Zusammenfassung
Ausgehend von zwei Konzepten der hermeneutischen Tradition, der Parallelstellenmethode und dem von Dilthey so genannten »Lebenshorizont«, wird zunächst deren mögliche Verbindung im Kontext philologischen Arbeitens skizziert. Aufgegriffen werden dabei insbesondere Problematisierungen der Parallelstellenmethode im Zusammenhang mit literarischen Texten. Die Methode kann aber genutzt werden, um Hypothesen über Textstellen zu erzeugen oder zu überprüfen. Sie kann auch genutzt werden, um Hypothesen über die Verbreitung von Themenfeldern innerhalb eines Korpus zu erzeugen oder zu überprüfen und so ein Mittel bei der Rekonstruktion von Lebenshorizonten sein. Abschließend werden diese hermeneutische Methode und dieser hermeneutische Begriff im Rahmen einer rhetorischen Analyse einiger Stellen aus zwei Konvoluten des Koblenzer Liebesbriefarchivs angewendet. Aufgezeigt werden dabei Möglichkeiten und Grenzen, Briefe mit Parallelen innerhalb und außerhalb des jeweiligen Konvolutes zu erläutern. Überschneidungen können so auf thematische Bündelungen und Streuungen einer bestimmten Zeit hindeuten. Gezeigt werden soll ferner, dass auch unterschiedliche rhetorische Verfahren in alltäglicher Kommunikation Hinweise auf in mehreren Teilen des Korpus angesprochene Themenfelder geben können, zu denen die Schreibenden sich meinen verhalten zu müssen.
Abstract
Starting from two concepts of the hermeneutic tradition, the use of parallels and the Lebenshorizont, their possible connection in the context of philology is outlined. In particular, problematizations of the use of parallels method in the context of literary texts are taken up. However, parallels can be used to formulate or evaluate hypotheses about text passages. It can also be used to generate or test hypotheses about the distribution of themes within an corpus and thus be a tool in the reconstruction of Lebenshorizonte. Finally, this hermeneutic method and this hermeneutic concept are applied in the context of a rhetorical analysis of some passages from two letter bundles of the Koblenz Liebesbriefarchiv. The possibilities and limits of explaining letters with parallels within and outside of the respective bundle will be shown. Overlaps can thus indicate thematic concentrations and scatterings of a certain period. It should also be shown that even different rhetorical procedures in everyday communication can give clues to thematic fields addressed in several parts of the corpus, to which the writers think they have to relate.
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1 Hermeneutische Voraussetzungen
1.1 Parallelstellen
Der Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen ist die Feststellung, dass in der weit zurückreichenden und weit verzweigten hermeneutischen Tradition ein Bezug zur Forschung an Korpora angelegt ist und in gewissen Grenzen interpretativ verwendet wurde. Ein Begriff und eine Methode werden aus dieser Tradition herausgegriffen, um dies darzulegen. Diese Darlegung besteht zum einen im Rückgriff auf Texte der hermeneutischen Tradition und zum anderen in der Übertragung dieses Begriffs und dieser Methode auf ein Korpus von Texten des 20. Jahrhunderts mit einem ein später genauer beschriebenen literaturwissenschaftlichen Erkenntnisinteresse.
Der erste Bezugspunkt der hermeneutischen Tradition ist Friedrich Schleiermachers erster Kanon. Gezeigt werden soll im Folgenden, dass Parallelstellen dazu dienen können, die Verteilungen von Inhalten in Diskursen aufzudecken. Diese historischen Verteilungen betreffen sowohl die Streuung und Kristallisation von Inhalten als auch die Darstellungsformen dieser Inhalte. Mit Blick auf den ersten Kanon Schleiermachers ließe sich sagen, dass in der Tradition der hermeneutischen Theorie und Methode der Bezug zu Korpora seinen festen Platz hat:
Alles, was noch einer näheren Bestimmung bedarf in einer gegebenen Rede, darf nur aus dem dem Verfasser und seinem ursprünglichen Publikum gemeinsamen Sprachgebiet bestimmt werden. (Schleiermacher 1977, S. 101)Footnote 1
Das Verständnis der einzelnen Rede ist somit auf den historischen und gesellschaftlichen Kontext verwiesen. In der methodischen Umsetzung dieser Regel spielen Parallelstellen ihre Rolle. Sie können, wenn man sie systematisch beschreiben möchte, in unterschiedlicher Distanz zur Bezugsstelle gesehen und sowohl auf den Ausdruck als auch den Inhalt bezogen werden (vgl. Schleiermacher 1977, S. 128–129; Meier 1996, S. 58–59). Dies bringt die Parallelstellenmethode in eine gewisse Nähe zu computergestützten quantitativen Verfahren.Footnote 2 Eingeschränkt wird dieses Verfahren durch eine andere hermeneutische Regel, die bei Schleiermacher wie folgt lautet:
Der Sinn eines jeden Wortes an einer gegebenen Stelle muß bestimmt werden nach seinem Zusammensein mit denen, die es umgeben. (Schleiermacher 1977, S. 116)
Auf die Dialektik dieser beiden Regeln wird sowohl bei ihrer Übertragung in den Bereich der Philologie (s. Abschnitt 2) als auch bei der Anwendung auf die konkreten Beispiele zurückzukommen sein (s. Abschnitt 3). Historisch unabhängig von Schleiermachers erster Regel ist der zweite hier herausgestellte Bezugspunkt der hermeneutischen Tradition zur Erforschung von Korpora. Es handelt sich um den wenig prominenten Begriff des »Lebenshorizontes«, den Wilhelm Dilthey im Zusammenhang mit dem bekannteren »Zeitgeist« verwendet.Footnote 3
1.2 Lebenshorizonte
Unabhängig ist dieser Begriff von dem ersten Kanon Schleiermachers und von der Parallelstellenmethode insofern, als Dilthey in seiner Herleitung dieses Begriffs weder auf den einen noch auf die andere zurückgreift.Footnote 4 Der Lebenshorizont und der Zeitgeist kommen bei den von Dilthey sogenannten »Kultursystemen« ins Spiel.
Er führt diese Begriffe dort ein, als er auf Phänomene historischer Wirkzusammenhänge zu sprechen kommt, die er als »K o n z e n t r a t i o n der ganzen Kultur eines solchen Zeitraums [d.i. einer Generation, eines Zeitalters, einer Epoche] in sich selbst« beschreibt, »so daß in der Wertgebung, den Zwecksetzungen, den Lebensregeln der Zeit der Maßstab für Beurteilung, Wertschätzung, Würdigung von Personen und Richtungen gelegen ist, welche einer bestimmten Zeit ihren Charakter gibt.« (Dilthey 1927, S. 177) Unter dem »Lebenshorizont« versteht Dilthey nun
die Begrenzung, in welcher die Menschen einer Zeit in bezug auf ihr Denken, Fühlen und Wollen leben. Es besteht in ihr ein Verhältnis von Leben, Lebensbezügen, Lebenserfahrung und Gedankenbildung, welche die Einzelnen in einem bestimmten Kreis von Modifikationen der Auffassung, Wertbildung und Zwecksetzung festhält und bindet. Unvermeidlichkeiten regieren hierin über den einzelnen Individuen. (Dilthey 1927, S. 177–178)Footnote 5
Für die folgenden Überlegungen ist es wichtig festzuhalten, dass in Diltheys Augen die »Konzentration einer ganzen Kultur« durchaus Widerspruch erdulde.Footnote 6 Er streicht heraus, dass »[n]eben der herrschenden, großen, durchgehenden Tendenz, die der Zeit ihren Charakter gibt […] andere [bestehen], die sich ihr entgegensetzen.« (Dilthey 1927, S. 178) Die Menschen können sich zu dieser Tendenz also unterschiedlich verhalten.Footnote 7 Die prägende Tendenz lässt sich vielmehr daran ablesen, dass die Menschen oftmals meinen, sich zu ihr überhaupt verhalten zu müssen und ihr damit eine Relevanz für ihr Denken und Handeln zugestehen. Der Grad dieser Prägung kann, davon soll für das Folgende ausgegangen werden, variieren. Das Verhalten zu einem Thema oder einem Wert kann auch soziale Distinktionen und Intentionen sinnfällig markieren.
