Feldforschung ist in sozialwissenschaftlichen Bereichen generell überaus divers. Dies trifft selbstredend auch auf die Felder der Konflikt- und Fluchtforschung zu. Die Forschung kann weltweit stattfinden, auf diverse Fragen konzentriert sein und anhand vielfältiger Methoden durchgeführt werden. Bezüglich der Konflikt- und Fluchtforschung kann sie etwa die Arbeit mit von Konflikten betroffenen Menschen in Postkonfliktregionen oder mit geflüchteten Menschen in Aufnahmelagern bedeuten. Ein inhärent wichtiges Thema in forschungsethischen Diskussionen wie auch Richtlinien ist die Sicherheit von Teilnehmenden und Forschenden, welches wir in diesem Beitrag im Hinblick auf die Wirkungsmacht von Ethikkommissionen in der Vorbeugung von Problemen diskutieren. Moniert wird in forschungsethischen Diskussionen beispielsweise, dass die Interaktion mit ‚westlichen‘ Forschenden Gefahren für Teilnehmende bergen kann, insbesondere wenn Autoritätspersonen gegen die Forschung Einwände erheben und Menschen für ihre Teilnahme bestrafen würden (Jacobsen und Landau 2003, S. 192–194). Bei einer unausgewogenen oder unreflektierten Wahl von Teilnehmenden, etwa nur einer ethnischen Gruppe, oder bei unsensiblem Umgang mit ihnen oder gar unfreiwilliger Teilnahme können konkrete Sicherheitsprobleme wie auch Angst und Frustration bei den Menschen aufkommen (Ellis et al. 2007; Hugman et al. 2011a; Mackenzie et al. 2007). Strikte top-down Machtdynamiken von Forschenden gegenüber ‚Erforschten‘ drohen, ihnen Entscheidungen aufzuerlegen und sie mit möglicherweise ungenügendem Raum zur Darstellung ihrer Erfahrungen zu objektivieren (Doná 2007; Pittaway et al. 2010). Weiter kritisieren Wissenschaftler*innen, dass mögliche Sicherheitsimplikationen durch Bezahlung von Befragten entstehen können (Mackenzie et al. 2007), oder dass unzureichende Methoden zur Datenerhebung mit Geflüchteten genutzt werden, um der „Ground Truth“ nachzugehen, dabei aber Gefahren für die Menschen hervorgerufen werden können (Jacobsen und Landau 2003, S. 188).
Während es wie zuvor dargelegt keine pauschalen ‚allumfassend richtigen‘ Vorgehensweisen gibt, welche diese und weitere Gefahren beseitigen, sind Reflexionen über Strategien des Umgangs damit wichtig. Häufig wird in akademischen Debatten auf den forschungsethischen Ansatz ‚Do No Harm‘ als goldene Regel und normatives Leitprinzip verwiesen, um Sicherheit von Forschenden und Teilnehmenden zu gewährleisten (vgl. u. a. Banks et al. 2013; Brounéus 2011; Browne und Moffett 2014; Fluehr-Lobban 2014; Gerver 2013; Goodhand 2000; Marlowe et al. 2015; Siegel und de Wildt 2016; Van Liempt und Bilger 2012; Vervliet et al. 2015; Wood 2006). Jedoch kritisieren Forschende mitunter, dass dies als Prinzip wenig Wirkungskraft entfaltet und bislang selten operationalisiert wird (zu einer Möglichkeit der Operationalisierung von ‚Do No Harm‘, vgl. Krause 2017). Es bleibt als selten definiertes Wunschbekenntnis bestehen und droht, zum Lippenbekenntnis zu verkommen und entstehende Gefahren für Teilnehmende und Forschende zu überdecken (krit. vgl. Krause 2017). Forschende wie Hugman et al. (2011b) und Mackenzie et al. (2007) sprechen sich nicht zuletzt deswegen dafür aus, über dieses Leitprinzip hinauszugehen.
