1 Steuerungs- und Kontrollfantasien

Die Leistungsdimension »Transfer« steht seit einigen Jahren im Zentrum einer Redefinition der Aufgaben von Wissenschaft: Im Mai 2022 wurde sie z.B. im bayerischen »Hochschulinnovationsgesetz« als dritte »Dienstaufgabe« für Professor:innen neben Lehre und Forschung festgeschrieben (vgl. Bayerisches Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst 2022). In einem etymologisch ableitbaren Alltagsverständnis (lat. »transferre«) sprechen wir mittlerweile nicht nur vom Transfer von Kapital oder Fußballprofis, sondern auch von Wissensbeständen, die es ›hinüberzubringen‹ gilt. Weil sich dieses Alltagsverständnis hartnäckig hält, hat der Wissenschaftsrat (WR) in einem Positionspapier 2016 darauf hingewiesen, dass Transferleistungen im Wissenschaftssystem nicht an einem linearen Modell ausgerichtet werden sollten, sondern »bi- und multidirektionale«, »rekursive«, »wechselseitige« Interaktionen zwischen Wissenschaft einerseits und Gesellschaft, Kultur, Wirtschaft und Politik andererseits umfassen (Wissenschaftsrat 2016, 2021). Unter diese Interaktionen subsumiert das WR-Papier auch die Wissenschaftskommunikation, der es darum gehen müsse, »Interesse« an Wissenschaft sowie »Aufklärung« zu fördern, »Verständnis« zu erzeugen, zur »Bildung« beizutragen, »Orientierungswissen« bereitzustellen und Dialoge z.B. in Form von Agenda-Setting mitzugestalten (siehe Wissenschaftsrat 2016).

Abgesehen von der Einladung zum Dialog reproduziert der Wissenschaftsrat mit dieser Funktionsbeschreibung Vorverständnisse von Transfer, die das Positionspapier hinter sich zu lassen vorgibt – mit vielen der oben zitierten Formulierungen bestätigte man eine unidirektionale, asymmetrische und hierarchische Auffassung von Wissenschaftskommunikation, in der die ›sendende‹ Seite Ziele vorgibt, die die ›empfangende‹ Seite zu erreichen hat. Eine ähnliche Tendenz zeigt sich, wenn im öffentlichen Diskurs über Wissenschaftskommunikation geäußert wird, dass ein möglichst breites Publikum ›abgeholt‹ und ›mitgenommen‹ werden müsse. Die Verständigung über Wissenschaft wird somit immer noch gern als gelingender Transportverkehr imaginiert: Anschließend an Kommunikationsmodelle nach dem Vorbild technischer Informationsübermittlung gilt es, zu kommunizierende Einheiten zügig abzuliefern, ohne dass dabei die Absichten der Absender verloren gehen oder beschädigt werden. In Forschungsbeiträgen zu Wissenschaftskommunikation hat sich eine selektive Rezeption des auf Shannon und Weaver zurückgehenden Modells ebenfalls lange behauptet (vgl. Bauer 2016).Footnote 1 Mit der Kurzformel Public Understanding of Science (PUS) ging man davon aus, dass auch Laienpublika so kontrolliert von wissenschaftlichen Erkenntnissen überzeugt bzw. für diese begeistert werden können, dass Störungen z.B. in Form von kritischen Rückfragen möglichst nicht auftauchen.

Es haben sich allerdings auch alternative Modelle etabliert. So wurde das Akronym PUS gegen die neue (ebenso unglücklich benannte) Kurzformel PEST ausgetauscht, die für public engagement with science and technology steht. Im Einklang mit der auch in Deutschland erhobenen Forderung nach Beteiligung in der Wissenschaftskommunikation verspricht PEST Konzeptionen, die eine hierarchisch präfigurierte Beziehung zwischen Sender und Empfänger durch dynamische Relationierungen ersetzen, um der »Rezeption und ihren Freiheitsgraden« mehr Bedeutung einzuräumen (Bauer 2016, S. 26). Gleichzeitig ist aber noch eine Gemengelage zu beobachten, in der man den Dialog in Programmtexten groß schreibt, während die Umsetzung in Kommunikationskonzepten verhaftet bleibt, die der Tradition von technizistisch-instrumentellen »command and control«-Systemen verpflichtet sind (Bauer 2016, S. 25).

Wir stoßen somit in den aktuellen Debatten über Transfer und Wissenschaftskommunikation häufig auf Diskrepanzen zwischen Theorie und Praxis, Selbstbeschreibungen und Fremdbeschreibungen oder auch »talk« und »action« (vgl. Brunsson 2003). Ich möchte im Folgenden fragen, ob es sich im Sinne einer begriffsgeschichtlich informierten »Wissenssoziologie der Wissenschaftskommunikation«Footnote 2 lohnen kann, weitere Konzepte in die Diskussion einzuführen, um dem Ziel einer praxistauglichen Reflexion von häufig unbewusst reproduzierten normativen Prämissen und Modellen näher zu kommen. Ich werde dazu bei einer aktuellen Konjunktur von verräumlichenden Konzeptmetaphern ansetzen, mit denen Wissenschaftskommunikation als Aufgabe und Herausforderung thematisiert wird. So ist z.B. viel von ›hubs‹, ›labs‹ und ›incubators‹ die Rede:Footnote 3 Hier soll das in Elfenbein- und Leuchttürmen erzeugte Wissen so reformatiert werden, dass »Reallabore« entstehen können, in denen außerhalb der klassischen wissenschaftlichen Infrastrukturen und Architekturen ein neues Ideal von Koproduktion angestrebt wird.Footnote 4 Mit solchen neuen Orten verbinden sich Hoffnungen auf normativ aufgeladene und positiv konnotierte Grenzüberschreitungen durch Kontakte zwischen traditionell getrennten Sphären. Das gegenwärtig relevante Wissen, so heißt es dann, könne nur noch zwischen und jenseits von Disziplinen geschaffen werden; und es dürfe auch die Interessen und Fähigkeiten von Laien nicht mehr ausschließen, um innovative Fragestellungen und Themen zu entwickeln (vgl. BMBF 2022). Ob die gerade gepriesenen ›labs‹ und ›hubs‹ tatsächlich neue Räume für eine dialogische Verhandlung von Wissenschaft öffnen, lässt sich indessen erst beurteilen, wenn man die konzeptionellen Prämissen und Anschlussmöglichkeiten der aktuell kursierenden Schlagworte und Leitbegriffe prüft. Darüber hinaus sollten die aktuellen topoi und ihre Transferversprechen an den Orten gemessen werden, deren materielle und institutionelle Eigenlogiken die Interaktionen zwischen Wissenschaft und Gesellschaft mitbestimmen.

