»Creatures of Night, Brought to Light«
Peter S. Beagle, The Last Unicorn
Zusammenfassung
Unter den disparaten Deutungsansätzen, die für Kaufringers Märe Die Unschuldige Mörderin vorgeschlagen wurden, hat sich bislang die Lesart des Textes als Verhandlung juristischer Grundüberlegungen durchgesetzt. Der vorliegende Beitrag schlägt vor, den Text stattdessen aus einer anderen Perspektive zu beleuchten, die die soziale Dimension des Erzählten fokussiert: Kaufringers Unschuldige Mörderin setzt die Frage nach responsiblem Handeln im Gefüge sozialer Abhängigkeiten narrativ um. Ausgehend von der ›Versuchsanordnung‹ eines sozialen Verstoßes, der eine öffentliche Verhandlung a priori ausschließt, tritt die Dysfunktionalität privater, (hierarchisch-)sozialer Verbindlichkeiten und Heteronomien hervor. Die Protagonistin sieht sich Figuren gegenüber, die sich eigenmächtig aus dem Netz gegenseitiger Verantwortung lösen und, getrieben vom Streben nach sozialer Superiorität, zu ihren Opponenten avancieren. Die Schieflage hierarchischen Opportunismus’ und feudalen Ausgeliefertseins findet in der Handlung eine mehrfach variierende Umsetzung, während Pro- und Epimythion dagegen in Form eines Korrektivs anarbeiten. Dort wird eine Welt vollkommener, mutualer Absicherung und trewe entworfen und das kontingente Geschehen göttlicher Verantwortung zugeschrieben sowie sinnhaft aufgeladen.
Abstract
The most firmly established interpretation put forth to date to Kaufringer’s Märe Die unschuldige Mörderin is that of viewing the text as a discussion of fundamental legal questions. This article suggests reading the text from a different perspective: one that is focussed on the social dimension of the narrative. Kaufringer’s Die unschuldige Mörderin takes up the question of responsibility within the microcosm of social dependencies and puts it into the centre of the narrative. Starting from the setting of a social infraction which a priori does not permit a public hearing, the dysfunctionality of private, (hierarchical) social interdependencies and heteronomy becomes apparent. The protagonist sees herself confronted by figures who remove themselves from the intricate network of mutual responsibility and, driven by greed for social status and superiority, become her opponents. The problematic hierarchical opportunism and the helplessness of an individual within the feudal system come into play in various ways throughout the narrative, while the pro- and epimythion work against them in the form of a corrective. These envision a world of perfect mutual co-responsibility and trewe and the contingent events are ascribed to divine responsibility as well as laden with meaning.
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1 Die renitente Mörderin – ein »eigentümlicher Sonderfall«
Ruh 1984, S. 178.
Die Unschuldige Mörderin ist nach wie vor ein Märe aus Kaufringers Œuvre, dem große Beachtung seitens der Forschung zuteilwird. Der Grund dafür mag in der Tatsache liegen, dass sich dieser Text beharrlich einer eindeutigen Interpretation entzieht: Schon Paul Sappler bezeichnet das Märe als »Sonderfall«,Footnote 2 Hanns Fischer urteilt mehr oder minder resigniert, die Unschuldige Mörderin sei ein Text, der »sich freilich im Grunde jeder Einordnung widersetzt«.Footnote 3
Renitent und undefinierbar – so stellt sich die Unschuldige Mörderin aus dieser Perspektive dar. Die Forschung hatte demnach große Mühe mit diesem Text, hat sich mit ihm »bis heute schwergetan«, wie Ralf-Henning Steinmetz und Walter Haug es ausdrücken.Footnote 4 Gerade die Beziehungen von Pro- und Epimythion zur Handlung gestalten sich schwierig: Je nach Blickwinkel geraten die verschiedenen Teile des Märes in einen spannungsreichen Kontrast, zielen aneinander vorbei oder widersprechen einander gar.Footnote 5 Vor diesem Hintergrund verwundert es kaum, dass die bisherigen Deutungsansätze ganz unterschiedliche Wege eingeschlagen haben und sich in ihrer Disparatheit teils gegenläufig ausnehmen. Die Unschuldige Mörderin bediene sich eines »ins Extrem gesteigert[en] […] einsträngige[n] Beweisverfahren[s] des Exempels«,Footnote 6 sie sei ein Ausdruck »laientheologischen Selbstbewußtseins«,Footnote 7 Bewältigung des Schrecklichen im humoristischen Gewand,Footnote 8 oder – besonders vernichtend – das Märe sei nichts weiter als »eine ungewöhnliche, sensationelle, sogar widersinnige Geschichte«, »eine spektakuläre Mordgeschichte«, die sich aus ihrem bloßen Selbstzweck heraus begründe und der obendrein »ein arger theologischer Mißgriff« unterlaufe.Footnote 9
Als derzeit populärste argumentative Stoßrichtung hat sich die Lesart des Textes als Narrativierung juristischer Grundüberlegungen erwiesen. Dies fällt zusammen mit der generellen Idee, die Handlung bestimmter Mären Heinrich Kaufringers als sorgsam konstruierte Gerichtsfälle zu verstehen. Ablesen lassen sich entsprechende Tendenzen bereits an Titeln, die »Heinrich Kaufringers Fallkonstruktionen«Footnote 10 oder den »Fall des Märe« angeben.Footnote 11 Kaufringers Mären werden als Texte gelesen, die in kasuistischer Manier rechtliche Problem- oder Grenzfälle in erzählte Handlung überführen, um in dieser neuen Form Stand- und Argumentationspunkte diskursiv entfalten und behandeln zu können.Footnote 12 Der ›Sinn‹ der Texte lasse sich demnach weniger in dem sehen, was sie erzählen, sondern darin, wie sie an der Diskussion rechtlicher Grundfragen partizipieren: »Die häufig postulierte groteske Sinnlosigkeit der von Kaufringers Erzähler offerierten Geschichten hätte ihren Grund dann darin, dass er gar keine Geschichten mehr erzählt, sondern zur Instanz eines offenen juristischen Diskurses wird.«Footnote 13 Auf die Unschuldige Mörderin hin gedacht hieße das, das Märe nutze einen »argumentative[n] Grundgestus«,Footnote 14 um über Schuld oder Unschuld einer Mörderin zu urteilen; die Grundfrage der Erzählung lasse sich – so Klaus Grubmüller – in wenigen Worten zusammenfassen: »Warum und in welchem Sinne war die Dame unschuldig?«Footnote 15
2 Ein Netz aus Verantwortung
Die Frage nach juristischer (Un‑)Schuld scheint mir jedoch nicht ganz den Kern des Märes zu treffen. Die bisher als Brüche wahrgenommenen, sich teils gegenseitig unterlaufenden Elemente des Textes können mit diesem Deutungsansatz nicht durchweg schlüssig erklärt werden; sie werden ihm durch eine Fokusverengung auf den rechtlichen Diskurs vielmehr untergeordnet. So wird der Erzähler kurzerhand zum Verteidiger deklariert, der unablässig die Unschuld der Protagonistin ausruft,Footnote 16 die narrative Struktur bilde die innere Ordnung eines juristischen Streitgesprächs ab.Footnote 17 Gerade die grundsätzlichen Probleme, die dazu führen, dass das Märe als ›Sonderfall‹ klassifiziert wird – etwa die Positionierung von Pro- und Epimythion zum Rest des Textes oder der eigensinnige Blick auf das Geschehen –, können über den Einbezug des juristischen Diskurses allein nicht hinreichend begründet werden. Zudem verstellt eine ausschließlich juristische Annäherung an das Märe den Blick auf die sozialmoralische Dimension des Erzählten.
Aus dieser Beobachtung heraus möchte ich eine alternative Schwerpunktsetzung vorschlagen. Die Ausgangsfrage meiner Überlegungen lautet: Was, wenn in der Unschuldigen Mörderin nicht einfach nur Schuld oder Unschuld der Protagonistin im juristischen Sinne verhandelt wird? Was, wenn der Text zuvorderst von einem anderen Blickwinkel aus argumentiert? Ich formuliere meine erste These: Kaufringers Unschuldige Mörderin lotet aus, auf welchem sozialen ›Spielfeld‹ sich die eigenmächtigen Reaktionen der Protagonistin überhaupt erst ergeben. Dafür zeigt der Text auf, wie brüchig das Verantwortungsnetz ist, in das sie eingebunden ist.
Mit der Wahl des Konzepts ›Verantwortung‹ ist zugleich der Blickwinkel der vorliegenden Überlegungen markiert: Auch wenn sich zwischen den beiden Begriffsfeldern ›Schuld‹ und ›Verantwortung‹ Überschneidungen ergeben,Footnote 18 fasse ich ›Schuld‹ hier zuerst als Kategorie des juristischen Diskurses auf, ›Verantwortung‹ hingegen sehe ich vornehmlich als Kategorie des sozialen, mithin auch moralischen Diskurses an. Zudem unterscheiden sich beide Konzepte hinsichtlich ihrer temporalen Dimension: ›Schuld‹ ist retrospektiv determiniert,Footnote 19 ›Verantwortung‹ hingegen ist in beide Richtungen – retrospektiv wie prospektiv – denkbar. Verantwortung kann somit als Rechtfertigungsverpflichtung für »bereits vollzogene Handlungen bzw. ganze Handlungskontexte und Aufgabenbereiche«Footnote 20 verstanden werden, es kann aber auch antizipiert werden, »dass der Handelnde sich in der Zukunft für dann vollzogene oder unterlassene Handlungen und ihre Folgen wird verantworten müssen.«Footnote 21 In diesem Sinne ist auch der Terminus ›Verantwortungsnetz‹ zu verstehen: Gemeint ist damit das soziale Geflecht, das die Figuren in Kaufringers Unschuldiger Mörderin über gegenseitige Verantwortungsbeziehungen – im Märe oft mit dem Begriff trewe markiert – miteinander verbindet. Verschiedene Individuen können aufgrund dessen, dass sie sich an bestimmten Stellen des sozialen Gefüges befinden und definierte Rollen einnehmen, je nach Situation voneinander Unterstützung erwarten. Ihre soziale Eingebundenheit bedingt aber zugleich, dass sie Rechenschaft über ihr Verhalten ablegen können müssen. Von einer netzartigen Struktur ist auszugehen, weil diese Beziehungen als mutual zu beschreiben sind und jede Figur mehrere Beziehungen zu verschiedenen anderen Figuren unterhalten kann. Dieses Netz kann freilich auch zerstört werden, wenn Verantwortung missachtet wird und dann – wie es in der Unschuldigen Mörderin häufig der Fall ist – als Verantwortungslosigkeit zutage tritt.
