1 Ebers’ Popularität und die Etablierung der Ägyptologie

Im Jahr 1865 reicht der promovierte Altertumswissenschaftler Georg Ebers an der Universität Jena sein Gesuch auf Habilitation ein. Ebers fügt dem Gesuch eine befremdliche Zusammenstellung von Texten bei: seine wissenschaftliche Monografie Disquitiones de dynastia vicesimal sexta regnum Aegyptiorum sowie seinen Essay Der Kanal von Suez, der zuvor in der illustrierten Unterhaltungszeitschrift Über Land und Meer publiziert worden war.Footnote 1 Noch merkwürdiger ist jedoch, dass der Dekan der Jenaer Fakultät Prof. Steckel der Habilitation eine weitere Schrift beifügt, nämlich Ebers’ 1864 erschienenen Roman Eine ägyptische Königstochter, der ihm zuvor von seinem Kollegen Prof. D. A. Schmidt zugespielt worden war.Footnote 2 Die Annahme der Habilitation wird von der Kommission abgelehnt, und nun hakt der Dekan zugunsten Ebersʼ nach. Letztlich wird die Habilitation angenommen. Mit ausdrücklichem Bezug auf den Roman heißt es, Ebers habe sich »schon einen Namen gemacht, der weithin bekannt ist«, er habe »in den weitesten Kreisen die Erträge der tiefeingehenden Studien« popularisiert, und er sei bereits in der Literaturkritik gelobt worden.Footnote 3 So gelingt es Ebers letztlich, sich mit mäßiger Beurteilung zu habilitieren, und er erhält eine Privatdozentur, die später sogar in einen Lehrstuhl umgewandelt wird.Footnote 4 Der Universität war es – so sieht es gemäß der Dokumente aus – unter Absehung der akademischen Leistung und unabhängig vom Fach, das in Jena nicht und insgesamt in Deutschland noch kaum existierte, darum bestellt, Ebers als »Publikumsmagnet« zu gewinnen, der er auch wurde; zunächst in Jena und später in Leipzig, wohin er 1870 wechselte.Footnote 5 Vor Ebers hatte einzig der berühmte Carl Richard Lepsius einen Lehrstuhl für Ägyptologie in Deutschland inne, und Ebers kann insofern als Mitbegründer der deutschen Ägyptologie bezeichnet werden, als er die nächste Generation deutscher Ägyptologen ausgebildet und das Fach vergrößert hat.Footnote 6 Es lässt sich sagen, dass Popularisierung und Popularität in diesem Zusammenhang eine Voraussetzung für institutionelle Etablierung darstellte.

Ebers hat definitiv aufgrund seiner Popularität als Schriftsteller und aufgrund seiner Beliebtheit als Mensch und Hochschullehrer zur Etablierung der Ägyptologie beigetragen. Es würde den europäischen Zusammenhängen im Fach und der Generation vor Ebers allerdings nicht gerecht werden, wenn man behaupten würde, die Ägyptologie sei aus dem Geist der Literatur geboren worden.Footnote 7 Außerdem ist zu vermuten, dass das Lob des Romans, der zunächst einmal gar nicht so erfolgreich war, letztlich nur als Vorwand diente, um einen hochschulpolitisch motivierten Wunsch von höherer Ebene zu verwirklichen, der etwas damit zu tun gehabt haben könnte, dass Ebers Lepsius’ Schüler war und von diesem protegiert wurde. Es wäre nicht das einzige Mal gewesen, dass Lepsius positiv auf Wendungen in Ebers’ Leben Einfluss nahm.Footnote 8 Aus Ebers’ Autobiographie geht hervor, dass Lepsius zu den ersten Leser:innen des Romans gehörte, der von der Zeit der 26. ägyptischen Dynastie handelt. Lepsius hat den Roman für gut befunden.Footnote 9 Dass er Ebers nach dessen Lektüre zur Habilitation geraten hat,Footnote 10 hatte vermutlich etwas mit dessen 513 Endnoten zu tun, in denen Ebers ausgiebig historische Quellen und zeitgenössische Forschung zitiert und erörtert, wodurch der Text das Dokument einer umfassenden wissenschaftlichen Recherche und Reflexion des studierten ÄgyptologenFootnote 11 und promovierten Altertumsforschers darstellt. So ist die Habilitationsschrift definitiv aus einem literarischen Projekt erwachsen, selbst wenn man die vordergründige Argumentation der Kommission nicht in Gänze ernst nimmt und den schließlich erfolgreichen Habilitationsprozess nicht nur nicht auf Ebers’ wissenschaftliche Leistung, sondern auch nicht auf seine literarische Leistung zurückführt, indem man einen Zusammenhang mit Lepsius vermutet. Allerdings hat die im zitierten Schreiben zum Ausdruck kommende prätendierte Popularität Ebers’ dennoch als wichtiger Katalysator in diesem Prozess gewirkt. D. h. auch wenn es nicht unwahrscheinlich ist, dass die Motivation, Ebers’ letztlich zu unterstützen, auf eine Intervention Lepsius’ zurückgeführt werden kann, ist es trotzdem bezeichnend, dass man sich seitens der Universität als Strategie zur Legitimation der Habilitation des Populären bedient.

