1 Einleitung

Fanfictions werden Werke zweiter Ordnung genannt, weil sie sich in der Regel auf ein originäres Ausgangswerk beziehen. Sie sind von ›Fans‹ geschrieben, also besonders aktiven Leser:innen der jeweiligen TV-, Comic-, oder Roman-Serie, auf die sie sich beziehen. Fanfictions haben eine lange Tradition im Fandom und der Serienkultur.Footnote 1 Bei diesen Fanerzeugnissen handelt es sich um Texte zu Figuren, Geschichten und Serien, die bereits existieren und von den Autor:innen der Fanfiction fortgeführt, neu erfunden oder verändert werden.Footnote 2 Diese Texte interpretieren die Serie (oder das Werk), auf die sie sich beziehen und lassen zugleich in ihrer Bearbeitung erkennen, welche Figuren oder Plots mehr Beachtung finden (sollen) als andere. Fanfictions haben (im Bezug zu den jeweiligen Ausganstexten) immer einen selektiven und kontingenten Charakter. Durch ihre konkrete Auswahl geben Fanfictions daher Auskunft über die Popularität der Serien, auf die sie sich beziehen, und sie machen dann, wenn sie rezipiert werden und es zu Interaktion, Feedback und Negotiation mit den Autor:innen einer Fanfiction-Serie kommt, beobachtbar, welche Konsequenzen die Verteilung der Popularität von Figuren oder Plots in der Fanfiction für die Fortsetzung der Fanfiction-Serie zeitigen. Ob dies auch Auswirkungen auf den Ausgangstext der jeweiligen Serie, auf die sie sich beziehen, hat, ist möglich, muss aber in diesem Aufsatz eine offene Frage bleiben. Dennoch lassen sich anhand populärer Fanfictions zumindest gewisse Tendenzen ausmachen. So kann es kein Zufall sein, dass die Figuren des Marvel Cinematic Universe (MCU) Clint Barton und Phil Coulson, beides Fan-Favoriten in der Fanfiction, mehr Raum im MCU erhalten und sogar eigene SerienFootnote 3 bekommen.

Doch wie lassen sich Fan-Favoriten und wie lässt sich die Beliebtheit dieser Figuren überhaupt nachweisen? Welche (Fan)Praktiken, Formen und Dynamiken der Interaktion, des Feedbacks und Negotiation über die Figuren und Serien werden hier ersichtlich? Welchen Logiken und Regeln folgen die verschiedenen Akteur:innen? Insbesondere digitale Plattformen lassen diese Art von Forschungsfragen zu, da hier die Beachtung der Nutzer für bestimmte Fanfiction gemessen und routinemäßig indiziert wird. Wer Fanfiction liest, kann wissen, welche Serien und auch welche Elemente einer Serie vergleichsweise mehr oder weniger Beachtung gefunden haben, also beispielsweise wer auf einer Plattform die Fan-Favoriten sind. Fanpraktiken, die bereits eine lange Tradition im Print haben und sich dort als erfolgreich bewährt haben, lassen sich auf digitalen Plattformen beobachten und rekonstruieren: Interaktion, Feedback und Negotiation.

Dies wird auch in der Forschung betont: Fanfictions sind mit dem Aufkommen der Digitalisierung »nicht nur sichtbarer, allgegenwärtiger geworden, sie sind endgültig im Mainstream angekommen.«Footnote 4 Für die Medienwissenschaftlerin Vera Cuntz-Lenz stellt das Fandom einen Paradigmenwechsel bezüglich der Auffassung von und der Auseinandersetzung mit den Rezipient:innen dar: ein Wechsel vom machtlosen, leicht kontrollier- und beeinflussbaren Konsumenten zum aktiv partizipierenden Rezipienten und schließlich zum selbst schöpferisch tätigen Autor.Footnote 5 Cutz-Leng sieht Fans »als sichtbarste und mächtigste Rezipientengruppe, deren rückwirkender Einfluss auf die Produktion von Medien, Inhalten und Waren gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann«Footnote 6. Henry Jenkins, einer der Pioniere der Fanstudies, hält hierzu fest »[r]eaders and writers depend upon each other for the perpetuation of the fandom«.Footnote 7 Er führt seine Überlegungen zur partizipativen Kultur in Bezug auf die Rolle und Wichtigkeit des Fandoms weiter aus:

[t]he fans’ particular viewing stance […] sparks recognition that the program is open to intervention and active appropriation. The ongoing process of fan reading results in a progressive elaboration of the series ›universe‹ through gossip or embodied within written criticism, already constitutes a form of rewriting.Footnote 8

Nach Paul Booth kann das Fandom am besten als »continual, shifting negotiation and dialogue within already-extant industrial relations’, wherein industry professionals and increasingly-visible fandoms are presently repositioning themselves with regard to each other«Footnote 9 verstanden werden. Gerade diese written criticism und negotiations, also die Aushandlungen zwischen den unterschiedlichen Akteur:innen des Fandoms, sind es, die die (Serien)Texte formen und beeinflussen. Diese These wird auch von Niels Werber und Daniel Stein fruchtbar gemacht. Paratextual Negotiations werden im seriellen »Beiwerk«Footnote 10 lokalisiert. Hierzu zählen sowohl Leser:innenbriefe serieller Erzeugnisse wie etwa US-amerikanische Comic-Hefte ab den 1960er Jahren oder Science-Fiction-Heftromane (Peritexte), aber auch »digital epitexts«Footnote 11 in Fan-Foren. Diese sind »a stable site of negotiation«Footnote 12. Werber und Stein betonen hier »the mutual development of the serial peritext and the serial text as a result of […] negotiation and conceive of it as an evolutionary […] process«Footnote 13. Genau diese Aushandlungen und die daraus resultierenden serienevolutionären Prozesse lassen sich ebenso im Bereich der Fanfiction nachweisen. Aufgrund der direkten Kommentarfunktion der Webseite, sowohl innerhalb als auch außerhalb des Textes, werden auf Wattpad die von Werber und Stein beschriebenen (paratextual) negotiationsFootnote 14 sowie deren Effekte auf den (Serien)Text unmittelbar ersichtlich. Populäre Serien sind dafür prädestiniert, denn hier lassen sich die Prinzipien der Serialität, die Generierung und Verteilung von Popularität, das Fandom sowie die dazugehörigen Praktiken der Interaktivität besonders gut beobachten. Dabei bedingen und beeinflussen sich diese Faktoren wechselseitig. Die Interaktionen innerhalb serieller Fanfictions auf der populären Plattform Wattpad lassen sich vor dem Hintergrund dieser These besser verstehen.

Als Motivation für das Schreiben und Rezipieren von Fanfiction wird oftmals angeführt, dass sich Fans mehr (vom Ausgangstext) wünschen.Footnote 15 Karina Geiger hält in ihrer Untersuchung zu belletristischer Fanfiction fest, dass der/die Fanfiction-Verfasser:in »nicht direkt in den Produktionsprozess ein[greift], um die Inhalte vor oder während der Produktion seinen Bedürfnissen anzupassen. Seine schöpferische Tätigkeit beginnt erst nach der Fertigstellung des belletristischen Werkes durch den Autor.«Footnote 16 Dies verhält sich allerdings ganz anders bei Fanfictions, die sich auf (laufende) Serien beziehen – gerade Serien sind oftmals zentraler Ausgangspunkt von FanfictionFootnote 17. Sie sind, im Gegensatz zum belletristischen Werk, nicht abgeschlossen; der/die Fanfiction-Verfasser:in greift somit direkt in den laufenden Produktionsprozess ein. Hier ist eine Spezifikation notwendig, und zu diesem Zweck führe ich den Begriff serielle Fanfiction ein. Die seriell veröffentlichten Fanfictions können per se als Form der oben beschriebenen paratextual negotiations verstanden werden. Denn diese Texte stellen eine Form des Umschreibens und der schriftlichen Kritik in Bezug auf das jeweilige Serienuniversum dar, wie es Jenkins beschreibtFootnote 18. Zudem können diese Arbeiten selbst als Serie und als sichtbarer Vollzug der Serienevolution gelesen werden. Diese Ebene der Serienevolution soll im Folgenden im Zusammenspiel von seriellen Fanfiction, Kommentaren und Feedback untersucht und in ihren Konsequenzen für die Entwicklung digitaler Fanfiction erörtert werden.

