1 Einleitung

Grenzen, Grenzziehungen und Grenzüberschreitungen sind vielfach beschrieben und theoretisiert worden (vgl. z.B. Audehm/Velten 2007). In den Sozialwissenschaften werden Grenzziehungspraktiken vorrangig unter dem Schlagwort Boundary Making verhandelt und insbesondere im Kontext von Ethnizität und Migration, d.h. also der Begegnung und Vermischung von Kulturen im Sinne klar eingrenzbarer Kulturgemeinschaften diskutiert (z.B. Wimmer 2008). Das Konzept Transdifferenz (vgl. z.B. Breinig/Lösch 2002) nimmt in den Blick, was an der Grenze zwischen Kulturen geschieht, wenn diese im Zuge von Migrationsbewegungen aufeinandertreffen. Damit besteht ein theoretischer Zugang zu den Zwischenräumen zwischen Zugehörigkeiten, die im Übergang von der einen zur anderen entstehen. Darüber hinaus bietet die Anthropologie mit dem Konzept der Liminalität eine theoretische Perspektive auf biografische Grenzüberschreitungen, mit denen – häufig im Kontext von Ritualen – der Übergang von einer Lebensphase oder einer bestimmten Gruppenmitgliedschaft in eine andere vollzogen wird, wobei zwischen Altem und Neuem ein ritualinterner liminaler Zwischenraum besteht (vgl. Turner 1969). Im Gegensatz zur Transdifferenz ist die Grenzüberschreitung und das Dazwischen, d.h. der Raum zwischen zwei Kategorien, im Konzept der Liminalität nicht außerhalb von Individuen und zwischen Menschengruppen angelegt, sondern im Individuum selbst. Während Transdifferenz primär auf ethnisch-kulturelle Differenzierungs- und Ambiguierungsprozesse abzielt, fokussiert Liminalität vorrangig auf solche Grenzüberschreitungen, die ritualisiert vollzogen werden, etwa religiöse Konversionen oder Übergänge zwischen Lebensabschnitten (z.B. Eintritt ins Erwachsenenalter, Eheschließungen).

Mit der Ablösung des in westlichen Ländern vorherrschenden statischen, strikt binär konzipierten Verständnisses von Geschlecht zugunsten einer fluideren und eher skalar organisierten Geschlechtsauffassung in den letzten Jahrzehnten werden diese Theoretisierungen von Grenzüberschreitungspraktiken auch für die Konzeptualisierung geschlechtlicher Transitionsprozesse relevanter, wobei sie hier nach wie vor eher selten angewandt werden (vgl. jedoch Dentice/Dietert 2015; Rauchfleisch 2007; Wilson 2002; ausführlicher hierzu s. Abschnitt 2). Besonders von Interesse ist der geschlechtliche Zwischenraum zwischen den traditionell etablierten Kategorien ›weiblich‹ und ›männlich‹ und dessen »Besiedelung«, also die länger oder permanent andauernde geschlechtliche Positionierung in diesem Zwischenraum. Juristisch wurde diese in Deutschland mit der Etablierung der positiven Geschlechtskategorie ›divers‹ ermöglicht (s. PStG 2007); gesellschaftlich existent, wenn auch oft nur in subkulturellen Räumen sichtbar, waren nichtbinäre und intergeschlechtliche Personen selbstverständlich bereits bedeutend länger. Mit der öffentlichen Debatte um eine dritte Geschlechtsoption sind Geschlechtsidentitäten außerhalb der Zweigeschlechtlichkeit stark in den Fokus der gesamtöffentlichen und wissenschaftlichen Aufmerksamkeit gerückt. Dies ist auch (mit)bedingt durch die oft hitzig geführte Diskussion um geschlechtergerechte Sprache und die Frage danach, wie Menschen, die nicht weiblich oder männlich sind, sprachlich zu adressieren sind und wie adäquat auf sie referiert werden kann. Es geht also um die linguistische Erschließung des transdifferenten, liminalen Geschlechterraums, der mit Bezeichnungen wie divers, nichtbinär, agender und vielen mehr verschlagwortet wird.

Eben diesem Raum möchte sich der vorliegende Beitrag widmen und danach fragen, welche Ausdrucksmöglichkeiten das deutsche Sprachsystem für transdifferente geschlechtliche Positionierungen bereithält und wie nichtbinäre Personen selbst sprachlich neue Bezeichnungsmöglichkeiten schaffen, um entweder geschlechtliche Ambiguität zu kreieren oder aber eine neue, andere Geschlechtseindeutigkeit herzustellen. Um sprachliche Positionierungen außerhalb von Zweigeschlechtlichkeit theoretisch zu verorten, werden im folgenden zunächst die Konzepte Transdifferenz (2.1) und Liminalität (2.2) dargestellt und ihre Anwendung auf die soziale Differenz Geschlecht diskutiert. Im Anschluss daran soll ein kurzer Überblick über die juristische Etablierung einer dritten Geschlechtskategorie gegeben werden (3). Kapitel 4 widmet sich dann der problematischen Eindeutigkeit von Geschlecht im deutschen Sprachsystem (4.1) und sich dieser widersetzenden Sprachpraktiken der Veruneindeutigung (4.2). Abschnitt 4.3 erörtert im Anschluss widerstreitende Bedürfnisse zwischen dem Wunsch nach geschlechtlicher Selbstverständlichkeit und transdifferenter Sichtbarkeit. Abschließend (5) wird diskutiert, wie eine dritte Geschlechtskategorie in das deutsche Sprachsystem integriert werden kann.

2 Transdifferenz und Liminalität: Die theoretische Bestimmung des Dazwischen

2.1 Transdifferenz

Der Begriff Transdifferenz wurde zu Beginn des Jahrtausends von Breinig/Lösch (2002) geprägt, um damit Leerstellen des Differenzbegriffs zu füllen: »Difference [...] can never be adequate for defining the identity positions of individuals and groups in the face of multiple affiliations« (Breinig/Lösch 2002, S. 21). Dabei geht es den Autoren um die gleichzeitige, oft konfligierende Zugehörigkeit oder Mitgliedschaft in mehreren Kategorien. Lösch präzisiert den Begriff in einer späteren Publikation dahingehend, dass Transdifferenz »auf die Untersuchung von Momenten der Ungewissheit, der Unentscheidbarkeit und des Widerspruchs, die in Differenzkonstruktionen auf der Basis binärer Ordnungslogik ausgeblendet werden,« abzielt (Lösch 2005, S. 27). Somit bezieht sich der Transdifferenzbegriff ganz explizit auf die binäre Organisationslogik von Differenzen, mit der Menschen sich und andere einer permanenten entweder-oder-Rationalität unterwerfen, und die aus Sprecher*innenperspektive eine stete Unterscheidung von Ingroup (»so wie ich«) und Outgroup (»anders als ich«) einfordert. Mit dem Konzept der Transdifferenz richtet sich der Blick nun explizit auf die Grenze zwischen den binären Kategorien einer Differenz und stellt solche Positionen sichtbar heraus, die sich der Einhegung innerhalb der einen oder der anderen Kategorie widersetzen (vgl. Lösch 2005, S. 27).

