1 Einleitung

Die industrielle Massenproduktion von Büchern ging in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit der Anhäufung von rasch alternden Schriften einher (Neumann 2001, S. 176 f.). Der moderne Buchmarkt schuf die Bedingungen dafür, dass Bücher von vielen beachtet werden konnten, gleichzeitig erzeugte er ihren Verfall. Die »Blütezeit des Verlagswesens« war bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 von einer enormen Titelexpansion begleitet: Während im Jahr der Reichsgründung 1870 insgesamt 10.108 Buchtitel verlegt wurden, markierte das letzte Jahr vor dem Kriegsausbruch mit 35.078 Buchtiteln den Höhepunkt einer expansiven Wachstumsdynamik (Kastner 2003, S. 300). Die explosiven Gründerjahre zeitigten jedoch recht bald krisenhafte Begleiterscheinungen, denn der noch weitestgehend unreglementierte Markt setzte eine strukturelle Überproduktion an Buchtiteln frei, die trotz der Alphabetisierung mittelständischer Bevölkerungsschichten kaum eine Abnahme finden konnten. Wohin mit all den gedruckten Titeln?

Versuchte man in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Bücher noch durch »Schleuderei«, d. h. einer breiten Welle hoher Rabatte, unter die Käuferschaft zu bringen, bildeten sich im Kaiserreich neben ersten Regulierungen wie eine allgemeingültige Ladenpreisbindung durch die Krönersche Reform 1888 (Titel 2010, S. 30 f.) Nebenmärkte aus, die mit dem wachsenden Berg nicht gekaufter Literatur handelten. Der Bonner Buchhändler Emil Strauß gründete in den 1880er Jahren das erste moderne Großantiquariat und entwarf die 1888 verabschiedete »Ordnung für das moderne Antiquariat«, die den »Restebuchhandel« als seriösen Wirtschaftszweig etablierte (Klein 1977, S. 291). Es ist kein Zufall, dass sich zeitgleich mit dem buchhändlerischen Usancenkodex, der die expansive Dynamik des Buchmarktes eingrenzen sollte, ein zweiter Markt institutionalisierte, der mit den Nebenfolgen des Wachstums handelte.

Auch heute finden sich noch zahlreiche Titel auf dem Buchmarkt, die keine Käuferschaft finden. Die Überproduktion von Buchtiteln ist kein historisches Phänomen, sondern eine strukturelle Begleiterscheinung eines Wirtschaftszweigs, der über »Novitäten« organisiert ist. Zwei Mal im Jahr, im Frühjahr zur Leipziger, im Herbst zur Frankfurter Buchmesse, stellen die Verlage in ihren Programmvorschauen dem Buchhandel ihre Neuerscheinungen vor. Kaum ist ein Buch erschienen, ist es schon wieder veraltet. Neben zahllosen Buchtiteln, die nie hohe Verkaufszahlen generieren konnten, gibt es darum ebenso viele Buchtitel, die für kurze Zeit von Vielen gekauft werden, aber schnell wieder in Vergessenheit geraten. Nur der verblasste Spiegel-Bestseller-Aufkleber auf dem Buchcover erinnert noch daran, dass das Buch einst von vielen gekauft wurde. Man könnte die Wirtschaftsdynamik des modernen Verlagswesens auch in anderen Worten formulieren: sie produziert strukturell vergangene Popularität. Was viel Beachtung findet, gerät paradoxerweise schnell in Vergessenheit. Das Bemühen, Popularität zu generieren, geht auf dem Buchmarkt systematisch einher mit Prozessen der Depopularisierung. An diese Ausgangsbeobachtung anschließend rekonstruiert der Beitrag die Ökonomien vergangener Popularität auf dem deutschen Buchmarkt in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Auf dem konzentrierten Buchmarkt der 1970er Jahre bildeten sich erstmals breitenwirksam institutionalisierte »Ramschmärkte« (Meyer-Dohm 1974, S. 437) aus, die mit ehemals populären Titeln gewinnbringend wirtschafteten. Als Emil Strauß gegen Ende des 19. Jahrhunderts das erste Moderne Antiquariat in Deutschland gründete, konnte er noch nicht ahnen, dass sein unternehmerisches Geschick im Umgang mit Remittenden weniger als hundert Jahre später eine fest institutionalisierte Wirtschaftspraxis werden sollte. Denn marktregulierende Eingriffe können die expansive Marktdynamik nicht gänzlich außer Kraft setzten. Stattdessen bilden sich Nebenmärkte aus, die den inhärenten Drang nach Akkumulation von Beachtung kompensieren. Dabei ist das »House of Dead Books«, wie das Moderne Antiquariat bezeichnenderweise umgangssprachlich in England genannt wurde, nicht nur eine ökonomische Umgangsform mit ehemals populären Titeln. Vielmehr, so die These dieses Beitrags, zieht die Depopularisierung von Buchtiteln unterschiedliche Praktiken der Repopularisierung nach sich. Repopularisierung meint an dieser Stelle, dass die Inwertsetzung von Werken entweder an vergangene Erfolge anknüpfen oder neue Popularisierungsressourcen entwickelt, um neue Beachtungserfolge zu erzeugen. Die »Dead Books« sollen wieder auferstehen.

2 Ökonomie der Popularität: Depopularisierung als Marktnebenfolge

Der Buchmarkt zeichnet sich wie alle ästhetischen Märkte durch eine eigene Ökonomie aus, unter der literarische Werke in modern-kapitalistischen Gesellschaften hergestellt werden: Ästhetische Märkte sind »kontingente Märkte« (Amlinger 2021, S. 144). Die Tendenz des Buchmarkts zur Überproduktion ist Ausdruck einer strukturellen Marktungewissheit, denn der ökonomische Erfolg eines ästhetischen Werks ist nur schwer planbar. Die Ungewissheit wirtschaftlichen Handelns kann man mit Frank H. Knight (1921) nochmals in ein messbares Risiko (risk) und eine unkalkulierbare Unsicherheit (fundamental uncertainty) differenzieren. Die unternehmerischen Praktiken auf dem Buchmarkt basieren dementsprechend darauf, mithilfe der Investition unterschiedlicher Ressourcen die Unsicherheit von Buchwaren in ein kalkulierbares Risiko zu transformieren. Intensiviert wurden Praktiken der Risikokalkulation in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, da nun neue Mittel bereitstanden, um Popularität zu beobachten und zu messen. Folgenreich für das wirtschaftliche Gefüge von Literatur war der wöchentliche Abdruck der Bestsellerliste im Spiegel, die zum ersten Mal am 5. September 1962 in der bis heute beibehaltenen Aufmachung erschien. Die vom Institut für Demoskopie Allensbach wöchentlich erstellte Liste derjenigen Titel, die in der vorangegangenen Woche am häufigsten verkauft wurden, ist ein entscheidender Indikator für Veränderungen in der verlegerischen Programmplanung.