Für die folgenden Überlegungen ist ferner wichtig, ein zweites festzuhalten: Diese historischen Tendenzen zeigen sich im Vergleich.Footnote 8 Die Parallele beruht dabei auf partieller Ähnlichkeit oder Identität, aber auch auf partieller Unähnlichkeit oder Alterität. Jede Anwendung des Vergleichs und der Parallelstellenmethode muss daher für sich geprüft werden.Footnote 9
In den später behandelten Beispielen wird es um die Anwendung der Parallelstellenmethode in einem relativ kleinen Korpus gehen. Deshalb liegt das Interesse auf dem Verständnis einzelner Stellen unter Zuhilfenahme von Belegstellen diesseits und jenseits des gegebenen Korpus. Aussagen zu umfassenden historischen Tendenzen lassen sich so nicht oder kaum gewinnen. Allerdings soll gezeigt werden, wie die Thematisierung und rhetorische Gestaltung als Spur dienen kann, um Tendenzen der Zeit aufzufinden.
Die Parallelstellenmethode kann hier als ein Gelenk verstanden werden. Einerseits kann sie der Erhellung erläuterungsbedürftiger Stellen dienen, andererseits stellt sie Bezüge zwischen Quellen in einem Korpus her. Diese Bezüge können demnach in beide Richtungen gelesen werden, in die Richtung der dunklen Stelle und in die Richtung inhaltlicher und anderer Verknüpfungen zwischen den Bestandteilen eines Korpus.
Dieses Verfahren kann dem Verständnis der einzelnen Stelle dienen. Es verdeutlicht nämlich, wie sich die Schreiberinnen und Schreiber zu einem Thema oder Problem ihrer Zeit verhalten und bestimmt somit deren Position in diesem Umfeld präziser. Dieser Rückbezug greift über die grammatische Interpretation hinaus auf die von Schleiermacher so genannte psychologische oder technische Interpretation zurück, insoweit sie die Komposition und den angenommenen oder erschlossenen Zweck der Rede berücksichtigt.Footnote 10 Dies soll zum Anlass genommen werden, eine eher literaturwissenschaftliche Frage zu formulieren: Inwiefern können nicht nur die Thematisierungen von Gegenständen helfen, den Lebenshorizont von Menschen aus den Quellen zu erschließen, sondern auch die von ihnen verwendeten rhetorischen und argumentativen Verfahren?
2 Philologische Übersetzungen
2.1 Korpus und Fragestellung
Die Verwendung von Parallelstellen und die Verbindung von Text und kulturellem Kontext haben in der Literaturwissenschaft eine Tradition, während das Fehlen einer »Korpusliteraturwissenschaft« bemerkt wurde.Footnote 11 Auch dieser Beitrag zielt lediglich auf die Anwendung der Parallelstellenmethode in einem kleineren Korpus. Dieses Korpus ist aber nicht an einem literarischen Kanon orientiert. Insofern nähert es sich einer solchen Korpusliteraturwissenschaft an.Footnote 12
Bei dem genannten Korpus handelt es sich um einen Teil des Koblenzer Liebesbriefarchivs.Footnote 13 Er umfasst über 60 Konvolute, die ganz oder teilweise in der Adenauerära, also in der Zeit zwischen der Gründung der Bundesrepublik und dem Vertrag von Élysée entstanden sind. Relevant ist dabei, dass die Briefe in diesem Fall nicht als Liebesbriefe interessieren, sondern als Zeitzeugnisse. Als solche lassen sie sich über den ursprünglichen Sammlungszweck hinaus auf politische, ökonomische, soziale und kulturelle Entwicklungen beziehen.Footnote 14
Im Sinne des oben Skizzierten sind sie Quellen für die Rekonstruktion von Lebenshorizonten. Man darf im Falle dieser Privatkorrespondenz annehmen, dass es nicht das vorrangige Ziel der Schreibenden gewesen ist, der Nachwelt Zeugnis von diesen Horizonten zu geben. Dennoch werden in ihnen Themen wie die Umsiedlungen aus den ehemaligen Ostgebieten, die Westorientierung der bundesdeutschen Außenpolitik oder die Einführung des Honnefer Modells im Bildungswesen angesprochen, bewertet und zum Teil mit der eigenen Biographie und den eigenen Entscheidungen der Schreibenden in Verbindung gesetzt.
Die Briefe sind in diesem Sinne potentielle Quellen der Kulturgeschichte, etwa der Forschung zu Mentalität und Habitus. Die Annahme für die späteren Deutungen ist allerdings vor allem, dass literarische Verfahren, die mit Mitteln der Rhetorik, Poetik, Stilistik beschrieben werden können, nicht auf den Bereich von Buchpublikationen beschränkt ist, der gemeinhin als ›Belletristik‹ bezeichnet wird. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass diese literarischen Verfahren in sprachlichen Gegebenheiten wurzeln und auch von Briefschreiberinnen und Briefschreibern verwendet werden. Offensichtlich ist dies, wenn Liebesgedichte in den Briefen auftauchen. Aber auch sonst fließen in die Briefe als »alltägliche Verbrauchsreden« diese Verfahren mehr oder weniger kunstvoll ein, um einen bestimmten Zweck mit sprachlichen Mitteln zu erreichen.Footnote 15 Das literaturwissenschaftliche Erkenntnisinteresse besteht aus zwei Fragestellungen:
-
1.
Zum einen werden literarische Verfahren in den Briefen selbst als Phänomene einer Textstrategie untersucht. Bei Privatbriefen zeigt sich dies insbesondere als Form der Diskussion und Überzeugungsarbeit, aber auch in der Entwicklung einer unter Umständen anspielungsreichen Privatsprache.
-
2.
Zum anderen können diese rhetorischen Verfahren als mögliche Indikatoren für kulturelle Reflexe und Reflexionen auf politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Zustände und Veränderungen gelesen werden. Auch die Ausdrucksweise kann also, wie an den Beispielen gezeigt werden soll (siehe Abschnitt 3) zum Teil als Resonanzraum dieser Strukturen und Prozesse gelesen werden.
2.2 Parallelstellen in der Literaturwissenschaft
Als Mittel und auch als Scharnier zwischen diesen beiden Fragestellungen mit ihrer unterschiedlichen Ausrichtung soll nun die Parallelstellenmethode in Anschlag gebracht werden. Den Rahmen für diese Anwendung bildet die genannte Sammlung von Briefen, die ediert und dann als Korpus für weitere Untersuchung zur Verfügung gestellt wird. Das heißt, dass das Korpus erst durch die Edition in eine digitale Form gebracht wird und sich die analytischen Kategorien erst während der Erschließung und Kommentierung herausbilden. Das Korpus und die Kategorien sind also nicht die Voraussetzungen, sondern die Ergebnisse dieses Prozesses. Damit unterscheidet sich dieses Vorgehen von anderen korpushermeneutischen Ansätzen.
Insoweit eine Kommentierung Teil der Edition sein wird, spielen Bezüge innerhalb des Korpus zuweilen schon auf dieser Stufe eine wissenschaftliche Rolle.Footnote 16 Die Auswertung der digitalen Annotationen kann dabei in verschiedene Richtungen führen. Erstens lassen sich inhaltliche Schwerpunkte in diesen voneinander unabhängigen Zeitzeugnissen bündeln. Zweitens entfaltet sich hier aber auch eine Themenvielfalt und eine Heterogenität von Überzeugungen und Einschätzungen.