2 Travelling Concepts: Von Grenzstellen zu Kontaktszenen

Markus Görke und Alexander Rhomberg haben ebenfalls darauf hingewiesen, dass Modellierungen von Kommunikation als Transportverkehr eine »punktuelle, einförmige und statische Beziehung zwischen ungleichen« Teilnehmenden festschreiben (Görke und Rhomberg 2016, S. 45). Um nicht länger auf die »Reduktion eines vielschichtigen und komplexen Beziehungsgefüges« zu setzen, empfehlen die beiden Kommunikationsforscher, unser Verständnis von Wissenschaftskommunikation stärker gesellschaftstheoretisch zu fundieren. Damit handelt man sich zwar angesichts der nicht immer kompatiblen Voraussetzungen unterschiedlicher Gesellschaftstheorien, neue Konzeptualisierungsprobleme ein, könnte aber den Blick für die Pluralität von Perspektiven und Interessen schärfen, die auch die Wissenschaftskommunikation in modernen Gesellschaften prägen: Gerade angesichts gegenwärtig zu beobachtender Tendenzen von Wissenschaftsskepsis kann es nicht allein um die möglichst kontrollierbare Überzeugung von Laien, um die störungsfreie Erzeugung von Faszination und Begeisterung für Forschung bzw. die reibungslose Legitimierung von politischen Maßnahmen gehen, sondern um die Herstellung von Situationen, mit denen auch Gelegenheiten für Kritik und Kontroverse geschaffen werden. Bestandteil einer solchen kritischen Perspektive auf Wissenschaftskommunikation sollten bereits die Konzeptbegriffe sein, mit denen häufig normative Vorstellungen festgeschrieben werden, während sich gleichzeitig die Bedingungen der Vermittlung und Verhandlung von Wissenschaft verändern. Betrachtet man diese Begriffe im Sinne Mieke Bals als »travelling concepts« (Bal 2002), können sie historisch präziser eingesetzt werden und Übersetzungsmöglichkeiten zwischen unterschiedlichen disziplinären Traditionen und Theoriegeschichten schaffen.

Eine bereits eingeführte Perspektive auf Wissenschaftskommunikation ist differenzierungstheoretisch angelegt. So hat z.B. Simone Rödder darauf hingewiesen, dass sich in den letzten Jahren »Grenzstellen« ausdifferenziert haben, mit deren Hilfe die Kommunikation zwischen Wissenschafts- und Mediensystem gewährleistet werden kann (vgl. Rödder 2016). Den Begriff der Grenzstelle entlehnt Rödder einem Text Niklas Luhmanns, in dem dieser die Mitgliedsrollen einer Organisation in den Blick nimmt, mit denen Kontakte zu Mitgliedern anderer Systeme gepflegt werden können (vgl. hier auch Kieserling 2019, S. 367–370). Veronika Tacke hat diese Luhmann’schen »Grenzstellen« mit Blick auf ihre jeweiligen technisch-instrumentellen und institutionell-symbolischen »Grenzprobleme«, »Grenzfunktionen« und »Arrangements der Grenzziehung« typologisch ausdifferenziert (Tacke 2021). Rödder wiederum wendet das rollentheoretisch fundierte Konzept Luhmanns auf funktional spezifizierte Organisationseinheiten wie universitäre Pressestellen, Wissenschaftsredaktionen oder Science Media Centers an. In diesen vollzieht sich ein Grenzverkehr, in dem sowohl Anschlüsse hergestellt als auch »boundary work« (vgl. Gieryn 1983, 1999), also abgrenzende Identitätsarbeit verrichtet wird. Längst nicht immer explizit wird dabei mitverhandelt, was jeweils für das Wissenschaftssystem und seine verschiedenen Umwelten zumutbar ist, um den Regeln des eigenen Spiels genügen zu können.

Während Luhmanns Terminologie der Grenzstellen Schlüsselrollen der Interaktion an Systemgrenzen verräumlichend semantisiert, haben sich in jüngerer Zeit Akteur:innen innerhalb dieser Kontaktbereiche mit Hilfe von anderen Raum-Metaphern identifiziert. So wurde z.B. Homi Bhabhas Kategorie des »third space« aus den Postcolonial Studies entlehnt (Bhabha 2004), um Wissenschafts-Manager:innen angesichts von neuen Aufgabenbeschreibungen und Professionalisierungsdynamiken eine eigene funktionale Grenzposition zwischen Verwaltung und Forschung zu eröffnen (vgl. z.B. Carstensen 2015). Bhabhas postkoloniales Konzept eines dritten Raumes, das mit der utopischen Perspektive einer Auflösung von binären Strukturen und Machtbeziehungen spielt, hat sich innerhalb der hierarchisch strukturierten Funktionsgefüge des Wissenschaftssystems allerdings nicht durchgesetzt.Footnote 5 An diesem tentativen Import eines erfolgreichen Begriffs der politisierten Kulturtheorie der 1980er Jahre zeigt sich, an welche Grenzen wandernde Konzepte stoßen können: Das subversive Pathos vieler liminaler Leitmotive der Cultural und Postcolonial Studies verdankt sich einem theoretischen Repertoire, dessen machtkritische Ansprüche nicht reibungslos in ein Wissenschaftssystem übertragen werden konnten, das sich innerhalb der letzten drei Jahrzehnte auf funktionalistische Leitbegriffe im Zeichen strategischer Steuerbarkeit ausgerichtet hat.Footnote 6

Aus einer Perspektive analytischer Fremdbeschreibung könnte es sich aber lohnen, mit Mary Louise Pratts theoriegeschichtlich verwandtem Konzept der »contact zone« (Pratt 1991; Pratt 1992) zu versuchen, die Schauplätze von Wissenschaftskommunikation nicht voreilig zu harmonisieren bzw. zu funktionalisieren. Pratt sprach ursprünglich von ›Kontaktzonen‹, in denen sich unter Bedingungen von Kolonisierung multilinguale Handlungs- und Aushandlungsräume ergeben. Ihr Begriff wurde schnell zu einer Sammelbezeichnung für kulturelle Situationen, in denen Grenzen und Begrenzungen nicht festzuschreiben sind, sondern in Konstellationen von Kreolisierung und Hybridisierung verwickelt sind. Wie in Bhabas ›third space‹ kommt es auch in Pratts ›contact zone‹ zu Formen mimetischen Lernens, die bestehende Hierarchien hinterfragen. In beiden Fällen geht es um eine lokalisierende bzw. verräumlichende Beschreibung von Prozessen der Aushandlung, Übersetzung und Transkulturation, mit denen gerade nicht die Stabilisierbarkeit und Kontrollierbarkeit von Kommunikation vorausgesetzt wird (vgl. Holdenried 2017).

