1 Einleitung

Die Existenz von zwei deutschen Staaten 1949–1989 bedeutete eine Konkurrenzsituation, die sowohl innenpolitisch als auch außenpolitisch während des gesamten Zeitraums prägend war. Während in den 1950er und 1960er Jahren die Bundesregierung einen Alleinvertretungsanspruch des deutschen Volkes durchzusetzen versuchte, kämpfte die DDR um die diplomatische Anerkennung durch die westeuropäischen Staaten.Footnote 1 Dieser Kampf wurde durch die Hallstein-Doktrin erschwert, der zufolge eine Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der DDR durch Drittstaaten als unfreundlicher Akt gegenüber der Bundesrepublik galt. Im Zuge der Ostpolitik Willy Brandts und der völkerrechtlichen Anerkennung der DDR im Westen Anfang der 1970er Jahre entspannte sich das Verhältnis zwischen den beiden deutschen Staaten. Trotzdem bestand bis zur Auflösung der DDR die Systemkonkurrenz fort und damit der jeweilige Anspruch einziger legitimer Repräsentant des deutschen Volkes zu sein.

Die Systemkonkurrenz schlägt sich auch sprachlich nieder. Sie führte zu einem Kampf um die Verwendungs- und Definitionshoheit politisch-ideologischer Vokabeln, zu denen auch die verschiedenen Bezeichnungen der beiden deutschen Staaten gehörten: Beiden Seiten war es wichtig, dass die offizielle Staatsbezeichnung verwendet wurde. Das jeweils »andere« Deutschland mit inoffiziellen Bezeichnungen wie die Zone, oder drüben für die DDR bzw. die Bonner Republik oder das kapitalistische Westdeutschland für die Bundesrepublik zu benennen war eine in diesem Zusammenhang häufig benutzte diskursive Strategie in der politischen Kommunikation. Damit sollte der Gegner delegitimiert und dessen Existenz in Frage gestellt werden. Auch wie ein drittes Land die deutschen Staaten bezeichnete, war für die außenpolitischen Beziehungen von Bedeutung und die falsche Staatsbezeichnung konnte unter Umständen zu diplomatischen Verstimmungen führen.

In diesem Artikel soll die sogenannte Deutschlandfrage aus einer sprachhistorischen Perspektive beleuchtet werden. Im Fokus der vorliegenden Studie stehen Eigen- bzw. Fremdbenennungen der beiden deutschen Staaten sowie die Benennungspraktiken im öffentlichen Diskurs Schwedens. Damit soll ein Beitrag zur deutsch-deutschen Zeitgeschichte und zu den deutsch-schwedischen Beziehungen im Kalten Krieg geleistet werden. Mithilfe einer diskurslinguistischen Studie soll gezeigt werden, wie sich der Gebrauch der Benennungen für die beiden deutschen Staaten 1949–1989 im öffentlichen Diskurs Schwedens sowie in der Bundesrepublik und in der DDR gewandelt hat.

Der Beitrag verfolgt zwei Ziele: Zum einen eignen sich die Staatsnamen für die empirische Studie eines linguistischen Phänomens mit historisch-politischer Relevanz, nämlich die Nomination oder Bezeichnungskonkurrenz als strategisches Werkzeug der politischen Kommunikation. Mit anderen Worten: Das Potential von Eigennamen als Untersuchungsobjekt für diskurs-/politolinguistische Studien soll demonstriert werden. Zum anderen ist der Gebrauch der Staatsbezeichnungen in einem Kontext der deutsch-schwedischen Beziehungen im Kalten Krieg von interdisziplinärem Interesse. Historiker*innenFootnote 2 haben gezeigt, dass Schweden Gegenstand eines deutsch-deutschen Tauziehens war, wobei die Bundesrepublik über die ganze Periode schon die wichtigere Partnerin war, die DDR jedoch in einigen Bereichen als Vorbild diente (Abraham 2007; Almgren 2009, 2011; Linderoth 2002; Scholz 2000; Seiler Brylla 2013). Die deutsch-deutsche Systemkonkurrenz führte zu einem Spannungsfeld für das neutrale Schweden, das mit beiden Ländern Beziehungen pflegen wollte und zwischen den Fronten zu navigieren suchte.Footnote 3 Nichtsdestotrotz hat sich die Forschung für die schwedischen Kontakte zur Bundesrepublik nicht so sehr interessiert wie für die Beziehungen zur DDR. Abgesehen von Alexander Muschiks (2005) Studie zur Dreiecksbeziehung der beiden deutschen Staaten und des neutralen Schwedens 1949–1972 stand hauptsächlich die DDR im Fokus der Forschung zu den deutsch-schwedischen Beziehungen im Kalten Krieg.Footnote 4 Der vorliegende Artikel ist damit auch ein Beitrag zur Erforschung der politischen Positionierung Schwedens im Verhältnis zum geteilten Deutschland, indem die diskursive Konstruktion der beiden deutschen Staaten anhand der Staatsbezeichnungen untersucht wird.

2 Theoretisch-methodische Ansätze

2.1 Sprachgeschichte als politische Geschichte

Mit der Düsseldorfer Forschungsgruppe ist eine große Anzahl von Arbeiten zum öffentlichen Sprachgebrauch der Bundesrepublik Deutschland entstanden, die sich einer sprachlich orientierten Methode bediente, um Zeit‑, Sozial- und Kulturgeschichte zu erforschen (z. B. Stötzel/Wengeler 1995; Böke et al. 1996). Jene diskurslinguistische Methode »beruht auf der Beobachtung, daß in öffentlichen Diskussionen der Sprachgebrauch selbst oft explizit oder indirekt zum Thema wird« (Stötzel 1995, S. 2) und stellte einen Versuch dar, eine Geschichte des öffentlich-politischen Sprachgebrauchs der Gegenwart zu schreiben. Als Inspiration hierfür zählte zum einen der Ansatz des Germanisten Peter von Polenz, der sowohl für eine Sprachgeschichte der Gegenwart als auch für eine Verbindung von Sozial- und Sprachgeschichte plädierte (von Polenz 1991, S. 17 ff.). Das Düsseldorfer Projekt war aber auch vom Historiker Reinhard Koselleck geprägt, der die zentralen Begriffe der Geschichte nicht nur als Indikatoren gesellschaftlichen, kulturellen Wandels beschrieb, sondern auch als Faktoren der Geschichtsschreibung (Koselleck 1972, S. XXIIIf.). Epistemologische Grundlagen einer solchen pragmatischen, kulturwissenschaftlichen Sprachgeschichtsschreibung sind die realitätskonstitutive und handlungsorientierte Funktion von Sprache sowie das Bedingungsverhältnis von Sprache und Gesellschaft (Kämper 2011, S. 33).