Um die Idee, das Märe als Erzählung vom Belastungstest des Verantwortungsnetzes zu lesen, auszuführen, will ich sie mit einem Ansatz verknüpfen, der für den spezifischen Erzählgestus Kaufringers formuliert wurde: Einige seiner Texte, darunter auch die Unschuldige Mörderin, wurden z. B. von Fischer als »experimentelle Sonderfertigungen«Footnote 22 verstanden, ebenso von Grubmüller: »Heinrich Kaufringer stellt das Prinzip exemplarischen Erzählens auf den Prüfstand: er schreitet es in seiner ganzen Spannweite aus und führt es an seine Grenzen. Kaufringers Märenerzählen ist ein poetologisches Experiment.«Footnote 23
Hier setzt meine zweite These an: Die Unschuldige Mörderin konstruiert einen initialen Konflikt als Ausgangssituation, der so beschaffen ist, dass das erlittene Unrecht der Protagonistin nicht öffentlich verhandelt werden kann. Im »Laborversuch«Footnote 24 wird experimentell ausgehandelt, was aus dieser Grundkonstellation entsteht: Der Text vollzieht nach, wie die Gräfin dazu gezwungen ist, Hilfe in einer anderen sozialen Sphäre zu suchen und auf ihr privates Netz individuell-gegenseitiger Verantwortung zurückzugreifen. Dieses erweist sich jedoch als nicht minder dysfunktional.
Um den Prozess dieser sukzessiven Destruktion deutlich zu machen, folgt meine Interpretation zuerst chronologisch der Handlung und der Reihung der etappenweise eingeführten Widersacher der Gräfin, um danach Pro- und Epimythion in den Blick zu nehmen, die ebenfalls im Dienste der sozialethischen Programmatik stehen: Sie begegnen den Defiziten weltlicher Sozialsysteme mit dem Korrektiv göttlicher huot.
3 Diebe in der Nacht – Ritter und Pförtner
Eine junge Gräfin, keusch und frumm, vein und zart (V. 19),Footnote 25 steht kurz vor der Heirat mit einem König, edel, jung und reich (V. 27). Das Paar könnte idealer nicht sein; ihre Vorbildlichkeit ist in aller Munde:
da der heirat nun beschach,
iederman besunder sprach,
si wären baide tugentreich,
an guot, an adel gar geleich.
von ir baider wirdikait
ward in den landen vil gesait (V. 39–44)
Die idyllische Eingangsszenerie währt jedoch nicht lange. Nun het der küng ain diener (V. 45) – mit diesem Vers nimmt das Unheil seinen Lauf, mit den nächsten wird gleichsam das problematische Leitmotiv der verdorbenen Untergebenen aufgerufen, das für das gesamte Märe programmatisch ist: der was ain ritter mit gevär. / der hett ain knecht, der was bös (V. 46 f.). Es ist nun der Knecht des Ritters, der einen perfiden Plan ausarbeitet. Was er seinem Herren vorlügt, steht in scharfem Kontrast zur öffentlichen Wahrnehmung: Die Gräfin sei keine Jungfrau mehr, sie habe volbracht unkeusch mer / dann ander böser weibe vier (V. 56 f.).Footnote 26 Um die moralische Laxheit seiner zukünftigen Herrin selbst zu erfahren, soll der Ritter die Identität des Königs annehmen und in der Rolle des entflammten Verlobten seine vermeintlichen vorehelichen Gelüste geltend machen – davon habe er, der Ritter, guot aubentür (V. 64).Footnote 27
Was der Knecht hier nicht in aller Deutlichkeit ausspricht, was in seinem sorgsam arrangierten, guoten rat (V. 80) aber stets mitschwingt, ist der Vorteil, den das Unternehmen aus der klugen Wahl der richtigen Tageszeit zieht – oder besser: aus der richtigen Nachtzeit. Sie ist aus drei Gründen die adäquate Gelegenheit für einen Vorstoß. Der König soll sich morgen ze nacht / […] unverzogenleich / legen zuo der junkfraw reich (V. 72–74). heint ze nacht (V. 81) ist also die letzte Möglichkeit, sich vorehelichen Verkehr zu erschleichen, bevor die Braut den Besitzansprüchen eines anderen unterliegt. Möglich wird dies, weil der Bruder der Gräfin die nachtsäld (V. 86) bei seinem Schwager in spe verbringen wird, die Gräfin demnach prekärerweise allain (V. 93), ohne jedweden verwandtschaftlichen Schutz – ohne huot (V. 94)Footnote 28 –, in ihrer Burg zurücklässt. Zu guter Letzt funktioniert der Trick, der dem ganzen Plan zugrunde liegt, wesentlich besser bei mangelhaften Lichtverhältnissen: Blendet die Dunkelheit physische und physiognomische Distinktionsmerkmale aus, kann der Ritter einfacher die Identität des Königs annehmen – thematisiert wird dieser Umstand allerdings erst später. Nach erfolgter Schandtat ist die verdeckende Dunkelheit dann nicht mehr vonnöten: Der Knecht will sich bis an den liechten morgen (V. 100) im Wald verbergen; wann es dann beginnet tagen (V. 112), sollen die beiden Verschwörer den Schauplatz des Verbrechens verlassen.
Nach gerade einmal hundert Versen hat der Text damit bereits exzessiv von Wertungsstereotypen Gebrauch gemacht und diese in eine axiologisch vereinfachte Figurenkonstellation eingepasst.Footnote 29 Der ›guten‹ Trias aus Gräfin, Bruder und König wird das ›böse‹ Duo Ritter und Knecht gegenübergestellt. Die bevorzugte Aktionszeit der Antagonisten ist die Nacht – dunkle Machenschaften erfordern dunkle Umstände. In Form einer Erzählersentenz wird diese Gleichsetzung allgemeingültig formuliert:Footnote 30
Nun hett sich der sunnen schein
verborgen und genaiget ser.
die nacht was nun komen her,
darin man gern greifet an,
das man nicht ze recht sol han.
wer übel tuot als ain dieb,
der hat die vinstern nacht lieb
und hasset den liechten tag. (V. 144–151)
An dieser Stelle beginnen sich verschiedene Motivbereiche in die Erzählung hineinzuschieben.Footnote 31 Der Ausdruck, der Sonnenschein habe sich verborgen, greift den thematischen Bereich ›Heimlichkeit‹ subtil auf und verbindet ihn mit dem Wechsel von Tag zu Nacht.Footnote 32 Die Aussage, die Nacht sei der richtige Zeitpunkt, um sich dessen zu bemächtigen, das man nicht ze recht sol han, bringt den normverletzenden Horizont des Vorhabens mit ein: Die Tageszeit wird zur »moralisch aufgeladene[n] Zeit-Raum-Größe«,Footnote 33 in der gesellschaftliche Responsibilität scheinbar ausgehebelt werden kann. Wer als ain dieb handelt,Footnote 34 der hat schließlich auch eine emotionale Disposition zu den verschiedenen Tageszeiten: die vinstern nacht liebt er, den liechten tag hasst er. Die Passage zitiert einzelne thematische Bausteine in Form von Antonympaaren an (Tag-Nacht, Heimlichkeit-Öffentlichkeit, Gut-Böse) und schafft so ein dichtes Setting für die weitere Handlung.
Nachdem sich der Ritter Zugang zur Burg verschaffen konnte, überredet der angebliche Verlobte die Gräfin mit dem Verweis auf seine trewe (V. 214) dazu, ihn einzulassen.Footnote 35 Die Gräfin rechnet die Situation einmal durch, doch das hin und her (V. 170, später noch V. 183; 332; 581) ihrer Gedanken entspricht dem begrenzten Lösungs-›Raum‹ und der intellektuellen Ausweglosigkeit.Footnote 36 Schäden sind nicht zu vermeiden, es gilt nur abzuwägen, was eher zu verantworten ist: Soll lieber die ere (vgl. V. 174) oder die zukünftige eheliche Beziehung (vgl. V. 179–182) in Mitleidenschaft gezogen werden? Warum die Gräfin in Anbetracht der Tatsache, dass ihre Virginität vom Erzähler als gröste eer […], / die ir got ie geben hat (V. 414 f.), verstanden wird, überhaupt abwägen muss und sich dann auch noch gegen ihre Jungfräulichkeit entscheidet, ist mit den schweren Geschützen an Versicherungs- und Beschwichtigungsfloskeln zu begründen, die der vermeintliche Verlobte auffährt:
junkfraw, nun gelaubent mir,
[…] das ich ew sag auf meinen aid
[…] und ob ir das oun missiwend
mir gehorsam wöllend sein,
ich sprich auf die trewe mein,
des geniessent ir umb mich
fürbas immer ewiclich. (V. 202–216)
Der ›König‹ beteuert, die Verantwortung für die Situation und ihre Folgen zu übernehmen, und die Gräfin geht darauf ein: Die Entscheidung fällt für die Interessen des Ehemannes und gegen die eigenen. Es kommt zum einvernehmlichen Verkehr, an dem die Gräfin oun argen list (V. 245) mit Gewinn partizipiert, als dann ain frummes weib sol / mit irem mann ze pett leben (V. 240 f.).Footnote 37 Sie bemerkt dabei gar nicht, dass sie ihre Jungfräulichkeit nicht an ihren Verlobten verliert – ein seltsamer Umstand, heißt es doch noch kurz zuvor, der Betrüger sei diesem gar ungeleich (V. 234).Footnote 38 Warum die Gräfin einen Mann nicht von dem anderen unterscheiden kann, wird erst im Nachhinein plausibilisiert. Ermattet vom Liebesspiel schläft der Ritter ein, aber nicht ohne vorher versehentlich seine Tarnung verbal auffliegen zu lassen. Die Gräfin, alarmiert von seinen achtlos dahingemurmelten Worten, gieng vil leis von im dan / und zündet pald ain kerzen an (V. 265 f.). Mit dem Beleuchten der Szenerie geht die Erkenntnis über die Situation einher: si luogt im under das antlütz sein. / vil pald si da erkante das, / das er nicht der künig was (V. 268–270). Offenbar war es schlichtweg zu dunkel, um physiognomische Details des Eindringenden erkennen zu können. Die Kerze fungiert als Substitut für die Sonne, die laut Sentenz derlei kriminelle Taten tagsüber vereitelt – ihr Schein kann den Betrug nicht verhindern, aber die prekäre Situation immerhin im Wortsinn ans Licht bringen.Footnote 39
Beginnend mit der Identitätslist des Ritters baut sich die Heimlichkeit auf und verdichtet sich zusehends hin zu einer Kettenreaktion: Angestoßen durch das Auftauchen des angeblichen Königs, der die Gräfin zu einer intimen, nicht-öffentlichen Tat überredet, nimmt die Gräfin die Vorgehensweise des diskreten Gastes auf: »Sie, die bisher reagierte, wechselt in dem Moment, wo sie zum unwiderruflichen Opfer geworden ist, auf die Seite der Täter.«Footnote 40 Noch bevor die Gräfin erfährt, dass sie mit dem falschen Mann geschlafen hat, agiert sie ebenso geschickt und unauffällig wie ihre Widersacher: Den Ritter lässt sie haimlich ein und bringt ihn ebenso haimlich in ihre Kemenate (V. 191; 196).Footnote 41 Mögen diese Sicherheitsvorkehrungen noch dem Umstand geschuldet sein, dass vorehelicher Verkehr ein Tabu darstellt und vor der Öffentlichkeit geheim gehalten werden muss, zielt ihre nächste Tat in eine andere Richtung. si gieng vil leis von im dan / und zündet pald ain kerzen an (V. 265 f.) – das geräuschlose Aufstehen und Weggehen soll nun nicht mehr die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit abhalten, sondern die des Ritters. Das diskrete Vorgehen der Gräfin steht in deutlichem Kontrast zu seinen unbedachten Lautäußerungen, ihre Helligkeit wird seiner Dunkelheit gegenübergestellt. Der heimliche Übergriff des Betrügers bedeutet demnach nicht nur, dass die Gräfin ihm auf den Leim geht – seine eigene Diskretion wird ihm obendrein zum Verhängnis: Aus ihrer Opferrolle kann die Gräfin immerhin insofern Kapital schlagen, als das Ergebnis der kriminellen Tat, ihre Entjungferung, noch nicht an die Öffentlichkeit gedrungen ist und sie ihren Peiniger ebenso heimlich überrumpeln kann, wie er sie geschädigt hat.
