Alles, was populär ist, ist es einmal noch nicht gewesen. Und es ist sehr wahrscheinlich, dass alles, was populär ist, es einmal nicht mehr oder zumindest in weit geringerem Maße sein wird. Zu den Imponderabilien des Populären (Penke 2024, S. 30) gehört neben seiner Unplanbarkeit, der permanenten Konkurrenz gänzlich verschiedener medialer Erzeugnisse und Inhalte die Vorläufigkeit jeder Popularisierung. Popularität ist im Wortsinne prekär. Popularität ist insofern gestundet, als die Beachtungserfolge zu ihrer Aufrechterhaltung wiederholt werden müssen, dies aber auf Dauer unwahrscheinlich und in einem historisch längeren Zeitraum sogar unmöglich ist. Mögen sich die Effekte erfolgreicher Popularisierung akkumulieren und das bereits Populäre dadurch noch populärer machen, dass diese Erfolge als Popularisierung »zweiter Ordnung« (vgl. Döring et al. 2021, S. 11–15) ausgestellt werden, doch gibt es keinen gegenläufigen »Matthäus-Effekt«: Was keine Beachtung findet, wird deswegen nicht noch weniger beachtet, während umgekehrt das Populäre gute Chancen hat, noch populärer zu werden, wie Robert Merton es am Beispiel wissenschaftlicher Publikationen beobachtet hat (Merton 1968). Aber je größer ein Beachtungserfolg zunächst ausfällt, desto deutlicher wird der Abstieg, wenn die Popularität nachlässt. Dies gilt nicht nur für Politiker:innen, deren einst beeindruckende Umfragewerte heute nicht einmal mehr erhoben werden, sondern auch für One-Hit-Wonder, deren Interpret:innen längst vergessen sind, auch wenn man den einstigen Ohrwurm noch wiedererkennt, oder für Buch-Bestseller von gestern, die nicht mehr neu aufgelegt werden und auch nicht mehr gelesen werden – wie zum Beispiel acht von zehn Titeln der Spiegel-Sachbuchbestseller-Liste des Jahres 2012.

Was der Depopularisierung unterliegt, kann nur im Vergleich beobachtet werden. Dies hat sie mit dem Populären gemeinsam, insofern ›populär‹ ein relativer Begriff ist und immer bedeutet: ›populärer als‹ (andere Politiker, Interpreten, Autoren ...). Es geht um mehr oder weniger Beachtung (Hecken 2006, S. 85). Anders als die Popularität, die sich in positiver Abweichung von anderen ähnlichen Artefakten ergibt, wird Depopularisierung diachron als eine negative Differenz zur vormaligen eigenen Popularität feststellbar. Es handelt sich um Phänomene, die ihre einst hohe »Anschlussfähigkeit über die Zeit verloren haben« und allenfalls auf ihre »Wiederentdeckung« hoffen können (Stäheli 2022, S. 125). Der Bestseller eines neugeborenen Stars am Literaturhimmel muss sich nur synchron messen lassen, an anderen mehr oder minder populären Büchern, die algorithmisch nach thematischen Kategorien evaluiert oder in einer Bestsellerliste geführt werden. Der Weg zu den ersten Plätzen der Charts führt immer aufwärts. Anders als diese vergleichende Beachtungsmessung, die Popularität in positiver (synchroner) Abweichung von anderen ähnlichen Artefakten (Songs, Bücher, Stars, Filme, Spiele, Politiker:innen, Kunstwerken etc.) ermittelt, wird Depopularisierung nur als eine negative Differenz zur vormaligen Popularität sichtbar. Depopularisierung erinnert strukturell an jene Anschlusslosigkeit, die Urs Stäheli in seiner Soziologie der Entnetzung untersucht hat: Die »Spuren« des Erfolgs sind noch sichtbar, auch wenn die Phänomene aktuell niemand mehr zur Kenntnis nimmt, weil sie ihre Konnektivität verloren haben (Stäheli 2022, S. 122).