Überträgt man Pratts Begriff der Kontaktzone auf Wissenschaftskommunikation, ergeben sich Fragen, die auf der Grundlage instrumentell-informationstechnischer Modelle eher selten gestellt werden: Welche Asymmetrien und Machtbeziehungen sind auch in jenen Situationen zu finden, in denen auf Dialog, Engagement und Beteiligung gesetzt wird? Welche Ressourcen, Interessen und Ideologien sind im Spiel, wenn Wissenschaft außerhalb ihres eigenen Funktionssystems vermittelt werden soll? Was geschieht an den Systemgrenzen, wenn die meritokratisch begründete Autorität von Wissenschaftler:innen bezweifelt wird, weil sich Bürgerinnen und Bürger ermutigt fühlen, als ›citizen scientists‹ um epistemische Autorität zu konkurrieren? Welche Formen von Mimesis (als ermächtigende Appropriation) lassen sich in einer Gegenwart beobachten, in der, wie von Peter Weingart diagnostiziert, die Politisierung von Wissenschaft und die Verwissenschaftlichung von Politik voranschreiten, und das unter Bedingungen einer ebenso voranschreitenden Medialisierung von Politik wie von Wissenschaft? (vgl. Weingart 2005; Franzen/Rödder/Weingart 2012; Schäfer 2008).

Man muss nicht so weit gehen, normative Vorstellungen eines offenen Austauschs zwischen Wissenschaft und Gesellschaft zugunsten einer Hermeneutik des Verdachts zu verabschieden, mit der Wissenschaftskommunikation nur als Praxis einer vermachteten Mystifikation zu durchschauen ist. Das folgende Beispiel vermag aber zu veranschaulichen, wie Pratts Begriff der Kontaktzone dazu beitragen kann, unübersichtliche kommunikative Konstellationen zwischen Wissenschaft und anderen gesellschaftlichen Subsystemen genauer zu beschreiben. Als ein solchermaßen schwer einzuordnendes Kommunikationsereignis kann der ›Dialog‹ gelten, zu dem sich die Pandemie-Forscher:innen Michael Meyer-Hermann und Viola Priesemann, Repräsentanten von großen Forschungseinrichtungen und Johannes Boie, der Chefredakteur der BILD-Zeitung am 28. Januar 2022 trafen, nachdem die polemisch-personalisierte Berichterstattung über »die Lockdown-Macher« (vgl. Bild vom o.A. 2022) zu einer Stellungnahme der Allianz-Organisation der deutschen Wissenschaft sowie insgesamt 94 Beschwerden beim Deutschen Presserat geführt hatte. Es sei nicht hinzunehmen, so der Tenor der Interventionen, dass namhafte Wissenschaftler:innen mit Mitteln des Boulevard-Journalismus an einen politischen Pranger gestellt und damit für ihren kommunikativen Einsatz bestraft würden (vgl. Wissenschaftsrat 2021).

Bereits die Ankündigung des Gesprächs zwischen den Betroffenen und dem BILD-Chefredakteur rief unterschiedliche Reaktionen hervor. In der ZEIT sah Anna-Lena Scholz die Chance, »für Eigengesetzlichkeiten und Differenzierungen zu sensibilisieren«, während andere den Dialog-Versuch aufgrund seiner institutionellen Rahmung für unglaubwürdig hielten: Man hätte sich auf neutralem Terrain treffen müssen und der BILD-Zeitung nicht die Bühne für eine Inszenierung in eigener Sache überlassen dürfen (vgl. Metz 2022). Die Rezeption der versuchten Annäherung zwischen Wissenschaft und Boulevard-Journalismus belegt, wie Absichten und Effekte wissenschaftskommunikativer Ereignisse auseinanderfallen können. Reduziert man die Hamburger Veranstaltung auf die geäußerten Versuche, Verständnis für die andere Seite aufzubringen, scheint sich die Kontaktaufnahme gelohnt zu haben. Bei einer näheren Betrachtung der hier kreierten Kontaktzone ergeben sich indessen Nachfragen: Warum traf man sich innerhalb einer Event-Reihe der BILD-Zeitung, und warum war die Einladung im Design der Zeitung gehalten? Welche Kompromisse, nicht nur bei der Sitzordnung auf dem Podium, ist das Hamburger Blatt bei der gemeinsam ausgehandelten Form der Veranstaltung überhaupt eingegangen?Footnote 7 Diese Fragen zeigen, dass Kontaktzonen der Wissenschaftskommunikation physische Orte und diskursive Räume umfassen; bereits die Wahl der ›location‹ beeinflusst, mit welchen Mitteln Aufmerksamkeit gelenkt und in welchen Rahmen und Rahmungen Kommunikation eröffnet, aber auch kanalisiert wird.

Kontaktzonen ermöglichen soziale Interaktion in Form von Ereignissen und Begegnungen, welche die Kontaktbereiche wiederum verändern können. In manchen Fällen verstetigen und institutionalisieren sich, wie Birte Fähnrich beschrieben hat, auch Wissenschaftskommunikationsereignisse (vgl. Fähnrich 2017). In diesen Fällen lässt sich nicht nur von Kontaktzonen, sondern auch, im Sinne des Themenschwerpunktes dieses Heftes, von Kontaktszenen, sprechen: Wissenschaftskommunikation findet dann an ausgewählten Orten wiederholt und erkennbar statt; sie wird strategisch geplant und choreographiert so zur Aufführung gebracht, dass sich performative Routinen und narrative Skripte herausbilden können. Mit dem Begriff der Kontaktszene wird somit die räumliche Vorstellung der Kontaktzone um eine zeitliche Dimension ergänzt: In einer Szene kann sich z.B. Spannung durch die Temporalstruktur im Sinne eines timing aufbauen. Im Fall des ›Dialogs‹ zwischen der BILD-Zeitung und Vertreter:innen der Wissenschaft waren Elemente einer solchen szenischen Anordnung eines minutiös geplanten Kontaktereignisses zwischen Wissenschafts- und Mediensystem zu erkennen. Von einer verstetigten und damit institutionalisierbaren Inszenierung ließe sich indessen erst sprechen, wenn der Springer Verlag sich entschlösse, ähnlich erkennbar in wissenschaftspolitische und Wissenschaft vermittelnde Veranstaltungen zu investieren wie es beispielsweise die ZEIT praktiziert (ZEIT 2022).

