1 Ausgangslage und Fragestellungen

Internet-Foren zu Gesundheit und Ernährung, Bürgerentscheide zur kommunalen Schulpolitik, der von der Deutschen Bischofskonferenz und dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) initiierte »Synodale Weg« zur Aufarbeitung und Überwindung des Machtmissbrauchs in der katholischen Kirche … – in vielen Themenfeldern und Handlungsbereichen der Gegenwart sollen bei der Bearbeitung von Aufgaben und Problemen Expert*innen (bzw. Amtsträger*innen, Institutionenvertreter*innen) und Lai*innen kooperativ zusammenwirken. Dies erscheint nicht nur als praktische Notwendigkeit, sondern auch als politische Forderung und ethisch begründete Erwartung unter der Perspektive von (internetbasierter) Medienöffentlichkeit, Demokratie und Menschenrechten: Allgemeine Belange sollen nicht »expertokratisch«, durch eine intransparente Herrschaft von Fachleuten, sondern unter wirkungsvoller Beteiligung des Publikums geregelt werden, Patient*innen und Klient*innen von Institutionen wollen und sollen nicht nur passiv Betroffene sein, sondern möglichst selbstbestimmt an den für sie relevanten Entscheidungen mitwirken.

So populär die Forderungen nach einer Partizipation von Lai*innen sind, so schwierig gestaltet sich oftmals deren Umsetzung: Hindernisse bilden grundlegende Wissensasymmetrien, nicht nur hinsichtlich des Umfangs, sondern auch der Art des institutionell relevanten Wissens, allgemeine sprachliche und die Bildung betreffende Handlungsbarrieren, Konflikte um Macht und Kontrolle (nicht zuletzt auch des Wissens selbst) und die ungleiche Verfügbarkeit rechtlich-administrativer, finanzieller und technischer Ressourcen. Letztlich geht es um alle Arten von Voraussetzungen für die Teilnahme an einer institutionellen »Wissenspolitik« (vgl. Stehr/Grundmann 2010, S. 83). Andererseits erscheinen in einer praxeologischen Perspektive die strukturell asymmetrischen Wissensverhältnisse grundsätzlich veränderlich, insofern sprachlich vermitteltes Wissen niemals feststehend und vollständig ist, sondern in der Interaktion fortwährend erweitert und reduziert, verändert und umstrukturiert wird (vgl. z. B. Rosenberg 2014). Vor diesem Hintergrund hat sich die Untersuchung der epistemischen Dimension von Interaktion bzw. Diskurs, der Umgang mit Wissenszuschreibungen und wissensbezogenen Positionierungen, zu einem etablierten Gegenstandsbereich der Konversationsanalyse bzw. Diskurslinguistik entwickelt (vgl. z. B. Weiser-Zurmühlen 2021; Spieß 2018).

Mit dem vorliegenden Heft werden vergleichend drei institutionelle Kontexte betrachtet, in denen sich Probleme der Expert*innen-Lai*innen-Kommunikation ertragreich näher untersuchen lassen: (1) die medizinische Praxis und Forschung, (2) die kommunale Politik und ihre bürokratischen Wissensvoraussetzungen, (3) der Kontext von (christlicher) Religion, Theologie und Kirche. Bei allen Unterschieden etwa hinsichtlich der jeweiligen Begriffe von Lai*innen und Expert*innen und benachbarter Konzepte (Professionen, Amtsträger*innen, institutionelle Agent*innen/Klient*innen etc.) lassen sich auf der Basis der Forschungslage in einer ersten Annäherung bereichsübergreifend folgende Problemfelder in Umrissen erkennen:

  1. 1.

    Die (Selbst‑)Ermächtigung von Lai*innen wird als Lösung für und als Ursache von Krisen wahrgenommen: So profitiert z. B. die Medizin von der Kooperation mündiger Patient*innen (vgl. etwa Epstein 1995) – und fürchtet zugleich das Lai*innenwissen, das etwa im Internet zirkuliert (vgl. Zillien 2020), als eine Quelle möglicher Fehl- und Desinformation. In der Kommunalpolitik wird die repräsentative Demokratie zur Steigerung der Legitimation durch Plebiszite und informelle Verfahren der Partizipation ergänzt – diese werden jedoch auch als ein mögliches Einfallstor von Populismus und damit unerwünschter Popularität in der Perspektive etablierter Institutionen problematisiert (vgl. Habscheid/Vogel 2021).Footnote 1 Im Kontext der Kirche können Lai*innen an der Verkündigung mitwirken und die (sprachliche) Distanz zwischen Kirchenvolk und Pfarrer*innen bzw. Theolog*innen überbrücken helfen – andererseits wurden und werden als Gefahren des Lai*innen-Engagements die Verbreitung von Irrlehren und eine Schwächung der auf Sakramenten beruhenden, heilsvermittelnden Rolle der Kirche ausgemacht (vgl. mit Blick auf die evangelische Kirche im 19. Jahrhundert Albrecht-Birkner, in diesem Heft).

  2. 2.

    Es bestehen teils übergreifende, teils bereichsspezifische strukturelle Wissensasymmetrien: Beispielsweise ist medizinisches Fachwissen typischerweise distanziert, abstrakt, möglichst objektiv, sachlich, moralisch gleichgültig, deutungsoffen, unsicher – das Wissen von Patient*innen ist gekennzeichnet durch Betroffenheit, Situiertheit, Subjektivität, Emotionalität, moralische Einstellungen und Positionierungen, Vereindeutigung, psychosoziale Bewältigung von Unsicherheit (vgl. Zillien 2020). In der Kommunalpolitik fungieren Bürgermeister*innen als Vermittler zwischen bürokratischem Handlungs- und Herrschaftswissen einerseits, politischen Anliegen aus der Bürgerschaft andererseits – damit nehmen sie eine Expertenrolle ein, die sich strategisch oder emanzipatorisch ausgestalten lässt (vgl. Habscheid, in diesem Heft; grundlegend zu Experten als Vermittlern Stehr/Grundmann 2010). In der Religionsgeschichte der Frühen Neuzeit setzten Laien-Theolog*innen dem drohenden Zerfall des Wissens in Glauben und Wissenschaft, Irrationalität und Vernunft, »Heidentum« und Christentum integrative Wissenssysteme entgegen – und liefen dabei Gefahr, als Häretiker*innen stigmatisiert zu werden (vgl. Martin 2018).

