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Publikumsemotionen: Kollektive Formen kommunikativen Handelns und die Affektivität bei Großpublika in Sport und Religion

Audience emotions: Collective forms of communicative action and the affectivity of larger audiences in sports and religion

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Zusammenfassung

Gegenstand dieses Beitrages sind Publikumsemotionen. Darunter fassen wir Ausdrucksformen in und von großen Menschenmengen, die sich in körperlicher Kopräsenz befinden und einen gemeinsamen Fokus der Aufmerksamkeit teilen. Wir konzentrieren uns hier auf die videografische Untersuchung der realzeitlichen Performanz der Emotionen großer Publika, die innerhalb der Publikumsforschung einen besonderen Ansatz darstellt (Abschn. 1). Dies gilt, wie wir zuerst in Abschn. 2 sehen werden, für das Publikum von Sport und Religion, auf das wir einen Schwerpunkt legen. Dazu wollen wir die zentralen Dimensionen skizzieren, die sich aus der bisherigen Analyse ergeben haben. Die Verbindung dieser Dimensionen erlaubt es uns, die Publikumsemotionen als Formen zu fassen, die sich der kollektiven Koordination kommunikativer Handlungen verdanken, wie in Abschn. 4 erläutert wird. In Abschn. 5 soll schließlich beschrieben werden, wie diese Formen ihre besondere ›Emotionalität‹ erhalten: Einerseits wird das Repertoire der beteiligten Akteure massiv eingeschränkt, damit es zur Koordination kommt, andererseits aber entfaltet deren Kollektivität eine sinnliche Wirkung auf die Einzelnen, die sich durch eine eigene Affektivität auszeichnet.

Abstract

The article focuses on emotions of audiences, i.e. the forms of expression specific to large crowds of people who are acting in copresence and share a common focus of attention. We focus particularly on the videographic analysis of real-time performances of emotions of large audiences which are addressed by a particular approach in audience research (1). This approach will be applied to the study of large audiences in religion and in sports, our primary areas of research on audiences (2). We shall sketch the basic dimensions of these audience emotions resulting from our preliminary studies (3). Audience emotions, we shall propose (4), can be considered as consequences of the collective coordination of communicative actions. In part 5 we finally address the reasons why these collective forms of communicative action are seen as emotional: They draw on a restricted repertoire of forms, and they ›affect‹ individuals sensually in a way which is peculiar to collectives.

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Abb. 1
Abb. 2
Abb. 3

Notes

  1. Das Forschungsprojekt untersucht Publikumsemotionen bei Großveranstaltungen im professionellen Fußball und bei christlichen Großereignissen. Dabei soll geklärt werden, welche Emotionen in Kollektiven wie erzeugt werden, wie und welche Verschiebungen innerhalb und zwischen den Emotionsrepertoires der beiden kulturellen Bereiche auftreten und welche Formen und Grenzen von affektiver Resonanz zu beobachten sind.

  2. Detaillierte videografische Analysen von Emotionen finden sich in Knoblauch/Herbrik 2014; für eine Analyse eines religiösen Großpublikums bei der Berliner Papstmesse vgl. Knoblauch 2014.

  3. Ich bedanke mich bei Meike Haken und Michael Wetzels für die Anmerkungen und Kommentare zu diesem Beitrag wie auch für die wunderbaren Daten, die wir auszugsweise zusammen mit Joshua Schröder und Johannes Finger analysiert haben. Die Methodologie richtet sich sehr deutlich an dem Verfahren aus, das in Tuma/Knoblauch/Schnettler (2013) beschrieben wurde. Für die Korrektur bedanke ich mich bei Johannes Finger und Joshua Schröder.

  4. Dabei können die Vorstellungen, was Großveranstaltungen sind, je nach Feld variieren: Im Kunstfeld und in der Religion liegen vermutlich andere Maßstäbe vor als im Sport oder in der Politik.

  5. Zu den Formen der Publikumsforschung vgl. Dollase 1998, S. 147. Einen großen Bereich bildet die Erforschung des Kulturpublikums (Winter 2016).

  6. Die Konversationsanalyse spricht von »Redezügen«; für ihre Anwendung auf audiovisuelle Daten vgl. Tuma/Knoblauch/Schnettler 2013.

  7. Wir benutzen hier einen Begriff des Wissens, der leibliche Fertigkeiten und routinisierte Interaktionen ebenso enthält wie sprachlich explizite Bestände (vgl. Knoblauch 2010, S. 359 ff.).

  8. Seit Johannes Paul II. gibt es besondere Architekturen für die Papstmessen; im Falle der Berliner Papstmesse wurde eine gesonderte Bühne errichtet. Zu den räumlichen und materialen Aspekten von Sportstadien vgl. Frank/Steets 2010; zu Mega-Churches: Zapponi 2009.

  9. Dieses Phänomen scheint nicht mit psychoakustischen Mitteln identifizierbar, sondern erfordert eher eine phänomenologische Ergänzung, die diesen Eindruck einer ›Pansonanz‹ näher beschreiben könnte.

  10. Zur Analyse einer für Präsentationen spezifischen Körperformation vgl. Knoblauch 2013.

  11. Wie andernorts ausgeführt, steht dies in einem vermuteten Zusammenhang mit der Ausbreitung der populären Religion und insgesamt eines Bereiches des Populären (vgl. Knoblauch 2009).

  12. Darauf weist schon Simmel (1992, S. 70) hin; allerdings betont er nur den Inhalt der »einfachen Ideen« für den »niedrigsten primitivsten Geiste« und sieht die koordinative Funktion derartiger Wissensbestände nicht vor dem Hintergrund der Diversität individualisierter Gesellschaften.

  13. Hierin liegt einer der Gründe dafür, dass Simmel (1992, S. 69 ff.) von der »Verführbarkeit der Massen« spricht.

  14. Wie auch Kolesch (2006) betont, ist diese Stimme relational zu denken und geht nicht im Subjektiven oder im Handeln auf, sondern in diesem Falle im Kollektiv.

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Knoblauch, H. Publikumsemotionen: Kollektive Formen kommunikativen Handelns und die Affektivität bei Großpublika in Sport und Religion. Z Literaturwiss Linguistik 46, 547–565 (2016). https://doi.org/10.1007/s41244-016-0040-4

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