Im Oktober 1990 erschien der erste Jahrgang der Zeitschrift Soziale Probleme als Doppelheft im Centaurus Verlag. Die Zeitschrift „hat sich zum Ziel gesetzt, zu einem zentralen Diskussionsforum der sozialwissenschaftlichen Forschung über soziale Probleme zu werden. Mit ihrer Gründung verbindet sich die Hoffnung, Voraussetzungen für einen Fortschritt in der theoretischen und empirischen Analyse sozialer Probleme zu schaffen und damit die Konsolidierung einer eigenständigen Forschungsdisziplin zu ermöglichen“ (Editorial 1990). Anliegen war es, die Breite des Gegenstandes zu untersuchen und theoretisieren – im Sinne eines interdisziplinären Diskurses innerhalb und zwischen Disziplinen, die sich mit sozialen Problemen befassen. Dies sollte verbunden werden mit einer Offenheit gegenüber dem gesamten Spektrum sozialwissenschaftlicher Theorierichtungen und einem expliziten Pluralismus in Bezug auf das Verständnis von Empirie. Die neu gegründete Zeitschrift „präsentiert Ergebnisse und Wege der Beschäftigung mit Ursachen, Verlauf, Entdeckung, Auswirkungen und Kontrolle sozialer Probleme“ (Editorial 1990).

Die Zeitschrift Soziale Probleme feiert in diesem Oktober 2020 also ihr 30-jähriges Jubiläum. Dieses Ereignis würdigen wir mit dem vorliegenden Doppelheft der Zeitschrift. Das Heft versammelt eine Bandbreite (inter-)disziplinärer und theoretischer Blickwinkel. In allen Beiträgen werden grundlegende Fragen und Perspektiven einer Soziologie sozialer Probleme aus verschiedenen gesellschafts- und sozialwissenschaftlichen Blickwinkeln diskutiert (Soziologie, Kriminologie, Geschichtswissenschaften, Sozialpolitik). Diskutiert und reflektiert werden grundlegende Fragen nach der Reichweite und den Grenzen sowie zur Weiterentwicklung von Konzepten.

Das Heft erscheint nicht in der Form, wie wir es ursprünglich geplant hatten. Der Beitrag von Axel Groenemeyer fehlt. Er hat die Zeitschrift Soziale Probleme seit 1996 als geschäftsführender Redakteur und Herausgeber geprägt und die Soziologie sozialer Probleme im deutschsprachigen Raum prominent vertreten und weiterentwickelt. Er hatte uns einen Aufsatz zum state of the art der Problemsoziologie zugesagt, der das Heft als Diskussionsbeitrag eröffnen sollte. Axel Groenemeyer ist am 29. Mai 2020 verstorben und konnte seinen Beitrag nicht mehr fertig stellen. Der fehlende Aufsatz symbolisiert die Lücke, die Axel Groenemeyers Tod als Freund und Kollege für alle, die mit ihm zusammengearbeitet haben, und für unsere Zeitschrift und die Sektion Soziale Probleme und soziale Kontrolle in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS) hinterlässt. Wir vermissen seine kluge und undogmatische Weltsicht, seinen verschmitzten Humor, seine kollegiale und freundschaftliche Unterstützung sowie seine wissenschaftliche Weitsicht. Wir würden gerne mit ihm über das vorliegende Heft, die spannenden Fragen und Anregungen der verschiedenen Beiträge und über die aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen diskutieren. Was hätte er zu einem zeitdiagnostischen Label wie „die Postcorona-Gesellschaft“ gedacht und gesagt? Welche gesellschaftlichen Problematisierungen und Moralisierungen würde er aktuell untersuchen wollen?

In einer seiner letzten Mails, in der wir mit ihm über seinen Beitrag korrespondieren konnten, schrieb Axel uns: „[…] ich bin mir sehr unsicher, ob ich wirklich einen state of the art Artikel schreiben kann, mir gefällt der Begriff soziales Problem gar nicht mehr, er produziert mehr Missverständnisse als irgendetwas Erhellendes […] aber schauen wir mal, ich halte Euch auf dem Laufenden.“ Wir müssen die Frage, ob der Begriff soziale Probleme „mehr Missverständnisse als Erhellendes“ produziert, nun ohne ihn weiterverfolgen und wir verstehen die vorliegende Ausgabe der Soziale Probleme auch als Würdigung seines Engagements und seines wissenschaftlichen Werkes.