Einer solchen »binäre[n] Ordnungslogik« (Lösch 2005, S. 27) folgt auch die Differenz Geschlecht in westlich-christlichen Kulturen. Geschlecht war hier bis vor wenigen Jahrzehnten eine weitgehend biographiekonstante, statische Dichotomie, die, wie Laqueur (1990) überzeugend darlegt, im Laufe des 18. Jh. das bis dahin vorherrschende Eingeschlechter-Modell ablöste. Über die Zugehörigkeit zu einer der beiden Geschlechtskategorien wurde – und wird weitgehend bis heute – mit der prä- und/oder postnatalen Begutachtung der kindlichen Genitalien entschieden. Transitionen von einer Geschlechtskategorie zur anderen waren in diesem System nicht vorgesehen.

Mit dem zunehmenden öffentlichen Sichtbarwerden und Sich-sichtbar-Machen von Personen, die die Geschlechtergrenze passieren, die die statisch-binäre Geschlechterordnung negieren oder aber multiple Zugehörigkeiten beanspruchen, gerät die bis dato weitgehend unhinterfragte Annahme geschlechtlicher Konstanz und Eindeutigkeit ins Wanken. Nicht nur wird die Grenze zwischen dem, wen oder was wir als weiblich bzw. männlich verstehen, zunehmend permeabel, auch solche Positionen, die sich »gegen die Einordnung in die Polarität binärer Differenzen sperr[en]« und die »die Gültigkeit binärer Differenzkonstrukte in Frage« stellen (Lösch 2005, S. 27), werden besetzbar.

Der Psychologe Udo Rauchfleisch (2007) ist der erste, der das Konzept der Transdifferenz explizit auf Transgeschlechtlichkeit anwendet. Dabei bezieht er sich eng auf Lösch (2005), wenn er beschreibt, dass transgeschlechtliche Menschen nicht etwa die Geschlechterdifferenz gänzlich beseitigen, sondern vielmehr die starre Binarität zugunsten einer Multidimensionalität aufweichen wollen (vgl. Rauchfleisch 2007, S. 113), ebenso wie Transdifferenz »die ursprünglich eingeschriebene Differenz ins Oszillieren bringt, ohne sie jedoch aufzulösen« (Lösch 2005, S. 27). Im Fall von binär transgeschlechtlichen Menschen, d.h. Transmännern und Transfrauen, ist der transdifferente Zwischenraum nur ein »Transitraum« (Herrmann 2003), der für die Phase des Übergangs von einer etablierten Geschlechtskategorie zur anderen genutzt werden kann, jedoch nicht dauerhaft besiedelt wird. Dies ist unter anderem mit dem gesellschaftlichen Normalisierungsdruck zu begründen, der auf der cisnormativen Erwartung eindeutiger Geschlechtsperformativität basiert (vgl. Rauchfleisch 2007, S. 114–116). Dies wurde und wird weiter gefördert durch die Pathologisierung und medizinische »Korrektur« von Transgeschlechtlichkeit, die über einen langen Zeitraum die operative Vereindeutigung von Geschlecht als einzig möglichen Weg vorschrieb, im tatsächlichen Geschlecht zu leben.Footnote 1 Damit wird das soziokulturell verankerte Bild binär verstandener Transgeschlechtlichkeit zu einem Paradebeispiel für das gesamtgesellschaftliche Bedürfnis nach Vereindeutigung, das von »den umfassenden Versuchen gekennzeichnet ist, alternative Möglichkeiten zu ›exorzieren‹« (Lösch 2005, S. 29). Daneben darf aber nicht vergessen werden, dass viele transgeschlechtliche Frauen und Männer ein klares geschlechtliches Selbstverständnis als ›Frau‹ bzw. ›Mann‹ haben, dieses Geschlecht dementsprechend leben, und für sie die eigene Transvergangenheit nur ein für medizinische oder aktivistische Belange relevantes Präfix und keine Identitätskategorie darstellt (vgl. Schmidt-Jüngst 2020).

Für diejenigen Transpersonen, die gerade den transdifferenten Zwischenraum zwischen den Kategorien ›Frau‹ und ›Mann‹ für ihre geschlechtliche Positionierung nutzen wollen, d.h. sich nicht eindeutig einer dieser beiden etablierten Kategorien zuordnen, kann die eigene Positionierung mit enormem Leidensdruck einhergehen, da die geschlechtliche Nichtpassung eine permanente Sichtbarkeit mit sich bringt.

Das Denken der Transdifferenz erfordert somit die Fähigkeit, Ungewissheit, Zweifel und Unentscheidbarkeit auszuhalten, das Inkommensurable zu ertragen, ohne dem Drang nachzugeben, Transdifferenz in binäre Differenzen aufzulösen. (Lösch 2005, S. 28)

Andererseits bietet eine transdifferente Selbstpositionierung sowohl subversives als auch emanzipatorisches Potenzial,

weil sie ein Bewusstsein für die weitgehend zum impliziten Wissen zu rechnenden diskursiven Geschlechterkonstruktionen und ihre Machteffekte schaffen sowie die Versuche der Modifikation von Geschlechtermodellen in der individuellen Praxis anstoßen kann (Breinig/Lösch 2010, S. 52).

Damit schließt der Transdifferenz-Begriff auch an Judith Butlers (2004) Undoing Gender an, das nicht die Irrelevantsetzung der Differenz Geschlecht per se meint, sondern vielmehr deren binäre Ordnung in Frage stellen will. Der kontradiktorische Charakter geschlechtlicher Binarität zwingt in ein »entweder-oder«: »Wer nicht Mann ist, der ist Frau; wer nicht Frau ist, der ist Mann.« Mit Transdifferenz wird ein Konzept angeboten, das Raum bietet für andere Formen eines nicht-männlichen oder nicht-weiblichen Selbstverständnisses. Die Schwierigkeit, eine solche transdifferente Geschlechtspositionierung gesamtgesellschaftlich zu kommunizieren, wird auch von Breinig und Lösch reflektiert:

Doch sind diesbezügliche Freiräume im Großen und Ganzen wohl auf spezifische soziale Milieus begrenzt, und das Reklamieren einer transdifferenten Positionalität wird in anderen sozialen Milieus vermutlich als eine Unterbrechung der Anschlussfähigkeit an die Kommunikation und damit als Barriere oder Schranke wirken, die von sozialer Anerkennung ausschließt (Breinig/Lösch 2010, S. 52).

Diese Einschätzung bestätigt sich auch im empirischen Material, das in Abschnitt 4 präsentiert wird. Die Versprachlichung geschlechtlicher Transdifferenz findet statt im Spannungsfeld von Selbstermächtigung, Sichtbarkeit, Diskriminierung und Wunsch nach Normalität, was auf den Umgang mit Personennamen, Pronomen und Personenbezeichnungen stark einwirkt.

