NourbeSe Philip, Zong!, As told to the author by Setaey Adamu Boateng, Middletown 2008.
Der ursprüngliche Name des Schiffes lautete ›Zorg‹, was auf Dänisch »Sorge« bzw. »Fürsorge« bedeutet. Der Neologismus ›Zong‹ kam zustande, als das Schiff neu gestrichen wurde. Vgl. ebd., 208.
Ebd., 210.
Ebd., 210 f., hier: 211. In Gregson v Gilbert ging es, anders gesagt, um einen Versicherungsfall – und nicht um Mord.
Ebd., 191.
NourbeSe Philip hebt diesen Umstand immer wieder, auch graphisch, hervor; vgl.: »All the justices agree that the action of the ship owner was wrong – in law, that is, but not because it was murder – wanting to leave off articles, conjunctions, etc.« (ebd., 193).
Ebd., 190.
Ebd., 192.
Vgl.: »I fight the desire to impose meaning on the words – it’s so instinctive, this need to impose meaning.« Und: »I teeter between accepting the irrationality of the event and the fundamental human impulse to make meaning from phenomena around us. The resulting abbreviated, disjunctive, almost non-sensical style of the poems demands a corresponding effort on the part of the reader to ›make sense‹ of an event that eludes understanding, perhaps permanently.« (ebd., 194, 198).
Ebd., 193.
Ebd.
Ebd.
»Fragmentation and mutilation« sind Kernbegriffe von NourbeSe Philips Poetik; vgl. ebd., 195.
Ebd., 194. (Hervorhebung im Original).
So NourbeSe Philip im Gespräch mit Andrew David King. Das Interview (»The Weight of What’s Left [Out]: Six Contemporary Erasurists on Their Craft«) ist online abrufbar unter: https://kenyonreview.org/2012/11/erasure-collaborative-interview/ (09.05.2023).
So NourbeSe Philip gegenüber Andrew David King, vgl. ebd.
Vgl. ebd.: »By the end of the work I came to understand that I had […] entirely absolved myself of ›authorial intention‹, so much so that I asked the publishers to allow another name to accompany mine on the book. That generated some very interesting discussions regarding placement in libraries and whose name would be catalogued, the possibilities of confusion with more than one name and so on.« Am Ende einigt man sich auf die Formulierung »as told to the Author by Setaey Adamu Boateng«, die auf dem Cover abgedruckt ist.
Vgl. ebd.
NourbeSe Philip (Anm. 51), 206.
Vgl. Joseph A. Schumpeter, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, mit einer Einführung von Heinz D. Kurz, übersetzt von Susanne Preiswerk (Teil I–IV), Theresa Hager, Philipp Kohlgruber, Patrick Mellacher (Teil V), 10. Aufl., Tübingen 2020.
Zu beinahe jedem der hier behandelten literarischen Beispiele findet sich ein solcher (Selbst‑)Kommentar, in dem die Herangehensweise erläutert und die Regeln dargelegt werden, die sich die Autorinnen und Autoren selbst auferlegen. Fast kann man von einer Umkehrbeziehung sprechen: Je rätselhafter die Texte werden und je weniger noch zu sehen ist, desto mehr wurde gewissermaßen weggearbeitet und bedarf deshalb einer metatextuellen Ergänzung. Zur Frage des literaturwissenschaftlichen Umgangs mit solchen subsidiären, »selbstexplikativen« Texten siehe Carlos Spoerhase, »Literaturwissenschaft und Gegenwartsliteratur«, Merkur 68 (2014), 15–24.
Hier zitiert sind die ersten sechs Verszeilen aus dem »Beispiel«, das Tzara seiner Gebrauchsanweisung beigibt (Tzara [Anm. 1], 69).
Srikanth Reddy, Voyager, Berkeley, Los Angeles 2011. Als Ausgangstext dienen die 1985 auf Englisch erschienenen Memoiren In the Eye of the storm von Kurt Waldheim.
Vgl. Foer (Anm. 23). Foers Buch liegt die englische Ausgabe der beiden Kurzgeschichtensammlungen Street of Crocodiles und Sanatorium Under the Sign of the Hourglass des polnisch-jüdischen Schriftstellers Bruno Schulz zugrunde, der 1942 im Drohobyczer Ghetto erschossen wurde. Zur Entstehungsgeschichte vgl. das Nachwort von Foer, »This Book and the Book« (Anm. 23), 137–139. – Zum Zusammenhang von Erasure Poetry und Holocaust vgl. McHale (Anm. 8), 279–281.
Marjorie Perloff, »›To Give a Design‹. Williams and the Visualization of Poetry«, in: Carroll F. Terrel (Hrsg.), William Carlos Williams: Man and Poet, Orono 1983, 159–186, hier: 161.
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Eßlinger, E. »All you need is a marker pen!«. Dtsch Vierteljahrsschr Literaturwiss Geistesgesch 97, 1041–1063 (2023). https://doi.org/10.1007/s41245-023-00236-3
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