Um deutlicher aufzuzeigen, inwieweit Fragen der Sicherheit nur unzulänglich von herkömmlichen Ethikkommissionen und üblichen ‚Do No Harm‘ Paradigmen reflektiert werden können, möchten wir nun konkret zwei Beispiele etwas ausführlicher diskutieren. Hier fragen wir, welche besonderen Bedingungen und potenzielle physische und psychische Gefahren sich mit Blick auf sexuelle Orientierung von Forschenden und genderbasierte Gefahren für Teilnehmende ergeben. Bieten standardisierte Kommissionen einen Mehrwert, um diese Risiken zu erkennen und ihnen entgegenzuwirken? In den beiden Illustrationen greifen wir auf eigene Forschungserfahrungen zurück und reflektieren darauf aufbauend Bedeutungen und Begrenzungen von Ethikkommissionen. In der Konsequenz schlagen wir flexible Gremien vor.
Die Erforschung von genderbasierter Gewalt in Konflikt- und Fluchtsituationen stellt mittlerweile kein wissenschaftliches Neuland mehr dar – nichtsdestoweniger sind forschungsethische Reflexionen natürlich zentral.Footnote 7 Von 2013 bis 2016 wurde das Projekt „Genderbeziehungen im begrenzten Raum“ umgesetzt, das Bedingungen, Ausmaß und Formen von sexueller und genderbasierter Gewalt an Frauen in Flüchtlingslagern mit Fallstudie in Uganda untersucht hat.Footnote 8 Obwohl das Projekt Gewalt an Frauen in den Fokus nahm, bestand auch Interesse am Verständnis von entsprechenden Gefahren für andere Gruppen und insbesondere für Männer. Denn anstatt einer möglichen Reproduktion binärer Muster von weiblichen Opfern und männlichen Tätern sollte die Komplexität des Themas aufgedeckt werden. Die Feldforschung fand jedoch 2014 zu einem Zeitpunkt statt, als in Uganda ein Gesetz gegen Homosexualität (‚anti-homosexuality bill‘) erlassen wurde, das Beziehungen zwischen Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender (LGBT) kriminalisiert hat. Die Wirkung des Gesetzes war weitreichend. Intensive politische, mediale und gesellschaftliche Debatten trugen zu Spannungen und einer deutlichen Zunahme an öffentlichen, gewaltsamen Übergriffen auf LGBT- und andere Personen bei (vgl. Makofane et al. 2014). Obwohl die Forschung in einem abgelegenen Flüchtlingslager stattfand, waren diese Spannungen auch dort spürbar. So kamen im Zuge der Planung und der Frühphase der Feldforschung starke Befürchtungen auf, dass für männliche und LGBT-Teilnehmende, die über Gefahren oder Erfahrungen der Gewalt berichten, negative Konsequenzen folgen könnten. Denn sexuelle Gewalt an Männern und LGBT-Personen wird nicht selten als homosexuelle Handlung ausgelegt und es wird dem Opfer Schuld zugeschrieben (vgl. Sivakumaran 2005; zu Diskursen siehe Schulz 2018). Aufgrund der schwierigen politischen Lage hätte dies Teilnehmende in gefährliche Positionen bringen können. Nach einigen Diskussionen zwischen den Teammitgliedern des Forschungsprojekts, in denen Nutzen und Risiken abgewogen wurden, haben wir die Sicherheit der Teilnehmenden priorisiert und beschlossen, im ursprünglichen Fokus auf Frauen zu bleiben. Daher haben wir andere Gruppen nicht proaktiv hinsichtlich sexuellen Gewaltgefahren befragt, sind allerdings in Gesprächsverläufen offengeblieben, insofern Teilnehmende von sich aus Erfahrungen teilen wollten. Andere genderspezifische Gefahren wie strukturelle Gewalt haben wir hingegen mit allen Teilnehmenden thematisiert.