Eine ägyptische Königstochter sollte sich noch als Longseller erweisen, während Ebers zum einen als Professor für Ägyptologie an der Leipziger Universität tätig war und zum anderen weitere Romane schrieb. Ebers’ Romane wurden vom Stuttgarter Hallberger Verlag – heute Deutsche Verlags-Anstalt – verlegt, der zunächst auf Volksliteratur und später in einem allgemeineren Sinn auf populäre Literatur und populäre illustrierte Zeitschriften spezialisiert war. Die erste Auflage von Eine ägyptische Königstochter verkaufte sich schleppend. Auch die zweite und dritte Auflage waren offensichtlich nicht schnell vergriffen, erfolgten sie doch erst 1868 und 1873.Footnote 12 Aber ab der zweiten Hälfte der 1870er Jahre hatte der Roman großen Erfolg. Ebers zweiter Roman Uarda war bereits im Erscheinungsjahr 1876 erfolgreich, was sich wohl auf den ersten Roman übertragen hat.Footnote 13 Insgesamt wurde Eine ägyptische Königstochter 18 Mal aufgelegt und in 14 Sprachen übersetzt,Footnote 14 sodass es nicht wundert, dass sich in einer amerikanischen – allerdings wissenschaftlich orientierten – Zeitschrift ein Nachruf auf den Autor findet. »Not often has the scientist and the novelist combined in the same person in such a remarkable degree.«Footnote 15 Angeblich kann es auf Ebers zurückgeführt werden, dass sich die Prozentzahl historischer Romane, die vor dem Beginn der ›deutschen Geschichte‹ handeln, ab 1875 verdoppelt hat.Footnote 16 Leihbibliotheken haben Ebers’ Bücher tausendfach gekauft, und Ebers befand sich auf den Ranglisten ihrer beliebtesten und am meisten ausgeliehenen Autor:innen Ende des 19. Jahrhunderts unter den ersten fünf.Footnote 17 Seine Texte sind insgesamt mehr als 400.000 Mal verkauft worden.Footnote 18 Ebers wurde von Baedeker damit beauftragt, den ersten Reiseführer für Ägypten zu schreiben, was nur in Teilen realisiert wurde, weil er letztlich nur ein Kapitel beisteuerte.Footnote 19 Hallberger gab 1884 die Ebers-Gallerie heraus, in der Figuren und Szenen aus Ebers’ Romanen illustriert wurden. Elisabeth Müller beschreibt die Ebers-Rezeption als ›Fieber‹, wobei unklar bleibt, aus welchen Quellen sie folgende Aussage ableitet, die sich auf den zweiten Roman bezieht: »Während man zur Wertherzeit blauen Rock und gelbe Beinkleider trug und vom Wertherfieber ergriffen war, sprachen jetzt die Damen beim Tee von der Ramseszeit und der Schlacht bei Kadesch und schwärmten von dem Dichter Pantaur und der Prinzessin Bent-Anat.«Footnote 20 Angeblich hat sich auch Kaiser Wilhelm I. aus Ebers’ Uarda vorlesen lassen.Footnote 21 Insgesamt hat Ebers einen neuerlichen ägyptomanischen Schub ausgelöst, nachdem Ägypten schon länger zunächst für Mystiker, dann für Schwärmer und Weltenbummler Projektionsfläche und Abenteuerspielplatz gewesen war.Footnote 22

Die Urteile einiger zeitgenössischer Kritiker nehmen nicht so sehr die ägyptische bzw. historische, sondern die ägyptologische bzw. geschichtswissenschaftliche Signatur des Textes ernst, d. h. sie lassen sich nicht nur auf die Geschichtlichkeit des historischen Romans ein, sondern auf die fachliche Fundierung des Professorenromans.Footnote 23 Es liegt offensichtlich ein historistisches Verständnis zugrunde, gemäß dem Geschichte als Sinngeschichte aufgefasst wird, indem sie als Bedingung der Gegenwart erscheint, wenn etwa Richard Gosche 1887 konstatiert, Ebers reihe nun das alte Ägypten mit »tiefstem Verständnis« in die »Kette der Menschheit ein[]«Footnote 24. Rudolf von Gottschall stellt fest, Ebers liefere »in romanhafter Einkleidung einen culturhistorischen Leitfaden zur ägyptischen Altertumskunde«.Footnote 25 Beide Autoren loben nicht Ebers literarisches Talent, und Gottschall geht sogar so weit, dass er auch der ägyptologischen Seite in Ebers Texten eine gewisse »Abenteuerlichkeit«Footnote 26 attestiert, aber sie stellen ihn in einem positiven Sinn in den Kontext der Kulturgeschichte und Kulturwissenschaft des 19. Jahrhunderts. Aber nicht alle schätzen die ausgiebigen historischen Ausführungen und Belehrungen. So heißt es in einer Kritik, dies diene nur der »Eitelkeit der Halbbildung«, und der historische Roman möge doch im Gegensatz zu Ebers’ Text lieber »Poesie und immer wieder Poesie« liefern.Footnote 27 Otto Kraus verleiht Ebers’ Texten das Etikett Professorenroman. Auch er beschäftigt sich ausgiebig mit der ›historisch-wissenschaftlichen‹ Verfassung des Textes, aber er stellt nicht nur historische Tiefe, sondern auch ästhetische Qualität in Abrede, wenn er konstatiert: »Wer aber auf rhetorischen Schmuck, auf Wortschwall und Phrasenpathos ausgeht, kann bei ihm reiche Beute finden.«Footnote 28 Dass es sich bei Ebers’ Text um einen Roman handelt, der sowohl hinsichtlich seiner gelehrten Verfassung als auch seiner literarischen Qualität tatsächlich ein wenig holzschnittartig daher kommt, erklärt ebenso seine zeitgenössische Popularität wie seine spätere Entpopularisierung. Daher sei ein genauerer Blick auf Stil und Diktion von Ebers’ erstem Roman geworfen.

2 Zur Erfolgsformel der Ägyptischen Königstochter

Die Handlung des dreibändigen Romans geht auf einen Bericht Herodots aus dem 5. Jh. v. Chr. zurück, der im Kern eine Seite im dritten Buch der Historien umfasst.Footnote 29 Darin geht es um die Eroberung Ägyptens durch die Perser 525 v. Chr., die Herodot u. a. darauf zurück führt, dass der ägyptische Pharao Amasis dem persischen Herrscher Kambyses eine ›falsche‹ Prinzessin zur Frau gegeben hatte, nämlich statt seiner Tochter die des vorherigen, von ihm gestürzten Pharaos. Der Roman zerfällt in mehrere Teile. Im Fließtext wird eine Fiktion präsentiert, die teils historische, teils fiktive Elemente enthält. Diese werden in der ersten Auflage in den besagten 513 Endnoten, deren Umfang etwa 10 % des Textes ausmacht, und außerdem einigen Fußnoten belegt und ausgiebig kommentiert. Auch wenn sich Ebers dessen bewusst ist, dass Herodot nicht in allen Details zuverlässige Informationen liefert, betrachtete er die Historien als historisch-wissenschaftliche Überlieferung, die er aber um zahlreiche weitere antike Quellen und zeitgenössische Forschungsliteratur ergänzt. Man merkt dem Roman an, dass er eigentlich eine Kulturgeschichte hatte werden sollen.