Denn mit ihrem Abdruck im Spiegel wurde die »skalierbare Differenz zwischen dem Nicht-Beachteten und dem Populären« (vgl. Döring et al. 2021, S. 5) für alle, nicht nur für den Buchhandel, sichtbar. Zwar wurde Literatur bereits im 18. Jahrhundert mithilfe von Dichterskalen über numerische Verfahren evaluiert, aber meist wurden Autoren von der Literaturkritik über qualitative Kriterien in einer Rangliste hierarchisiert (Spoerhase 2014). Der Sortierungsmechanismus der Bestsellerliste ist hingegen quantitativ, er misst Literatur nach Maßstäben der Popularität. Rudolf Augstein führte die Bestsellerlisten im Spiegel als »Wahlergebnisse demokratischer Abstimmung« ein, denn »mit einem Blick ist zu sehen, was den meisten gefällt, so daß jedermann sich anschließen mag« (Augstein 1961, S. 22). Nicht länger war es ein Experte, der über ein metrisches Werturteil Dichter in ein Rangsystem mit klar definierten Abständen überführt, sondern die Kaufentscheidungen des Lesepublikums, die statistisch erhoben wurden, um Bücher ordinal zu skalieren. Sichtbar sind in der Bestsellerliste nicht graduelle Abstufungen, ein mehr oder weniger, sondern eine Rangfolge des Erfolgs, in der weder die Verkaufszahlen noch deren Abstände sichtbar sind (vgl. Fourcade 2022). Jede Listenplatzierung verändert die Wahrnehmung und den Status eines Werks. Aber insbesondere die Spiegel-Bestsellerliste entwickelte sich in den Folgejahren zu einem »faktischen Paratext«, der laut Matthias Schaffrick gleichzeitig als »Verfahren« und als »Bedingung der Ermöglichung von Popularität« interpretiert werden kann (Schaffrick 2018, S. 73).Footnote 1 Die Liste erzeugt über die Messung von Beachtung (in den Worten Augsteins: »was den meisten gefällt«) weitere Beachtungserfolge (»so daß jedermann sich anschließen mag«). Die bereits erreichte Popularität generiert weitere Akkumulationseffekte, ein langfristiger Bucherfolg wird bei einer vorderen Platzierung ebenso wahrscheinlicher wie der über das Buch hinausgehende Erfolg der Autor:in.Footnote 2

Der Bestseller war in den 1960er Jahren darum gleichzeitig das Resultat einer Neuausrichtung der verlegerischen Risikokalkulation: ein Buch sollte sich nach einem »strategischen Konzept« (Schnell 1986, S. 26) auf dem Buchmarkt durchsetzen, um hohe Erfolge zu erwirtschaften. Die Planung von Popularität sollte die Erfolgsungewissheit minimieren. Das Manuskript wurde auf ein ausgewogenes Verhältnis von literarischem Trend und Originalität hin optimiert, die Autor:in mitsamt ihrer Biografie inszeniert, das Medium Buch zielgruppengerecht und plakativ gestaltet, mit einem angemessenen Preis versehen, anschließend innerhalb des Verlagsprogramms und des Konkurrenzumfeldes richtig platziert und zu einem optimalen Zeitpunkt veröffentlicht, um schließlich eine innovative, auf das Buch zugeschnittene Werbekampagne und Pressearbeit zu lancieren (Amlinger 2021, S. 183–184). Dies veranschaulicht, dass ökonomische Entscheidungen auf dem ungewissen Buchmarkt auf fiktiven Erwartungen beruhen: Die am Buch beteiligten Akteure handeln so, als ob sich die Zukunft gemäß den eigenen Zielvorgaben entwickeln würde (Beckert 2018). Gerade weil ein Buch kontingenten Marktdynamiken unterliegt, müssen alle Akteure so tun, als ob das Buch Erfolg hat, damit es letztlich den Erfolg haben wird. Denn war ein Buch einmal auf der Bestsellerliste, konnte sich der Beachtungserfolg nochmals steigern. Das ökonomische Prinzip des Bestellers – »Erfolg macht Erfolg« (Zimmer 1971, S. 112) – erzeugte allerdings als unmittelbare Nebenfolge eine beschleunigte Depopularisierung des Erfolgreichen.

Dies lag an dem Umstand, dass die strategische Risikominimierung mit einem hohen Risiko einherging. Verlage boten auf ein von einer literarischen Agentur angebotenes Manuskript, das sie, wie die Mitbieter und deren gebotene Summe, in den meisten Fällen nicht kannten. Die fiktiven Zukunftserwartungen wurden in hohe Investitionen übersetzt, da derjenige Verlag den Zuschlag erhielt, »der das höchste Angebot macht und die besten Konditionen bietet« (Göbel 2000, S. 171). Um das Erfolgspotenzial teuer eingekaufter Titel zu realisieren, wurden anschließend für das Buchmarketing große Summen investiert (vgl. Reuchlein 2010). Die programmplanerische Orientierung auf die Frontlist ging in vielen Fällen mit einer Vernachlässigung der Midlist und Backlist einher. Der damalige Werbeleiter des S. Fischer Verlages, Jens-Peter Krüger, formulierte die verlegerische Erfolgskonzentration 1971 wie folgt: »Wir werden noch genauer auf die Titel setzen, von denen wir uns etwas versprechen, d. h. wir werden die Umsatzbringer mit der richtigen ›Power‹ in den richtigen Medien bewerben. Das Gießkannen-Prinzip gilt nicht mehr.« (zit. nach Tielebier-Langenscheidt 1983, S. 305). Statt das Risiko auf viele Titel zu verteilen, richtete es sich auf wenige erfolgsversprechende Titel innerhalb eines Umschlagszyklus auf dem Buchmarkt.Footnote 3 Erfolgstitel dominierten die rapide ansteigende Titelproduktion, verdrängten die übrigen Titel und setzten dadurch strukturell Prozesse der Depopularisierung in Gang. Mit der wachsenden Konzentration auf Beachtungserfolge nimmt auch die Wahrscheinlichkeit des raschen Beachtungsverlustes zu, da sich mit ihnen die temporale Struktur der Inwertsetzung von Buchtiteln auf dem Buchmarkt verschiebt.

