Preise und Auszeichnungen spielen eine zentrale Rolle bei der Verteilung von symbolischem, kulturellem und ökonomischem Kapital im literarischen Feld.Footnote 1 Alleine in Deutschland gibt es über 1.000 Literaturpreise,Footnote 2 deren Verleihung häufig mit großer medialer Aufmerksamkeit einhergeht. Das gilt insbesondere für den Bachmann- und den Büchner-Preis sowie die Preise der Frankfurter (Deutscher Buchpreis) und der Leipziger Buchmesse. In der Wissenschaft gibt es eine rege qualitative Forschung zu Literaturpreisen, z. B. zur Geschichte einzelner PreiseFootnote 3 oder deren inhaltlicher Ausrichtung.Footnote 4 Quantitativ-vergleichende Analysen gab es jüngst zu den Preisen selbst, z. B. zu den prämierten Gattungen, Preisgeldern oder Formaten.Footnote 5 Quantitative Forschung zu den Preisträger:innen hingegen gibt es bislang kaum.Footnote 6

An diesem Forschungsdesiderat setzen wir mit unserem Beitrag an und nehmen eine vergleichende Untersuchung der Nominierten und Preisträger:innen von sieben Buchpreisen vor. Dabei vergleichen wir die Preise in Bezug auf soziodemographische Faktoren der Autor:innen (Geschlecht, Alter und Muttersprache), deren Bekanntheit zum Zeitpunkt der Nominierung (Aufrufe auf Wikipedia), die Anzahl vorheriger Nominierungen der Autor:innen für den gleichen Buchpreis, die ›Qualität‹ der ausgezeichneten Bücher (Anzahl der Rezensionen des nominierten Buches, positive bzw. negative Beurteilung in Rezensionen sowie die Einigkeit der Rezensent:innen darüber), das Ansehen der Verlage und die Geschlechterzusammensetzung der Jurys.

Unseren empirischen Analysen liegen Daten für sieben Buchpreise aus dem deutschsprachigen Raum zugrunde, die mit einer vorab veröffentlichten Long- und/oder Shortlist arbeiten. Der Analysezeitraum umfasst die Jahre 2005–2020. Unser Datensatz beinhaltet Informationen zu 428 Autor:innen mit insgesamt 627 nominierten Büchern und 2.469 Rezensionen zu diesen Büchern. Er wurde aus verschiedenen Quellen mittels Web-Scraping, manueller Erhebung webbasierter Daten, händischer Kodierung sowie Expert:innenbewertungen zusammengestellt. Die Quellen umfassen Web-Daten von Wikipedia (Preise, Soziodemographik, Seitenaufrufe), Perlentaucher (Rezensionen) und der Deutschen Nationalbibliothek (vorherige Publikationen der Autor:innen). Darüber hinaus wurden Expert:innenbewertungen vorgenommen (etwa zu Verlagsprestige oder zur Einschätzung der Bewertung in den Rezensionen).

Im Folgenden bieten wir zunächst einen kurzen Überblick über (1) die aktuelle Forschung zu Literaturpreisen sowie (2) die von uns untersuchten sieben Preise. Anschließend (3) stellen wir unsere Methodik ausführlich vor und leiten daraus (4) die Ergebnisse im Detail ab. Die Hauptergebnisse unserer Analysen können wie folgt zusammengefasst werden:

  1. 1.

    Für alle Preise werden überwiegend deutsche Muttersprachler:innen mit gut rezensierten Büchern aus renommierten Verlagen nominiert. Die größten Unterschiede zwischen den Preisen bestehen hinsichtlich der gesamtgesellschaftlichen Bekanntheit der Nominierten.

  2. 2.

    Diese Tendenz ist unter den Gewinner:innen noch ausgeprägter. Beim Deutschen und Schweizer Buchpreis sowie dem Preis der Leipziger Buchmesse gewinnen primär Bücher von bereits bekannten Autor:innen mit einer hohen Zahl an Rezensionen. Zieht man als Maß für Bekanntheit die Aufrufe auf Wikipedia heran, gewinnen beim Preis der Leipziger Buchmesse, dem aspekte-Literaturpreis sowie beim Literaturpreis Text & Sprache im Vergleich zu den Nominierten weniger bekannte Autor:innen. Beim aspekte-Literaturpreis werden häufig Autor:innen prämiert, die dem breiten Publikum eher unbekannt sind, allerdings zuvor viel Aufmerksamkeit in den Feuilletons erhalten, also feldspezifische Bekanntheit erreicht haben.

  3. 3.

    Bei den beiden besonders publikumswirksamen deutschen Preisen (Deutscher Buchpreis und Preis der Leipziger Buchmesse) werden oft Bücher nominiert, die vorab bereits häufig rezensiert wurden. Bei den Gewinner:innen ist dies jeweils noch ausgeprägter.

  4. 4.

    Beim Deutschen Buchpreis und beim Preis der Leipziger Buchmesse werden zudem mehr Männer als Frauen nominiert. Dennoch gewinnen beim Deutschen Buchpreis Frauen ähnlich häufig wie Männer. Bei den anderen untersuchten Preisen entspricht das Geschlechterverhältnis der Gewinner:innen in etwa demjenigen der Nominierten.

  5. 5.