Die Parallelstellenmethode hat in der literaturwissenschaftlichen Hermeneutik unterschiedliche Verwendungen und Bewertungen gefunden. Peter Szondi, der die beiden Kanones Schleiermachers mit den strukturalistischen Begriffen des Syntagmas und Paradigmas in Verbindung brachte,Footnote 17 hat auf die Schwierigkeiten hingewiesen, einen Wort- und Sachparallelismus nachzuweisen. Seine Anwendung dieser Methode ist meist auf Œuvre beschränkt. Szondi verwendet entsprechende Apparate für die Werke Friedrich HölderlinsFootnote 18 und Rainer Maria Rilkes (siehe Szondi 1975a, S. 495–510). Der hier gegebene Fall weicht davon ab. Parallelstellen können sich im Kontext eines Briefbündels finden, aber auch im gesamten Korpus. Nicht selten aber werden sie, wie sich noch zeigen wird, sogar jenseits seiner Grenzen zu suchen sein.
Zu den literaturwissenschaftlichen Einwänden gegen die Methode zählt die Frage nach der Bedeutung der Parallele für das Verständnis der Stelle.Footnote 19 Wenn zu bedenken gegeben wird, dass vage Ähnlichkeiten literaturwissenschaftlich keine Verwendung finden sollten,Footnote 20 dann wird eine gewisse Stärke des Verweises gefordert. In dem gegebenen Fall verschärft sich dieser Einwand noch. Ist schon die Übertragbarkeit innerhalb eines Œuvres problematisch, so wird der Bezug zu anderen, historisch unabhängigen Quellen noch zweifelhafter erscheinen. Exklusivität des Bezuges wird in diesen Fällen nur gelegentlich gegeben sein.Footnote 21
Bei der Erklärung einzelner Stellen kann dies ein Nachteil sein, wenn es notwendig ist, einen Kontakt zwischen Quellen nachzuweisen. Zuweilen kann aber auch der Nachweis einer weiten Verbreitung hinreichend sein, um die Stelle verständlich zu machen. Schließlich ist für eine Analyse des Korpus unter Umständen relevanter, dass ein bestimmtes Element an verschiedenen, voneinander getrennten Stellen auftritt. Die mangelnde Exklusivität kann hier ein Indiz für die Ausprägung eines Musters sein.
Auch wenn kein historischer Kontakt nachgewiesen, sondern ein Muster in einem Korpus gefunden werden soll, bleibt die Notwendigkeit zu bestimmen, welche Elemente als identisch oder hinreichend ähnlich behandelt werden sollen und welche nicht. Bei den Fragen nach der Stärke und nach der Eindeutigkeit des Verweises beziehungsweise der sprachlichen und der historischen Klarheit des Bezuges, sind Abstufungen möglich. Im Fall von Wortparallelen sind diese Abwägungen, wie Szondi festhält, noch einfacher festzustellen als im Fall reiner Sachparallelen.Footnote 22
Szondi wägt an verschiedenen Stellen die Möglichkeiten und die Grenzen dieser Methode ab. Nimmt man an, dass beide Kanones Schleiermachers ihre Berechtigung haben, so können sie, jeweils nur für sich genommen, zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Dennoch hat ihre Berücksichtigung und die Anwendung der Parallelstellenmethode ihren heuristischen und evaluativen Zweck. Szondi schreibt:
Sie [d.i. die philologische Auslegung] versucht, den statischen Zusammenhang des Faktischen, den die Verzettelung von Belegen allemal zerreißt, in der Rekonstruktion des Entstehungsvorgangs dynamisch nachzuvollziehen. Für diese Rekonstruktion werden die Fakten sowohl zu Wegweisern als auch zu Warnungen vor Irrwegen. Keines der Fakten darf übersehen werden, soll die Rekonstruktion Evidenz gewinnen. […] In der Evidenz wird die Sprache der Tatsachen weder überhört, noch in ihrer Verdinglichung mißverstanden, sondern als subjektiv bedingte und in der Erkenntnis subjektiv vermittelte vernommen, also allererst in ihrer wahren Objektivität. (Szondi 2011a, S. 280)Footnote 23
Neben anderem ist hier zu beachten, dass Szondi sich auf die Entstehungsgeschichte eines literarischen Textes bezieht. Dennoch ist die Dialektik zwischen Übereinstimmung und Abweichung im Prozess der Deutung auch auf den gegebenen Fall übertragbar. Parallelen können Deutungen bestätigen, in Zweifel ziehen oder sogar falsifizieren.Footnote 24 Sie dienen dann zur Evaluation von Hypothesen. Sie können aber auch heuristisch genutzt werden, um Hypothesen zu entwickeln. Das betrifft sowohl die Äußerung als auch den Diskurs. Beziehen sich die Hypothesen auf die jeweilige Textstelle, kann diese sie bestätigen, in Zweifel ziehen oder widerlegen. Dienen Parallelen heuristisch als paradigmatische, diskursive Hinweise, dann kann man sie als »Spuren« lesen.
In der paradigmatischen Perspektive können die Parallelstellen mit verschiedenen Ansätzen der Literaturgeschichtsschreibung verbunden sein. In ihr ergeben sich auch Verbindungen zu Diltheys Begriff der Lebenshorizonte. Da das Korpus keine literarischen Texte versammelt, steht deren besondere sprachliche Gestaltung, soziale Stellung und kulturelle Bedeutung in der Entwicklung und Vermittlung von Vorstellungen und Werten an dieser Stelle nicht zur Diskussion. Das Korpus lässt sich jedoch mit einer rhetorischen Perspektive verbinden, wenn man in die Untersuchung neben der materia, dem Gegenstand der Rede, auch die Artikulationsform in die Betrachtung einbezieht.Footnote 25 Auch in Texten, die keinen Anspruch auf literarische Qualität im engeren Sinn erheben, wird ein gemeinsamer Vorstellungs- und Wertehorizont entworfen und verhandelt. Dilthey selbst meinte mit Blick auf die jüngere Geschichte der Künste:
Und das macht nun den geschichtlichen Gang des Verhältnisses der Kunst zu den Weltanschauungen aus, daß nach dieser religiösen Vertiefung der Kunst in ihr die Lebensverfassung des Künstlers zu freiem Ausdruck gekommen ist. Dies wird nicht im Hineinlegen einer Weltanschauung in das Kunstwerk zu suchen sein, sondern in der inneren Form der künstlerischen Gebilde. (Dilthey 1931, S. 91–92)
Auch wenn man von alltäglichen Texten wie Privatbriefen und von »Lebenshorizonten« statt »Weltanschauungen« spricht, kann vermutet werden, dass die rhetorische Gestaltung dieser Quellen etwas über die Bedingungen der gesellschaftlichen Felder, den Habitus und die Stellung der Akteure aussagen kann. Diese historische und kulturelle Position von Äußerungen in den Blick zu nehmen, kann eine mögliche Aufgabe der literaturwissenschaftlichen Korpusforschung sein.
Die Forschung zeigt dann die Offenheit und Beschränkung der Lebenshorizonte, die auch eine Offenheit und Beschränkung von Erwartungshorizonten sind.Footnote 26 Sie sieht Quellen als Spuren einer Gemengelage aus empirischer Vielfalt und Verfestigung, indem sie zum Beispiel thematische Streuungen und Bündelungen erfasst. Sie wird dabei oftmals eine methodische Pendelbewegung zwischen Wort und Diskurs vollziehen, die Henri Meschonnic (1991, S. 9) einmal so fasste: »On cherche de mots, on trouve le discours. On cherche le discours, on trouve des mots.« Verschiedene solcher und ähnlicher Pendelbewegungen finden sich in den abschließenden Interpretationen einzelner Briefpassagen, die insbesondere die rhetorische Struktur der Schreiben berücksichtigen.