3 Durchbruch als Vergemeinschaftungsritual: Falling Walls

Ein Beispiel für eine gut eingeführte wissenschaftskommunikative Kontaktszene bildet die Falling Walls-Konferenz, die (auch unterstützt von der ZEIT) seit 2009 jedes Jahr um den 9. November veranstaltet wird. In der Selbstbeschreibung der Veranstaltung tauchen die Leitmotive einer Wissenschaftskommunikation auf, mit der sich Information und Engagement möglichst dialogisch und inklusiv verbinden sollen:

»We create initiatives, innovative real-world spaces and novel digital platforms for future-paving scientific ideas worldwide by utilising a carefully curated blend of sharing information and experiences. We inspire by tapping the wonder and awe inherent in science and by building bridges between those who dedicate their lives to world-changing tasks. We facilitate discourse and cooperation among the global avant-garde of researchers, decision-makers, thinkers, artists, and emerging talents. We believe in the value of dialogue beyond borders, building alliances for a more open, peaceful and sustainable world to live in. Therefore, we enable scientists to share their knowledge with an audience as wide as possible, generating socially and geographically inclusive thinking and impact« (Falling Walls Foundation 2022b: The Foundation).

Falling Walls wird von einer gemeinnützigen Stiftung getragen und organisiert, deren Gründer, Sebastian Turner und Jürgen Mlynek, im Jahr 2016 die Berliner Science Week hinzufügten, um möglichst viele populäre Formate der Wissenschaftsvermittlung innerhalb von 10 Tagen unter einer Dachmarke bündeln zu können. Mit dieser Ausweitung wurde ein Festival geschaffen, das zur Bewerbung der Berliner Forschungslandschaft genutzt wird und in den Pandemie-Jahren mit großem Aufwand digital angepasst wurde:

»When people think of research, science and innovation, a festival is not the first thing that comes to mind. That’s why we founded Berlin Science Week! Only if we constantly look beyond our own horizons and are prepared to engage in a transdisciplinary dialogue, can we face up to the great challenges. Research and its impact cannot stay hidden in the ivory tower – as the pandemic has clearly shown. However, science related formats don’t necessarily have to take place in a boring or aloof manner. From exhibitions to guided tours, impulse lectures or fish bowl formats, there are many possibilities to convey knowledge in a vibrant and entertaining way« (Falling Walls Foundation 2022a: Berlin Science Week).

Mit der Berlin Science Week transformiert sich die Falling Walls-Konferenz in ein Ereignis-Format, wie es sich in den Bereichen Musik, Film und Literatur schon seit längerem etabliert und ausdifferenziert hat. Wissenschafts-Festivals entwerfen spezifisch verfasste Kontaktszenen, mit denen soziale Interaktion initiiert und präfiguriert wird. Am Beispiel von Falling Walls lässt sich erkennen, wie einerseits Rahmungen und scripts für Markenbildung und Wiedererkennungseffekt sorgen: Das aufwändige branding im Zeichen der Farbe Rot soll Identifikation und Kontinuität stiften; angesagte Berliner ›locations‹ erlauben es, Stadt-Marketing und Faszinations-Management im Namen großer gesellschaftlicher Herausforderungen zu verbinden. Eine zentrale Rolle spielen bei Falling Walls die Präsentationstechniken des pitching und casting. Diese stark choreographierten Inszenierungsformen präsentieren Wissenschaft als spannungsvollen Wettbewerb vor einem möglichst großen Publikum und setzen dabei auf vertraute Elemente einer spektakularisierten Unterhaltung, wie z.B. dem großen Finale und der emotionalen Dankesrede.

Andererseits eröffnet ein Festival wie die Berlin Science Week auch offenere Diskursräume, deren Interaktionsangebote weniger reguliert sind. So erlaubt die Dachstruktur von Falling Walls z.B. runde Tische und Workshops, in denen für Akteure aus aller Welt Gelegenheiten geschaffen werden, um Diskussionen zu vertiefen und Kontakte zu knüpfen. Insgesamt hat die Diversität der Teilnehmenden über die letzten Jahre hinweg deutlich zugenommen, so dass die Hoffnung besteht, dass mit diesem Angebot zur Wissenschaftsvermittlung nicht allein Gästen aus privilegierten Kontexten diskursive Teilhabe ermöglicht wird. Gleichwohl bleibt zu fragen, welche Anforderungen die Dramaturgie an die Teilnehmenden stellt: Wer fühlt sich gerüstet für den performativ zugespitzten Auftritt auf großer Bühne; wer verfügt über die rhetorische Routine und (Selbst)darstellungskunst, die pitches und castings, oder auch science slams erfordern?

Das Beispiel von Falling Walls zeigt, wie regelmäßig aufgeführte Wissenschaftskommunikations-Events bei steigendem Personalaufwand nicht nur planbar und kontrollierbar, sondern auch wiedererkennbar, reproduzierbar und skalierbar werden. Dieses Vorgehen ermöglicht längerfristige ökonomische Partnerschaften ebenso wie die Herstellung eines nahezu rituellen Appeals, der einer expandierenden globalen Community Gemeinschaftserfahrungen verschafft. Die Falling Walls-Konferenz setzt indessen nicht nur auf die Vergemeinschaftungspotenziale des Festival-Formats, sondern bedient sich auch eines liminalen Leitmotivs, mit dem das zeitgeschichtliche Ereignis des Berliner Mauerfalls an die traditionelle Durchbruchs-Semantik vieler Selbstbeschreibungen von Wissenschaft angeschlossen werden kann. Mit diesem heroischen Repertoire wird schon seit langem proklamiert, dass Forschung Grenzen zu überwinden vermag, um unbekannte Territorien zu erschließen und Horizonte zu eröffnen. Während Konzepte wie z.B. Bhabhas ›third space‹ eingesetzt wurden, um die Raumsemantik kolonialer und imperialer Diskurse zu durchkreuzen, erfreut diese sich im Jargon wissenschaftlicher Durchbrüche einer robusten Kontinuität (vgl. Griem 2019 sowie Griem 2020). Mit der Falling Walls-Konferenz werden der Mauerfall und die Durchbruchs-Metaphorik wissenschaftlichen Entdeckungsdrangs als strukturverwandte Motive positiv konnotierter Transgression kombiniert. Dadurch ergibt sich die Möglichkeit einer marketingtechnisch einsetzbaren Narrativierung dieser Kontaktzone zwischen Wissenschaft und Gesellschaft: Man gewinnt nicht nur eine kontinuierlich ausbaufähige Inszenierung, sondern auch eine zeitgeschichtlich nobilitierte story, die jedes Jahr wieder mit alten und neuen Freunden variiert und für den Standort Berlin eingesetzt werden kann.