    Die Jurys der deutschen Preise sind vorrangig mit Männern besetzt, diejenigen der österreichischen Preise eher mit Frauen.Footnote 7

1 Forschungsüberblick

Die literaturwissenschaftliche Forschung im deutschsprachigen Raum hat sich in vielfältiger Weise mit Literaturpreisen beschäftigt. Neben zahlreichen Einzelbeiträgen betrifft dies insbesondere die 2020, 2021 bzw. 2022 herausgegebenen Überblicksdarstellungen Literaturpreise. Geschichte, Theorie und Praxis sowie Literaturpreise. Geschichte und Kontexte und Der Wert der Preise. Valorisierungsdynamik in der deutschen Literaturpreislandschaft 1990–2019.Footnote 8 Unter verschiedenen Forschungsprojekten, die sich längerfristig mit Literaturpreisen auseinandergesetzt haben, sind das Essener DFG-Projekt Literaturpreise im deutschsprachigen Raum seit 1990: Funktionen und WirkungenFootnote 9 sowie das Bielefelder SFB-Teilprojekt »Nullmeridian der Literatur«? Der Literaturnobelpreis als globaler VergleichsmaßstabFootnote 10 hervorzuheben.

Die Literaturwissenschaft versteht – mit den Worten von Lutz Hagestedt – Literaturpreise als »ein Instrument, um kulturelle Werte (etwa literarische Exzellenz) und ästhetische Orientierungen (etwa Geschmack) zu kommunizieren und Wertstiftungen und Stilbildung anzuregen und zu belohnen«.Footnote 11 Je nach konkreter Ausrichtung der Preise hätten sie den Zweck, »Trends zu verstärken und abweichende Varietät zu fördern«,Footnote 12 zumindest in ›offenen‹ Gesellschaften, wohingegen sie in totalitären Gesellschaften oft einen politischen Zweck besäßen. Hagestedt weist auch darauf hin, dass Preise ein »historisch variables Ranking literarischer Moden, Vorlieben und Strömungen« konstituieren.Footnote 13 Auf entsprechende Kritik an den Preisen von Seiten der Autor:innen geht Steffen Richter ein.Footnote 14

Christoph Jürgensen beschreibt drei Funktionen, die Literaturpreise erfüllen: (1) eine »soziale Funktion, insofern sie Autoren mit ökonomischem, kulturellem und symbolische[m] Kapital ausstatten«, (2) eine »kulturpolitische Funktion, indem sie literarische Werte […] wie außerliterarische Qualitäten […] fördern«, und (3) eine »repräsentative Funktion« »in der Selbstinszenierung als preisverleihende Institution und der Fremdinszenierung der jeweiligen Preisträger«.Footnote 15 Dabei unterscheiden sich für Jürgensen der Preis der Leipziger Buchmesse und der Deutsche Buchpreis insofern von den anderen Preisen, als sie »in neuartiger Weise sowohl den Literaturbegriff als auch die Konzepte von Autorschaft unter den Bedingungen einer nachbürgerlichen, auf Erlebnisqualität abonnierten Gesellschaft [definieren], d. h. einer Gesellschaft, in der sich die Prominenz und der Erfolg von Büchern nicht mehr einem bildungsbürgerlichen Kulturwert, sondern einem Kultwert verdankt«.Footnote 16 Für den Deutschen Buchpreis identifiziert Jürgensen darüber hinaus – in leicht polemischer Manier – eine Konstanz in der Auswahl, die eine so präzise Vorstellung forme, »wie ein Roman gebaut sein muss, wie und wovon er erzählen muss, dass sich aus ihr fast eine Bastelanleitung für in ihrem Sinne preiswürdige Romane erstellen ließe«.Footnote 17 Es handle sich um »eine ebenso ernsthafte wie realistische, gesellschaftlich relevante deutsche Literatur, die zum ›wahrhaftigen‹ Leitmedium des gesellschaftlichen Diskurses über Werte stilisiert wurde«.Footnote 18 Ähnliches behandelt die Liste der »Automatischen Literaturkritik« (Kathrin Passig et al.), die mit Erwartungsschemata für erfolgreiche Texte beim Bachmann-Preis arbeitet.Footnote 19

Darüber hinaus kategorisiert Jürgensen die Preise entlang der Differenz ›Elitismus vs. Repräsentanz‹:Footnote 20 Einige Preise – etwa der Georg-Büchner-Preis – konzentrieren sich auf die Steigerung des Ansehens der Preisträger:innen im literarischen Feld selbst, während andere Auszeichnungen – etwa der Deutsche Buchpreis – darauf abzielen, die gesellschaftliche Wertschätzung für das Medium Buch allgemein zu erhöhen. Wir werden im Folgenden an diese Differenz anschließen: Unser Untersuchungsobjekt sind vor allem Preise, die der Logik der ›Repräsentanz‹ folgen, d. h. populäre Urteile abbilden und damit auch Popularität für Autor:in, Buch oder die Buchbranche insgesamt erzeugen. Vor diesem Hintergrund sind unsere Ergebnisse zu interpretieren.

Einen historischen Überblick über Literaturpreise der vergangenen 100 Jahre bietet Alessandra Goggio. Sie identifiziert den Preis der Leipziger Buchmesse und den Deutschen Buchpreis als besonders »publikumswirksame[] Preise[]«, die sich »positiv auf den Markt aus[wirken]«.Footnote 21 Darüber hinaus sieht sie in den beiden Preisen »Forderungen nach einem nationalen und mit ausländischen Auszeichnungen vergleichbaren Preis[]« erfüllt, insbesondere wegen »ihrer Überregionalität, ihrer Wirksamkeit auf dem Markt, ihrer Verbindung mit den beiden Buchmessen und eines Netzes von Terminen und Lesungen«.Footnote 22 Sandra Vlasta spricht analog von einem »Prinzip der Aufmerksamkeitsmaximierung«Footnote 23 für den Deutschen Buchpreis. In einem weiteren Beitrag vergleicht Goggio die beiden Preise konkret miteinander:Footnote 24 Gemeinsamkeiten identifiziert sie insbesondere in struktureller Hinsicht (die Verleihung in Zusammenhang mit einer Buchmesse und die Inszenierung als medienwirksames Ereignis). Einen Unterschied sieht sie hinsichtlich der ausgezeichneten Gattung (keine Einschränkung beim Preis der Leipziger Buchmesse; ein Roman im Falle des Deutschen Buchpreises) sowie eines höheren Interesses der Literaturkritik für den Deutschen Buchpreis, wobei sie für letzteres keine Belege anführt. Unterschiede im Blick auf die Wertungskriterien identifiziert sie ebenfalls nicht.Footnote 25

