1 Ökonomische Bildung als integraler Bestandteil von Allgemeinbildung

Es gibt eine zentrale Frage, die sich ein zeitgemäßes System der schulischen Allgemeinbildung stellen muss und die lautet: Welche Kompetenzen benötigen Kinder und Jugendliche im 21. Jahrhundert, um das Leben bewältigen, die Welt verstehen und gesellschaftliche Problemlagen reflektieren zu können? Alles Weitere kann aus dieser Frage abgeleitet werden. So zum Beispiel auch die Frage, ob ökonomische Kompetenzen dazu gehören, oder ob sie eher zur Spezialbildung zu zählen sind. Sollten heute möglichst viele Menschen über eine ökonomische Grundbildung (economic literacy) verfügen, weil sie in allgemeinen Lebenssituationen benötigt wird und weil die „Grammatik unserer Gesellschaft“ (Kaminski 1997) ohne sie nicht hinreichend verstanden werden kann? Oder handelt es sich um Spezialkenntnisse, die man nur in manchen Ausbildungsberufen oder Studiengängen benötigt? In dem Fall könnte ökonomische Bildung auf die berufliche Bildung oder den tertiären Bildungsbereich beschränkt werden. Mit diesen Fragen hat sich die Wirtschaftsdidaktik als Wissenschaft über viele Jahre hinweg beschäftigt und es liegen zahlreiche konzeptionelle Arbeiten vor, die die allgemeine Relevanz ökonomischer Bildung belegen (vgl. z. B. Krol et al. 2006; Kaminski und Eggert 2008 oder Retzmann et al. 2012).

Im Ergebnis gibt es mittlerweile einen breiten Konsens darüber, dass ökonomische Bildung ein integraler Bestandteil zeitgemäßer Allgemeinbildung sein sollte. Auch die Kritiker eines Schulfachs Wirtschaft stellen die grundsätzliche Bedeutung ökonomischer Allgemeinbildung in aller Regel nicht mehr infrage. Ohne ein (auch) ökonomisch fundiertes Verständnis von Wirtschaft, Gesellschaft und Politik lässt sich die zunehmend komplexer werdende Wirtschafts‑, Arbeits- und Lebenswelt nicht bewältigen, können die Strukturen und Funktionsweisen der modernen, funktional ausdifferenzierten Gesellschaft nicht verstanden werden. Dies gilt ebenfalls für die Bedingungen, unter denen gesellschaftliche Werte in ökonomischen Kontexten wirksam werden. Schülerinnen und Schülern im allgemeinbildenden Schulwesen soll heute eine sozial verantwortete Teilhabe an Wirtschaft, Gesellschaft und Politik ermöglicht werden.

Ökonomische Bildung ist damit ein fachspezifischer Beitrag zur Mündigkeit. Der Begriff Mündigkeit umfasst wiederum zwei Dimensionen: zum einen eine durch das Zeitalter der Aufklärung geprägte, individualistische Dimension, die mit Selbstverwirklichung und Emanzipation beschrieben werden kann, und zum anderen eine soziale Dimension, die die Fähigkeit beinhaltet, sich in eine Gemeinschaft einzugliedern und diese aktiv mitzugestalten und bei den eigenen Entscheidungen auch die Belange der jeweils anderen zu erkennen und zu berücksichtigen (vgl. dazu auch Wiater 2005, S. 318 oder Giesecke 2004, S. 73). Eine der Mündigkeit verpflichtete Allgemeinbildung zielt demnach im Kern auf die Befähigung zu individueller Selbstbestimmung und zur Übernahme sozialer Verantwortung. Dazu kann ökonomische Bildung relevante Beiträge leisten.

Individuelle Selbstbestimmung gewinnt gerade im ökonomischen Bereich an Bedeutung, weil das Leben in der modernen Gesellschaft in ökonomisch geprägten Lebenssituationen zunehmend die Fähigkeit zu eigenverantwortlichem Entscheiden und Handeln abverlangt. Besonders folgenreich sind ökonomische Entscheidungen, weil sie aufgrund ubiquitärer Knappheit immer auch Opportunitätskosten mit sich bringen. Kinder und Jugendliche sind in die Lage zu versetzen, in solchen Knappheitssituationen als Verbraucherinnen und Verbraucher, Erwerbstätige oder Wirtschaftsbürgerinnen und Wirtschaftsbürger die privaten und gesellschaftlichen Opportunitätskosten so gering wie möglich zu halten – auch mit Blick auf das Gemeinwohl (vgl. ausführlich Loerwald und Stemmann 2016).