3 Temporale Inwertsetzung: Popularisierung und Kanonisierung

Dass Depopularisierung zu einer Nebenfolge der Beachtungslogik des Buchmarkts wird, hängt mit der Inwertsetzung der besonderen Warenform Buch zusammen. Luc Boltanski und Arnaud Esquerre legen in ihrer Studie Bereicherung (2018) dar, dass der Wert kein den Dingen ein für alle Mal anhaftende Eigenschaft ist, sondern in Diskursen auf dem Markt verhandelt wird. Die Strukturierung der Ware ist daran gebunden, wie wir über sie sprechen. Über die Pluralität des Sprechens über Waren entstehen verschiedene »Inwertsetzungsformen«, die es ermöglichen, »die Dinge mit den Perspektiven zu verknüpfen, aus denen sie betrachtet werden sollen, um richtig bewertet zu werden« (Boltanski/Esquerre 2019, S. 150). Dies lässt sich insbesondere bei Büchern beobachten, die je nach Standort der Beurteilung unterschiedlichen »narrativen Präsentation[en]« (Boltanski/Esquerre 2019, S. 151) der Wertsetzung unterliegen, mit denen ihr kommerzielles Potenzial eingeschätzt wird. Bücher, die sich als literarische Werke gegenüber der »Standardform« (Boltanski/Esquerre 2018, S. 259) von Waren darin unterscheiden, dass sie in ihrer singulären Ästhetik kaum vergleich- und austauschbar sind, können darum mit Erzählungen verbunden werden, in denen sich das ästhetische Potenzial mit dem kommerziellen verbindet.

Das Marktpotenzial eines literarischen Werkes wird über das angenommene Ausmaß seiner Popularisierbarkeit erzählt, d. h. zugeschriebenen Beachtungserfolgen. Ästhetische Potenziale scheinen auf den ersten Blick gegensätzlich kommuniziert zu werden, da hier die Einzigartigkeit des Werks auf seine Dauerhaftigkeit, d. h. Kanonisierbarkeit hin geprüft wird. Popularisierung und Kanonisierung sind aber komplementäre Prozesse, die auf die temporale Strukturierung der Valorisierung verweisen. Popularisierung ist in diesem Fall an eine Erzählung der unmittelbaren Gegenwart gebunden. Den Büchern wird ein hohes wirtschaftliches Potenzial für das Hier und Jetzt zugeschrieben, das jedoch relativ schnell sinkt. Es sind Werke, die kurzfristig hohe Verkaufszahlen versprechen, aber nicht zwingend an eine den Erfolg überdauernde bleibende ästhetischen Qualität gebunden sind (dies ist aber nicht ausgeschlossen, dazu gleich mehr). Bestseller sind im Buchhandel auf diese Art und Weise narrativ strukturiert. Boltanski und Esquerre sprechen hier von der »Trendform« (Boltanski/Esquerre 2018, S. 423), die Dinge zur Geltung bringt, indem sie diese mit einer gegenwartsbezogenen Erzählung verknüpft – und deren Marktpotenzial darum typischerweise schnell sinkt: »Ein Objekt kann im Trend liegen, wenn es Teil der augenblicklichen Realität ist.« (Boltanski/Esquerre 2018, S. 432) Zwar beruht die verlegerische Planung eines Bestsellers auf Vorannahmen des Zukünftigen, wie wir gesehen haben, indem ihm als singulärem Objekt Beachtungspotenziale zugeschrieben werden, und ein Bestseller enthält immer auch Spuren der Vergangenheit (eine bereits bekannte Autor:in oder ein Stoff, der sich bereits bewährt hat), aber die Narrativität richtet sich auf die Gegenwart. Das Buch wird über seine Jetztzeitigkeit valorisiert, um Popularität zu generieren (vgl. Schumacher 2018).

Anders verhält es sich mit einer Inwertsetzungsform, die auf Kanonisierung ausgerichtet ist. In diesem Fall wird das Potenzial über eine Erzählung glaubhaft gemacht, die auf einen Wertzuwachs in der Zukunft verweist. Sie ähnelt derjenigen Form, die Boltanski und Esquerre als »Sammlungsform« bezeichnen (Boltanski/Esquerre 2018, S. 317). Einem Ding wird hier aufgrund einer Erzählung aus der Vergangenheit eine Wertsteigerung im Laufe der Zeit zugeschrieben. Praktiken der Kanonisierung sind jene des Sammelns nicht unähnlich, da auch hier Werke in einem Verhältnis zueinander beurteilt und nach Differenzen verteilt werden, »die als einschlägig gelten und systematisch organisiert sind« (Boltanski/Esquerre 2018, S. 318).Footnote 4 Über qualitative Eigenschaften, die zu einem bestimmten Zeitpunkt als stilbildend gelten, werden Werke über Kanonisierungspraktiken in ein Ranggefüge organisiert (vgl. Rippl/Winko 2013).Footnote 5 Wohingegen die Sortierung nach Popularität, wie wir oben gesehen haben, nach quantitativ messbaren Beachtungserfolgen vollzogen wird. Der entscheidende Unterschied der beiden Inwertsetzungsformen Popularisierung und Kanonisierung liegt allerdings über die Art und Weise der Differenzerzeugung hinausgehend in ihrer ungleichen temporalen Struktur. Der Glaube an das kommerzielle Potenzial richtet sich bei Werken mit einem prätendierten »Klassikerstatus« weniger nach den Absatzzahlen unmittelbar nach Erscheinen, stattdessen wird ein inkrementeller Zuwachs von Verkaufszahlen in der Zukunft angenommen. Ihr Wertpotenzial gründet auf der Vergangenheit, auf ihrer »fiktiven Unsterblichkeit« (Boltanski/Esquerre 2018, S. 367), die ihnen einen Platz auf der Backlist sichert. Während das Lesepublikum in der Lage ist, Werken über den Bücherkauf einen Wert, nämlich den der Popularität, zu verleihen, sind es in diesem Fall Bildungsinstitutionen und Expert:innen, die Werken über die narrative Präsentation einer die Zeit und Trends überdauernden Außergewöhnlichkeit einen Wert zufügen, der auf dem Markt nutzbar gemacht werden kann.

