Zusammenfassung
In diesem Beitrag werden die Körperpolitiken und sozialen Praktiken von Freiern im Prozess des Ersteinstiegs in das soziale Feld der Prostitution analysiert und diskutiert. Die empirische Datenbasis bilden 20 Tiefeninterviews aus einer qualitativ-empirischen Freier-Studie. Ausgehend von einer Definition des Begriffs des „Freiers“ bzw. der männlichen Nachfrage nach käuflicher Sexualität wird eine historische Kontextualisierung der Prostitutionsnachfrage vorgenommen. Ebenso werden gesellschaftliche Positionen, Körperbilder und Sexualitätsmuster der Sozialfigur des Freiers im Rahmen von Machtdiskursen (Legitimations- und Delegitimationsdiskursen) diskutiert. Empirisch wird danach gefragt, welche Handlungs- und Motivmuster sich für den Einstieg in das soziale Feld der Prostitution rekonstruieren lassen und wie die Feldstrukturen und Machtdiskurse diesen Prozess auf struktureller Ebene bestimmen. Die Ergebnisse zeigen, dass sich das soziale Feld der Prostitution als Austragungsort vielfältiger sozialer Kämpfe darstellt. Die männliche Nachfragepraxis wird hiervon auf unterschiedlichen Ebenen (sexualbiografisch, geschlechtsidentitär, ethisch, handlungspraktisch) mit Ambivalenz belegt und die Entscheidungs- und Reflexionsphase, vor und nach dem (ersten) Prostitutionsbesuch, wird von diesen Machtdiskursen zentral mitbestimmt.
Abstract
In this paper, the body politics and social practices of johns are analysed and discussed in the process of the initial entry into the social field of prostitution. The empirical database are 20 in-depth interviews with johns from a qualitative empirical study (Gerheim 2012).
A historical contextualization of the demand for prostitution is made according to a definition of the term “free agent”, or the male demand for commercial sexuality. Likewise, social positions, body images, and sexuality patterns of the social figure of johns are discussed in the context of power discourses (legitimization and delegitimization discourses). The empirical interest lies on identifying which action and motive patterns can be reconstructed in the process of entering the social field of prostitution and how the field’s structures and power discourses determine this process on a structural level. The results show that the social field of prostitution is the site of multiple social struggles. The male demand practice is hereby going along with ambivalences on different levels (of sexual biography, gender identity, ethics and practice) and the decision as well as the reflection phase, before and after visiting a prostitute (for the first time), is centrally determined by these power discourses.
Notes
Eine Ausnahme bildet die Studie von Velten (1994).
Wie z. B. Physiotherapeut_innen, Kranken- und Heilpfleger_innen, Ärzt_innen, Friseur_innen etc.
Zur tiefergehenden Auseinandersetzung und Kritik des Begriffs „Freiwilligkeit“ als ideologisches Konstrukt im Kontext neoliberaler Vergesellschaftungsprozesse vgl. Gerheim (2016).
Inwieweit diese historisierende (diskurs-)theoretische Rahmung der Prostitutionsnachfrage für heutige sexuell liberalisierte bzw. hypersexualisierte Gesellschaften des Internetzeitalters überhaupt noch zutreffend ist, bedarf dringend weiterer Forschungsbemühungen.
Vgl. zudem die Homepages von CATW – Coalition Against Trafficking in Women (www.catwinternational.org); PRE – Prostitution, Research & Education (www.prostitutionresarch.com); SOLWODI e. V. (www.solwodi.de); Stop Sexkauf – Netzwerk zur Beendigung der Prostitution durch das Sexkaufverbot (www.stop-sexkauf.org).
Diese Aussagen müssen als zu prüfende Hypothesen verstanden werden, da hierzu keine fundierten empirischen Untersuchungen existieren. Sie speisen sich aus der langjährigen (ethnografischen) Beschäftigung mit dem Untersuchungsgegenstand.
Vgl. Gerheim (2012, S. 172–176) für eine detaillierte Fallanalyse der Nachfrage-Praxis als Kompensation der leidvollen sexualbiografischen Erfahrung fehlender körperlich-sexueller Kontakte zu Frauen und unerfüllten Beziehungsbedürfnisse.
Vgl. die Webpräsenz von Bundesverband sexuelle Dienstleistungen e. V. (www.bsd-ev.info), Global Network of Sex Work Projects (www.nswp.org), International Sex Worker Foundation for Art, Culture and Education (www.iswface.org), International Union of Sex Workers (www.iusw.org) sowie dona carmen e. V. (www.donacarmen.de).
Zur detaillierten Darlegung des Forschungsdesigns vgl. Gerheim (2012, S. 26–60).
Für eine vertiefende empirische Datenanalyse zur Feldeinstiegsphase vgl. Gerheim (2012, S. 160–242).
Zur Preispolitik im Feld und der neoliberalen Ausdifferenzierung des Prostitutionsangebots vgl. Gerheim (2012, S. 119–123, 141–145).
Auch diesen Sachverhalt gilt es in weiteren Forschungsbemühungen empirisch zu überprüfen.
Zur detaillierten Sequenzanalyse der Einstiegsphase vgl. Gerheim (2012, S. 209–224).
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Gerheim, U. Zu Handlungs‑, Körper- und Sexualitätsmustern heterosexueller Freier im Prozess der initialen Nachfrage nach käuflicher Sexualität. SozProb 29, 133–150 (2018). https://doi.org/10.1007/s41059-018-0049-8
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