Als grundlegendes Ziel ökonomischer Bildung greift individuelle Selbstbestimmung allein aber zu kurz, es geht auch um das „sittliche Verhältnis des Menschen zu seiner eigenen Person und zu seiner Gesellschaft“ (Böhm 2005, S. 445). Das eigene wirtschaftliche Handeln ist stets mit Auswirkungen für andere Menschen verbunden und in sozialen Kontexten gilt es, die Belange anderer mitzudenken und zu berücksichtigen. Bildungsprozesse, die umfassend zur gesellschaftlichen Partizipation befähigen wollen, lassen sich nicht allein über die Befähigung zur Bewältigung von Lebenssituationen definieren. Darüber hinaus soll die allgemeinbildende Schule ihren Adressaten auch eine verantwortete Teilhabe an Wirtschaft, Gesellschaft und Politik ermöglichen.

Dazu gehört die Vermittlung eines fachlich fundierten „Struktur- und Funktionenwissens“ (Krol et al. 2006), das es ermöglicht, soziale Phänomene und gesellschaftliche Probleme aus ökonomischer Perspektive zu verstehen und zu beurteilen. Echte Teilhabe bedeutet nicht nur die Teilnahme an ökonomischen Prozessen (Tausch, Arbeit etc.). Sie zielt umfassend auch darauf, die ökonomischen Strukturen, Phänomene und Prozesse unseres Zusammenlebens sowie den wirtschaftlichen Ordnungsrahmen verstehen, reflektieren und bewerten zu können (vgl. Seeber 2009).

Nicht zuletzt hat eine auf Allgemeinbildung zielende ökonomische Bildung auch zur Reflexion normativer Fragestellungen im Spannungsfeld von Ökonomik und Ethik bzw. Wirtschaft und Moral beizutragen. Der Erwerb gesellschaftlich geteilter Wertvorstellungen und moralischer Urteilskompetenzen ist kein ‚evolutorischer Selbstläufer‘, sondern vielmehr das Ergebnis komplexer Bildungs‑, Erziehungs- und Sozialisationsprozesse. Kinder und Jugendliche beim Aufbau individueller Wertemaßstäbe zu unterstützen, sie über die Begründung von Normen aufzuklären und ihnen ein Wissen um die Durchsetzbarkeit moralischer Forderungen in Wirtschaft und Gesellschaft zu vermitteln, ist ein wesentlicher Teil des allgemeinbildenden Anspruchs ökonomischer Bildung (vgl. Loerwald 2010).

2 Aufgabenfelder ökonomischer Bildung

Die Inhaltsbereiche der ökonomischen Bildung werden üblicherweise aus den oben bereits genannten Rollen abgeleitet – mündige Verbraucherinnen und Verbraucher, mündige Erwerbstätige, mündige Wirtschaftsbürgerinnen und Wirtschaftsbürger – beziehungsweise aus den entsprechenden Lebensbereichen Konsum, Arbeitswelt und Staat. Kaminski (1994) geht ähnlich vor und legt die Akteure des Wirtschaftskreislaufs zugrunde: Private Haushalte, Unternehmen, Staat, Internationale Beziehungen. Aus diesen Bereichen haben sich im Laufe der Zeit Teilbereiche der ökonomischen Bildung herausgebildet, von denen einige besonders einschlägige im Folgenden skizziert werden sollen, um die Komplexität des Gegenstandsbereichs anschaulich werden zu lassen.