  3. 3.

    Die (Selbst‑)Ermächtigung von Lai*innen beruht auf Bildung und dem Ausbau sprachlicher Fähigkeiten, sie ist abhängig von bestimmten Orten, Situationen und Medien (z. B. christliche Hauskreise; Straßenproteste; Bürgergespräche; Internetplattformen) – hierdurch können Wissensasymmetrien gegenüber Expert*innen abgebaut, kann aber auch eine neue Exklusivität von Wissen begründet werden. So konnten in den 1980er Jahren AIDS-Aktivist*innen ihr Wissen gegenüber der medizinischen Forschung und Praxis behaupten, Grundlage hierfür waren die wissenschaftliche Relevanz ihrer Erfahrung (gegen wissenschaftliche Verzerrungen), eine starke kollektive Identität, gute Allgemein- und Sprachbildung, Medienkompetenz, politische Erfahrung und die Aneignung von Fachwissen (vgl. Epstein 1995) – von manchen anderen Krankheiten Betroffene mit ungünstigeren Voraussetzungen für eine Partizipation blieben dagegen politisch weitgehend ohne Stimme. In der Kommunalpolitik eignen sich erfolgreiche Vereine und Bürgerinitiativen das für ihre Tätigkeiten erforderliche Sach‑, Rechts- und Verwaltungswissen an – während etwa Bevölkerungsgruppen mit Migrationshintergrund in politischen Versammlungen unterrepräsentiert sind (vgl. Habscheid, in diesem Heft).Footnote 2 Die Erlaubnis, Ermunterung und Fähigkeit zur Bibellektüre – oder im Gegenteil deren Verbot – stellte je nach christlicher Konfession historisch eine wesentliche Bedingung für die mehr oder weniger einflussreiche Rolle der Lai*innen in der Kirche dar. Die Partizipation von Lai*innen im Kontext der Kirchen ging und geht typischerweise mit einer stärkeren Mitwirkung von Frauen einher (vgl. z. B. Martin, in diesem Heft).

  4. 4.

    Konflikte um die (Selbst‑)Ermächtigung von Lai*innen beruhen institutionenspezifisch auf Argumenten, Begriffen, Legitimation und De-Legitimation im öffentlichen Diskurs. Zu nennen sind etwa für die Medizin die Debatte über wissenschaftliche Verzerrungen in Stichproben und Interpretationen der AIDS-Forschung zugunsten von männlichen und zuungunsten von weiblichen Betroffenen (vgl. Epstein 1995), Diskurse über Partizipation in der Folge von »1968« (vgl. Scharloth, in diesem Heft) oder die reformatorische Idee vom »Priestertum aller Gläubigen« (vgl. Albrecht-Birkner, in diesem Heft). – Hieran schließen sich kontroverse Debatten in institutionellen Kontexten an, die es neben – und in Verbindung mit – den alltäglichen Praktiken der Expert*innen-Lai*innen-Kommunikation kulturwissenschaftlich zu untersuchen gilt.

In der Gegenwart kann die Durchsetzbarkeit von Lai*innen-Wissen von einer historischen Entwicklung profitieren, die kulturelle Relevanz an gemessene und inszenierte Beachtung, mithin an eine Performativität des Quantitativen, bindet. Kulturelle Praktiken wie Rankings und Ratings oder die Beachtungsmessung auf digitalen Plattformen (einschließlich deren strategischer Nutzung und gezielter Manipulation) begründen den Anspruch ›der vielen‹, mit ihren Forderungen wirkungsvoll berücksichtigt zu werden. Die Untersuchung von Ursachen und Folgen solcher »sich historisch wandelnden Beobachtungs‑, Inszenierungs- und Mitteilungsmöglichkeiten des Populären« (Döring et al. 2021, S. 5) stehen im Mittelpunkt des Sonderforschungsbereichs 1472 »Transformationen des Populären« an der Universität Siegen.Footnote 3 Das vorliegende Heft beruht auf einer Kooperation in diesem Rahmen: Drei Projekte, ergänzt um drei externe Fellows,Footnote 4 erhielten die Möglichkeit, ein Semester lang in Form eines interdisziplinären Seminars, eines Workshops und der Arbeit an einer gemeinsamen Publikation, die in Form des vorliegenden Zeitschriftenheftes realisiert werden konnte, zusammenzuarbeiten. Mit der Frage nach Konflikten um Expert*innen- und Lai*innen-Wissen in Institutionen greifen wir auch eine weitere Heuristik des SFBs auf: Die Transformationen des Populären, so die Annahme, bringen traditionelle Institutionen unter den Druck, sich »den Ansprüchen des Populären anzupassen, es zu integrieren oder gar sich ihm anzuschmiegen« (ebd., S. 6). Neben einer solchen »Akkommodation« finden sich in idealtypischer Konzeptualisierung auch Versuche, die überlieferten institutionellen Wertsetzungen in Praxis und Diskurs weiter aufrechtzuerhalten (»Resilienz«) oder sich den Ansprüchen des Populären explizit zu widersetzen (»Resistenz«) (vgl. ebd., S. 6). Mit anderen Worten geht es um Strategien von »Wissenspolitik« (Stehr/Grundmann 2010, S. 83) unter den Bedingungen der Transformationen des Populären.

Vor diesem Hintergrund widmet sich das vorliegende Heft im Einzelnen den folgenden Fragekomplexen:

  1. 1.