Anders als unbekannte Autor:innen müssen sich gefallene Stars fragen lassen, warum sie und ihr Schaffen nicht mehr die große Beachtung finden wie vorher. Es macht einen großen Unterschied, ob etwas noch nicht oder nicht mehr populär ist. Depopularisierung wäre damit der Popularisierung entgegengesetzt ein quantitativ beobacht˗ und beschreibbarer Prozess abnehmender öffentlicher Beachtung: Einschaltquoten und Klickzahlen nehmen ab, Verkaufszahlen gehen zurück, Nachdrucke und Neuauflagen werden nicht länger unternommen, der (Re‑)Produktionsstrom reißt ab, das Produkt verschwindet vom Markt in die Nischen der Antiquariate, Flohmarkt˗ und Zu˗verschenken˗Kisten, schließlich tritt es irgendwann auch dort nicht mehr in Erscheinung. »Was sich in keiner Weise als anschlussfähig erwiesen hat im Netzwerk der Operationen, zählt nicht zur Realität.« (Werber 2023, S. 217) Das nicht mehr Populäre befindet sich in einem Prozess des Verlustes von Resonanz und Geltung, ihm droht, nicht länger Teil der Realität zu sein.

»Gestern berühmte Leute, wo sind sie heute?« (Heidingsfelder 2012, S. 439), fragt sich nicht nur Markus Heidingsfelder. Ein eigenes Genre der Populärkultur bearbeitet diesen Komplex des Wiedererinnerns. Einige Zeitungen und Zeitschriften (Gala, Stern, Rheinische Post, Schweizer Illustrierte u. a.) haben ein solches Format etabliert, um quasi anlasslos über ehemals prominente Personen des öffentlichen Lebens zu berichten, indem sie fragen »Was macht eigentlich...?« (https://www.stern.de/gesellschaft/was-macht-eigentlich/) Gefallene Stars, vergessene Politiker:innen, einstige Berühmtheiten (Nicki oder die No Angels, David Hasselhoff oder Ulla Schmidt ...) werden kurz porträtiert, immer in Bezug auf ihre einstige Popularität und ihr aktuelles Dasein, nunmehr im Schatten der medialen Aufmerksamkeit.

Dieses Interesse an vergangener Popularität richtet sich nicht nur auf Personen, sondern auf kulturelle Artefakte allgemein. Ein serielles Format wie Die ultimative Chartshow (RTL) hat dieses Prinzip zum Programm gemacht und zeigt die »Die erfolgreichsten One-Hit-Wonder« oder »Die erfolgreichsten Love Songs der 80er Jahre«, was sich ebenso anlasslos und beliebig oft variieren lässt. Bereits Walter Benjamin hat sich in seinem Hörspiel Was die Deutschen lasen während ihre Klassiker schrieben (Benjamin 1932) an die vergessenen Autor:innen des 18. und 19. Jahrhunderts erinnert, die tatsächlich populär waren, als nur wenige den künftigen Klassikern Beachtung geschenkt haben. Dass sich dieses wiederum schnell änderte (vgl. Korte 2007), verdankt sich der erfolgreichen Popularisierung der ›Klassiker‹ als bedeutendster Teil des Kanons der deutschen Literatur durch Schulen, Universitäten, Theater und anderen Einrichtungen der »Popularisierung erster Ordnung« (Döring et al. 2021, S. 12 f), die dafür gesorgt haben, dass auch Beachtung fand, was von vielen beachtet werden sollte.