Zunächst kann die Verbraucherbildung angeführt werden, weil sie von den Anfängen der ökonomischen Bildung in den 1970er-Jahren bis heute ein Standardthemenfeld ist (Kaminski 1977; Krol 1977; Stemmann 2015). In ökonomischer Perspektivierung geht es hier im Kern um Verbraucherverhalten auf Märkten sowie die dabei entstehenden Chancen und Risiken. Märkte sind in der modernen Gesellschaft allgegenwärtig, sie bestimmen von Konsum- über Arbeits- hin zu Finanz- und Kreditmärkten zahlreiche (gegenwärtig und zukünftig) bedeutende Lebenssituationen von Schülerinnen und Schülern. Diese sollen in die Lage versetzt werden, Handlungsspielräume zu erkennen und im eigenen Sinne sowie zum Wohle anderer nutzen zu können. Märkte als Teil der Lebenssituationen von Schülerinnen und Schülern bergen die Gefahr (systematischen) Fehlverhaltens, die mit z. T. unzumutbaren Risiken für den Einzelnen verbunden sind. Außerdem bedürfen Märkte der Gestaltung und sind auf bestimmte Voraussetzungen angewiesen, die sie nicht selbst erbringen können. Die allgemeinbildende Schule muss ihre Adressaten auch in die Lage versetzen, die zweckdienliche Gestaltung von Märkten politisch zu leisten bzw. konkurrierende Ideen der Gestaltung zu beurteilen und zu begleiten. In dieser auf das Individuum und auf die Gesellschaft bezogenen Ausrichtung ist Verbraucherbildung ein integraler Bestandteil von Allgemeinbildung.

Eine besondere Ausprägung hat die Verbraucherbildung in der Finanziellen Allgemeinbildung erfahren (z. B. Retzmann 2011; Schlösser et al. 2011; Aprea et al. 2016; Fuhrmann 2018). Seit einigen Jahren ist ‚Financial Literacy‘ in vielen Ländern auch Teil der PISA-Studie (siehe z. B. OECD 2017). In Deutschland hat man sich aus verschiedenen Gründen bis dato gegen diese PISA-Teilstudie entschieden (Sälzer und Prenzel 2015). Zentral für die Finanzbildung ist das – auch für die ökonomische Bildung insgesamt wichtige – Ziel einer rationalen Entscheidungskompetenz. Finanziell geprägte Lebenssituationen von Jugendlichen und Erwachsenen sind durch ein hohes Maß an Knappheit gekennzeichnet, wobei permanent Entscheidungen zu treffen sind, die in jeweils unterschiedlicher Art und Weise auch die eigenen Finanzen betreffen. Das bezieht sich beispielsweise auf Entscheidungen über den Umgang mit dem eigenen Geld, die individuelle Absicherung von Lebensrisiken oder den Aufbau von Vermögen auch zur Altersvorsorge. Aber auch die Konsequenzen falscher Entscheidungen bedingen wieder neue Entscheidungssituationen, z. B. hinsichtlich des Umgangs mit Überschuldung. Die OECD definiert Financial Literacy entsprechend als die Befähigung „to make effective decisions across a range of financial contexts […]“ (OECD 2013, S. 144). Finanzielle Bildung soll Kompetenzen vermitteln, die die Schülerinnen und Schüler auf solche finanziell relevanten Entscheidungssituationen vorbereiten.

Wenn man von der Verbraucherperspektive zur Perspektive der Erwerbstätigen in der Arbeitswelt übergeht, dann lassen sich hier zwei weitere relevante Felder ökonomischer Bildung identifizieren.

Das ist zunächst einmal die Berufliche Orientierung, die ebenfalls seit Jahrzehnten zum Standardrepertoire ökonomischer Bildung gehört (z. B. Beinke und Wascher 1993). Zwar wird die Berufliche Orientierung als schulische Gesamtaufgabe gesehen und ist damit auch in anderen Schulfächern relevant (KMK 2017), allerdings hat die ökonomische Bildung aufgrund ihrer fachlichen Kompetenzen im Feld der Wirtschafts- und Arbeitswelt hier eine herausgehobene Stellung (siehe z. B. die Beiträge in Schröder 2019). Die aktuelle Relevanz der beruflichen Orientierung resultiert nicht zuletzt aus dem anhaltenden Fachkräftebedarf, der wachsenden Unübersichtlichkeit an beruflichen Optionen oder den Abbrüchen in Ausbildung und Studium. In der beruflichen Orientierung geht es aber nicht nur um den individuellen Berufswahlprozess, sondern auch darum, die Wirtschafts- und Arbeitswelt kennenzulernen und zu verstehen. Gerade die durch den digitalen Wandel aktuell angestoßenen disruptiven Veränderungsprozesse auf Arbeitsmärkten sollten zum Gegenstand von Wirtschaftsunterricht gemacht werden, um eine reflektierte Auseinandersetzung mit Anschlussalternativen zu ermöglichen.