Das von der Düsseldorfer Gruppe entwickelte Konzept der Schlüsselwörter bzw. Leitvokabeln als diskursprägende »Wandel- und Problemindikatoren« (Stötzel 1995, S. 12) ging mit einer spezifischen Auffassung von Diskursen einher (siehe u. a. Busse/Teubert 1994), aus der sich wiederum die germanistische Diskurslinguistik bzw. eine bestimmte Richtung der linguistischen Diskursanalyse entwickelte (vgl. Spitzmüller/Warnke 2011 und Spieß 2011). Die Überzeugung, dass die Analyse von Diskursen als »gesellschaftliche Wirklichkeit konstituierende kommunikative Prozesse und Praktiken« (Kämper 2011, S. 35) eine wirksame Herangehensweise ist, um gesellschaftliche Phänomene zu erforschen, liegt der vorliegenden Studie zugrunde (vgl. hierzu auch Gardt 2007, S. 39).

2.2 Namen als diskurslinguistisches Untersuchungsobjekt

Im Fokus dieses Beitrags stehen die Staatsnamen für die beiden deutschen Staaten zur Zeit des Kalten Krieges. Aus theoretisch-methodischer Perspektive ist es zunächst einmal relevant, danach zu fragen, was der Gebrauch der Namen über die damaligen politischen Diskurse aussagen kann. Inwiefern sind (Staats)namen für eine diskurslinguistische Studie bedeutsam?

Das Lexikon ist ein zentrales Instrument sprachlichen Handelns in der Politik. Es ist von Bedeutung zu fragen: Wie benenne ich was für wen in welcher Kommunikationssituation? Eine Staatsbezeichnung ist eine linguistische Einheit auf lexikalischer Ebene. Es handelt sich um sogenannte Nomina Propria der Subkategorie Toponyme. Spitzmüller und Warnke (2011, S. 140) verweisen auf die diskurslinguistische Relevanz von Eigennamen jeglicher Art »als vielfältiger Ausdruck transtextueller Aussagenkontexte.« Der Gebrauch von Toponymen referiert auf historisch relevante Kontexte, womit sie Cluster von Bedeutungen und Wertungen aufrufen, ähnlich wie bei den Schlüssel- und Schlagwörtern (Böke et al. 2005, S. 258–59). Bei der Untersuchung von Namen handelt es sich folglich um die Analyse lexikalischer Einheiten, aber es besteht ein zentraler Unterschied zu einer lexikalischen Analyse darin, dass bei einer diskurslinguistischen Studie die Namen in einen bestimmten Diskurs eingebettet sind und im Hinblick auf ihre Funktion in diesem Diskurs untersucht werden. Es geht somit um die Diskursrelevanz der untersuchten Namen, die in den verschiedenen Kontexten bestimmte Denkweisen und Einstellungen repräsentieren. Eine diskurslinguistische Analyse kann auf lexikologischen und semantischen Methoden aufbauen, muss aber auch eine textübergreifende Perspektive anlegen, um die Diskursrelevanz erkennen zu können (Böke et al. 2005, S. 258; Busse/Teubert 1994, S. 27).

Im politischen Diskurs lassen sich zweifelsohne viele Beispiele mit diskurssemantischen Funktionen für Eigennamen belegen, insofern die Sprachbenutzerin mit der Wahl der Bezeichnung auch eine Einstellung signalisiert.Footnote 5 Die Staatsnamen können somit eine indexikalische Funktion übernehmen, die für die vorliegende Studie von Interesse ist – mit dem Namen positioniert sich die Sprachbenutzerin politisch-ideologisch (vgl. Deppermann 2015; Spitzmüller 2013).

2.3 Nomination und Bezeichnungskonkurrenz

Politische Positionierung durch Sprache auf der lexikalischen Ebene wird u. a. im Rahmen der Nominationstheorie diskutiert (Girnth 2015, S. 65 ff.). Durch Benennungsakte nehmen die politischen Akteur*innen kommunikativ Bezug auf außersprachliche Gegenstände. Mit dem Referenzakt wird zugleich auch eine Konzeptualisierung des außersprachlichen Objektes vollzogen, das heißt mit der Wahl des Ausdrucks bringt der Sprecher auch seine Einstellung gegenüber dem Bezeichneten zum Ausdruck. Diese Stellung beziehende, wertende Form von Referenz wird als Nomination bezeichnet und die zu diesem Zwecke verwendeten Wörter als Nominationsausdrücke. So wurde das Referenzobjekt ›Berliner Mauer‹ je nach Kommunikationssituation und Sprachbenutzerin unterschiedlich benannt. Im öffentlichen Diskurs der DDR existierte der Ausdruck antifaschistischer Schutzwall, während in der Bundesrepublik die Bezeichnung Schandmauer gelegentlich vorkam (Hahn 1995, S. 300). Die mit den beiden Ausdrücken vorliegende Nominationskonkurrenz wird in der Politolinguistik oft in Anlehnung an Klein (1991, S. 61 ff.) Bezeichnungskonkurrenz genannt. Entscheidend für dieses Konzept ist eine Konkurrenz um die Ausdrucksseite von Wörtern, also ein Kampf um die richtige Bezeichnung. Nomination und Bezeichnungskonkurrenz sind diskursive Strategien, die in der politischen Kommunikation eine wichtige Rolle spielen und die erst durch eine transtextuelle, diskurslinguistische Analyse erkannt werden können.

Mit Hellmann (1997, S. 96) möchte ich festhalten, dass die Bezeichnungskonkurrenz in der Auseinandersetzung zwischen den deutschen Staaten in zweierlei Hinsicht Relevanz hatte: zwischenstaatlich und innerstaatlich. Zum ersten: Wer war eigentlich das ›richtige‹ Deutschland, wer war legitim und hatte dadurch ein Existenzrecht? Beide Staaten bestritten in diesem Zusammenhang einander das Recht sich so zu benennen, wie sie sich benennen wollten. Innerstaatlich konnte der Kampf um die richtige Bezeichnung auch als Widerspruch gegen die regierungsamtliche bzw. parteioffizielle Linie funktionieren. Ein von der offiziellen Bezeichnung abweichender Gebrauch konnte den Sprachbenutzer in Schwierigkeiten bringen.Footnote 6

2.4 Material, korpuslinguistisches Verfahren, Schwerpunkt des Beitrags

Im Fokus der Studie stehen die Staatsnamen als linguistische Einheiten, die mithilfe einer textübergreifenden Perspektive als diskurslinguistische Phänomene erkannt werden. Die Auswahl der zu untersuchenden Daten erfolgte nach dem Prinzip, dass ein so umfassendes, facettenreiches und repräsentatives Material wie möglich erfasst wird. Es wurde auch – wenn möglich – auf digitale Korpora zugegriffen. Für das westdeutsche Material konnte ich auf vorliegender Forschung aufbauen, die hier kursorisch und mit weiterführenden Hinweisen referiert wird. Was die ostdeutschen Verwendungen der Staatsnamen betrifft, wurden eigene Recherchen mit bereits vorhandenen Studien kombiniert, während für den schwedischen Kontext erstmalig eine korpusgestützte Studie durchgeführt wurde. Das Untersuchungsmaterial besteht in erster Linie aus Tageszeitungen und politischen Dokumenten. Im schwedischen Material wurden auch Lehrbücher, Informations- und Reiseliteratur und zum Teil auch audiovisuelle Medien herangezogen.