Von Popularisierung profitieren also primär jene kulturellen Erzeugnisse, die auch von Depopularisierung am stärksten bedroht sind: alle, die ohne die mit Kanonisierung verbundenen Sicherungssysteme (Schulen, Universitäten, Museen, Bibliotheken und Archive) auskommen müssen und ihre Wertigkeit nach Logiken des Marktes zugewiesen bekommen. Rudolf Helmstetter hat für die Populärkultur den Begriff der »ungepflegten Semantik« (Helmstetter 2007, S. 44) geprägt, der sich weiterführen lässt. »Pflege« im Sinne eines institutionalisierten Bemühens um die Bewahrung und Tradierung zentraler »Bedeutungskomplexe und Sinnkonserven der Gesellschaft« spiele, so Helmstetter, in den »modernen Massenmedien« – wie auch in den sozialen Medien, ließe sich ergänzen – kaum eine Rolle. Stattdessen werde »flächendeckend ›ungepflegte‹ und pflegeleichte Semantik ausgestrahlt« (Helmstetter 2007, S. 58), die sich irgendwann ›versendet‹ hat und verschwindet. Institutionen hingegen tragen Sorge für das, was sie als wertvoll erkannt haben, und pflegen ihre Zuständigkeitsbereiche (Denkmalpflege) nicht vollkommen unabhängig von Beachtungserfolgen, aber nicht primär nach ihrer Maßgabe. Nach Marktlogiken operierende Systeme scheiden aus, was nicht mehr nachgefragt wird, ohne dies durch Eingriffe aufzuhalten oder zu korrigieren.

Popularität besitzt keine Persistenzgarantie. Damit steht sie im Unterschied zu einigen Konzeptionen des Kanons, der mit der Selektion bestimmter Texte, Musikstücke oder Verfasser:innen kulturelle Wertigkeit und ihre Gültigkeit auf Dauer stellen will. Diese Priorisierung des Kanons richtet sich auf relativ wenige Artefakte einer Kultur (Literatur, Musik, bildende Kunst, Film u. a.), während sehr viele andere in weniger wertigen Kategorien (Mittelfeld, zweite Liga) verortet werden. Kanonselektion mit der Entscheidung für bestimmte Artefakte, trägt aktiv zur Depopularisierung anderer bei. Nachvollziehbar wird dies u. a. an der historisch weit zurückreichenden Depriorisierung von Autorinnen, die gegenüber ihren männlichen Kollegen häufig (aktiv) ›vergessen‹ worden sind (vgl. Seifert 2021; Wernli 2023). Ein Vorhaben, diesem Vergessensein durch Re-Popularisierung entgegenzuarbeiten stellt Nicole Seiferts mit Magda Birkmann herausgegebene Buchreihe rororo Entdeckungen (im Rowohlt-Verlag) dar; ähnliche Ambitionen verfolgt der Wiener Verleger Albert C. Eibl mit Das vergessene Buch. Kanonisierung, die »zeitlose Klassiker« zu einem dauernden Bestand erheben will, stellt einen Ewigkeitsanspruch, der nur durch bewusste Gegenmaßnahmen zurückgenommen und dekonstruiert werden kann. Dekanonisierung ist daher (wie auch die Kanonisierung) immer ein intentionaler Prozess, der auf die Depriorisierung kultureller Artefakte zu Gunsten anderer zielt. Um den einen wie den anderen Vorgang erfolgreich werden lassen, sind einflussreiche (Macht‑)Positionen notwendig. Ein Ministerium oder eine Landesschulbehörde sind mit weitreichenden normgebenden Befugnissen ausgestattet, mit denen sich Artefakte kanonisieren oder dekanonisieren lassen. Auch prominente Literaturkritiker oder Literaturwissenschaftsprofessorinnen haben in diesen Prozesse Gewicht; die Masse der Stimmen aber entscheidet nicht. Im Falle der Depopularisierung dagegen sind die Entscheidungen, etwas nicht mehr zu hören, zu lesen, zu streamen, zu kaufen oder anzuschauen, ausschlaggebend. Es ist ein Fall der »Popularisierung zweiter Ordnung« (Döring et al. 2021, S. 13–15), nur dass die Beachtung für etwas oder jemanden nicht steigt, sondern fällt.