Der Zweifel, ob es sinnvoll ist, den Begriff soziales Problem in der Soziologie zu verwenden, trieb Axel Groenemeyer allerspätestens seit dem Erscheinen des 1999 erstmals von ihm gemeinsam mit Günter Albrecht herausgegebenen Handbuchs Soziale Probleme um (vgl. 1999, S. 13 f.) Auch in der 2012 erschienenen 2. Auflage formulierte er seine Skepsis bereits in der Einleitung zu seinem eigenen Grundlagentext einer deutschsprachigen Soziologie sozialer Probleme unter dem Titel „Soziologie sozialer Probleme – Fragestellungen, Konzepte und theoretische Perspektiven“. Aus unserer Sicht verdeutlicht dieser umfangreiche Handbuchtext, ebenso wie viele andere Publikationen von Axel Groenemeyer, die Produktivität einer fortlaufenden kritischen Debatte über Konzepte und Fragestellungen einer Soziologie sozialer Probleme, die ihre Begriffe und methodologischen Ansätze reflektiert und erkenntniskritisch wendet. Das zeigen auch die verschiedenen Beiträge in diesem Heft. Bevor wir diese im Einzelnen kurz vorstellen und einordnen, greifen wir auf ausgewählte Argumentationsfiguren aus dem Handbuchartikel von Axel Groenemeyer zurück.

Er entwickelt seine Überlegungen zu sozialen Problemen und die wissensgeschichtliche Rekonstruktion verschiedener Theorie- und Forschungsstränge, indem die Bedeutung des „Sozialen“ als Grundbegriff der Soziologie in den Fokus gerückt wird. Damit, so Groenemeyer, wird „jede geordnete Form von Aufeinanderbezogenheit, Interdependenzen, Wechselwirkungen, Kommunikationen und Bindung zwischen Handlungen oder Systemen bezeichnet (…). Der Gegenbegriff ist keineswegs >asozial< oder >antisozial<, sondern eher individuell oder desorganisiert. So stellt, soziologisch gesehen, z. B. ein Mord ebenso soziales Handeln dar wie Helfen oder Autofahren, und selbst ein Suizid ist ein soziales Handeln, insofern er das Ergebnis gesellschaftlicher Bedingungen darstellt und Auswirkungen auf Andere und soziale Beziehungen hat. Die Verengung des Begriffs auf eine normative Konzeption, die den Gegenbegriff zu sozial in >asozial< oder >antisozial< konzipiert bzw. soziale Probleme auf das Feld sozialpolitischer Arrangements reduziert, ist zwar nach wie vor weit verbreitet, führt aber dazu, das Konzept >soziales Problem< ausschließlich im Kontext einer anwendungsorientierten Soziologie zu verorten.“ (Groenemeyer 2012, S. 21 f.).

Hier werden zwei Kernargumente einer Soziologie sozialer Probleme und daran anschließender Untersuchungsperspektiven skizziert. Im Zentrum des theoretischen Interesses stehen gesellschaftliche Ordnungsfragen im Zusammenhang komplexer sozialer Wechselbeziehungen und Strukturierungen. Diese „geordneten Formen“ sind aus der Perspektive Axel Groenemeyers nicht auf Interaktions- und Handlungsvollzüge beschränkt, sie werden in Diskursen hervorgebracht und verfestigen sich in Institutionen (vgl. hierzu das von ihm vorgeschlagene Mehrebenenmodell in Groenemeyer 2014). Ebenso bedeutsam ist die Zurückweisung einer normativ einseitigen Konzeption von sozialen Problemen als komplementäre Gegenfiguren zu dem, was als „sozial“ begriffen wird. Hier zeigt sich zugleich eine für das Feld charakteristische Spannung zwischen der grundlegenden Analyse des „Sozialen“ einerseits und von Axel Groenemeyer als „anwendungorientiert“ eingeordneten Zugängen, die soziale Probleme als Störungen der gesellschaftlichen Ordnung dingfest machen und mit Hilfe konkreter Lösungsansätze beheben wollen oder sollen. Wie weit seine Unterscheidung zwischen Grundlagen- und Anwendungsorientierung trägt, stellen wir an dieser Stelle als eine offene Frage zur Diskussion und lenken den Blick weiter auf die machttheoretischen Dimensionen der gesellschaftlichen Hervorbringung sozialer Probleme. Hierzu betont Axel Groenemeyer den systematischen Zusammenhang zwischen der diskursiven „Etablierung von Werten und Interessen als soziale Probleme“ einerseits und institutionalisierten „Mechanismen und Strukturen der Selektivität des jeweiligen politischen Systems“ andererseits.