3 Interpretative Umsetzungen
3.1 »Brandwache« und »Mopedbraut«
Die folgenden Beispiele stammen aus zwei Konvoluten.Footnote 27 Das erste Konvolut enthält Briefe einer Schülerin, die sie vermutlich zwischen Oktober 1959Footnote 28 und Frühjahr 1960 an ihren Freund geschrieben hat. Die Datierung ist unpräzise, weil die Briefe zum Teil nur fragmentarisch erhalten sind und die Ordnung der Briefe deshalb manchmal unsicher ist. Der jüngste datierte Brief stammt aus dem Januar 1960.Footnote 29 Danach folgen noch drei fragmentarische Schreiben, die nicht sicher datiert werden können.Footnote 30 Das zweite Konvolut umfasst 133 Briefe eines Mannes an seine Freundin, Verlobte und spätere Ehefrau. Diese Korrespondenz beginnt im Juni 1959 und endet im April 1967.Footnote 31
Auf die folgenden Beispiele wird die Parallelstellenmethode in unterschiedlicher Weise angewendet. Sie unterscheiden sich unter anderem in ihrer rhetorischen Gestaltung. Versteht man es als eine vorrangige Aufgabe des Kommentars, un- und missverständliche Stellen aufzuhellen, dann ist es naheliegend, andere Stellen aus dem Brief und dem Konvolut hinzuzuziehen, um diese Unklarheiten zu beseitigen. So findet sich im erstgenannten Konvolut an einer Stelle ein Hinweis auf die Brandwache, für die der Adressat eingeteilt worden sei.Footnote 32 Man könnte, liest man den Brief isoliert, vermuten, er sei bei der Feuerwehr. Auch ist in einem der Briefe von einem möglicherweise entsprechenden Gruppenfest die Rede.Footnote 33
Bei einem weiteren Blick wird deutlich, dass der Adressat bei der Bundeswehr ist und schon der erste Brief nennt im Zusammenhang mit einem Abschied einen großen Truppenübungsplatz.Footnote 34 Ein anderer Brief bestätigt, dass die Nennung der Brandwache sich tatsächlich auf die Bundeswehr bezieht, die dort als Strafmaßnahme diente.Footnote 35
So einfach diese Auflösung einer Stelle scheinen mag, so zeigt sie das Maß an, wie gut oder wie schlecht sich Zusammenhänge nicht nur der Briefe, sondern auch der lebensweltlichen Umstände von Absenderin und Adressat rekonstruieren lassen. Die rhetorische Gestaltung spielt in diesem Fall keine wesentliche Rolle. Es wird vor allem eine Verbindung zwischen einzelnen Begriffen und einer Organisation hergestellt.
Dieselbe Schülerin schreibt in einem anderen, wohl nur fragmentarisch überlieferten Brief zwei Sätze, die die Bedeutung dieser lebensweltlichen Umstände und, mit Dilthey zu sprechen, Lebenshorizonte ebenfalls zeigt. Ging es im ersten Beispiel um die Aufklärung eines bestimmten Ausdrucks und seines Kontextes durch den Rückgriff auf Parallelstellen in weiteren Briefen des Konvoluts, so berührt das zweite Beispiel die Ebene der Werte und, wie Dilthey sagen würde, der »Lebenswürdigkeit«.Footnote 36 Die Schreiberin bewertet hier eine Überlegung des Adressaten. Es handelt sich um die ersten beiden Sätze der vermutlich einzigen überlieferten Seite dieses Briefes.Footnote 37 Deshalb ist der Zusammenhang nicht vollständig bestimmbar, zumal in diesem Fall, wie oftmals, die Gegenbriefe fehlen.
Die Schülerin schreibt: »Ich würde mir ja eher einen Motorroller statt ein Moped kaufen. Eine Mopedbraut möchte ich nämlich nicht werden.«Footnote 38 Der weitere Verlauf verdeutlicht, dass nicht ihre eigene Kaufentscheidung zur Diskussion steht, sondern die ihres Gesprächspartners. Sie empfiehlt, mit dem Kauf noch zu warten und den Führerschein erst bei der Bundeswehr und damit günstiger zu erwerben. Rhetorisch interessant ist der enthymemische Charakter. Die Bewertung der Fahrzeuge, die die Schreiberin vornimmt, legt eine Empfehlung für die Entscheidung des Adressaten nahe. Seine Entscheidung wird als eine Entscheidung über den sozialen Status der Schreiberin dargestellt.
Die Bewertung selbst ist in hohem Maße kulturell und historisch eingebettet. Die Verkaufserfolge der 1950er und 1960er Jahre bei Motorrollern werden so oft mit entsprechenden Kaufentscheidungen von Frauen in Verbindung gebracht und diese wiederum mit sozialen und ökonomischen Veränderungen.Footnote 39 Diese Verbindung scheint sich auch in der Werbung der Zeit widerzuspiegeln.Footnote 40 In jedem Fall, und das ist hier das Entscheidende, bestätigt sich diese Präferenz bei der genannten Schreiberin, die zumindest ein wenig um ihr soziales Ansehen zu fürchten scheint, wenn der Adressat das falsche Fahrzeug erwirbt. Ihre Ablehnung einer bestimmten Rolle dient als Anweisung an den Freund. Die Verwendung des Enthymems setzt die Anerkennung dieser Prämisse beim Adressaten voraus.Footnote 41
3.2 »Mariawald« und »Mecki«
Die Verwendung rhetorischer Strategien in Privatbriefen ist keine Seltenheit, obwohl man annehmen darf, dass sie nicht primär darauf angelegt sind. Auch in Briefen wird, wie in der Rhetorik von alters her, gelobt und getadelt, zu- oder abgeraten, angegriffen und verteidigt.Footnote 42 Dies zeigt sich auch in dem zweiten hier betrachteten Konvolut, in dem ebenfalls nur die Briefe einer Seite enthalten sind.
In einem der Briefe erläutert der Schreiber ausführlich die Situation der beiden Familien, die sich miteinander im Streit befinden.Footnote 43 Dabei stellt er nach der hier vorgeschlagenen Deutung das eigene Verhalten in Konflikten dem der Adressatin antithetisch gegenüber. Sie seien beide nicht in der Lage, einen Streit mit »Geschick und Ruhe« durchzuhalten.Footnote 44 Dies äußere sich in seinem Hang zur »Knebbelei«, während bei ihr oft tagelang »Mariawald« sei.Footnote 45 Er selbst bezeichnet in einem anderen Brief »Jähzorn« als seine eigene Schwäche.Footnote 46 Der Verweis auf »Mariawald« aber bleibt vermutlich unklar für diejenigen, die nicht wissen, dass das Paar aus der Eifel stammt und es dort einen Ort dieses Namens gibt, in dem sich ein Trappistenkloster befindet. Schließlich muss man noch wissen, dass dieser Orden für sein strenges Schweigegelübde bekannt ist.Footnote 47 Der Ort steht also für das Kloster, das Kloster für den Orden und der Orden für das Schweigen.
Diese Aufklärung, so sie überhaupt richtig ist, ergibt sich nicht aus dem Konvolut selbst und auch nicht aus dem Korpus, soweit es bisher erschlossen ist. Die Unabhängigkeit der Quellen im Korpus verringert die Wahrscheinlichkeit, eindeutige Parallelstellen zu finden. Aufschlüsse finden sich hingegen für vieles außerhalb des Konvoluts und des Korpus in anderen Ressourcen wie Autobiographien, Wörterbüchern oder der Populärkultur. Die Metapher, die eine dreifache Metonymie voraussetzt, kann man erst verstehen, wenn sich bestimmtes Wissen der Zeit oder des sozialen Umfeldes rekonstruieren lässt. Mag diese Redeweise auch, wie manch andere Wendung, in den familiären oder privaten Wortschatz der Korrespondenzpartner fallen, so ist die Verbindung zwischen den Trappisten und dem Schweigen auch andernorts bekundet und diese Kenntnis nicht auf den Kreis der Expertinnen und Experten zur Geschichte der Zisterzienser beschränkt.