»Ich besitze noch das unvollendete Manuskript. Je weiter ich kam, desto mächtiger ward indes in mir die jetzt durch Eduard Meyer widerlegte Ueberzeugung, daß es noch nicht möglich sei, eine abschließende Geschichte, die vor Kritik standhalten könnte, gerade über diese Zeit zu schreiben.«Footnote 30

Die Kulturgeschichte kam aus Mangel an gesicherten Quellen nicht zustande, weswegen Ebers stattdessen einen reichlich wissenschaftlich belegten – aber deshalb nicht unbedingt wissenschaftlichen – Roman geschrieben hat, der zeitgenössisch, wie soeben zitiert, schließlich doch noch teilweise als Quasi-Kulturgeschichte aufgefasst wurde.

Der Roman ist überwiegend szenisch und theatralisch konstruiert.Footnote 31 Es liegen sehr viele überlange Dialoge vor, in denen die Figuren wie im Drama – auch via Botenbericht und Mauerschau – die Handlung weitertragen und in denen sie sich auf unwahrscheinliche Weise ihrer Emotionen, Beweggründe und Haltungen bewusst sind und diese den Leser:innen explizit anzeigen. – Müller spricht von »ermüdende[n] Dialoge[n]«Footnote 32. – So möchte sich die Figur Rhodopis nicht aus Ägypten zurückziehen, um ihre Enkelin woanders groß zu ziehen, obwohl dies aus verschiedenen Gründen angeraten wäre, und begründet dies folgendermaßen: »An einen großen, männlichen Wirkungskreis gewöhnt, würde mich die bloße Sorge für ein geliebtes Wesen nicht befriedigen; ich würde verdorren, wie eine Pflanze, die man aus fettem Boden in die Wüste verpflanzt, und meine Enkelin bald ganz vereinsamt, dreifach verwaist in der Welt dastehen. Ich bleibe in Aegypten!« (ÄK I 51) Ebers ist es offenkundig nicht um eine psychologisch-wahrscheinliche Konstruktion bestellt, denn welche als positiv dargestellte ›realistische‹ – weibliche – Figur würde sich – im 19. Jahrhundert – offen dieserart selbst charakterisieren? Neben den Dialogen dienen vor allem interne Fokalisierungen dazu, das Innenleben der Figuren zu gestalten, das Ebers reichlich ausschmückt und mit Emphase auflädt. Er scheut sich nicht, seine Figuren gemäß seiner Vorstellungen zu idealisieren.Footnote 33 Ebers wurde zeitgenössisch u. a. aufgrund der starken Emotionalisierung und Romantisierung Anachronismus vorgeworfen.Footnote 34 In seinem Nachruf schreibt Wilhelm Bölsche: »Mit der größten Ruhe malte er die intimsten Züge des heutigen deutschen Familienlebens in die Zeit Ramses des Großen hinein.«Footnote 35 Ebers hat dies allerdings bewusst und programmatisch getanFootnote 36 und sich schon im Vorwort der ersten Auflage gegen diesen Einwand immunisiert. Er thematisiert die emotionale Aufladung und begründet sie dadurch, dass er zum einen künstlerische Freiheit für sich geltend macht und zum anderen bestimmte Gefühlslagen als anthropologische Konstanten ausweist.Footnote 37 Außerdem berücksichtigt er die Interessen der Leser:innen, wenn er schreibt, ein Autor könne sich »niemals ganz freimachen von den Grundanschauungen der Zeit und des Landes, in denen er geboren wurde; denn, wollte er rein antike Menschen und Zustände schildern, so würde er für den modernen Leser theils unverständlich, theils ungenießbar werden.« (ÄK I X) Mehr noch wurde diskutiert, dass Ebers monotheistische Positionen in das alte Ägypten hineinprojiziert.Footnote 38 So lässt er Krösus sinnieren, dass die Götter der Völker die Welt nicht getrennt voneinander regierten, sondern, dass alle als unteilbare Gottheit eins seien (ÄK II 48). Und besonders auffällig ist die Anlage, dass zahlreiche antike Figuren im Roman aufgeklärt-absolutistische oder bürgerlich-liberale Haltungen artikulieren.Footnote 39 So lässt er Pharao Amasis sagen: »Das echte Gold wahrhaftigen Bürgerglückes und friedlicher Wohlfahrt schuldet es [das Volk] mir und meinen Vorgängern, den Saitischen Königen!« (ÄK I 90) Insgesamt erweist sich Ebers’ Roman als recht unverhüllte »Kulturkampfdichtung«.Footnote 40 Ebers stellt sich deutlich auf die preußisch-wilhelminische, anti-katholische Seite, z. B. indem er inszeniert, dass die als Fremdkörper ausgewiesene altägyptische Priesterschaft den gerechten Herrscher Amasis beim guten Regieren behinderten (ÄK I 10, 28, 71, 152; ÄK II 92). Wenn Ebers in seiner Autobiographie schreibt, seine Romanfigur und gleichzeitig historische Figur Sappho trage Züge seiner Cousine aus Frankfurt, zeitigt dies einen komischen Effekt, vor allem im Vergleich: denn im selben Absatz setzt Ebers Pharao Amasis und Kaiser Friedrich Wilhelm gleich.Footnote 41 Das ist insofern nicht unkritisch, als es eine Traditionslinie des historischen Romans gibt, die z. B. Wilhelm Adolph Becker vertreten hat, in deren Rahmen bekannte historische Persönlichkeiten aus der großen Politik nicht fiktiv ausgeschmückt werden dürfen.Footnote 42 Demnach steht so etwas wie Kontrafaktizität im Raum, wenn z. B. historische Kriegshandlungen dadurch in einem anderen Licht erscheinen, dass sie durch romantische Liebe motiviert werden. Der Roman dürfte im Fließtext inhaltlich kaum widerständig oder befremdlich für zeitgenössische Leser:innen gewesen sein, handelt er doch vorwiegend von figürlichen Beziehungen, von möglicher und unmöglicher Liebe, von Sehnsucht, Stolz und Kränkung, die in jedes historische wie zeitgenössische Szenario implementiert werden können. D. h. die historischen Handlungen werden ihrer Historizität weitgehend enthoben, weil es Liebe und Krieg immer gegeben hat, sodass das Historische vor allem als Kulisse erscheint.

