Geht man davon aus, dass Sich-Verantworten darauf zielt, einen »mit jedem Handeln verknüpfte[n] Rechtfertigungsanspruch« als Richtschnur für das eigene Handeln prospektiv anzulegen oder retrospektiv erklärend einzulösen,Footnote 1 dann ist das biblische Buch Hiob nicht zuletzt auch eine Aushandlung von Verantwortung.Footnote 2 So steht Hiob zunächst seinen Freunden Rede und Antwort zu seinem vergangenen Handeln, das unter ihnen besonders Elyphas – im Geiste eines diesseitig vollendeten Tun-Ergehen-ZusammenhangsFootnote 3 – als Ursache einer nun im Leid sichtbaren Verfehlung tadelt, für die Hiob sich verantworten müsse. In seinen Erwiderungen beteuert der Mann aus Uz jedoch seine Unschuld und sinnt darauf Gott vor Gott anzuklagen, damit dieser seine grundlose Züchtigung (rechtsförmig)Footnote 4 verantwortet. Auch wenn der Herr letztlich nicht zur Verantwortung gezogen werden kann, was die Prämisse der Freunde einer ihnen verständlichen, gerechten Relation von Tun und Ergehen suspendiert und in Gottes donnerndem Schlusswort Bestätigung findet, antwortet dieser am Ende zumindest auf die Klage des Propheten. Dabei weist Gott jeden Anspruch auf Rechtfertigung im Rekurs auf seine Allmacht, die ihn von menschlich-moralischen Zwängen befreie, von sich, so dass Hiob schließlich von einer Anklage absieht (vgl. Hiob, 40,4).

Die christliche Deutung des Hiobbuches trachtete von Beginn an danach dieses Dilemma des unschuldig Bestraften und die damit aufgeworfene Frage der Theodizee in zweierlei Hinsicht zu entschärfen: zum einen mit Verweis auf die Ursünde, die jeden Menschen zum Sünder und damit gerechterweise zum Empfänger von Leid macht, zum anderen mit der Aussicht auf ein Jenseits, in dem sich erst die Gerechtigkeit Gottes voll offenbart, insofern nur hier mit letzter Gültigkeit die Guten belohnt und die Schlechten bestraft würden. In der Folge avanciert Hiob bereits vor den Moralia in Job (578–595) Gregors des Großen, die diese Interpretation für Jahrhunderte arretieren, zur christlichen Vorbildfigur eines gottvertrauenden Dulders, der zudem den leidenden Christus präfiguriert.Footnote 5 Um dabei der drohenden Aporie zu entgehen, wird die Frage nach Gottes uneinforderbarer Verantwortung in den Bereich göttlicher Providenz verschoben, der für den Menschen im Diesseits genauso unbegreiflich wie unbefragbar bleibt.

Wohl auch um diese Deutung nicht zu gefährden, konzentrierte man sich im Zuge mittelalterlicher interpretatio christiana der Geschichte zumeist auf die doch knappe Rahmenhandlung und zollte dem Disput Hiobs mit seinen Freunden, welcher den Löwenanteil des Buches ausmacht, verhältnismäßig wenig Aufmerksamkeit.Footnote 6 Entsprechend erstaunlich ist es, dass die in der Forschung als Hiob-Paraphrase bekannte Wiedererzählung, die ein Anonymus im Umfeld des Deutschordens nach eigener Aussage 1338 fertigstellt,Footnote 7 genau hier und darüber – wie zu zeigen sein wird – bei der Frage nach Verantwortung ihren thematischen Schwerpunkt setzt. Im Umfang von 15568 Versen bietet der Text nicht nur eine recht getreue Übersetzung von weiten Strecken des biblischen Buches; die in einzelne Verse oder mitunter sogar nur Halbverse zerlegte Übersetzung ist zudem um eine Vielzahl eingeschobener Kommentare und Erläuterungen amplifiziert, für die der Verfasser aus unterschiedlichen Quellen schöpft und wohl auch selbst exegetisch tätig wird.Footnote 8 Indem er Hiob und seinen Freunden Versatzstücke aus der reichen Kommentartradition und eigene Deutungen auf diese Weise in den Mund legt und ihre Reden zudem kommentierend rahmt, kommt er im Umgang mit seinem mitunter heiklen Stoff einer poetischen Verantwortung nach,Footnote 9 welche die besondere »Struktur des Buchs mit seinen langen Reden und seiner an Blasphemie grenzenden Direktheit der Gottesanklage«Footnote 10 erforderlich macht und die er mit Blick auf die Dignität der biblischen materia im Prolog reflektiert.Footnote 11

Ausgehend von einem kurzen Blick auf das Verständnis des Hieronymus von seiner Arbeit am heiligen Text als inspirierter Bearbeitung, wird es in einem ersten Schritt um die Reflexion übernommener Verantwortung für eine solche Arbeit am heiligen Text von Seiten des Anonymus gehen, ehe dessen konkrete Arbeit bei der Gestaltung der dialoghaften narratio betrachtet werden kann, im Verlauf derer die Modellierung von Verantwortung mehr mit Blick auf die Frage nach Strafe als nach Schuld verbunden ist. Dabei geht es besonders um die Herstellung einer im Prolog zum narrativen Ziel erhobenen – im Wortsinne – Eindeutigkeit. Dieser steht jedoch bereits auf Ebene der histoire die im Erzählstoff verbürgte Vielstimmigkeit des Texts entgegen, welche es gleichzeitig narrativ auszustellen wie interpretierend einzuhegen gilt: So versuchen Hiobs ältere Freunde immer wieder ihn für sein vergangenes Handeln zur Verantwortung zu rufen und greifen dabei auf die argumentative Grundlage des Tun-Ergehen-Zusammenhangs zurück, also auf die Prämisse einer impliziten Rechtfertigung Gottes über eine zwingend anzunehmende und im Leid sichtbare Verfehlung des somit Bestraften. Der junge Helyu hingegen sieht Hiobs Schuld vor allem in seinem anmaßenden Rechten mit Gott, seinem Bestreben Gott selbst zu responsibilisieren. Den Interpretationen der vier Freunde gegenüber steht die Position des unglücklichen Mannes aus Uz, der – im stillen Einvernehmen mit dem Erzähler – jede Schuld von sich zurückweist und darüber hinaus die Prämisse eines diesseitig realisierten Tun-Ergehen-Zusammenhangs, in dem das Leid als gottgewollte Züchtigung zu rechtfertigen und damit verantwortbar wäre, verwirft.