Dabei ist ein Buch nicht für alle Zeiten einer Inwertsetzungsform zugeordnet, da sein wirtschaftlicher und ästhetischer Wert sozial kommuniziert ist.Footnote 6 Vielmehr kann die Art und Weise der Valorisierung wechseln, ein Bestseller kann selbstredend auch Kanonisierungspraktiken unterzogen werden, die ein und dasselbe Werk nun über das Narrativ der Zeitlosigkeit kommunizieren, umgekehrt kann ein kanonisiertes Werk ebenso gut popularisiert werden und kurzfristig die Bestsellerlisten erklimmen, wenn ihm eine Aktualität und Aktualisierbarkeit für die Gegenwart zugeschreiben wird. Im Jahr 2017 war George Orwells 1949 erschienener Roman 1984 etwa auf Platz 1 der Amazon-Bestsellerliste, nachdem Donald Trumps Beraterin Kellyanne Conway nach der Vereidigung und der anschließenden Diskussion um die Zahl der Zuschauenden von »alternativen Fakten« sprach (Deutschlandfunk 2017). Ebenso wurde der 1947 veröffentlichte Roman Die Pest von Albert Camus auf dem deutschen Buchmarkt in der Corona-Pandemie 2021 erneut zum Bestseller (Zeit online 2021). »Novitäten« und »Klassiker« sind keine Kategorien, die dem Werk als Eigenschaft zugehörig sind, sondern wegen ihrer temporalen Strukturierung Wechsel und Überschneidungen provozieren.

Während die temporale Struktur der Inwertsetzung über Kanonisierung eine »Unsterblichkeit« des Buchs geltend macht, erzeugt die der Popularisierung aufgrund der beschleunigten Verkaufszyklen systematisch »Abfall« (Boltanski/Esquerre 2018, S. 446). Eine Ökonomie, die auf möglichst hohen Beachtungserfolgen aufgebaut ist, erzeugt vergangene Popularität, ja basiert auf ihr. Die zeitliche Logik der Beachtungserzeugung macht Werke ebenso populär wie andere de-populär. Anders als Gebrauchswaren der »Standardform«, die nach kurzer Zeit ihre Funktion verlieren und nicht mehr benutzbar sind, bleibt die ästhetische Qualität des Werks unangetastet. Es altert auf andere Weise, nämlich indem es an Wert verliert, weil es Beachtung einbüßt. In diesem Sinn ist Popularisierung über die »allgemeine Form der Innovation« organisiert, die über die zyklische Erzeugung des Neuen Beachtung erzeugt (Groys 1999, S. 14). Die verlegerische Ausrichtung auf Bestseller ist, wie bereits angedeutet, gleichzeitig Resultat wie Möglichkeitsbedingung der Inwertsetzungsform der Popularisierung. Erst mit der quantitativen Sichtbarkeit und Beobachtbarkeit von Beachtungserfolgen über Bestsellerlisten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts konnten Valorisierungspraktiken, die über Popularität organisiert sind, im Buchhandel dominant werden. Die damit einhergehende Konzentration auf wenige Erfolgstitel innerhalb eines Verkaufszyklus wurde in den Publikumsverlagen in eine Praxis der »permanenten Anpassung an den Markt« (Baldus 1975, S. 404) übersetzt. Dadurch wurde die ohnehin recht kurze Umschlagszeit von Büchern noch weiter beschleunigt. Ein Bestseller war schnell verbrannt, sodass rasch ein neuer folgen musste. Doch die Lagerhallen des Buchhandels waren keine Friedhöfe ehemaliger Bestseller, sondern die sich dort stapelnde Buchware wurde gewinnbringend weiter vermarktet. Der Makel, nicht mehr populär zu sein, wurde zu einer lukrativen Verwertungsressource. Die »Dead Books«, von denen zu Beginn die Rede war, wurden die »Walking Dead« des Buchhandels.

4 Repopularisierung: Vergangene Popularität als Wertressource

Ein Markt, in dem Popularität ein probate Inwertsetzung von Waren ist, erzeugt in seiner inhärenten Wachstumslogik nicht nur vergangene Popularität, sondern parallel zu ihm entwickeln sich Nebenmärkte, in denen die ehemals populären Waren die Grundlage der Wertschöpfung sind. Diese ökonomische Strategie kann als Repopularisierung bezeichnet werden, da in ihm die populäre Vergangenheit einer Ware, im vorliegenden Fall die eines Buchs, Grundlage einer neuen wertbildenden Erzählung wird. Die von Boltanski und Esquerre beschriebene Eigenlogik von Märkten, von einer Form in eine andere Form der Inwertsetzung zu wechseln, um den Wert eines Objekts zu erhöhen, greift hier. Der Perspektivwechsel, der mit einer neuen Inwertsetzung verbunden ist, verleiht dem wertlos gewordenen Gegenstand einen neuen Wert. Doch im Fall der Repopularisierung wird der Gegenstand mit einer wertstiftenden Erzählung verknüpft, die an andere, vorherige Diskurse gebunden bleibt. Betrachtet man die zeitliche Struktur dieser Inwertsetzungsform, kann diese zum einen in der Vergangenheit situiert ein, um Erfolge in der nahen Zukunft zu erzielen. Die unpopuläre Gegenwart eines Buchs (oder einer Autor:in) soll in diesem Fall durch die eingeschriebenen Spuren vergangener Popularität in eine neue, zukünftige Popularität transformiert werden. Repopularisierung heißt in diesem Fall eine Strategie der Aktualisierung anwenden, indem diese an vergangene Erfolge anknüpft, um neue zu realisieren. Oder die temporale Struktur der Inwertsetzung geht zum anderen von der nicht mehr populären Gegenwart des Buchs oder der Autor:in aus und entwickelt neue Popularisierungsressourcen für die nahe Zukunft. Hier folgt die Repopularisierung einer Strategie der Erneuerung, in der die vergangene Popularität überschrieben wird, damit das Buch (oder die Autor:in) mit einer neuen wertbildenden Erzählung beschrieben werden kann. Die populäre Vergangenheit ist zwar latent präsent, wird in jedem Fall aber nicht als aktiver Diskurs zur Werterhöhung genutzt.Footnote 7 Diese beiden Strukturen der Repopularisierung werden im Folgenden an zwei Nebenmärkten des Buchhandels im 20. Jahrhundert veranschaulicht, den Buchgemeinschaften und Modernen Antiquariaten.