    Welche Merkmale weisen Lai*innen- und Expert*innenwissen auf – speziell in Medizin, (Kommunal‑)Politik und Kirche, allgemein, in Geschichte und Gegenwart? Untersucht werden Merkmale in den Bereichen ›Interaktion & Sprache‹, ›Medien- & Datenpraktiken‹ sowie ›Kommunikative Verhältnisse in Institutionen‹ (z. B. strukturelle Asymmetrien, Konflikte, öffentliche Kontroversen).

  2. 2.

    In welchen Situationen kommen Expert*innen und Lai*innen sowie deren Wissen miteinander in Kontakt? Inwieweit, wie und mit welchen Folgen wird Wissen popularisiert? Wie werden Asymmetrien, Konflikte und Kontroversen bearbeitet? Welche Dynamiken ergeben sich im Gespräch, in Organisation und Institution, im öffentlichen Diskurs?

  3. 3.

    Welche historischen Entwicklungen oder Umbrüche waren bzw. sind für die Expert*innen-Lai*innen-Problematik relevant, institutionenspezifisch oder bereichsübergreifend miteinander verflochten? Zu denken ist etwa an synkretistische Erlösungslehren seit der Antike; die Armutsbewegung des Mittelalters; die Reformation; der Pietismus; die Erweckungs- und Gemeinschaftsbewegungen in der evangelischen Kirche des 19. Jahrhunderts; das Engagement christlicher Lai*innen in politischen Parteien seit dem 19. Jahrhundert; der Systemwandel von der Monarchie zur Republik, die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit (z. B. Ärzteprozesse) und die nachfolgende Forderung nach »informed consent« und »shared decision making« in der Medizin (Stollberg 2008); die Beteiligungen von Bürger*innen in der Wissenschaft (»citizen science«, vgl. Strasser et al. 2019), die Förderung und Gefährdung der »Demokratie als Lebensform« (van Rahden 2019); das 2. Vatikanische Konzil (1962 bis 1965); die Studentenrevolte von »1968« und ein daraus langfristiger Stilwandel (vgl. Scharloth 2011); der Wohlfahrtstaat; die Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft; die institutionenübergreifende Etablierung von Charts, Rankings und Ratings; liberale Verwaltungsreformen im Geist des »New Public Management«; soziale Medien und Internetplattformen und deren strategische Nutzung.

  4. 4.

    Welche Begriffe und Theorien sind für eine Erklärung der hier untersuchten Phänomene aufschlussreich, wie lassen sich benachbarte Begriffe (Expert*innen, Professionen, Amtsträger*innen, institutionelle Agent*innen bzw. Lai*innen, Amateure, Patient*innen, Klient*innen etc.) bereichsspezifisch und -übergreifend definieren und voneinander abgrenzen?

Im Folgenden werden die drei institutionellen Kontexte mit Blick auf die Expert*innen-Lai*innen-Kommunikation spezifischer konturiert (Abschnitt 2), bevor die Themenbeiträge des vorliegenden Heftes kurz vorgestellt werden (Abschnitt 3).

2 Die institutionellen Wissens- und Handlungsbereiche

Die Institutionalisierung der modernen Medizin im 19. Jahrhundert geht mit einer gleichzeitigen Abwertung anderer Wissensbestände und Berufsgruppen einher. Universitär ausgebildete Ärzt*innen erlangen schrittweise die Deutungshoheit über die Versorgung der Bevölkerung, naturwissenschaftliches Krankheitswissen kann sich zunehmend als dominantes Paradigma durchsetzen und die ärztliche Profession nimmt eine Schlüsselfunktion im Aufbau staatlicher Gesundheitspolitik ein (vgl. Foucault 1988; Lachmund 1992). Diese gesellschaftlichen Dynamiken lassen sich sowohl als Prozesse der Professionalisierung und Medikalisierung wie auch als Popularisierung verstehen.

Im Zuge der Professionalisierung erlangten Ärtz*innen exklusive Rechte in Bezug auf die Behandlung von Krankheiten. Als Profession waren sie selbst für die Ausbildung des Nachwuchses sowie die Kanonisierung des naturwissenschaftlich-medizinischen Wissens verantwortlich. Mit der Einführung allgemeiner Krankenversicherungen wurden sie zudem wichtige Gatekeeper sowie Leistungserbringer im Verhältnis von Krankenversicherungen und Krankenversicherten. Die professionalisierte Medizin bildete ein spezifisches Ärzt*innen-Patient*innen-Verhältnis aus, in dem die Ärzt*innen als paternalistische Expert*innen den weitgehend unmündigen Patien*innen als Lai*innen machtvoll gegenüberstanden (Freidson 1975). Die Medikalisierung umfasst die Ausdehnung medizinischer Expertise auf weitere Lebensbereiche. Sie wird dabei nicht allein von Seiten der Ärzt*innen vorangetrieben, auch interessierte Patient*innen können als Motor der Medikalisierung in Erscheinung treten (Conrad 2007). Professionalisierung und Medikalisierung sind darüber hinaus eng mit einer »Popularisierung erster Ordnung« (Döring et al. 2021, S. 12) verknüpft. Das neue medizinische Wissen musste zunächst durch Aufklärungskampagnen vereinfacht und »unters Volk« gebracht werden – selbst in der Medizin waren die neuen Gerätschaften wie etwa das Stethoskop anfangs nicht unumstritten (Lachmund 1992). Erst die nachweislichen Durchbrüche wie die ersten Schutzimpfungen durch Louis Pasteur oder die Entdeckung des Penicillins durch Alexander Fleming zeugten von der Wirksamkeit des naturwissenschaftlich-medizinischen Wissens. Diese unbestreitbaren Erfolge schürten sowohl die gehobene Stellung der ärztlichen Profession in der Gesellschaft als auch die Entgrenzung der Medizin in breitere gesellschaftliche Felder.