Die deutschen Staatsnamen sind bereits Gegenstand der linguistischen Forschung gewesen, der vorliegende Beitrag bringt jedoch durch den schwedischen Diskurs sowie die komparative Perspektive neue Aspekte, weshalb in der Darstellung der Schwerpunkt auf diesen liegt.

3 Analyse

3.1 Die Staatsnamen im deutsch-deutschen Diskurs

Die Existenz von zwei deutschen Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg führte zu einer Bezeichnungskonkurrenz in der Eigen- und Fremdbenennung der beiden Staaten. Hier sollen ausgewählte Aspekte dieser Benennungsproblematik vorgestellt werden.Footnote 7

3.1.1 Benennungspraktiken in der Bundesrepublik

Zunächst war es in der Nachkriegszeit kompliziert nachzuvollziehen, was die Bezeichnungen Deutschland/Deutsch/Deutsche/r eigentlich bedeuteten. Deutschland war nach dem Krieg territorial zwar aufgeteilt, existierte aber noch in historischer und völkerrechtlicher Hinsicht weiter, zumindest in der bundesdeutschen Verfassung. In den offiziellen Richtlinien der Bundesrepublik wurde in den 1960er Jahren festgelegt, die Bezeichnung Bundesrepublik Deutschland zu empfehlen, aber auch die Kurzform Deutschland sollte möglich sein (Hellmann 1968/69, S. 54). Berschin (1979, S. 92–93) und Hellmann (1989, S. 36) belegen, dass die Bezeichnung Deutschland mit der Zeit immer häufiger mit Referenz auf die Bundesrepublik und seltener im gesamtdeutschen Sinn benutzt wurde. Ein Gebrauch von Deutschland mit Referenz nur auf den Westteil exkludierte den anderen deutschen Staat und war in dem Bestreben nach einem wiedervereinigten Deutschland nicht problematisch. Bezeichnungen wie Mitteldeutschland, Ostdeutschland oder die Zone dienten daher der Konzeptualisierung der DDR als ein Teil der Bundesrepublik, wie die folgende Aussage von Erich Mendes illustriert:

»Es gibt keine staatlichen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Mitteldeutschland. Die Bundesrepublik erkennt die Sowjetische Besatzungszone als Staat nicht an. Sie vermeidet auch die Formulierung ›Deutsche Demokratische Republik‹ und warnt vor ihr, denn in jedem dieser Worte steckt eine geschichtliche Lüge. […] Wir ziehen es vor, von ›Mitteldeutschland‹ als Regionalbezeichnung zu sprechen oder von der ›Sowjetischen Besatzungszone‹.« (Erich Mendes 1964, zitiert nach Korlén 1965, S. 9.)

Erich Mendes war damals Bundesminister für Gesamtdeutsche Fragen und das Zitat kann als exemplarisch für die westdeutsche Debatte der 1960er Jahre gelten. Durch die Nomination des anderen deutschen Staates als Mitteldeutschland erfolgte eine geopolitische Aussage, welche die polnischen Gebiete östlich der Oder-Neiße-Grenze als Ostdeutschland konstruierte (siehe hierzu Hahn 1995, S. 288–293). Mit der Nomination der DDR als eine Sowjetische Besatzungszone stand die ideologische Positionierung im Vordergrund.

Eine weitere EntnennungFootnote 8 der DDR geschah durch negativ konnotierte Bezeichnungen wie das Pankow-Regime, die Pankower Diktatur oder nur Pankow, die auf ein Stadtteil in Berlin referierte, in dem viele SED-Funktionäre lebten. Besonders häufig war die Strategie DDR mit distanzierenden Anführungszeichen zu versehen – »DDR« – oder mit dem Zusatz des modalen Attributs die sogenannte DDR zu bilden. Gegen Ende der 1960er Jahre und insbesondere durch die Ostpolitik Willy Brandts verschwand die distanzierende Form aus dem öffentlichen Sprachgebrauch, die Publikationen der Springer-Presse behielten jedoch die »DDR«-Schreibung bis 2. August 1989 (Hahn 1995, S. 295–96).

3.1.2 Benennungspraktiken in der DDR

Auch die DDR beanspruchte das ›richtige‹ Deutschland zu vertreten, was an dem Staatsnamen Deutsche Demokratische Republik erkenntlich wird. Die Entwicklung des Gebrauchs von Deutschland ging in der DDR jedoch in die andere Richtung im Vergleich zur Bundesrepublik. Bis Ende der 1960er Jahre strebte die DDR die Exklusivrechte für die Bezeichnung an, aber in den 1970er Jahren hielt das Zweinationen-Modell Einzug, und seit der Verfassung 1974 war die DDR keine deutsche Nation mehr, sondern ein sozialistischer Staat der Arbeiter und Bauern. Die Etikette Deutschland und Deutsch durften nicht mehr verwendet werden (außer für die historische Zeit, Hermanns 1992, S. 253) und die Strophe Deutschland einig Vaterland in der Nationalhymne konnte nicht mehr gesungen werden, weshalb die Hymne dann nur noch instrumental vorgeführt wurde (Berschin 1979, S. 28).

Wie geladen und problematisch das Deutschland-Label war, zeigt ein historisches Beispiel. Im Jahr 1978 fuhr der DDR-Bürger Sigmund Jähn als erster deutscher Kosmonaut ins Weltall.Footnote 9 Es war ein großer Moment für die DDR, die Bundesrepublik in diesem prestigebeladenen Bereich zu übertreffen. Wie konnte dieser Erfolg der deutsch-deutschen Systemkonkurrenz am besten vermarktet werden, waren doch die Bezeichnungen Deutschland und Deutsch zu diesem Zeitpunkt bereits tabuisiert? Tatsächlich tauchten konkurrierende Plakate zu Ehren Jähns auf, die auf die Ambivalenz der Nationszugehörigkeit verweisen: Zunächst einmal war ein Plakat mit dem Text: Unser Fliegerkosmonaut – der erste Deutsche im All aufgehängt worden, aber bald wurden diese durch Plakate mit dem Text Sigmund Jähn – einer von uns ersetzt (Seiler 2001, S. 19).