Die Forschung zum Populären konzentriert sich in aller Regel auf Phänomene, die bereits viel Beachtung finden bzw. zu einem bestimmbaren historischen Zeitpunkt gefunden haben (Populärkultur). Man interessiert sich für die Bedingungen der Popularisierung und die Effekte der vergleichenden Beachtungsmessung (Charts, Hitlisten, Rankings) und vollzieht die Strategien und Prozesse dieser erfolgreichen Popularisierungen nach. Obwohl es zum Charakter von Charts und Bestsellerlisten gehört, dass Artefakte oder Personen, die äußerst populär sind und die Rankings anführen, dies nicht für alle Zeiten tun, sondern von anderen Phänomenen (etwa Stars, Prominente, Songs, Bücher, Filme, Urlaubsorte ...) abgelöst werden, wird kaum danach gefragt, was aus ihnen wird, wenn sie ihre Spitzenstellung verlieren.

Dies kann mehrere Gründe haben. Zunächst wird dem mehr Relevanz zugemessen, was aktuell für viele Menschen Bedeutung besitzt. Denn für das Populäre gilt, wie Matthias Schaffrick über die Bestseller-Liste schreibt: »was besonders viele beachten, steht ganz oben auf der Liste« (Schaffrick 2018, S. 73). Bestsellerlisten sind zugleich »Maßstab« und »Bedingung von Popularität«, da sie das, was sie »zu messen versprechen […] selbst erst hervor[bringen]« (Schaffrick 2018, S. 83). Sie »präsentieren das literarische Feld als Liste« und »reduzieren komplexe Zusammenhänge auf eine epistemologisch leicht nachvollziehbare Ordnung« (Schaffrick 2018, S. 82, Kursivierung im Original), aber stets nur in aktualistischer Weise und unter radikaler Ausblendung des allergrößten Teil des literarischen Feldes: wenig oder gar nicht verkaufte Bücher tauchen in dieser Liste nicht auf, unabhängig davon, ob sie nur knapp außerhalb (als Nr. 21 einer 20er-Liste) oder ohne jede Bepunktung jenseits der Platzierbarkeit. Diese Bücher werden zwar auch irgendwo statistisch erfasst, ihre Zahlenwerte aber nicht öffentlich ausgestellt. Sie finden so weitaus weniger Beachtung, und die Wahrscheinlichkeit, rezipiert zu werden, ist entsprechend geringer als bei jenen Werken, deren Verkaufszahlen die Schwelle nehmen, die sie in die Bestsellerlisten katapultiert.

Es gibt eine Reihe von »Bestseller«-Stickern, die in den Buchhandlungen auf vordere Listenplätze hinweisen, aber keine Pendants, die am anderen Ende der Verkaufsrangliste um Mitleidskäufe buhlen. Wenn sich Popularität also über Listen generieren, ausstellen und objektiv sehen lässt, erschwert dies die Beobachtung des nicht mehr Populären, das folglich auch weniger deutlich zu bestimmen ist. Depopularisierung könnte sich zwar zunächst als Abstieg innerhalb der Ordnung einer Liste (von Platz 1 auf 3, von 3 auf 12 usw.) beschreiben lassen, aber das Ausscheiden aus einer solchen listenförmigen Darstellung eröffnet praktische Probleme. Was nicht mehr in der Liste positioniert wird, ist nicht automatisch im Bereich des Nicht-mehr-Populären gelandet, denn einerseits werden (aufgrund der Insistenz von Schule und Universitäten) vielverkaufte Titel von Goethe und Schiller nicht gelistet, ohne dass dies mit ihrem Verschwinden oder Vergessen verbunden wäre.