2.2 Liminalität

Während der Begriff der Transdifferenz seinen Ausgang in der kulturwissenschaftlichen Analyse migrantischer, multikultureller Gesellschaften hat, stammt die Bezeichnung Liminalität aus der Anthropologie und zielt stärker auf das Individuum ab als auf Gemeinschaften als Gesamtheit, wie es bei der Transdifferenz der Fall ist. Gemein ist beiden das Interesse an Praktiken des Übergangs und an durch transgressive Praktiken und binäre Kategoriensysteme entstehenden Zwischenräumen. Der Anthropologe Victor Turner (1969) popularisiert den Begriff Liminalität, der erstmals von Arnold van Gennelp verwendet wurde, in seinen Ritualtheorien. Er stellt, wiederum an van Gennep anschließend, fest, dass Übergangsriten stets aus drei Phasen bestehen: »separation, margin [...] and aggregation« (Turner 1969, S. 94). Dabei bezeichnet die Trennungsphase (separation) die symbolische Bezugnahme auf das Herauslösen des Individuums oder einer Gruppe aus der bis dahin eingenommenen Position im sozialen Gefüge oder aus einem bisherigen Zustand. Die anschließende liminale Phase (margin) ist von Ambiguität und Uneindeutigkeit geprägt; das liminale Subjekt bewegt sich durch einen kulturellen Bereich, der nur wenige bis keine Eigenschaften des vorherigen oder aber des kommenden Zustands teilt (vgl. Turner 1969, S. 94). Mit der dritten Phase, der (Wieder‑)Eingliederung (aggregation), ist die liminale Schwellenphase beendet und der Übergang vollzogen. Das »rituelle Subjekt« (Turner 1969) ist nun wieder in einem weitgehend stabilen Zustand, der durch in der Sozialstruktur angelegte traditionelle Normen definiert ist (vgl. Turner 1969, S. 95). Personen, die sich in diesem liminalen Zwischenraum befinden, sind »neither here nor there; they are betwixt and between the positions assigned and arrayed by law, custom, convention, and ceremonial« (Turner 1969, S. 95). Die »betwixt and between«-Position, in der sich liminale Subjekte befinden, bedeutet in einem gewissen Sinn, sozial oder sogar physisch unsichtbar zu sein, da sie per definitionem außerhalb von Definitionen liegt und dadurch nicht greifbar ist (vgl. Beech 2011, S. 287). Im Kontext von Identitätskonstruktionen führt Beech aus, dass der liminale Raum genutzt werden kann für »experimentation in which versions of the self are tried out as a new or modified identity is sought« (Beech 2011, S. 289).

Gerade dieses Experimentieren mit dem eigenen Identitätsausdruck, das Beech (2011) als Teil liminaler Aushandlungen des Selbst beschreibt, ist im Kontext transgeschlechtlicher Selbstfindung von besonderer Bedeutung. Es liegt daher nahe, dass Geschlechtstransitionen gelegentlich als liminale Prozesse beschrieben werden (vgl. Dentice/Dietert 2015; Wilson 2002). Dieser liminale Raum ist für manche transgeschlechtlichen Menschen ein reiner Transitraum, andere nehmen ihn jedoch auch dauerhaft an, sei es als intentionaler Ausdruck individueller geschlechtlicher Verortung oder aus pragmatischer Akzeptanz, wenn ein Passing als cisgeschlechtlich zwar eigentlich erwünscht, aber nicht umsetzbar ist. Dass für die meisten binär transgeschlechtlichen Personen der liminale Raum nur eine Übergangsphase darstellt, der möglichst rasch wieder verlassen werden soll, wird auch bei Wilson deutlich:

[…] it is significant that for the majority in this study, ›alternative‹ gender space did not represent a site of gender potential but was in fact viewed as a ›phase‹ to be passed through and out of (Wilson 2002, S. 426).

Wie bereits im Abschnitt zur Transdifferenz angesprochen wurde, kann die erhöhte Sichtbarkeit geschlechtlicher Liminalität mit Verletzlichkeit und Angreifbarkeit einhergehen (vgl. Dentice/Dietert 2015, S. 70; auch Schmidt-Jüngst 2020); gleichermaßen kann aber auch die liminale Positionierung selbst als ›Gefährdung‹ des gesellschaftlichen Klassifikationssystems wahrgenommen werden – gerade von denjenigen, die sich in dessen feinsäuberlich abgegrenzten und althergebrachten Kategorien heimisch fühlen:

The bodies that inhabit an anomalous space publicly have not achieved the status of a supposedly ›legitimate‹ gender position, the status being marked by its very ›ambiguity‹. It is this ambiguity which threatens and challenges social gendered order, imbued with danger (Wilson 2002, S. 440).

Der liminale Charakter geschlechtlicher Transitionen – unabhängig, ob dieser liminale Raum nur ein Übergang oder eine dauerhafte Positionierung ist – ist geprägt von symbolischen Ritualen, die das Verlassen des alten Ordnungssystems und den Eintritt in ein neues markieren. Diese Rituale können z.B. das Abschneiden oder Wachsen-Lassen von Haaren, die Änderung der Garderobe und die hormonelle und chirurgische Bearbeitung des Körpers umfassen (vgl. Dentice/Dietert 2015, S. 76), sie beziehen sich aber regelmäßig auch auf sprachliche Praktiken wie den Wechsel des Vornamens und der Personalpronomen, die Änderung von Sprechstilen und Stimmfrequenz sowie das Ausprobieren von und Festlegen auf Selbstbezeichnungen. Eben diese sprachlichen Praktiken der Aushandlung geschlechtlicher Zwischenräume sind der Gegenstand dieses Beitrags, wobei die Frage danach, wie in diesen Praktiken mit (Un‑)Eindeutigkeit von Sprache und Geschlecht umgegangen wird, im Zentrum stehen soll. Um diesen Gegenstand in seinen weiteren Kontext einordnen zu können, soll zunächst ein kurzer Überblick zum juristischen Umgang mit Geschlecht jenseits der binären Ordnung gegeben werden.