Vor diesem Hintergrund zielt der Beitrag darauf zu zeigen, wie die Paraphrase Narrative der Verantwortung sowohl im Kontext des Erzählens biblischer Offenbarung als auch der vorgängigen Interpretation des Offenbarten als zwei Seiten eines hermeneutischen Problems modelliert. Dieses Problem – so die These – erzählt der Text einerseits exemplarisch in Form eines verantwortungsbewusst kommentierend gerahmten Disputs aus, von dem er andererseits aber auch selbst in beiden Bereichen betroffen ist. Dabei kann der umfangreiche und in seiner Intertextualität hochkomplexe Text freilich nicht mehr als schlaglichtartig anhand weniger repräsentativer Stellen interpretiert werden. An ihnen soll plausibilisiert werden, wie der Text jenseits der zentralen Schuldfrage auf beiden Ebenen, sowohl der des im Text immer wieder als narrativer Modus akzentuierten diſputirens als auch jener des Erzählens davon, Fragen nach erzählerisch-interpretativer Verantwortung für die göttliche Offenbarung verhandelt.

1 Verantwortung für die Arbeit mit der heiligen materia und ihren Sinn

Es gehört traditionell zur philologischen Praxis beim Herausgeben eines Textes, zumal wenn man auch übersetzend tätig wird, die eigene Herangehensweise in einem editorischen Paratext zu rechtfertigen und darin antizipierter wie zum Teil tatsächlich erfolgter Kritik argumentativ zu begegnen. Entsprechend verwundert es aus moderner Sicht wohl kaum, dass schon Hieronymus in einigen Vorreden zu seinen Bibelübersetzungen, die später als Vulgata reüssieren sollten, Stellung gegenüber Kritikern bezieht, welche seine Übersetzungsleistung, vor allem aber seine philologische Arbeit an der Heiligen Schrift bisweilen als ketzerisch brandmarken.Footnote 12 Im Prologus in libro Iob (um 394)Footnote 13 sieht er sich etwa gezwungen, auf den Vorwurf einiger Widersacher zu antworten (adversarium respondere maledictis), seine Übersetzung (interpretatio) sei als Widerlegung (reprehensio) der Septuaginta zu verstehen, der nach Hieronymus ein verderbter, vor allem gekürzter und damit textkritischer Auseinandersetzung bedürftiger Text zugrunde liege.

Zur Rechtfertigung seiner Arbeit rekurriert der Kirchenlehrer darüber hinaus auf die Hexapla des Origenes, die neben dem Text der Septuaginta auch die Übersetzungen und Revisionen des jüdischen Bearbeiters Aquila sowie von Symmachus und Theodotion – nach jüdischen Sitten lebenden Häretikern (iudaizantes heretici)Footnote 14 – enthalte, die in der Auslegungspraxis unkritisch herangezogen würden. Wieviel angemessener seien hingegen seine Bemühungen, für deren Legitimität neben seiner Bildung, die ihm den Umgang mit dem sprachlich herausfordernden und metrisch komplexen Buch erleichtert habe, vor allem auch sein christlicher Glaube spreche. Entsprechend ist die Wahl zwischen seinem iuxta hebraeos emendierten Text oder der – ebenfalls von ihm iuxta graecos übersetzten – Fassung der Septuaginta, vor die er seine Leserschaft stellt, von vorneherein entschieden und die Beschreibung seiner Ausgabe (editio) programmatisch zu verstehen: Wenn er von ihr sagt, dass sie zwar nicht in schönen, dafür aber in fehlerfreien Handschriften (non tam pulchros codices quam emendatos) vorliege, bedient er sich nicht bloß eines Bescheidenheitstopos. Vielmehr betont er damit, dass der biblische Text stets philologischer Arbeit bedarf und in diesem Sinne, um es unter Verwendung seines Bildes zuzuspitzen, seine Interpreten vor eine andauernde Aufgabe für lose Blätter anstelle kostbarer Prachtausgaben stellt, der nachzukommen nicht die Ergebnisse vorheriger Beschäftigung obsolet macht, sondern stets die erneute Hinwendung begründet.Footnote 15