Das zeigt sich zum Beispiel bei der Betrachtung weiterer kultureller Zeugnisse. In Billy Wilders Film The Private Life of Sherlock Holmes aus dem Jahr 1970 zum Beispiel reist Dr. Watson mit dem Zug nach Schottland. Er sitzt neben Männern in Mönchskleidung und versucht, ein Gespräch zu beginnen. Einer von ihnen führt den Finger vor den Mund. Dr. Watson kommentiert dies, indem er seine Sitznachbarn als Trappisten identifiziert.Footnote 48 Auch in der Serie Drei Damen vom Grill findet sich mit etwas größerem zeitlichen Abstand zur hier betrachteten Quelle eine ironische Anspielung auf das Schweigegebot der Trappisten.Footnote 49 Später wird der Name zu »Trapezmönch« verulkt.Footnote 50 In beiden Fällen wird die Ordensbezeichnung besonders hervorgehoben und in beiden Fällen ist die Beziehung zwischen Orden und Schweigen ausschlaggebend.Footnote 51
Während an dieser Stelle das Konfliktverhalten ausdrücklich angesprochen wird, so zeigt sich an einer anderen Stelle das konkrete sprachliche Verhalten in Konfliktfällen. Der Schreiber möchte der Adressatin von einem neuen Haarschnitt abraten. Dieser Akt einer versuchten Persuasio zeigt zahlreiche rhetorische Merkmale. Nur eine Beobachtung soll hier hervorgekehrt werden. Vergleicht man diese briefliche Diskussion mit der oben beschriebenen zum Kauf eines Motorrollers, so fällt die Umständlichkeit auf.
Der Schreiber will seiner Partnerin »volle Freiheit« lassen, die »Entscheidung lieg[e] ganz bei [ihr]«.Footnote 52 Zugleich macht er seine Position klar. Sie wisse, was ihm gefalle. Das Haar hält er für »den schönsten natürlichen Schmuck der Frau«.Footnote 53 Er spricht von »wenige[n] kümmerliche[n] Reste[n]« und von »Selbstverstümmelung«,Footnote 54 lenkt vergleichend den Blick auf »[e]in geschorenes Schaf« und einen »Mann mit Glatze«.Footnote 55
Auch in dem anderen Konvolut werden mehrfach Haare und Frisuren angesprochen. Die Briefschreiberin beschreibt, dass sie ihre Haare beim Abtanzball »schlicht« und mittels Kamillenkur »schön blond« tragen will.Footnote 56 Umgekehrt fürchtet sie anscheinend, dass ihr Freund ohne Haare von der Bundeswehr heimkehren werde. Obwohl hier ein besonderer und anderer Kontext gegeben ist, benutzt auch sie dieses Erscheinungsbild, um vielleicht indirekt ein Geschmacksurteil zu äußern: »Hast Du Dir die Haare auch nicht ganz abrasieren lassen? Ich traue Dir zu, mich eines Tages mit Glatze zu besuchen.«Footnote 57
Der Schreiber des zweiten Konvoluts ist sich bewusst, dass er mit »krassen Beispielen« argumentiert, hält das Abschneiden von einigen Strähnen im Nacken für »vernünftig, aber nicht Mecki oder noch kürzer.«Footnote 58 Abschließend kehrt er wieder zu seiner ursprünglichen Position zurück: »Aber auch das kannst Du frei selbst entscheiden. Ich laß Dich deswegen nicht laufen.«Footnote 59 Im nächsten Brief, fünf Tage später verfasst, schreibt er zu dieser Angelegenheit noch, dass er nicht den »Geschmacksdiktator« in ihrer Familie spielen wolle.Footnote 60
Dieser argumentative Pendelschlag kann nun auf Diltheys Bemerkung bezogen werden, dass sich die Weltanschauung in der »inneren Form« der Dichtung artikuliere. Auch in dieser Subiectio mit einigen Zügen von Prokatalepsen kann ein Bedürfnis gesehen werden, die Voraussetzungen des eigenen Urteils zu klären und mit Gegenargumenten zu konfrontieren. Anders als bei dem gekürzten Syllogismus zum Motorroller, wird hier nicht die Zustimmung zu einer ungenannten Prämisse vorausgesetzt, sondern die Schwierigkeit vor Augen geführt, dass der eigene Wunsch und Geschmack letztlich nicht das Handeln der Adressatin bestimmen soll. In dieser argumentativen Zwickmühle kann auch verständlich werden, warum die gewählten Bilder für die eigene Position besonders drastisch ausfallen.
In der rhetorischen Gestaltung der Argumentation kann selbst ein Indiz für den übergreifenden Lebenshorizont der genannten Korrespondenzpartner gesehen werden. War bisher die Parallelstelle ein Mittel, die zweifelhafte Einzelstelle aufzuklären, so kann sich, auf einem allgemeineren Niveau, eine Verbindungslinie zwischen den hier diskutierten Beispielen aufspannen. Die Linie liegt bei Liebesbriefen freilich nahe. Es sind die Veränderungen in den Geschlechterrollen und Geschlechterbildern in der bundesrepublikanischen Nachkriegszeit, die sich hier abzeichnen. Die Verpflichtung zum Wehrdienst, die Haarlänge, die Ablehnung eines bestimmten Fahrzeugs verbinden die Beispiele unter diesem Aspekt miteinander und sogar, im letztgenannten Beispiel, mit der rhetorischen Art der brieflichen Konfliktgestaltung.
4 Korpushermeneutisches Fazit
Die inhaltliche Erschließung erlaubt die Zusammenstellung von Parallelstellen für eine vergleichende Untersuchung. Die Unabhängigkeit der Konvolute voneinander kann hilfreich sein, wenn sich an ihnen die Streuung der Äußerungen in einer Frage aufzeigen lässt, zu der die Schreibenden meinten, sich verhalten zu müssen. Man kann in den Briefen nicht nur sehen, wie Themen aufgegriffen werden oder nicht, sondern auch, wie sich der sprachliche Umgang mit ihnen verändert.
Das hier vorgeschlagene Vorgehen geht im Gegensatz zu anderen korpushermeneutischen Ansätzen von der Lektüre der einzelnen Quellen aus. Deren Kommentierung kann Beziehungen explizieren, die nur bedingt an der Oberfläche der Texte abzulesen sind. Die Rhetorik der Texte kann somit ein Hindernis für eine unmittelbare quantitative Auswertung der Quellen darstellen. Die Kommentare können allerdings, wenn man ihren Explikationen vertraut, Teil einer solchen quantitativen Auswertung werden.
Obwohl im vorliegenden Fall das Korpus erst durch die Edition entsteht und der Kommentar der Erläuterung der einzelnen Stelle gilt, so können die Transkription und der Mikrokommentar auch einen Eindruck von den Tendenzen der Zeit, den Lebenshorizonten, geben, weil Parallelstellen nicht nur der Erhellung des Einzelnen dienen, sondern auch Verknüpfungspunkte im Ganzen darstellen.
Es gehört nicht viel dazu, eine gewisse Zirkularität dieses Vorgehens zu erkennen. Das Ganze, in diesem Fall das Korpus, ist hilfreich, um das Einzelne, die Stelle, zu verstehen, und das Verständnis des Einzelnen dient dem Verständnis des Ganzen. Im Fall von Privatbriefen ist es oft der Fall, dass nur andere Briefe desselben Konvoluts zur Erläuterung herangezogen werden können. Für alltagsgeschichtliche Phänomene findet man wie bei den Beispielen des »Trappisten« und der »Mopedbraut« zuweilen allerdings Entsprechungen in anderen Quellen, etwa in Hobbyliteratur, Filmen oder Fernsehserien.
Im Fall der Haare jedoch fanden sich ein Gegenstand und Wertungen, die in Briefen verschiedener Konvolute diskutiert werden. Das Ganze, das hier zum Verständnis des Einzelnen dient, ist dabei nicht das Ganze, das durch die Stelle verständlicher wird. Eine Erläuterung des Ausdrucks »Mecki« und seines metonymischen Gebrauchs kann zum Beispiel dem Verständnis der einzelnen Stelle dienen.Footnote 61 Die Diskussion in dem Brief kann aber zudem Quelle für eine kulturhistorische Untersuchung zum Haarschnitt sein. Der Diskurs, der das Wort begreiflicher werden lässt, muss nicht der Diskurs sein, der durch das Wort begreiflicher werden kann.