Dennis Borghardt und Sarah Maaß werfen am Beispiel der rings um die bzw. auf der Frankfurter Buchmesse verliehenen Preise die Frage auf, inwieweit sich »literarische und außerliterarische (etwa ökonomische oder soziopolitische) Wertmaßstäbe in Literaturpreisvergaben verschränken«.Footnote 26 Sie kommen zum Ergebnis, dass den Deutsche Buchpreis eine »dominant nach literarischen Werten operierende Wertungspraxis« auszeichne, während etwa beim Friedenspreis des Deutschen Buchhandels »literarische durch außerliterarische Wertmaßstäbe überlagert werden«.Footnote 27 Für den Deutschen Buchpreis konstatieren sie, dass die Verengung auf die Gattung Roman der Bezeichnung ›Buchpreis‹ widerspreche.

Dirk Knipphals beschreibt – unter anderem auf der Basis eigener Erfahrungen – die Arbeit von Literaturjurys, insbesondere als psychosoziales Gruppenphänomen. Durchaus unironisch hält er fest: »Man wäre sehr naiv, nähme man an, dass sich das bessere Argument oder die bessere Qualität von sich aus durchsetzen würde. Es geht immer auch um die Tagesform, mit der es gelingt, den eigenen Punkten Ausdruck zu verleihen. Und es geht auch um äußerliche Dinge wie die Sitzordnung oder die Frage, wann eine Zigarettenpause eingelegt wird.«Footnote 28 Er sieht drei Dinge, die eine gute Jury-Entscheidung berücksichtigen müsse: ein Schlaglicht auf einen interessanten Text werfen, einen Trend setzen oder verstärken und eine gute Debatte innerhalb der Jury führen.Footnote 29 Gleichzeitig konstatiert Knipphals ein Aufmerksamkeitsdefizit hinsichtlich der einflussreichen Rolle von LiteraturjurysFootnote 30 und dies, obwohl Jurys ein überaus wichtiges »eingeführtes Instrument [sind], um die notwendige Auswahl von Kandidaten mit Legitimität auszustatten«.Footnote 31 Weiteren Einblick in die Tätigkeit von Literaturjurys gibt Phillipa K. Chong auf der Basis von Interviews mit Jurymitgliedern.Footnote 32

Literaturpreise gehen in der Regel mit einer zeremoniellen Preisverleihung einher, die die Auswahl der Nominierten und Preisträger:innen beeinflussen kann. Burckhard Dücker untersucht Literaturpreisverleihungen als rituelle Handlungen:Footnote 33 Im »›sozialen Drama‹« der Preisverleihung »erfahren Akteure und Publikum einen dramatisch bzw. narrativ generierten Sinn« als Teil eines klar strukturierten Rituals: »Zu Beginn nimmt ein designierter Preisträger in der ersten Reihe Platz, nach Begrüßung, Laudatio, Überreichung der Insignien, Dankrede auf der Bühne als Zeichen des neuen Status, womöglich weiteren Ansprachen und Verabschiedung verlässt ein konsekrierter Preisträger die Stätte.«Footnote 34 Man könne dies mit einem »religiösen Weiheakt«Footnote 35 vergleichen.

Im Rahmen des Zeremoniellen sowie des mit dem Preis verbundenen symbolischen Kapitals spielt eine Rolle, dass nicht nur Autor:innen durch die Auszeichnung mit Anerkennung ausgestattet werden, sondern auch die Reputation der Autor:innen diejenige des Preises steigert. Dies thematisiert Carolin Amlinger in einem Beitrag über Auszeichnungsökonomien im Literaturbetrieb der Gegenwart und deren »unbeabsichtigte[] Nebenfolgen«.Footnote 36 Sie zitiert einen Autor mit den Worten, dass »›alle Juroren jemanden auszeichnen [wollen], von dem man dann auch liest: gut, dass ihr den ausgezeichnet habt […].‹«Footnote 37 Amlinger fasst dies abstrahierend zusammen: »Da Literaturpreise selbst legitimierungsbedürftig sind, möchten sie auch an der Reputation der ausgezeichneten AutorInnen partizipieren; das wechselseitige Prinzip des Kennens und Anerkennens ist ein konstitutiver Bestandteil der Auszeichnungspraxis.«Footnote 38

In aller Regel verfahren die genannten (und andere) Forschungsbeiträge qualitativ-deskriptiv, um Literaturpreise im deutschsprachigen Raum zu erfassen. Die wenigen soziologischen Beiträge, die sich Literaturpreisen widmen, sind vor allem der Kultursoziologie zuzuordnen und fokussieren sich auf Wertungs- und Bewertungspraktiken.Footnote 39 Eine Ausnahme dazu stellt ein Sammelband aus dem Kontext des erwähnten Essener DFG-Projekts dar, der unter anderem drei Beiträge zur »Empirie der Literaturpreise« umfasst.Footnote 40 Darin enthalten sind quantitative Auswertungen der Preise selbst, unter anderem Daten zu ihrer Dotierung, zu den unterschiedlichen Kategorien, für die sie verliehen werden (Belletristik, Sachbuch etc., bzw. unterschiedliche Gattungen, also Roman, Lyrik etc.), zur geographischen Reichweite der Preise und zu den Formaten ihrer Verleihung. Flankiert werden soll der Band durch eine Datenbank, die die Informationen digital aufbereitet.Footnote 41