Die Anfänge solcher Aushandlungen in Fanfictions wurden in den Fanzines und ihren Letter of Comments (LOC) festgehalten. Vergleichbar mit den Leser:innenbriefen in Comicheften findet hier eine Interaktion zwischen den Herausgeber:innen und Leser:innen statt. Die LOCs sind, ähnlich wie Comichefte, auf Beteiligung, Beachtung und Beiträge angewiesen, da sie sonst eingestellt werden müssen. Eben diese Kommentare und Aushandlungen haben sich mit dem Aufkommen des Internets in den digitalen Raum transformiert und sind nun auf Plattformen wie Wattpad unmittelbar sichtbar.Footnote 19 Wattpad wird in dieser Arbeit nicht nur als populäres MediumFootnote 20 begriffen, sondern als eine Plattform, welche aufgrund ihrer Struktur und Logik dazu einlädt, Popularität zu generieren und auszustellen. Es wird hier deutlich, dass sich die Nutzer:innen dessen durchaus bewusst sind und diese Popularitätsstrategien aneignen, ausbauen und für sich nutzen: Sowohl die GeschichtenFootnote 21 als auch die Kommentare werden hier in Form von Listen und Rankings als »zentrale mediale Formen in der Populärkultur«Footnote 22 dargestellt. Hierfür werden exemplarische Beispiele auf Wattpad herangezogen, um die oben beschriebenen Aushandlungen (paratextual negotiation) in Form von digitalen KommentarenFootnote 23 innerhalb serieller Fanfiction sowie die Popularisierungsstrategien der Nutzer:innen zu analysieren. Meine Untersuchung bezieht ihre Daten sowohl direkt von der Plattform als auch von der Datenbank MetabaseFootnote 24, in der mittels Scraping-VerfahrenFootnote 25 Daten der Plattform eingespeist und aufbereitet wurden.Footnote 26 Mein Erkenntnisinteresse ist es, eine neue online particapatory culture nicht nur zu postulieren, sondern in ihren Strukturen und Prozessen aufzuzeigen. Die Partizipationskultur besitzt, nach Jenkins »relatively low barriers to artistic expression and civic engagement, strong support for creating and sharing creations, and some type of informal mentorship«Footnote 27. Die hier beschriebenen Hürden sind besonders im digitalen Raum vergleichsweise gering. Insofern können die Interaktionen der Fans (mit- und untereinander) hier viel direkter, dynamischer und folgenreicher als in Printmedien verlaufen. Sie sind aber auch anderen Regularien und Mechanismen der Verteilung von Beachtung unterworfen. Während die Printmedien, seien es nun vom Verlag publizierte Superheld:innencomics oder von Fans veröffentlichte Fanzines, stark moderiert werden und es vom Gatekeeping abhängt, was überhaupt Beachtung finden kann, treten an diese Stelle automatisierte Verfahren der Beachtungsmessung und des Rankings, welche kennzeichnend für die Popularisierung zweiter OrdnungFootnote 28 sind. Alle Akteur:innen können sich die Logiken der jeweiligen Plattform und somit Möglichkeiten zur (Selbst‑)Popularisierung zu eigen machen. An die Stelle moderierter Kommunikation (etwa auf Leserbrief-Seiten) können andere Arten der Interaktion treten. Auf Wattpat werden fernab der offiziellen Serien paratextuellen Aushandlungen beobachtbar, die auf die digitalen Affordanzen, Dynamiken und Formen der Interaktion der Plattform bezogen werden müssen und als spezifische Form der Serienevolution digitaler Fanfiktion verstanden werden kann.

2 Serielle Fanfiction: Eine Definition

Eine ganze Reihe von Forschungsarbeiten zu Fanfiction betonen die Kreativität der Autor:innen, ihre Selbstermächtigung und den ästhetischen Wert der Geschichten.Footnote 29 Dabei ist oft von Werken die Rede, was den seriellen Charakter der Geschichten übersieht. Nach Frank Kelleter handelt es sich bei Serien nicht um in sich abgeschlossene Werke, sondern um fortlaufende Geschichten, die in konstanter Rückkopplung zu ihrer Rezeption erzählt werden.Footnote 30 Dies gilt auch für Fanfictions, die sich nicht nur auf »originale« Serien beziehen, sondern auch selbst als Serien gelesen werden können. Denn die jeweiligen Kapitel, ob nun im Print oder im Digitalen, werden seriell nach und nach, oftmals über einen langen Zeitraum hinweg, veröffentlicht und sind als eigenständiger Serientext, auch ohne ständigen Rückblick auf die Ausgangstexte, rezipierbar. Auch diese Fanfiction-Serien sind mehrteilig, unabgeschlossen und auf Fortsetzung ausgerichtet und dabei »charakterisiert durch ein Nacheinander ihrer Elemente, die sukzessiv rezipiert werden.«Footnote 31 Wesentliche Merkmale solcher seriellen Geschichten sind dabei die Mittel der Wiederholung und der Variation.Footnote 32 Für die selektive Handhabung dieser Mittel ist auschlaggebend, dass eine serielle Erzählung im Gegensatz zum abgeschlossenen Werk die eigene Wirkung auf das Publikum beobachten und bei der Weiterentwicklung der Serie berücksichtigen kann.Footnote 33 Kelleter betont hier, dass Serienrezipient:innen deutlich größere Spielräume als Werkrezipient:innen besitzen, um auf laufende Narrationen Einfluss zu nehmen oder im Prozess fortgesetzten Erzählens selbst aktiv zu werden.Footnote 34 Eine Serie kann sich also auf die eigene Rezeption einstellen, und insofern nehmen die Rezipient:innen auf die Serie Einfluss: An der Serienevolution sind daher Produzent:innen und Rezipient:innen gemeinsam beteiligt. Nach diesem Prinzip funktionieren auch seriell veröffentlichte Fanfictions. Sie nutzen nicht nur Wiederholung (z. B. durch Rückgriff auf Charaktere eines bekannten Serienuniversums) und Variation (z. B. durch Änderung der Narration und Erweiterungen fernab vom Ausgangstext), sondern auch das Feedback der Leser:innen.Footnote 35 Fanfictions sind »in conversation not only with the source text but usually also with other stories in the fandom and the discussions that permeate the community.«Footnote 36 Es erscheint folgerichtig, diese Geschichten nicht als einzelnes, in sich geschlossen Werk zu betrachten, sondern ihren seriellen Charakter (mehrteilig, unvollendet, Wiederholung und Variation) im medialen, sozialen und interaktiven Kontext der digitalen Plattform anzuerkennen.Footnote 37 Fanfictions beziehen sich, wie schon erwähnt, immer auf populäre Phänomene. Die Universen der jeweiligen TV-Serie oder der Superheld:innencomics binden bereits eine mehr oder minder breite Reziepient:innengruppen, haben eine lange Publikationsgeschichten und zugleich eine gewisse Aktualität. Das Genre Fanfiction weist eine eigene Genre-Struktur auf, fernab von gängigen Klassifikationen wie etwa Krimi oder Liebesroman. Denn das Kriterium der Auswahl und Selektion der Fanfictions ist nicht ein Genre, sondern an erster Stelle das jeweilige Fandom wie z. B. Star Trek oder Marvel.Footnote 38 Man entscheidet sich für eine Captain America-Fanfiction-Serie, nicht für dieses oder jenes literarische Genre. Wie die Plattform-Infrastruktur zeigt, sind weitere wichtige Faktoren bei der Auswahl der Fanfiction die Beziehungen der jeweiligen Charaktere des Fandoms untereinander sowie die entsprechenden (Be‑)Wertungen der Ausgangsgeschichten des Fandoms.Footnote 39 Publiziert wurden die hier beschriebenen seriellen Fanfictions zunächst in sogenannten Fanzines.