Auch für die Bundesrepublik wurde die Bezeichnung Deutschland von offizieller Seite nicht benutzt, ebenso wurde ihr offizieller Name im ganzen Untersuchungszeitraum weitgehend vermieden. In den 1950er und 1960er Jahren war der Gebrauch von Westdeutschland in lexikalischer Opposition zu Deutsche Demokratische Republik oder DDR verbreitet, was das andere Deutschland als ein regionales Provisorium konstruierte. In den Richtlinien des Politbüros zur Auslandsinformation der DDR heißt es zum Beispiel: »Die DDR ist der deutsche Friedensstaat« (S. 37); »Westdeutschland ist zum Hauptzentrum der Kriegsgefahr in Europa geworden« (S. 41). (SAPMO, DY30 JIV 2/2 Nr 1011)

Weitere Benennungen für die Bundesrepublik in der DDR sind die westdeutsche Republik und manchmal auch die deutsche Bundesrepublik die als DBR gekürzt wurde. Diese Bezeichnung ermöglichte eine wertende Kontrastierung der beiden deutschen Staaten: es existierten eine deutsche Bundesrepublik und eine deutsche demokratische Republik. In polemischen Texten waren pejorative Attribuierungen üblich: das militaristische, imperialistische oder revanchistische Westdeutschland.Footnote 10 Außerdem wurden metonymische Bezeichnungen mit Bonn gebraucht: der Bonner Staat, das Bonner Regime, die Bonner Ultras, wobei die Nennung der Hauptstadt hier eine ähnliche delegitimierende Funktion wie Pankow in der bundesdeutschen Verwendung hatten (siehe 3.1.1)

3.1.3 Der Streit um die Abkürzung: DDR vs. BRD

Die Annäherung der deutschen Staaten hat in den Benennungspraktiken Spuren hinterlassen. Im Dezember 1969 benutzte Walter Ulbricht zum ersten Mal offiziell die Abkürzung BRD (Hellmann 1997, S. 103), woraufhin sich die Bezeichnung im öffentlichen DDR-Diskurs schnell einbürgerte. Ein Strategiedokument des Politbüros zur Auslandsinformation von 1973 zeigt, dass Westdeutschland als Bezeichnung von BRD abgelöst wurde. Eine Recherche im Korpus der DDR-Presse der Datenbank der Staatsbibliothek Berlin zeigt den Wandel in Zahlen (Tab. 1).

Tab. 1 Anzahl Treffer für BRD im Korpus DDR-Presse. Quelle: http://zefys.staatsbibliothek-berlin.de/ddr-presse/suchergebnisse/ (1/3 2016)

Hellmann (1997, S. 104) stellt zudem fest, dass es eine klare Korrelation gibt zwischen der Zunahme der Abkürzung BRD und dem Rückgang verbaler politischer Beschimpfung. Aus der DDR-Perspektive war der Gebrauch der offiziellen Abkürzung zum einen ein diplomatischer Akt, der einer de facto-Anerkennung des anderen Deutschlands gleichkam. Zum anderen konstruierte die wiederholte Ko-Okkurenz von DDR/BRD eine Gleichstellung der beiden Staaten.

In der Bundesrepublik stieß diese Kürzungssymmetrie jedoch nicht auf Zustimmung. Ganz im Gegenteil entfaltete sich in den 1970er Jahren ein Streit über den Gebrauch von BRD in und außerhalb der Bundesrepublik (Berschin 1979, S. 74–78; Hellmann 1997). 1978 beschwerte sich ein CDU-Politiker im Bundestag darüber, dass »das kommunistische Kürzel BRD« in österreichischen Medien zunehmend Verwendung fand (Hellmann 1997, S. 93). Ein Jahr zuvor war der Gebrauch von BRD bei der Nachrichtensendung Tagesschau in einem Artikel in der Süddeutschen Zeitung kritisiert worden, auch diesmal kam die Kritik von einem CDU-Politiker. Er fragte polemisch, ob es der Nachrichtenredaktion bewusst war, dass BRD eine »kommunistische Agitationsformel« sei (Hahn 1995, S. 319).

Über die ostdeutschen Gründe, die Abkürzung zu benutzen, wurde oben bereits reflektiert, aber sicher könnte man hinzufügen, dass eine Entnennung von Deutschland – wie es das Kürzel BRD ermöglichte – auch im Sinne der DDR-Regierung war. Trotzdem beruht die westdeutsche Argumentation auf falschen Grundlagen, denn BRD war keine ostdeutsch-kommunistische Konstruktion, sondern wurde 1949 von Wilhelm Grewe, dem ersten Botschafter Adenauers in den USA, lanciert. Die Abkürzung wurde in verschiedenen Nachschlagewerken in deutsch-deutschen Angelegenheiten und auch in Teilen der Medien gelegentlich gebraucht, bis sie 1965 in offiziellen Richtlinien negativ reguliert wurde (Hellmann 2011, S. 67). 1974 wurden in der Bundesrepublik »Bezeichnungsrichtlinien« erlassen, die vor allem Lehrenden vom Gebrauch der Abkürzung BRD abrieten (Hellmann 1989, S. 36; Berschin 1979, S. 78). Wie es dazu kam, ist schwer zu beantworten, die politische Entwicklung ist jedenfalls mitzudenken. Die negative Regulierung fällt in eine Zeit, in der die Hallstein-Doktrin immer mehr in Frage gestellt wird und in der die Bezeichnung DDR in Umlauf kommt. Ein Behaupten der Bezeichnung Bundesrepublik Deutschland oder Deutschland auf Kosten des Kürzels BRD konnte unter Umständen als Positionierung gegen die neue Ostpolitik verstanden werden. Durch die Wahl der Bezeichnung war es möglich, Opposition gegen die regierungsamtliche Linie in der Deutschlandfrage auszudrücken. Befürchtet werden konnte zudem, dass der Gebrauch des Namenspaars BRD/DDR ein gleichberechtigtes Verhältnis suggerieren und den anderen deutschen Staat aufwerten statt in Frage stellen würde (Hellmann 1997, 102).

3.2 Ost und West im schwedischen öffentlichen Diskurs

Wir haben gesehen, dass die Frage, wie der eigene Staat und das ›andere‹ Deutschland benannt werden sollten, in beiden deutschen Staaten bis zur Wiedervereinigung kompliziert bzw. problematisch blieb. Im Folgenden soll gezeigt werden, welche Benennungen in einem schwedischen öffentlichen Kontext gebraucht wurden, um auf das geteilte Deutschland zu referieren, und welche Bilder und Konzeptualisierungen der Länder daraus resultierten. Sowohl für die Bundesrepublik als auch für die DDR war Schweden als neutrales Land ein wichtiger Partner. Auslandsinformatorische Tätigkeiten beider Länder zielten auf das Image in Schweden als das ›richtige‹ und ›bessere‹ Deutschland.

3.2.1 Westdeutschland vs. Ostdeutschland

Im schwedischen Korpus wird deutlich, dass die Eigennamen Västtyskland (Westdeutschland) und Östtyskland (Ostdeutschland) sich schnell als Bezeichnungen im öffentlichen Diskurs Schwedens etablieren. Sie werden anscheinend neutral und unkommentiert gebraucht, was darauf schließen lässt, dass ihnen die im deutsch-deutschen Kontext vorhandenen negativen Konnotationen nicht anhaften. Als Beispiel sei hier die Broschüre Berlinproblemet (Das Berlinproblem) von 1961 angeführt, die vom staatlichen Außenpolitischen Institut herausgegeben wurde. Der Verfasser Erik Holm (1961) verfolgt konsequent die Benennungsstrategie, dass Västtyskland für die Bundesrepublik und Östtyskland für die DDR gebraucht werden, während Tyskland auf die Zeit vor der Teilung referiert oder wenn beide Länder gemeint sind. Ein etwas späteres Beispiel stellt ein Artikel in der Tageszeitung Stockholmstidningen vom 25. September 1965 dar, als der ehemalige schwedische Außenminister Östen Undén sich zur Deutschlandfrage äußerte und dabei durchgehend die Bezeichnungen Östtyskland und Västtyskland benutzt. Die umstrittene Ostgrenze benannte er übrigens mit Oder-Neiße-gränsen.