Man kann somit zumindest zwei hermeneutische Aspekte dieses Vorgehens unterscheiden. An einigen Stellen ist der einzelne Ausdruck unverständlich und sein Verständnis bedarf eines größeren Kontextes, der auch über das Korpus selbst hinausgehen kann. Von literaturwissenschaftlichem Interesse ist dabei, dass auch in Alltagsdokumenten rhetorische Analysen für die Kommentierung bedeutsam sind.
An anderen Stellen ist nicht der einzelne Ausdruck unverständlich, da oftmals recht alltägliche Gegenstände angesprochen werden und auch eine rhetorische Analyse für das Verständnis nicht notwendig ist. Auch in diesen Fällen kann sich allerdings ein thematisches Netz zwischen Quellen unterschiedlicher Provenienz zeigen.
Diese beiden Aspekte sind methodisch kombinierbar. Die Aufhellung einzelner Stellen erzeugt zugleich neue Knotenpunkte des Netzes. Dieses Netz zeigt sich nicht bei der Betrachtung des einzelnen Dokumentes oder Konvolutes. Der gemeinsame Lebenshorizont als soziokulturelles Phänomen wird erst bei der Betrachtung des Korpus sichtbar.
Notes
Der Text folgt Schleiermacher (1838).
Vgl. zum Beispiel Franco Moretti (2022, S. 23): »wir wollten von diesem Segment zu vielen anderen Segmenten gehen«.
Vgl. zum Zeitgeist in Zusammenhang mit der Dichtung Dilthey (1924, S. 230): »in der Kunst, insbesondere in der Poesie, [wird] durch einen geschichtlich schöpferischen Vorgang die Koordination von Bestandteilen, die in einer Zeit besteht und in sich schon Kausalverknüpfung und Verwandtschaft enthält, zu einer das Vorhandene überschreitenden Einheit verknüpft.« Vgl. auch Kurt Müller-Vollmer (1963, S. 179): »A Zeitgeist is not, therefore, the effect of mechanistic or unconscious forces. It is the creation of the philosopher, the artist, and the poet who realize that a ›potential unity‹ […] exists among the stubborn facts of the age and who coordinate them into a coherent and unified view.«
Dilthey hat sich in seinen Studien zu Schleiermacher mit dem ersten Kanon auseinandergesetzt. Siehe Dilthey (1966, S. 759): »Er [d.i. der erste Kanon] grenzt die Bedeutung von Wort und Form erst in ein engeres Gebiet ein. Innerhalb dieses bedarf es nun einer positiven Bestimmung. Für diese enthält der zwei Kanon die Regeln. […] In der Zweiheit dieser Operationen vollzieht sich das ganze Geschäft der grammatischen Interpretation.«
Dies nähert den Begriff auch dem der Ideologie an, wie er von Spivak (2006, S. 161) gebraucht wird: »Ideology in action is what a group takes to be natural and self-evident, that of which the group, as a group, must deny any historical sedimentation.« Der Begriff des Lebenshorizonts, wie er hier aufgefasst wird, meint aber nicht die gemeinsame Selbstverständlichkeit, sondern die gemeinsamen Gegenstände potentiell widerstreitender intellektueller Bemühungen. Der Komplex von Erkenntnis, Wertung und Zwecksetzung verbindet den Begriff mit Diltheys Begriff der Weltanschauung. Im Kontext der geistesgeschichtlichen Literaturwissenschaft s. Unger (1966, S. 63): »In dieser Struktureinheit der Weltanschauung sind […] verbunden: Erkenntnis, Gefühlswertung, Willenshaltung, Phantasievorstellung; nur die praktische Tendenz auf konkrete Zwecksetzung tritt zurück. Immer aber bedeutet Weltanschauung eine innere Beziehung der persönlichen Lebenserfahrung zum gegenständlichen Weltbilde, eine Beziehung, aus der stets ein Lebensideal abgeleitet werden kann.«
Moretti (1983, S. 25) bezichtigte sich selbst, dem Trugschluss vom Zeitgeist aufgesessen zu sein: »One succumbs to the allure of the sweeping generalization«. Zugleich betont er ebd., S. 6, die Verbindung von rhetorischer Form und Weltanschauung: »rhetorical forms are ›of a piece‹ with the deepest presuppositions of every Weltanschauung.«
So lässt sich auch Dilthey (1927, S. 177) verstehen: »Der Einzelne, die Richtung, die Gemeinschaft haben ihre B e d e u t u n g in diesem Ganzen nach ihrem inneren Verhältnis zum Geist der Zeit.«
Vgl. zur Bedeutung der vergleichenden morphologischen Methode für die historische Schule Dilthey (1927, S. 99): »Die allgemeinen Wahrheiten bilden nach diesem Standpunkt nicht die Grundlage der Geisteswissenschaften, sondern ihr letztes Ergebnis.« Dilthey (1931, S. 25) nennt in einer Liste für den »Gang vom Bekannten zum Unbekannten, d. h. von den geschichtlichen Tatsachen zu dem hinter ihnen liegenden Zusammenhang in seiner Gesetzlichkeit«: »Vergleichendes Verfahren«.
Vgl. Compagnon (1997, S. 22): »Cohérence et/ou contradiction caractérisent implicitement le texte produit par l’homme«. Vgl. auch Müller (2013, S. 194): »Parallelstellen funktionieren nur, wenn neben aller Ähnlichkeit eine gewisse Differenz besteht.« Digital stellt sich dieselbe Problematik bei der Deutung von Verknüpfungen ein.
Vgl. Schleiermacher (1977, S. 167): »Das letzte Ziel der psychologischen (technischen) Auslegung ist auch nichts anderes als der entwickelte Anfang, nämlich, das Ganze der Tat in seinen Teilen und in jedem Teil wieder den Stoff als das Bewegende und die Form als die durch den Stoff bewegte Natur anzuschauen.« Vgl. Dilthey (1966, S. 775): »dieser Teil von Schleiermachers Werk berührt sich näher mit der R h e t o r i k als mit irgendeiner anderen Hermeneutik, vor allem in den Unterscheidungen von Meditation, Komposition und Zweck der Rede.«
Besonders Herrmann/Lauer (2018, S. 127): »Ein Fach oder eine Teildisziplin ›Korpusliteraturwissenschaft‹ gibt es nicht«.
Vgl. Herrmann/Lauer (2018, S. 127): »Weil das Besondere traditionell mehr als das Typische zählt, geht es in der Literaturwissenschaft nicht um eine evidenzbasierte Sichtung umfassender Werkkorpora.« Ähnlich auch Moretti (2007, S. 91): »the models I have presented […] share a clear preference […] for the explanation of general structures over the interpretation of individual texts.«
Den Stand dokumentiert Wyss (2022, S. 177): »Aktuell […] verfügt das LBA über ca. 22.000 Briefe aus einer Zeitspanne von 1768 bis 2021 […]. 9095 Briefe stammen aus 665 Orten und 52 Ländern, 6852 Briefe sind ohne Ortsangabe.« Über den genauen Stand informiert der Katalog (http://katalog.liebesbriefarchiv.de/). Der Autor bedankt sich herzlich bei den Mitarbeiterinnen im Koblenzer Liebesbriefarchiv für ihre freundliche Unterstützung.
Zum Sammlungszweck Wyss (2022, S. 177): »Vor bald 25 Jahren wurde das Liebesbriefarchiv aus einer wissenschaftlichen Initiative heraus mit dem Ziel gegründet, den allgemeinen Liebesbrief von Menschen wie Du und Ich aus einer kulturlinguistischen Perspektive zu erforschen.« Von diesem Zweck unterscheidet sich das vorliegende Vorhaben insofern, als es nicht auf die Gattung des Liebesbriefes zielt.