3 Anders, divers, nicht-binär – juristisches Geschlecht jenseits von Mann und Frau

In einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 10. Oktober 2017 wurde der Klage der intergeschlechtlichen Person Wanja stattgegeben, dass das Fehlen eines dritten, positiven Geschlechtseintrags im Personenstandsgesetz neben dem weiblichen und männlichen eine Verletzung der Grundrechte von Menschen darstellt, die sich keiner dieser beiden Kategorien zugehörig fühlen (vgl. BVerfG 2017). Daraus resultierte die Anweisung an die Legislative, bis spätestens Ende 2018 eine entsprechende Änderung des Personenstandsgesetzes (PStG) durchzuführen. In der Folge wurde intensiv diskutiert, wie diese dritte juristische Geschlechtsoption künftig zu bezeichnen sei; das Innenministerium unter Horst Seehofer schlug zunächst die Bezeichnung anderes vor, was von anderen Stellen als exkludierend und abwertend bewertet wurde (vgl. SZ 2018). Die Entscheidung fiel schließlich auf die Bezeichnung divers, um die das Personenstandsgesetz zum 31.12.2018 ergänzt wurde. Somit können Eltern, die ein Kind mit nachweisbarer »Variante der Geschlechtsentwicklung gegenüber der weiblichen oder männlichen Entwicklung« zur Welt bringen, zwischen vier Formen des Geschlechtseintrags entscheiden: ›weiblich‹, ›männlich‹, kein Eintrag, oder ›divers‹. Auch Erwachsenen steht über §45b des PStG die Möglichkeit offen, ihren Geschlechtseintrag in ›divers‹ oder einen anderen Eintrag ändern zu lassen, wobei eine »Variante der Geschlechtsentwicklung« durch eine medizinische Bescheinigung nachgewiesen sein muss (vgl. PStG 2007). Diese Formulierung sorgte eingangs für Unklarheiten, ob diese juristische Option intergeschlechtlichen Personen vorbehalten sei oder sie auch für transgeschlechtliche Menschen Anwendung finden könne. Am 10.04.2019, also nur vier Monate nach der Novellierung des PStG, wurde ein Rundschreiben an die Innenministerien der Länder versandt, das spezifiziert, dass §45b PStG ausschließlich auf intergeschlechtliche Menschen und nicht auf transgeschlechtliche Personen anzuwenden ist. Inhaltlich begründet wird diese Entscheidung nicht, stattdessen werden Standesbeamt*innen mit der Aufgabe betraut, die Richtigkeit ärztlicher Bescheinigungen zu überprüfen und im Fall »begründeter Zweifel« an der Richtigkeit der Angaben den Antrag abzulehnen oder sogar Bußgelder zu verhängen (vgl. BMI 2019). Dies ist insbesondere auch deshalb fragwürdig, weil unklar ist, wie viele intergeschlechtliche Menschen sich einer Kategorie ›divers‹ zugehörig fühlen und ob eine klare Distinktion zwischen inter- und transgeschlechtlich überhaupt gezogen werden kann, da auch intergeschlechtliche Personen sich als trans verstehen können (vgl. Brinkmann/Schweizer/Richter-Appelt 2007, Carpenter 2018). Auch birgt die Forderung einer medizinischen Bescheinigung für viele intergeschlechtliche Personen eine große Hürde, da die bis heute erfolgenden nicht-konsensuellen Operationen zur Herstellung von »Geschlechtseindeutigkeit« an intergeschlechtlichen Kindern ein vertrauensvolles Verhältnis zu Ärzt*innen verunmöglichen können (z.B. Gabriel_Nox König in Welt 2020). Dies erklärt unter Umständen auch die wiederholt berichtete geringe Zahl an Anträgen für den Geschlechtseintrag ›divers‹ (z.B. Ärzteblatt 2019). Auch Zahlen der dgti (Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e.V.) zeigen, dass die derzeitige gesetzliche Regelung keine realistische Abbildung der tatsächlichen nichtbinären Bevölkerung erlaubt: Während in der Presse regelmäßig Zahlen im unteren dreistelligen Bereich für die Änderung des Geschlechtseintrags zu ›divers‹ angegeben werden (z.B. Seifert 2021), hat die dgti seit Einführung dieser Möglichkeit 2017 knapp 1800 Anträge für einen Ergänzungsausweis mit der Geschlechtsangabe ›non-binär‹ erhalten.Footnote 2 Das Selbstbestimmungsgesetz, das im Koalitionsvertrag der 2021 neu gewählten Regierung angekündigt wurde, verspricht deutliche Verbesserungen für die juristische Anerkennung von trans- und intergeschlechtlichen Personen (vgl. Koalitionsvertrag 2021).

Ein Aspekt, der hierbei bisher nicht berücksichtigt wurde, ist die Frage danach, ob und inwieweit die juristische Erfassung nichtbinärer Geschlechtsidentität auf individueller Ebene überhaupt angestrebt wird. Dies steht in engem Konnex mit Fragen der Sichtbarkeit und Diskriminierung, Aspekten also, die bei transdifferenten, liminalen Positionierungen stets mitzudenken sind. Mit der Entscheidung für den Geschlechtseintrag ›divers‹ wird – etwa in Bewerbungsunterlagen – sichtbar, dass sich die betreffende Person nicht in das hegemoniale Ordnungssystem traditioneller Zweigeschlechtlichkeit einhegen lässt, was nicht selten als potenziell unbequem bzw. als Störfaktor verstanden wird und zu Diskriminierung führt (vgl. Hoenes/Sauer/Fütty 2019). Zwar versucht der Staat hier, mit der juristischen Anerkennung geschlechtlicher Zwischenpositionen eine neue Stelle in der gesellschaftlichen Ordnungslogik von Geschlecht zu etablieren, das Liminale also als nicht außerhalb des Klassifikationssystems, sondern als neue Kategorie in diesem umzudeuten. Solange sich jedoch noch keine sozialen und damit auch sprachlichen Praktiken des Umgangs mit geschlechtlich diversen Menschen etabliert haben, scheint eine »Wiedereingliederung« (reincorporation, Turner 1969) in ein bestehendes gesellschaftliches Klassifikationssystem schwer denkbar. Wie eng Sprache mit dieser Frage nach Klassifikation, Kategorisierung und liminaler Positionierung verknüpft ist, wird im folgenden Abschnitt deutlich.

4 Transdifferente, liminale Geschlechter in der Sprache

Die Frage danach, wie sich der Ausdruck nichtbinärer Geschlechtsidentitäten sprachlich niederschlägt, berührt mehrere linguistische Ebenen: Zum einen schließt das Thema direkt an die im öffentlichen Diskurs hitzig geführte Debatte um den Zusammenhang von grammatischem und außersprachlichem Geschlecht an. Gehen wir davon aus, dass dieser Zusammenhang besteht – was empirisch durch vielfältige Studien längst belegt ist (z.B. Braun et al. 1998; Gygax et al. 2008; Vervecken/Hannover/Walter 2013) – muss eine Antwort auf die Frage gefunden werden, wie in einem Genussystem, in dem Maskulina mit männlichen und Feminina mit weiblichen Personen assoziiert werden, Neutra allerdings vorrangig auf unbelebte Objekte und Stoffbezeichnungen referieren (vgl. Köpcke/Zubin 1996), Raum geschaffen werden kann für Personen, die weder Mann noch Frau, ganz sicher allerdings auch keine unbelebten Objekte sind. Diese Problematik findet sich auch im deutschen Personennamensystem, das traditionell strikt zwischen Frauen- und Männernamen unterscheidet und nur wenige geschlechtsneutrale Vornamen kennt (vgl. Schmidt-Jüngst 2013; Schmuck 2019). Diesen Aspekten widmet sich Abschnitt 4.1. Zum anderen stellt sich hinsichtlich des Sprachgebrauchs die Frage, welche Strategien von Personen außerhalb der binären Zweigeschlechtlichkeit genutzt werden, um sich sprachlich zu verorten, wenn ihre Positionierung weder im Sprach- noch im Gesellschaftssystem vorgesehen ist. Dabei ist aus theoretischer Perspektive insbesondere von Interesse, inwiefern durch sprachliche Praktiken der Veruneindeutigung der liminale, transdifferente Status des ›Außerhalb‹ verstärkt (Abschnitt 4.2) oder ob und in welcher Form der Versuch der (Wieder)Eingliederung in das bestehende Ordnungssystem unternommen wird (4.3).