Was einen quantitativ-empirischen Zugriff auf die Nominierten und Preisträger:innen anbelangt, gibt es hingegen bislang kaum Forschung. Eine Ausnahme stellt ein Beitrag von Jonas Heß dar, der die Longlists des Deutschen Buchpreises seit Erstvergabe 2005 bis 2022 im Hinblick auf die vertretenen Verlage und das Geschlecht der Autor:innen quantitativ analysiert.Footnote 42 Er beobachtet zum einen ein »Übergewicht der großen Verlage. Von den 66 Verlagen, die es bislang auf die Longlist geschafft haben, konnten überhaupt nur neun den Wettkampf mindestens einmal für sich entscheiden«.Footnote 43 Zum anderen kann er feststellen, dass »bislang fast doppelt so häufig Männer (229) wie Frauen (130) oder sich als nicht binär identifizierende Personen (1) mit einem Buchtitel für die Vorauswahl des Preises nominiert […], aber trotzdem mehr Titel von Frauen (9) schlussendlich tatsächlich mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet [wurden] als Titel von Männern (8)«.Footnote 44 Was die Nominierungen anbelangt, sieht er eine deutliche Verschiebung hin zu einer Gleichverteilung zwischen Männern und Frauen in den Jahren ab 2018, was er unter anderem auf die ›Me-too-Debatte‹ ab 2017 zurückführt.Footnote 45

Wir werden die Analysen von Heß in doppelter Hinsicht erweitern und vertiefen: Erstens beziehen wir sieben Literaturpreise aus dem deutschsprachigen Raum ein, die mit einer Long- und/oder Shortlist arbeiten. Zweitens untersuchen wir weitere Dimensionen, nicht nur Verlag und Geschlecht der Autor:innen. Im Folgenden bieten wir einen Überblick über die sieben Preise, die wir untersuchen, und eine Zusammenfassung unserer Methodik, bevor wir unsere Ergebnisse im Detail präsentieren.

2 Die Preise im Überblick

Wir untersuchen in diesem Beitrag ausschließlich Preise, die mit einer Long- und/oder Shortlist arbeiten, also vor der eigentlichen Preisvergabe eine Auswahl potentieller Preisträger:innen bekanntgeben, aus denen dann eine Person gewählt wird. Nach dieser Logik funktionieren – in chronologischer Reihenfolge ihrer Erstverleihung – (1) der aspekte-Literaturpreis, (2) der Preis der Leipziger Buchmesse, (3) der Deutsche Buchpreis, (4) der Schweizer Buchpreis, (5) der Österreichische Buchpreis und (6) dessen Debütpreis sowie (7) der Literaturpreis »Text & Sprache«. Darüber hinaus sind die genannten Preise nicht nur hinsichtlich des Verfahrens, sondern auch konzeptionell vergleichbar, etwa in ihrer Fokussierung auf ein (vornehmlich kürzlich erschienenes) Werk, im Preisgeld oder in der Zusammensetzung der Jurys. Sie bilden damit eine Einheit im Feld der Literaturpreise im deutschsprachigen Raum, das sich ansonsten durch große Heterogenität auszeichnet.Footnote 46 Im Folgenden seien sie kurz vorgestellt:

  1. (1)

    Der aspekte-Literaturpreis wird seit 1979 vom ZDF »für das beste deutschsprachige Prosa-Debüt« vergeben und ist mit 10.000 Euro dotiert.Footnote 47 Die Shortlist umfasst jeweils fünf Romane. Bekannte Preisträger:innen waren z. B. Felicitas Hoppe, Herta Müller, Hanns-Josef Ortheil, Katja Petrowskaja oder Eugen Ruge. Die Jury wechselt jährlich und umfasst Literaturkritiker:innen des ZDF und anderer Fernsehsender, überregionaler Zeitungen sowie Vertreter:innen von Buchhandlungen oder Buchhandelsketten.

  2. (2)

    Der Preis der Leipziger Buchmesse wurde 2005 ins Leben gerufen.Footnote 48 Er wird von der Leipziger Messe gemeinsam mit der Stadt Leipzig und dem Freistaat Sachsen verliehen und ist mit dreimal 20.000 Euro dotiert. Er »ehrt herausragende deutschsprachige Neuerscheinungen und Übersetzungen in den Kategorien Belletristik, Sachbuch/Essayistik und Übersetzung«.Footnote 49 Als ›Neuerscheinung‹ wird ein Buch betrachtet, das in den zwölf Monaten vor der jeweiligen Messe publiziert wurde. Die Shortlist umfasst pro Kategorie fünf Titel. Zur besseren Vergleichbarkeit mit den anderen Preisen untersuchen wir nur die Nominierungen der Kategorie Belletristik. Bekannte Preisträger:innen in diesem Bereich waren etwa Wolfgang Herrndorf, Sibylle Lewitscharoff, Terézia Mora, Saša Stanišić oder Ilija Trojanow. Die Jury umfasst sieben Journalist:innen und Literaturkritiker:innen, die unregelmäßig wechseln.