Kritik an der Dominanz der ärztlichen Profession kam verstärkt nach den Menschenversuchen in den Konzentrationslagern während des Nationalsozialismus auf. Beteiligung und Mitbestimmung wurden nach dem Zweiten Weltkrieg zu wichtigen Elementen ärztlicher Entscheidungsfindung, auch wenn die konstitutive Wissensasymmetrie im Ärzt*innen-Patient*innen-Verhältnis ein zentrales Merkmal paternalistischer Interaktionsmuster zwischen Expert*innen und Lai*innen bleibt (Pilnick/Dingwall 2011). Insbesondere die Gegenkultur der 1960er Jahre zielt in der Folge auf eine Emanzipierung von Patient*innen gegenüber der ärztlichen Profession, die zu diesem Zeitpunkt weitgehend als Verwaltung einer technisch-wissenschaftliche Bürokratie verstanden wurde. Die »Legitimationsprobleme der Medizin« (Schluchter 1974) entstammen somit zum Teil ihrem eigenen Erfolg und Fortschritt, der die alte Struktur professioneller Legitimation, die weitgehend auf das persönliche Verhältnis von Expert*innen und Klient*innen zielte, durch objektivierte Verfahrensrationalitäten zu ersetzen suchte. Der Strukturwandel der Medizin hin zu mehr Mitbestimmung wird darüber hinaus durch eine einsetzende Konsumorientierung in der Gesundheitsversorgung ab den 1980er Jahren bestärkt (Lupton 1997). Wenn Patient*innen zu Kund*innen werden, dann erhöht sich nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht zur Mitsprache und zur Beteiligung am Behandlungsprozess.

Seit den 2000er Jahren wird eine neue Konfliktlinie im Verhältnis von medizinischen Expert*innen und Lai*innen sichtbar. Frei über das Internet verfügbare Gesundheitsinformation erodieren demnach die hervorgehobene Stellung von Ärzt*innen in der Konsultation und zwingen diese zu neuen Umgangsweisen mit »internet-informierten« Patient*innen (Broom 2005). Internetbasierte Kommunikation löst diesen Studien zufolge nicht einfach einen Deprofessionalisierungsschub aus, vielmehr verschieben sich die Verhältnisse von Expert*innen und Lai*innen erneut. Dies gilt umso mehr, da über das Internet nicht nur Gesundheitsinformationen ausgetauscht werden, sondern Menschen über populäre Apps und Devices zunehmend selbst persönliche Gesundheitsdaten erheben und auswerten (Zillien/Fröhlich 2018).

Der oben skizzierte Wandel der Expert*innen-Lai*innen-Kommunikation in der Medizin zeigt die zunehmende Bedeutung der Partizipation und Mitbestimmung von Patient*innen. Wie sich erkennen lässt, haben daran viele gesellschaftliche Dynamiken einen Anteil. Die professionelle Dominanz der Expert*innen wird dadurch jedoch nicht einfach in Frage gestellt, ebenso kann sich die medizinische Deutungshoheit, etwa über Praktiken der objektivierten Selbstvermessung, weiter ausbreiten. In ärztlichen Konsultationen werden, abhängig von den Beteiligten und Krankheitsbildern, neue Konstellationen von Expert*in und Lai*in ausgehandelt (Gabriels/Moerenhout 2018). Die Popularität der Apps und Devices, die Erzeugung persönlicher Gesundheitsdaten, die professionelle Einschätzung dieser Daten, all dies erzeugt eine komplexe Gemengelage, die die etablierte Institution einer paternalistischen Ärzt*innen-Patient*innen-Beziehung weiter unter Druck setzt, ihr aber gleichzeitig eine neue Möglichkeit datenbasierter Kommunikation bietet. Die professionelle Rolle von Ärzt*innen wird auch dadurch weiter aufrechterhalten, dass etwa die Anbieter populärer Apps und Devices keinesfalls als medizinische Dienstleister verstanden werden wollen. Fitnessdaten werden als Lifestyledaten gerahmt, nicht als Gesundheitsdaten. Ebenso zeigt sich in vielen Patient*innenforen, dass immer wieder auf die Notwendigkeit der medizinischen Expertise verwiesen wird (Zillien 2020).

Die Ambivalenzen der Popularisierung von medizinischem Wissen, die nun entlang von spezifischen Konfliktlinien auf die professionelle Autorität von Ärzt*innen zurückwirken können, sind sicherlich zum Teil den Besonderheiten des medizinischen Feldes und seiner Verfasstheit im Rahmen einer modernen Gesundheitsversorgung geschuldet. Die dominante gesellschaftliche Stellung von Ärzt*innen einerseits, die intime Beziehung zu ihren Patient*innen andererseits, aber auch die Infragestellung medizinischer Expertise etwa im Zuge der Pandemiebewältigung schaffen eine vielschichtige und facettenreiche Problemlage, in der die Partizipation von Patient*innen die medizinische Profession und ihre Wissenshoheit zumindest immer wieder herausfordert. Auf dem Gebiet der (kommunalen) Politik reagieren institutionelle Akteur*innen auf die Herausforderungen der Transformationen des Populären u. a. mit dem Versprechen, Lai*innen intensiver, kleinteiliger und konkreter an der kommunalen Selbstverwaltung zu beteiligen. Auf diese Weise soll der Zusammenhang von Organisation und Entscheidung mit Interaktion für eine größere Zahl von Bürger*innen unmittelbar erfahrbar werden (vgl. Hausendorf 2008). In den damit einhergehenden Aushandlungen kommt das politische Leitbild der Partizipation, das mit diversen Anstrengungen der Popularisierung einhergeht, gegenwärtig verstärkt zum Tragen.