Ein gutes Jahrtausend später haben sich die Produktionsumstände für die Arbeit am heiligen Text freilich grundlegend geändert und man wird schwer eine direkte Linie von Hieronymus zur spätmittelalterlichen Bibeldichtung im 14. Jahrhundert ziehen können.Footnote 16 Dennoch begegnet auch noch um 1338 der anonyme deutschsprachige Verfasser der Hiob-Paraphrase, eines Texts, den man als weitgehend auf den Moralia Gregors des Großen und der Postilla des Nikolaus von Lyra gründende,Footnote 17 übersetzerisch-kommentierende Montage beschreiben kann,Footnote 18 der Notwendigkeit sich für seine Arbeit am Bibeltext zu rechtfertigen. Dazu gibt der Erzähler im Prolog als Grundlage, vullemunt (V. 154), seiner Bearbeitung neben der göttlichen InspirationFootnote 19 jenen Text an, für den Hieronymus

wyt zuſamne hat gezogen

und indaz latin gedrungen

uz manherhande zungen,

zu vorderſt zu judiſcher ſprach,

nach der er ſine zunge brach,

gentzlich der pfafheit zu geſuch

alle ſunderliche buch

di da waren der heiligen ſchrift

der alden und der nuwn ſtift. (V. 140–148)Footnote 20

Die unkritische Bezugnahme auf den »zur personifizierten Übersetzung«Footnote 21 gewordenen Hieronymus ist im Spätmittelalter längst Usus und ebenso wenig überrascht im Diskurs der Zeit das angegebene Ziel seiner Arbeit am heiligen Text,Footnote 22 welchen er der pfafheit zu geſuch übersetzt habe, dem Klerus also zum Nachforschen, als Grundlage ihrer exegetischen Bemühungen, aber eben auch als Zinsspender, als geistliche Einkommens- und Nahrungsquelle.Footnote 23 Außergewöhnlich ist hingegen, dass der Erzähler seine schriftliche Vorlage, das buch […] byblia (V. 149), nur wenige Verse später im Rekurs auf erst einmal nicht näher spezifizierte Autoritäten zu einer verschriftlichten Rede im Sinne einer »Überkreuzung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit innerhalb der göttlichen Offenbarung«Footnote 24 umdeutet, also vor allem auf das Dialogische der Bibel abhebt und das Narrative unberücksichtigt lässt:

di lerer ſagen uns da bye

daz di heilege ſchrift nicht me ſie

wan rede, wort und koſen

und daz minnencliche loſen

daz wider der ſunden ane val

von dem himel her zu tal

Got ſelbe durch der heiligen munt

hat der werlt gemachet kunt. (V. 157–164)

Mit Blick auf die materia, das überaus dialoglastige Buch Hiob, liegt ein solcher Gedanke durchaus nahe, näher zumindest als etwa bei biblischen Geschichtsbüchern, birgt aber in Bezug auf den mitunter theologisch heiklen Inhalt der Reden des Protagonisten Probleme, für deren Entschärfung sich der Erzähler, wie noch weiter zu untersuchen ist, verantwortlich zeichnet. In jedem Fall bekräftigt er den eigentümlichen Interpretationsansatz nachträglich mit einem Psalmenzitat, einem aus dem Lukas-Evangelium sowie einem aus dem Hebräerbrief.Footnote 25 Als Ursache für eine solche ›medialisierte‹ Offenbarung gibt der Erzähler die korrumpierende Fleischlichkeit (des vleiſches ummehanc; V. 200) des Menschen an, die einer unmittelbaren Gotteserkenntnis im Wege stehe, wie Gott sie von sich selbst habe. Dem zuvor skizzierten Gedanken folgend vermittle nun Gott bei jedem biblischen Buch den sin, den Got uns ſayt / durch des munt gar unverdayt / nach dem man daz buch benennit (V. 205–207), also durch die Rede des jeweils titelgebenden Propheten, der gegenüber Gegenreden damit von Beginn an diskreditiert sind.

Ehe der Erzähler dieses Konzept konkret auf Hiob bezieht,Footnote 26 kommt er zunächst noch einmal auf die wiſen lerer munder (V. 209) zu sprechen, die al der werlde zugeſuch ein jedes Buch der Heiligen Schrift mit ihren gloſen versehen haben, nach dem daz Got ſy hat bedacht / genedeclichen und mit gunſt / des waren lebendes Wortes kunſt. (V. 216–218) Über die wiederaufgegriffene Formulierung zugeſuch stellt der Prolog eine Verbindung zwischen den Kommentatoren und Hieronymus her, nur ist der Adressatenkreis bei Letzteren ein erweiterter: Aus der pfafheit ist der werlde geworden. Die wiſen lerer munder haben also in ihrer Funktion als Kleriker den Text für die Allgemeinheit aufbereitet und stehen als ebenfalls göttlich inspirierte Medien zwischen dem Text des Hieronymus und den Gläubigen.Footnote 27 Innerhalb dieser Konstellation positioniert sich der Erzähler zunächst subtil und später auch explizit selbst. So beschreibt er die gloſen der lerer als redelich volbraht (V. 215), also mit einem Begriff aus seiner Inspirationsbitte (vgl. V. 5). Auch das Attribut munder, das er den Kommentatoren hier zuspricht, verweist zurück auf die invocatio, genauer gesagt auf ihr Ende, an dem er Gott darum bittet, mit Blick auf ſchrift und gloſe inspiriert, munder gemacht, zu werden.Footnote 28 Klanglich verbindet sich munder darüber hinaus mit dem für den Prolog zentralen Begriff vullemunt sowie dem mehrfach metonymisch angeführten munt der Heiligen als Koordinaten eines Kommunikationssystems inspirierter Offenbarung.Footnote 29 Zudem greift der Erzähler an konzeptionell zentraler Stelle am Ende des Prologs noch einmal auf den Schlüsselbegriff als Attribut für Gregor den Großen (der munder; V. 485)Footnote 30 zurück, der als prominentester Vertreter der Hiob-Exegese und damit hier wohl exemplarisch das in seiner Materialfülle und seinem Sinngehalt komplexe Buch virleige wys / gegloſet tyef (V. 489 f.) habe.Footnote 31 Da niemandes hermeneutische Kompetenzen an diejenigen Gregors heranreichten und vor allem want ir [der gloſen] iſt zu vil (V. 494), wolle der Erzähler ihrer jedoch geſwigen (V. 493) und stattdessen lichtlich und ſlecht / den text, mag ich, uz legen recht (V. 495 f.). Hinter dieser Absichtserklärung verbirgt sich »aber keineswegs der Bescheidenheitstopos eines rhetorisch unbeholfenen Schreibers, sondern – ganz in der Tradition der Bibeldichtung, auf der er aufbaut – Konzentration auf die literale Exegese in der Nachfolge des Nikolaus von Lyra. Rhetorisch durchgeformte Versgestaltung würde diesen grundlegenden Sinn nur verschleiern.«Footnote 32 Der erklärte Verzicht auf einen Rückgriff auf Gregors Moralia, auch wenn er faktisch keineswegs eingelöst wird, stellt die Paraphrase darüber hinaus als Alternative in die Reihe der Kommentarschriften, wenn sie nicht sogar zum direkten Ersatz für die – zu komplexe? – Interpretation Gregors avanciert.Footnote 33