Gerade stark choreographierte Kontaktszenen der Wissenschaftskommunikation bieten effektive narrative Affordanzen, die sich durch die Praxis wie auch die Forschung zu Wissenschaftskommunikation zurückverfolgen lassen. So rekonstruiert Martin Bauer in seinem hilfreichen Abriss zur »Ideengeschichte der Wissenschaftskommunikation« Paul Caros »Mandala der WK« (Caro 1993, Caro 1994) als eine einflussreiche Quelle der Popularität von Storytelling-Ansätzen: Während sich in dieser Traditionslinie Campbells »Heldenreise« nach wie vor großer Beliebtheit erfreut, liefert auch Caro ein Struktur-Ensemble aus vielfältig kombinierbaren mythologischen Figuren und Modellen, mit denen sich Wissenschaft in Form von wiedererkennbaren Geschichten vermitteln lässt (Bauer 2016, S. 24). Bauer weist zudem darauf hin, wie sich aus einer forschungsgeschichtlichen Perspektive auf Wissenschaftskommunikation immer wieder Diskrepanzen bzw. Umstellungen zwischen inkompatiblen Kommunikationsmodellen und ihren Anwendungen ergeben haben: »Der Wechsel zwischen zyklischen Phasen der Mythenbildung (Iconodolance) und Mythendestruktion (Ikonoklasmus) trägt dabei wesentlich zur Instabilität von Leitvorstellungen und Praxis bei« (Bauer 2016, S. 25).

4 Erzählte Kontaktszenen

Auch in der literaturwissenschaftlichen Erzähltheorie finden sich Ansätze, mit denen Transgression als konstitutives Element eines Grundinventars von Narrativität behandelt wird. In stark abstrahierter Weise finden wir einen solchen Zugang z.B. in Jurij Lotmans Konzept des Sujet: Erzählen und Erzählungen werden hier ermöglicht und buchstäblich in Bewegung gesetzt, indem ein Protagonist Grenzen zwischen Teilwelten oder Systemen überschreitet – und tatsächlich sind ja viele tradierte Erzählmuster und -gattungen durch Aufbrüche und Ausbrüche, Durchbrüche und Gesetzesbrüche charakterisiert, mit denen sich auch Raumwahrnehmungen und -anordnungen verändern (vgl. Lotman 1972 sowie Frank/Lukas 2004).

So wird auch die Wissenschafts-Soap Opera Sturm des Wissens (vgl. Rostocks Netzwerk für Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Bildung 2022) für die ein Team der Universität Rostock im Wettbewerb »Stadt der Wissenschaft« ausgezeichnet wurde, von Gesten des Auf- und Ausbruchs angetrieben. Diese über fünf Folgen serialisierte Wissenschaftserzählung stellt eine junge Frau ins Zentrum, die ihr Vater gern als Hotelkauffrau sähe, obwohl ihre Leidenschaft der Physik gehört. Inspiriert von einem jungen Mann, der sich schnell als Physik-Tutor an der Universität entpuppt, nimmt die Heldin ihre Berufswahl in die eigene Hand. Mit Hilfe einer Serien-Dramaturgie, in der sich junge Liebe und das Schicksal von Robben schlüssig verflechten, entwickelt sich die Handlung zielgerichtet auf das Erzählziel der Mobilisierung von Abiturientinnen für die MINT-Fächer hin. Die Mensa und die WG-Küche fungieren in der Serie als erzählerisch und didaktisch instrumentalisierte Treffpunkte: Hier können sich ›first encounters‹ zur Physik anbahnen und vertiefen; hier kommen die Hauptfiguren immer wieder zusammen, um die Universität Rostock als ideale Drehscheibe zwischen Wissenschaft und Gesellschaft ebenso wie zwischen Grundlagenforschung und tatkräftiger Anwendung zu präsentieren.

Sturm des Wissens wurde damit, nach dem Vorbild der ARD-Telenovela Sturm der Liebe, nicht nur als populäre Wissenschaftskommunikation für eine offenbar als romantik-affin ausgemachte Zielgruppe junger Frauen konzipiert (vgl. auch ARD 2022), sondern auch als Vehikel der Standort-Werbung: Als Schauplätze der erzählten Reise der Heldin zur richtigen Studienfach-Wahl fungieren pittoreske locations zwischen Ostsee-Landschaften, historischen Stadtkulissen und moderner Hochschul-Architektur. Diese Kombination von storytelling und Stadt-Marketing weist Parallelen zur Falling Walls-Konferenz auf: In beiden Fällen einer popularisierenden Wissenschaftskommunikation stehen junge Frauen im Zentrum didaktischer Mobilisierung; in beiden Fällen wird mit performativ und narrativ choreographierten Inszenierungen dazu eingeladen, sich im Namen der Wissenschaft für gute Zwecke zu vergemeinschaften. Und schließlich fungieren vor allem die MINT-Fächer als Metonymien für einen Kollektiv-Singular von Wissenschaft, der Begeisterung und Engagement wecken soll.

Sowohl Falling Walls als auch Sturm des Wissens entwerfen die »Grenzstelle« zwischen Wissenschaft und Gesellschaft weniger als Kontaktzone denn als Kontaktbörse. Ähnliches gilt auch für die Serie mit dem französischen Titel La Science dans la cité, mit der der Kameruner Chemiker Stephane Kenmoe eigene Kurzgeschichten zu insgesamt 26 Episoden verarbeitet hat, in denen der Nutzen wissenschaftlicher Erkenntnis auf unterhaltsame Weise vermittelt werden soll (vgl. Allemand 2020). Der Schauplatz dieses weiteren Beispiels für eine didaktisch formatierte Wissenschaftskommunikation ist eine Kneipe, in der sich – ganz wie im populären Vorbild der Serie Friends – über einen längeren Zeitraum immer wieder alte Bekannte und neue Figuren treffen und in Verhandlungen verwickeln lassen können. Kenmoes Serie rearrangiert also die punktuell eingesetzten Begegnungsorte der Mensa und der WG-Küche in Sturm des Wissens als durchgehendes dramaturgisches Prinzip einer popularisierenden Diskursivierung: In den Kneipengesprächen können wissenschaftliche Themen erläutert, aber auch kontrovers diskutiert werden. Mit dem Gesamt-Konzept der Serie setzt Kenmoe auf eine Kombination aus offenen und geschlossenen Kommunikationssituationen, wie sie auch Wissenschafts-Festivals kennzeichnen. Innerhalb der Serie werden die Gesprächssituationen so gerahmt, dass die Wissenschaft gewinnt; zudem steht der Erfinder der Serie für weitere Formate zur Verfügung, mit denen Live-Veranstaltungen an verschiedenen Orten verbunden werden können. La science dans la cité greift somit generische Muster der westlichen Unterhaltungsindustrie auf und adaptiert diese für unterschiedliche afrikanische Kontexte. 2021 wurde der der in Deutschland als Chemiker tätige Kenmoe 2021 dafür mit einem Preis auf der Falling Walls-Konferenz ausgezeichnet.