Vor allem aber sind Struktur und Stil des Romans auffällig. Diese haben sicherlich immersive Effekte für diejenigen, die lesen, um ihre Imagination zu stimulieren, denn Ebers lässt Szenen nicht nur durch die Dialogizität auferstehen, sondern auch, indem er ausgiebig deren Setting schildert. Müller und Melanie Kromer kommen insgesamt zu dem Schluss, Ebers weise einen holprigen oder unbeholfenen Stil auf.Footnote 43 Tatsächlich hat der Roman nicht nur kitschige Züge, sondern er ist poetisch überladen. Er beginnt mit dem Satz: »Der Nil hatte sein Bett verlassen.« (ÄK I 1)Footnote 44 Würde der Nil das Flussbett ›übertreten‹ statt ›verlassen‹, handelte es sich immer noch um eine Personifikation, die jedoch insofern tot wäre, als das Verb ›übertreten‹ in Bezug auf Flüsse in der Alltagssprache verwendet wird. Indem Ebers zur Personifizierung das Verb ›verlassen‹ verwendet, spielt er mit naivem Witz mit der Polysemie des Wortes ›Bett‹ als Vertiefung für den Fluss und Schlafgelegenheit für Menschen. Hier wird der Nil auch gemäß einem gängigen historischen Wissen um die Entstehungsbedingungen der ägyptischen Zivilisation aufgeladen, denn wenn der Nil die Ufer übertritt, düngt er den Boden; und ebenso erwacht Ebers’ faktual-fiktive Geschichte zum Leben, die neben der paratextuellen Markierung des Romans als historischen Roman mit dem ersten – poetischen, überzeitlich wirkenden – Satz im Bereich der Fiktion anzusiedeln ist. Ebers spart nicht an Ornat, um Leser:innen gemäß zeitgenössischer Konventionen in einen ›literarischen Modus‹ zu versetzen. Insgesamt verwendet er in sehr großem Maß Personifikationen, Metaphern und Vergleiche,Footnote 45 überhöhende Begriffe wie »Schlummer« (z. B. I 49) statt Schlaf, und er setzt häufig auf die Klangwirkung von Passagen. »In ihrer nackten Schönheit, vom goldnen Salböle glänzend, standen sich der Jüngling und der Mann gegenüber, einem Panther und einem Läwen gleichend, die sich zum Kampfe bereiten. Der junge Maron hob seine Hände vor dem ersten Anlaufe beschwörend zu den Göttern empor und rief:« (ÄK I 39) Abgesehen von der Häufung der Umlaute findet sich ein zwar knapper, aber plastischer, exotisierender Vergleich der Statur und Haltung der Männer mit Tieren. Insgesamt fällt neben den ›Lyrismen‹ ein überbordender Detailrealismus ins Auge, den Lucia Mor als ›evokative Erzählweise‹ bezeichnet hat.Footnote 46 Ebers war mit dem Maler Lawrence Alma Tadema befreundet und hat zahlreiche intermediale Projekte zwischen Malerei und Schriftstellerei verfolgt.Footnote 47 Sein Hang, Szenarien möglichst bildhaft vor Augen zu führen, kann sicherlich darauf zurück geführt werden, dass er Zeit seines Lebens mit der Malerei liebäugelte.

»Der ganze Zug glich einer bunten Masse von Rossen, Männern, Purpur, Gold, Silber und Edelsteinen. Mehr als zweihundert Reiter, alle auf schneeweißen nisäischen Pferden, deren Zaumzeug und Schabracken von goldnen Glöckchen und Buckeln, von Federn, Quasten und Stickereien strotzten […], folgten einem Mann, welcher von dem gewaltigen, rabenschwarzen Hengste […] oftmals fortgerissen wurde […].« (ÄK II 9–10)

Die Opulenz der Szenerie und die sinnliche Qualität der Gegenstände fügen sich in orientalistische Diskurse. Die stilistisch reihende Kaskade an Wörtern, die Farben, Formen und Materialien semantisieren, sowie die Hyperbolik durch die Pleonasmen entsprechen exotistisch-orientalistischen Darstellungsformen (vgl. auch u. a. ÄK III 113–114),Footnote 48 und sie erinnern – nebenbei bemerkt – an spätere ästhetizistische Schreibweisen. Ebers konstruiert eine sehr auffällige oberflächig-sinnliche Ebene, die zunächst einmal nicht den Blick auf das Szenario verstellt, weil es sich um abgegriffene literarische Mittel handelt, die aber wiederum aufgrund der überaus enormen Häufigkeit ihrer Verwendung einen verfremdenden Effekt haben und die Aufmerksamkeit ganz im Sinne des Russischen Formalismus auf die Sprache selbst lenken:

»Myrten- und Palmenzweige, Rosen, Mohn- und Oleanderblüten, Silberpappel‑, Palmen- und Lorbeerblätter lagen auf allen Wegen. – Weihrauch, Myrrhen und tausend andere Wohlgerüche durchwehten die Luft, Fahnen und Teppiche flatterten und wogten von allen Häusern.« (ÄK II 65)