4.1 Aktualisierte Popularität: Buchgemeinschaften

Mit der ansteigenden Titelproduktion in der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft eröffneten sich erweiterte Möglichkeiten der Zweitverwertung. Als einschlägig galt die »brisante Eröffnung eines zweiten Buchmarkts« (Schwenger 1986, S. 108) durch Buchgemeinschaften oder Buchclubs, die enorme Beachtungserfolge in der breiten Bevölkerung erzielten, und zwar insbesondere in jenen sozialen Milieus, die nicht als »leseaffin« angesehen wurden.Footnote 8 Anfang der 1980er Jahre existierten insgesamt rund 6,5 Millionen Buchclubmitglieder jeder zweite westdeutsche Haushalt verzeichnete ein aktuelles oder zumindest ehemaliges Mitglied (Roszinsky-Terjung 1981, S. 113). Die Vertriebsform von Buchgemeinschaften unterschied sich von jener der Verlage grundlegend, da das wirtschaftliche Absatzrisiko durch eine feste Käuferschaft, die mittels Abonnements gebunden war, fast gänzlich getilgt war. Buchclubs, die bereits nach dem Ersten Weltkrieg populär waren, etablierten sich ab den 1950er Jahren als ein kommerzieller Wirtschaftszweig der auf der Repopularisierung von Buchtiteln beruhte (Strauß 1975, S. 282–283).Footnote 9 Im Jahr 1950 gründete der Verlag C. Bertelsmann den Bertelsmann Lesering, der den Markt der Buchgemeinschaften transformieren sollte.Footnote 10 Als Bertelsmann sich nach mehreren Übernahmen in den Vorjahren 1970 mit fünfzig Prozent an der renommierten Deutschen Buch-Gemeinschaft beteiligte, hatte der Lesering im Markt der Buchgemeinschaften einen Umsatzanteil von rund sechzig Prozent (vgl. Kollmannsberger 1995, S. 30–35).Footnote 11 Der Konzentrationsprozess schritt in den folgenden Jahrzehnten weiter fort, Anfang der 1980er Jahre dominierten der Lesering und der Deutsche Bücherbund der Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck fast neunzig Prozent des Marktes (Ziermann 2000, S. 145, vgl. Amlinger 2021, S. 146–150).

Die Verwertungsstrategie der Buchclubs bestand auf der Aktualisierung vergangener Popularität für einen zweiten Markt, der sich an ein neues Lesepublikum richtet. Buchgemeinschaften produzieren und verbreiten wie Verlage Bücher, aber ihre wirtschaftliche Strategie unterscheidet sich von jener der Verlage grundsätzlich (Schönstedt 1991, S. 102). Die ökonomische Ungewissheit von Buchwaren wurde im Marktsegment der Buchgemeinschaften durch zwei Faktoren stillgelegt: Erstens ermöglichte die Verpflichtung der Mitglieder zum vierteljährlichen Bucherwerb eine kostengünstige Kalkulation und zweitens publizierte man Bücher, die sich auf dem ersten Markt bereits erfolgreich bewährt hatten.Footnote 12 Attraktiv für die Leserschaft waren die bereits verlegten Titel, da der Preis einer Buchclub-Ausgabe durchschnittlich vierzig Prozent günstiger als jener der Originalausgabe war (Kliemann 1971, S. 135). Die ökonomische Strategie war anders als die verlegerische Wette in eine ungewisse Zukunft die »kommerzielle Lizenzverwertung« (Schönstedt 1991, S. 102). Damit Buchgemeinschaften Nebenmärkte blieben, die sich auf die Inwertsetzung nicht mehr beachteter Titel beschränkte, initiierte der Börsenverein des deutschen Buchhandels 1952 das »Hamburger Abkommen«, das Karenzfristen für die Wiederauflage der Originalausgaben festlegte und Preisvergleiche untersagte (Wittmann 2011, S. 419). Mit der wirtschaftlichen Regulierung des »zweitgrößten Absatzwegs für Bücher« (Ziermann 2000, S. 147) wurden Buchclubs auf ihre ökonomische Funktion festgelegt, die in der Zweitvermarktung ehemals erfolgreicher Bücher lag. Dadurch wurden die Buchgemeinschaften zu einem zweiten Markt, der mit dem ersten untrennbar verbunden war. Um die Verwertung eines erfolgreichen Buchs optimal auszunutzen, wechselte man nach dem Beachtungsverlust die Inwertsetzungsform, so dass der vergangene Erfolg Ausgangspunkt einer neuen Inwertsetzung werden konnte. Die Lizenzverkäufe an Buchclubs waren für Verlage ein gewinnbringender weiterer Vertriebsweg, der die Programmplanung kalkulierbarer machte. Ein Buch wurde bereits vor Erscheinen auf einen Wechsel der Inwertsetzung hin geprüft, d. h. ob es für die Zweitverwertung durch die Buchclubs infrage kam (Wittmann 2011, S. 419). Das Sortiment der Buchgemeinschaften wirkte infolgedessen oft »wie ein Querschnitt durch den Buchmarkt von vorgestern und gestern« (Kliemann 1971, S. 141). Anfang der 1980er-Jahren umfassten das Programm des Bertelsmann Leserings mit rund 700 Titeln und das des Deutschen Bücherbundes mit rund 350 Titeln hauptsächlich das Segment der gehobenen Unterhaltungsliteratur. Die erfolgreichsten Autor:innen waren im deutschsprachigen Segment Heinz G. Konsalik, Johannes Mario Simmel, Marie Louise Fischer und Heinrich Böll, im Segment der Übersetzungen Agatha Christie, Victoria Holt, Anne Golon und Ernest Hemingway (Ziermann 2000, S. 153).

Daraus ergibt sich eine bedeutsame Implikation für die Ökonomie der Popularität, da sich die strategische Erzeugung von Beachtung um einen Beachtungserfolg zweiter Ordnung erweitert. Das Marktpotenzial von Werken wird nicht nur in den Kategorien der Popularisierung kommuniziert, sondern darüber hinaus in jenen der Repopularisierung: Kann ein Titel, wenn er auf dem regulären Buchmarkt nicht länger beachtet wird, erfolgreich an die vergangenen Erfolge anknüpfen und diese für den Markt der Buchclubs aktualisieren? An dieser Stelle wird deutlich, inwiefern vergangene Popularität Wertschöpfungsakte generieren kann. Die fiktive Erfolgserwartung an ein Buch erstreckt sich sowohl auf die nahe Zukunft des Bestsellerstatus als auch auf die ferne Zukunft der Zweitverwertung ehemaliger Bestseller. Die verlängerte Popularität durch den Handel mit ihrer Vergänglichkeit auf einem zweiten Markt intensiviert dadurch allerdings die Konzentration auf Erfolgstitel auf dem ersten Markt noch weiter. An die oben beobachtete Erfolgsakkumulation, die sich in der Losung »Erfolg macht Erfolg« niederschlägt, knüpft eine weitere Inwertsetzung an: Vergangener Erfolg macht zukünftigen Erfolg.Footnote 13 Diese Rückkoppelungseffekte sind nur möglich, da die beiden Märkte teilautonom voneinander existieren; Buchgemeinschaften richten sich wie gesagt an neue Zielgruppen (Lehning 2004, S. 50). Und diese Gruppe schien fast grösser zu sein als die des ersten Marktes:Footnote 14 »Die Vorstellung von dem, was Bücher sind und wozu sie taugen oder nicht taugen, [war] für weite Bevölkerungskreise dominierend vom Angebot der Buchgemeinschaften bestimmt.« (Kliemann 1971, S. 136) Entscheidend für die Popularität eines Werks war sein Erfolg zweiter Ordnung, jener der sich auf der Grundlage seiner vergangenen Popularität herausgebildet hat.