Dazu gehört auch die Alternative einer beruflichen Selbstständigkeit und damit kommen wir zur zweiten Aufgabe ökonomischer Bildung in diesem Bereich: der Entrepreneurship Education. Auch dieses Feld wurde in der wirtschaftsdidaktischen Literatur umfassend beschrieben (zum Überblick siehe Retzmann 2012 oder Kirchner und Loerwald 2014). Ein sehr umfassendes, zugleich aber auch recht präzise umschriebenes Verständnis von Entrepreneurship Education ist bei Aff (2008) zu finden, der unternehmerische Qualifikationen im engeren Sinne (z. B. betriebswirtschaftliches Grundwissen) um die Förderung einer „Kultur unternehmerischen Denkens und Handelns“ und die Förderung einer „Kultur der Mündigkeit, Autonomie, Eigenverantwortung und Solidarität“ ergänzt (ebd. S. 310). In diesem Ansatz werden Eigenverantwortung und die Bereitschaft zur Wahrnehmung gesellschaftlicher Verantwortung systematisch zusammengeführt. Dem folgend kann als Leitbild der Entrepreneurship Education der mündige Entrepreneur gesehen werden, der in der Lage ist, in unternehmerischen Kontexten selbstständig und sozial verantwortet zu handeln. Entrepreneurship Education umfasst dabei alle Bildungsprozesse, die unternehmerische Kreativität, Innovationsfähigkeit, Selbstwirksamkeitsüberzeugung, Leistungsmotivation, rationalen Umgang mit Risiko und Verantwortungsbewusstsein fördern und die solche ökonomischen und überfachlichen Kompetenzen vermitteln, die für die Anbahnung, Realisierung und Reflexion unternehmerischer Initiative (Entrepreneurship) erforderlich sind.

In den bisher beschriebenen Teilbereichen ökonomischer Bildung konnten die Schülerinnen und Schüler als aktiv handelnde und gestaltende Akteure adressiert werden. Darüber hinaus gehört ein Verständnis wirtschaftstheoretischer und wirtschaftspolitischer Zusammenhänge ebenso dazu wie eine normative Reflexion des Wirtschaftsgeschehens.

Wirtschaftsunterricht hat immer auch eine umfassende Wirtschaftsbürgerbildung zum Gegenstand, weil die allgemeinbildende Schule ihren Adressaten eine verantwortete Teilhabe an der Gesellschaft ermöglichen soll. Grundlage dafür ist die Vermittlung von Kenntnissen über Strukturen und die Funktionsweisen der Gesellschaft (z. B. Krol und Zoerner 2007). Allgemeinbildung soll die epochalen Schlüsselprobleme unserer Gesellschaft zum Gegenstand machen (Klafki 1991) und diese sind heute gekennzeichnet durch zunehmende funktionale Differenzierung, Individualisierung, Wertewandel und Wertepluralismus, Anonymisierung und Globalisierung. Die damit einhergehende, abnehmende Gestaltungsmacht des Nationalstaates bewirkt eine (partielle) Rückverlagerung von Lebensrisiken auf den Einzelnen, der nun in wesentlich stärkerem Maße selbst für die Gestaltung seiner Biografie verantwortlich gemacht wird. Es muss eine zentrale Aufgabe der deutschen Schule sein, Heranwachsende mit solchen Kompetenzen auszustatten, die sie zur Bewältigung von Problemen in modernen Gesellschaften und zur Erschließung der Welt benötigen. Hier kann ökonomische Bildung über die Thematisierung entsprechender wirtschaftspolitischer Gegenstandsbereiche aber auch über die spezifische Problemerklärung (z. B. über Anreizanalysen) einen originären Beitrag leisten.