»Oliven‑, Citronen- und Platanenhaine, Maulbeer und Weinpflanzungen zogen sich am Fuße der Berge hin, während in größerer Höhe Pinien, Cypressen und Nußbaumwälder grünten. […] Im Grase der Wiesen und am Boden der Wälder blühten farben- und duftreiche Blumen. […] Ein tiefblauer vollkommen wolkenloser Himmel lag über dieser üppigen Landschaft […].« (ÄK III 58–59)

Zusätzlich zur landschaftlichen Exotik werden auch kulturelle Versatzstücke – man könnte auch sagen: Paradigmen – um ihrer selbst willen benannt und gereiht, um die gängigen Ägypten-Topoi abzuklappern. Ebers versucht auch, gelegentlich ›Ägyptizismen‹ unterzubringen, z. B. indem er einer Figur die Redewendung anerfindet, eine Situation sei so still wie »eine ägyptische Grabkammer« (ÄK I 6), was insofern aus der Deixis der Diegese fällt, als eine altägyptische Figur kaum auf eine ägyptische Grabkammer, sondern auf eine Grabkammer rekurrieren würde. Ein historischer oder kultureller Vergleich, der die Erwähnung Ägypten eigens nötig macht, steht nur aus der Autorenperspektive des Deutschlands des 19. Jahrhunderts, nicht aber aus der Perspektive des konkreten Kontexts der Diegese zur Debatte, auch wenn die Figuren im Roman insgesamt bewusst Nationalitäten verhandeln. Insgesamt sei konstatiert, dass Ebers’ Stil ebenso eingängig wie penetrant ist. Eingängig, weil die Bilder eine enorme Suggestivwirkung entfalten können, die die sprachliche Konstruktion unsichtbar macht; penetrant, weil alle gängigen oder abgegriffenen Mittel ausgeschöpft werden, um permanent überexplizit die eigene Literarizität zu kommunizieren.

Ebers’ Ägyptenbild wird allerdings nicht hauptsächlich im fiktionalen Fließtext gestaltet, der, wie bereits erwähnt, letztlich trotz der Historizität des Szenarios und der wesentlichen Handlungselemente eine recht entrealisierte Liebesgeschichte entfaltet, sondern dies übernehmen die zahlreichen Anmerkungen, die einen mehr oder weniger wissenschaftlichen Status haben, der an anderer Stelle zu diskutieren sein wird.Footnote 49 Aber natürlich personifizieren die Romanfiguren antike Völker. Der Ägyptologe und Wissenschaftshistoriker Thomas Gertzen stuft einige Aspekte in Ebers’ Werk als orientalistisch und teils sogar antisemitisch ein.Footnote 50 Überzeugender erscheinen mir die Ausführungen von Suzanne Marchand, die zwar eingesteht, dass Ebers’ Figuren jeweils Nationalstereotype repräsentieren,Footnote 51 die aber ebenso konstatiert, dass Ebers diese in seinem Arrangement insgesamt eher abschwächt als bestärkt.Footnote 52 Sicherlich findet eine Bevorzugung der dem Verfasser bekannteren und den Leser:innen näheren alten Griechen statt, aber ansonsten präsentiert er die verschiedenen Kulturen in einem ausgewogenen Verhältnis. Es finden Stereotypisierungen wechselseitig unter den Figuren statt. Durch die Wechselseitigkeit ist das Verhältnis nicht nur ausgewogen, sondern es wird deren Perspektivität und Relativität deutlich. Indem das Gesagte dadurch auf die Beobachterperspektive bezogen werden muss, sagt dies mehr über die sprechende Figur aus als über diejenige, auf die rekurriert wird. Der Spartaner spricht von dem »leichtblütigen Athener« (ÄK I 4), die Thrakerin entschuldigt sich bei dem Spartaner für ein üppiges Mahl (ÄK I 21) und verweist angesichts eines Katzenverbrechens auf den »Aberglaube der Aegypter« (ÄK I 24), ein ägyptischer Tempeldiener echauffiert sich über die »bösen Hyksos« (ÄK I 63), und der ägyptische Pharaonensohn Psamtik möchte sich und Ägypten »dieses griechischen Bettlerpacks« (ÄK I 148) entledigen usw. usf. Es macht einen Teil der populären Signatur von Ebers’ Text aus, dass sich das Gesagte in den stereotypen Wissenshorizont der Leser:innen fügt, und gleichzeitig dekonstruiert der Text diesen auf subtile Weise durch die wechselseitige Relativierung.

Wichtig ist aber auch die wissenschaftliche Rahmung des Textes. Ebers widmet den Roman nicht nur Richard Lepsius, »ordentlichem Professor, Doctor der Theologie«, sondern versäumt es auch nicht, für die nicht-kundige Leseschaft darauf hinzuweisen, dass es sich bei Lepsius um einen »weltberühmten Namen« handelt (ÄK I V/VI). Sich selbst bezeichnet er als »Jünger der Wissenschaft« (ÄK I IX), der den Roman zumindest vorgeblich verfasst, um »einer möglichst großen Anzahl von Gebildeten die Resultate [seiner] Studien […] zugänglich zu machen.« (ÄK I IX/X) Ob dies tatsächlich Ebers’ Schreibmotivation war, sei an anderer Stelle erörtert,Footnote 53 aber zumindest erfüllt er das im Vorwort angekündigte ›wissenschaftliche‹ Programm, indem er in den Anmerkungen ägyptologisches Wissen vermittelt, das zumeist ordentlich belegt ist. Der Roman folgt dem Prinzip des prodesse et delectare.