Was auf die Entdeckung des Betrugs folgt, ist so prosaisch wie pointiert erzählt: Die Gräfin ist schockiert und enthauptet den Schlafenden kurzerhand mit einem Messer.Footnote 42 Weil sich der angebliche König als Hochstapler entpuppt, wird auch seine Zusage, die Verantwortung für den vorehelichen Verkehr zu übernehmen, nichtig. Die Gräfin reagiert auf diese Verlagerung, indem sie den Vorfall so gut wie möglich ungeschehen macht. Um den Leichnam zu entsorgen, will sie den Pförtner zur Mithilfe bewegen:
si sprach: »lieber fraind mein,
nun hilf mir auß grosser not!
darumb will ich das gold so rot
mit dir tailen ewicleich,
das du muost immer wesen reich.
[…] in trewen will ich dich nun pitten,
das du mich des wölst gewern […]« (V. 284–297)
Obwohl sie den heimlichen Mord damit ein Stück weit an die Öffentlichkeit tragen muss, gibt sie sich Mühe, den Sachverhalt an möglichst wenige Ohren dringen zu lassen. davon soltu niemant sagen (V. 302), schärft sie dem Pförtner ein, berichtet von ihrem Unglück und betont im selben Atemzug rhetorisch geschickt seine Mitverantwortung am Geschehenen:
der herr hat mich betrogen ser,
der in der nacht ist komen her,
den ich und du herein lies
und der sich den künig hies:
der wolt mich geswechet han.
darumb muost er sein leben lan. (V. 289–294)
Was sie sagt, entspricht der Wahrheit – bis auf ein kleines Detail: Den Verlust ihrer Virginität will die Gräfin ins Irreale verschieben, verkleinert ihn zu einem Wunsch des verkommenen Ritters. Der Versuch, nur Teile ihrer prekären Lage mitzuteilen, scheitert jedoch: Der Pförtner lässt sich nicht hinters Licht führen, er weiß Bescheid (der hat ewch geminnet schon; V. 309).Footnote 43
Mit ihrer Bitte stößt die Gräfin auf taube Ohren, der Pförtner hat ganz eigene Lohnvorstellungen: Er verzichtet auf einen materiell-ökonomischen Obolus zur Begründung einer trewe-Beziehung, verweigert sich seiner sozialen Verantwortung und verlangt stattdessen ganz offen den Koitus weit über seinem Stand.Footnote 44 Er will, was auch dem Ritter zuteilwurde, nichtsahnend, dass er sich damit genau wie sein Vorgänger um Kopf und Kragen kopuliert: wölt ir nun auch mir ze lon / ewren leib tailen mit, / so will ich tuon, des ir mich pit (V. 310–312). Als Gegenleistung lässt er die kopflose Leiche, wie von der Gräfin gewünscht, vil leis (V. 355, ähnlich V. 348) in die Zisterne gleiten. Er solle den toten Ritter geräuscharm entsorgen, das der wachter disen val / nicht von uns müg hören hie (V. 350 f.), denn die Zahl der Mitwissenden ist dringend einzudämmen. Und so eliminiert die Gräfin den Pförtner zur Sicherheit gleich mit: Sie begraif in bei den füessen sein / und sturzt in in den waug hinein (V. 357 f.).Footnote 45 Damit hat sie sich höchst pragmatisch mit einem Streich sowohl des Täters als auch des Zeugen entledigt; als größere Herausforderung erweist sich die optische Manipulation der Beweismittel des Mordes:
die leilach waren von pluote rot.
si was in angst und in not,
wie si das vertilget gar,
das sein niemand wurd gewar.
si wuosch und arbaitt sich ser
und hett bis tag kain ruo mer.
si legt irs selber gar hert,
bis si es pracht ze gevert,
das diser geschichte zwar
niemant werden mocht gewar. (V. 367–376)
das in V. 369 – wie si das vertilget gar – bezieht sich nicht auf die gesamten Textilien, sondern vielmehr ganz konkret auf das Blut darauf, denn es spricht von zweierlei Übeln: Die blutigen Laken legen nicht nur Zeugnis ab von der vorzeitigen Entjungferung der Gräfin, sondern zugleich auch von ihrer Mordtat. Im verunreinigten Bettzeug legt sich eine Schicht Verbrechen über die andere, sex and crime vermengen sich dort zum sichtbaren Beweis des Geschehenen. Indem die Gräfin diesen Beweis vertilget, will sie regulieren, welche Informationen der Öffentlichkeit zugänglich werden. Zweimal betont der Erzähler, dass niemant (V. 376, ähnlich V. 370) Kenntnis der nächtlichen Geschehnisse erlangen darf – dementsprechend radikal müssen die Resultate akustisch und visuell entschärft werden. Die ganze geschichte (V. 375) muss ungeschehen oder zumindest nicht wahrnehmbar gemacht werden. Und auch hier wird die Dringlichkeit des Vertuschens mit der Tageszeit kurzgeschlossen. Die ganze Nacht arbeitet sich die Gräfin an der Säuberung ihrer Bettwäsche ab (vgl. V. 371 f.), denn – ich erinnere an die Sentenz – nur die Dunkelheit der Nacht erlaubt es, Verbrechen und ihre Resultate unsichtbar zu machen.
Die Heimlichkeit der Ereignisse steigert sich immer weiter, bis sie schließlich nicht nur den eindeutig ›schlechten‹ Figuren zur Handlungsmaxime, sondern auch zur Reaktionsgrundlage der Gräfin wird. Die Informationsregie muss sie äußerst behutsam führen, um drohende Imageschäden abzuwenden, denn als Ausgangssituation des Märes fungiert eine bizarre Dilemmasituation: Dargelegt wird ein Verbrechen, das seiner Natur nach derart delikat ist, dass sich das Opfer durch das Kenntlichmachen des Vergehens coram publico selbst diskreditieren müsste.Footnote 46 ›Delikat‹ ist die verfrühte Entjungferung der Braut in viererlei Hinsicht: Erstens hat sie dem Verkehr zugestimmt, es handelt sich also nicht um eine Vergewaltigung, sondern um einen wesentlich schwieriger nachweisbaren Betrugsfall mit prekären Responsibilitätsverhältnissen. Zweitens werden nicht allein die Rechte der Braut angegriffen, sondern zudem die Interessen ihres zukünftigen Ehemannes. Drittens geht damit ein erheblicher öffentlicher ›Qualitätsverlust‹ der anfangs so keuschen und frommen Verlobten einher. Viertens ist, anders als etwa bei einem Diebstahl, eine Restitution der Virginität nicht möglich, der Schaden ist irreversibel.
Die erzwungene Heimlichkeit des initialen Betrugs macht es für die Gräfin nötig, auf ihr privates Verantwortungsnetz auszuweichen, das sie allerdings nicht auffängt, sondern fallen lässt: Hierarchisch tieferstehende Akteure wie Knecht, Ritter oder Pförtner versagen der Höherstehenden ihre trewe und nutzen deren Notsituationen zu ihren Gunsten aus. Die Akteure entziehen sich ihrer Verantwortung. Dabei eignet den Missbrauchsfällen vor allem das Element der sozialen Quasi-Erhöhung: »Die Schuld der Opfer wird durch ihre untrew verstärkt, die ihre besondere Qualität durch die ständischen Differenzen erhält.«Footnote 47 Was Ritter und Pförtner in einem funktionierenden Sozialsystem nicht zusteht – der Verkehr mit einer Gräfin – rückt für sie nun in greifbare Nähe. Weil das öffentliche und das persönliche Verantwortungsnetz gleichermaßen ausscheiden, ist die Gräfin zu einem drastischen Alleingang gezwungen, um ihre soziale Stellung zu schützen; »[i]hr Schaden ist vorprogrammiert«.Footnote 48 Ist sie einmal zur eigenverantwortlich agierenden Mörderin mutiert, mit der Absicht, ihre ere (vgl. V. 174; 226) zu bewahren,Footnote 49 ergibt sich daraus eine Art Domino-Effekt, der immer mehr Morde nach sich zieht.