Eine Korpusrecherche in Press 65, das einen Teil des schwedischen Referenzkorpus KORP ausmacht und aus Tageszeitungen besteht, bestätigt den Gebrauch von Ost-und Westdeutschland und zeigt die folgenden Treffer für die deutschen Staatsbezeichnungen (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Gebrauch der Namen für das geteilte Deutschland im Jahr 1965 in der schwedischen Presse nach dem schwedischen Referenzkorpus KORP (Korpusgröße: 1120 332 Tokens). Quelle: Press 65 KORP http://spraakbanken.gu.se/korp/ (1/7 2018)

Hier ist zu erkennen, dass die Bezeichnungen Bundesrepublik, DDR und BRD kaum oder gar nicht vorhanden sind. Der Trefferquote zufolge ist Westdeutschland ein häufigeres Thema als Ostdeutschland in der schwedischen Presse dieser Zeit. Ein Drittel der Belege für Deutschland referiert zudem auf die Bundesrepublik. Die anderen Deutschland-Belege weisen auf das historische Deutschland oder generell auf beide Staaten hin. Mitte der 1960er Jahre scheinen die Benennungspraktiken somit relativ eindeutig zu sein. Im Material finden sich aber auch metasprachliche Belege, in denen der deutsche Sprachgebrauch kritisch kommentiert wird. In einem Artikel in der sozialdemokratisch gesinnten Zeitung Aftonbladet (5.9.1965) plädierte der Schriftsteller Lars Gyllensten für eine schwedische Anerkennung der DDR und stellte die westdeutsche Benennungspolitik in Frage:

»Ostdeutschland kann nicht einmal erwähnt werden, ohne dass die Aggressionen gleichzeitig aufgeblasen werden – das Land heißt ›Die sogenannte demokratische deutsche Republik‹, ›Mitteldeutschland‹ (der letzte Terminus setzt ein Ostdeutschland östlich der gegenwärtigen DDR voraus, das ist also ein Teil der Propaganda für die Assimilation der Gebiete östlich der Oder-Neiße-Grenze zu Polen).«Footnote 11

Diese Kritik an der schwedischen Haltung in der Deutschlandfrage – also lediglich die Bundesrepublik als Staat anzuerkennen – nahm Ende der 1960er Jahre zu. Immer mehr Journalist*innen und Intellektuelle kritisierten, dass Schweden keine diplomatischen Verbindungen mit der DDR hatte, obwohl de facto schon viele Kontakte im Bereich des Handels und der Kultur vorhanden gewesen seien. Das wichtigste Argument der Gegner*innen war, eine schwedische Anerkennung der DDR würde die deutsche Teilung für permanent erklären. Als die Ostpolitik Willy Brandts den Weg für eine westdeutsche Anerkennung der DDR freimachte, hieß es stattdessen, dass eventuelle diplomatische Interventionen von Schweden die deutsch-deutschen Verhandlungen stören könnten (von Friesen 1973, S. 139).

In den öffentlichen Richtlinien aus dieser Zeit finden wir die Bezeichnungen Förbundsrepubliken Tyskland, Västtyskland, Tyska Demokratiska Republiken und Östtyskland. Als Nationalitätsadjektiv wird für beide Staaten tysk (deutsch) empfohlen und als Nationalitätssubstantiv ebenfalls tysk.Footnote 12

3.2.2 Konkurrierende Bezeichnungen für die DDR

Die sogenannte Deutschlandfrage geriet immer mehr in den Fokus der schwedischen Presse und 1968/1969 kann eine Veränderung in den Benennungspraktiken beobachtet werden.Footnote 13 Neben den bereits genannten sprachreflektierenden Beiträgen werden Explikationen wie Tyska Demokratiska Republiken (Östtyskland) gebraucht und auch die Abkürzung DDR ist in Gebrauch gekommen. In einem Artikel aus Aftonbladet vom 27. Juni 1968 wird Folgendes festgehalten:»Aber die ostdeutschen Maßnahmen demonstrieren vor allem Westdeutschlands Dilemma in der Deutschlandpolitik, was die Relationen der Bundesrepublik zu Ostdeutschland, DDR, betrifft.«Footnote 14 Dass Westdeutschland wie hier auch als Bundesrepublik benannt wird, ist Ende der 1960er Jahre eher unüblich.

In den 1960er Jahren wurde auch versucht - in DDR-affirmativen Kreisen - eine schwedische Abkürzung für die DDR zu lancieren. In dem auf Schwedisch gedruckten Material, das vom DDR-Kulturzentrum bzw. vom DDR-Verlag Panorama stammte, wurde die Abkürzung TDR benutzt. Der offizielle Freundschaftsverein Schweden-DDR nannte sich am Anfang folglich Föreningen Sverige-TDR. Diese Lancierung glückte jedoch nicht, und es konnten lediglich vereinzelte Beispiele in nicht-kommunistischen Tageszeitungen oder in anderen Publikationen belegt werden (vgl. Ekengren 1999, S. 274, Bonniers Lexikon 1966). Schließlich riet der Leiter des DDR-Kulturzentrums, Jan Peters, sogar davon ab, die schwedische Abkürzung zu gebrauchen, um die schwedischen Sprachbenutzer*innen, welche Ende der 1960er Jahre die Abkürzung DDR immer öfter wählten, nicht zu verwirren (PM Jan Peters, BArch, SAPMO, DY 13 2589, 14.6.1968, S. 2).

Andere Bezeichnungen für die deutschen Staaten lassen sich selten belegen und wenn, dann eigentlich ausschließlich in metasprachlichen Kontexten. Ein Beispiel für Mellantyskland (Mitteldeutschland) soll illustrieren, wie die westdeutsche Argumentation für die Bezeichnung Mitteldeutschland in einem Artikel genutzt wird, der sonst eine kritische Auseinandersetzung mit dem Schulunterricht in der DDR darstellt:

»Das mittlere Deutschland (Brandenburg, Sachsen, Mecklenburg etc.) ist von russischen Truppen besetzt und wird von deutschen Kommunisten verwaltet, die dort einen Scheinstaat eingerichtet haben, genannt Deutsche Demokratische Republik – im Folgenden nach deutschem Muster DDR genannt (Deutsche Demokratische Republik). Zu unrecht nennen viele Schweden dieses mitteldeutsche, sowjetbesetzte Gebiet Ostdeutschland.« (Thulstrup 1961, S. 98)Footnote 15

Die Argumentation in diesem Text folgt der offiziellen westdeutschen Linie bis Ende der 1960er Jahre und zeigt eine Parallele zum oben angeführten Mendes-Zitat. Folglich benutzte der Verfasser auch distanzierende Anführungszeichen im Artikel, zum Beispiel wenn vom »ostdeutschen« Schulwesen die Rede ist.