4.1 Geschlecht im deutschen Sprachsystem: Maskulinum, Femininum, Neutrum, Divers?

Das Sprachsystem des Deutschen verfügt über drei Genera: Maskulinum, Femininum und Neutrum. Dieses sprachliche System bildet die gesellschaftliche Ordnungslogik von Geschlecht verblüffend deutlich ab: Bezeichnungen für weibliche Personen sind fast ausschließlich Feminina, solche für männliche Personen mit ähnlicher Treffsicherheit Maskulina. Die Verwendung des Neutrums für Personenbezeichnungen ist selten: Neutra bezeichnen hier vorrangig sozial »unfertige«, junge Personen (das Baby, das Neugeborene, das Kind, das Mädchen). Stehen Bezeichnungen für erwachsene Personen – auffälligerweise stets Frauen – im Neutrum, so hat dies nahezu ausnahmslos eine negative sozial-evaluative bzw. sexualisierende Funktion, z.B. das Luder, das Weib, das Frauenzimmer, das Weibsbild, das Pin-Up (ausführlich hierzu Nübling/Lind 2021).

Darüber hinaus kommt es, gerade in abwertenden Social-Media-Kommentaren, immer wieder zur diskursiven »Neutralisierung« von unliebsamen, oft als zu machtvoll empfundenen Frauen sowie von gendernonkonformen transgeschlechtlichen und nichtbinären Personen. Diese »Neutralisierung« erfolgt regelmäßig über die Nutzung des neutralen Definitartikels vor Personennamen (z.B. das Merkel in Referenz auf Angela Merkel, das Rackete referierend auf Carola RacketeFootnote 3) oder Personalpronomina im Neutrum (z.B. Bespuckt ES, Schlagt ES in einem Hassbrief an eine Transfrau, vgl. Lind/Nübling [2022a]). In diesen Ausführungen wird deutlich, dass das Neutrum als sprachsystemimmanente Alternative zu den binärgeschlechtlich verstandenen Genera Maskulinum und Femininum aufgrund seiner devaluativen, dehumanisierenden Semantik wenig Potenzial hat, als unmarkierte Option von nichtbinären Personen genutzt zu werden. Das bedeutet nicht, dass die Verwendung neutraler Pronomina von nichtbinären Personen nicht vorkommt (vgl z.B. folgendes Zitat einer nichtbinären Person in Schmidt-Jüngst 2020, S. 228: »In der deutschen Sprache gibt es 3 Pronomen er, sie und es. Mein Pronomen ist es«); ganz überwiegend wird neutrale Referenz aufgrund der negativen Semantik des Neutrums jedoch abgelehnt (vgl. z.B. das Zitat »Das Neutrum ist keine Alternative, weil es Persönlichkeit negiert« in Schmidt-Jüngst 2020, S. 228).

Ebenso ist ein Ausweichen auf das Personalpronomen der 3. Person Plural, wie es sich etwa im Englischen mit they/them durchgesetzt hat, aufgrund der Homonymie mit dem femininen Singular-Pronomen für die geschlechtsneutrale Referenz nicht umsetzbar. Hierin zeigt sich, dass sich der liminale, transdifferente Status, den nichtbinäre Personen einnehmen, nicht nur im Gesellschaftssystem, sondern auch im Sprachsystem des Deutschen manifestiert: Sie sind in diesem Kategoriensystem nicht vorgesehen, sodass sie sich auch sprachlich außerhalb der bestehenden Ordnung neu definieren müssen.

Dies gilt nicht nur für den Bereich der Grammatik, sondern ebenso für das deutsche Namensystem. Dieses ist traditionell strikt zweigeschlechtlich ausgelegt mit jeweils umfangreichen Inventaren an Frauen- und Männernamen, die auch als solche kenntlich sein müssen (z.B. Schmidt-Jüngst 2013). Erst seit 2008 besteht die Möglichkeit, auch geschlechtsneutrale Rufnamen als alleinige Vornamen zu tragen – bis dahin war es bei solchen Namen nötig, einen geschlechtseindeutigen weiteren Vornamen eintragen zu lassen. Schmuck (2019) weist allerdings darauf hin, dass der Eintrag nicht-geschlechtseindeutiger Vornamen nach wie vor regelmäßig von Standesbeamt*innen abgelehnt wird und erst der Widerspruch gegen diese Entscheidung auf nächsthöherer Ebene zum Erfolg führt. Somit ist der onymische Ausweg aus der strikten Zweigeschlechtlichkeit des deutschen Nameninventars mit hohem Aufwand verbunden. Zudem gibt es, wie bereits erwähnt, insgesamt nur relativ wenige etablierte Unisexnamen in Deutschland; von diesen wiederum haben die meisten eine dominante vergeschlechtlichte »Schlagseite« (so wird z.B. der Unisexname Kim überwiegend an weibliche Kinder vergeben, der Name Sascha dagegen primär an Jungen) und können somit nur bedingt als tatsächlich frei von Geschlechtsinformation angesehen werden (vgl. Schmuck 2019).

Ebenso wie das grammatische Genussystem lässt also auch das Namensystem eine geschlechtsindifferente bzw. ungegenderte Positionierung kaum zu. So sind Menschen, die sich nicht innerhalb der binären Zweigeschlechtlichkeit verorten, gezwungen, sich auch sprachlich außerhalb etablierter Formen zu verorten, wenn sie ihr Geschlecht zum Ausdruck bringen wollen. Hierzu werden vielfältige Strategien der geschlechtlichen Veruneindeutigung praktiziert, die im folgenden Abschnitt näher betrachtet werden.

4.2 Widerständige Sprachpraktiken der Veruneindeutigung

Während die feministischen Bestrebungen um geschlechtergerechte Sprache im 20. Jh. vorrangig auf die sprachliche Sichtbarmachung von Frauen abzielten, geht es seit Beginn des 21. Jh. zunehmend auch darum, wie die Schreibung von Personenbezeichnungen so angepasst werden kann, dass mit diesen auch diejenigen Personen eingeschlossen werden, die weder weiblich noch männlich sind (vgl. Wetschanow 2017). Der erste Vorschlag mit diesem Ziel wurde von Herrmann (2003) unterbreitet, wobei der Gender-Gap (Autor_innen) als Mittel des Widerstands gegen die binäre Ordnungslogik hegemonialer Zweigeschlechtlichkeit vorgeschlagen wurde: »Zwischen die Grenzen einer rigiden Geschlechterordnung gesetzt, ist er [der Gender-Gap, Anmerkung ML] die Verräumlichung des Unsichtbaren, die permanente Möglichkeit des Unmöglichen« (Herrmann 2003, o. S.).