3 Ebers’ ›Absturz‹ als Schriftsteller

Solange in der Öffentlichkeit Ägyptomanie grassiert, trägt auch die ›wissenschaftliche‹ Signatur des Textes zu dessen Popularität bei. Das Lesepublikum interessiert sich allerdings nicht anhaltend bzw. nicht mit gleichbleibender Intensität für das alte Ägypten. Erst im Zuge der Entdeckungen Howard Carters 1922 setzt ein neuerlicher ägyptomanischer Schub ein. Neben anderen Gründen, die später diskutiert werden sollen, gerät der Roman in Vergessenheit, weil der Diskurs abreißt, von dem er abhängt und den er andererseits selbst für eine Weile mit beflügelt hatte. Man mag annehmen, Ebers sei wieder dort angelangt, wo er Ende des 19. Jahrhunderts war, als Eine ägyptische Königstochter 1995 von Bastei Lübbe in der Reihe Historica – mit Änderungen seitens des Verlages – wieder aufgelegt wurde. Dies hat jedoch nicht zu einer neuerlichen Bekanntheit des Autors geführt. Ebers’ Popularität hat sich nicht wieder eingestellt. Bölsche bringt es in seinem Nachruf auf den Autor brutal auf den Punkt: »Kein zweiter namhafter Dichter der letzten dreißig Jahre hat einen solchen Absturz erlebt.«Footnote 54

Weder ist Ebers in der Öffentlichkeit heute als Schriftsteller oder Ägyptologe bekannt, noch sind seine wissenschaftlichen Texte in den akademischen Kanon eingegangen – allerdings hält der »Papyrus Ebers« seinen Namen in Fachkreisen im Gedächtnis, der nach ihm benannt ist, weil er ihn in Ägypten erworben hat.Footnote 55 Natürlich gibt es wissenschaftsgeschichtliche und literaturwissenschaftliche Forschung zu dem Autor. In Überblicksdarstellungen des 20. Jahrhunderts findet er sich jedoch nur selten, am Rande. Fritz Martini widmet Ebers in zwei Literaturgeschichten je einen kurzen Absatz und fokussiert die mangelnde historiografische ›Authentizität‹ – in weiten Teilen zu Unrecht, denn Ebers hat die freie Ausgestaltung des wissenschaftlich recherchierten Stoffes nie geleugnet, also keinen ›Schein‹ produziert, sondern Fiktion: »Sie waren voll Spannung, Konflikten und Gelehrsamkeit und kamen geschickt dem historischen Interesse der Zeit entgegen, das gutgläubig auch den Schein für eine geschichtliche Wahrheit nahm.«Footnote 56 Ebers’ Stil berge die »Sensation des Exotischen«Footnote 57 und entspreche »dem akademischen und eklektizistischen Museumsstil der Zeit, der das Romantische zum Romanhaften verstofflichte«Footnote 58. Für Wolfgang Spiewok ist »verflachter Historismus« am Werk, um Geschichtswissen »einer möglichst großen Zahl von Gebildeten in meist anspruchsloser Form zugänglich zu machen«Footnote 59. Hugo Aust konzentriert sich auf die Zuordnung der Texte Ebers’ zum Professorenroman als »Extremform«Footnote 60 des historischen Romans, der, so Aust, die »wissenschaftliche Fratze der Anmerkungen«Footnote 61 zeige. Während all dies drauf abzielt, dass die Wissenschaftlichkeit der Endnoten etc. dem Roman schlecht bekämen, scheint das Problem bei Peter Sprengel eher darin zu liegen, dass das Historische ›äußerlich‹ bleibt: »Das mühsam rekonstruierte historische Milieu wird im gleichen Zuge immer mehr zur bloßen Fassade.«Footnote 62 Ebers’ berühmtester Interpret in der Reihe der Verfasser von historischen oder gattungspoetologischen Gesamtdarstellungen ist Georg Lukàcs, der Ebers »leere antiquarische […] Exotik«Footnote 63 zuschreibt und feststellt, dass »bei Ebers oder Dahn der flachste, seelenloseste Naturalismus in der deutschen Literatur vorweggenommen wird.«Footnote 64 Der Autor sei ein »vulgärer Populisator einer oberflächlichen und banalen Ägyptologie«Footnote 65. Lukács urteilt in dem Zusammenhang allerdings ohnehin nicht gnädig über Unterhaltungsliteratur.Footnote 66

Alles in allem kommen im 20. Jahrhundert in Überblicksdarstellungen nur wenige Seiten Beachtung für Ebers zusammen. Das ist nichts Nichts, aber weit von Popularität entfernt. Ebers fände sicher keine Erwähnung, wenn Kraus nicht Ende des 19. Jahrhunderts das Etikett Professorenroman erfunden und Ebers in dem Kontext diskutiert hätte. Dort, wo Ebers punktuell Beachtung findet, wird eigentlich oftmals nur diese Variante des historischen Romans erwähnt, die nun einmal an Ebers geknüpft wurde. Auf den ersten Blick scheinen sich alle soeben zitierten Abwertungen darauf zu beziehen, dass historische Einblicke bei Ebers trivialisiert und banalisiert werden. Aber all diesen Autoren und Kritikern geht es nicht um Geschichtsschreibung; eigentlich nehmen sie literarische Wertungen vor und unterstellen Ebers mangelnde ästhetische Tiefe. Um es plump zu sagen: Die Kritiker hätten all dies Thomas Manns Josef-Romanen nicht unterstellt, nicht etwa, weil man Thomas Mann mehr Geschichtskenntnisse zutrauen konnte – im Gegenteil! –, sondern weil man ihn für den besseren, ernsthafteren Schriftsteller hielt, der das Historische besser existentiell aufzuladen verstand. Begriffe wie Kulisse, Fassade und Museumsstil weisen Ebers’ Konstruktionsweise als oberflächlich aus; es wird keineswegs gesagt, dass der Kulisse etc. in einem historischen Sinn nicht genüge getan wird, sondern dass Ebers aufgrund von mangelnder erzählerischer Syntheseleistung keine literarische Integration gelingt.Footnote 67