Folgt man Joachim Scharloth (2011), ging es in der Folge von »1968« nicht nur um Anstrengungen zur Emanzipation breiter Bevölkerungsschichten, sondern auch um einen »hedonistischen Selbstverwirklichungsstil«, der etwa in politische Forderungen nach einer biographisch und gesellschaftlich relevanten universitären Lehre mündete. Im Schnittpunkt beider lag eine Form der »Selbstaufklärung« (Scharloth 2011, S. 69), die sich aus verschiedenen Quellen speiste: Die Rede ist von der »Entdeckung des Performativen« (ebd., S. 68–75), ausgehend von Sprachphilosophie (Austin), Mikrosoziologie (Garfinkel) und Linguistik (Hymes), von künstlerisch-intellektuellen Ansätzen (Fluxus, Performancekunst) der »Situationistischen Internationale« und der »Subversiven Aktion« sowie politischen Aktionsformen (»direkte Aktion«) der Bürgerrechtsbewegung in den USA. Die Praktiken der Studentenrevolte sollten der kapitalistischen Entfremdung durch eine »Störung der rituellen Ordnung« (Scharloth 2011, S. 68) entgegentreten, und zwar sowohl mit Blick auf das Innenleben der Beteiligten, ihre Bedürfnisse und Gefühle, wie auf die sozialen und politischen Verhältnisse (vgl. ebd., S. 69, S. 71). Die performativen Störungen sollten wie in den amerikanischen Protestbewegungen als Mittel fungieren

zur Selbstaufklärung und Mobilisierung, zur Herstellung von Öffentlichkeit, zur Hinterfragung von Autoritäten und zur Kritik der symbolischen Ordnung. Für ihre Akteure ist Performanz eine Handlungskategorie und sie operieren mit dem erhofften transformatorischen Potenzial ihrer Inszenierungen. (Scharloth 2011, 69)

Im historischen Ergebnis wirkten nicht nur die kurzfristige Revolte, sondern auch ihre dau-erhaften und gesamtgesellschaftlichen Folgen tief in den Alltag hinein und veränderten die (kommunikative) Praxis in verschiedenen Institutionen zugunsten von (inszenierter) Egalität, Partizipation und Popularisierung nachhaltig. Dabei wurde das Performative »von größeren Bevölkerungsgruppen als Handlungskategorie entdeckt« (ebd., S. 68).

Wie die 1968er hatten auch die Selbsterfahrungsgruppen im »Psycho-Boom« der 1970er Jahre den »subjektiven Faktor« im Fokus, so der Wissenshistoriker Philipp Sarasin (2021). Wenn schon »das System« als Ganzes nicht gleich abzuschaffen war, so sollten doch bis zu einem gewissen Grad dessen pathologische Folgen eine Veränderung und Heilung in der interpersonalen Interaktion erfahren. Dabei standen im Mittelpunkt in Verbindung mit »Verhaltensnormen und Leistungsanforderungen der kapitalistischen Gesellschaft«, repressiver Erziehung, »Unterdrückung der Sexualität« und »neurotischen Ängste[n]« nicht zuletzt auch »Kommunikationshemmungen« (182 f.). Die Gruppentherapie als »Experimentier- und Therapiefeld für die Überwindung der ›Entfremdung‹« war bereits in der Nachkriegszeit von Max Horkheimer auch als eine Intervention zur Demokratieförderung begriffen worden, wie Sarasin berichtet (Sarasin 2021, S. 211). Zu den Adressat*innen gehörten nicht nur i.e. S. erkrankte Menschen, sondern breite Bevölkerungskreise, die von kommunikativ begründeten Pathologien befreit werden sollten.

Partizipation hat also nicht nur eine politische, sondern wesentlich auch eine performative, praxeologische Dimension (vgl. Hirschauer 2004, 2016),Footnote 5 die unter den Bedingungen digitaler Medien spezifische Ausprägungen findet. Im politischen Kontext werden heute Verfahren repräsentativer Demokratie durch diverse Formen direkter Beteiligung ergänzt (vgl. Gehne 2012, S. 104): So wurden beispielsweise auf kommunalpolitischer Ebene in Deutschland durch die flächendeckende Etablierung des »süddeutschen Modells« der Kommunalverfassung nach 1990 mit der Direktwahl der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister und der Etablierung von Plebisziten Elemente der Bürgerbeteiligung formell gestärkt (Kost 2012, S. 5). Zudem experimentieren Kommunen heute mit informellen Formen direkter Beteiligung (vgl. Gehne 2012, S. 104), wie z. B. Bürgerinformationsabenden oder »Vereinsfrühschoppen« (vgl. Habscheid, in diesem Heft). Mit derartigen Sozialformen und einer öffentlichen Popularisierung, die deren Resonanz (quantitativ) ausstellt und vergrößert, reagieren Institutionen auf den Anspruch der vielen, die ihnen zustehende Beachtung performativ zu erlangen und populistisch skandalisierte Defizite der etablierten repräsentativen Demokratie (vgl. Manow 2018, 2020) zu bearbeiten.

Im Zuge einer verstärkten Bürgerbeteiligung treten Fachleute der Verwaltung heute auch in der Öffentlichkeit als expertische Wissensvermittler in Erscheinung:Footnote 6 Wer von ihrem bürokratischen Handlungs- und Herrschaftswissen (vgl. Seibel 2016)Footnote 7 in welcher Weise und in welchem Umfang profitieren kann, wird in einem Kräftefeld der »Wissenspolitik« ausgehandelt (vgl. Stehr/Grundmann 2010, S. 83), zu dem neben den Verwaltungsfachleuten auch Bürgerinnen und Bürger, individuelle und kollektive Akteure in Parlamenten und kommunalpolitischer Öffentlichkeit und nicht zuletzt die oft besonders populären Bürgermeister*innen gehören. Zu den Aufgaben von Bürgermeister*innen gehören neben Verwaltung und Politik auch populäre Rituale (Grußworte, Ehrungen etc.), die Zusammenhalt befördern sollen und zugleich zur Popularisierung der öffentlichen Repräsentanten beitragen können. Im Vergleich zur Monarchie sind die Beziehungen aber vergleichsweise gleichrangig:Footnote 8 Zwar sind Bürgermeister*innen der »Erste Bürger« oder die »Erste Bürgerin«, aber eben auf Zeit gewählte Bürger*innen und nicht König oder Kaiser. In Sozialen Medien können die Rituale weiter popularisiert und demokratisiert werden (vgl. Börner/Habscheid 2023).