Obwohl diese Schreibung mit Gender-Gap anfangs sicherlich primär in feministischen und queeren Kontexten genutzt wurde, nahm ihre Verwendung im nächsten Jahrzehnt zu und fand neue Variationen. So regte z.B. Lann Hornscheidt zur Verwendung eines sogenannten dynamischen Unterstrichs an, der nicht nur an der Morphemgrenze zwischen der maskulinen Grundform der Personenbezeichnung und dem femininen Movierungssuffix, sondern überall im Wort stehen kann, um so den Rückbezug auf Zweigeschlechtlichkeit durch seine Positionierung aufzulösen, also z.B. Ak_tivistin statt Aktivist_in (vgl. Hornscheidt 2012). Die Irritation, die diese Schreibweisen bei Menschen auslöst, die mit diesen nicht vertraut sind, ist durchaus gewollt, um damit einen Reflektionsprozess anzuregen. Daneben hat sich im letzten Jahrzehnt zunehmend die Verwendung des sogenannten Gendersterns (Aktivist*in) durchgesetzt, auch wenn dieser gerade in rechtskonservativen Kreisen vehement abgelehnt und zum Sinnbild einer »gefährlichen« Ideologie stilisiert wird (vgl. hierzu ausführlicher Lobin 2021; Lind/Nübling 2022b). Die Nutzung des Gendersterns setzt sich zunehmend auch in der Verwaltungssprache als Form geschlechtergerechter Sprache durch, die auch genderdiverse, nichtbinäre Personen einschließt, nachdem dies 2019 mit großem Medienecho von der Stadt Hannover eingeführt wurde. Eine psycholinguistische Pilotstudie zur Wahrnehmung des Gendersterns bei Personenbezeichnungen im Singular gibt erste Hinweise, dass dieser tatsächlich als geschlechtsübergreifend für verschiedene und explizit auch nichtbinäre Geschlechter verstanden wird (vgl. Ferstl/Zacharski 2022). Dieses Ergebnis ist insbesondere auch deshalb wichtig, weil geschlechterinklusive Sonderzeichen fast immer im Plural verwendet werden und mit dieser Studie gezeigt werden konnte, dass sich die Verwendung im Singular tatsächlich zur Evozierung nichtbinären Geschlechts zu eignen scheint.

Die Vielzahl an vorgeschlagenen Varianten zur Sichtbarmachung nichtbinärer Geschlechter zeigt das Ringen um die sprachliche Repräsentation von Positionierungen außerhalb eines Systems, dessen binäre Ordnungslogik so tief in die Sprache eingelassen ist, dass eine Erweiterung zu einer tertiären Struktur kaum möglich scheint. In einer Umfrage zu Verwendung und Wahrnehmung geschlechtergerechter Sprache von nichtbinären Menschen zeigt Löhr (2022), dass sich nichtbinäre Menschen ihre sprachliche Berücksichtigung insbesondere durch die vermehrte Verwendung genuin geschlechtsneutraler Formulierungen wünschen. Es werden also sprachliche Realisierungen präferiert, die Geschlecht irrelevant setzen, z.B. Lehrkraft oder Person mit Expertise anstelle von solchen Ausdrücken, die Geschlecht besonders salient markieren, wie etwa Lehrer*in oder Expert*in. Ist die Verwendung genderisierter Begriffe nicht vermeidbar, wird der Genderstern gegenüber anderen Formen der Markierung von Geschlecht präferiert; am stärksten abgelehnt wird – wenig überraschend – die sprachliche Reifizierung von Zweigeschlechtlichkeit durch Paarformen (Bürgerinnen und Bürger) und verwandten Ausdrücken (vgl. Löhr 2022).

Im substantivischen Bereich ist die Personenreferenz ohne Explizierung von Geschlecht, wie eben gezeigt, inzwischen also durchaus möglich. Deutlich schwieriger gestaltet sich dies im pronominalen Bereich, da der vergeschlechtlichte Bezug auf dritte Personen im Singular im etablierten Sprachsystem weitgehend alternativlos ist. Die Verwendung des Neutrums ist, wie in Abschnitt 4.1 besprochen, keine akzeptable Option. Daher ist es naheliegend, dass gerade innerhalb nichtbinärer Communities diverse Alternativen ausprobiert werden, um der pronominalen Geschlechtsbinarität zu entkommen. Die wohl unauffälligste Variante, die am ehesten der Verwendung geschlechtsneutraler Bezeichnungen im substantivischen Bereich entspricht, ist der vollständige Verzicht auf Personalpronomen der dritten Person. In Situationen, in denen sonst gemeinhin mit einem vergeschlechtlichten Pronomen verwiesen wird (z.B. Da hinten steht Kim. Kannst du ihm/ihr ein Glas bringen?) wird der Name wiederholt (z.B. Da hinten steht Kim. Kannst du Kim ein Glas bringen?). Dies kann gelegentlich ungewohnt klingen und unter Umständen Verwirrung erzeugen: In einem Satz wie Kannst du Kim bitte Kims Tasche bringen? bliebe unklar, ob es sich um zwei verschiedene Kims handelt oder nicht, während der gleiche Satz mit Personalpronomen eindeutiger wäre: Kannst du Kim seine/ihre Tasche bringen? Nichtsdestotrotz dürfte es sich bei derartigen Formulierungen um die unauffälligste Möglichkeit handeln, den Geschlechtsausdruck in Pronomen zu vermeiden.

Daneben besteht eine große Bandbreite sogenannter Neopronomen, die die pronominale Referenz außerhalb von Zweigeschlechtlichkeit ermöglichen sollen; das Nichtbinär-Wiki (2022) bietet eine umfassende Übersicht. Auch der Blog von Illi Anna Heger (o.J.) gibt seit Jahren ausführliche Informationen über nichtbinäre Personalpronomen sowohl hinsichtlich ihrer Entwicklung als auch ihrer Verwendung. Unter den vielen Alternativen besonders hervorzuheben ist das vorgeschlagene Pronomen sier, das eine Kontraktion aus sie und er darstellt und somit vermutlich am anschlussfähigsten ist zum bereits bestehenden Pronominalsystem. Nichtsdestotrotz stellt das Deutsche hier durch seine Kasusflexion andere Herausforderungen als das Englische oder Schwedische, wo jeweils nur zwei (Engl. they/them) oder sogar nur eine Form (Schwed. hen) memoriert werden müssen. Für sier wird von Heger (2009) das Flexionsparadigma sier/sies/siem/sien vorgeschlagen, als demonstratives Korrelat dier/dies/diem/dien. Alternativ hierzu wurden auch Pronominalformen mit x vorgeschlagen (xier usw.), die jedoch ähnlich wie das geschlechtsneutrale Suffix -x für Personenbezeichnungen allein wegen des im Deutschen – insbesondere im Anlaut – unüblichen x auf größeren Widerstand außerhalb queerer Communities stoßen dürften. Weitere Vorschläge umfassen z.B. die Entlehnung des schw. hen oder des engl. they, letzteres auch mit möglicher Assimilation an deutsche Aussprache zu dey oder dej, was zunehmende Beliebtheit zu erlangen scheint (vgl. Roeb 2022). Es mangelt also nicht an Vorschlägen, wie ein geschlechtsneutrales Pronomen der dritten Person aussehen könnte.