So können sich in Abhängigkeit von der Art der Thematisierung von Sachverhalten jeweils unterschiedliche Durchsetzungschancen daraus ergeben, inwieweit politische Problembearbeitungen etablierte Ressourcenverteilungen oder die Verteilung neuer Ressourcen betreffen, ob kostenneutrale oder kostenintensive Lösungen oder neue Organisationen oder Reorganisationen notwendig werden könnten etc. Die verwaltungsmäßige, bürokratische Organisationsform stellt selbst ein Instrument der Selektion von Interessen und Problemartikulationen dar. (Groenemeyer 2012, S. 34)

Die gesellschaftliche Konstruktion sozialer Probleme ist demnach ein machtvoller Aushandlungsprozess, in dessen Verlauf sich bestimmte Wissens- und Diskursfigurationen zu „Problemen“ und zu deren „Lösung“ etablieren, deren Durchsetzung maßgeblich von politischen und bürokratischen Mechanismen der Legitimierung und Institutionalisierung abhängt. Entsprechend weisen die theoretischen Überlegungen Axel Groenemeyers immer wieder Anschlüsse zu verschiedenen Strömungen der Wissenssoziologie auf (vgl. die Bezüge, die Keller und Poferl in diesem Heft herausarbeiten).

Im vorliegenden Heft wird der wissenschaftliche Diskurs über soziale Probleme aus unterschiedlichen Blickwinkeln weitergesponnen und weiterentwickelt. Den Auftakt bildet der Beitrag von Helge Peters zur theoretischen Konturierung und Differenzierung des Begriffs „soziale Kontrolle“. Damit wird ein theoretisches Konzept beleuchtet, das im Begriffspaar „soziale Probleme und soziale Kontrolle“ darauf verweist, dass die gesellschaftliche Konstruktion von sozialen Problemen eng mit Mechanismen sozialer Kontrolle verschränkt ist.

Helge Peters zeichnet den Bedeutungsgewinn und Bedeutungsverlust des Konzepts soziale Kontrolle für die deutschsprachige Soziologie – unter Bezug auf anglophone Diskurse – seit spätestens den 1970er-Jahren nach und fragt zugleich nach der aktuellen Bedeutung dieses Konzepts. Dabei konstatiert er einen erkennbaren Bedeutungsverlust bzw. diverse diskursive Verschiebungen, was als soziale Kontrolle aufgefasst wird, in einflussreichen soziologischen Gegenwartsdiagnosen. Dass soziale Kontrolle in solchen Diagnosen selten explizit reflektiert und theoretisch konturiert wird, sieht Peters als Indiz dafür, dass der Begriff „soziale Kontrolle“ an soziologischer Relevanz verloren habe. Diese Entwicklung führt aus seiner Sicht dazu, dass die notwendige soziologische Aufmerksamkeit für die Definitionsmacht von Instanzen sozialer Kontrolle und deren Bedeutung für Gesellschaft schwindet.

Im zweiten Beitrag nehmen Birgit Menzel und Jan Wehrheim grundlegende theoretische Kontroversen an den Schnittstellen von Soziologie sozialer Kontrolle, Kriminalsoziologie und interdisziplinärer Kriminologie auf. Sie untersuchen die Komplexität des Verhältnisses von wissenschaftlicher Wissensproduktion und emanzipatorischen Bewegungen am Beispiel der Problematisierung sexueller Gewalt. Beleuchtet werden die Wechselwirkungen zwischen Problemdiskursen und diskursiver Praxis und die Rolle der „Problemwissenschaften“ bei der Problemkonstruktion wird reflektiert. Sowohl „Abweichung/Kriminalität“ als auch „soziale Probleme“ sind aus dieser Perspektive letztendlich Ergebnisse der diskursiven Praxis sozialer Kontrolle. Dies setzt jedoch nicht zwangsläufig die Ausblendung „makrostruktureller Funktionen und Effekte“ voraus, solange Gesellschaften und soziale Ordnungen nicht als Entitäten gefasst werden und die makrostrukturellen Effekte der Problematisierungen und nicht der sozialen Probleme betrachtet werden. In der logischen Konsequenz plädieren Menzel und Wehrheim für eine „Soziologie sozialer Kontrolle“ oder eine „Soziologie sozialer Problematisierung“, die durch das „Hinterfragen der Dinge“ als kritische Wissenschaft auch „Wissen für Veränderungen bemängelter gesellschaftlicher Verhältnisse produziert“.