Doch diese Inwertsetzung hielt nur für die Jahrzehnte des expansiven Buchmarkts Bestand. In den 1990er Jahren war der Mitgliederschwund trotz einer großen dichte an Filialen nicht mehr aufzuhalten (Amlinger 2021, S. 150). Der auf feste Abnahmeverpflichtungen beruhende Vertriebsweg, der die gewinnbringende Kalkulation vergangener Popularität ermöglichte, entsprach nicht mehr den flexiblen Kaufgewohnheiten des Lesepublikums. Der Deutsche Bücherbund wurde 1990 vom Club Bertelsmann (ehemals Bertelsmann Lesering) übernommen. Doch parallel drängten neue Akteure wie das Buch- und Versandhandelsunternehmen Weltbild auf den Markt, das einen kundenorientierten Versandhandel ohne Kaufbindung anbot. Der Weltbild-Katalog, der Anfang der 2000er Jahre an über vier Millionen Haushalte verschickt wurde, umfasste neben günstigen Sonderausgaben ebenso ein breites Angebot aus dem Non-Book-Bereich, das die veränderten Konsumbedürfnisse besser abbilden konnte (Janzin/Güntner 2007, S. 467). 2014 stellte der Bertelsmann Club schließlich seine Geschäfte ein (Börsenblatt 2014).

4.2 Zwischen Aktualisierung und Erneuerung: Modernes Antiquariat

Ein weiterer Nebenmarkt, der die vergangene Popularität von Werken verwaltet, war das eingangs erwähnte Moderne Antiquariat. Zwar existierte dies seit dem 19. Jahrhundert als Sondergebiet, doch mit der Erfolgskonzentration im Verlagsbuchhandel etablierte sich ab den 1970er Jahren das Moderne Antiquariat als profitables Marktsegment. Der sogenannte »Ramschmarkt« setzt die Buchpreisbindung außer Kraft und verkauft Bücher zu stark herabgesetzten Preisen (Meyer-Dohm 1974, S. 437). Das Geschäft unterscheidet sich also von dem Verkaufsmodell regulärer Antiquariate, da keine gebrauchten Bücher, sondern Titel teilweise verlagsneu zu einem frei kalkulierten Preis angeboten werden (Otto 1967, S. 3–4). Zum Sortiment Moderner Antiquariate gehören neben neueren Titeln, deren Ladenpreis von den Verlagen aufgehoben wurde, auch Sonderausgaben, d. h. niedrigpreisige Neuausgaben. Die Gründe für die Aufhebung der Buchpreisbindung sind vielfältig, im Katalog Moderner Antiquariate befinden sich Mängelexemplare, die Beschädigungen oder Herstellungsfehler aufweisen, Remittenden, die im Buchhandel nicht verkauft wurden, oder Restauflagen, die verbilligt angeboten werden, um Lagerkosten zu senken (Amlinger 2021, S. 158). Die daneben gehandelten Sonderausgaben sind zum einen Neuauflagen von vergriffenen älteren Titeln, die aufgrund verminderter Druck- und Papierqualität kostengünstig angeboten werden können. Zum anderen werden ehemals erfolgreiche Titel in vergünstigter Ausgabe neu aufgelegt, um mit ihnen neue Beachtungserfolge auf einem zweiten Markt zu erzielen. Ein Aufkleber auf dem neuen Einband oder ein Hinweis im Katalog macht die Preisdifferenz zur Originalausgabe für die Buchkäuferschaft sichtbar. Neben dem Handel mit preisgünstigen Büchern haben sich im Marktsegment des Modernen Antiquariats auch Verlage etabliert, die Lizenzen von älteren Büchern erwerben, um diese in Sonderausgaben neu verlegen zu können. Entwickelte sich das Moderne Antiquariat zunächst als auf Reste spezialisierter Großhandel, wurde es im 20. Jahrhundert zu einem »Barometer der Verlagskonjunktur« (Meyer-Dohm 1957, S. 119), da die von den Verlagen aussortierten Bücher ein Indikator für die anschwellende Titelexpansion war.

Betrachtet man die Inwertsetzung von Werken im Marktsegment Moderner Antiquariate, lassen sich Überschneidungen, aber auch Differenzen zu dem der Buchgemeinschaften finden. Auch das Moderne Antiquariat ist eine Folge der Überproduktion des regulären Buchmarkts, jedoch indem er für den Verlagshandel eine Verkaufsmöglichkeit unverkäuflicher Titel anbietet. Er handelt ebenso mit ehemals erfolgreichen Titeln, entweder mit Mängelexemplaren, Restauflagen und Remittenden oder, ähnlich wie die Buchclubs, mit neu aufgelegten Sonderausgaben. Doch in der temporalen Struktur der Repopularisierung unterscheiden sich die beiden Marktsegmente. Die Frage, ob ein Buch für die Zweitverwertung durch Buchgemeinschaften infrage kommt, stellt sich vor seinem realisierten Erfolg. Die Zukunftserwartung erstreckt sich auf die angenommene Popularität eines Werks und der erhofften Chancen für eine Repopularisierung. Die vergangene Popularität wird hier in die Erfolgskalkulation mit aufgenommen. Anders ist es im Modernen Antiquariat, sein Geschäft fußt auf der Allgegenwart vergangener Popularität. In den Worten Boltanskis und Esquerres wird der bereits produzierte »Abfall«, den die Inwertsetzung der Popularisierung hervorgebracht hat, dahingehend geprüft, ob die Titel in die Logik der Repopularisierung eingepasst werden können. Ob also die Erzählung, die ihnen anhaftet, eine wertvolle Ressource für einen zweiten Markt sein kann. Oder ob die Werke mit einer neuen Erzählung verknüpft werden können, um ihnen Wert zu verleihen. In dieser Hinsicht hat das Moderne Antiquariat eine »Ventilfunktion« (Klein 1977, S. 292) für den regulären Buchmarkt, da es ihn von überschüssigen Titeln reinigt – und den Abfall, um in der Bildsprache zu bleiben, für einen Nebenmarkt recycelt. Diese Funktion wird umso relevanter, desto rascher sich die Lebensdauer eines Titels verkürzt (Klein 1977, S. 292). Erhält ein Titel Beachtung, aber nicht die erwünschte Beachtung, kann seine Depopularisierung über den Ramsch- und Remittendenhandel aktiv eingeleitet werden. Das Moderne Antiquariat stellt in diesem Sinne die wirtschaftliche Infrastruktur, um die Nebenfolgen des Erfolgs zu kompensieren (Rühle 1985, S. 10). Ein funktionierender Markt ist er, da er sich wie die Buchgemeinschaften eine breitere, weniger kaufkräftige Käuferschaft wendet, welche die Bücher nicht zum regulären Preis erworben hätten (Carlsohn 1975, S. 229).Footnote 15