3 Feedback in Fanzines: LOCs

Die Vorläufer digitaler Publikationsplattformen wie Wattpad sind Fanzines. Bei Fanzines handelt es sich um von Fans selbst erstellte und publizierte Printerzeugnisse zweiter Ordnung, die auf ein Fandom Bezug nehmen.Footnote 40 Die nicht lizenzierten Hefte können Kunstwerke, Briefe und Fanfiction enthalten. Insbesondere letztere scheinen besonders beliebt, da sich hierzu eine Vielzahl von Veröffentlichungen nachweisen lassen.Footnote 41 Fanzines sind (auch für die offiziellen Verlage) wichtig, da sie die Meinungen und Kritiken der Leser:innen abbilden und zeigen, was populär und beliebt ist. Von Fans produzierte Erzeugnisse beziehen sich qua definitionem auf einen Ausgangstext und sind als solche »often […] produced in communication with several other fans«Footnote 42 sowie »part of a conversation with other stories and discussions.«Footnote 43 Das Feedback, das die Fans mit ihren Beiträgen geben, stellt »a common, important practice in creative process« darFootnote 44. Interaktion und Austausch zwischen Autor:innen und Rezipient:innen über die Ästhetik, das Narrativ oder die Charakterentwicklung sind für die Serienevolution geradezu unabdingbar. Denn sie liefern nicht nur Rezeptionszeugnisse zu den bereits erschienenen Texten, sondern bestimmen auch über Fortgang und Popularität der Serien und damit über ihre künftige Existenz. Laura Désirée Haas schreibt hierzu mit Blick auf die Interaktionen zwischen Fans und Autor:innen im Peritext der populären Ms.Marvel-Comic-Serie: »Laufende Serien umfassen einen unabgeschlossenen, weiterzuführenden Erzähltext. Welche Varianten erprobt werden und welche aufgegriffen sowie stabilisiert werden, ist […] vom Publikum abhängig.«Footnote 45 Ein zentraler Austragungsort hierfür sind, und dies gilt besonders für Superheld:innencomics, die letter pagesFootnote 46. Dort werden am Ende eines Heftes (also im PeritextFootnote 47) von der Redaktion ausgewählte Leser:innenbriefe zu unterschiedlichen Themen, Positionen usw. abgedruckt.Footnote 48 Bereits in den frühen 1960er Jahren lassen sich solche Interaktionen der Serienfans untereinander auch außerhalb der von verlegerischen Gatekeeper:innen kontrollierten Heften beobachten, nämlich in den FanzinesFootnote 49. Solche Selbstpublikationen ermöglichten es den Fans, sich jenseits der von Gatekeeper:innen geführten Medien auszudrücken, und sie geben den Autoren bzw. Fans die Kontrolle über den Publikationsprozess und den Austausch untereinander in die eigene Hand. Insofern konnten Fanzines oftmals auch als eine Alternative zur hierarchischen und kommerziellen Welt von Verlagen gesehen werden.Footnote 50 Auf diese Sichtweise konnten sich Hoffnungen stützen, die Fandoms seien antikapitalistisch, demokratisch oder entzögen sich der Kulturindustrie.Footnote 51

Aber auch wenn fanbasierte Medien ihre eigenen Hierarchien und Gatekeeper:innen aufweisen, offerieren die Fanzines doch einen eigenen Raum des (Ideen‑)Austauschs, der Vernetzung und der gemeinsamen Arbeit an Texten und Artefakten. Sie sind auf diesen Austausch und diese Interaktion grundsätzlich angewiesen. Helena Seabright, die Herausgeberin des K/S Anthologie ZineFootnote 52Alien Brothers, betont: »I want to continue to publish ALIEN BROTHERS, but to do this I need your contributions. This zine is not [Hervor. d. Verf.] a collection of the work of my friend and acquaintances. To encourage […] contributions, I am offering generous prizes.«Footnote 53 Die Herausgeberin stellt wiederholt heraus, wie sehr sie auf Beiträge weiterer Fans angewiesen sei. Sogar finanzielle Anreize werden angeboten.Footnote 54 Es geht hier um die Existenz: Fanzines können nur bestehen und weiter gedruckt werden, solange die Community Beiträge einreicht und aktiv ist. Das hier genannte Fanzine wurde allerdings bereits nach zwei Heften eingestellt, was für eine geringe Beteiligung spricht.Footnote 55 Beispiele für länger laufende Publikationen und damit zugleich für eine gelungene Kooperation von Herausgeber:innen und Leser:innen sind die Zines Charisma (1987–1995) und K/S Press (1996-heute).

Als publizistische Form des Fan-Engagements haben sich Letter of Comments (LOC) etabliert.Footnote 56 Bei den LOCs handelt es sich um Briefe, die besonders häufig in Fanfiction-Fanzines abgedruckt werden. Eine besondere Form sind hier die Letterzines, in denen ausschließlich Fanbriefe abgedruckt wurden.Footnote 57 Diese Briefe enthalten Kritik und Anmerkungen zu den jeweiligen Fanfiction-Geschichten der Verfasser:innen. Ihre oft sehr informierten, ausführlichen und detaillierten Kommentare wurden meistens zu Beginn des Heftes über mehrere Seiten abgedruckt. Einige Fanzines weisen sogar explizit darauf hin, alle eingesandten LOCsFootnote 58 unselektiert sowie in Gänze abzudrucken, zugleich forderten sie die Leser:innen ausdrücklich zu konstruktiver Kritik auf.Footnote 59 Die LOCs waren nicht nur Teil der unausgesprochenen Vereinbarung, dass sie eine Form der Belohnung für die Arbeit darstellten, die in die Produktion von Fanwerken flossen, sondern sie wurden auch praktisch eingesetzt, um festzustellen, was die Fans wirklich wollten.Footnote 60

Die wechselseitige Beobachtung und Kommentierung ist allerdings nicht frei von Hierarchien und Konflikten: Das Fandom, so Medien- und Kulturwissenschaftlerin Judith Fathallah, »hierarchizes, silences and disciplines its own texts via feedback, including praise and recommendation, insults and mockery; for, […] discourses are constrained and ordered not only by external forces, but by powerful internal mechanisms of regulation«Footnote 61. Insbesondere die hier erwähnten Beleidigungen können zu Streitigkeiten innerhalb des jeweiligen Fandoms führen und mit Nichtveröffentlichung oder Ausschluss bestraft werden.Footnote 62 Dies verhält sich im digitalen Raum anders. Prinzipiell kann jeder Fan seine Kritik in Form von Kommentaren abgeben, und auch wenn diese eventuell gelöscht werden, so sind sie dennoch eine Weile für alle sichtbar. Online Fanfiction Communities bilden daher eine »living participatory culture, forming supportive networks and communities and adapting and inventing new technology«.Footnote 63 Gerade in digitalen Fanfiction Foren und Plattformen lassen sich partizipatorische Formen von Interaktion und Feedback beobachten, jedoch ermöglichen sie eine andere Art der Kommunikation als in den Fanzines. Die Interaktion im digitalen Raum ist dynamischer – und sie ist anderen Mechanismen der Verteilung von Beachtung unterworfen. An die Stelle des Gatekeepings treten hier die automatisierten Verfahren der Beachtungsmessung und des Rankings, wie sie typisch für die Popularisierung zweiter Ordnung sind.