3.2.3 Westdeutschland vs. DDR/Ostdeutschland

Ende der 1960er Jahre stieß die deutsche Frage auf verhältnismäßig großes Interesse in der schwedischen Presse. Im Wahlkampf Willy Brandts 1969 spielten die Beziehungen zur DDR eine wichtige Rolle und wurden von den schwedischen Zeitungen aufmerksam verfolgt. Die Bezeichnungen DDR und Östtyskland wurden inzwischen synonym verwendet, und als der Grundlagenvertrag am 21. Dezember 1972 zur diplomatischen Anerkennung der DDR durch Schweden führte, hatte sich eine gewisse Asymmetrie der Benennungspraktiken im schwedischen öffentlichen Diskurs bereits etabliert. In Expressen vom 17.9.1972 findet sich die Formulierung: »Die zähen Verhandlungen zwischen der DDR und Westdeutschland werden gelöst«. Am 21. Dezember 1972 publiziert Svenska Dagbladet ein Bild von den beiden unterzeichnenden Partnern des Grundlagenvertrags mit der Unterschrift: »Michael Kohl, DDR (links) und Westdeutschlands Egon Bahr tauschen die Dokumente aus, die den Grundlagenvertrag der beiden deutschen Staaten beinhalten.« Gleichzeitig führt ein Leitartikel mit der Überschrift »Die deutsche Frage gelöst« in Dagens Nyheter die offiziellen Staatsbezeichnungen neben der sonst gebräuchlichen: Västtyskland (Förbundsrepubliken Tyskland) und Östtyskland (Tyska demokratiska Republiken) ein. Das mag übertrieben pädagogisch anmuten, aber vielleicht waren es doch notwendige Informationen, hatten doch sowohl Aftonbladet (12.10.1972) als auch Dagens Nyheter (8.11.1972) einige Wochen früher die Bundesrepublik fälschlicherweise Tyska förbundsrepubliken (die deutsche Bundesrepublik) genannt, eine Bezeichnung, die vor dem Grundlagenvertrag von DDR-Seite gebraucht wurde.

Bilanzierend können bis hierher eine Bezeichnungskonkurrenz und eine Ambivalenz in den Benennungspraktiken festgestellt werden, die zum einen zeigen, wie kompliziert die Frage auf politischer Ebene war und die zum anderen den politisch-historischen Wandel bezeugen. Die Korpusrecherche in Press 1976 zeigt folgende Verteilung der Staatsnamen (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Gebrauch der Namen für das geteilte Deutschland im Jahr 1976 in der schwedischen Presse nach dem schwedischen Referenzkorpus KORP (Korpusgröße: 1351 080 Tokens). Quelle: Press 1976 (KORP) http://spraakbanken.gu.se/korp/ (1/7 2018)

Während im Jahr 1976 die Bezeichnungen Förbundsrepubliken und BRD in der schwedischen Presse weiterhin wenig oder keine Verwendung fanden, wurde die Abkürzung DDR sogar etwas häufiger gebraucht als Östtyskland. Die Anzahl der Tyskland-Belege hingegen ist gesunken, etwa die Hälfte der Nennungen referiert auf die Bundesrepublik. Westdeutschland wurde 1976 dreimal so häufig wie Ostdeutschland genannt. Ein Vergleich mit der Trefferquote im Korpus der schwedischen Reichstagsprotokolle 1978/79 bestätigt dieses Bild. Västtyskland kommt am häufigsten vor mit 101 Treffern, Förbundsrepubliken Tyskland kommt sechsmal vor und BRD kein einziges Mal. Für DDR finden sich 12 Belege und für Östtyskland sechs. Die Bezeichnung Tyskland kann neben der Nominalgruppe Förbundsrepubliken Tyskland weitere zehnmal belegt werden, von denen sämtliche Verwendungen auf die Bundesrepublik referieren.Footnote 16

Ein Vergleich mit dem Pressekorpus DN 1987, zeigt schließlich, dass sich die Benennungspraktiken in den 80er Jahren nicht wesentlich veränderten (Abb. 3). Västtyskland war im Vergleichsspektrum weiterhin das häufigste Thema in der Presse und auch die üblichste Bezeichnung für die Bundesrepublik. Von den 126 Belegen für Deutschland im Korpus verwies zudem etwa die Hälfte auf die Bundesrepublik. Die Bezeichnungen DDR und Östtyskland wurden ungefähr gleich häufig verwendet.

Abb. 3
figure 3

Gebrauch der Namen für das geteilte Deutschland im Jahr 1987 in der schwedischen Tageszeitung Dagens Nyheter nach dem schwedischen Referenzkorpus KORP (Korpusgröße: 5122 237 Tokens). Quelle: DN 1987 (KORP) http://spraakbanken.gu.se/korp/ (1/7 2018)

Die Tatsache, dass Östtyskland und DDR synonym mit den gleichen Konnotationen gebraucht werden konnten, führte mit der Zeit zu einer Asymmetrie in den Benennungspraktiken der beiden deutschen Staaten in Schweden. Die Reportage des Fußballspiels zwischen der Bundesrepublik und der DDR in Svenska Dagbladet vom 23. Juni 1974 ist ein Beispiel dafür: »Westdeutschland startete ebenfalls in einem sehr offensiven und positiven Stil. Die DDR geriet in der Anfangsphase stark unter Druck«. Etwas später im Artikel hieß es: »Falls Ostdeutschland triumphieren würde, wäre die DDR das Team, das auf die Holländer stoßen würde.«Footnote 17 Entsprechende konkurrierende Bezeichnungen sind für die Bundesrepublik nicht zu verzeichnen, die konsequent Västtyskland genannt wurde oder Tyskland, falls nicht differenziert werden musste, wie es in der schwedischen Direktberichterstattung des WM-Finales zwischen der Bundesrepublik und Holland 1974 in München der Fall war.Footnote 18 Ein weiteres interessantes Beispiel asymmetrischer Benennungspraktik stellt der Medaillenspiegel der olympischen Spiele vom 4. August 1976 dar, in dem wir die DDR auf Platz zwei und Västtyskland auf dem vierten Platz wiederfinden (Abb. 4).