Auch eine Enttarnung kann Depopularisierungsgrund werden, wenn der Skandal nicht als popularitätssteigerndes Ereignis wirkt. Die zeitweilig viel beachteten und verkauften Gedicht- und Briefbände (u. a. Ich schreibe mein Herz in den Staub der Straße, 1952), die unter dem George Forestier im Diederichs-Verlag erschienen, sind ein entsprechendes Beispiel. Nach der Entlarvung als Fälschung hat die Beachtung für die Forestier-Ausgaben so stark nachgelassen, dass die Gedichte als unbekannt gelten dürfen (Werber/Stöckmann 1997).

Es lässt sich also nach den Gründen und Bedingungen für Depopularisierungvorgänge fragen. Diese liegen zum einen in der Rolle der Massenmedien begründet. Wenn es nämlich ihre Aufgabe ist, »Voraussetzungen für weitere Kommunikation zu schaffen, die nicht eigens mitkommuniziert werden müssen«, dann impliziert dies für den Aufrechterhalt von Beachtung einige Probleme. Denn wenn dies »für aktuelles Informiertsein wie für aktuelles Kultiviertsein, was Urteile über Werte, Lebensformen, Mode und Nicht-mehr-Mode« (Luhmann 1996, S. 120) gilt, dann folgt daraus, dass Nicht-Populäres nicht mehr nur nicht beachtet wird, sondern geradezu aus der gemeinsamen, kommunikativ erzeugten Welt verschwindet.

Depopularisierung kann sich sowohl auf die Produzierenden (Verlage und Produktionsfirmen ebenso wie Autor:innen) wie auf Produkte – das Buch, das niemand mehr liest – beziehen. Sie trifft auch äußerst auflagenstarke, weitverbreitete und vielbeachtete Romane, die aus der kulturellen Reproduktion der Gesellschaft nahezu verschwunden sind und nur unter sehr unwahrscheinlichen Bedingungen, etwa der universitären Forschung, beachtet werden. Wer kennt oder liest heute noch Agnes Vollmars Das Pfarrhaus im Harz (erstmals 1865, vierunddreißig Auflagen bis 1930, zahlreiche Übersetzungen ins Englische, Schwedische und Isländische), Eufemia von Adlersfeld-Ballestrems Die weißen Rosen von Ravensberg (erstmals 1896, über 80 Auflagen und zweimal verfilmt) oder Felicitas Roses Heideschulmeister Uwe Karsten (erstmals 1909; über 500.000 verkaufte Exemplare, zweifach verfilmt)? Äußerst wenige (bei Vollmar und Rose sind es null) Ratings bei mehreren Ausgaben auf Goodreads deuten darauf hin, dass es nur noch äußerst wenige sein werden. Auch die jüngere Vergangenheit kennt stark depopularisierten Autor:innen und Romane. Heinz G. Konsalik, Utta Danella, Johannes Mario Simmel – ihre Bücher wurden vor Jahrzehnten millionenfach gekauft, gelesen, verfilmt und (wenn auch nicht selten abfällig) öffentlich thematisiert. Heute füllen diese Bücher die Flohmarkt- und Zu-verschenken-Kisten, die Tauschregale und Kilowaren-Angebote des Antiquariatsbuchhandels. Auch dies ließe sich quantitativ vermessen, um dann im Vergleich jenes Buch herausfinden, das am häufigsten nicht mehr gelesen wird (und in eine entsprechende Liste mit vielen anderen einsortieren). Zur Zeit scheint es solche Rankings am unteren Ende der Beachtungsskala noch nicht zu geben – und den oben genannten Illustrierten und Shows genügt der dramatische Abstand zwischen einstiger und aktueller Popularität.