4 Die Plattform Wattpad: Ordnungssystem und Logik

People creatively expand media, learning how to do so as they engage with online participatory cultures—internet cultures where barriers to creative production are low […] is commonplace […]. Core to the online participatory culture is affinity, which describes the interests, identities and culture that individuals share.Footnote 64

Eine Plattform, auf der die hier beschriebene online participatory cultureFootnote 65 und die aufgrund ihrer relativen Größe und Langlebigkeit am Medienwechsel der Fanpraktiken vom Print zum Digitalen eine Transformation des Populären sichtbar werden lässt, ist Wattpad. Es handelt sich um eine digitale self-publishing Plattform für Literatur und insbesondere Fanfiction. Seit der Gründung 2006 stieg die Anzahl der Nutzer:innen kontinuierlich an.Footnote 66 Die Plattform verzeichnet sehr hohe Klick- und User:innen-Zahlen. Im Jahr 2017 berichtet Wattpad von einer »userbase of 60 million users around the world spending more than 15 billion minutes a month reading stories written by other users […]. With billions of data points from Wattpad’s global audience of more than 70 million people«Footnote 67 Gegenwärtig verzeichnet die Seite über 90 Millionen Leser:innen.Footnote 68 Hierbei handelt es sich um Zahlen, die beim Aufrufen der Startseite im nicht eingeloggten Modus angezeigt werden (vgl. Abb. 1). Dort heißt es auch: »Hey, wir sind Wattpad. Die beliebteste soziale Plattform der Welt zum Geschichtenerzählen. Wattpad verbindet eine globale Gemeinschaft«Footnote 69 Wattpad betont die eigene Popularität durch den Verweis auf hohe Nutzer:innenzahl und die (nicht weiter belegte) Behauptung, sie sei »die beliebteste« Fanfiction-Plattform und von »globaler« Extension.Footnote 70 Darüber hinaus wird suggeriert, dass die »soziale Plattform« ihre Nutzer:innen zu einer »Gemeinschaft« verbinde, also einen Verbund eng verbundener, kooperativ produzierender Individuen. So wird ein Versprechen von Gemeinschaft, Partizipation und Teilhabe gegeben, ganz im Sinne einer Partizipationskultur, als einer »Kultur des Teilnehmens«Footnote 71. Ruft man die Startseite im eingeloggten Modus auf, werden den jeweiligen Nutzer:innen verschiedene Geschichten anhand unterschiedlicher Kriterien beginnend mit »Die beste Auswahl Für Dich«Footnote 72, in der ausgewählten Sprache (Englisch, Deutsch usw.)Footnote 73 angezeigt.

Abb. 1
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Screenshot der Wattpad-Startseite (02.07.2023)

Außerdem wird mit großen Verlagen und Produktionsfirmen wie Penguin und Sony Pictures geworben mit dem Versprechen: »Deine originelle Geschichte könnte der nächste große Hit sein«Footnote 74. Auf der Plattform gibt es neben den kostenlosen Geschichten auch ›exklusiven‹ Content (paid stories) sowie die Möglichkeit, einen Premium Account im Abonemment zu erwerben.Footnote 75 Die hier vorgelegte Analyse bezieht sich auf die kostenlosen Inhalte, da diese überwiegend im Fanfiction-Bereich bespielt und genutzt werden.Footnote 76 Ferner sind exklusive Titel nur einer bestimmten, dafür zahlenden Gruppe vorbehalten, was einer (inklusiven, barrierefreien) participatory culture, an der jeder teilnehmen kann, widerspricht. Über den Reiter »Durchsuchen« werden die verschiedenen Genres und Klassifikationen der Plattform, wie etwa Action, Fantasy sowie Romantik und eben Fanfiction, ersichtlich. Diese erscheinen vielfältig und erstrecken sich von »Adventure« über »Fantasy« bis hin zu »Diverse Lit« sowie »Non-Fiction«.Footnote 77 Daneben stehen eigens von Wattpad kreierte Genres zur Auswahl wie »Paid Stories«, »Editor’s Picks« und »The Wattys«Footnote 78. Auffällig ist, dass hier ein Großteil der Cover mit einem Siegel (vergleichbar etwa mit dem Spiegel-Bestseller-Label) wie »thewattys2022«, »wattpad books W« oder »Netflix: A Neflix Film« versehen sind. Interessanterweise weichen die hier verwendeten Kategorien von gängigen Genres, wie sie etwa auf dem Buchmarkt zu finden sind, ab. So findet sich hier beispielsweise keine Kategorie wie Krimi, dafür aber Genres wie Werwolf, Vampirgeschichten oder Übernatürliches, die eigentlich als Sub-Genres der Fantasy zählen.Footnote 79 Die Plattform richtet sich somit nach den Bedürfnissen ihrer Nutzer:innen und bietet Genres an, die diese auch bedienen und interessieren. Ähnlich wie bei der Genre-Struktur in der Fanfiction (siehe oben) weist die Plattform eigene Logiken und Kriterien in Bezug auf die Genreauswahl auf und bezieht sich auf bereits etablierte, viel beachtete, langfristiger populäre und entsprechend (positiv) bewertete Phänomene.

Unter der Kategorie »Fan-Fiction« werden die ersten 1.000 Geschichten von insgesamt »1.7K Geschichten«Footnote 80 in Listenform (die sogenannte hot list) angezeigt: beginnend mit Platz 1. Die übrigen GeschichtenFootnote 81 werden ausgeblendet bzw. nicht angezeigt und somit aussortiert bzw. der Auswahl entzogen. Solche Listen sind typisch für Popularisierungen zweiter Ordnung; sie ordnen Werke nicht nach qualitativen Kategorien sondern nach zahlenmäßiger Beachtung: Was in der Liste ganz oben rangiert, hat bereits viel Beachtung gefunden und wird allein aufgrund dieser prominenten Platzierung mit hoher Wahrscheinlichkeit auch noch mehr Beachtung finden (als andere Titel, die an den letzten Plätzen gelistet sind).Footnote 82 Die Plattform bietet eine Sortierung der Liste an anhand der Kategorien »angesagt« und »neu«.Footnote 83 Weitere Reiter zu etwaigen Subgenres finden sich auf der Seite nicht. Dafür gibt es aber sogenannte Tags,Footnote 84 worüber sich die jeweilige Suche verfeinern lässt. Aufgeführt werden »Stories« aus unterschiedlichen Fandoms, wie etwa K‑PopFootnote 85, Mangas, Games oder Comics.

Die Darstellung der gelisteten Geschichten erfolgt unter gewissen Grundparametern. Dominant im linken Feld platziert findet sich das Cover der jeweiligen Geschichten in Bildform, während sich im rechten Feld weitere Informationen in Textform finden, beginnend mit dem Titel und dem Namen der Autor:inFootnote 86 (vgl. Abb. 2). Darunter befinden sich kleine Symbole mit Zahlenangaben. Unter dem Piktogramm Auge werden die Views gefasst, unter dem Stern die Likes und unter den Bulletpoints die Anzahl der Kapitel. Danach folgt eine kurze inhaltliche Zusammenfassung der Geschichte vergleichbar mit einem Klappentext (also Paratext) im Print.Footnote 87 Unter dem Text finden sich Tags, die Schlagworte beinhalten und die Geschichte zurechenbar machen. Ist eine Geschichte abgeschlossen, so wird dies mit einem blauen Tag markiert. Umfasst der Inhalt adult content (Erotik, Slash etc.), wird dies mit einem auffälligen Rotton hervorgehoben.