Das Wissen um wirtschafts- und gesellschaftspolitische Strukturen und Funktionsweisen ist in allgemeinen Bildungsprozessen zu ergänzen um eine normative Reflexion der gesellschaftlichen Phänomene und sozialen Probleme. Der Beitrag einer wirtschaftsethischen Bildung als Teil von ökonomischer Bildung liegt vor allem auf der ordnungsethischen Ebene. Studien zum ‚Attitude Behaviour Gap‘ zeigen, dass die in Bildungsprozessen typischen individualethischen Zugänge in der modernen Gesellschaft an Grenzen geraten (vgl. Loerwald 2010). In vielen wirtschaftsethisch relevanten Problemsituationen genügt es eben nicht, an individuell richtiges Verhalten zu appellieren, auch wenn dies weiter eine wichtige Voraussetzung ist. Schülerinnen und Schüler müssen auch über die Möglichkeiten der Problementschärfung über institutionenökonomisch fundierte Anreizlösungen aufgeklärt werden. Teilhabe bedeutet dann in diesem Sinne nicht reine Teilnahme, sondern auch (Mitwirkung an) Gestaltung von Rahmenbedingungen. Eng mit diesem Bereich verknüpft sind alle Arbeiten zur ökonomisch fundierten Umweltbildung bzw. Bildung für nachhaltige Entwicklung (z. B. Seeber 2001; Krol 2008).

Mit diesen Aufgabenfeldern ist ökonomische Bildung nicht erschöpfend beschrieben, es wird aber deutlich, wie umfangreich der Gegenstandsbereich ist und wie viel Zeit man benötigt, um mit Schülerinnen und Schülern diese verschiedenen Themenfelder zu bearbeiten. Über die Inhalte hinaus definiert sich ökonomische Bildung aber auch in Form einer spezifischen Zugriffsweise auf gesellschaftliche Phänomene und soziale Probleme und genau hier liegt ihr eigentliches Proprium.

3 Alleinstellungsmerkmale ökonomischer Bildung

Wenn gefordert wird, ein Bildungsanliegen zu stärken, dann muss man auch deutlich machen, in welcher Weise das neue Schulfach relevante Kompetenzen vermitteln kann, die von den Fächern der bisherigen Stundentafel nicht erbracht werden. Nicht selten wird versucht, dies über die entsprechenden Unterrichtsthemen zu belegen. Im Wirtschaftsunterricht beschäftigt man sich demzufolge mit Geld, Steuern, Arbeit, Unternehmertum, internationalen Wirtschaftsbeziehungen etc. Das ist ja grundsätzlich nicht falsch, aber die Zuweisung von Inhalten zu Unterrichtsfächern ist nicht trennscharf. Sie eignet sich nicht als hinreichendes Unterscheidungsmerkmal. Im Politikunterricht wird Geldpolitik thematisiert, in der Gesellschaftslehre Arbeitslosigkeit und ihre Folgen, im Geschichtsunterricht Steuern im Mittelalter und im Erdkundeunterricht globale Standortverlagerungen von Unternehmen.

Wirtschaftsunterricht muss also mehr leisten, als über (vermeintlich) ökonomische Themen zu unterrichten. Es geht darum, eine spezifische Perspektive auf diese Themen zu entfalten und damit neue Erklärungs- und Lösungsansätze präsentieren zu können. Das ist das entscheidende Kriterium, an dem sich ein neues Bildungsanliegen messen lassen muss. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit sollen an dieser Stelle ausgewählte Alleinstellungsmerkmale eines Wirtschaftsunterrichts an allgemeinbildenden Schulen dargestellt werden, die sich aus der spezifisch ökonomischen Denkweise ergeben.