Vgl. Lausberg (1966, S. 50): »Die ›Verbrauchsrede‹ […] ist eine […] Rede, die in einer aktuellen geschichtlichen Situation (des privaten oder öffentlichen Bereichs) vom Redenden mit der Intention der Änderung dieser Situation […] einmalig gehalten wird und ihre Funktion entsprechend der Intention des Redenden in dieser Situation völlig verbraucht.« Mit anderem theoretischen Zungenschlag Link (1983, S. 26): »[W]enn unser intuitiver Eindruck richtig war, daß hier [d.i. in Helmut Schmidts Neujahrsansprache 1978] zumindest partiell literarisch geredet werde, dann haben wir ein Beispiel für jene Art literarischer Rede vor uns, wie sie elementar und an beliebigem Ort, spontan und gleichwohl mit Notwendigkeit produziert wird. […] Wenn dem so sein sollte, dann […] muss sich die Literaturwissenschaft intensiv mit dem Phänomen solcher elementar-literarischen Redeweise, solcher elementar-literarischen Diskursformen, beschäftigen.«
Im Rahmen der Edition wird der Text nach den Vorschlägen der Text Encoding Initiative transkribiert. Die Kommentierung erfolgt durch die entsprechenden Verweismechanismen zu den jeweiligen Stellen. In den Kommentaren selbst wird auf andere Textstellen, digitale externe Ressourcen beziehungsweise induktiv erstellte spezifische Thesauri verwiesen werden. Mit den edierten und kommentierten Materialien können digitale und andere Auswertungen die Themenvielfalt entfalten, aber auch inhaltliche Schwerpunkte bündeln.
Peter Szondi (2011b, S. 118–119): »Schleiermacher spricht […] von zwei Arten des Zusammenhangs: dem ganzen Zusammenhang (also dem Sprachsystem) und dem unmittelbaren Zusammenhang (dem Satz). […] Exklusion ist die Methode im Rahmen der paradigmatischen Beziehung […]. Demgegenüber vermag das Syntagma, also die Beziehung, die das zu bestimmende Wort mit den anderen Wörtern im Satz selbst eingegangen ist, zu einer positiven, einer thetischen Bestimmung zu verhelfen.«
Etwa Allemann (21954, S. 7): »was besagen solche Parallelstellen-Belege überhaupt? […] Entscheidender Aufschluß ist offenbar nur vom Kontext zu erwarten.«
Vgl. Wellek/Warren (31993, S. 258): »parallels must be real parallels, not vague similarities assumed to turn, by mere multiplication, into proof.«
Zu diesem Kriterium Wellek/Warren (31993, S. 258): »parallels must be exclusive parallels; that is, there must be reasonable certainty that they cannot be explained by a common source, a certainty attainable only if the investigator has a wide knowledge of literature or if the parallel is a highly intricate pattern rather than an isolated ›motif‹ or word.«
Vgl. Szondi (1975b, S. 126): »Der Wortparallelismus läßt sich – auf Grund der Identität der Worte – zwar feststellen; ob aber das Wort in beiden Stellen dieselbe Bedeutung hat, ob die Parallelstelle geeignet ist, die Bedeutung der auszulegenden Stelle zu erhellen, ist nie im vornherein ausgemacht, sondern wird erst in der Interpretation entschieden. Fragwürdiger noch ist der Beweiswert des Sachparallelismus. Da er Nichtidentität der Zeichen und Identität nur des Bezeichneten voraussetzt, stellt sich die Frage, wie diese vorgängig der Auslegung überhaupt festzustellen sei.« Vgl. zum parallelismus verbalis auch Szondi (2011a, S. 280): »Freilich muß dieses Wort überall in der gleichen Bedeutung stehen, die Stellen müssen in diesem strengen Sinn Parallelstellen sein.« Riechers (2020, S. 104) umschreibt dies so: »das Wissen wird durch die Erkenntnis in der Konfrontation mit dem Text immer wieder erschüttert.«
Siehe auch Szondi (2011a, S. 279): »Erst in dem Rahmen, den das Verständnis liefert, erscheint das Faktum als Beweis. […] [D]er Beweischarakter des Faktischen wird erst von der Interpretation enthüllt, während umgekehrt das Faktische der Interpretation den Weg weist.« Kritisch dazu Danneberg (2019, S. 535): »Die intersubjektive Verbindlichkeit einer nach Szondis Konzeption philologischer Erkenntnis erarbeiteten Interpretation kann weder der Interpret mit Recht beanspruchen, noch kann die wissenschaftliche Kritik die subjektive Verbindlichkeit der Interpretation mit Recht bestreiten.«
Danneberg (2019, S. 515) spricht vom »Ausschluß von Sinnmöglichkeiten«. Als eine Art Regel, Parallelstellen zu gewichten, kann der Vorschlag von Hirsch Jr. (1971, S. 185) gesehen werden: »a judgment based on this narrower class is necessarily more weighty and reliable as a probability judgment than one based on a broader class.« Ähnlich schon Boeckh (1877, S. 102): »Die Beweisfähigkeit von Parallelstellen hängt natürlich von dem Grade der Verwandtschaft ab«.
Vgl. Babilas (1961, S. 24), der mit Blick auf literarische Texte schreibt: »Die Tradition ist […] nicht nur ein materiae- und Gedanken-, sondern auch ein F o r m e n reservoir.«
Siehe Jauß (1991, S. 660–661): »Zur Horizontstruktur aller Welterfahrung gehört, daß jedes Hinsehen auf etwas ein Absehen von etwas anderem impliziert […]. Der Horizont als das, was unserem Blick die Grenze setzt (finitor visus nostri), kann indes entweder als fest und unverrückbar, das heißt als für immer geschlossene Grenze zwischen sinnlicher und intelligibler Erkenntnis oder als beweglich und weiterrückend, das heißt als einmaliger und gegenwärtiger Gesichtskreis verstanden werden, der sich bei fortschreitender Erfahrung unabsehbar auf immer wieder neue Horizonte öffnet. […] Hermeneutisch entspricht der Schwelle zwischen dem geschlossenen Erwartungshorizont innerweltlicher Erkenntnis und dem offenen Horizont weiterschreitender Erfahrung die Schwelle zwischen Verstehen als Wiedererkennen und Auslegen einer vorgegebenen oder geoffenbarten Wahrheit einerseits und Verstehen als Suchen oder Erproben eines möglichen Sinns andererseits.«
In einem ersten Schritt wurden die hier behandelten Briefe in Lehrveranstaltungen an der Technischen Universität Darmstadt von Studierenden (Ruth Haberberger, Yael Lämmerhirt, Taina de Miranda Soares) transkribiert und kommentiert. Die rhetorische Analyse war nicht Teil der studentischen Kommentare.
Liebesbriefarchiv Koblenz, Konvolut 708, Brief 1.
Liebesbriefarchiv Koblenz, Konvolut 708, Brief 10.
Liebesbriefarchiv Koblenz, Konvolut 708, Briefe 11 bis 13.
Liebesbriefarchiv Koblenz, Konvolut 191, Briefe 1 und 132. Der Brief 133 ist mit »24.7.61« datiert.
Liebesbriefarchiv Koblenz, Konvolut 708, Brief 7, S. 1: »Liebster, heute und morgen, Sonntag, mußt Du ja Brandwache schieben. Ich bedaure Dich ja auch sehr.«
Liebesbriefarchiv Koblenz, Konvolut 708, Brief 13, unpaginiert.
In Liebesbriefarchiv Koblenz, Konvolut 708, Brief 1, wird der Ort genannt und der strenge Tagesablauf angesprochen: »In der ersten Zeit wirst Du Dir bestimmt Dein altes Faulenzerleben hier zurückwünschen.«
Liebesbriefarchiv Koblenz, Konvolut 708, Brief 6, S. 1–2: »Ihr habt ja noch Glück gehabt, daß ihr nicht mehr für’s Zuspätkommen aufgebrummt gekriegt habt. […] Brandwache geht ja noch.«
Vgl. Dilthey (1931, 83–84) zur Struktur von Weltanschauungen: »das Weltbild wird Grundlage der Lebenswürdigkeit und des Weltverständnisses. Und nach derselben Gesetzlichkeit des seelischen Lebens entsteht aus der Lebenswürdigkeit und dem Weltverständnis eine oberste Bewußtseinslage: die Ideale, das höchste Gut und die obersten Grundsätze, in denen die Weltanschauung erst ihre praktische Energie empfängt«.