4 Wie ein Reh im Scheinwerferlicht – der Knecht
Dass öffentliche Bestrafungsmechanismen im vorliegenden Fall nicht vollumfänglich zu greifen vermögen, zeigt sich eindrücklich am Knecht: Er ist die einzige Figur, die eine offizielle Strafe erhält, aber eine, die überhaupt nicht in Verbindung mit dem von ihm begangenen Verbrechen steht.Footnote 50
Weil der Ritter nach seiner Liebesnacht nicht mehr auftaucht, verschiebt sich der Zeitplan des Verbrecherpaares wol bis hin zuo mitten tag (V. 385) und damit in die kritische, für unmoralische Taten gefährliche Tageszeit hinein. Das hat zur Folge, dass der berittene Knecht, der zudem das edle Pferd seines Herrn am Zügel führt, für andere Figuren visuell wahrnehmbar wird, etwa für den heimkehrenden Bruder der Gräfin und sein Gefolge (vgl. V. 392). Sein dubioses Verhalten lässt sie sofort an kriminelle Umstände denken: Sie sprachen all unverholn, / er hett baide ros gestoln (V. 401 f.). Ungeachtet der Tatsache, dass zumindest diese Straftat dem Knecht zu Unrecht angelastet wird, ward er gehenkt unverborgen (V. 405). Beachtenswert sind in diesem Kontext die beiden negierenden Partizipialbildungen unverholn und unverborgen. Einmal im Tageslicht gestellt, ist der Verbrecher nicht fähig, auf Anschuldigungen adäquat zu reagieren. schiuch (V. 397) versucht er, dem Gesehenwerden zu entgehen. Seine Listklugheit ist ihm gänzlich abhandengekommen; er wirkt erstarrt wie ein Reh im Scheinwerferlicht und kann sich ebenso wenig zur Wehr setzen.
Im Grunde handelt es sich hierbei um einen Justizirrtum, denn ein Pferdedieb ist der Knecht – das wissen der Erzähler und die Rezipierenden und auch die Gräfin – nun eben nicht, wiewohl das Mastermind hinter den kriminellen Vorgängen. Entsprechend muss der Erzähler Vergehen und Tod wertend verklammern: den tod er wol verdient hat, / wann er hätt bösen rat geben (V. 408 f.). Wofür der Knecht bestraft werden müsste, ist seine Illoyalität und Verantwortungslosigkeit. Indem er den Ritter dazu anstachelt, der angeblich so liederlichen Gräfin auf den Zahn zu fühlen, fungiert er als Auslöser der kriminellen Handlungskette und stört in diesem Sinne die gesellschaftliche Ordnung empfindlich.
5 Ausgelöschte Loyalität – die Zofe
Mit dem Ende der Nacht sind alle mittelbaren und unmittelbaren Täter beseitigt und alle kritischen Beweise vernichtet – alle bis auf einen: Das Zeichen, das die Verbrechen an ihrem eigenen Körper hinterlassen haben, kann die Gräfin nicht verschwinden lassen, sodass sie an ihrem Hochzeitstag zu einer Scharade gezwungen ist:
die junkfraw ward dem künig pracht
ze hof mit grossen eren do.
[…] was iederman da frauden pflag,
so hett die junkfrau grosse clag
in irem herzen taugenleichen.
[…] si was gar betrüebt von herzen
und det mit den gepärden nicht,
sam si hette jamers pflicht. (V. 440–452)
Auch hier geraten Öffentlichkeit und Heimlichkeit zueinander in Widerspruch.Footnote 51 Die Gefühlswelt, geprägt von clag und jamer, muss im interioren Raum verschlossen bleiben. Das Herz, die Instanz des emotionalen Empfindens, fungiert als Gefäß, in dem die Verzweiflung der Gräfin taugenleichen verborgen wird. So kann ihre prekäre Innerlichkeit nicht durch inadäquate gepärden in den öffentlichen, d. h. exterioren Raum überführt werden und in Konflikt mit der öffentlich zur Schau gestellten fraude geraten – und noch wichtiger: nicht mit den grossen eren (V. 441) der höfisch-gesellschaftlichen Umgebung.
Um ihren Makel zu verhehlen, ist die Gräfin im weiteren Verlauf zum zweiten Mal darauf angewiesen, Informationen an außenstehende, potenzielle Mithelfer weiterzugeben: Sie zieht ihre treueste Zofe ins Vertrauen, die dem König als jungfräuliche Braut untergeschoben werden und ihn so im Glauben lassen soll, seine ehelichen Rechte an seiner Frau seien unverletzt.Footnote 52 Zuerst schottet sich die Dreiergruppe von außen ab – die driu allain da beliben; / die andern wurden heraus getriben (V. 481 f.) – und verkleinert sich in einem zweiten Schritt zu einer Zweiereinheit von Gräfin und Zofe. Das taktische Herzstück des Plans besteht einmal mehr in der geschickten Handhabung der »Lichtregie«:Footnote 53 Die Zofe des liechtes pflag (V. 484) und kontrolliert damit die Beleuchtungssituation der gesamten Szenerie.
Si giengen in die kamer trat.
das liecht da erlöschet wart.
die junkfraw sich nit lenger spart,
si legt sich zuo dem küng vil leis
in der maß und in der weis,
sam si die recht küngin sei. (V. 518–523)
Mit dem Verdunkeln des Lichts verdunkelt sich auch die Wahrheit. Zur visuellen Diskretion gesellt sich abermals eine Komponente akustischer Heimlichkeit – ungesehen und ungehört ist das berechnende Tauschmanöver der beiden Frauen, außer für die Strippenzieherin selbst: Die Gräfin, die in dieser »Inszenierung pervertierter intimer Räumlichkeit«Footnote 54 unschicklicherweise mit in die Kemenate gekommen ist, hort wol, wie es ergieng (V. 525). Die Lautstärke bestimmter Handlungen wird im Weiteren vermehrt aufgerufen. So ist das rüssen (V. 539) des Königs nicht allein als humoristisches Einsprengsel zu sehen, das auf den ignorant schnarchenden Ehemann abzielt, sondern fungiert als klares akustisches Signal dafür, dass seine Wahrnehmungskompetenzen ausgeschaltet sind (vgl. V. 574–576). Geräusche werden aber auch zur Gefahr, etwa, als sich die Zofe weigert, den Identitätstausch wie verabredet rückgängig zu machen:
da wart die junkfraw lutraiß,
das es in der kamer hal.
si redt mit üppigem schal,
ob der herr erwachet wär. (V. 570–573)
Als sich die Zofe dagegen wehrt, das Ehebett nach erfolgtem Verkehr zu verlassen, um selbst Königin zu werden, greift die Gräfin ein und reagiert prompt in dem ihr eigenen Register: Der zeternden Zofe gegenüber bleibt sie die ewig Stille und Beherrschte.
si gieng pald in die kuchein
gar haimlich in stiller weis.
si zunt ain liecht an vil leis
und truog das in die kamer dan
und zunt an vier enden an (V. 588–592)
Danach legt sich die Gräfin nackt in das Bett des Königs, ganz so, als wäre sie in der Hochzeitsnacht eingeschlafen, und nimmt damit ihren ursprünglichen Platz wieder ein. Ihre Täuschung geht auf: Sie weckt ihren Ehemann und rettet ihn aus der brennenden Kammer, löst ihn aus der räumlichen Nähe zu ihrer Gegenspielerin.
Um ungelegenes Mitwissen unschädlich zu machen, aber vor allem, um ihren rechtmäßigen Platz im gesellschaftlichen System wiederzuerlangen, greift die Gräfin auf bereits zuvor erprobte Reaktionsmuster zurück: Sie nimmt der Zofe das Leben und beseitigt ihre körperlichen Überreste. Die Szene stellt sich als Spiegelung der Abläufe zu Beginn des Märes dar: Wie der Braut qua Identitätslist der falsche Mann untergeschoben wird, wird nun dem Bräutigam die falsche Frau zugeführt. Zusammengenommen ist der angestrebte Zustand damit im Grunde erfüllt: Der König entjungfert in der Hochzeitsnacht jemanden, die Gräfin ist entjungfert – allerdings durch die Stellvertreterhandlungen auf eine groteske Weise zeitlich zerdehnt, verdoppelt und pervertiert. In gewisser Hinsicht stellt der dritte Mord aber auch eine Steigerung der ersten beiden Tötungen dar: Die Kerze, die bisher eher als abstrakter Marker für die Verschleierung oder Enthüllung von Wahrheiten eingesetzt wurde, wird im letzten Glied der Mordkette selbst zum Tatwerkzeug. Das Licht des Sehens und Erkennens findet seine Funktion als Waffe.Footnote 55 Zudem werden die zuvor einzelnen Schritte – das Töten und Verstecken der Leiche und das Vernichten der Beweismittel – zu einem einzigen zusammengezogen: Mit der Wahl des Tötungsinstruments wird eine Zerstörung etwaiger Indizien obsolet, das Feuer tötet und löscht gleichermaßen aus: in der kamer da verpran / die junkfraw ze pulver schon (V. 612 f.).