Der Algorithmus von Wattpad bestimmt die Rangfolge auf der Grundlage der aktuellen Aktivität und nicht nur in Bezug auf die absoluten Zahlen in Reads und Likes. Dazu zählen auch Kommentare, »Add to reading list« sowie »posting« und »updating activity« der Kapitel.Footnote 88 Auf diese Weise können auch Geschichten mit viel niedrigeren metrischen Werten den Rang vor Geschichten mit Millionen von Reads einnehmen. Das bedeutet, dass Geschichten, die einmal populär waren, aber eine geringe Aktivität aufweisen, in den HotlistenFootnote 89 absinken. Dies erklärt auch die variierenden Zahlen bei dem hier dargestellten Beispiel (Abb. 2). So verzeichnet Platz #2 lediglich 2,5K Reads und 139 Stimmen, während Platz #3 deutlich höhere Zahlen aufweist. Je nach Modus (eingeloggt oder nicht eingeloggt) variiert zudem die angezeigte Liste, vermutlich, weil der Algorithmus hier auch Geschichten nach persönlichem Geschmack und Suchverlauf anzeigt, was wiederum die Angebotsauswahl und damit die Komplexität reduziert.

Abb. 2
figure 2

Screenshot der Fanfiction Stories Hot List auf Wattpad (25.05.2023)

Abb. 3
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Screenshot des Story Rankings von Little Phoenix (Harry Potter Fanfiction) (25.05.2023)

Ruft man die jeweilige Geschichte auf, werden zunächst, prominent platziert im oberen Bereich der Seite, noch einmal das Cover, die Reads, Likes und Kapitel sowie zusätzlich die voraussichtliche Lesezeit angezeigt. Darunter befindet sich der Autor:innenname, ergänzt von einem Profilbild und einem ausführlichen digitalen Klappentext. Zu diesem Text finden sich weitere Informationen, bereitgestellt von den Autor:innen, kurze Angaben zum Inhalt, zum Copyright (oftmals markiert mit »Alle Rechte vorbehalten« und einem Statement wie »I don’t own« etc.) und ein Inhaltverzeichnis. Während solche Angaben bei einem durch einen Buchverlag publizierten, gedruckten Werk meistens nicht der Autor, sondern die Redaktion vornimmtFootnote 90, gestalten auf Wattpad die Autor:innen diese Paratexte selbst. Relativ häufig finden sich hier sogenannte Trigger Warnings, insbesondere bei Geschichten mit Erwachseneninhalt.Footnote 91 Hierbei handelt es sich um Warnungen zu besonders sensiblen Themen wie etwa »Violence«, »Gore« oder »Gaslighting«.Footnote 92 Über dem Inhaltsverzeichnis finden sich weitere Tags, die Autor:innen können diese, limitiert auf zwanzig Stück, selbst wählen.

Unter den Angaben zu den Reads, Stimmen usw. befindet sich der Button »Anfangen zu lesen«. Wer hier klickt, gelangt direkt zum ersten Kapitel, also zum Beginn der Geschichte (bzw. vom digitalen Paratext zum digitalen Text). Ähnlich wie bei einem Buch hat der/die Leser:in somit die Möglichkeit, die Paratexte, also die digitale Titelei (im Print verlegerische Paratexte), zu überspringen und direkt mit dem Lesen der Geschichte zu beginnen.Footnote 93 Auf der rechten Seite mittig positioniert, befindet sich ein Symbol in Form einer Medaille. Aufgrund der orangefarbenen Kolorierung auf weißem Grund sticht es sofort ins Auge. Die Aufmerksamkeit wird so auf den Tag gelenkt, der die Geschichten mit der höchsten Platzierung rubriziert. Klickt man darauf, werden Informationen zum Story Ranking der Geschichte – beginnend mit dem »most impressiv ranking« angezeigt. Unter diesem ersten Platz finden sich weitere Platzierungen in Bezug auf andere Tags. Die Geschichte Little Phoenix (Harry Potter Fanfiction) wurde auf den ersten Platz von 1.4M »stories« mit dem Tag fanfiction gerankt (vgl. Abb. 2 und Abb. 3) und mit einem entsprechenden badge ausgezeichnet.Footnote 94 Dies lässt sich als GamificationFootnote 95 fassen, denn es werden spieltypische Elemente wie Ranglisten oder Belohnungssysteme, in Form von virtuellen Abzeichen bzw. Medaillen (badges), auf der Plattform integriert, um damit Anreize zu schaffen und die Motivation des Schreibens und Postens zu erhöhen.Footnote 96

Die Voreinstellung der Plattform sieht vor, dass die Geschichten primär nach Genre getagt werden, wobei mehre Genres verknüpft werden können wie z. B. Romance oder Fantasy. Dadurch verschwimmen Genregrenzen. Viele Fanfictions werden nicht nur unter einer Kategorie gelistet, sondern auch, je nach Zeitpunkt, zugleich in anderen Genres. Die Genre-Tags dienen auch der Bestimmung, auf welche Hotlist die Geschichte kommt. Weitere Tags ermöglichen die Auswahl von Texten nach Kategorien wie Hauptcharaktere, Zielgruppe (13-18 Jahre, 18-25 Jahre, 25 und älter) sowie Sprache (wie z. B. Deutsch, Englisch, Türkisch usw.). Es besteht aber auch die Möglichkeit, eigene Tags anzulegen, wobei von der Plattform vordefinierte Vorschläge erscheinen, sobald man etwas in das Feld getippt hat. Dabei weist die Plattform zudem drauf hin, dass zehn oder mehr Tags hilfreich sind, um die Sichtbarkeit zu erhöhen. Auf der Plattform selbst finden sich diverse Ratgeber, die Tipps dazu geben, wie man mit den geeigneten Tags die Popularität für Fanfiction-Geschichten erhöhen kann. So schreibt z. B. Zoe_Blessing über Nischen-Tags und rät dazu, diese zu nutzen. Da diese weniger genutzt werden, ermöglichten sie es, im Gegensatz zu populären Tags die Sichtbarkeit zu erhöhen und die Nutzer:innen im Ranking aufsteigen zu lassenFootnote 97. Außerdem werden hier sehr gerne sogenannte »trope tags« wie z. B. badboy oder readerxcharacterFootnote 98 genutzt. Nicht nur die Plattform selbst, sondern auch die Nutzer:innen bieten hierzu Informationen, wie man in Kenntnis der Logik der Seite schnell Klickzahlen (also Reads sowie Votes), Publikum und comments generieren und so populärer werden kann.Footnote 99 Während in den oben beschriebenen Fanzines noch mit Awards und Preisgeldern geworben wurde, sind es hier hohe Klickzahlen und Badges, die zur Partizipation animieren. Belohnt werden an dieser Stelle nicht die kreativsten, qualitativ hochwertigsten Geschichten, sondern die Geschichten, die die meisten Reads, Kommentare und Likes verzeichnen. Die Währung im Digitalen sind hohe Rankings und entsprechende Zahlen. Das Genre, welches auf Wattpad die höchsten Zahlen verzeichnet, ist »Fan-Fiction«. Dies erscheint nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass diese Geschichten seriell und z. T. parallel zu aktuell laufenden, äußerst prominenten Serien veröffentlicht werden. Dadurch werden nicht nur aktuelle, beliebte Serienwelten ergänzt, sie geben auch viel Raum für Interaktionen und Negotiationen der Fans untereinander, die unmittelbar auf die veröffentlichten Serientexte reagieren.