  3. (3)

    Der Deutsche Buchpreis wird seit 2005 jährlich zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels verliehen.Footnote 50 Er geht an »den deutschsprachigen ›Roman des Jahres‹«Footnote 51 und ist für den ersten Platz mit 25.000 Euro dotiert, für die weiteren fünf Finalist:innen mit je 2.500 Euro. Für den Deutschen Buchpreis wird zunächst eine Longlist mit 20 Titeln bekannt gegeben, anschließend eine Shortlist mit sechs Titeln. Unter den bisherigen Preisträger:innen befanden sich unter anderem Ursula Krechel, Robert Menasse, Terézia Mora, Saša Stanišić und Uwe Tellkamp. Die jährlich wechselnde Jury besteht aus Autor:innen, Journalist:innen und Buchhändler:innen und wird von der ›Akademie Deutscher Buchpreis‹ berufen, der Vertreter:innen der Buch- und Medienbranche angehören.Footnote 52

  4. (4)

    Der Schweizer Buchpreis wird seit 2008 vom Schweizer Buchhändler- und Verleger-Verband gemeinsam mit dem Verein LiteraturBasel verliehen. Ausgezeichnet wird das »beste erzählerische oder essayistische deutschsprachige Werk von Schweizer oder seit mindestens zwei Jahren in der Schweiz lebenden Autorinnen und Autoren«.Footnote 53 Der erste Platz erhält 30.000 CHF, die Finalist:innen je 3.000 CHF. Auf der Shortlist stehen fünf Titel. Bisherige Preisträger:innen waren unter anderem Lukas Bärfuss, Sibylle Berg, Christian Kracht, Jonas Lüscher und Ilma Rakusa. Die fünfköpfige Jury wird von den beiden Trägerorganisationen eingesetzt und umfasst »Literaturexpertinnen und -experten […] (Literaturkritik, Medien, Universitäten, Literaturveranstalter, Buchhandel, etc.)«.Footnote 54 Jedes Jurymitglied wird für ein Jahr berufen und kann dreimal wiederberufen werden.

  5. (5)

    Der Österreichische Buchpreis wird seit 2016 gemeinsam vom Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport, dem Hauptverband des Österreichischen Buchhandels und der Arbeiterkammer Wien verliehen.Footnote 55 Den Preis erhält »das beste deutschsprachige belletristische, essayistische, lyrische oder dramatische Werk einer österreichischen Autorin bzw. eines österreichischen Autors«.Footnote 56 Der Preis ist mit 20.000 Euro dotiert, die Finalist:innen erhalten je 2.500 Euro. Die Longlist umfasst zehn Titel, die Shortlist fünf. Mit dem Hauptpreis ausgezeichnet wurden in den ersten fünf Jahren Xaver Bayer, Norbert Gstrein, Friederike Mayröcker, Eva Menasse und Daniel Wisser. Die jährlich neu zusammengesetzte Jury besteht aus Literaturwissenschaftler:innen, Journalist:innen und/oder Vertreter:innen des Buchhandels. Sie wird vom Bundeskanzleramt, dem Hauptverband des Österreichischen Buchhandels und der Arbeiterkammer Wien berufen.

  6. (6)

    Zugleich mit dem Österreichischen Buchpreis wird ein Preis für das beste österreichische Debüt vergeben. Der Debütpreis ist mit 10.000 Euro dotiert. Für den Debütpreis ist eine Shortlist von drei Titeln vorgesehen.

  7. (7)

    Der Literaturpreis »Text & Sprache« wird in der gegenwärtigen Form seit 2017 verliehen: als ein mit 20.000 Euro dotierter Preis für »alle Formen von Text und Sprache, um damit das Phänomen fließender Gattungsgrenzen abzubilden«.Footnote 57 In anderen Formen (u. a. als Literaturpreis des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft ab 2009) wurde der Preis seit 1951 verliehen. Die Shortlist des aktuellen Formats umfasst 16 Titel. Unter den Preisträger:innen seit 2009 waren Thomas Glavinic, Nora Gomringer, Barbara Köhler, Ulrike Almut Sandig und Clemens J. Setz. Die Jury besteht aus »Literaturexperten, literaturerfahrenen persönlichen Mitgliedern des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft und Vertretern deutscher Unternehmen und unternehmensnaher Stiftungen«.Footnote 58

3 Daten und Methodik

Die Besonderheit der von uns verwendeten Daten, welche den Zeitraum zwischen 2005 und 2020 abbilden, besteht in den detaillierten Informationen zu den nominierten Autor:innen, deren Werken sowie der Juryzusammensetzung der jeweiligen Preise. Bei den Autor:innen unterscheiden wir nach Geschlecht, Alter und Muttersprache. Grundlage für die Erhebung dieser soziodemographischen Variablen waren die Angaben auf den Wikipedia-Seiten der Autor:innen. Bei insgesamt acht Personen, die keine eigene Wikipedia-Seite hatten, wurden die Informationen entweder den persönlichen Homepages oder den Verlagsseiten entnommen. Geschlecht ist binär kodiert (männlich/weiblich),Footnote 59 Alter in Jahren zum Zeitpunkt der Nominierung (das Alter der jüngsten Person lag bei 18, das der ältesten bei 92 Jahren) und Muttersprache ebenfalls binär (deutsch vs. andere Sprache). Die Bekanntheit der Autor:innen bilden wir mittels der Seitenaufrufe der jeweiligen deutschsprachigen Wikipedia-Seiten ab.Footnote 60 Außerdem nehmen wir die Anzahl vorheriger Nominierungen für den gleichen Buchpreis in unsere Analysen auf.