An keiner anderen Stelle des Märes erreicht die Dringlichkeit, Informationen in der Sphäre des Privat-Nichtöffentlichen zu fixieren, einen derartigen Höhepunkt wie für den Brautunterschub, hier findet die Mordkette ihren fulminanten Abschluss: In der Enge der ehelichen Kemenate rücken täuschende und getäuschte Figuren räumlich dicht aneinander, was das Spiel mit verschiedenen Identitäten umso prekärer werden lässt. Und auch hier vollzieht sich – wie in den vorherigen Fällen – eine Verlagerung in der Figurendynamik. Mit dem Wissen um sensible Informationen geht Macht einher, die es etwa der Zofe ermöglicht, das hierarchische Gefüge auszuhebeln, die Seiten zu wechseln und sich als Gegenspielerin der Gräfin neu aufzustellen.Footnote 56 Der potenzielle ständische Aufstieg wird – ähnlich wie jener von Ritter und Pförtner – mit sexueller Interaktion verknüpft,Footnote 57 im Fall der Zofe aber besonders stark akzentuiert: die junkfraw wolt ir weichen nicht; / si wolt selber küngin sein (V. 556 f.). Das unrechtmäßige Einnehmen eines Platzes im Gesellschaftsgefüge, der nicht der eigene ist, wird in der Überspitzung vor allem als eines lesbar: als groteske soziale Hybris. Der damit einhergehende Loyalitätsbruch ist in besonderem Maße eklatant, weil die Zofe – anders als Ritter und Pförtner – dem intimen Umfeld der Gräfin angehört. Explizit wird ausgestellt, dass die Gräfin zu ihr eine enge Beziehung unterhält und sie ausdrücklich als verantwortungsvoll einschätzt: zuo der hett si besunder trawen (V. 476, noch einmal als Figurenrede: ich haun besunder trawen auf dich; V. 493). Dabei nimmt die Gräfin ein reziprokes Vertrauens- und Verantwortungsverhältnis an (und bis aller trew ermant, / die ich dir ie hab getan; V. 498 f., vgl. V. 504–508), das aber spätestens in dem Augenblick durch die Zofe destruiert und einseitig aufgelöst wird, in dem die andere Waagschale zugunsten sozialer Selbstüberhöhung ausschlägt. Dementsprechend urteilt der Erzähler über das Ende der Zofe: also ward ir der recht lon / umb ir untrew gros gegeben (V. 614 f.).
6 Legitimation ex post – der Ehemann
Nach diesem letzten kritischen Höhepunkt steuert die Handlung ein veritables ›Happily ever after‹ an, die Ehe ist von einträchtiger Loyalität geprägt:
si was aller trewen vol
gen dem werden künig her;
des geleichen was auch er
gen der edlen frawen clar. (V. 620–623)
»Somit ist trotz aller Widrigkeiten der Zustand erreicht, der von Anfang an für das Paar beschlossen (Heirat) und von der Öffentlichkeit (Wertzuspruch) legitimiert worden war.«Footnote 58 Aufgelöst werden die letzten Spannungen aber erst nach überaus harmonischen 32 Ehejahren (vgl. V. 617–623).Footnote 59 Der König ist wieder einmal da entslaufen ser (V. 629) im Schoß seiner Frau,Footnote 60 während sie in dieser »Szene völliger Privatheit«Footnote 61 offenbar ihre Vergangenheit Revue passieren lässt. Der Gedanke an all die Toten führt zu einer emotionalen (vgl. V. 631) und dann zu einer körperlichen Reaktion: Sie ward darumb wainen ser, / das die zäher dem künig her / vielen auf das antlütz sein (V. 637–639). Es geschieht nun das, was während der Hochzeitsfeier auf keinen Fall passieren durfte: Die Gefühlslage der Gräfin greift auf ihr Äußeres über, innerer Zustand und äußerliches Auftreten geraten in Kongruenz. Anders als in der Hochzeitsnacht wird der König durch den taktilen Reiz der Tränen, die auf sein Gesicht fallen, geweckt: lauß mich wissen, frawe guot / wer dir nun laid hab getaun! (V. 644 f.) Die Gräfin beendet die Heimlichkeit, mit der die Geschehnisse rund um die Eheschließung des Paares aufgeladen sind, und zählt ihre Mordtaten akribisch auf: das sagt si alles irem man (V. 686). Ihre Worte finden Gehör und evozieren eine überaus entgegenkommende Reaktion:Footnote 62
»ich will mit dir leben so,
das ich dir immer dienen wil,
wann du haust erlitten vil
durch meinen willen, das ist war.
weder haimlich noch offenbar
soltu von mir der geschicht
fürbas doch engelten nicht
weder an eren noch an muot.« (V. 692–699)
Mit ihrem Geständnis gibt die Gräfin abermals vertrauensvoll kritische Informationen an eine andere Figur weiter – ein Vorgehen, das sich für sie früher als schlechte Wahl und Weg in den Kontrollverlust herausgestellt hat. Der Unterschied liegt nun darin, dass es sich bei ihrem Gegenüber nicht um eine sozial-hierarchisch niedriger stehende Figur handelt, die einen Vorteil aus dem Wissen um die unerhörte Vorgeschichte ziehen kann, sondern um ihren ebenbürtigen Ehemann. Die beiden sind einander aller trewen vol (V. 620) und pflegen ein gegenseitiges Loyalitätsverhältnis. Dieses findet seinen Ausdruck im oben zitierten dienst-Gedanken (vgl. V. 693); der König agiert »aus der Position des Minneherrn […] und nicht des rechtlich-richtenden Ehemanns heraus«.Footnote 63 Gleichzeitig macht er die Qualität der ehelichen Beziehung zur Grundlage seines eigenen, subjektiven Urteils.Footnote 64 Der König reagiert auf die Tränen seiner Frau und sagt – noch ohne ihren body count zu kennen:
lauß mich wissen, frawe guot,
wer dir nun laid hab getaun!
es muos im an das leben gaun. (V. 644–646)
Damit gibt er unbewusst eine Wertungsmaxime, die die Gräfin sowieso bereits in Handlung überführt hat: Alle, die ihr laid zugefügt haben, hat sie um ihr Leben gebracht. So wird der König »zur moralischen Instanz«,Footnote 65 die die Verantwortung für die Taten der Ehepartnerin mitübernimmt und ihre Morde ex post legitimiert. Er entscheidet sich dafür, die so mühevoll im Heimlichen gehaltenen Taten nicht an die Öffentlichkeit weiterzugeben, und auch an seiner Zuneigung zu seiner Frau soll sich nichts ändern, weder haimlich noch offenbar.Footnote 66
Ihre ere, um die die Gräfin schon im Gespräch mit dem Pseudo-Verlobten fürchtete, und ihre Position im sozial-hierarchischen System erleiden keinerlei Einbußen, das verspricht ihr der König bei den trewen sein (V. 701) – und so schließt sich der Kreis. Die Kette von Intrigen und Morden endet damit ebenso still und leise dort, wo sie begonnen hat: in der Intimität des (Ehe‑)Bettes.
7 Gottes Werk und niemands Beitrag? – Pro- und Epimythion
Was ich bisher absichtsvoll ausgelassen habe, ist der Rahmen, in den die eben analysierte Handlung eingepasst ist. Pro- und Epimythion spannen den Bogen hin zur theologischen Dimension: Gleich mit dem ersten Verspaar des Märes schafft der Erzähler eine starke religiöse Verantwortungsbeziehung, die zusätzlich zu den sozial-weltlichen Teilen des Verantwortungsnetzes etabliert wird: Got lat den gerechten menschen nicht / auß seiner väterlichen pflicht (V. 1 f.). Dieses Verhältnis ist aber kein bedingungsloses: Nur wenn der Gläubige ganz getrawen hat / zuo got (V. 6 f.), kann er sich Gottes Schutz sicher sein.Footnote 67 Im Epimythion setzt der Erzähler genau dort abermals an: Er hebt das Erzählte auf eine allgemeinere Ebene, fasst »in exempelhafter Art und Weise die eigene Maxime«Footnote 68 und verschiebt damit gleichzeitig die Verantwortung am Geschehenen. Mit dem Sinnspruch untrew [slecht] iren herren (V. 748) wird impliziert, dass sich für die Täter der Unschuldigen Mörderin eine Art Bumerang-Effekt einstellt: Wer aus Illoyalität eine Straftat initiiert, der muss auch damit rechnen, dass sie mit all ihren negativen Auswirkungen auf ihn zurückfällt. Verantwortlich für den Tod von Ritter, Pförtner, Knecht und Zofe sind demnach – so suggeriert es der Text – sie selbst.Footnote 69 Gänzlich unverschult (V. 706) hingegen ist die Gräfin in ihre vielen Notlagen geraten, ihren Widersachern wurde dafür die gerechte Strafe zuteil: es geschach des ritters knecht / […] gar recht (V. 711 f.), dem portner ward sein rechter lon (V. 724), der junkfrawen auch recht geschach (V. 731) – und noch einmal summierend: den ist allen recht geschehen (V. 739). Ihre Todesfälle werden als adäquates Gegengewicht zu ihren schlimmen Taten dargestellt: Sie haben rechte[n] lon und bösen solt (V. 724; 736) für ihr verantwortungsloses Verhalten erhalten. Der Konnex von Verbrechen und (gerechter) Strafe wird immer wieder durch kausalitätsanzeigende Ausdrücke hervorgehoben,Footnote 70 sie durchziehen die gesamte Passage und weben ein dichtes Geflecht aus Ursachen und Wirkungen: es geschach des ritters knecht / umb seinen valschen rat gar recht (V. 711 f.), des ward er an den ast gezogen (V. 716), der ritter muost auch leiden pein / umb die grossen poßhait sein (V. 717 f.), darumb schnaid si im das haubt / von seinem pottich vil schon (V. 722 f.), wann er under iren dank / nützet iren stolzen leib (V. 728 f.), darumb hat si bösen solt / empfangen (V. 736 f.).Footnote 71 Indem sie den Wertungshorizont für die erzählten Verfehlungen der Figuren abruft, tritt zum einen die Erzählinstanz auch selbst hervor und stellt eine potenzielle moralische Verallgemeinerbarkeit des Erzählten in Aussicht:
Ich wolt das vil gern sehen,
das allen den also geschäch,
von den man sich des versäch
one zweifel und fürwar,
das si lebent mit gevar
und aller untrew sind vol.
wärlich es gevelt mir wol
und dunkt mich sein guot und recht,
wenn untrew iren herren slecht,
als den vieren geschehen ist. (V. 740–749)
Zum anderen nimmt die Sentenz die hierarchische Dimension der untrew auf: Wer irresponsibel, also sein individuelles Verantwortungsnetz ignorierend und damit destruierend, handelt, den erwarten schwere Sanktionen.Footnote 72 So wie die Gräfin von Untergebenen geschädigt wird, die sich gegen ihre Herrin wenden, wendet sich schlussendlich auch die untrew gegen ihren Herren. Das Problem stellt sich quasi als ein sich selbst regulierendes heraus, Untreue vernichtet ihren Träger und damit im Grunde auch sich selbst.