Da Kanonisierung und Institutionalisierung noch unwahrscheinlicher sind als Popularität, stellte sich im Prinzip nicht die Frage, warum eine Entpopularisierung von Ebers und seinen literarischen Texten stattgefunden hat. Wie bereits gesagt, reißen manchmal Diskurse ab, z. B. das Interesse für das alte Ägypten. Manchmal nutzen sich Schreibweisen ab, z. B. die des historischen Romans bzw. poetischen Realismus’ im Kontext der literarischen Moderne und der Avantgarden. Und letztlich sind Kanonisierung und institutionelle Pflege eines Romans oder Autors nicht dadurch gesichert, dass sie populär sind. Zum einen ist es möglich, Ebers’ Schreibweise als stereotyp und wenig einzigartig zu betrachten. Zum anderen sind quantitative Beachtungserfolge Ende des 19. Jahrhunderts zwar offensichtlich bemerkenswert, sonst gäbe es besagte Ranglisten der Leihbüchereien nicht; sie sind aber dennoch keine Grundlage, um einen Text zu bewahren. D. h. sowohl als stilistisch-strukturell kitschig wahrgenommene Romane als auch quantitativ erfolgreiche Texte werden nicht unbedingt kanonisiert. Aber bei Ebers hat der ›Absturz‹ noch eine besondere Wendung, weil es sich um einen zweifachen Niedergang handelt, indem Ebers auch als Ägyptologe von den Kollegen in den Hintergrund gedrängt wurde und kaum in das wissenschaftshistorische Gedächtnis eingegangen ist. Ebers wird noch zu seinen Lebzeiten in der Ägyptologie nicht etwa zur Seite geschoben, weil er als Dichter in den 1890er Jahren langsam eine Entpopularisierung erfährt, sondern gerade seine große ›Popularität‹ – im Sinne von quantitativem Erfolg und Schreibweisen des Populären – mindestens bis in die 1880er bzw. auch noch in die 1890er Jahren hinein stellt in der Ägyptologie ab den 1880er Jahren ein Problem dar. Absturz und Verdrängung sind freilich zu harte Worte für einen Ausdifferenzierungs- und Spezialisierungsprozess, in dessen Zuge die populäre Seite des Fachs Ägyptologie vielleicht notwendigerweise abgeschnitten werden musste.

4 Entpopularisierung als Voraussetzung von Ausdifferenzierung und Spezialisierung

Ebers’ Beliebtheit als Hochschuldozent und seine Romane haben einiges zur Popularisierung und damit auch zur Etablierung der Ägyptologie beigetragen. 1870/71, als Ebers von Jena nach Leipzig wechselt, entsteht Ägyptologie als eigenständiges Fach an der dortigen Universität.Footnote 68 Zusammen mit Berlin und Göttingen und nach dem Intermezzo in Jena gehört diese Universität zu denjenigen, die das Fach in Deutschland mitetabliert haben. Damit befindet sich der vielleicht ›schlechteste Ägyptologe‹ sowie ein literarischer Text am Beginn der Ausdifferenzierung des Fachs;Footnote 69 eine Ausdifferenzierung, die Ebers aber letztlich nicht ernsthaft vollzieht, geschweige denn abschließt. Wenn in der Forschung in Bezug auf Ebers von einem »untrennbar amalgamierte[n] Dichter-Wissenschaftler«Footnote 70, von einer Überbrückung zwischen »scholarship und popular culture«Footnote 71 oder von einer »Synthese von Geschichtswissenschaft und Kunst«Footnote 72 die Rede ist, dann wird übersehen, dass hier etwas überbrückt werden soll, was noch nicht auf eigenen Beinen steht, etwas verschmolzen, was noch keine eigene Form hat,Footnote 73 nämlich die Ägyptologie als wissenschaftliche Fachdisziplin. Ebers selbst hat vergleichsweise wenige wissenschaftliche Untersuchungen vorgelegt. Unter diesen stellt Aegypten und die Bücher Mose’s (1868) eine sehr digressive erzählerische Kompilation dar. Durch Gosen zum Sinai (1872) zerfällt in einen erzählerischen Reisebericht und einen wissenschaftlichen Anmerkungsteil – und spiegelt rein strukturell seine beiden ersten Romane samt ihrem Endnotenapparat. Außerdem schreibt er den populärwissenschaftlichen mit Illustrationen namhafter Maler versehenen Band Aegypten in Wort und Bild (1879). Ebers arbeitet nicht disziplinär spezialisiert, aber er ist stets nicht nur insofern redlich,Footnote 74 als er alle Aussagen belegt, sondern er weist auch in seinen Romanen aus, wo er aus dramaturgischen Gründen Änderungen von den historischen Gegebenheiten, so weit gesichert, vorgenommen hat. Ebers kennt die Grenzen seiner Kompetenz und flaggt diese aus, wodurch er nicht das Geringste mit heutigen Populärphilosophen gemein hat.

Aber mit Ebers’ Grenzgängen ist Schluss als Ebers’ Schüler Adolf Erman 1884 die École de Berlin gründet und das so genannte goldene Zeitalter der Ägyptologie miteinleitet.Footnote 75 Erman würdigt Ebers als einen sehr guten Lehrer und charakterisiert ihn als außergewöhnlich liebenswürdigen und hilfsbereiten Menschen,Footnote 76 was er durchaus nicht all seinen Lehrern und Kollegen nachsagt. Aber in Leipzig zum Studium angetreten, um in ägyptischer Syntax unterrichtet zu werden, war Erman von Ebers enttäuscht, denn von dieser »wußte auch Ebers« nichts, wie Erman in seiner Autobiografie anmerkt.Footnote 77 Erman spricht Ebers fast jegliche wissenschaftliche Leistung ab. »Es ist mir immer lehrreich gewesen, daß die spätere deutsche Ägyptologie allein auf diesem Manne beruht, der doch selbst in der Wissenschaft kaum etwas leistete.«Footnote 78 Abfällig äußert er sich auch über Ebers’ Romanwerk.