Wirft man nun einen genaueren Blick auf die Valorisierung, wundert es nicht, dass ebenfalls im Modernen Antiquariat die vergangene Popularität eines Werks für ein anderes Publikum aktualisiert wird. Veranschaulichen lässt sich dies an dem Verlags- und Versandhändler Jokers, der als Marke der oben erwähnten Weltbild Verlagsgruppe ab 1999 einen umfangreichen Katalog aus Sonderausgaben, Restauflagen, Remittenden und Mängelexemplaren an die Haushalte versandte. Er stieg 2000 in das Online-Geschäft ein und eröffnete ein Jahr später die erste Filiale. Das breite Sortiment, das wie das der Buchgemeinschaften ebenso Produkte aus dem Non-Book-Bereich umfasst, wirkt wie eine Auswahl aus vergangenen Bestsellerlisten, allerdings mit einer erheblichen Preisdifferenz zur Originalausgabe. Der ehemalige Bestsellerstatus wird zu einer wertsteigernden Eigenschaft, da er – ohne die alte zu tilgen – mit einer zusätzlichen Perspektive verknüpft wird, nämlich derjenigen, »günstig« oder »verbilligt« am Erfolgreichen partizipieren zu können. Ein »Schnäppchen« (Jokers 2024) machen zu können, wie es heute noch im Katalog heißt, wird zu einer wertbildenden Erzählung. Dies lässt sich auch auf die Inwertsetzung übertragen: man ergattert etwas an sich Wertvolles (wertvoll hier im Sinne von erfolgreich), und gerade der verminderte Preis steigert paradoxerweise seinen Wert. Hinzu kommt, dass Büchern, die nicht in einer Sonderausgabe neu aufgelegt wurden, Qualifikationen zugeschrieben werden können, die der Reproduzierbarkeit von Buchwaren widersprechen. Sie sind durch ihre »Seltenheit« oder »Rarität« gekennzeichnet: »Hier gilt besonders: Schnell zugreifen – die meisten Titel gibt es nur in kleinen Stückzahlen von oft nur ein oder zwei Exemplaren.« (Jokers 2024) Anders als im Antiquariat rechtfertigt nicht die Seltenheit eines Buchs ein »Sammeldispositiv« (Bolstanski/Esquerre 2018, S. 371), sondern sie soll eine fiktive Verknappung auf einem Markt erzeugen, der durch Überfluss gekennzeichnet ist. Darum können auch jene Bücher, die nie einen großen Absatz hatten, an der vergangenen Popularität anderer partizipieren. Die räumliche Nähe zum ehemaligen Bestseller im Katalog lässt die erfolglosen Bücher an seiner wertbildenden Erzählung Anteil haben. Nebenmärkte verleihen im Buchhandel nie nur dem ehemals Populären einen Wert, sondern ebenso dem Unpopulären.

Folgt man Boltanski und Esquerre (2018, S. 205), werden Dinge aufgrund von unterschiedlichen Präsentationsweisen in eine Hierarchie geordnet, insbesondere durch das (»analytische«) Beschreiben und (»narrative«) Erzählen von Gegenständen. Die materielle Präsentation spielt auf dem Buchmarkt für die Operation »an Wert verlieren vs. an Wert gewinnen« (Boltanski und Esquerre 2018, S. 209) allerdings darüber hinaus keine unerhebliche Rolle. Die Buchausstattung indiziert den Wert eines Textes (vgl. Spoerhase 2018). Besonders gut lässt sich dies bei Sonderausgaben von literarischen Klassikern beobachten, die in ihrer materiellen Gestalt eine kollektive Imagination über diese verkörpern. Die ästhetische Buchgestalt, wie ein Leineneinband und Goldprägung, suggerieren Überzeitlichkeit, Werthaftigkeit und Bestand – im Kontrast zum angebotenen Preis, der meist unter der Zehn-Euro-Grenze liegt.Footnote 16 Es ist die materielle Form, die uns eine wertbildende Geschichte der darin abgedruckten Texte erzählt. Dabei kann das Moderne Antiquariat durchaus kanonisierende Funktionen innehaben, zumindest für das Lesepublikum. Beispielhaft hierfür ist das Verlags- und Buchhandelsunternehmen Zweitausendeins, das 1971 aus der Auflösung des pardon-Verlags (mitsamt gleichnamigen Satiremagazin) von Lutz Reinecke gegründet wurde (Bröckers 2009). Neben Restauflagen und Mängelexemplaren vertrieb Zweitausendeins über den Versandhandel und eigenen Filialen Neuausgaben und selbst verlegte Neuerscheinungen in programmatischer Absicht. Der Verlag galt als »Kraftwerk der Alternativkultur«, der mit seinem kleinformatigen Katalog mit dem Titel »Merkheft« von den urbanen Zentren bis in die ländliche Peripherie vordrang (Riebsamen 2017). Zweitausendeins verlegte die Gegenkultur in leinengebundener Werkausgabe (wie etwa die Autoren der Neuen Frankfurter Schule) und trug dadurch wesentlich zur Kanonisierung der Alternativliteratur bei (Sonnenberg 2016, S. 287–290). Mit der Buchreihe »Haidnische Alterthünmer« gab der Verlag ab 1978 in Vergessenheit geratene populäre Werke des 18. und 19. Jahrhunderts neu heraus. Die bereits lang vergangene Popularität sollte zum neuen Leben erweckt werden; doch mithilfe einer aktuellen Perspektive auf die neu edierten Werke. Es waren Romane, die Arno Schmidt in Essays und Radiobeiträgen zur Neuauflage empfahl. Die Repopularisierung von populären Romanen wie Insel Felsenburg von Johann Gottfried Schnabel, der in vier Teilen zwischen 1731 und 1743 erschien, wurde an eine kanonisierende Inwertsetzung gebunden. Statt auf Aktualisierung ehemaliger Popularität versuchte man diese über das Reihenformat zum Klassiker zu erheben.