Jedenfalls geht es hier und an anderen Stellen im Prolog immer wieder um die Frage nach vertretbaren Quantitäten sowie einen legitimen Grad an Komplexität und damit um die Verantwortung des Bearbeiters für die Herstellung von Eindeutigkeit im Rahmen seines Selektions‑, Kompilations- und Interpretationsprozesses.Footnote 34 Diese Responsibilisierung als das Thematisieren von Verantwortung beginnt bereits mit der seltsam beliebig wirkenden Wahl der materia, welche nur ex negativo und mit ähnlichen Worten wie der erwähnte Verzicht auf einen Rückgriff auf Gregors Moralia begründet wird:

gnuc iſt der [biblischen, M.W.] bucher unde vil.

der zal ich hy geſwigen wil

und wil mit Job begrifen mich

durch des munt Got ſitelich

uns hat geſprochen und gelart

daz wer indiſer werlde vart

geduldek jo ſullen weſen. (V. 219–225)

An diese Vorwegnahme der eindeutigen Kernbotschaft, der erwartbaren Ermahnung zu gedult (V. 244) sowie zu einer boethianisch konzipierten mitelmaze (V. 234) im Umgang mit Freud und Leid,Footnote 35 schließt eine Beschreibung der materia operis an, bei der zunächst im expliziten Rückgriff auf GregorFootnote 36 die Frage nach dem Sinn von beziehungsweise nach der Rechtfertigung für Hiobs Leid mit Verweis auf dessen Bewährungscharakter ausgeräumt und dann der Sinn des Buches noch einmal direkt an seine Rede gekoppelt wird:

hye ſayt uns der lerer zunge

daz alle di meinunge

di Job indiſeme buche hat,

dar an hænget unde ſtat

daz wol underſtunden nu

in diſem lebene loufet zu

boſen luten und ungemut

groz gelucke und grozes gut. (V. 351–358)

Die Erklärung der lerer zunge vereinheitlicht den Sinn des biblischen Buches gemäß dem erklärten ›Protagonistenprinzip‹ zur im Christentum traditionellen Negation eines diesseitig realisierten Tun-Ergehen-Zusammenhangs vor dem Hintergrund des einzig relevanten Urteils im Jenseits. Insofern dieses Urteil seine Gültigkeit aus der göttlichen Providenz bezieht,Footnote 37 an die menschliches Urteilen niemals heranreicht, muss jeder Anspruch auf eine Verantwortung des Schöpfers für Leid und Segen ungültig und nachgerade blasphemisch erscheinen. Letzteres betrifft hier konkret Hiobs Freunde, di dri touben (V. 397),Footnote 38 die wider diſer warheit ſchin / und kegen Job, gar wandels vri, / […] einen ungelouben grob [halten] / und diſputirten wider Job. (V. 376–380) Mit einer solchen Charakterisierung der Gesprächsteilnehmer sind die Freunde als Disputanten von vorneherein disqualifiziert,Footnote 39 zumal der Prolog sogar die göttliche Bestätigung ihres Unrechts am Ende der Erzählung (vgl. V. 426–432) gewissermaßen zu seiner eigenen Prämisse erhebt. Das diſputiren gerät so zur exempelhaften Bewährungsprobe Hiobs, die dieser unzweifelhaft mit bloß marginaler Verfehlung bestehen wird.Footnote 40

In der Folge seines Strebens nach Eindeutigkeit rechtfertigt der Erzähler nun auch die Länge des Prologs nach einem nicht näher spezifizierten meisterFootnote 41 damit, daz man verneme deſte baz / dy materige vnd den ſyn / in der bucher anbegyn (V. 438–440).Footnote 42 Den nachskizzierten Vereindeutigungsbemühungen im Prolog steht in der narratio – beziehungsweise disputatioFootnote 43 – die Vielstimmigkeit des Buches als materia entgegen, eine Polyphonie, die sowohl von der Dialogstruktur wie der poetischen MehrschichtigkeitFootnote 44 der Vorlage rührt und durch die Montagetechnik des Bearbeiters noch weiter potenziert wird. Um die Komplexität in diesem Spannungsfeld auf ein vertretbares Niveau zu reduzieren, zielen die über den ganzen Text verteilten Einschübe und Erläuterungen zum einen darauf Hiob wegen seines in der Vorlage selbst angelegten (Hiob 1,22) Deutungsprimats vor den Anfeindungen in Schutz zu nehmen und zum anderen die Glaubwürdigkeit der Freundesreden – inklusive derjenigen des Helyu – durchweg zu unterminieren, ehe Gott in der determinatio für unhinterfragbare Eindeutigkeit sorgt.Footnote 45