»Populär wird, was populär war.« (Werber 2024, S. 9) Dies mag stimmen, jedenfalls für die vielen Fälle, in denen das von vielen beachtet wird, was bereits populär war – und das nächste Album von Taylor Swift auch ein Erfolg, der nächste Roman von Daniel Kehlmann auch ein Bestseller, das Barbie-Sequel auch ein Blockbuster und die nächste Parteigründung von Sahra Wagenknecht auch zu vielen Interview-Einladungen führen wird. All dies ließe sich unter dem Stichwort »Matthäus-Effekt« (Merton 1968) subsumieren. Aber wie wird denn wieder populär, was früher einmal populär war? Wo Marktinteressen aktiv sind oder die individuelle Existenz von hinreichender Popularität abhängt, geht es mutmaßlich darum, die vormalige Popularität zu reproduzieren, um mit dieser höhere Verkaufserfolge, neue Werbeverträge oder TV-Auftritte erreichen zu können. Zum Erfolg führt dies nicht allzu häufig. Es scheint sich bei den Artefakten oder Personen, die nicht mehr populär sind, um andere Phänomene zu handeln als jenen, die nie populär gewesen sind. Nach gescheiterten Popularisierungsversuchen und unbestätigten Popularitätsansprüchen ließe sich jedenfalls genauso fragen wie nach den Gründen für das Ausbleiben von Beachtung trotz großer Bemühungen.

Manche Formate scheinen sich auf diese Konjunkturen eingestellt zu haben: Die Serie als Erzähl- und Produktionsverfahren ist auf diese prekäre Lage ausgerichtet. Das Format Serie kann nicht nur mit den Publikumserwartungen spielen, es kann auch relativ flexibel auf Erfolg wie Misserfolg reagieren. Eine Serie kann sich, so Frank Kelleter »anders als ein abgeschlossenes Werk, im Lauf der Erzählung auf die eigene Rezeption einstellen« (Kelleter 2012, S. 24), demnach auch auf die eigene Popularitätskonjunktur. Nur Serien, die von vielen beachtet werden (und hinreichend positiv evaluiert werden), können längerfristig fortgesetzt werden, während nicht ausreichend populäre Serien abgesetzt werden. Die zahlreichen Serien, die allein auf Netflix (1899, Heels, Vikings: Valhalla u. v. a.) Jahr für Jahr nach einer oder zwei Staffeln eingestellt werden, belegen dies. Serien rechnen mit dem Verlust ihrer Popularität und bewirtschaften die Temporalität des Populären. Bei steigender Beachtung gibt es noch eine Staffel, bei fallenden Quoten wird sie abgesetzt.

Als ein Beispiel für ein erfolgreiches Repopularisierungsunternehmen wäre die Sammlung Insel zu nennen, die »zu Unrecht vergessene Texte« neu auflegte und diesen zu abermaliger Beachtung verhelfen sollte. Repopularisierung vollzieht sich aber auch zufällig, etwa durch einen Medienwechsel, wenn plattformspezifisch designte Zitate auf Instagram im Kontext der sogenannten Instapoetry unerwartet große Beachtung erfahren (vgl. Penke 2022, S. 33–34). Speichermedien spielen in diesem Zusammenhang eine Rolle: Bücher im Regal, ein Band-Shirt oder das Poster an der Wand verschwinden nicht so schnell wie das vielgeklickte Instagram-Reel aus der Vorwoche oder eine Serie, die der Plattformbetreiber überraschend aus dem Angebot nimmt. Doch auch über einen längeren Zeitraum stellen Verbreitung und hohe Auflagenzahlen keine Garantien für fortwährende Beachtung dar. Sie fungieren zwar als Popularitätsindikatoren, aber auch diese verlieren nach Jahren, Jahrzehnten und Jahrhunderten ihre (indexikalische) Funktion.