»Den Ruf, der der Ägyptologie in wissenschaftlichen Kreisen anhaftete, konnte es auch nicht bessern, daß sie gerade damals bei dem großen Publikum in Mode kam. Ebers hatte die Sage von der ägyptischen Prinzessin, die an den persischen Hof verheiratet wird, zu einem Romane gestaltet und hatte dies so geschickt gemacht, daß jedes junge Mädchen dafür schwärmte; jeder Buchhändler konnte dies Buch als eines empfehlen, daß auf dem Weihnachtstisch nicht fehlen dürfe. Und da dieser Roman einen so großen Erfolg hatte, folgte ihm nun jährlich ein anderer, und der ›neue Ebers‹ wurde im Herbste mit Spannung erwartet. […] Alle, die bisher von ihm nichts gewußt hatten, als daß es dort Pyramiden, Obelisken und Mumien gegeben habe, wußten jetzt von Ramses und Theben […]. Daß dies der Wissenschaft direkt Segen gebracht hätte, kann man nicht behaupten, mag auch der eine oder andere Junge dadurch angeregt worden sein, sich mit dem alten Ägypten zu beschäftigen. Aber gut war es doch, daß unserem Volke die alten Ägypter so etwas vertrauter wurden. […] [M]an begann zu ahnen, daß sie Menschen waren wie andere auch. Diese Erkenntnis angebahnt zu haben, ist das große Verdienst von Ebers. Gewiß sind die Ägypter, die er uns vorführt, geglättet und verzeichnet […].«Footnote 79

Die undankbar erscheinende Aussage wird verständlicher im Kontext von Ermans Anstrengung um Professionalisierung, Profilierung und Institutionalisierung der Ägyptologie.Footnote 80 Vor diesem Hintergrund spielt auch die Glaubwürdigkeit der Aussagen keine Rolle, wobei diese nicht als gering einzustufen ist. Erman bedient sich misogyner Topoi, um Ebers als Unterhaltungsschriftsteller abzuqualifizieren; und auch die serielle Produktion, die nicht selten ein Merkmal populärer Artefakte ist, scheint dem Sprachwissenschaftler suspekt zu sein. Obwohl Erman zugesteht, dass Wissenschaftspopularisierung den wissenschaftlichen Nachwuchs sichern kann, läuft sie für ihn dennoch vor allem auf Trivialisierung und Verflachung hinaus, zieht Erman also in Abgrenzung von Ebers eine deutliche Grenze zwischen der Öffentlichkeit sowie dem, was Laien wissen und lernen können, und einer eher hermetischen und kniffligen philologischen Wissenschaft.

Erman arbeitet mit unverklärtem Blick,Footnote 81 streng philologisch und leistet bedeutende Beiträge zur ägyptologischen Sprachwissenschaft, z. B. zur altägyptischen Syntax. D. h. erst mit Erman vollzieht sich eine komplette Ausdifferenzierung,Footnote 82 die allerdings auch mit Schließung einhergeht. Für Laien sind Ermans Publikationen schwer bis nicht zugänglich, während Ebers’ wissenschaftliche Texte sehr leicht lesbar und verständlich sind. Noch lebt Ebers und noch ist er ein populärer Schriftsteller, aber Erman stellt die Ägyptologie auf philologisch-textkritische Füße, während Ebers stets interdisziplinär und kulturgeschichtlich gearbeitet hat. Tatsächlich hatte gemäß Erman ausgerechnet Lepsius ihm geraten, seinerseits nicht auf historischem Gebiet, sondern in der Grammatik zu promovieren.Footnote 83 Wie sehr Entpopularisierung ein Anliegen Ermans war, zeigt auch folgende Aussage: »Daß die Dilettanten, die in England und anderswo mit Hieroglyphen spielten, von so ungeheuerlichen Dingen nichts wissen wollten, versteht sich von selbst.«Footnote 84 Die Ägyptologie gewinnt letztlich, nachdem Ebers sie mitetabliert hatte, an Professionalisierung, Spezialisierung und Distinktion, indem man sich von Ebers explizit abwendet und die populäre Seite des Fachs abstreift.Footnote 85 Der wissenschaftliche Diskurs entpopularisiert sich also, nachdem Ebers’ Popularität dazu verholfen hatte, das Fach zu popularisieren und mit zu etablieren.

Wäre Ebers in den literarhistorischen Kanon eingegangen, würde man sich in der Ägyptologie sicherlich häufiger an ihn als einen ihrer Mitbegründer bzw. strukturell – und hochschuldidaktischFootnote 86 – durchaus wichtigen Vertreter der zweiten GenerationFootnote 87 erinnern. Aber unter der gegebenen Bedingung der literaturgeschichtlichen Entpopularisierung setzt sich Ermans Sicht auf die Dinge auch nachträglich durch. Thomas Gertzen hat Ebers große Aufmerksamkeit in einer wissenschaftshistorischen Publikation gewidmet.Footnote 88 Der geringe wissenschaftshistorische Kanonisierungsgrad von Ebers’ Werk zeigt sich aber daran, dass Gertzen Ebers in seiner Einführung in die Wissenschaftsgeschichte der Ägyptologie wenig Beachtung schenkt.Footnote 89 Umgekehrt wird nun Ebers’ abnehmende Beachtung im literarischen Feld durch dessen Vergessen in der Ägyptologie zementiert, denn wäre er einer der viel erinnerten Mitbegründer des Fachs – wie z. B. Lepsius –, würde vermutlich auch sein literarisches Vermächtnis besser gepflegt oder häufiger erwähnt werden; ein literarisches Vermächtnis, das schwerlich als große Literatur für sich alleine stehen kann. Allein die 513 Endnoten in dem Roman Eine ägyptischen Königstochter beweisen den heteronomen Charakter des Textes, der stets auf seine wissenschaftliche Rahmung angewiesen war, die – durchaus nicht zu Unrecht – keine institutionelle Pflege erfahren hat.