Damit lassen sich die Aussagen in Pro- und Epimythion als Gegenentwurf zu den erzählten defizitären Sozialbeziehungen der Handlung verstehen. Sie konstruieren eine Welt vollkommener mutualer Absicherung und Responsibilität: Wenn sich der Mensch der Verantwortung bewusst ist, sich mit seinen Problemen an Gott zu wenden, wird Gott im Gegenzug seiner Verantwortung nachkommen und ebenjene Probleme zu lösen helfen.
er hilft im allzeit gar gewär
aus nöten und von aller swär.
so der mensch nun darauf stat,
das er nun ganz getrawen hat
zuo got und im enpfilhet gar
als sein leiden, wißt fürwar,
das den got nicht will verlan,
er well im allzeit beigestan (V. 3–10)
Nur weil sie sich Gott anvertraut, so legt es der Text nahe, kann die Gräfin einer ganzen Erpressungskette ohne Ehreinbußen entkommen. Er hilft ihr laut Promythion mit seiner huld / aus allen iren nöten (V. 16 f.) und das Epimythion greift auf: so hat si got gehept in huot. / er half ir aus aller not (V. 756 f.). Die Gräfin befindet sich dieser Argumentation zufolge also die ganze Zeit über in Gottes Obhut, ergo finden auch die Morde – folgt man der eigenartig verknappten Logik des Erzählers – unter seinem wohlwollenden Auge statt.Footnote 73 Wahres gegenseitiges Vertrauen wird damit zu einer Sache der transzendenten Ebene – und, so führt es die Unschuldige Mörderin vor, in weltlichen Belangen auch eine Sache gleichrangiger, vor Gott begründeter Beziehungen: Das Vertrauen, das die Gräfin zu Beginn des Märes in ihren (falschen) Ehemann setzt – ich getraw euch, das ir peit (V. 224) – erweist sich als gerechtfertigt und wird ihr obendrein vom echten Ehemann vergolten: Bei ihm ist die Gräfin sicher vor Übergriffen und ihm kann sie ohne gesellschaftlichen Schaden von den zurückliegenden Gewalteskalationen berichten.Footnote 74 Vor der Negativfolie erzählter Treuebrüche entwerfen Pro- und Epimythion ein moralisches Korrektiv. Sie machen ein Orientierungsangebot und zeigen an, welche Teile des Verantwortungsnetzes belastbar sind.
8 hiemit endet sich das mär – Orientierung und Verantwortung
Und so komme ich zur conclusio: Die Unschuldige Mörderin handelt narrativ eine Frage aus, die für adlige Lebensentwürfe brisant ist und der Entstehungszeit des Märes entspricht: Was passiert mit dem auf sich selbst zurückgeworfenen Individuum, wenn sich Responsibilitätsstrukturen sozialer Systeme im Umbruch befinden und auflösen? Welche Loyalitätsmuster greifen noch und geben dem Einzelnen Halt? Wer übernimmt Verantwortung und wem kann man (noch) vertrauen?
Der Text entwirft eine Grundkonstellation, die die Öffentlichkeit als responsible Wertungs- und Hilfsinstanz in Krisensituationen radikal deaktiviert. Der erlittene Ehrverlust muss stattdessen in der Sphäre des Heimlich-Privaten verbleiben und auch auf dieser Ebene gelöst werden. Zurückgeworfen auf das Register individueller Loyalitätsstrukturen zeigt sich jedoch, dass diese nicht oder kaum mehr belastbar sind: Der Versuch, mithilfe gegenseitiger Leistungen eine funktionale Verantwortungsstruktur aufzubauen, scheitert am teils kurzsichtigen Opportunismus der hierarchisch Niedrigeren, die sich im Zweifelsfall lieber für eine Standeserhöhung als für soziale Verbindlichkeit entscheiden. Die Verantwortung füreinander mit gegenseitigen Pflichten und Rechten, die den Einzelnen in einem gesellschaftlichen Netz verankern, wird zugunsten der Aussicht abgewiesen, die gegebenen Strukturen dieses Netzes durch Aufstieg permeabel zu machen – was letztlich aber das ganze Netz destruiert. Das Empordrängen verschiedener Gruppen zerstört so die soziale Ordnung, was vom adligen Individuum nur mit eigenmächtigem List- und Gewalthandeln beantwortet werden kann.Footnote 75
In diesem Sinne etabliert das Märe trewe zum Schlagwort und zugleich zur Maxime des Verantwortungsdiskurses und erhebt den Begriff zum ethischen Wert, zum ubiquitären Funktionalitätsattribut sozialer Beziehungen.Footnote 76 Als Verbindlichkeit der Beziehungen zwischen Gott und den Menschen sowie zwischen den Menschen untereinander und als Bewusstsein der eigenen Stellung im Netz dieser Responsibilitäten wird sie vor allem ex negativo konturiert: Insofern erzählt das Märe an einer höfischen Ordnungskategorie entlang, die es immer wieder aus ihrem prekären Status heraus entwirft. Die vertrauensvolle Orientierung hin zu anderen wird zwar propagiert, kann aber nur von Gott und dem gleichrangigen Ehepartner eingelöst werden. Die Suche nach und das Aufbauen von Treue- und Loyalitätsmustern adligen Lebens in einer sich ändernden Welt entpuppt sich damit doch wieder selbst, wenn nicht als Utopie, so doch als überaus fragiles Konstrukt.
Bei Kaufringers Unschuldiger Mörderin handelt es sich keineswegs um ein krudes, blutrünstiges Geschichtchen und sie erzählt auch nicht nur von einem paradoxalen, in seiner Absurdität fesselnden Einzelfall, der auf der dünnen Moralgrenze zwischen juristischer Schuld und Schuldlosigkeit balanciert. Das Märe narrativiert vielmehr die Frage danach, an welchen Loyalitätslinien sich feudale Lebensentwürfe in einer Zeit der Veränderung ausrichten können – und an welchen nicht. Kaufringers experimentelle Erzählung zeigt damit vor allem auch, was Literatur zu leisten und zu sein vermag: ein Ausloten des Machbaren, ein Gedankenspiel mit dem sich Wandelnden, ein Durchleuchten des Dunklen.
Notes
Sappler 1983, Sp. 1080. Für Kurt Ruh wird die Unschuldige Mörderin gar zum »eigentümliche[n] Sonderfall«, er bewertet den Text als »einzigartige[n] Fall in der Geschichte der mittelalterlichen Kleinepik« (Ruh 1984, S. 178 und 184). Zum Sonderstatus der Unschuldigen Mörderin in Kaufringers Werk vgl. außerdem Rippl 2014, S. 38: »Daß die Unschuldige Mörderin ein exzeptioneller Text ist, steht fest, auch wenn die neuere Forschung bisher kaum einen Blick für die ästhetische Seite, die Konstruktion des Textes und seine spezifische Poetizität hatte.«.
Fischer 1983, S. 114.
Victor Millet fasst die Forschungslage so treffend wie lakonisch zusammen: »Das Epimythion dieser Erzählung ist als problematischer Fall bekannt« (Millet 2000, S. 282). Margit Dahm-Kruse sieht in der Unschuldigen Mörderin ein »Paradebeispiel für die widersprüchliche Gestaltung von Geltungsaussagen und Narration« (Dahm-Kruse 2018, S. 39). Das führt zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen: Wo Kurt Ruh eine Ablösung der Erzählung von jedwedem moralischen Nutzen annimmt (vgl. Ruh 1984, S. 182), sieht Nicola Zotz in der Diskordanz der einzelnen Bereiche eine implizite Widerständigkeit: »Offensichtlich also will die Geschichte nicht glatt lesbar sein« (Zotz 2009, S. 206). Es wurde herausgearbeitet, dass ein Großteil dieser »nicht glatt lesbar[en]« Elemente eine Zutat Kaufringers darstellen und keinen Rückhalt in anderen Versionen des Märes haben, vgl. Ruh 1984, S. 171–178. Ruh hebt vor allem den Knecht (S. 176) und das abschließende eheliche Geständnis (S. 178) als Eigenheiten des Kaufringer-Märes hervor, ebenso Millet 2000, S. 284–286, und Grubmüller 1996, S. 1287 f.; dort auch noch umfassender als bei Ruh zu den verschiedenen existierenden Versionen und ihrer »merkwürdig verstreut[en]« Überlieferung (S. 1285). Steinmetz 1999, S. 50 f., zeigt hingegen im Versionsvergleich, wie das Thema der Schuldlosigkeit im Kaufringer-Märe nicht allein auf das Ende der Erzählung begrenzt bleibt, sondern sich gleichsam in alle (Un‑)Taten der Gräfin einschreibt.
Grubmüller 2006, S. 179.
Steinmetz 1999, S. 53.
Vgl. Zotz 2009, S. 206.
Rippl 2014.
Emmelius 2011.
Kaufringer erkenne, so Coralie Rippl, »das kasuistische Potential, das diesem Stoff innewohnt und präpariert es zur Hauptsache seiner Erzählung« (Rippl 2014, S. 60). Dieser Registerwechsel zeige sich in einer Umcodierung des Erzählers zur Instanz juristischer Rechtsprechung sowie in einer »›Juridifizierung‹ der literarischen materia« (Rippl 2014, S. 74, vgl. auch S. 68 und 80). In dieselbe Richtung zielt Caroline Emmelius, die anhand des Kaufringers zeigen will, »wie der juristische Diskurs über die Struktur des Kasus so in die narrative Ordnung der Texte eingreift, dass er ihren narrativen Status auflöst« (Emmelius 2011, S. 89). Kritisch äußert sich dazu Seelbach 2013, S. 85 f., die an der Annahme, das Kaufringer’sche Märenerzählen drehe sich allein um die Narrativierung juristischer Fälle, vor allem die dem zugrunde liegende »Vorstellung narrativer Geschlossenheit« in Hinblick auf Gattungserwartungen kritisiert (Seelbach 2013, S. 86).
Emmelius 2011, S. 89.
Rippl 2014, S. 80.
Grubmüller 2006, S. 178.
Vgl. Rippl 2014, S. 59 und 68: »Der Erzähler nimmt den Standpunkt des Verteidigers seiner Protagonistin ein«, dabei sei es vor allem sein »vehementes und kompromißloses Plädoyer für die Unschuld der Gräfin«, welches das Diskussionspotenzial der Unschuldigen Mörderin ausmache.