Zu den Strategien des Erzählers, die darauf zielen das Auserzählen einer als biblisch stets a priori legitimierten, aber doch theologisch heiklen materia zu verantworten, gehört auch eine gegenüber der Vorlage stärkere Akzentuierung der Figur des Teufels, mit der sich die Frage nach der Verantwortung des Herrn für die erlaubte Schädigung Hiobs durch Satan verbindet. Als Motiv Gottes für die Erteilung seiner loube (V. 756), ohne die der tuvel, crenker wen ein hun, / den luten keinen ſchaden tun (V. 757 f.) könne, gibt der Erzähler bei der Auslegung der ersten Vorsprache Satans anders als etwa Gregor nicht den Prüfungs- respektive den Wettbewerbscharakter der Versuchung an;Footnote 46 stattdessen deutet er Gottes Handeln – im Rekurs auf seine Allwissenheit das fraglose Ergebnis vorwegnehmend – als Strafe für Satan (V. 741–755) und Erhebung Hiobs zur Exempelfigur für Duldsamkeit (V. 801–810). Entsprechend kann er im Folgenden Gott komplett in die Verantwortung für das Geschehen nehmen und doch zugleich das Unheil auf einen ihm gegenüber ohnmächtigen Teufel zurückführen:

suſt daz er hatte mit rate

gewunnen, daz ging vil drate

zumale hin inkurzer vriſt

von des argen tuvels liſt.

und daz geſchach ouch gewiſſe

von Gotes verhencniſſe

darumme daz di ſiges cron

im wurde dort und grozer lon. (V. 793–800)Footnote 47

Bedingung für Hiobs Sieg über Satan ist seine ungebrochene Geduld, die der Erzähler in einem längeren Exkurs zur Einleitung seiner initialen Klage, die ihr zu widersprechen droht, auch direkt außer Frage stellt.Footnote 48

2 Die Klage Hiobs und die Erwiderung des Elyphas – Schuld und strafe

Im Vorfeld der initialen Klagerede Hiobs nutzt der Erzähler noch einmal die Gelegenheit den ungelouben (V. 1145) der später antwortenden Freunde – hier besonders ihre auf diesseitige Gerechtigkeit beschränkte Perspektive – zu schelten und die Vortrefflichkeit Hiobs zu betonen. Wenn er ebenfalls einleitend das Ziel der Freunde beziehungsweise den anbegyn / dy materige und de[n] ſyn / da von ſy diſputyren (V. 1231–1233), darin sieht, Hiob zum Abschwören einer jenseitigen Perspektive zu bewegen, weist das bereits über die Annahme einer bloßen Verstocktheit der touben (V. 1146) hinaus. Nach Hiobs Klage, mit der er freilich sine gedult […] nicht inbricht (V. 1272) und in der er vor allem den Teufel für sein Leid verantwortlich macht (vgl. V. 1358; V. 1366–1368), führt der Erzähler sogar den Widerspruch der Freunde im Rahmen einer zweiten EinführungFootnote 49 auf teuflischen Einfluss zurück: doch der zu aller boſheit ſtunt, / ich meine Sathan, den trachen, / der ſchuf daz ſy widerſachen / worden dem guten manne Job. (V. 1514–1517)

Diese Erklärung liefert einerseits eine Antwort auf die schon bei Gregor aufgeworfene Frage, warum Hiob überhaupt mit solchen Leuten befreundet sei,Footnote 50 andererseits trägt sie zur Plausibilisierung des harten Einsteigens von Seiten des ersten Redners Elyphas bei, der Hiob bezichtigt ein gliſener / und da by Gotes leſter (V. 1549 f.) zu sein. Der Vorwurf gründet auf seiner Deutung von Hiobs zuvor geäußerter und entsprechend im Text wiedergegebener sowie ausgedeuteter Klage, auf die der Erzähler auch noch einmal inklusive einer auf zwei Verse kondensierten Paraphrase rückverweist:

want als ir hat da vor gehort,

Job ſprach gar clegelichen dort:

›di zit verterbe und vervar

in der ich in di werlt gebar!‹

set, uz den worten, als ſy ſtan,

beſluzt Elyphas von Theman

daz Job ſy gar ungeduldik

und ſy der ſache ſchuldik. (V. 1551–1558)

Gewissermaßen bestätigt der Erzähler die Deutungsgrundlage des Freundes und ruft sie dem Publikum ins Gedächtnis, jedoch unterscheiden sich die darauf aufbauenden Interpretationen erheblich. So geht es Elyphas zunächst weniger um eine vorhergehende Verfehlung Hiobs, wenn er freilich auch von einer solchen ausgeht (vgl. V. 2010–2015), als vielmehr um dessen Anmaßung der Unschuld, die er als Zeichen für schuldbare Ungeduld deutet;Footnote 51 ein Vorwurf, von dem der Erzähler Hiob bereits im Vorfeld von dessen Klage entlastet hat (vgl. V. 1271 f.). Entsprechend disputiert Elyphas an dieser Stelle nicht nur auf der intradiegetischen Ebene mit Hiob, sondern zugleich – wie implizit durchgehend, hier aber besonders deutlich – metaleptisch mit dem Erzähler, der um seine Deutungshoheit bemüht ist, was etwa durch sein wiederholtes Abwerten der Freunde augenfällig wird.