Darüber hinaus spielten forschungsethische Erwägungen selbstverständlich generell und so auch in der Arbeit mit Frauen eine zentrale Rolle. Zusätzlich zur Wahl von Methoden (vgl. Glammeier 2016; Hagemann-White 2016; Helfferich 2016) fragten wir uns: Wie können wir Daten erheben, ohne möglicherweise retraumatisierend zu wirken oder zu stark in Privatsphären einzugreifen? Wie können wir freiwillige und informierte Teilnahme sicherstellen? Diese Fragen haben wir wiederkehrend und forschungsbegleitend besprochen – auch mit Geflüchteten selbst, um Tendenzen zu vermeiden, die Pittaway und Bartolomei (2013) sowie Pittaway et al. (2010) auf den Punkt bringen. Sie zitieren Geflüchtete in asiatischen Ländern, die Forschungsprozesse stark kritisieren, etwa dass Forschende Geflüchtete gebeten haben, sie zu vergewaltigten Frauen zu bringen, um sie zu interviewen im Sinne von „Tell us what happened – how did you feel?“ (Pittaway et al. 2010, S. 236). Da Ulrike Krause vor dem Forschungsprojekt mehrere Jahre in Uganda gelebt und auch mit Geflüchteten zusammengearbeitet hatte, war sie mit den lokalen Bedingungen vertraut. Zudem war eine der lokalen Mitarbeiterinnen eine klinische Psychologin mit mehrjähriger Erfahrung in der Arbeit mit Gewaltopfern, was für die Forschung wie auch die Reflexionen extrem zuträglich war.
Themen wie Lebensbedingungen in Uganda, humanitäre Strukturen im Lager oder auch möglichen Gewalterfahrungen wurden nicht direkt, sondern stets in ‚dritter Person‘ adressiert und in seltenen Fällen als direkte Fragen formuliert, um Gespräche nicht eng zu rahmen. Vielmehr war uns wichtig, Tendenzen im Gesprächsverlauf zu schaffen, viel Raum zu lassen, damit die Menschen über die für sie wichtigen Themen sprechen können, und natürlich allem voran Vertrauen zu bilden und die Privatsphäre zu achten. Denn einhergehend mit Malkkis (1995, S. 51) Kritik sahen wir es auch als relevant an, „to leave some stones unturned, to listen to what my informants deemed important“. Auf Gewalt im Allgemeinen sowie sexuelle und genderbasierte Gewalt im Spezifischen gingen die Menschen häufig frühzeitig von sich aus in Gesprächen ein. Dass dies nicht von vorherigem Austausch über das Forschungsprojekt und dessen Ziele zum Erhalt des Einverständnisses geleitet war, lässt sich darauf zurückführen, dass wir Gespräche offen begannen. Wir stellten das Projekt sehr generell (d. h. ohne Gewaltbezug) vor und fragten die Menschen, ob es für sie in Ordnung sei, wenn wir die konkreten Projektziele am Ende vorstellten, um ihre Antworten nicht in eine Richtung zu leiten. Dem stimmten alle Teilnehmenden zu. Dieses Vorgehen war ferner zentral, weil wir auch am Ausmaß der Gewalt interessiert waren. Für das Einverständnis zur Teilnahme nutzten wir einen ähnlich relationalen Prozess, wie er von Mackenzie et al. (2007, S. 306–312) vorgeschlagen wird. Diesem Ansatz liegt der Gedanke zugrunde, dass Einverständnis nicht allein durch eine einmalige Zustimmung (etwa durch das Unterzeichnen einer Einverständniserklärung) erreicht werden könne. Indem Mackenzie et al. an die Handlungsmacht von Teilnehmenden anknüpfen und diese ernst nehmen, schlagen sie vielmehr als angemesseneren Weg vor, Vereinbarungen in fortlaufenden Verhandlungen zu treffen, in denen die Teilnahmebedingungen kontinuierlich besprochen werden und die Teilnehmenden so eine gewisse Kontrolle über die Forschungsverfahren sowie die Art und Weise ihres Engagements behalten.
Zusätzlich zu Sicherheitsdilemmata für Teilnehmende können natürlich auch Wissenschaftler*innen mit Gefahren konfrontiert sein. Diese betreffen nicht nur möglicherweise schwierige Kontextbedingungen und alltägliche Risiken (z. B. Transportmittel, Unterkunft oder Krankheiten), sondern auch Gefahren für gewaltsame Übergriffe. Damit einhergehend betont Darling, dass ‚das Feld‘ „eine beängstigende, anspruchsvolle und manchmal verwirrende Erfahrung sein kann, wobei Forschende eine Vielzahl von Annahmen, Erwartungen und Motivationen aushandeln müssen“ (übers. von Verf., Darling 2014, S. 201). Dies ist unter Umständen emotional herausfordernd (Thomson et al. 2013), psychisch belastend und physisch gefährlich. Letzteres bringt Luisa Schneider (2020) anhand ihrer Erfahrungen auf den Punkt und reflektiert die daraus entstehenden Herausforderungen in ihrer wissenschaftlichen Arbeit.