Die tatsächliche Verwendung ist allerdings eine ganz andere Frage, bei der die Schwierigkeit, die eigene transdifferente Nichtpassung in das bestehende System sichtbar zu machen, besonders deutlich zutage tritt. Dass Neopronomen im Deutschen als zu umständlich und dadurch potenziell stigmatisiert empfunden werden, wird vielfach in meiner Studie zum Namenwechsel transgeschlechtlicher Menschen (vgl. Schmidt-Jüngst 2020) deutlich, in der auch der eigene Gebrauch von Personalpronomina der dritten Person von nichtbinären Personen reflektiert wird und aus der im Folgenden O‑Töne nichtbinärer Personen zitiert werden. So sagt etwa die agender Person R. in der Onlinebefragung, die Teil der Studie war: »Im Englischen verwende ich they für mich, also online, und das habe ich durchgesetzt. Ich weiß, dass es auch xier als neutrales deutsches Pronomen gibt, aber es ist mir zu kompliziert (Grammatik!)«. Eine andere nichtbinäre Person, Fox, erläutert im Interview, dass sie die Kombination von er und sie für am praktikabelsten hält:

Pronomen ist, finde ich, eine ganz, ganz schwierige Geschichte in der deutschen Sprache. Ich habe am Anfang immer sie benutzt oder gesagt, dass sie in Ordnung ist. Ist es auch immer noch, aber mittlerweile sage ich meistens dazu, dass ich es gut finde, wenn man entweder direkt er-sie, also quasi mit Bindestrich dazwischen, oder Schrägstrich oder sowas [benutzt], um sozusagen das nicht so festzulegen.

Im weiteren Gesprächsverlauf erklärt diese Person, dass diese Verwendung primär deshalb präferiert wird, weil alternative Pronomen zu umständlich sind:

Also wenn ich mich wegen meines Vornamens erklären muss, das finde ich schon oft genug anstrengend, aber wenn ich dann auch noch sagen muss: ›Benutz bitte die Pronomen x und das wird so und so dekliniert.‹ Das, nee, das wäre mir viel zu anstrengend.

Gerade wenn die Markierung der eigenen transdifferenten Nichtpassung mit einem über reine Lexik hinausgehenden Eingriff in das Sprachsystem verbunden ist, scheinen die – emotionalen, interaktionalen – Kosten den persönlichen Nutzen – in der eigenen Geschlechtsidentität sprachlich bestätigt zu werden – zu übersteigen.

Im letzten Zitat wird außerdem deutlich, dass die Verhandlung pronominaler Geschlechtlichkeit interagiert mit dem Umgang mit der Geschlechtsgeladenheit von Vornamen. Für nichtbinäre Personen bietet das etablierte deutsche Namensystem nur wenige Möglichkeiten, ihre Positionierung außerhalb von Zweigeschlechtlichkeit auszudrücken. Zu diesen Möglichkeiten zählen insbesondere Kurzformen von Namen, die sowohl weibliche als auch männliche Langformen haben (z.B. Alex und Sascha zu Alexandra und Alexander, Toni zu Anton und Antonia) sowie fremdsprachige Namen (Robin, Luca, Nikola, Nikita), bei denen häufig in der Ausgangssprache eine dominante Geschlechtsdeutung vorliegt, die phonologische Struktur, insbesondere der Auslaut auf -a, jedoch im Deutschen eine andersgeschlechtliche Interpretation nahelegt. Da das traditionelle Nameninventar geschlechtsneutrale Namen nur in geringem Umfang vorsieht, wählen nichtbinäre Personen regelmäßig alternative Benennungsstrategien, die ihnen die Markierung ihres Geschlechts erlauben. Eine dieser Strategien ist die Wahl einzelner Buchstaben oder eines Buchstabierakronyms, die sich z.B. aus früher genutzten Namen ableiten können. So erklärt z.B. eine Person ihren Namen folgendermaßen: »T ist einfach nur ein Buchstabe, also überhaupt schon mal ein queerer Name«, eine andere Person, die diese Strategie nutzt, erklärt ganz ähnlich: »Ein Kürzel ist absolut geschlechtsfrei. Zudem haben die einzelnen Buchstaben ihre jeweilige Bedeutung als Anfangsbuchstaben ehemals genutzter Namen.« Ebenso vermeidet die Wahl von Appellativen als Vornamen die Geschlechtsinformation, wobei hier im Deutschen selbstverständlich auch das Genussystem Einfluss üben kann. Im Englischen, das aufgrund seiner Genuslosigkeit kein solches Problem hat, ist die Nutzung von Appellativen als nichtbinäre Vornamen so üblich, dass diese innerhalb queerer Online-Communities schon beinahe zu einer Art Running Gag geworden sind (vgl. z.B. Reddit- Kommentare wie »Nonbinary names usually fall into three categories. Cis sounding gender neutral names like Riley or Alex, Any three letters like Kai or Ash. Or names that are just any noun, one time I had a friend named Wheelhouse« von User Various_Kangaroo6501 [vgl. Reddit 2021]). Eine Person, die an der o.g. Studie teilgenommen hat und die ein Appellativ als Vornamen trägt, hat diesen Namen ursprünglich eher durch Verortung in einer Subkultur vom Umfeld erhalten und weniger um der Geschlechtsneutralität willen. Diese Person sagt dazu:

Also es [der Name] hat dann auch gut gepasst, weil es eben relativ geschlechtsneutral ist oder Leute da erstmal jetzt nicht irgendwie wissen, ob das männlich oder weiblich ist.

Bei derartigen Namen besteht allerdings stets die Problematik, dass ihre ›Echtheit‹ angezweifelt wird. So berichtet die eben zitierte Person von regelmäßigen Kommentaren wie »Aha, das ist aber ein interessanter Phantasiename«, und auch die nichtbinäre Person Fox sagt, dass regelmäßig Rückfragen danach erlebt werden, ob dieser Name denn auch wirklich im Ausweis stünde. Wegen derartiger Kommentare und der permanenten Markierung der Nichtpassung in das traditionelle Namen- und Geschlechtersystem kommt es auch dazu, dass solche auffälligen Namen zugunsten weniger markierter Namen aufgegeben werden. Nichtbinäre Personen stehen also bei ihrer Namenwahl vor der Entscheidung, einen ihrer Geschlechtsidentität entsprechenden Namen zu wählen, der Geschlecht im Sinne von Zweigeschlechtlichkeit veruneindeutigt, und dadurch ihre Nichtpassung in das bestehende System sichtbar zu machen, oder aber sich für einen dem traditionellen Inventar entsprechenden Namen zu entscheiden, der dann allerdings regelmäßig zu Misgendering führen kann.