Diese Konkurrenz mündet erstaunlicherweise nicht in einer entsprechenden Modifikation der Elyphas-Rede durch den Bearbeiter, die abgesehen von der Kritik an Hiob hohe Geltung beanspruchen darf und sogar durch Zusätze im christlichen Sinne vereindeutigt wird. Im ermahnenden ersten Teil wird das besonders anhand der Erzählung des Elyphas von einem Traum deutlich, dessen Ursprung er auf Gott zurückführt, während seine Herkunft in der Bibel unerläutert bleibt (vgl. Hiob 4,12–21). Der einleitende und durch keinen Erzählerkommentar in Zweifel gezogene Zusatz mir wart von Gote kunt eyn wort (V. 1664) verleiht der folgenden Äußerung, dass der Mensch niemals vor Gott gerecht sein kann (V. 1681 f.; Hiob 4,17), eine vom menschlichen Sprecher unabhängige Dignität. Dass diese Ausführung nicht in eine Aporie führt, liegt daran, dass Erzähler und Disputant im Argument übereinstimmen und daraus nur mit Blick auf Hiob aufgrund unterschiedlicher Prämissen entgegengesetzte Schlüsse ziehen.

Eng aneinander rücken die beiden Positionen auch auf der Wortebene, wie sich an der in der Bibel angelegten Ausweitung des Theologems auf die Engel zeigt, die ebenfalls – wie am ergänzend angeführten Fall Lucifers ersichtlichFootnote 52 – vor Gott nicht vollends gerecht sein können. Um wieviel weniger hätten im Vergleich zu den bewiesenermaßen fehlbaren Engeln nun die Menschen einen Anspruch auf Gottesnähe,Footnote 53 die statt im Himmel in leymhuſern wonen hy (V. 1694) und deren Lebensbereich sich auf den vergänglichen irdiſchen vullemunt (V. 1698) beschränke. Mit dem Schlüsselwort vullemunt ist eine Brücke zum Prolog geschlagen, der wie eingangs erläutert ebenfalls gültige Aussagen nur auf dem richtigen vullemunt gründen lässt.Footnote 54 Dass der Begriff hier nicht zufällig wiederholt wird, ist mit Blick auf einen zweiten impliziten Rückverweis auf den Prolog ersichtlich, der nur wenige Verse später in der knappen Überleitung zum zweiten Teil der Elyphas-Rede erfolgt: hy wil Elyphas beſunder / daz Job ſol weſen munder. (V. 1725 f.) Das im Prolog als Signum inspirierter Autoritäten und Ziel der invocatio verwendete Attribut munder, das der Erzähler hier zur Voraussetzung für die Buße erklärt, zu der Elyphas aufruft, verleiht seinem – ebenfalls den Prolog alludierenden – Appell besondere Geltung: ruf Got an daz ſine kumphft / dir uf ſlize dine vernumphft! (V. 1729 f.) Generell lässt der Erzähler Elyphas in diesem Teil weitgehend gewähren und mischt sich erst nach seiner Ermahnung zur Buße, für die er in Aussicht stellt, daz im [Hiob, M.W.] by dyſem leben / groz gelucke wider wirt (V. 1858 f.), wieder vehement ein. Erneut widerspricht er Elyphas nicht im Argument, sondern bloß in Bezug auf die unſchuldegen / […] und den geduldegen (V. 1873 f.), welchen Gott nur zur Einübung in gedult (V. 1877) martere. Dies könne Elyphas, dem die Perspektive auf das Jenseits fehle, nicht erkennen, weswegen er Hiob ſtrafte […] und in beſtiez / mit vremden ſpruchen, der was gnuc. (V. 1888 f.)

Insofern die Semantik von strafen im Mittelhochdeutschen noch weiter gefasst ist als im Neuhochdeutschen und das Verb vor allem – wie hier – auch in der Bedeutung ›schelten‹ und ›tadeln‹ gebraucht wird, verbindet es den Aussagemodus des Disputs mit dem Kern seines Inhalts, der Frage nach der Verantwortung für das Leid Hiobs. Dabei oszilliert die Bedeutung von strafen in der Paraphrase beständig zwischen beiden Bereichen, dem Vorwurf als Anklage- und der Strafe als Vollzugakt, die sogar zusammenfallen können. So straft Gott den Satan, indem er ihn vergeblich versuchen lässt, Hiob aus der Geduld zu bringen (vgl. V. 751), straft Gott die Freunde für ihr Streiten mit HiobFootnote 55 und Hiob, worauf zurückzukommen sein wird, für seinen Wunsch nach göttlicher Rechtfertigung (vgl. V. 14061) – eine ›Strafe‹, der Hiob nachzukommen gelobt (vgl. V. 15405). Besonders aber straft Hiob seine Freunde immer wieder für ihre harten und vermessenen Reden,Footnote 56 mit denen sie ihn strafen,Footnote 57 indem sie darauf beharren, dass dieser von Gott für eine begangene Sünde – und sei es die Behauptung der Sündlosigkeit – gestraft werde.Footnote 58

Setzt strafen als Vollzugsakt eine Schuld und ferner eine kausale Verbindung von Schuld und Strafe im Sinne des Tun-Ergehen-Zusammenhangs voraus,Footnote 59 zielt strafen als Anklageakt in der Paraphrase immer wieder auf die Geltung einer solchen Verbindung, die behauptet oder infrage gestellt wird, was Fragen der Verantwortlichkeit aufwirft. Hiobs Leid nimmt hier nun quasi die Funktion des Gegenstands einer kasuistischen Erörterung zur Frage nach göttlicher Gerechtigkeit ein, deren Ausgang aufgrund der Parteinahme des Erzählers von Beginn an feststeht. Jedes Disputieren gegen die Position Hiobs gerät somit zur Sünde und der Disput selbst zu einer Farce, die allerdings notwendig ist, insofern der Mann aus Uz erst durch sie seine exemplarische Geduld beweisen kann, welche die göttliche Gerechtigkeit zeitigt.