Es ist nicht ganz eindeutig, ob der Brief fragmentarisch überliefert ist. Syntaktisch sind der erste und der letzte Satz abgeschlossen. Es fehlen aber Datum, Anrede und Unterschrift.
Liebesbriefarchiv Koblenz, Konvolut 708, Brief 12, unpaginiert.
Die kulturhistorische Rekonstruktion bei vielen alltagsgeschichtlichen Themen berührt sich oft mit Publikationen von Liebhaberinnen und Liebhabern oder von in diesem Feld tätigen Wirtschaftsunternehmen. Zu dem beschriebenen Zusammenhang siehe Rönicke (2010, S. 6): »Dass bis in die sechziger Jahre hinein Motorroller verkauft werden konnten, lag nicht unwesentlich daran, dass die Frauen diese Fahrzeuge sehr früh für sich entdeckt hatten. Durch die an Männern arme Nachkriegszeit und das Wirtschaftswunder stark in den Arbeitsmarkt integriert, mussten Frauen ebenso wie ihre männlichen Kollegen die Fahrten zum Arbeitsplatz organisieren und womöglich zusätzlich noch die Kinder zur Schule bringen und den Einkauf erledigen.« Rönicke gibt an dieser Stelle keine weiteren Quellen an, ergänzt aber (Rönicke 2010, S. 53): »Im Übrigen bedeutete selbst der Besitz eines Automobils in der Familie zu dieser Zeit noch lange nicht, dass auch die weiblichen Mitglieder damit fahren konnten bzw. durften.«
Bildmaterial versammelt ohne Quellenangaben Rönicke (2010) zum Beispiel auf den Seiten 48–49. In dem Zusammenhang schreibt er (Rönicke 2010, S. 6): »Sehr schnell hatten das auch die Marketingstrategen erkannt, was dazu führt, dass in der Rollerwerbung hübsche junge Frauen und makellos aufpolierte Scooter nicht mehr voneinander zu trennen waren.«
Aristoteles (1975, S. 9–10): »ἐξ ὀλίγων τε καὶ πολλάκις ἐλαττόνων ἢ ἐξ ὧν ὁ πρῶτος συλλογισμός: ἐὰν γὰρ ᾖ τι τούτων γνώριμον, οὐδὲ δεῖ λέγειν: αὐτὸς γὰρ τοῦτο προστίθησιν ὁ ἀκροατής« (1357a).
Aristoteles (1975, S. 13): »ὥστ’ ἐξ ἀνάγκης ἂν εἴη τρία γένη τῶν λόγων τῶν ῥητορικῶν, συμβουλευτικόν, δικανικόν, ἐπιδεικτικόν« (1358b).
Das Verhältnis der Familien ist auch aus anderen im Archiv überlieferten Quellen nachvollziehbar. Gelegentlich legt der Verfasser selbst diesbezügliches Material den Briefen an seine Verlobte bei. Siehe Liebesbriefarchiv Koblenz, Konvolut 191, Brief 68, Beilagen.
Liebesbriefarchiv Koblenz, Konvolut 191, Brief 130, S. 1.
Liebesbriefarchiv Koblenz, Konvolut 191, Brief 130, S. 1. Beide Ausdrücke in Anführungszeichen.
Liebesbriefarchiv Koblenz, Konvolut 191, Brief 95, S. 2.
Vgl. mit Bezug auf die unmittelbare Nachkriegszeit Naun (2021, S. 344): »Erinnerlich sind mir die seinerzeit noch strenge Klausur und die Schweigepflicht der Mönche. Damals hieß es noch, dass nur der Abt die Mönche von ihrer Schweigepflicht entbinden konnte, z. B. anlässlich von Arztbesuchen und u. a. auf Reisen. Für die unumgänglich notwendige Kommunikation bedienten sich die Mönche der Zeichensprache.« Vgl. auch Köllen (1994, S. 9) zur Geschichte der Trappisten: »Die Mönche praktizierten das kontemplative Leben innerhalb der Klausur. Um dieses möglichst ungestört durchführen zu können, ist die Einhaltung einer gewissen Schweigepflicht unerläßlich. Das Schweigen soll dabei kein Selbstzweck sein, es soll den menschlichen Geist freihalten für die Eingebungen Gottes.«
The Private Life of Sherlock Holmes, 01:06:38–01:06:45: »You must be one of that orders that’s taken the vow of silence. Trappists, I think you’re called.« Für die historische Kontextualisierung ist bedeutsam, dass dieser Film keine Umsetzung einer Vorlage von Arthur Conan Doyle ist.
Drei Damen vom Grill, 07:18–07:28: »So, so, und Magda leidet also auch darunter, dass Du einem morgens gegenübersitzt wie ein Trappistenmönch in der Schweigezelle.« »Ich war noch nie ein Mönch.« »Aber ein Trappist.« »Jetzt werde nicht ausfallend, ja.« (Eigene hochdeutsche Transkription.).
Drei Damen vom Grill, 08:55–09:02: »Ich liebe Dich nämlich. Jetzt guck doch nicht so. Das stimmt, auch wenn ich morgens manchmal wie ein Trapezmönch wirke.« »Wie was?« (Eigene hochdeutsche Transkription.).
In Vergleichskorpora ließen sich vermutlich weitere Belege finden. Herausforderungen für automatische Verfahren etwa zur Detektion von Inhalten (Topic Modeling) dürften, das sei nur angedeutet, die rhetorischen Gegebenheiten sein.
Liebesbriefarchiv Koblenz, Konvolut 191, Brief 52, S. 3. Grammatische Form im zweiten Ausdruck angepasst.
Liebesbriefarchiv Koblenz, Konvolut 191, Brief 52, S. 3.
Liebesbriefarchiv Koblenz, Konvolut 191, Brief 52, S. 3.
Liebesbriefarchiv Koblenz, Konvolut 191, Brief 52, S. 4.
Liebesbriefarchiv Koblenz, Konvolut 708, Brief 3, S. 2.
Liebesbriefarchiv Koblenz, Konvolut 708, Brief 1, S. 1.
Liebesbriefarchiv Koblenz, Konvolut 191, Brief 52, S. 4.
Liebesbriefarchiv Koblenz, Konvolut 191, Brief 52, S. 4.
Liebesbriefarchiv Koblenz, Konvolut 191, Brief 53, S. 4. Überliefert ist übrigens eine Photographie der Adressatin, die sie mit eher kurzen Haaren zeigt.
Aus Platzgründen wurde diese mögliche Kommentierung in diesem Beitrag nicht ausgeführt.
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Liebesbriefarchiv Koblenz, Konvolut 191, Brief 68, Beilagen.
Liebesbriefarchiv Koblenz, Konvolut 191, Brief 95.
Liebesbriefarchiv Koblenz, Konvolut 708, Brief 1.
Liebesbriefarchiv Koblenz, Konvolut 708, Brief 10.
Liebesbriefarchiv Koblenz, Konvolut 708, Brief 11.
Liebesbriefarchiv Koblenz, Konvolut 708, Brief 12.
Liebesbriefarchiv Koblenz, Konvolut 708, Brief 13.
Liebesbriefarchiv Koblenz, Konvolut 708, Brief 3.
Liebesbriefarchiv Koblenz, Konvolut 708, Brief 6.
Liebesbriefarchiv Koblenz, Konvolut 708, Brief 7.
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Hegel, P. Kleine Spuren der Geschichte. Z Literaturwiss Linguistik 54, 301–318 (2024). https://doi.org/10.1007/s41244-024-00333-6
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