Im Kontext von (christlicher) Religion, Theologie und Kirche spielt die Unterscheidung von Expert*innen und Lai*innen traditionell eine konstitutive Rolle, die sich in den ersten Jahrhunderten nach Christus herausgebildet hat und bis in die Gegenwart von erheblicher Relevanz ist (Cornehl 1991). Das Christentum reiht sich damit ein in die Religionen, die im Gegensatz zu anderen, wie etwa dem Islam, ein Expertentum ausgebildet haben (Freiberger et al. 2002). Alle auch neueren Diskussionen um Lai*innen und Expert*innen in den Kirchen sind in diesem Kontext zu sehen (Grabner-Haider 2007). Der Begriff »Laien«, abgeleitet von dem griechischen Wort λαός / Volk meinte in der christlichen Tradition zunächst einmal die Gesamtheit des Volkes Gottes. Im Zuge der Herausbildung der frühkatholischen Kirche, deren konstitutiver Bestandteil die Herausbildung einer hierarchischen Ämterstruktur mit dem Ziel der Identitätswahrung war, wurden Lai*innen aber zum Gegenüber kirchlicher Amtsträger, die als κλῆρος / Klerus und somit als ›göttlich Ausgewählte‹ verstanden wurden. Der Hintergrund war dabei ein rein kultisch-sakramentaler: Nur dem Klerus stand es zu, die Eucharistie zu zelebrieren. ›Expertise‹ im Gegensatz zum Lai*innentum bezog sich hier also zunächst nicht auf einen Wissensvorsprung, sondern nur auf einen Vorsprung an (geistlicher) Professionalität, der als göttlich legitimiert erklärt und an der Weihe festgemacht wurde. Entsprechend etablierte sich ein Begriff von ›Laie‹ (laikós / laicus), der für ›Nicht-Amtsträger‹ stand. Seit dem 4./5. Jahrhundert ist daneben der griechische Begriff »Idiotes« nachweisbar, der zunächst wertfrei ebenfalls ›Nicht-Amtsträger‹ bedeutete, dann aber auf ein Verständnis im Sinne von ›ohne (theologische) Bildung‹ ausgedehnt wurde. Lai*innentum – Frauen als vom Priesteramt Ausgeschlossene fielen und fallen in der katholischen Tradition per se in diese Kategorie – implizierte im Ergebnis ein doppeltes Defizit gegenüber klerikalem Expertentum: an Professionalität und an (theologischem) Wissen.

Die Geschichte der Kirchen lässt sich vor diesem Hintergrund als Geschichte von Expert*innen-Lai*innen-Dynamiken erzählen (Grabner-Haider 2007), die vielfach Kämpfe um Deutungshoheiten und Machtverhältnisse implizierten – nicht zuletzt, weil unter ›Laien‹ eben auch die politischen Herrschaftsträger fielen. Während es im Frühen Mittelalter durch den Einfluss politischer Führungsschichten v. a. der Germanen zu gewissen Relativierungen der Trennung von Lai*innen und Klerus kam, war ein wesentlicher Bestandteil der Kirchenreformen des Hochmittelalters eine Hierarchisierung von neuer Qualität und eine Abwertung des Lai*innenstatus (Reinert/Leppin 2021). Seinen politischen Ausdruck fand dieser Kampf im Investiturstreit zwischen Papsttum und Kaisertum, dessen Ausgang zu einer einzigartigen päpstlichen Machtentfaltung führte. Gleichzeitig formierten sich aber auch markante Lai*innenbewegungen, wie die Armutsbewegung, die sich in Form monastischer Orden teils innerkirchlich etablieren konnte (z. B. Franziskaner*innen, Dominikaner*innen), teils unter das Verdikt der Häresie fiel und als versuchte Unterwanderung kirchlicher Hierarchie verfolgt wurde. Für Lai*innen findet sich im Hochmittelalter auch die Bezeichnung ›illiterati‹. Das Spätmittelalter kennzeichnete ein zunehmender Drang nach kirchlicher Mitwirkung von Lai*innen und ihre partielle Aufwertung.

In diese Entwicklung des Spätmittelalters ordnet sich auch die Reformation ein, denn ein zentraler Bestandteil derselben war die Aufhebung des für das katholische Kirchenverständnis essenziellen, für Lai*innen uneinholbaren Vorsprungs der Priester an ›geistlicher Professionalität‹ via Weihe (Rochler 1981; Litzenberger 1997). Zu einer konsequenten theoretischen Systematisierung und Umsetzung dieses Impulses ist es im Protestantismus jedoch nicht gekommen. Ein Wissensvorsprung der kirchlichen Experten konnte zu diesem Zeitpunkt ohnehin nicht vorausgesetzt werden, weil die Verpflichtung, vor Amtsantritt ein Theologiestudium absolviert zu haben, sich in allen christlichen Konfessionen erst im Laufe des 16./17. Jahrhunderts herausbildete (Nieden 2007). Von der Reformation gingen aber auch bedeutende Bildungsimpulse für die Lai*innen aus, die Wissensvorsprünge der nun zunehmend studierten Pfarrer zugleich wieder relativierten. Vor diesem Hintergrund kennzeichneten den frühneuzeitlichen Protestantismus mehr oder weniger offen ausgetragene Konflikte zwischen kirchlichen Lai*innen und Expert*innen, die zu Migrationen von Lai*innen und Lai*innengruppierungen wie z. B. Mennoniten und Quäkern v. a. in die Niederlande und nach Nordamerika führten (Martin, in diesem Heft). In den sich in Nordamerika gründenden Auswander*innenkirchen spielten Lai*innen in Abgrenzung zur Situation in den Kirchen der Herkunftsländer von Anfang an eine herausragende Rolle (Lovegrove 2002).