Abb. 4
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Medaillenspiegel der Olympischen Spiele 1976, in: Expressen 1.8.76

3.2.4 Neutrale Lehrbücher?

Meine Studie beinhaltet ebenso eine Analyse schwedischer Lehrbücher für das Gymnasium in den Fächern Geschichte und Sozialkunde.Footnote 19 Was die Geschichtsbücher betrifft, kann eine Parallelität im Gebrauch der Bezeichnungen konstatiert werden. Entweder benutzt man die Bezeichnungen DDR vs. Förbundsrepubliken Tyskland oder es werden – und das ist mit Abstand die gängigste Variante – Östtyskland und Västtyskland gebraucht. Es wird deutlich, dass die Lehrbuchautor*innen sich um eine symmetrische und neutrale Darstellung der deutschen Staaten bemühen, was sich nicht nur in der Wahl der Staatsbezeichnungen manifestiert. Ein repräsentatives Beispiel von 1983 soll hier angeführt werden: »Die Uneinigkeit führte zur Spaltung Deutschlands in zwei Teile: Ostdeutschland (DDR), die sowjetische Besatzungszone, und Westdeutschland (BRD), die Besatzungszone der Westalliierten.« (Samuelsson 1983, S. 407)Footnote 20 Sämtliche Geschichtslehrbücher zeigen Landkarten mit den symmetrischen Bezeichnungen Västtyskland und Östtyskland. (vgl. z. B. Hildingson et al. 1974, S. 332). Ein metasprachliches Beispiel findet sich in der Darstellung in Alla tiders historia (Bergström et al. 1983, S. 376), wo die schwedischen Benennungspraktiken explizit thematisiert werden:

»Als die Berlinblockade vorbei war, ließen die Westmächte ihre Zonen einen selbständigen Staat bilden, die Bundesrepublik Deutschland – oft Westdeutschland genannt. Bonn wurde zur Hauptstadt. Nach einigen Monaten folgte die Sowjetunion dem Beispiel und bildete ihre Besatzungszone in die Deutsche Demokratische Republik um, die heutzutage abwechselnd Ostdeutschland und die DDR genannt wird.«Footnote 21

Im selben Lehrbuch wird die DDR etwas später unter der Rubrik »DDR – ein anderes Deutschland« näher vorgestellt. Auf diese explizite Konzeptualisierung komme ich in meinem Fazit zurück.

Mein Lehrbuchkorpus umfasst zudem vier Bücher in Sozialkunde. In diesen Lehrwerken finden sich nicht dieselben symmetrischen Benennungspraktiken wie in den Geschichtslehrbüchern. Vorwiegend werden die Bezeichnungen DDR und Västtyskland gebraucht, allerdings spielt die DDR hier nur eine untergeordnete Rolle. Vor allem die Sowjetunion, China und Cuba werden als Beispiele für Planwirtschaft o. ä. angeführt. In einem Buch mit dem Titel Politik findet sich jedoch folgendes Beispiel, das an die oben dargestellten Benennungspraktiken der Presse erinnert: »In Westdeutschland sind eine andere Art regionaler Probleme an der Grenze zur DDR entstanden.« (Larsson 1976, S. 101)Footnote 22

3.2.5 Transparenz und die funktionale Norm

Durch den synonymen Gebrauch der Bezeichnungen DDR und Östtyskland unterscheidet sich der schwedische Diskurs deutlich vom deutschen Sprachgebrauch. In der DDR wurden die Ausdrücke ostdeutsch und Ostdeutschland vermieden und in der Bundesrepublik wurden die Bezeichnungen DDR und Ostdeutschland mit unterschiedlichen Konnotationen eingesetzt.Footnote 23

Wie sind die schwedischen Benennungspraktiken zu erklären und welche politischen Implikationen könnten in diesem Zusammenhang umrissen werden? Aus einer deutsch-deutschen Perspektive war es für die Bundesrepublik ein Erfolg, dass die umstrittene Abkürzung BRD nicht zur Verwendung kam (wie es beispielsweise in Österreich der Fall war). Andererseits etablierte sich so die Bezeichnung Westdeutschland sehr früh, die das Land auf ein regionales Provisorium des geteilten Deutschlands reduzierte. Die DDR musste ihrerseits ertragen, dass die im Inland abgelehnte und verbotene Bezeichnung Ostdeutschland relativ verbreitet war, zugleich aber konnte man sich über den regelmäßigen Gebrauch der offiziellen Initialabkürzung freuen, was als auslandspropagandistischer Erfolg durch die DDR-Funktionär*innen vor Ort nach Berlin berichtet wurde (PM Jan Peters, BArch, SAPMO, DY 13 2589, 14.6.1968, S. 2).

Könnte also der verbreitete Gebrauch der Bezeichnung DDR als Konsequenz der erfolgreichen Auslandsinformation durch die DDR in Schweden angesehen werden? Das wäre meines Erachtens eine simplifizierende oder sogar falsche Schlussfolgerung. Meiner Einschätzung nach bedeutet die Verwendungsweise Västtyskland eine Konzeptualisierung der Bundesrepublik als das ›richtige‹ Deutschland, wobei dem zweiten Wortglied somit eine wichtige Funktion zukommt (vgl. hierzu Tienken 2015, S. 477–79). Die Dominanz des Namens Västtyskland im schwedischen öffentlichen Diskurs werte ich als Beispiel für eine funktionalistische Sicht auf Sprache, die in Schweden für den sprachpolitischen Diskurs bestimmend ist. Dem Sprachwissenschaftler Olle Josephson (2018, S. 82) zufolge prägt die sogenannte funktionale Norm seit Ende des 19. Jahrhunderts die schwedische Sprachpolitik und damit auch den öffentlichen Sprachgebrauch. Funktionale Norm bedeutet, dass sich solche Ausdrücke durchsetzen, die einfach zu erlernen sowie leicht zu (re)produzieren und zu verstehen sind (Josephson 2018, S 81–82).

Auch bei den Benennungspraktiken im Falle der beiden deutschen Staaten ist die Vermutung naheliegend, dass der kommunikative Aspekt eine wichtige Rolle gespielt hat. Västtyskland war offenbar der Staatsname, der von der funktionalen Norm ausgehend am besten funktionierte. Die Abkürzung BRD war für schwedische Sprachbenutzer*innen nicht transparent genug, der offizielle Name Förbundsrepubliken Tyskland war zu sperrig, die Kurzform Förbundsrepubliken wiederum nicht deutlich genug. Damit blieb nur Tyskland als mögliche Alternative zu Västtyskland, die aber den Vorwurf, die DDR zu exkludieren, nach sich ziehen konnte. (Trotzdem wurde die Bezeichnung Tyskland für die Bundesrepublik mitunter gebraucht, was meine Korpusanalysen belegen.)

Parallel funktionierte auch die Bezeichnung Östtyskland gut: Sie war transparent und positionierte zudem die DDR als ein Teil des Ostblocks. Die interessante Frage ist deshalb, warum es in diesem Fall gelang, das Kürzel DDR als konkurrierende Bezeichnung zu etablieren. Die metasprachlichen Diskussionen zur Deutschland-Frage Ende der 1960er Jahre haben sicher dazu beigetragen, die Abkürzung in Umlauf zu bringen; ihr Gebrauch war mit einer politischen Positionierung verbunden. Die Erfolge der DDR-Sportler*innen in den 1970er und 80er Jahren, die große mediale Aufmerksamkeit erregten, könnte eine weitere Erklärung für die Verbreitung der Abkürzung sein. Ihr häufiger Gebrauch im Sport assoziierte jedoch eher eine Organisation oder eine Partei als das ›richtige‹ Deutschland.