3 Die Sonderstellung Helyus – vom antwurten Gottes

Betrachten wir mit dieser Perspektive noch einmal die Reden Helyus, dem bereits in der Bibel eine Sonderstellung zukommt und der auch in der Paraphrase nicht unterschiedslos unter die Gruppe der fehlgeleiteten Freunde subsumiert wird. Dabei ist der vierte Freund ebenfalls von einem – vom menschlichen Verstand begreifbaren – Tun-Ergehen-Zusammenhang überzeugt (vgl. V. 11947–11956), allerdings mit einer Perspektive auf ein Jenseits (vgl. V. 13339–13341), in dem der Zusammenhang vollendet werden kann. Hiobs Verfehlung sieht Helyu vor allem in der Anmaßung der Behauptung gerecht und frei von Schuld zu sein,Footnote 60 die der Klagende zum Anlass nehme, den als ungerechtFootnote 61 empfundenen Gott vermessen zur Verantwortung zu rufen:Footnote 62du woldes diſputiren jo / mit Gote ſunder alle dro. / und da von biſtu ungerecht / und machſt dich nicht gemachen ſlecht. (V. 12311–12314) An dieser Stelle schaltet sich der Erzähler erklärend ein und verweist auf ein Zitat Hiobs, auf das Helyu sich beziehe und das später auch Grundlage für Gottes Tadel an Hiob sein wird: ›mit Gote, des er mich were, / diſputiren ich begere‹ (V. 12323 f.).Footnote 63 Allerdings nimmt der Erzähler Hiob zugleich schon vor der in der Sache, aber eben nicht in Bezug auf den Mann aus Uz gerechtfertigten – beſcheidenclich (V. 12331) geäußerten – Anklage Helyus in Schutz. Hiob habe mit seiner Rede beſcheydenclich (V. 12325) nur gesagt, dass er seine Angelegenheit nicht mit Menschen, sondern alleyne mit Gote fyn (V. 12328) diſputiren (V. 12326) wolle. Helyu gilt jedoch Hiobs Wunsch nach einem Disput, einem crygenFootnote 64 mit Gott nicht nur deswegen als verwerflich, weil ein solches Begehren dem Menschen nicht zusteht, sondern gerade auch, weil Gott ihm längst geantwortet habe:

Got dem menſche grozer iſt,

des du wol beſcheiden biſt.

dorumme iſt iz turſtekeit

daz ſich der menſche uf ken im leit

und daz er tar ken im irbeyzen

und in zu teydingen reyzen.

zwar, Job, du wilt dich betrigen,

daz du wilt mit deme crygen

der dir iſt gar ungelich,

durch daz dir Got von himelrich

nicht geantwurte hat ſo vort

sunderlich uf yclich wort,

als der menſch dem menſchen tut

ken ſynem glichen; dis iſt gut.

aber daz czymit nicht Gotes craft.

wan ſine wiſe meiſterſchaft

kan und weiz ander wege gnug

mit den Got antwurtet mit gevug

dem menſchen, und der wege dry

triffet Helyu hy by. (V. 12341–12360)

Interessant ist hier vor allem der zweite Teil der Argumentation, in dem Helyu Gottes Weise zu antwurten in Kontrast zur zwischenmenschlichen Praxis stellt und damit Gott als durchaus verantwortliche Entität entwirft.Footnote 65 Mit der Gabe des vernumphfteclich lich (V. 12383) sowie mit Traumerscheinungen und schließlich körperlicher Züchtigung (vgl. V. 12455–12458) respektive strafe (vgl. V. 12460) benennt Helyu also gleich drei wege göttlichen Verantwortens, die er im Folgenden näher ausführt.Footnote 66 Steht bei diesen Weisen des Verantwortens ein aktives Offenbaren im Vordergrund, zielt der erste Weg, mit dem sich das wizzen von übel unde gut (V. 12368) sowie davon, waz er [der Mensch, M.W.] tun und lazen ſol (V. 12369), verbindet, letztlich darauf, dass der Mensch auf Grundlage seiner gottgegebenen Befähigung eigenverantwortlich handelt.Footnote 67 Der Erzähler bezieht Helyus Ausführungen über die dreifache Offenbarung nun jeweils auf Hiob, indem er sie mit entsprechenden Hinweisen darauf versieht, dass Gott Hiob auf die jeweilige Weise geantwurtet habe,Footnote 68 stimmt also erneut in der Argumentation mit Helyu überein, ohne seine zentrale Prämisse zu teilen. Entsprechend milde geht er mit ihm etwa bei der Überleitung zu seiner zweiten Rede ins Gericht (vgl. V. 12597–12630) und auch am Ende der letzten Rede betont der Erzähler die Konvergenzen der Ansichten des für die rechte Erkenntnis zu einfältigen Helyu mit denen Hiobs sowie in der Konsequenz auch seiner eigenen:

uz der rede da vor geſayt

offenbar iſt daz unverdayt

daz Helyu mit gevug

mit Job wol ubereine trug

an ettelichen ſachen;

idoch Helyu verſwachen

in andern ſachen wolde Job. (V. 14001–14007)