Aufgrund der veränderten rechtlichen Rahmenbedingungen konnten sich theologische Lai*inneninitiativen seit dem 19. Jahrhundert in Deutschland in Vereinen und Freikirchen formieren und bildeten im 20. Jahrhundert teils erhebliche Konkurrenzen nicht nur zu den Großkirchen, sondern auch untereinander aus (Albrecht-Birkner, in diesem Heft). Auch in der katholischen Kirche markierte das 19. Jahrhundert den Beginn organisierter Laienbewegungen, v. a. in Gestalt von Vereinen (Gatz 2008). Das Zweite Vatikanische Konzil (1963-1965) gilt als Wendepunkt hinsichtlich einer Akzeptanz des sog. Laienapostolats, das in Deutschland vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken koordiniert wird, und in der Folge von Laienämtern (Karrer 1999). Bleibende Spannungen zwischen klerikalem Expertenanspruch und der Mitsprache und Mitwirkung von Lai*innen in der katholischen Kirche schlagen sich gegenwärtig in den Diskussionen um den sog. Synodalen Weg nieder (Anuth et al. 2021).

Auch in den orthodoxen Kirchen lassen sich, obwohl der Gedanke eines Weihepriestertums hier keine Rolle spielt, Ambivalenzen hinsichtlich Theorie und Praxis der Rolle von Lai*innen in der Kirche feststellen. Die Bezeichnung ›russische Laientheologie‹ meint im 19. Jahrhundert im Gegenzug zur russischen Schultheologie von Laien initiierte und kirchlich rezipierte theologische Konzepte mit fließenden Übergängen zur Religionsphilosophie (Onasch 1993). Der Gedanke einer ›Laientheologie‹ spielt in den traditionellen christlichen Konfessionen ansonsten lediglich in praktisch-theologischen Kontexten eine Rolle (Drehsen 1988; Schroeter-Wittke 2010). Üblicherweise wird Lai*innen nicht die Fähigkeit des ›Theologisierens‹ zugeschrieben (Martin 2018), sondern an einem Konzept von ›Populartheologie‹ festgehalten, das es im Sinne einer Popularisierung erster Ordnung (Döring et al. 2021, S. 12) theologischen Expert*innen vorbehält, Theologie an Laien zu vermitteln. Dies kann als Strategie der Konfliktvermeidung durch Festhalten an einem vermeintlich unhinterfragten Expert*innenkonzept interpretiert werden, die freilich an längst eingetretenen Selbstermündigungsprozessen von Lai*innen im Bereich von Kirche und Theologie vorbeigeht.

3 Die Beiträge des vorliegenden Heftes

Die Anordnung der Beiträge folgt grob einem chronologischen Aufbau, von der Frühen Neuzeit über das 19. Jahrhundert und die Umbrüche der 1960er Jahre bis zur (medialen) Öffentlichkeit Gegenwart.

Lucinda Martin und Veronika Albrecht-Birkner untersuchen in ihren chronologisch aneinander anschließenden Beiträgen unter Rückgriff auf Fallbeispiele, wie sich das Verhältnis von Lai*innen und Expert*innen im Protestantismus – wo es per theologischer Definition des »Priestertums aller Gläubigen« theoretisch gar keine von einem Expertentum unterschiedenen Lai*innen mehr geben sollte – von der Frühen Neuzeit bis in die Gegenwart gestaltete. Lucinda Martin nimmt in ihrem auf die Frühe Neuzeit fokussierten Beitrag vor allem spiritualistische, theosophische und mystische Konzepte, wie sie maßgeblich von dem Görlitzer Schuster Jacob Böhme entwickelt wurden, als laientheologische Programme mit ganzheitlichem Anspruch in den Blick. Sie geht zudem auf Sozialformen laientheologischer Bewegungen wie Bibellesekreise und Kommunitäten ein, die sich als Teil einer laientheologischen Bewegung im Sinne einer überkonfessionellen unsichtbaren globalen Kirche in faktischer Konkurrenz zu den verfassten Kirchen verstanden. Dabei thematisiert sie zugleich die durch das Bündnis von Kirche und Staat gegebenen Machtkonstellationen, die eine Entfaltung laientheologischer Initiativen im Alten Reich unmöglich machten. Martin problematisiert grundsätzlich die Frage, wer in der Historiographie der Frühen Neuzeit als ›Theolog*in‹ eingeordnet wird und wer nicht, und eruiert diesbezügliche kulturhistorische Unterschiede zwischen englisch- und deutschsprachigen Definitionen, die zugleich Auskunft über gegenwärtige Einstellungen geben. Dabei rekonstruiert sie auch weichenstellende Diskussionen des ausgehenden 19. Jahrhunderts um das Verhältnis von (konfessioneller) Kirchen- und Religionsgeschichte in Deutschland.

Veronika Albrecht-Birkner setzt mit ihrem Beitrag im 19. Jahrhundert als Jahrhundert der Pluralisierung protestantischer laientheologischer Initiativen, die in der Kirchengeschichtsschreibung üblicherweise unter ›Erweckungsbewegungen‹ subsumiert werden, ein. Am Beispiel der im Süden Sachsens gelegenen, in jüngster Zeit als Bible belt bezeichneten Region des Erzgebirges und Vogtlandes zeichnet sie die Genese und das Profil sowie das Interagieren solcher Initiativen mit der sächsischen Landeskirche als zuständiger Institution theologischer Expertise nach. Dabei kommen die im späten 19. Jahrhundert entstandenen Landeskirchlichen Gemeinschaften als Schlüsselakteure hinsichtlich der ›kirchlichen Domestizierung‹ anderer Lai*inneninitiativen, die teils fließende Übergänge zu spiritistischen Vereinen aufwiesen, in den Blick. Während dezidierte Sektenbildungen die Ausnahme blieben, gewannen die in den 1950er Jahren aufkommende charismatische Bewegung – die ein einzigartiges spirituelles Expert*innentum von Pfarrer*innen und Lai*innen beanspruchte – und die Bekenntnisbewegung als Form fundamentalistischen Evangelikalentums, die die geistliche Expertise der Landeskirchenleitung explizit in Frage stellte und stellt, nachhaltigen Einfluss auf das Profil der Landeskirche. Diese Entwicklung erklärt Albrecht-Birkner nicht zuletzt mit der politischen Situation in der DDR, die eine kirchliche Verselbstständigung nicht erlaubte.