4.3 Zwischen neologistischer Kreativität und sprachlicher Unsichtbarkeit

Im vorangegangenen Abschnitt wurde deutlich, dass inzwischen zwar eine Vielzahl sprachlicher Möglichkeiten besteht, Geschlecht jenseits der Binarität auszudrücken, dies jedoch stets mit Auffälligkeit und sichtbarer Markierung des eigenen liminalen Status einhergeht. Positionen außerhalb männlicher und weiblicher Geschlechtskategorien sind also auch sprachlich »betwixt and between the positions assigned and arrayed by law, custom, convention, and ceremonial« (Turner 1969, S. 95). Um diese Positionen zu versprachlichen, bedarf es kreativer Neubezeichnungen, die durch die Verwendung neutraler Umschreibungen und von Sonderzeichen (im Fall von Personenbezeichnungen), durch Neologismen und fremdsprachliche Übernahmen (im Fall von Personalpronomen der dritten Person) sowie durch die Entlehnung aus anderen Wortklassen und Sprachen (im Fall der Vornamen) geschaffen werden. Wie auch Breinig und Lösch im Kontext der Transdifferenz anmerken, wirkt

das Reklamieren einer transdifferenten Positionalität [...] in anderen sozialen Milieus vermutlich als eine Unterbrechung der Anschlussfähigkeit an die Kommunikation und damit als Barriere oder Schranke [...], die von sozialer Anerkennung ausschließt (Breinig/Lösch 2010, S. 52).

Eben dies wird in solchen Kommentaren und Anmerkungen deutlich, die darauf hinweisen, wie anstrengend die Behauptung einer sprachlichen Identität ist, die nicht durch Gesetze bzw. dem Namen entsprechende Ausweisdokumente, Gebräuche und Konventionen institutionalisiert ist. So sagt eine Person im Interview der o.g. Studie (Schmidt-Jüngst 2020): »Also ich hab zum Beispiel meinen alten Freunden die Möglichkeit gelassen, dass sie mich weiterhin [alter Name] nennen können, wenn es für sie zu schwer ist, sich umzugewöhnen.« Das eigene Unbehagen mit dem falschen Namen wird in Kauf genommen, um dem Umfeld die permanente Konfrontation mit der unbequemen Transdifferenz zu ersparen, wenn diese als zu schwierig empfunden wird. Die oben zitierte Person, die einen appellativischen Namen trug, hat diesen zugunsten eines stärker etablierten geschlechtsneutralen Namens aufgegeben, der ihr die permanente Befragung und Kommentierung der Benennung und damit auch ihres Geschlechts erspart. Auch der Großteil der in Schmidt-Jüngst (2020, S. 166 f.) befragten nichtbinären Personen trägt einen binären Vornamen und nutzt binäre Pronomen. Dies kann neben der alltäglichen Auffälligkeit beim Namen auch damit begründet sein, dass geschlechtsneutrale Namen nach wie vor nicht vollständig anerkannt sind und so geschlechtseindeutige Namen gewählt werden, um ein Verfahren nach Transsexuellengesetz erfolgreich durchlaufen zu können. Bei den Pronomen wird regelmäßig mit Verweis darauf, dass Neopronomen zu umständlich und kompliziert seien, die falschgeschlechtliche Pronominalisierung mit den etablierten Pronomen er bzw. sie akzeptiert, was eine Person pointiert zusammenfasst: »Mein Umfeld kann nicht ungeschlechtlich denken und oftmals ist dies mühsam und ermüdend«.

5 Fazit

Lösch beschreibt, dass das »Denken der Transdifferenz« der Fähigkeit bedarf, »Ungewissheit, Zweifel und Unentscheidbarkeit auszuhalten, das Inkommensurable zu ertragen, ohne dem Drang nachzugeben, Transdifferenz in binäre Differenzen aufzulösen« (Lösch 2005, S. 28). Es scheint, dass es im Fall geschlechtlicher Veruneindeutigung in einem nichtbinären Raum nicht die eigene Positionalität ist, deren Unentscheidbarkeit nicht auszuhalten ist, sondern die sprachliche Behauptung einer solchen Position regelmäßig an der fehlenden Fähigkeit des Umfelds scheitert, das geschlechtlich Inkommensurable zu ertragen. Solange die juristische Realität von mehr als zwei Geschlechtskategorien nicht durch positive sprachliche Vereindeutigung besetzt wird, scheint die geschlechtliche Ambiguität und Vagheit, die sich im Nebeneinander von sprachlichen Neologismen, Vermischungen und Entlehnungen ausdrückt, für Menschen, die sich in der traditionellen Zweigeschlechtlichkeit heimisch fühlen und sich wenig mit queerpolitischen Fragen auseinandersetzen, kaum anschlussfähig zu sein. Dies mag damit zu begründen sein, dass die sichtbare Ablehnung des traditionellen Ordnungssystems ›Geschlecht‹ für die Personen, für die es nach wie vor Gültigkeit hat, als Bedrohung wahrgenommen wird, wie von Wilson im Kontext der Liminalität beschrieben:

The bodies that inhabit an anomalous space publicly have not achieved the status of a supposedly ›legitimate‹ gender position, the status being marked by its very ›ambiguity‹. It is this ambiguity which threatens and challenges gendered order, imbued with danger (Wilson 2002, S. 440).

Eben hier setzt auch regelmäßig konservativ ausgerichtete Sprachkritik an, die in der Versprachlichung liminaler Positionen außerhalb des etablierten sprachlichen Ordnungssystems eine Bedrohung eben dieses Systems sieht und es reflexhaft zu verteidigen sucht gegen einen vermeintlichen Feind, der jedoch in den seltensten Fällen den Einsturz dieses Systems, sondern vielmehr dessen Bereicherung um Neues zum Ziel hat. Es muss also gelten, transdifferente Positionen des geschlechtlich »Anderen« in einer Art sprachlich – und so auch gesellschaftlich – zu integrieren, dass der positive Selbstausdruck möglich ist, und gleichzeitig deutlich wird, dass das Erlernen einiger neuer Lexeme und ihres grammatischen Verhaltens keine Bedrohung für Sprache und Kultur darstellt.Footnote 4 Dies kann nur gelingen, indem wir neue Formen aktiv gebrauchen, ihre Sichtbarkeit erhöhen und so eine sprachliche Normalisierung des derzeit Liminalen fördern, das sich dadurch nicht in eine bestehende Ordnung auflöst, sondern diese um eine neue Kategorie bereichert.