4.1 Serielle Fanfiction auf Wattpad: Merkmale und paratextuelle Gestaltung

Der serielle Charakter und der Einfluss von Feedback und (paratextuellen) Negotiationen, sowie deren Effekte wird bei Marvel Imagines 1‑3 besonders deutlich. Die Cover der Serie weisen ein übergeordnetes Designschema auf und nutzen die für Serien typischen Merkmale von Wiederholung und Variation. Wie bei einem Superheld:innencomic oder Fanzine ist der Titel am oberen Rand positioniert. Titel und Name der Autor:in wiederholen sich auf allen Covern, das Design und die Positionierung bleiben gleich und stellen somit eine Konstante dar (vgl. Abb. 4). Es ändert sich die wiederholte, zentrierte, abgebildete Heldenfigur sowie die Farbgebung des Hintergrunds. Die Figuren werden hier simplifiziert im Stil eines Emoticons dargestellt.Footnote 100

Abb. 4
figure 4

Collage der Marvel-Imagines-Cover von @Imaginemarvel auf Wattpad (05.04.2023)

Die paratextuelle Gestaltung gibt der Serie einen großen Wiedererkennungswert. Denn hier werden die (visuellen und narrativen) Merkmale des Serienprinzips, Wiederholung und Variation, repliziert. Wie bei den Printerzeugnissen der Superheld:innencomics im Buchhandel ist auch eine Fanfiction-Serie auf Wattpad durch ihr serielles Titeldesign beim Scrollen durch die Listen klar und schnell zu identifizieren. Die Fans und Leser:innen der Fanfiction-Serie erkennen diese anhand der bildlichen Merkmale wieder. Die bereits veröffentlichten Kapitel können unabhängig voneinander als eigenständiger, mehrteiliger, unabgeschlossener Text der Fanfiction-Serie gelesen werden. Da es sich bei der hier analysierten Serie um »Series« handelt, sind die einzelnen Geschichten in sich geschlossen.Footnote 101 Diese werden wie Superheld:innencomicheften oder selbstgedruckte Fanzines seriell und regelmäßig (täglich, wöchentlich oder monatlich) veröffentlicht.Footnote 102 Auch wenn der Inhalt sich ändert, bleibt der Aufbau des Formats gleich: Es beginnt stets mit einem Bild des/der jeweiligen Schauspieler:in der Figur aus dem MCU, Titel und Counts.Footnote 103 So wird an dieser Stelle das in der Fanfiction beliebte Imagines-Genre bedient. Imagine Stories sind kurze, oftmals isolierte Fanfiction-Geschichten, die sich meist auf einzelne Figuren beziehen.Footnote 104 Dennoch bauen sie aufeinander auf. Die verbindenden Elemente sind hier das Universum (wie z. B. das MCU) und die wiederkehrenden Figuren, also der Kanon.

4.2 Online Participatory Culture: Popularisierungsstrategien, Feedback und Negotiation Serielle Fanfiction auf Wattpad

Der Literaturwissenschaftler Niels Penke bezeichnet Fanfiction »als Literatur der großen Zahlen«.Footnote 105 Dabei erhöhe die Popularität des »Canons«, also des Primärtextes der Serie, »die Wahrscheinlichkeit, wahrgenommen zu werden.«Footnote 106 Die Beachtung durch viele sei die Ausgangsbedingung dafür, dass Interaktion mit anderen User:innen überhaupt erfolgen könne.Footnote 107 Erfolgt diese Beachtung nicht im ausreichenden Umfang, werden die Fanfiction-Serien eingestellt, wie im Fall des oben erwähnten Fanzines Alien Brother. Penkes These zur Popularität bestätigt sich auch auf Wattpad. So finden sich beispielswiese vermehrt Fanfictions zu Marvel in der Hotlist, wenn ein neuer Blockbuster oder eine Serie des MCU erscheint. Aber auch bereits abgeschlossene Geschichten, die keine ersichtliche Aktualität aufweisen, können weiterhin bei vielen Beachtung generieren, wie z. B. die Geschichten Marvel Imagines Part 1‑3 von @Imaginemarvel. Eine Regel, nach der Popularität errungen, erhalten oder eingebüßt wird, scheint es nicht zu geben. Fest steht nur, dass Popularitätsindikatoren zur Affordanzstruktur der Fanzine-Plattformen zählen und dass der serielle Kanon äußerst populär ist. Wie bereits erwähnt, beziehen sich Fanfictions primär auf Serien.Footnote 108 Insbesondere bereits erfolgreiche und populäre Serien (die hohe Quoten und ein großes Publikum aufweisen) sind bei den Fanfiction Schreiber:innen sehr beliebt und auch vermehrt in der Hotlist vertreten.Footnote 109 Die Ausgangstexte des Serien-Kanons sind dabei primär Anlass für Fanfiction und bilden den Common GroundFootnote 110 für die community. Fanfictions archivieren (neue) Interpretationen und Assoziationen, die wiederum die Lektüre des Serien-Kanons beeinflussen können.Footnote 111 Das Fandom unterscheidet hier explizit zwischen Fanon und Kanon. Beim Kanon handele es sich um die »events presented in the media source that provide the universe, setting and characters«Footnote 112. Fanon wird definiert als »the events created by the fan community in a particular fandom and repeated pervasively throughout the fantext«.Footnote 113 Als Kanon gilt das Quellenmaterial bzw. der Ausgangstext einer Serie, die das Universum, Setting und die Charaktere bilden, und damit als das, was nach Meinung der Fans als authentisch gilt sowie innerhalb des Fandoms als bekannt vorausgesetzt wird.Footnote 114 Fanon bezeichnet jene Elemente, die unter Fans akzeptiert werden, aber nur eine geringe oder keine Grundlage im Kanon hat.Footnote 115 Aber: Aus Fanon kann Kanon werden. Nach Kristina Busse und Karen Hellekson sind die Fanerzeugnisse ein »work in progress, the […] text invites fan ficiton as an expansion to the source universe and as interpretive fan engagement«Footnote 116. Diese Erweiterungen und Interpretationen können vom Fanon in den (Serien‑)Kanon aufsteigen.Footnote 117 Dies liefert einen starken Beleg für die Folgen der Aushandlungen von Fanfiction für die Serienevolution.

@Imaginemarvel hat bislang 16 Geschichten veröffentlicht. Dem seit dem 24 April 2015Footnote 118 bestehenden Account der Autor:in folgen 19,4K Follower:innen. Zum Zeitpunkt der ersten Datenerhebung im Jahr 2022 rangierten ihre/seine Geschichten von Marvel Imagines Part 3 unter den Top 100 der Fanfiction Hot ListFootnote 119. Die Anthologie-Serie Marvel Imagines 1 umfasst 200 Teile, dabei wurde der erste Teil am 11. Mai 2015 und der letzte Teil am 6. November 2015 in einem täglichen Rhythmus veröffentlicht.Footnote 120 Unter beeindruckendstes Ranking wird die Geschichte auf Platz 1 unter dem Tag steve gelistet. Der erste Teil verzeichnet 12.5M reads sowie 393K Stimmen und nennt eine Lesezeit von sieben Stunden und fünf Minuten. Auch wenn Marvel Imagines 1 als abgeschlossen markiert wird und das letzte Kapitel im November 2015 veröffentlicht wurde, erhält die Serie nach wie vor Beachtung.Footnote 121 Auch im Jahr 2023 postet die Community noch Kommentare.