Vgl. Rippl 2014, S. 68, die davon ausgeht, dass Kaufringer sich »das gesamte Schema der Gerichtsrede für die Darstellung seiner Erzählung zunutze [macht]. Er verwendet spielerisch die Verteidigungsrede vor Gericht als Vorlage, in die er seine Geschichte einpaßt.«
Vgl. Bayertz 1995, S. 5. Ebenso wenig soll in Abrede gestellt werden, dass Verantwortung einen Platz im juristischen Diskurs einnimmt, vgl. dazu Bayertz 1995, S. 16 f., und Heidbrink 2017, S. 11, die rechtliche Verantwortung als eine Dimension des Verantwortungsbegriffs beleuchten. Vgl. zum Konnex von Recht und Verantwortung umfassend Klement 2017.
Vgl. Burkhardt 1983, S. 66 f.
Buddeberg 2011, S. 26. Vgl. außerdem Heidbrink 2017, S. 11, sowie Bayertz 1995, S. 45, der die temporal-kausale Dimension der Verantwortung und die Bewertung der entsprechenden Tat zusammenbringt: »Während die retrospektive Verantwortlichkeit sich auf negativ bewertete Folgen bezieht, zielt die prospektive Verantwortung auf positiv bewertete Zustände.«
Fischer 1983, S. 100.
Seelbach 2013.
Hier und im Folgenden zitiert nach Sappler 1972.
Laut Fischer 2018, S. 50, könnte diese spezifische Zahl in der Anschuldigung des Knechts – dann ander böser weibe vier – als paradigmatische Vorausdeutung im Zeichen seriellen Erzählens auf die vier Tode gelesen werden, die noch folgen werden.
Zotz 2009, S. 199, bemerkt zu Recht, es sei wohl die Dummheit des Ritters (er was üppig und bedort; V. 66), »die ihn übersehen lässt, dass der Plan des Knechts gerade nicht von einer unkeuschen Frau auszugehen scheint, sondern richtigerweise den einzigen Weg zu ihr in der Maske des Königs annimmt«.
Dass der Knecht damit seinen ganzen perfiden Plan auf einer falschen Annahme gründet, erweist sich später, wenn dieselbe Formulierung im Epimythion variiert wird: so hat si got gehept in huot (V. 756). Von weltlichen Instanzen wie ihrem Bruder oder ihrem Verlobten wird die Gräfin nicht geschützt, wohl aber durch Gott, so der Erzähler.
Vgl. Grubmüller 2006, S. 179.
Die vorliegende Sentenz ist verbreitet, sie begegnet beispielsweise auch im Welschen Gast: Diu vinſter iſt den vînden liep. / bî vinſterr naht ſtilt der diep. / bî der naht tuot man vil / des man tages niht tuon wil. / ſwaz man nahtes tuon mac, / daz meldet gar der liehte tac. / vil dicke man der naht ſchant / bî dem tage wol bevant (V. 8257–8264).
Vgl. Fischer 2018, S. 49.
Vgl. zur Spiegelung von Natur und moralischer Dichotomie Rippl 2014, S. 67.
Loleit 2014, S. 177.
Zu den Implikationen des Schlagwortes ›Dieb‹ in der Sentenz vgl. Loleit 2014, S. 177: »Das als (›wie‹) ist wichtig, will man das Attribut ›Dieb‹ auf die verbrecherischen Akteure der Erzählung übertragen: Der Ritter, unter dem Einfluss des Knechtes stehend, und der Torwächter, die Gunst der Stunde nutzend, berauben die Gräfin ihrer Ehre, indem sie sie durch Verstellung (Ritter) bzw. Erpressung (der Wächter) zum Geschlechtsverkehr nötigen. Die Magd, die in Vertretung der Königin die Hochzeitsnacht im Bett des Königs verbringt, hat es mit einem Mal auf den König, auf die Rolle der Königin, abgesehen, auch sie handelt also wie eine Diebin.« Außerdem macht Loleit auf die sprichwörtliche Dimension des Ausdrucks ›wie ein Dieb in der Nacht‹ aufmerksam, der auf das plötzliche Eintreten negativer Ereignisse verweist, und vermutet darin eine poetologische Dimension, die sich auf Kaufringers »Spiel mit Überraschungseffekten und Katastrophen« beziehen könnte (Loleit 2014, S. 178).
Der falsche König wählt hier gerade die soziale Qualität trewe für die Bestärkung seiner Lügengeschichte, die im weiteren Verlauf der Erzählung als zentrales Element sozialer Interaktion immer stärker in den Fokus tritt; er führt die trewe quasi ex negativo in die Handlung ein. Vgl. Schultz-Balluff 2018, S. 167 f., zur Bedeutung der Phrase ûf triuwe. Dort auch ganz allgemein für einen Überblick zum semantischen Konzept der triuwe, vgl. dazu außerdem Ehrismann 1995, S. 211–216.
Vgl. dazu Seelbach 2013, S. 86 f., die im hin und her der Gräfin einen Kernpunkt des Märes angesprochen sieht: »Als leitendes Thema stellt sich somit die Güterabwägung heraus – ihre Möglichkeiten und ihre Defizite« (Seelbach 2013, S. 87). Das erinnert an das zentrale Motiv, das in den ersten Versen des Feigen Ehemanns aufgerufen wird: Ain schädlin wärlich pesser ist / dann ain schad ze aller frist (V. 1 f.).
Vgl. Willers 2005, S. 131 f., die verschiedene Normsysteme konturiert, die die Gräfin zu bedienen sucht, um den ordo zu wahren. Gleichwohl priorisiert die Gräfin, konfrontiert mit dem Drängen ihres mutmaßlichen Verlobten, nicht die Norm der Öffentlichkeit, sondern agiert als Minnedame, die sich einem leidenden Minnediener gegenüber verpflichtet sieht.
Dahm-Kruse 2018, S. 40, liest diesen Umstand in Kombination mit dem Wohlgefallen, das die Gräfin am sexuellen Akt dennoch empfindet (da het die fraw auch kürzweil vil / und erpotz dem herren wol; V. 238 f.), als Indiz, die plakativ-parteiischen Erzählerwertungen in Hinblick auf die moralische Integrität der Gräfin kritisch zu hinterfragen.
Vgl. Loleit 2014, S. 186.
Zotz 2009, S. 201.
Die Informationsreduktion durch Verheimlichen von Taten und die räumliche Seklusion korrespondieren miteinander. Der Rückzug in private Innenräume wiederholt sich in der Unschuldigen Mörderin mehrmals und wird sowohl in der Hochzeitsnacht des Paares als auch in der ehelichen Kemenatenszene am Ende des Märes wieder aufgegriffen.
Vgl. zum Informationsmangel der Textpassage Zotz 2009, S. 200: »Die Erzählhaltung wechselt radikal in dem Moment, wo die Dame den Betrug erkennt und den ersten Mord begeht. Kein innerer Monolog bereitet uns darauf vor, kein Kommentar versichert, sie habe keine andere Chance.« Seelbach 2013, S. 86, sieht im Mordanschlag eine Affekthandlung, wohl weil kurz vor der eigentlichen Tötung die Emotionen der Gräfin betont werden: si gieng mit laid und in zorn / und mit grossem unmuot / und vand ain messer scharpf und guot; / das truog si in die kemenat. / damit schnaid si dem ritter trat / das haubet von dem pottich dan (V. 274–279). Tatsächlich zeigt sich hier aber eine Leerstelle, die gerade für die Frage nach Verantwortung bemerkenswert ist: Die Motivation der Gräfin wird ausgelassen, nach laid, zorn und grossem unmuot folgt keine kausale Verknüpfung zur eigentlichen Mordhandlung. Die Formulierung und vand ain messer kann in diesem Zusammenhang auch nicht belastet werden, denn es wird nicht erzählt, ob dem Finden ein intentionales Suchen vorausgeht.
Obwohl die Gräfin ihm sogar in Aussicht stellt, mit ihrer Hilfe ain herre (V. 317) werden zu können, entscheidet sich der Pförtner nach dem Spatz-in-der-Hand-Prinzip lieber für eine im Wortsinne greifbarere ad-hoc-Erhöhung. Das erklärt sich aus dem Umstand, dass das Märe eben nicht kluge, einvernehmliche Problemlösungen in Szene setzt, sondern vielmehr von einer Art fataler Schadens-Akkumulation erzählt. Dieselbe Logik greift später auch für die Zofe, die sich mit gold und silber oun endes zil (V. 506) nicht zufriedengeben mag.
Dass die Gräfin den einen Mann, der sie sexuell ausnutzt, zum anderen Mann, der sie sexuell ausnutzt, wirft, und beide in einer eigenartigen Vermengung aus Körpern und Körperteilen zu liegen kommen (vgl. Zotz 2009, S. 202), akzentuiert nicht nur die absurde Drastik der Situation, sondern obendrein ihre bestechende Logik: So sehr sich die unmoralischen Taten der beiden Männer ähneln, so ununterscheidbar sind ihre Körper im Tod.
Vgl. Rippl 2014, S. 55: »Mit seinem Täuschungsmanöver hat der Ritter die Gräfin in jedem Fall zur Komplizin seiner Straftaten gemacht. Er hat die Situation so verdreht, daß die Unschuldige von der äußeren Rechtsprechung immer mitverurteilt werden würde.«
Steinmetz 1999, S. 52.
Willers 2005, S. 131.
Anders Brandt 1993, S. 235, der für die Motive der Gräfin annimmt, sie seien allesamt dem Nutzen der Ehegemeinschaft untergeordnet: »Die Tötungen der Königin stehen von Anfang an immer im Dienst der Ehe, nicht nur des abstrakten Wertes bewahrter sexueller Unschuld, sondern auch im Interesse des ›guten Rufs‹ der Ehepartner nach außen und des unbelasteten gegenseitigen Verhältnisses der Partner zueinander«.
Vgl. Willers 2005, S. 135.