Auf Buchebene verwenden wir folgende Variablen: Anzahl der Rezensionen, die in den großen deutschsprachigen Publikationsorganen erschienen sind,Footnote 61 (mittlere) Bewertung der Bücher in diesen Rezensionen, die Varianz dieser Bewertungen sowie das Verlagsrenommee. Um die Anzahl der Rezensionen vor Bekanntgabe der Nominierung und deren Bewertung der Bücher zu erfassen, nutzen wir das Onlineportal perlentaucher.de. Die auf diesem Literatur- und Kulturportal verfügbaren Rezensionszusammenfassungen bieten ein einheitliches und relativ leicht zugängliches Format für quantitative Auswertungen und erlaubten uns zudem eine automatisierte Erfassung der Anzahl der Rezensionen pro Buch.Footnote 62 Der Redaktion von Perlentaucher zufolge – hier haben wir ein Interview geführt – bilden die Zusammenfassungen der Rezensionen die Bewertung der Rezensent:innen sehr akkurat ab. Um Kausalschlüsse zu ermöglichen, wurden ausschließlich Rezensionen in die Analysen aufgenommen, die bereits vor der Nominierung veröffentlicht waren. Quantifiziert wurden die Bewertungen der Bücher in den Rezensionen durch mehrere hierfür instruierte und bezahlte Studierende der Literaturwissenschaft: Sie stuften die auf Perlentaucher publizierten Zusammenfassungen der Rezensionen auf einer Skala von 1 (sehr negativ) bis 7 (sehr positiv) ein.Footnote 63

Um das Renommee von Verlagen zu erfassen, haben wir 12 Literaturexpert:innen (Autor:innen, Literaturstudent:innen und -wissenschaftler:innen) um ihre Einschätzung auf einer Skala von 1 (sehr niedrig) bis 5 (sehr hoch) gebeten. In unseren Auswertungen verwenden wir den Mittelwert dieser Bewertungen. Verlage, die den Expert:innen nicht bekannt waren, sind mit einem Wert von 1 eingegangen.

Auf der Ebene der Preise unterscheiden wir die Geschlechterzusammensetzung der Jury. Informationen dazu wurden entweder den Homepages der Preise entnommen oder im Falle fehlender Informationen direkt erfragt. In unseren Auswertungen unterscheiden wir zwischen Jurys, in denen überwiegend Männer oder überwiegend Frauen vertreten sind, sowie Jurys, die paritätisch besetzt sind.Footnote 64

4 Ergebnisse

In Tab. 1 sind die Merkmale der nominierten und gewinnenden Autor:innen, der jeweiligen Bücher sowie der Jurys nach Preis aufgelistet. Für die metrischen Variablen werden Mittel-, sowie Minimal- und Maximalwerte dargestellt, für die kategorialen Variablen absolute und relative Häufigkeiten. Aus dieser Überblicksdarstellung werden einige Unterschiede zwischen den Preisen sowie hinsichtlich der Charakteristika von nominierten und prämierten Autor:innen deutlich:

Tab. 1 Deskriptive Ergebnisse nach Preisen – Nominierte (NOM) und Gewinner:innen (GW)

Geschlecht.

Für Preise, die Publikumsempfehlungen in den Nominierungsprozess einbeziehen, sowie die Debütpreise (aspekte, Österreichischer Debütpreis sowie Text & Sprache) wurden mehr Frauen als Männer nominiert (zwischen 54,9 % und 66,7 %). Bei drei der vier ›etablierteren‹ Buchpreise (Deutscher und Schweizer Buchpreis sowie Preis der Leipziger Buchmesse) verhält es sich genau andersherum: Hier wurden deutlich mehr Männer als Frauen nominiert (zwischen 58,5 % und 66,7 %).

Der Anteil von gewinnenden Frauen bzw. Männern ist – mit einer Ausnahme – vergleichbar mit dem jeweiligen Anteil der Nominierten. Beim Preis der Leipziger Buchmesse und dem Schweizer Buchpreis, bei denen mehr Bücher von Männern nominiert wurden, gewinnen von Männern geschriebene Bücher auch häufiger (68,8 % und 61,5 %); bei aspekte und beim Österreichischen Debütpreis verhält es sich umgekehrt: Hier wurden häufiger Bücher von Frauen nominiert, und von Frauen geschriebene Bücher erhielten auch häufiger den Preis (60 % und 80 %). Beim Österreichischen Debütpreis lässt sich dieser ›Vorteil‹ für Frauen nicht auf die Geschlechterzusammensetzung der Jury zurückführen: Hier sind nur in drei von insgesamt fünf Jahren im Beobachtungszeitraum mehr Frauen als Männer in der Jury vertreten – wie beim Österreichischen Buchpreis, der ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis bei den Gewinner:innen aufweist.

Auffällig ist der Deutsche Buchpreis, für den mehr Männer nominiert wurden, bei dem das Verhältnis der Gewinner:innen allerdings ausgeglichen ist. Dies ist angesichts der Anzahl der Nominierten interessant, die beim Deutschen Buchpreis deutlich größer ist als bei den anderen Preisen. Die Siegerinnen haben sich also gegen mehr männliche Konkurrenten durchgesetzt als bei den anderen Preisen.

Alter.

Beim Alter der Nominierten lassen sich ähnliche Unterschiede zwischen den Preisen erkennen wie beim Geschlechterverhältnis. Für die Debütpreise und die Preise mit Publikumsempfehlungen (aspekte, Österreichischer Debütpreis, Text & Sprache) werden tendenziell jüngere Autor:innen nominiert, bei den ›etablierteren‹ Preisen (Deutscher, Österreichischer und Schweizer Buchpreis sowie Preis der Leipziger Buchmesse) ist das Durchschnittsalter der Nominierten höher. Dieses Muster lässt sich auch bei den Gewinner:innen erkennen. Bei Preisen, bei denen häufiger jüngere Autor:innen nominiert werden, gewinnen diese auch häufiger – und umgekehrt. Einzig beim Österreichischen Buchpreis fällt auf, dass Autor:innen zwischen 43 und 66 Jahren überproportional häufig gewinnen.