Am Beispiel des erfolgreichen Netflix-Films Don’t Look Up (2021) lässt sich illustrieren, wie Wissenschaftserzählungen auf Kontaktzonen mit transgressiven Potenzialen zurückgreifen. Betrachtet man den gesamten Film, so ergibt sich das desillusionierende Bild eines Grenzverkehrs zwischen Wissenschaft und Gesellschaft, mit dem sich die Katastrophen-Kommunikation als Kommunikations-Katastrophe entpuppt (KWI 2022):Footnote 8 Alle Figuren, die die Rettung des Planeten vor dem nahenden Kometen-Einschlag mit Hilfe ihrer wissenschaftlichen Expertise und einer angemessenen medialen Performance ermöglichen sollten, werden in dieser grotesk zugespitzten Dystopie dem Untergang preisgegeben.

Befasst man sich mit der narrativen Mikrostruktur des Films, fallen innerhalb der bombastisch scheiternden Kontaktzone zwischen den Teilsystemen Wissenschaft, Medien und Politik einzelne Schlüssel-Episoden ins Auge, die sich als Kontaktszenen analysieren lassen. Drei dieser Episoden spielen eine besondere Rolle für die suspendierte Schlussbildung, denn der Film simuliert zwar auf den ersten Blick ein konventionelles Finale, ist aber mit dem Abspann noch nicht zu Ende. Im narrativen Korsett der überdeutlichen Medienkritik, die sich das Hollywood-Star-Vehikel Don’t Look Up mit großem Erfolg zu eigen gemacht hat, muss eine erste Schlüsselszene frei von zynischer Überbietung bleiben, damit sie kurz vor dem Untergang temporäre Entlastung schaffen kann. Sie liefert einen kommunikativen Kontrapunkt, den sie auch in ihrer Binnen-Inszenierung deutlich vom Rest der Film-Handlung absetzt. Kurz vor dem nahenden Ende versammeln sich der als Wissenschaftskommunikator gescheiterte Astrophysiker und seine in den sozialen Medien zerriebene Doktorandin mit ihren Familien und Freunden, um ein letztes Mal gemeinsam zu essen. Diese in düsteren Tönen gezeichnete Abendmahls-Szene beschwört über selbstgekochten GerichtenFootnote 9 Tugenden einer frugalen Vergemeinschaftung und wird religiös gerahmt, denn der Freund der Doktorandin, Sohn evangelikaler Eltern, leitet die Gemeinschaft im Angesicht des nahenden Kometen zum gemeinsamen Gebet an. Der Film eröffnet somit kurz vor dem Eintritt der Katastrophe nur noch eine mikrosoziale Konstellation mit schnellem Verfallsdatum, in der sich wissenschaftlich gebildete Menschen um einen Tisch versammeln und akzeptieren, was eine politisch gleichgeschaltete bzw. desinteressierte Öffentlichkeit bis zum Ende verleugnet.

Es folgen zwei Szenen, die aus der Tradition von Entdeckungs-Erzählungen stammen und in vielen Science-Fiction-Geschichten übernommen wurden: So wie z.B. mit der Pocahontas-Episode eine folgenreiche Begegnung zwischen einem weißen Kolonisator und einer indigenen Frau inszeniert wurde, kommt es in Varianten dieses Erzähl-Elements zu Begegnungen zwischen Menschen und Mars-Bewohnern, Menschen und Affen und anderen Tieren oder Menschen und noch völlig unbekannten Organismen oder Objekten. Diese ›first encounters‹ verdanken sich ebenfalls einer szenischen Anordnung: Sie markieren Überraschungsmomente und Wendepunkte; erzeugen nicht selten durch ihre Dramatisierung von Kollisionen zwischen Identität und Alterität eine affektive Mischung aus Faszination und Schrecken, ›awe‹ und ›wonder‹, wie sie Lorraine Daston als wichtiges Motiv auch in der Geschichte der Wissenschaftsvermittlung rekonstruiert hat (vgl. Daston 1998 sowie Greenblatt 1992).

In Don’t Look Up werden die gattungsbekannten ›first encounters‹ nun so gründlich ihrer Faszinationspotenziale beraubt, dass allenfalls Spurenelemente eines zynisch gewendeten Aufklärungswillens zurückbleiben. Im Zentrum der ersten dieser abgerüsteten Kontaktszenen steht die von Meryl Streep gespielte Präsidentin, eine Trump-Wiedergängerin im Bunde mit finsteren Tech-Baronen, die sich kurz vor dem Untergang mit einer kleinen Clique auf einen neuen Planeten absetzt. Der Film präsentiert hier die Möglichkeit eines Neubeginns als trügerisch ausgeleuchtete Parodie eines Paradies-Gartens, in dem zunächst putzig anmutende Saurier unterwegs sind. Weil die Präsidentin sich, unbekleidet wie ihre privilegierten mitreisenden Zukunfts-Visionäre, diesen Wesen auf unbedarfte Weise nähert, wird sie als erste von einem der nicht-menschlichen Bewohner einer doch nicht so schönen neuen Welt verspeist. Kontakt als überfallartige Einverleibung ohne weitere Umstände – weiter könnte sich, so hat es zunächst den Anschein, ein Film über Wissenschaftskommunikation im Anthropozän nicht von den idealistischen Prämissen inklusiver Dialogizität entfernen. Don’t Look Up treibt seinen Sarkasmus aber noch weiter: In der endgültig letzten Einstellung sehen wir den korrupten Sohn der Präsidentin in einer weiteren ›first encounter‹-Szene, die allerdings auf der zerstörten Erde angesiedelt ist, weil seine Mutter ihm keinen Zutritt zum Raumschiff des Milliardärs verschafft hatte. In dieser letzten Kontaktszene, also auch einem ›last encounter‹, kriecht die Inkarnation eines korrupten und dysfunktionalen politischen Systems wie eine Ratte aus den Trümmern hervor und fabriziert ein Selfie. Überlebt haben den Weltuntergang in Don’t Look Up somit allein jene solipsistischen Kontakte auf den sozialen Medien, die der Film von Beginn an für das Scheitern von Wissenschaftskommunikation verantwortlich macht.