Als erstes Kapitel wurde ein weiteres Vorwort (markiert als »Author’s Note« bzw. »A/N«Footnote 122) veröffentlicht. Dabei handelt es sich um eine auf Wattpad gängige Praktik. Die Autor:innen posten in (un)regelmäßigen Abständen solche Author’s Notes (abgekürzt A/N) zwischen ihren jeweiligen Kapiteln. Diese A/Ns fungieren auf der Plattform (neben dem Kanon) als ein weiteres, verbindendes Element von serieller Fanfiction. Imaginemarvel schreibt in ihrer ersten A/N folgendes:

I take requests for an imagine or preference, so message me any time. I’d love to know what you want me to write about […] don’t be shy or scared to message me. I’m assuming you and I are alike with our interest in Marvel since you’ve clicked the story.Footnote 123

Die Leserschaft wird hier dazu aufgefordert, Anfragen für den weiteren Verlauf der Fanfiction-Serie abzugeben. Zugleich wird in dieser Vorrede Wertschätzung kommuniziert und das gemeinsame Interesse am Marvel Fandom betont, wodurch Nähe zur Leserschaft vermittelt und der Eindruck eines auf der Plattform etablierten Common Ground geschaffen wird.Footnote 124 Im weiteren Verlauf der A/N werden Charaktere des Marvel Universums (so wie die jeweiligen Schauspieler:innen dieser im MCU) aufgelistet, die in den Geschichten vorkommen. Im Anschluss wird vermerkt: »If the person you want to request an imagine or preference isn’t on the list, just message me and we’ll talk about it«Footnote 125. Auch hier wird wieder um Beteiligung an der Diskussion über den weiteren Verlauf der Serie gebeten – eine Strategie, um die Leser:innenzahlen über Figurenbindung zu halten. @Imaginemarvel kann bei reger Beteiligung nachvollziehen, welche Held:innen beliebt sind und welche nicht; sie kann auf Kommentare reagieren und Figuren entsprechend ausbauen, streichen oder ergänzen. Diese Darstellung der Figurenliste kommt einer Umfrage gleich. Ähnlich wie in den frühen Superheld:innencomicheftenFootnote 126 und wie in den oben beschriebenen Fanzines werden so Informationen darüber gewonnen, welche Geschichten mit Bezug zu den jeweiligen Figuren, die die Fans präferieren, weiter auszubauen wären. Im Gegensatz zu den Fanzines im Print kann dank der Metrifizierung und Indizierung der Beachtung durch die Plattform jede(r) wissen, welche Figuren den höchsten Zuspruch erhalten: Die Visualisierung der Kommentarzahlen am Rande des Textes macht dies ersichtlich. Die Kommentare können bei Wattpad am Ende des Textes (regular comments) oder unmittelbar im Text (inline comments) erfolgen. Dargestellt werden die Kommentare als graphische Symbole in Form von Sprechblasen. Innerhalb dieser Sprechblasen wird die Gesamtzahl der Kommentare (geordnet nach dem jeweiligen Datum der Posts) zum jeweiligen Paragraphen oder jeweiligen Zeile angegeben (vgl. Abb. 5). Auf die Kommentare können die Nutzer:innen antworten, sie können sie aber auch einfach liken. @Imaginemarvel ruft in dieser A/N ihre Leser:innen also aktiv dazu auf, Vorschläge für den weiteren Verlauf der Geschichten abzugeben. Die Vorschläge und ihre Effekte sind, anders als bei den LOCs in den Printmedien, auf der Plattform Wattpad gleichermaßen zu beobachten und aufeinander zu beziehen. Der Austausch erfolgt hier viel dynamischer, denn im Gegensatz zu den Printmedien, bei denen teilweise Wochen und Monate zwischen dem Verfassen der Briefe und dem Druck im Medium liegen, werden die Kommentare und Reaktionen unmittelbar in Echtzeit ersichtlich.

Abb. 5
figure 5

»Author’s Note« von @Imaginemarvel zu Marvel Imagines 1 auf Wattpad sowie die Einzelansicht der Kommentare (24.07.2023)

Anders als bei den Leser:innenbriefen in Comicheften oder z. T. bei den LOCs, bei denen nur eine Teilmenge der Zuschriften und Kommentare abgedruckt wirdFootnote 127, werden bei Wattpad alle Kommentare, die nicht wegen etwaiger Verstöße gelöschtFootnote 128 worden sind, veröffentlicht. Dadurch wird die Kommunikation der Fans untereinander sowie der Austausch zwischen den Autor:innen und den Fans nicht nur interaktiv und dynamisch, sondern auch repräsentativ. Zwischen der Veröffentlichung der Kapitel werden von @Imaginemarvel wiederholt A/Ns mit der Bitte, weitere Vorschläge in Form von Anfragen (persönlich über Privatnachricht) oder Kommentare sowie weiteren Umfragen gepostet. So heißt es in der A/N vom 30.06.2015: »To get straight to the point; I need more requests«Footnote 129. Das macht deutlich, dass die/der Autor:in entweder weitere Anregungen benötigt oder diese Notwendigkeit aktiver Beteiligung durch ihre Leser:innen simuliert, um weitere Kommentare und somit Beachtung zu erlangen. Während es die erste A/N auf 1.5K Kommentare bringt, erzielt dieser Aufruf lediglich 96 Antworten. Das erste Kapitel der Nachfolgeteils Marvel Imagines 2 wiederum kommt auf 1K Kommentare während die erste A/N des letzten Teils Marvel Imagines Part 3 nur 412 Kommentare erzielt.Footnote 130 Hier wird ein massiver Rückgang der Kommentarzahlen und somit der Aktivität der Fans deutlich. Die Zahl der Kommentare der Leser:innen hat abgenommen, und dies gilt auch für die Beachtung der kommentierten Fanfiction-Serie insgesamt. Die/der Autor:in versucht zwar mit neuen Strategien, etwa einem »Contest« in Marvel Imagines Part 3Footnote 131, die Aktivität der Leser:innen zu steigern und somit Popularität zurück zu gewinnen, allerdings scheint ihr dies nicht zu gelingen, denn sie stellt die Serie schließlich ein.Footnote 132 Dies könnte bedeuten, dass die Leser:innen der Fanfiction-Serie das Interesse verloren haben, aber auch ein Indikator dafür sein, dass das Interesse am MCU schwindet.Footnote 133

Wie bereits oben beschrieben, ist Feedback ein zentraler Punkt für von Fans erstellte Erzeugnisse, denn das Fandom formt über Lob und Kritik seine Texte.Footnote 134 Diese haben Auswirkungen auf die Serienevolution und den Fortbestand, also die Popularität, der Geschichten. Genauer Lob und Kritik der Leser:innen entscheiden darüber, welche Handlungsstränge und Charaktere weiter ausgebaut bzw. getilgt werden. Geht der/die Autor:in nicht auf dieses Feedback nicht ein, steigt auch die Wahrscheinlichkeit Leser:innen und damit Popularität (Beachtung) zu verlieren. Sicherlich ist es bei der schieren Anzahl an Kommentaren kaum möglich, auf alle Vorschläge und Änderungswünsche einzugehen. Jedoch bieten hier die Logik und Metrik der Plattform Abhilfe, indem in den entsprechenden Countern angezeigt wird, welche Zeilen, Abschnitte und Figuren die meisten Kommentare aufweisen. Damit wird auch für den/die Autor:in markiert, welche Stellen einen genaueren Blick bedürfen. Insbesondere für serielle Erzeugnisse ist das Feedback essenziell, sei es nun, wie hier beschrieben, in Form von Kommentaren auf digitalen Plattformen, sei es in gedruckter Form wie bei den LOCs in Fanzines sowie den Leser:innenbriefen in Superheld:innencomics. Die Gegenprobe erweist: Nimmt diese Interaktivität (für alle Nutzer:innen der Plattform bzw. der Hefte sichtbar) ab, entwickelt sich der Text und somit auch die Serie nicht weiter. Die digitale Fanfiction-Serie, dies gilt auch für Serien im Print, wird nicht mehr fortgeführt und letztendlich eingestellt.