Dörte Negnal schlägt in ihrem Beitrag eine Weiterentwicklung der konstruktivistischen Perspektive der Soziologie sozialer Probleme durch die systematische Analyse der Problematisierungsprozesse von sozialen Gruppen vor. Sie verweist auf die Personifizierung sozialer Probleme und diskutiert die Herstellung von Problemgruppen „als kategoriale Verdichtung“, über die sich kollektive Akteur*innen formieren. Gezeigt wird, wie soziale Gruppen zum Gegenstand sozialer Problematisierungen werden und welche Funktion sie im Hinblick auf soziale Kontrolle erfüllen. Negnal plädiert für eine akteurs- und prozessorientierte Perspektive, um solche Problematisierungen als „Konstellationen aus Allgemeinheit, problematisiertem Kollektiv und Problemgruppe“ zu fassen. Dies lenkt den Blick auf gesellschaftliche Kategorisierungsarbeit an sozialen Gruppen. So rücken statt „Betroffene“ „Beteiligte“ in den Fokus. Der Ansatz der „Problemgruppe als kategorialer Verdichtung“ macht zudem auf die Verschränkungen von sozialen Problemen und sozialer Kontrolle aufmerksam.

Aus einer geschichtswissenschaftlichen Perspektivierung, die sich an der Entwicklung der Sozialgeschichte orientiert, untersucht Klaus Weinhauer die Geschichte des Forschungsfeldes soziale Probleme und soziale Kontrolle und damit auch die Zeitschrift Soziale Probleme. Entlang von vier sich überlappenden Phasen stehen Fragen nach der Reflexion relevanter Ordnungsbegriffe (Gesellschaft, Staat, Struktur) und ihrer Perspektivierung im Zentrum seiner Überlegungen. Weinhauers zentrales Argument lautet, dass das Verhältnis von Gesellschaft und Kultur in der Soziologie sozialer Probleme nicht grundlegend diskutiert wurde und damit bis heute unterkomplex geblieben ist. Aus seiner Sicht dominierte eine strukturtheoretische Sichtweise in Bezug auf die Analyse sozialer Probleme – trotz intensiver Debatten über die Konstruiertheit sozialer Probleme und eines zunehmenden cultural turn in der Soziologie und Sozialgeschichte. Vor diesem Hintergrund plädiert Weinhauer abschließend dafür, eine praxeologische Perspektive auf soziale Probleme einzunehmen, die es aus seiner Sicht ermöglicht, Entitäten wie den Staat neu zu denken und dessen „Wechselverhältnis zu sozialen und kulturellen Ordnungspraktiken herauszuarbeiten“.

Albert Scherr kritisiert in seinem diskriminierungstheoretisch fundierten Beitrag den fraglosen gesellschaftlichen Konsens, Diskriminierung sei ein soziales Problem und würde aufgrund eines kollektiven Bezugs auf die Menschenrechte als unzulässig abgelehnt. So deckt er einerseits auf, dass dieser Konsens brüchig ist und problematisiert andererseits verkürzte Erklärungsansätze, die Diskriminierung als Ausdruck von Vorurteilen und Ideologien, nicht aber als gesellschaftliche Struktur analysieren. Seine theoretischen Differenzierungen verdeutlichen Engführungen und Potenziale theoretischer Konzepte der Diskriminierungsforschung. Vor diesem Hintergrund plädiert Scherr für eine Problemsoziologie, die untersucht, wie bestimmte Diskriminierungsphänomene als „soziale Probleme“ in den gesellschaftlichen Aufmerksamkeitsfokus rücken und andere nicht. Entsprechend fordert er „gesellschaftstheoretisch und problemsoziologisch“ ausgerichtete Forschungsansätze zu „Formen und Folgen von Diskriminierung sowie von individuellen und kollektiven Bewältigungs- und Gegenstrategien in unterschiedlichen sozialen Kontexten“.