5 Schluss

Ausgangspunkt war die Beobachtung, dass die ökonomische Dynamik moderner Buchproduktion nicht nur eine Tendenz zur Überproduktion aufweist, sondern ebenso ökonomische Infrastrukturen bereitstellt, um das steigende Angebot rasch alternder Buchtitel zu verwalten. Denn paradoxerweise förderten die wirtschaftlichen Voraussetzungen, Büchern viel Beachtung schenken zu können, systematisch ihren Verfall. Die Möglichkeit, Werke breitenwirksam zu popularisieren, geht in anderen Worten einher mit ihrer beschleunigten Depopularisierung. Diese strukturelle Erzeugung vergangener Popularität lässt sich aus der Struktur ästhetischer Märkte erklären, auf denen der ökonomische Erfolg von literarischen Werken nur schwer planbar ist. Verlegerische Praktiken der Risikokalkulation versuchten darum, mithilfe der Investition unterschiedlicher Ressourcen die Unsicherheit in ein kalkulierbares Risiko zu transformieren. Die Einführung von Bestsellerlisten, insbesondere der Spiegel-Bestsellerliste ab 1962, veränderte die Dynamik des Buchmarktes erheblich. Ab diesem Zeitpunkt wurde Popularität quantitativ gemessen und – dies ist der entscheidende Aspekt – die Bücher in ein für das Lesepublikum sichtbares, an Verkaufszahlen orientiertes Rangsystem überführt.

Die Beachtungslogik der Bestsellerlisten setzte Akkumulationseffekte in Gang: Erfolg generierte Erfolg. War ein Buch auf der Bestsellerliste, multiplizierte sich meist seine Popularität. Dies hinterließ in der programmplanerischen Ausrichtung der Verlage tiefe Spuren, die mit ihrer Konzentration auf Erfolgstiteln neue Nebeneffekte kreierten. Die strategische Planung von Bestsellern, die das Erfolgsrisiko minimieren sollte, führte zu einem hohen Investitionsrisiko und der Vernachlässigung weniger bekannter Titel. Depopularisierung wurde zu einer Marktnebenfolge einer auf kurzfristige Beachtung basierenden Wirtschaftsdynamik. Dieser Beachtungsverlust impliziert eine temporale Struktur der Inwertsetzung, die man mit Boltanski und Esquerre als eine Erzählung verstehen kann, die an die unmittelbare Gegenwart gebunden ist. In der Ökonomie der Popularisierung wird Büchern ein hohes ökonomisches Potenzial für das Hier und Jetzt zugeschrieben, das jedoch relativ schnell sinken kann. Ein Bestseller hat teil an der augenblicklichen Realität. Dies bedeutet im Umkehrschluss nicht, dass er keine Zukunft haben kann, nur die Perspektive auf ihn ist gegenwartsgebunden. Und diese Perspektive erzeugt in den Worten der beiden Autoren systematisch »Abfall«. Die zeitliche Struktur der Beachtungserzeugung macht Werke ebenso populär wie andere unpopulär.

In einem Markt, auf dem Popularität Waren valorisiert, entstehen parallel Nebenmärkte, auf denen ehemals populäre Güter die Grundlage für Wertschöpfung bilden. Dieser Prozess, der als Repopularisierung bezeichnet wurde, nutzt die vergangene Popularität eines Werks als Ausgangspunkt für neue wertbildende Erzählungen. Repopularisierung ermöglicht nämlich einen Perspektivwechsel, der einem wertlosen, genauer gesagt nicht mehr wertvollem Buch neuen Wert verleiht, indem es mit einer anderen Erzählung verknüpft wird. In der temporalen Struktur der Valorisierung kann hierfür entweder auf vergangene Erfolge zurückgegriffen werden, um zukünftige Popularität zu generieren (oder diese zu aktualisieren), oder sie kann von der gegenwärtigen Unpopularität ausgehen und neue Popularisierungsressourcen für die nahe Zukunft entwickeln (und umfassend erneuern). Dies lässt sich insbesondere auf zwei Nebenmärkten des Buchmarkts im 20. Jahrhundert beobachten: Buchgemeinschaften und Moderne Antiquariate. Beide nutzten die vergangenen Erfolge von Werken, um diese für neue Zielgruppen weiter zu verwerten. Beide gerieten mit dem Ende des 20. Jahrhunderts in eine Krise. Der Bertelsmann Club wurde 2014 wegen mangelnder Rentabilität gänzlich eingestellt, Moderne Antiquariate wie Jokers oder Zweitausendeins bestehen zwar noch in der Gegenwart fort, aber ihre Existenz ist prekär. Die expansive Wachstumsphase des ökonomischen Handels mit vergangener Popularität scheint vorbei.

Bemerkenswert ist, dass die Krise der Nebenmärkte parallel mit einer Überproduktionskrise des regulären Marktes einhergeht. Die Jahrtausendwende markiert gleichzeitig einen Wendepunkt des Buchmarkts. 2001 war das erste Jahr seit Beginn der Erhebungen des Börsenvereins, das trotz steigender Titelproduktion einen nominalen Umsatzrückgang verzeichnet (Börsenverein 2002, S. 31). Der Buchmarkt der Gegenwart ist mittlerweile ein schrumpfender Markt, die Titelproduktion im Marktsegment Belletristik sinkt seit den letzten Jahren, während sich die Umsätze erholt haben und wieder steigen (Börsenverein 2023, S. 14, 89).Footnote 17 Mit dem Wandel des regulären Buchmarkts verändern sich auch die Nebenmärkte. Sonderausgaben und Titel haben im Sortimentsbuchhandel längst Einzug gehalten. Konkurrenz bekommen die vergünstigten Exemplare aber vor allem durch den digitalen Gebrauchthandel mit Büchern. Amazon richtete zu Beginn des 21. Jahrhunderts einen Marktplatz für gebrauchte Bücher ein, der nach dem Prinzip »Leser verkaufen an Leser« (Janzin/Güntner 2007, S. 472) funktioniert. Nicht nur Antiquariate, auch Privatanbieter:innen können niedrigschwellig ihre gelesenen Bücher anbieten. Die Gebrauchtangebote sind im Online-Katalog neben den buchpreisgebundenen Neuauflagen platziert und stellen so symbolisch deren Preis infrage (Amlinger 2021, S. 283). 2006 gründete sich die digitale Ankaufsplattform Momox und sein Onlineshop Medimops, der das Geschäftsmodell mit gebrauchten Büchern weiter ausbaute. Privatkund:innen müssen lediglich den Barcode einscannen, um einen von einem Algorithmus vorgeschlagenen Kaufpreis vorgeschlagen zu bekommen, der sich nach Angebot und Nachfrage richtet (Hank 2019). Das Recycling vergangener Popularität wird nun in die Hände des Lesepublikums gegeben, das seine gebrauchten Bücher ohne großen Aufwand gewinnbringend weiterverkaufen kann.