5 ›Unsafe Spaces‹

Die gegenwärtige Thematisierung von Wissenschaftskommunikation geht mit Forderungen nach Institutionalisierung einher, die sich nicht nur in schematisierten Erzählformen artikulieren: Bildungs- und Forschungseinrichten sollen mit professionalisierten Einheiten ausgestattet werden; kommunikative Aktivitäten sollen durch reputationsförderliche Kriterien in der Forschungsförderung und Personalentwicklung verankert werden. Verbinden sich solche Tendenzen der Institutionalisierung mit einer Standardisierung von leicht zulieferbaren und skalierbaren Kommunikationsformen, kann dies Schließungseffekte erzeugen, die im Widerspruch zum programmatischen Bekenntnis zu Dialogizität und Partizipation stehen. Besonders leicht ergeben sich solche Schließungen durch instrumentelle Kommunikationsmodelle, wie sie in einem weiten Feld zwischen Wissenschafts-Marketing und Wissenschaftsdidaktik zum Einsatz kommen: Hier liegt es nahe, Kontaktszenen zwischen Wissenschaft und Gesellschaft so zu funktionalisieren, dass Erfolgsgeschichten zur Mobilisierung von Beachtung und Begeisterung als ›events‹ auf die Bühne gebracht und als ›stories‹ erzählt werden können.

Orte wie z.B. das Berliner Naturkundemuseum, das Humboldt-Forum oder das dem Bundesministerium für Bildung und Forschung eng verbundene Futurium bilden nicht allein neutrale Hintergründe oder Container für dieses instrumentelle Repertoire von Wissenschaftskommunikation. Sie fungieren in mehrerer Hinsicht, wie Thomas F. Gieryn gezeigt hat, als »truth spots«: An institutionalisierten Schauplätzen der Vermittlung von wissenschaftlichem Wissen überlagern sich Materialität und Imagination so nachhaltig, dass sich Wahrheitsansprüche sinnstiftend und traditionsbildend verorten (vgl. Gieryn 2018). Gieryn beginnt seine Reise zu ikonischen Schauplätzen eines wirkmächtigen ›make-believe‹ beim Orakel von Delphi und beendet sie im Ultra Clean Lab einer Geo-Chemikerin, die auf dem Campus der Bloomington University nach Spuren-Elementen von Nickel in Proben aus tiefen Erdschichten sucht. Diese spezialisierte Forschung hat einen spezifischen Ort hervorgebracht: In einem aufwändig abgeschotteten und bereinigten Laborraum kommen die Mitglieder einer Fach-Gemeinschaft zusammen, um unter Bedingungen einer strikt standardisierten Isolation von der Außenwelt experimentelle Erkenntnisse zu gewinnen. Gieryns Rekonstruktion der Praktiken und Selbstbeschreibungen im geo-chemischen Labor erhellt den Extremfall eines ›ortlosen Ortes‹, in dem wissenschaftliches Wissen Gültigkeit beanspruchen kann, weil es von seiner Umgebung abstrahiert: »Place achieves placelessness – this is a paradox, and there are four ways to make sense of it: disengagement, transparency, standardization, and portability (…). Each path provides a clue about how the ultra clean lab lends legitimacy to experimental claims born inside« (Gieryn 2018, S. 166).

Als spezifisch verfasster und institutionalisierter Ort wird das Ultra Clean Lab zu einem ›safe space‹ der Wissensproduktion, der sich möglichst weit von einer Kontaktzone im Sinne Pratts entfernt hat. Gieryn hebt hervor, dass die weitreichende Schließung dieses Ortes einen Ausnahmefall darstellt:

»Most ordinary places have porous edges, allowing things and people to pass in and out, sometimes in unpredictable or undesired ways – unless built specifically to prevent such movement. Most ordinary places are promiscuous assemblages of stuff, inherently dirty and unavoidably contaminated – unless built explicitly to filter out the unwanted« (Gieryn 2018, S.166 f.).

Auch Orte und Verortungen von Wissenschaftskommunikation lassen sich mit Blick auf ihre Durchlässigkeit zur Umgebung und damit auf ihre Störanfälligkeit bzw. ihr Potenzial beschreiben, Unvorhergesehenes zu ermöglichen. So illustriert eine Veranstaltung wie Falling Walls, was Helen F. Wilson als »paradox of ›organised‹ encounter« beschrieben hat: »How do you organise something that is fundamentally unpredictable?« (Wilson 2007, S. 616). Wilson ruft in Erinnerung, dass sich gerade die Hoffnung auf transformative Veränderung – z.B. im Zeichen der Leitmetapher von »falling walls« – auf die Unkontrollierbarkeit von Begegnungen stützt: Nur wenn diese sich nicht vorhersehbar entwickeln, kann die Erwartung aufrechterhalten werden, dass sich Beziehungen wie z.B. die zwischen wissenschaftlichen Expert:innen und Lai:innen so nachhaltig verändern wie es gegenwärtig in vielen Programmexten der Wissenschaftskommunikation gefordert wird. Zur Unvorhersehbarkeit von als transformativ aufgefassten Begegnungen gehören allerdings positive wie negative Überraschungen: »The transformational capacities of encounter, whilst filled with promise, should not necessarily be read as positive. If encounters have the capacity to destabilise then they also come with risk and vulnerability; they can be as violent as they can be nurturing« (Wilson 2007, S. 609). Genuine Veränderung ist somit nur um den Preis zu haben, dass soziale Interaktion gerade nicht von ihrem Risiko befreit wird, auch verstörende Irritationen zu erzeugen und Ängste, Animositäten und Zweifel ebenso freizusetzen wie Erkenntnisse, die zu neuen Verbindungen und Koalitionen führen.