Muttersprache.

Der Anteil nominierter Autor:innen, deren Muttersprache nicht (ausschließlich) Deutsch ist, ist über alle Preise hinweg gering (11,1 %). Prozentuale Unterschiede zwischen den Preisen sind aufgrund der jeweils kleinen Stichprobe nicht allzu aussagekräftig. Prämierte Bücher nicht-deutschsprachiger Muttersprachler:innen gewinnen etwa proportional zu ihren Nominierungsanteilen, mit Tendenz nach oben (14,9 %). Auffällig ist, dass beim Schweizer Buchpreis der Anteil der gewinnenden Bücher von nicht-deutschsprachigen Muttersprachler:innen (23,1 %) deutlich über dem Anteil entsprechender nominierter Bücher liegt (7,7 %).

Bekanntheitsgrad.

Die Nominierten unterscheiden sich deutlich in ihrem Bekanntheitsgrad (gemessen an der Anzahl an Aufrufen ihrer Wikipedia-Seite) – obgleich bei allen Buchpreisen auch Nominierte zu finden sind, für die es zum Zeitpunkt der Nominierung keinen Wikipedia-Eintrag gab. Insbesondere diejenigen, deren Bücher für den Preis der Leipziger Buchmesse, den Österreichischen Buchpreis oder Text & Sprache nominiert wurden, waren tendenziell bekannter als diejenigen, die bei einem der anderen Preise auf der Shortlist standen. Vergleicht man die Aufrufzahlen der Wikipedia-Seiten von Nominierten und Gewinner:innen, fällt auf, dass insbesondere beim Deutschen, Österreichischen und Schweizer Buchpreis eher Bücher von Autor:innen gewinnen, deren Wikipedia-Seiten bereits vor der Nominierung relativ häufig aufgerufen wurden. Umgekehrt verhält es sich hingegen bei aspekte sowie Text & Sprache und in geringerem Maße auch beim Preis der Leipziger Buchmesse: Hier gewinnen im Verhältnis zu den Nominierten eher die unbekannteren Autor:innen.

Rezensionen.

Die Unterschiede im Bekanntheitsgrad der Autor:innen spiegeln sich auch in den Rezensionen wider. Bücher von Autor:innen, die für den Deutschen Buchpreis und den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert waren, hatten vorab mehr Buchbesprechungen bekommen als nominierte Bücher bei den anderen Preisen (durchschnittlich 4,5 bzw. 5,4 Rezensionen in den von Perlentaucher berücksichtigten Medien). Bei den ausgezeichneten Büchern schlägt dies bei beiden noch stärker zu Buche (durchschnittlich 6,1 bzw. 5,6 Rezensionen). Bei aspekte, Deutschem, Schweizer und Österreichischem Buchpreis haben die ausgezeichneten Bücher im Schnitt mehr Rezensionen erhalten als die nominierten Bücher; bei den verbleibenden Preisen lässt sich diesbezüglich kein nennenswerter Unterschied feststellen.

Urteil in den Rezensionen.

Ein ähnliches Muster lässt sich für die Bewertung der ausgezeichneten Bücher erkennen. Wenn auch die Unterschiede zwischen Nominierten und Gewinner:innen im Mittelwert gering sind, offenbaren Minimal- und Maximalwerte, dass überwiegend positiv bewertete Bücher gewinnen. Mit Ausnahme von aspekte sind – auf unserer Skala zur Abstufung der Urteile in den Rezensionen von 1 (sehr negativ) bis 7 (sehr positiv) – keine Bücher mit einer Bewertung von 3,2 oder niedriger unter den Gewinnern. Insbesondere beim Preis der Leipziger Buchmesse, dem Österreichischen Buch- sowie Debütpreis und auch für Text & Sprache zeigt sich das Muster, dass ausschließlich Bücher mit einer Bewertung von 4,8 oder höher gewinnen. Bei diesen Preisen gewinnen außerdem eher Bücher, bei denen recht große Einigkeit der Rezensent:innen bezüglich einer positiven Bewertung herrscht. Zwischen den Preisen gibt es hingegen keine bemerkenswerten Unterschiede darin, wie gut oder schlecht die Bücher im Schnitt besprochen wurden. Auch nominierte Bücher sind durchwegs gut besprochen (mehr als 5 von 7 möglichen Punkten im Durchschnitt bei allen Preisen). Bei der Varianz der Bewertung der nominierten Bücher lässt sich erkennen, dass im Gegensatz zu den anderen Preisen insbesondere die Bücher des Österreichischen Debütpreises einheitlich bewertet wurden. Dies kann allerdings auch durch die im Schnitt deutlich geringere Anzahl der Rezensionen erklärt werden.

Renommee der Verlage.