Dies lässt sich dort erkennen, wo es zu semantischen Neucodierungen kommt. Philipp Felsch und Frank Witzel schreiben in ihrem Buch BRD Noir über eine »vor Kurzem« noch »größte Tennisanlage der alten Republik in Keferloh bei München«. Diese siebzig Plätze umfassende Anlage wurde »auf dem Höhepunkt des Becker-Booms gebaut«, war »in ihren besseren Tagen eines Eintrags im Guinness Buch der Rekorde würdig«, doch heute sind die Courts »verfallen und mit moosigen Plastikplanen abgedeckt« (Felsch/Witzel 2016, S. 10). Der große Tennisboom ist zweifellos vorbei, auch die Erfolge der letzten Jahre durch Angelique Kerber und Alexander Zverev können daran nichts ändern, dass Tennis nicht mehr in derselben Weise boomt wie zum Ende der 1980er Jahre (und weder dieselbe Förderung noch Sendezeit im Fernsehen bekommt wie einstmals). Die verfallene Anlage interessiert Felsch und Wetzel aber nicht primär als Symbol der Depopularisierung, sondern die »von Unkraut überwachsene, mit Planen abgedeckte Ruine« ist für die Autoren »genau aus diesem Grund« als Verfallsphänomenen ästhetisch interessant – sie gebe einen »idealen Gegenstand für eine stylische Fotoreportage ab« (Felsch/Witzel 2016, S. 105). Dabei geht es aber nicht mehr um Tennis, sondern eine Ruinenromantik, den ästhetisch reizvollen Verfall der alten BRD (als BRD noir) und ihrer Insignien – durchaus passend zum zwischenzeitlichen Absturz des einstigen Helden Boris Becker, der allerdings seine Popularität trotz/durch Verurteilung und Gefängnishaft erhalten bzw. erneut steigern konnte. Gerade der Abstieg des Stars selbst wird zu einem populären Format, man denke nur an das Dschungelcamp. Das »Abgründige« (Felsch/Witzel 2016, S. 105) der besagten Tennnisanlage stecke unter den Planen. Die Tennisanlage sei daher als unspezifischer Lost Place attraktiv und wird als Beispiel einer populären Kategorie (siehe Youtube, Instagram) und der abenteuerlichen Praxis des Urbexings verarbeitet. Dass es sich dabei in diesem Fall um Tenniscourts handelt, ist in diesem Kontext unbedeutend, es könnte auch ein anderer verlassener Sportpark sein, der ähnlich schöne und morbide Fotos zulässt.

Wenn populäre Gegenstände Alltagskommunikation dadurch erleichtern, dass die Wahrscheinlichkeit von Anspielungen und Vergleichen, verstanden zu werden, steigt, dann erhöht Depopularisierung die Wahrscheinlichkeit von Kommunikationsstörungen. Generationell verschiedene Vorlieben und damit verbundene Popularitätsordnungen können der Grund dafür sein. Was die Eltern noch für populär halten, ist ihren Kindern oft vollkommen unbekannt – et vice versa. Die Figur Winnetou wäre ein solcher Fall anachronistischer Popularität. Welche Effekte diese asynchrone Depopularisierung durch den Bezug auf verschiedene historische Markierungen der Popularität zeitigen kann, hat Yasmina Reza in ihrem Stück der Gott des Gemetzels thematisiert:

»Véronique: Hast du gewusst, dass Bruno eine Bande hat?

Michel: Nein. Das freut mich wahnsinnig.

Véronique: Warum freut dich das wahnsinnig?

Michel: Weil ich auch Anführer einer Bande war.

Alain: Ich auch.

Véronique: Was bedeutet das?

Michel: Da gibt’s fünf, sechs Jungs, die dich mögen und bereit sind, alles für dich zu tun. Wie in Ivanhoe.

Alain: Ja genau, wie in Ivanhoe!

Véronique: Wer kennt heute noch Ivanhoe?

Alain: Die nehmen einen anderen. Spiderman.« (Reza 2006, S. 32)

Die Figuren in Rezas Kammerspiel sind »alle zwischen 40 und 50 Jahren alt« – ausgehend vom Erscheinen des Stücks (2006) wären sie zwischen Mitte der 1950er und Mitte der 1960er Jahre geboren, ihre Kinder sind beide Jahrgang 1995. Die Ersetzung geht nicht auf, Spider-Man ist nicht in allen Marvel-Erzählungen Teil einer Gruppe, den Avengers gehört er nur sporadisch an. Der nicht mehr treffende Vergleich erschwert die Kommunikation, man missversteht sich und das Gespräch nimmt eine andere Richtung.

