Zusammenfassung
Der Ansatz der „Problemarbeit“ verweist auf die Tätigkeit professioneller Akteure, die soziale Probleme in Organisationen durch ihre Praxis ,herstellen‘. Sie konstituieren Fälle, indem sie ihr jeweiliges Handlungsrepertoire zur Problembearbeitung einsetzen, wodurch zugleich ihre Organisation legitimiert wird. Die neuere Bildungspolitik schuf diesbezüglich eine erkenntnisreiche Ausgangslage: Um Probleme wie z. B. systematische Bildungsbenachteiligung zu beheben, wurden verstärkt Ganztagsschulen eingeführt, sodass die professionellen Akteure in diesen Schulen mit der Erwartung konfrontiert sind, diese Leistung zu erbringen. Gleichzeitig existieren weiterhin Halbtagsschulen, die umgekehrt damit konfrontiert sind, diese zentrale Erwartung von Bildungspolitik und Öffentlichkeit möglicherweise nicht erfüllen zu können. Der Beitrag kontrastiert deshalb Problemkonstruktionen in Halbtags- und Ganztagsgrundschulen, um die jeweiligen Formen narrativer Selbstlegitimation zu analysieren. Die empirische Grundlage bilden Gruppendiskussionen und Interviews in vier Grundschulen. Im Ergebnis zeigt sich, dass neben der Organisationsform insbesondere die Zusammensetzung der Elternschaft zentrale Bedeutung besitzt: Sozial privilegierte Eltern werden mit weitgehend anderen Problemzuschreibungen assoziiert als sozial benachteiligte Eltern. Insgesamt werden die Organisationsform, die Wahrnehmung des Elternstatus und jeweils besondere lokale Bedingungen zusammengedacht, um die jeweilige Schule als besonders kompetent für Problemarbeit auszuweisen.
Abstract
The “social problems work”-approach alludes to professionals ‘producing’ social problems by organizational practice. They constitute cases whenever they utilize their discretion and act predicated on their remit, thus legitimizing the respective organizational background. In this regard, recent German educational policies have established a telling starting point for research: Increasingly, all-day schools have been installed in order to overcome problems like systematic educational inequalities, thus commissioning professionals in these schools to achieve more equal and more just educational arrangements. Concurrently, extant part-time schools are inversely facing an overt or covert allegation implying that they might not be able to meet crucial expectations of educational policies and the public. Against this backdrop, the article compares problem constructions of employees in all-day and part-time schools to explore the narrative legitimization of their practice. The empirical basis of the analyses comprises of focus group discussions and interviews in four primary schools. Our results indicate that beside the specific organizational structure of a school the social composition of parents bears significant influence: Socially privileged parents are perceived in a thoroughly different way than socially unprivileged parents. Altogether, in the respondents’ accounts organizational structure, the perception of parents’ social status, and specific local contexts are intertwined. The complex narratives yield the respective school as a feasible option to deal with relevant problems.
Notes
Es wurde bewusst auf die verbreitete Kategorisierung von „gebunden“ oder „teilgebunden“ verzichtet, da die untersuchten Schulen die entsprechenden Kriterien der KMK (2014, S. 9 f.) nicht exakt erfüllen und eine andere ganztägige Organisationsform als „offene“ Formen aufweisen.
In additiven Modellen findet der Fachunterricht am Vormittag statt, an welchen sich nachmittags „weitere Lern- und Freizeitphasen“ anschließen, während in rhythmisiert organsierten Ganztagsschulen „Fachunterrichtsstunden und andere Lern- und Freizeitphasen über den gesamten Schultag alternieren“ (Blossfeld et al. 2013, S. 33).
Dieses Sample wurde im Anschluss an das bilanzierende Gutachten von Blossfeld et al. (2013) zur Ganztagsgrundschule entwickelt und deckt die aktuelle Pluralität ganztägig organisierter Schulformen im Primarbereich ab, da mittlerweile insbesondere auch viele nominelle Halbtagsschulen mit erweiterten Angeboten auf die Nachfrage nach zusätzlicher Betreuung reagieren.
Die soziale Zusammensetzung der Schülerschaft wurde anhand von Kennzahlen zur sozialen Lage des umliegenden Schuleinzugsgebietes auf Ebene kleinräumiger Daten in Relation zu den kommunalen Durchschnittswerten ermittelt und mit den Selbstbeschreibungen der pädagogischen Akteure der einzelnen Schulen im Rahmen der Erhebungen in Bezug gesetzt.
Die Auswertungen gemäß der dokumentarischen Methode bieten die Möglichkeit, zwischen der kommunikativen Ebene und dem auf der konjunktiven Ebene rekonstruierbaren impliziten Wissen zu unterscheiden. Das implizite Wissen wird anhand von Orientierungsrahmen und Gegenhorizonten deutlich. Entsprechend können die kommunizierten Themen und die konjunktive Ebene divergieren (vgl. Bohnsack 2007).
Da in diesen Halbtagsschulen kein weiteres pädagogisch tätiges Personal arbeitet, wurden hier je ein Interview mit der Schulleitung und eine Gruppendiskussion mit den Lehrkräften durchgeführt.
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Buchna, J., Coelen, T., Dollinger, B. et al. Neue Problemarbeit? Konstruktionen von Bildungsbenachteiligung in Halbtags- und Ganztagsschulen. SozProb 26, 47–66 (2015). https://doi.org/10.1007/s41059-015-0001-0
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