Alle von uns untersuchten Literaturpreise nominieren besonders häufig Bücher von prestigeträchtigen Verlagen. Auf einer Skala von 1 bis 5 (sehr niedriges bis sehr hohes Prestige) liegen die Verlage der Nominierten für den aspekte-Literaturpreis, den Deutschen Buchpreis, den Literaturpreis Text & Sprache sowie den Preis der Leipziger Buchmesse im Schnitt zwischen 3,7 und 4,3. Einzig für den Österreichischen Debüt- und Buchpreis, sowie den Schweizer Buchpreis werden häufiger auch Bücher nominiert, die in weniger renommierten Verlagen erschienen sind (3,0 bzw. 3,5 und 3,1). Diese geringeren Durchschnittswerte sowie die größere Reichweite der Minimal- und Maximalwerte lassen sich jedoch möglicherweise darauf zurückführen, dass Autor:innen aus den beiden Ländern häufiger bei Verlagen publizieren, die in Österreich oder der Schweiz ansässig sind und darum kleiner sowie weniger bekannt sind. Anzumerken ist auch, dass bei einigen Buchpreisen die Verlage selbst die Bücher zur Nominierung vorschlagen (bspw. beim Deutschen Buchpreis).

Bei den verbleibenden Variablen lassen sich keine systematischen Unterschiede zwischen Nominierten und Gewinner:innen erkennen, jedoch gibt es noch zwei kleinere Unterschiede zwischen den Preisen: Mit Ausnahme des Deutschen und des Schweizer Buchpreises sowie von Text & Sprache werden überwiegend Newcomer für die ausgewählten Preise nominiert. Die meisten Autor:innen standen in der Regel nur einmal auf einer Long- oder Shortlist des gleichen Preises.Footnote 65 Bei der Zusammensetzung der Jurys fällt auf, dass es bei aspekte und beim Deutschen Buchpreis ebenso wie beim Preis der Leipziger Buchmesse einen deutlichen Überhang an männlichen Juroren gab, die Jurys der österreichischen Preise sowie von Text & Sprache hingegen eher weiblich dominiert waren.

5 Zusammenfassung

Über alle Preise hinweg sind überwiegend deutsche Muttersprachler:innen mit gut besprochenen Büchern aus renommierten Verlagen vertreten. Die größten Unterschiede zwischen den Preisen bestehen hinsichtlich der Bekanntheit der Nominierten. Bei den beiden publikumswirksamen deutschen Preisen (Deutscher Buchpreis und Preis der Leipziger Buchmesse) werden mehr Männer als Frauen nominiert. Nominierte Bücher für diese Preise wurden außerdem vorab häufiger rezensiert. Trotz des männerbetonten Geschlechterverhältnisses sowohl der Nominierten als auch der Jury gewinnen beim Deutschen Buchpreis Frauen ähnlich häufig wie Männer. Bei den anderen Preisen entspricht das Geschlechterverhältnis der Nominierten demjenigen der Gewinner:innen. Die Jurys der deutschen Preise sind vorrangig mit Männern besetzt, diejenigen der österreichischen Preise eher mit Frauen.

Die Tendenz, dass besonders gut rezensierte Bücher nominiert werden, ist über die Preise hinweg unter den Gewinner:innen noch ausgeprägter. Beim Deutschen, Schweizer und Österreichischen Buchpreis gewinnen zudem primär Bücher von bereits bekannten Autor:innen mit einer hohen Zahl an Rezensionen. Beim Preis der Leipziger Buchmesse sowie Text & Sprache hingegen gewinnen auch weniger bekannte Autor:innen. Wieder anders gestaltet es sich bei aspekte, wo dem breiten Publikum eher unbekannte Autor:innen prämiert werden, die allerdings zuvor große Aufmerksamkeit in den Feuilletons erhalten haben.

Ungerechtfertigte Ungleichheiten in der Preisvergabe sind somit nur in geringem Ausmaß festzustellen. Allerdings können wir anhand unserer Daten keine Aussagen über Ungleichheiten treffen, die möglicherweise vor der Nominierung eines Buches entstehen: Gibt es beispielsweise Ungleichbehandlungen im Nominierungsprozess? Wessen Bücher werden überhaupt rezensiert und von renommierten Verlagen veröffentlicht? Für ein noch besseres Verständnis etwaiger Ungleichheiten im literarischen Feld der Gegenwart müssen diese und andere Fragen geklärt werden.

Darüber hinaus ergeben sich aus unseren quantitativ-empirischen Erkenntnissen zu sieben Literaturpreisen im deutschsprachigen Raum und den soziodemographischen Charakteristika der Nominierten und der Preisträger:innen weitere Anschlussfragen: Macht es der Erhalt eines bestimmten Preises wahrscheinlich, dass (bestimmte) andere Preise folgen?Footnote 66 Wie verändert der Gewinn eines (und welchen) Preises soziale Ungleichheiten zwischen unterschiedlichen Gruppen von Autor:innen?Footnote 67 Sind Buchpreise für etablierte Autor:innen innovationsfreudiger oder konservativer als Debütpreise, beispielsweise im Hinblick auf bereits in den Vorjahren prämierte Themen, Gattungen oder Formen des Erzählens? Welche Unterschiede gibt es zwischen Buchpreisen, die – anders als die hier untersuchten – einer Logik des ›Elitismus‹ (nach Jürgensen)Footnote 68 folgen? Welchen Entwicklungen und Moden unterliegt die Preisvergabe? Welche Themen der literarischen Texte werden von welchen Preisen besonders häufig nominiert oder prämiert?

Insbesondere der Datensatz von Perlentaucher dürfte auch in Zukunft hilfreich dafür sein, langfristige Tendenzen der Preisvergabe zu beobachten; in Kombination mit verbesserten Techniken der Mustererkennung und der künstlichen Intelligenz dürften sich aufschlussreiche Erkenntnisse ergeben, welche formalen oder thematischen Aspekte der Texte jeweils für besonders preiswürdig gehalten werden – und ob dies mit bestimmten soziodemographischen Charakteristika der Autor:innen korreliert.