Als paratextuelle Strategie, um mehr Feedback auf Wattpad zu generieren und sich bei der Leserschaft rückzuversichern, nutzen die Autor:innen, die oben beschriebenen, digitalen Vorworte: die A/Ns. Die Leser:innen haben hier die Möglichkeit, fernab vom eigentlichen Text, darauf einzugehen oder diese zu ignorieren. Bei der ersten A/N von Marvel Imagines 1 (s. oben) verzeichnen die Figuren Bucky Barnes und Loki die höchsten Zahlen mit jeweils 279 bzw. 242 Kommentaren (vgl. Abb. 5). Thor und der Hulk hingegen kommen nur auf jeweils 72 bzw. 47 Kommentare. Dass sich die von @Imaginemarvel geforderten »requests« sowohl für die Leser:innen, die bereits ihre Zeit und Energie in die Kommentare und Serie investiert haben, als auch für die/den Autor:in rentieren, zeigt sich im weiteren Verlauf der Marvel Imagines. Die/der Autor:in greift die Kommentare und die Ergebnisse der Umfrage auf, was Auswirkungen auf den weiteren Verlauf der Serientexts hat. So nimmt beispielsweise die Anzahl an veröffentlichen Geschichten von Bucky Barnes kontinuierlich zu, während die von Thor und dem Hulk abnehmen.Footnote 135 Im letzten Teil Marvel Imagines Part 3 werden die Figuren Thor und Hulk nicht mehr aufgegriffen und keine weiteren Geschichten veröffentlicht. Footnote 136Stattdessen finden sich Geschichten mit Protagonist:innen, die bereits in den Anfragen der Leser:innen ventiliert worden sind, z. B. Pietro Maximoff (Quicksilver).Footnote 137

Zu Beginn dieser Geschichten werden die Leser:innen durch eine Verlinkung ihrer Kommentare markiert und durch den Vermerk »(Requested by […])« explizit hervorgehoben.Footnote 138 Somit wird das Investment der Leser:innen für das Senden der Anfrage und ihr Engagement öffentlich sichtbar gemacht und damit zugleich belohnt. Wie bei den Leser:innenbriefen oder den LOC’s wird hier ihr Name digital publiziert. Außerdem erhalten die Leser:innen somit Geschichten von Figuren an denen sie auch wirkliches Interesse haben. Die/der Autor:in und ihre Leser:innen haben so den Serientext gemeinsam geformt. Dass sich diese Praxis für @Imaginemarvel (mit Blick auf Beachtung) ausgezahlt hat, wird an dem Ranking des zweiten Teils deutlich. Marvel Imagines verzeichnet als höchstes Ranking Platz #17 unter dem Tag Quicksilver, also gerade derjenigen Figur, die von ihrer Fan-Community vorgeschlagen wurde. Und auch wenn Marvel Imagines 1‑Part 3 abgeschlossen zu sein scheinenFootnote 139, verzeichnen diese nach wie vor hohe Zahlen auf den Wattpad Hotlists.Footnote 140 So wird beispielsweise Marvel Imagines 3 auf Platz #40 unter dem Tag Fanfiction gelistetFootnote 141 und erhält kontinuierlich Kommentare, beispielsweise wurde der letzte Kommentar zur A/N von Marvel Imagines 1 vor einem Monat gepostetFootnote 142, was zeigt, dass die Geschichten weiterhin beachtet werden. Dies macht deutlich, wie sehr sich für die online participatory culture die Interaktionen für die Leser:innen wie Autor:innen auszahlen. Den Leser:innen wird nicht nur das Gefühl vermittelt, an den Geschichten mitzuwirken, sie formen und gestalten diese durch ihre Kommentare sogar aktiv mit und werden am Prozess beteiligt. Der prominenteste Hinweis darauf ist die digitale Publikation des eigenen Namens. Die Autor:innen wiederum profitieren von den Vorschlägen, aber mit jedem Kommentar auch im Sinne ihrer Popularisierungsstrategien, insofern sie weiterhin beachtet werden, populär bleiben und ihre Popularität durch hohe Platzierungen in den Rankings ausgestellt werden. Allen beteiligten Akteur:innen kann aufgrund ihrer hohen Investitionen nur daran gelegen sein, dass die Geschichten in Serie fortgesetzt werden.

5 Resümee

Fanfictions sind offen, mehrteilig und auf Fortsetzung ausgerichtet. Sie beziehen sich nicht nur auf die Ausgangstexte von Serien, sondern stellen auch eigenständige Serien dar und können daher als serielle Fanfictions definiert werden. Ein gemeinsamer Bezugspunkt zwischen den Fanfictions und der jeweiligen Ausgangsserie ist der Kanon. Diesen übernehmen die Autor:innen und formen durch ihre Änderungen und Interpretationen einen Fanon, der wiederum für Autor:innen des Fandoms bindend, aber auch verhandelbar ist. Serien sind – mit Blick auf ihre Fortsetzung von Episode zu Episode – geprägt von Wiederholung und Variation und ermöglichen auf dieser Grundlage die Interaktion, Feedback und Verhandlung mit den Fans der Serie. Dieses Prinzip der Partizipationskultur findet sich auch in seriellen Fanfictions wieder, die auf Feedback setzen und den Dialog über die Ausgangsserie und die Fortsetzung der Fanfiction ermöglichen. Bereits in den frühen Fanzines werden diese partizipativen Praktiken erkennbar. In den Paratexten der Fanzines, den LOC, kommt es zur Interaktion zwischen den Herausgeber:innen der Zines und den Leser:innen. Die Partizipation wird hier dezidiert gefördert und erweist sich als wichtig für Fanzines, da sie nur so neue Beiträge und Ideen generieren können und ihre Leserschaft halten, was ihr Fortbestehen sichert.

Mit der Durchsetzung der Digitalisierung zeigt sich eine Transformation der Partizipationskultur von den frühen Fanzines hin zu einer online participatory culture in digitalen Fanfictions. Durch die Metriken der digitalen Plattformen werden die Gatekeeping-Prinzipien der Printmedien abgelöst, und es zeigen sich dynamischere, direktere sowie folgenreichere Formen der Interaktion, des Feedbacks und der Aushandlung. Anhand der Untersuchung einzelner Fanfictions des MCU auf der Plattform Wattpad konnte gezeigt werden, wie Fans aktiv an der Serienevolution von digitalen Fanfictions teilnehmen. Dabei nutzen Autor:innen und Fans serieller Fanfictions die automatisierten Verfahren der Popularitätsmessung (z. B. Listen und Rankings) oder Motivationsstrategien (z. B. badges) der Plattform, um die Popularität ihrer Serien zu steigern. Mit digitalen Vorworten (A/Ns), Umfragen und ihr Eingehen auf die Kommentare ihrer Leser:innen fördern die Fanfiction-Autor:innen die Partizipation, was die Entwicklung der Serien wiederum prägt, wie am Beispiel von Imagine Marvel deutlich wurde. An Wattpad konnte exemplarisch vorgeführt werden, wie digitale Plattformen eine neue Form der (online) Partizipationskultur ermöglichen, bei der Fans aktiv an der Serienevolution von Fanfictions beteiligt sind. Es wäre vor dem Hintergrund dieses Befundes lohnenswert diese online participatory culture weiterhin im Blick zu behalten und ihren Einfluss auf die Superheldinnen:comics und TV-Serien zu untersuchen, die den Fanfictions als Ausgangspunkt dienen.Footnote 143 Es wäre denkbar, dass besonders populäre Fanfictions eine Rolle bei der Fortsetzung dieser Serien spielen.