Das vorliegende Themenheft der LiLi möchte dazu beitragen, das Phänomen der Depopularisierung etwas besser zu verstehen. Zum Themenschwerpunkt dieses Heftes trägt Matthias Schaffrick bei, dessen Aufsatz Christian August Vulpius’ Rinaldo Rinaldini (1799) behandelt, den Bestseller um 1800 und paradigmatisches Beispiel für das populäre Genre des Räuberromans. Neben der (bereits metareflexiven) Erfolgsgeschichte ist auch die Depopularisierungsgeschichte des Romans interessant, die Schaffrick als einen Fall versteht, bei dem sich Depopularisierung »erster« und »zweiter Ordnung« verschränken. Niels Penke beschäftigt sich in seinem Beitrag mit der Harzer Sagenfigur König Hübich, die im 19. Jahrhundert große Beachtung durch Jacob Grimm und die frühe Germanistik gefunden hat, weil sie für einen Avatar Wotans gehalten wurde. Als diese mythologische Interpretation Hübichs als nicht gedecktes Wunschdenken aufgeklärt wird, geht dieser um 1900 als ›niedlicher‹ Zwerg in zahlreiche Epen, Novellen, Theaterstücke und Postkartendarstellungen ein. Doch selbst auflagenstarke Heftchen verhindern nicht, dass Hübich zur allein noch regional bekannten Figur gerät. Maren Lickhardt verfolgt Georg Ebers’ Popularitätsgeschichte, der als Verfasser historischer Romane über das alte Ägypten zunächst große Erfolge feiert und auch zur Etablierung der Ägyptologie in Deutschland beiträgt. Ebers allerdings gerät als literarischer Autor in Vergessenheit, als Ägyptologe wird er im Zuge der fortschreitenden Ausdifferenzierung und Spezialisierung des Faches als dessen »populäre Außenseite« ›abgeschnitten‹ – er erfährt damit eine zweifache Entpopularisierung.

Bastian Dewenter zeigt am Beispiel von Gabriele Reuters Aus guter Familie (1895), wie ein äußerst populärer, viel gelesener und für wichtig erachteter Roman in kurzer Zeit zum Verschwinden gebracht wird – gesellschaftlicher Wandel, veränderte Publikumserwartungen und Geschmäcker, vor allem aber eine explizite Nicht-Kanonisierung haben dazu geführt, dass Reuters Familie bereits nach einer Generation in Vergessenheit geriet. Niels Werber und Michael Multhammer unterziehen in ihrem Beitrag einen Zeitungsbeitrag einer Relektüre, den Eduard Reyer 1892 unter dem Titel »Was das Volk liest« publiziert hat. Reyer entwirft in diesem Aufsatz eine Theorie des Populären, die auf der empirischen Beobachtung der quantitativen Verteilung von Beachtung aufbaut und die Zeitdimension dieser Verteilung reflektiert – mit Blick auf Prozesse der Popularisierung und Depopularisierung. Carolin Amlinger nimmt Ökonomien vergangener Popularität auf dem deutschen Buchmarkt in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in den Blick, indem sie »Ramschmärkte« und Restebuchhandel untersucht. Amlinger deutet die Praktiken des Restebuchhandelns als Versuche der Repopularisierung, als wiederholte oder auch erstmalige »Inwertsetzung von Werken«. Amlinger kommt zu dem Schluss, dass es mit dieser Form des Handels mit vergangener Popularität zu Ende zu gehen scheint, weil mittlerweile andere Plattformen (Amazon, Momox, eBay) dieses Segment erfolgreich bewirtschaften (lassen).