Produktiv gemacht wird hier »das literarisch prominente Mittel des Brautunterschubs« (Dahm-Kruse 2018, S. 39), wie es in Gottfrieds Tristan in der Dreieckskonstellation Isolde – Brangäne – Marke begegnet. Die Parallelen sind bemerkenswert: Bei Gottfried wird der Brautunterschub ebenfalls ermöglicht, indem die visuelle Wahrnehmbarkeit der Situation verhindert wird: diu lieht diu laschte ir vrouwe Îsôt (V. 12594). Marke bemerkt nichts, in dûhte wîp alse wîp (V. 12666), aber der Erfolg des Betrugs beruhigt Isolde nicht vollständig. Sie wendet sich mit ihrer Angst, Brangäne könnte ihren Platz in Markes Bett dauerhaft beanspruchen, an Gott (vgl. V. 12620–12622), und schlussendlich erwächst Brangäne aus ihrer Stellvertreterrolle Lebensgefahr durch einen Mordanschlag Isoldes. Anders als die Zofe der Unschuldigen Mörderin geht Brangäne unversehrt als getriuwe unde stæte (V. 12937) aus der ›Probe‹ hervor – auch hier steht zwischen den beiden Frauenfiguren, zwischen Zofe und Königin, triuwe oder besser: untriuwe im Vordergrund, vgl. Witthöft 2012, S. 136 f. Entsprechend hebt Witthöft 2016, S. 177, hervor, dass »das Brangäne-Motiv in den Tristanromanen die Auseinandersetzung mit dem Vertrauens- und Freundschaftsdiskurs im Akt der Stellvertretung« reflektiert. Der Tristan verhandelt damit, »dass das Wissen der Stellvertreter über die sexuelle Versehrtheit ihrer zu Vertretenden zu Problemen führt, wenn sich der Stellvertreter nicht durch die geforderte Selbstlosigkeit auszeichnet, wenn er eben nicht als vertrauenswürdiges Medium angesehen werden kann« (Witthöft 2016, S. 201).
Loleit 2014, S. 186.
Coxon 2008, S. 194.
Vgl. Loleit 2014, S. 187.
Witthöft 2016, S. 195, führt die plötzliche Autonomie der Zofe auf »eine Reflexion der Macht des Performativen im Ehevollzug« zurück: »Durch den Vollzug der Ehe ist aus der bittenden Dienerin die gebetene Königin geworden; die unmittelbare Brautvertretung zeigt Wirkung. Ihr neu entfachtes Selbstbewusstsein zeigt sich deutlich, indem sie die Bitten ihrer Königin ignoriert und diese mit Wortlosigkeit straft.«
Fischer 2018, S. 50, spricht in diesem Zusammenhang von einer in sich mehrmals variierten »coitus- exitus-Reihe«.
Zur rechtlichen Dimension dieser Zeitangaben im Sinne einer Verjährungsfrist vgl. Rippl 2014, S. 74.
Rippl 2014, S. 58.
Erstmalig, so Keller 2008, S. 344 f., wird die Gräfin als Kommunikationspartnerin ernst genommen und nicht übergangen.
Willers 2005, S. 136. Dort auch Weiteres zur Logik der trewe im Kontext der Minnekonstellation: »Denn durch nichts hätte sie [die Gräfin] ihre Minnetrewe vollkommener unter Beweis stellen können als in der gefahrvollen Durchbrechung der gesellschaftlichen Ordnung (Ehebruch, Morde, Brautunterschub) mit dem Ziel, diese Minne zu bewahren. Kam sie dadurch mit dem öffentlichen Recht in Konflikt, so aufgrund ihrer trewe zum Ehemann (als Minneherrn) – diese macht die untrewe-Tat als trewe-Handlung deutbar […] – unverschuldet und ohne Hinterlist.«
Zur Doppelformel weder haimlich noch offenbar vgl. Brandt 1993, S. 234, der den chiastischen Ausdruck weder an eren noch an muot analog versteht: »Nachteile erleiden […] soll die Königin aus ihrem Verhalten weder in bezug auf ihr öffentliches Prestige noch in bezug auf die privat-emotionale ›Gesinnung‹ ihres Ehemanns« (S. 235). Folgt man Steinmetz’ Lesart, ist es nur logisch, dass der Ehemann das letzte Wort hat: »Wenn sie [die Gräfin] überhaupt eine Schuld treffen könnte, dann wäre diese in der Verletzung von Rechtsgütern des Ehemanns und Königs begründet. Den Ehemann hat sie – nach mittelalterlicher Rechtsauffassung – um ihre Jungfräulichkeit betrogen, den König, indem sie sich das Recht zur Gewaltausübung angemaßt hat« (Steinmetz 1999, S. 55).
»Das unsichere, verhandelbare Reziprozitätsversprechen betrifft neben den interpersonalen (horizontalen) fides- oder triuwe-Beziehungen auch das (vertikale) Verhältnis zu Gott« (Lepsius/Reichlin 2015, S. 226).
Rippl 2014, S. 41.
Es wird eine Logik etabliert, »wonach der Übeltäter, der aller untrew voll ist, ebenso behandelt werden sollte, also auch mit unverhältnismäßiger Strafe rechnen muß« (Steinmetz 1999, S. 65).
Vgl. Rippl 2014, S. 63.
Dass nicht nur das Erhängen des Knechts, sondern die Strafen aller Opponenten ihren Vergehen nach rechtlichen Vorgaben entsprechen, wurde bereits gesehen, etwa von Willers 2005, S. 133 f. und 137.
Vgl. damit übereinstimmend Schultz-Balluff 2018, S. 265, zu den Bedeutungsdimensionen von untriuwe: »In den Kontexten von Herrschaft, Gesellschaft und Familie markiert untriuwe die Dekonstruktion und auch die Destruktion bestehender Verhältnisse oder Strukturen.«.
Was den Stellenwert der vom Erzähler proklamierten göttlichen Unterstützung angeht, scheiden sich die interpretierenden Geister, wie Zotz 2009, S. 199, festhält: »Die Deutungen der Forschung gehen entweder dahin, die göttliche Gnade als allzu zweifelhaft in Frage zu stellen und ihr beispielsweise die Autonomie der Erzählung gegenüberzustellen, oder aber die ganze Geschichte, wie es das Promythion nahe legt, als Zeugnis göttlicher Führung und Fügung zu lesen«. Hier scheint freilich wieder das Problem der erwähnten »Akohärenz von Narration und Didaxe« (Dahm-Kruse 2018, S. 41, Fußnote 112) auf. Grund für diese Unterschiede sind meines Erachtens zwei narrative Eigenschaften des Märes: Zum einen kommt Gott – im Gegensatz zum moralisch sattelfesten Ehemann – nie selbst wertend zu Wort oder greift dezidiert aktiv in die Handlung ein. In diesem Sinne ist Victor Millet 2000, S. 290, durchaus zuzustimmen, der dem Erzähler die Lizenz zuschreibt, Gott »wie eine weitere (wenn auch ganz anders geartete) literarische Figur […] einzusetzen«. Zum anderen wird die beständige Zugewandtheit, die im Promythion von etwaigen göttlichen Schützlingen gefordert wird, kaum auserzählt. Zwar ist die Lage nicht gar so drastisch, wie Dahm-Kruse 2018, S. 40, und Millet 2000, S. 284, annehmen (»[D]ie Protagonistin [lässt] das Gottvertrauen […] an keiner Stelle erkennen« bzw. »Gott spielt da in der Handlung überhaupt keine Rolle und wird auch kein einziges Mal erwähnt«), denn in der Tat wendet sich die Gräfin vor ihrer Hochzeitsnacht an Gott und erfüllt damit die Voraussetzungen des Promythions: si claget ser got dem reichen / iren kummer und auch schmerzen (V. 448 f.). Doch sie tut dies gerade ein einziges Mal (vgl. Steinmetz 1999, S. 54, sowie Rippl 2014, S. 40) und auch hier fehlt wieder eine direkte Reaktion. So entsteht der Eindruck einer überaus mittelbaren transzendenten Entität: Allein der Erzähler deutet Gottes barmherzige Hilfe in das Geschehene hinein und instrumentalisiert es mithilfe eines rhetorischen Kniffs im Stil eines argumentativen Zirkelschlusses als »self fulfilling prophecy« (Rippl 2014, S. 40): »›Hilf dir selbst‹, so wird gesagt; doch statt der sprichwörtlichen Konsequenz ›dann hilft dir Gott‹ scheint noch eine Kondition aufzutreten: ›und wenn du es schaffst, dann hat Gott dir geholfen‹« (Millet 2000, S. 287). Weil die Gräfin unversehrt aus einer wahren Kaskade an Kriminalität hervorgegangen ist, wird Gott ihr Verhalten gebilligt und ihr dabei sicherlich hilfsbereit beigestanden haben. Wirklich zu überprüfen ist das aber nicht, weder in der Handlung noch in Pro- oder Epimythion – Gott bleibt in der Unschuldigen Mörderin eine nicht greifbare und eigenartig deutungsoffene Hülse, die der Erzähler für seine moraldidaktische Agenda zu nutzen weiß.
Loleit 2014, S. 179, sieht den König in seiner Rolle als Ehemann als mögliche »Figuration Gottes bzw. Christi«. Das ist, bedenkt man die ›Absolutionsmacht‹, die der König ausübt, naheliegend, gilt meines Erachtens aber nur bedingt, da er als respondierender Gegenpart der Gräfin stärker in der weltlichen Sphäre verankert bleibt.
Das entspricht Fischers These, dass einige Mären »Elemente des Höfischen aus der vorgegebenen Matrix herauslösen, erzählerisch isolieren und in eine andere oder neue Versuchsanordnung überführen« und damit eine »Relativierung und Devaluierung des Höfischen« (Fischer 2018, S. 41) herbeiführen.
In diesem Sinne ist für Kaufringers Unschuldige Mörderin zu beobachten, was Nowakowski 2021, S. 225, auch für das Herzmäre konstatiert: »Die Erzählung ist, so soll deutlich werden, nicht als triuwe-Exempel zu verstehen, das ein lehrhaft ausgerichtetes Handlungsmodell entwirft. Der Text veranschaulicht vielmehr in einer abstrakteren Weise triuwe als soziales Prinzip von Verbindlichkeit.« Zur sozialen Dimension der triuwe vgl. außerdem Lepsius/Reichlin 2015, S. 225, und Schultz-Balluff 2014, S. 389.
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Quellentexte
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Jäger, N. Verhinderte Öffentlichkeit und dunkle Machenschaften. Z Literaturwiss Linguistik 53, 565–589 (2023). https://doi.org/10.1007/s41244-023-00304-3
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