Obwohl funktionale Aspekte die Benennungspraktiken im schwedischen öffentlichen Diskurs dominiert haben, findet man z. B. in der Informations- und Reiseliteratur in Schweden immer wieder Beispiele für ein sprachsensibles Bewusstsein, vor allem die DDR betreffend. So erschien kurz vor dem Mauerfall in Schweden ein Reiseführer zur DDR mit dem Titel Se Östtyskland (›Besichtige Ostdeutschland‹). Der Autor Ulf Schenkmanis variiert in seinem Buch zwischen Östtyskland und DDR, schließt aber seine Darstellung mit einem metasprachlichen Rat an die Leser*innen: »Wenn du zu deinen Gastgebern höflich sein möchtest, sprichst du in Ostdeutschland ausschließlich über ›die DDR‹, das heißt die Deutsche Demokratische Republik«. (Schenkmanis 1989, S. 8)Footnote 24

4 Fazit

Die vorliegende Studie zeigt, dass die Staatsnamen im geteilten Deutschland bis 1989 eine brisante Angelegenheit blieben. Die Wahl der Benennung für den eigenen oder für den anderen Staat war zentraler Bestandteil einer Signalpolitik, die jeweils vom historischen Kontext abhängig war. Am schwedischen Material wird auch eine pragmatische Haltung kenntlich: Am Ende setzen sich jene Bezeichnungen durch, die in der Kommunikationssituation gut funktionieren, wobei Rücksicht auf die deutsch-deutschen Benennungspräferenzen eine untergeordnete Rolle gespielt zu haben scheinen. Eine Ausnahme stellen die metasprachlichen Diskussionen im Material dar, die auf die Namenskonflikte im geteilten Deutschland referieren. Diese haben fast immer eine politische Agenda, zum Beispiel eine Befürwortung der diplomatischen Anerkennung der DDR. Ebenso wird deutlich, dass die Benennungspraktiken in Schweden im Zuge der medialen Debatten zur Deutschlandfrage einem Wandel unterlagen. Die Variation zwischen den Bezeichnungen DDR und Östtyskland wäre ohne eine veränderte Ostpolitik nicht zustande gekommen.

Tabelle 2 vermittelt einen Überblick über die Zeit nach dem Grundlagenvertrag.

Tab. 2 Übliche Benennungen für die zwei deutschen Staaten 1970–1989

Sowohl im schwedischen als auch im westdeutschen Kontext wurde die Bundesrepublik regelmäßig mit Deutschland assoziiert, während der DDR ein Sonderstatus zugesprochen wurde. Trotz unterschiedlicher Bezeichnungen konzeptualisieren die Benennungen das gleiche Bild, nämlich die Bundesrepublik als das »richtige« oder im linguistischen Sinne das prototypische Deutschland (Hermanns 1992, S. 255). In der Bundesrepublik wurde die Verwendung der Bezeichnungen Deutschland und Deutsch gefördert, auch wenn nur das eine (eigene) Deutschland gemeint war. So gesehen wurde auch nach dem Grundlagenvertrag der Alleinvertretungsanspruch weiterhin diskursiv konstruiert.

In der DDR wurde dagegen die Verwendungen der Bezeichnungen Deutschland und Deutsch konsequent vermieden. Stattdessen wurde die Abkürzung DDR in jedem erdenklichen Kontext verwendet (vorausgesetzt, dass nicht die volle offizielle Staatsbezeichnung erforderlich war). So trugen auch die ostdeutschen Benennungspraktiken dazu bei, die DDR als etwas ›Anderes‹ und ›Neues‹ zu konstruieren, zum Beispiel als den, wie es hieß, »ersten sozialistischen Staat auf deutschem Boden«.

In Schweden dominierte der Versuch, die beiden Staaten neutral und ebenbürtig zu benennen (Öst- vs. Västtyskland), doch durch den synonymen Gebrauch des Kürzels DDR entstand in den 1970er Jahren eine den medialen Diskurs prägende Benennungsasymmetrie mit DDR vs. Västtyskland. Diese Asymmetrie, welche die binäre Opposition Westdeutschland-DDR konstruierte, führte letzten Endes eher zur Konzeptualisierung von einem ›richtigen‹ Deutschland und einem ›anderen‹ Deutschland.

Diskurslinguistik positioniert sich als eine text-, korpus- und wissensorientierte Form der Aussagenanalyse mit Blick auf transtextuelle sprachliche Phänomene (Reisigl/Warnke 2013, S. 7). Ein diskurslinguistischer Zugriff auf die analysierten Daten hat in der vorliegenden Studie die Brisanz der konkurrierenden Bezeichnungen oder Nominationsausdrücke im jeweiligen Kontext deutlich gemacht. Es konnte gezeigt werden, dass die beiden deutschen Staaten in der Bundesrepublik, in der DDR und in Schweden unterschiedlich sprachlich konstruiert wurden, dass die verschiedenen Diskurse auch als Bezugsgrößen füreinander dienten und schließlich, dass der Wandel der Bezeichnungen mit einem historischen Wandel einherging, was auf die dialektische Beziehung zwischen dem Diskurs und den sie prägenden Situationen und Kontexten zurückzuführen ist (Fairclough/Wodak 1997, S. 258). Die Relevanz einer diachronen, textübergreifenden Analyse von diskursiven Praktiken für die Erforschung der politischen Geschichte wurde damit bestätigt (vgl. Gardt 2007, S. 39).

Diese Benennungspraktiken waren Teil einer strategischen politischen Kommunikation, die mit dem Ende des kalten Kriegs zwar zu Ende gingen, aber auch im Wiedervereinigungsprozess noch von Bedeutung waren. Die deutsche Einigung bedeutete vor allem für die ostdeutschen Bürger*innen eine große politische, juristische und soziale Umstellung. Es ging auch darum eine gesamtdeutsche Identität zu finden, was, wie bekannt, nicht reibungslos verlief und verläuft. Auch heute noch wird von der »Mauer im Kopf« gesprochen. Herrmanns beschreibt 1992 die DDR-Bürger als »marginale Deutsche« (1992, S. 255), und Hellmann warnte bereits vor der Wende vor der Ausklammerung der DDR-Bürger aus dem Deutschlandbegriff (1989, S. 147–149). Dass die seit den 1970er Jahren zunehmende Gewohnheit, die Westdeutschen als die Deutschen zu bezeichnen, zur Identitätsproblematik beigetragen haben kann, leuchtet von daher ein. Zugespitzt formuliert: Vor der Vereinigung lebten in einem Teil des neuen Landes bereits Deutsche, während die anderen es erst noch werden mussten. Herrmanns (1992, S. 255) berichtet, wie die DDR-Fahrer*innen schon vor dem 3.10.1990 die Nationalitätsschilder an ihren Autos überklebten, so dass man nur noch das D in DDR sehen konnte. Sicher ließen die Automarken Trabant oder Wartburg keinen Zweifel daran, woher die Passagiere kamen, und auch das Provisorische am Akt des Überklebens blieb deutlich sichtbar. Trotzdem kann in dieser symbolischen Handlung – im Grunde einem Akt des Labelns – der Versuch erkannt werden, die alte durch eine neue Identität zu ersetzen.