Im Kontext unseres Fokus auf sexuelle Orientierung stehen hier die Erfahrungen des zweiten Autors während seiner Feldforschung in Ruanda im Mittelpunkt. Als homosexueller Mann ist seine sexuelle Orientierung in einem Land, in welchem Homosexualität kriminalisiert und sozial geächtet ist, eine deutliche Gefahrenquelle. Während ein Verzicht auf homosexuelle Handlungen während der Feldforschungszeit juristische Probleme ausschließen kann, sind soziale Konsequenzen aufgrund seiner Identität nicht ausgeschlossen. Obwohl gewaltsame Übergriffe auf Homosexuelle in Ruanda weniger ausgeprägt sind als im benachbarten Uganda, finden sie nichtsdestotrotz statt. Für einen weißen Forscher aus einem Land im globalen Norden ist es zudem unwahrscheinlicher, dass er Ziel von Gewalthandlungen wird – was selbstverständlich zahlreiche weiterführende Machtfragen hervorruft, auf die wir hier nicht eingehen können. Dennoch ist eine Sicherheitsgefährdung in einem Kontext solch starker Diskriminierung und so ausgeprägter Homophobie nicht gänzlich ausgeschlossen. Der Forscher hat daher keiner ruandischen Person während seines Aufenthalts irgendwelche Indizien über seine sexuelle Orientierung gegeben, von (ehemaligen) Beziehungspartnern wurde verweiblicht gesprochen, Nachfragen ins Abstrakte oder Ungefähre verwischt. Zudem hat er vor seiner Feldforschung jegliche ‚identifizierenden‘ Bilder – mit ihm und seinem als solchen erkennbaren Partner oder mit dem damaligen Partner bei Pride-Veranstaltungen, usw. – in sozialen Medien gelöscht.
Während diese ‚Vorsichtsmaßnahmen‘ nötig erschienen, bedeuteten sie auch einen Eingriff in die Privatsphäre, eine Zensur nicht nur des beruflichen Daseins, sondern vor allem ein Übergriff auf die persönlichsten Beziehungen. Seither hat der Forscher einen zweiten Account auf Facebook für berufliche Kontakte aus Ruanda (da soziale Medien im ruandischen Kontext wichtig für die Kommunikation sind), der nicht mit anderen Kanälen verbunden ist. Die Notwendigkeit dieser Maßnahmen zeigte sich in einer Situation im Feld, in welcher er nach einem Interview informell mit dem Teilnehmenden Mittagessen war und das Gespräch auf Politikwechsel kam. Als Beispiel brachte der Forscher Angela Merkels erzwungenen Umschwung bezüglich der so genannten ‚Ehe für alle‘ vor der politischen Sommerpause im Jahr 2017 aufs Tableau – also thematisch nicht auf seine eigene sexuelle Orientierung bezogen – und wurde darauf hingewiesen, „in diesem Land nie wieder über so etwas zu sprechen“. Aufgrund der ansonsten sehr liberal wirkenden Haltungen des Interviewten kann dieser Einwurf eher als Warnung und weniger als Drohung verstanden werden, aber die Stimmung im Gespräch war danach extrem aufgeladen und der Forscher empfand eine gewisse Bedrohung. Wie das Beispiel der Selbstzensur in sozialen Medien zeigt, ist die Gefahrenlage nicht nur durch das Verhalten im Feld, sondern auch von Handlungen vor und zwischen Aufenthalten determiniert.
Für den Umgang mit solchen komplexen Szenarien der möglichen Gefährdung kann es keine allgemeingültigen Regeln geben, wie das Arbeiten in Kriegsgebieten oder ähnliches stattfinden soll. Daher bedürfen sie umso mehr einer kritischen Reflexion und eines kontextsensiblen Plans, um den Sicherheitsgefahren zu begegnen. Im Folgenden eruieren wir, ob und inwiefern standardisierte Ethikkommissionen bei diesem Umgang mit Sicherheitsrisiken in solchen Forschungsprojekten hilfreich sein könnten.