Joachim Scharloth fokussiert in seinem Aufsatz den Beitrag der 1968er-Bewegung zu den Transformationen des Populären, speziell im Kontext von Universitäten und Wissenschaft: Auf der Grundlage der bereits erwähnten »Entdeckung des Performativen« wurde die öffentliche Anerkennung etablierter »Eliten« als Ergebnis von Manipulation und strategischer Agitation aufgefasst, die durch Störungen institutioneller Rituale aufgedeckt und überwunden werden sollten. Entsprechend einem normativen Verständnis von legitimer Popularität sollten diese einem alternativen Verständnis von Wissenschaft zum Durchbruch verhelfen, das nicht »von oben« an einen exklusiven Kreis vermittelt, sondern von den »Massen« getragen werden und deren Machtanspruch dienen sollte. Dies sollte dadurch geschehen, dass die bestehende gesellschaftliche Praxis – im Sinn einer Kritik der politischen Ökonomie – als veränderungsbedürftig und – auf der Grundlage von Konzepten der Performativität – als veränderungsfähig verstanden wurde. Dabei kam der emanzipatorischen »Selbstaufklärung« des Publikums durch kritische Wissenschaft eine zentrale Rolle zu.

Die Diagnose »Misophonie« gilt als eine der ersten internetbasierten Diagnosen überhaupt. Cornelius Schubert und Nicole Zillien zeigen am Beispiel dieser Diagnose, wie sich im Wechselspiel von professioneller und populärer Kommunikation die Krankheitskategorie des »Hass auf Geräusche« herausbildet und damit eine neue Gruppe von Patient*innen geschaffen wird. Das Fachwissen der Medizin und das Erfahrungswissen der Betroffenen ergänzen und verstärken sich hierbei wechselseitig, insbesondere, wenn sich Ärtz*innen und Patient*innen über soziale Medien vernetzen und Aufmerksamkeit für die Diagnose schaffen. Der Beitrag nutzt das Konzept des »making up people« (Hacking 1986), um die Praktiken der schrittweisen Entwicklung und Etablierung einer medizinischen Kategorie zu beleuchten. Insbesondere stehen dabei die Onlineaktivitäten der Betroffenen selbst im Zentrum. Diese kämpfen seit Mitte der 1990er Jahren für die Anerkennung der Monophonie als legitimer Diagnose und unterstützen sich gegenseitig bei der Feststellung der Symptome. Am Beispiel der Misophonie zeigt sich, wie das Wissen von Expert*innen und Lai*innen ineinandergreift. Die Schilderungen der Betroffenen, ihre Erfahrungen und Nöte dienen als Basis zur wissenschaftlichen Beschreibung der Störung, die dann wiederum als Einordnung und Bestätigung der individuellen Erfahrung genutzt wird. Neben dem Urteil der Expert*innen verleiht allein die Masse der Beiträge auf sozialen Medien der noch nicht etablierten Diagnose einen gewissen Grad Legitimität.

Stephan Habscheid geht in seinem Beitrag der Frage nach, wie bürokratisches Expertenwissen einerseits, Laienwissen andererseits als Ressourcen in konfliktbehafteten kommunalpolitischen Beratungs- und Entscheidungsprozessen genutzt werden kann. Ein besonderer Fokus liegt auf der Rolle der Bürgermeister*innen: Diesen kommt – in den Kommunalverfassungen der deutschen Bundesländer der Gegenwart – einerseits eine besonders einflussreiche Stellung zu, andererseits können sie durch eine Demokratisierung bürokratischer Handlungsressourcen zum Interessensausgleich in politischen Entscheidungsprozessen beitragen. Im ersten Fall können Bürgermeister*innen das bürokratische Expertenwissen strategisch für Herrschaftszwecke instrumentalisieren, im zweiten Fall fungiert der Bürgermeister als Vermittler zwischen – pluralen – Laienansprüchen und legalen politischen Gestaltungsmöglichkeiten. Empirisch handelt es sich um ein mikropolitisches Spiel der Kräfte, dass in der Interaktion bzw. in dialogischen Formaten des öffentlichen Diskurses ausgehandelt und popularisiert wird. Der Beitrag zeigt auf gesprächsanalytischer Basis, wie Bürgermeister*innen auf der Grundlage einer Differenzierung zwischen Person und Amt Laien- und Alltagswissen, bürokratisches Fachwissen und das kommunikative Geschick von Berufspolitikern sprachlich ins Spiel bringen können, um zwischen Ansprüchen der Bürger*innen, rechtlichen Gestaltungsoptionen und kommunalen Entscheidungen zu vermitteln. Zugleich können Sie die partizipativen Formate nutzen, um die von ihnen präferierten politischen Entscheidungen und sich selbst als prominente (Mit‑)Gestalter zu popularisieren.

In dieser Zusammenstellung bieten die Beiträge einen interdisziplinären Blick auf den institutionellen Wandel der Expert*innen-Lai*innen-Kommunikation. Sie zeigen auch, dass die Felder des Wandels nicht einfach für sich stehen, sondern dass die aufgeworfenen Konflikte und Fragekomplexe die einzelnen Felder überspannen und dadurch die vielschichten Transformationen des Populären sowohl in historischer Tiefe als auch in vergleichender Perspektive beleuchtet werden können.