Aus einem diversitätssoziologischen Blickwinkel schlägt Elisabeth Wacker vor, die Soziologie sozialer Probleme solle eine „Teilhabebrille“ aufsetzen. Diese Brille würde ihr „gut zu Gesicht“ stehen, um gesellschaftliche Exklusions- und Inklusionsdynamiken in den eigenen Fokus zu rücken. Sie sieht hier eine starke historische und aktuelle Verwandtschaft zwischen communityorientierten soziologischen Traditionen (Chigaco School), den kritischen Ansprüchen einer für kategoriale Ausschlüsse sensiblen Soziologie sozialer Probleme und aktuellen Ansätzen einer menschenrechtsorientierten Teilhabeforschung. Ihre Sichtweise konkretisiert Wacker in kritischer Auseinandersetzung mit der Kategorie „Behinderung“. So gelangt sie zu dem Schluss, die Teilhabeidee erlaube Neudeutungen „zwischen Diversitätsformeln und Inklusionsutopien (…), die weiterreichen als die Behandlung der ‚Behinderungsfrage‘.“

Hannu Turba betont die Bedeutung der Sozialpolitik und deren organisationale und professionelle Bezugspunkte für die Soziologie sozialer Probleme und entfaltet einen analytischen Rahmen, um das Wechselspiel zwischen Definitions- und Bearbeitungsprozessen („von unten“) sowie ihrer Strukturierung („von oben“) zu erfassen. Sozialpolitik wird dabei als Arbeit an Menschen und als Arbeit an Institutionen gefasst. Mit Bezug auf die ausgewählten Politikfelder Kinderschutz und Arbeitsverwaltung macht Turba „das Maß an institutioneller Komplexität mit Blick auf die Bearbeitung sozialer Probleme“ deutlich. Um diese Komplexität zu erfassen, schlägt er vor, sich das Instrumentarium der „mikrofundierten Perspektiven des soziologischen Neo-Institutionalismus“ zueigen zu machen, da diese an sozialkonstruktivistische Theorietraditionen anknüpfen, aber auch kollektive oder überindividuelle Instanzen mit hoher Deutungsmacht in den Blick nehmen. Turba sieht hier fruchtbare Anschlussmöglichkeiten für eine Soziologie sozialer Probleme, um eine Brücke zwischen „Konstruktivismus“ und „Objektivismus“ zu schlagen und damit kritische Potenziale für eine empirisch begründete Theoriebildung an der Schnittstelle zwischen der Soziologie sozialer Probleme und der Soziologie der Sozialpolitik zu nutzen.

Reiner Keller und Angelika Poferl loten das theoretische und empirische Potenzial der Soziologie sozialer Probleme als „Spielart oder gegenstandsbezogene Anwendung wissenssoziologischer Perspektiven“ aus. Hierfür bestimmen sie zunächst das Verhältnis zwischen Wissenssoziologie und Soziologie sozialer Probleme mit Bezug zu gemeinsam wie getrennt verlaufenden Entwicklungslinien und theoretischen Traditionen. Dabei zeigen sich Ungleichzeitigkeiten sowohl im Hinblick auf die Rezeption relevanter Grundlagentheorien als auch auf die Etablierung von Wissenssoziologie und Soziologie sozialer Probleme im US-amerikanischen und deutschsprachigen Kontext, trotz unübersehbarer Parallelen. Diese Parallelen arbeiten Keller und Poferl zunächst heraus, um im Anschluss drei ausgewählte wissenssoziologische Perspektiven und deren Anschlüsse für theoretische und empirische Analysen sozialer Probleme zur Diskussion zu stellen (Problematisierungswissen und Relevanzhorizonte; Wissenskulturen und soziologische Erkenntnisbildung; Wissensverhältnisse und Wissenspolitiken). Der Beitrag von Keller und Poferl öffnet „den Raum für weitere, wechselseitig fruchtbare Begegnungen“ zwischen beiden Soziologien.

Wir widmen das Jubiläumsheft Axel Groenemeyer und danken ihm für alles!