Nimmt man die Wissenschaftskommunikation als Kontaktzone ernst, gilt es, Spielräume für die Risiken von Begegnungen offen zu halten. Je stärker die Unwägbarkeiten der Kontaktzone in organisierte Kontaktszenen überführt werden, desto vorhersehbarer werden ihre vermeintlichen Transformationsgewinne. Widersprüchliche Verhältnisse zwischen Offenheit und Geschlossenheit, Kontrolle und Störung ergeben sich auch mit dem Begriff des Ereignisses bzw.›event‹, der ebenfalls in der Forschung zu Wissenschaftskommunikation aufgegriffen wurde. Ähnlich wie die Begegnung (›encounter‹) bei Wilson steht das Ereignis im hier eröffneten Zusammenhang für unterschiedlich herleitbare und anschlussfähige Vorstellungen von Wissenschaftskommunikation als sozialer Interaktion. So wird mit der gemeinschaftsstiftenden Soziabilität im Namen einer transnationalen und transdisziplinären Wissenschaft, auf die z.B. Falling Walls als Event setzt, eher ausgeblendet, dass die Sozialität von Ereignissen auch unübersichtlichere Situationen hervorbringt. Als konstitutiv unzugänglich und damit auch als produktiven Störfaktor beschreiben dagegen französische Philosophen wie Lyotard, Deleuze, Levinas, Derrida und Badiou das Ereignis (vgl. Rölli 2004 sowie Zeillinger 2011). Im Resonanzraum dieser Theoriegeschichte haben sich Maja Horst und Mike Michael auf Isabelle Stengers Denkfigur des ›Idioten‹ berufen, um die Kontingenz-Potenziale von Ereignissen der Wissenschaftskommunikation im Spiel zu halten. Sie modellieren Kommunikation nicht als plan- und steuerbare ›dissemination‹ oder ›deliberation‹, sondern als ›emergence‹, (vgl. Horst/Michael 2011 sowie Stengers 2005) und setzen dabei auf ein Element konstitutiver Störbarkeit:

»… the idiot is the non-participant – an ever-present spectre who, by refusing the invitation to the event and not bothering to explain that refusal (…) makes us critically reflect on ›what we are busy doing‹ – indeed it ›suspends the habits that make us believe that we know what we know and who we are, that we hold the meaning of what makes us exist (…). The idiot is at once absent (it can’t be bothered to contribute meaningfully) and present (it hangs around on the sidelines). Its absence enables meanings to be transferred as usual, yet our awareness of its absence, or indeed our practical efforts to exclude it, render it present, and that presence is disruptive, perturbing the processes of communication (or order-making)« (Horst/Michael 2011, S. 287).

Mit dieser Vorstellung von ›Idiotie‹ radikalisieren Horst und Michael das wissenschaftsinterne epistemologische Motiv der serendipity und zielen auf eine breiter angelegte Dimension des Sozialen: Der ›Idiot‹ möchte nicht mitgenommen und abgeholt, begeistert und motiviert werden, sondern lungert herum und schneit vorbei; äußert Desinteresse oder Unlust; verbleibt jenseits der Schwelle oder taucht gar nicht erst auf. Er entzieht sich den didaktischen bzw. persuasiven Absichten instrumentell geprägter Wissenschaftskommunikation und könnte damit jene unerreichbaren bzw. ›störenden‹ Mitglieder des Publikums repräsentieren, an denen sich viele partizipativ angelegte Projekte abarbeiten – um dann häufig doch nur jene zu erreichen, die ohnehin schon eine Grund-Affinität zu Wissenschaft mitbringen.

Die Denkfigur des ›Idioten‹ (wie auch sein von Michel Serres eingeführter störungstheoretischer Verwandter des Parasiten) (Serres 1987) durchkreuzt zudem das heroische Repertoire institutionalisierter Wissenschaftskommunikation: »We thus aspire not only to stand on the shoulders of the giants of science communication, but also on the shoulders of its idiots« (Horst/Michael 2011, S. 288). Mit diesem Perspektivenwechsel lässt sich der Blick auch auf Orte von Wissenschaftskommunikation richten, die nicht vorrangig als Bühnen einer spektakulären Didaktik und institutionellen Selbstdarstellung errichtet wurden. Solche Orte sind, noch einmal mit Thomas Gieryn gesprochen, »inherently dirty and unavoidably contaminated« (Gieryn 2018, S. 166 f.) – sie laden die Öffentlichkeit nicht allein zur Feier von Erkenntnisdrang, wissenschaftlichen Durchbrüchen und ihrem sozialen Nutzen ein, sondern kreieren Anordnungen, in denen sich die Unübersichtlichkeit und Unsicherheit von Wissenschaft zeigen kann.

In einem Essay für The New Atlantis haben Andrea Saltelli und Daniel Sarewitz auch historische Argumente dafür geliefert, die Kontaktzone und die Kontaktszenen der Wissenschaftskommunikation nicht zu bereinigen (dazu auch Vogelmann 2022). Sie richten den Blick zurück auf die medialen Transformationen und kommunikativen Kämpfe der Reformationszeit und erinnern unsere digitale Gegenwart daran, dass sich radikale Umbruchsituationen nicht sozial- und kommunikationshygienisch bewältigen lassen, indem man zur Rückkehr zu einem überschaubareren Zustand aufruft:

»Such efforts reflect the view that untruth is a plague on our information society, one that can and must be cured. If we pay enough responsible, objective attention to distinguishing what is true from what is not, and thus excise misinformation from the body politic, people can be kept safe from falsehood. Put another way, it is an implicitly Edenic belief in the original purity of the information society, a state we have lapsed from but can yet return to, by the grace of fact-checkers. We beg to differ. Fake news is not a perversion of the information society but a logical outgrowth of it, a symptom of the decades-long devolution of the traditional authority for governing knowledge and communicating information. That authority has long been held by a small number of institutions. When that kind of monopoly is no longer possible, truth itself must become contested« (Sarewitz/Saltelli 2022).

In einer Gegenwart, die mit dem Internet und seinen sozialen Plattformen durch eine unübersichtliche Demokratisierung des Zugangs zu Wissen bestimmt ist, reicht es nicht aus, flächendeckend zur Partizipation an einer Wissenschaft einzuladen, die sich ihres singularisierten Wahrheitsanspruches immer noch sehr sicher ist. Neben den vielen neuen ›labs‹ und ›hubs‹ braucht es flexible und robuste alltägliche Kontaktzonen der Wissenschaftskommunikation. Bevor wir neue ›Inkubatoren‹ eröffnen, könnten wir die verschulten und vernachlässigten Veranstaltungen der Pandemie-gebeutelten Lehre als neues/altes ›Reallabor‹ für Wissenschaftskommunikation entdecken: Hier wartet eine Kontaktzone, in der idealerweise mit Studierenden aller Fächer neue Verbindungen zwischen Theorie und Praxis, ›talk‹ und ›action‹ sowie der Geschichte und Gegenwart von Wissenschaft im Singular und Plural erarbeitet werden können.