4 Gottes determinatio und die ästhetische Verantwortung

Mit diesem Urteil endet der Disput unter den Freunden. Gott tritt aus dem Sturm sprechend auf, um Helyu / und den andern drin dar zu / vur Job […] antwurte ſwinde (V. 14035–14037) zu erteilen, wobei er zunächst ohne biblische Vorlage sein Urteil über Helyu und Hiob fällt. In deutlicher Übereinstimmung mit dem Erzähler verdammt er die zum Teil falsche, zum Teil aber auch angemessene Rede des jungen Freundes:

alleine Helyu geſeyt

von Gotes gewalt und wiſheit

gnug hette, doch dar under

Helyu vil wort beſunder

schimphlich miſchte, daz nicht zam. (V. 14053–14057)

Mit dem gescholtenen Teil seiner Rede, so erfährt man in der Ansprache des Herrn zuvor, sind jene Passagen in Helyus Rede gemeint, in denen er an Gottes Stelle über Hiob richtete beziehungsweise mit tummer rede bewindet / di urteyle di er vindet (V. 14051 f.).Footnote 69 Hatte der Erzähler Helyu vor allem dafür gemaßregelt, dass er in seiner Rede ſo grob (V. 14008) war, also Hiob aufgrund sträflicher Fehlinterpretation zu heftig tadelt,Footnote 70 zielt Gott von Beginn an auch auf die sprachliche Investitur seines angemaßten Urteils.Footnote 71 In diesem Aspekt gleicht sein strafen Helyus demjenigen Hiobs, dessen in bester Absicht – wie der Erzähler betont – geäußerte Bitte mit Gott zu diſputiren doch einteyl zu grob (V. 14062) war. Zwar habe Hiob, der statt eines Streitgesprächs auf Augenhöhe eine Belehrung im Sinne eines Schüler-Lehrer-Verhältnisses angestrebt habe, nicht vrebelich (V. 14067) gesprochen, jedoch in einer Weise, die seine Freunde dazu bewegt habe, dass sie seinen Wunsch falsch verstanden und ihn in der Folge als vrebellich (V. 14077) interpretiert hätten.Footnote 72 Selbes gelte für den Vorwurf, Hiob hätte sich über Gottes Gerechtigkeit erhoben:Footnote 73

alleine Job hette geſeit

nach ſinem beſten ſynne war,

idoch uber di maze zwar

sine rede was geſtalt

und machte ſinen vrunden balt

ergerunge und boſen wan. (V. 14086–14091)

Der Vorwurf, Hiob habe bei der Gestaltung seiner Rede di maze verfehlt und damit seine Freunde erst zu ihren verfehlten Gegenreden gereizt, bringt abschließend noch einmal eine poetologische Dimension in die Frage nach der Modellierung von Verantwortung. Anders als Helyu liegt Hiob im Disput – wie im Prolog ja breit als Prämisse ausgeführt – durchgehend richtig und der Erzähler und Gott als ideale Interpreten wissen das auch, allerdings ist er partiell als Verkünder der göttlichen Wahrheit an der Form seiner Rede gescheitert.Footnote 74 Das erklärt auch die seltsame Inkongruenz von Hiobs im Prolog angeführter Verfehlung, dem Leid nicht Gott dankend begegnet zu sein, die auf den ersten Blick gar nicht Thema des göttlichen Urteilsspruchs ist. Schließlich hätte Dankbarkeit als Ausdruck von gedult das Potenzial eines Missverständnisses seiner Rede deutlich geschmälert.

Damit sind die Freunde jedoch keineswegs entlastet, Helyu wurde ja schon für seine Fehlinterpretation abgestraft und die anderen drei werden es gegen Ende der göttlichen Abrechnung noch werden (vgl. V. 15411–15425; Hiob 42,7–9). Vielmehr verteilt sich die Verantwortung für das Gelingen der Offenbarung auf die zwei Seiten der inspirierten Verkündigung und der Interpretation. Rückbezogen auf die Paraphrase als ein Text, der nicht nur beide Seiten in Szene setzt, sondern auch selbst an beiden partizipiert, ergibt sich für den Verfasser eine ästhetische Verantwortung für eine unmissverständliche und aufgrund der heiligen materia doch vorlagengetreue Gestaltung. Diese muss dem betont eindeutigen Sinn des Bibelbuches gerecht werden, den offenbar nicht einmal der im Gedanken unfehlbare Prophet adäquat verkünden konnte und der erst in der Auserzählung seines Fehlens vermittelt werden kann.

Die ausführliche Umsetzung der Freundesreden dient dabei nicht nur der Demonstration von Hiobs gedult. Zudem erlaubt sie auf der einen Seite dem Erzähler seine eigene Stimme und mit ihr diejenige der Tradition christlicher Exegese in den Disput miteinzubringen und bietet auf der anderen Seite den Rezipienten eine Gelegenheit sich selbst – vom integrierten Kommentar angeleitet – in gedult zu üben, indem auch sie sich im Rezeptionsakt nicht von den Reden der Vier vom Standpunkt des Propheten abbringen lassen: Gott kann nicht zur Verantwortung gezogen werden, da einem solchen Anspruch die Grundlage fehlt, zumal der Mensch – daran lässt der Herr in seinen Naturreden am Ende keinen Zweifel – Gottes schöpferisch-lenkendes Handeln weder imitieren noch vollends ergründen kann. Gleichwohl vermag der Mensch in der offenbarenden Schöpfung Antworten zu finden, einer Schöpfung, die Gottes Allmacht und damit seine Irresponsibilität ausweist, ohne in ihrer anthropozentrischen Ausrichtung seine Güte in Frage zu stellen.