Typisch für die Ökonomik ist zunächst einmal die Analyse von Anreizwirkungen. Soziale Phänomene werden in den Sozialwissenschaften als Ergebnis des (aggregierten) Verhaltens von Menschen betrachtet und Bildungsprozesse sollen Schülerinnen und Schüler u. a. dazu befähigen, das eigene Verhalten und das anderer zu reflektieren. Nicht selten geraten in Bildungsprozessen dabei vor allem die Ziele und Motive der handelnden Personen in den Blick (Mikro-Ebene: Handlungsgesinnungen). Es wirken aber auch extrinsische Faktoren auf das individuelle Verhalten ein. Gerade bei der Entschärfung von Problemen in modernen Gesellschaften gewinnen die Handlungsbedingungen (Makro-Ebene) als Ansatzpunkt an Bedeutung. Für einen solchen Perspektivwechsel von den individuellen hin zu den institutionellen Einflussfaktoren bietet die ökonomische Verhaltenstheorie ein bewährtes Konzept (siehe z. B. Krol et al. 2011). Eine Analyse der Anreizwirkungen von Rahmenbedingungen kann nicht nur eine Erklärung für die Diskrepanz zwischen Wissen und Verhalten liefern (vgl. Degenhardt 2007, S. 41 ff.), sondern auch Wege für die Auseinandersetzung mit neuen, institutionenökonomisch fundierten Lösungsansätzen aufzeigen.

Ökonomische Theorien sind außerdem besonders geeignet, um Lösungsansätze für Großgruppenkontexte zu entwickeln. Soziale Interaktionen in Kleingruppen sind durch ein hohes Maß an Transparenz über das Verhalten der beteiligten Akteure gekennzeichnet. Zwischen den Gruppenmitgliedern existiert in der Regel eine emotionale Verbundenheit und durch Face-to-Face-Interaktion wird soziale Kontrolle möglich. Kindern und Jugendlichen sind solche Kleingruppenkontexte in Familie, Freundeskreis, Sportverein oder Schulklasse vertraut. In Großgruppenkontexten sind die Probleme aufgrund von Intransparenz und Anonymität hingegen oftmals gar nicht leicht zu erkennen oder auf die Handlungen bestimmter Personen rückführbar. Und falls doch, so sind informelle Sanktionen zumeist nicht möglich. In ökonomischen Bildungsprozessen werden die für Schülerinnen und Schüler im Klassenraum üblichen Kleingruppensituationen systematisch um eine Analyse von Großgruppenkontexten erweitert. Besonders relevant wird dies in solchen Lehr-Lern-Arrangements, durch die in der Kleingruppe simulierte Großgruppenstrukturen vermittelt werden sollen, wie beispielsweise in der Entrepreneurship Education (z. B. durch die Schülerfirma).

Als eine besonders tragfähige Heuristik für ökonomische Analysen hat sich die Theorie sozialer Dilemmata entwickelt (siehe ausführlich Homann und Suchanek 2005). Soziale Dilemmata sind Situationen, in denen das aggregierte Ergebnis individuell vernünftiger Verhaltensstrategien in einen kollektiv unerwünschten Zustand einmündet. Dies trifft auf viele Probleme moderner Gesellschaften zu (z. B. Umweltverschmutzung). In solchen sozialen Dilemma-Situationen konfligieren die gemeinsamen Interessen auf der Makro-Ebene mit den individuellen Interessen der Akteure auf der Mikro-Ebene. Kooperation mit allen Beteiligten ist nicht möglich bzw. nicht hinreichend verlässlich (Free-Rider-Problematik). Verschärfend kommt hinzu, dass einzelne Verhaltensbeiträge (Mikro-Ebene) keinen spürbaren Einfluss auf das Ergebnis (Makro-Ebene) haben. Schülerinnen und Schüler agieren auf der Mikro-Ebene (z. B. als Konsumenten von T‑Shirts oder Smartphones). Kollektiv unerwünschte Ergebnisse aggregierter Einzelhandlungen geraten in dieser Perspektivierung nicht unmittelbar in den Blick. Ökonomische Bildung kann helfen, einen Perspektivwechsel zur Makro-Ebene zu ermöglichen, um das Dilemma nachvollziehbar zu machen und Lösungsansätze auf kollektiver Ebene zu erkennen.

Ökonomische Phänomene, Strukturen und Prozesse sind komplex und interdependent. Entsprechend haben wirtschaftliche und wirtschaftspolitische Entscheidungen auch immer Nebenwirkungen und Folgewirkungen. Typisch für die Ökonomik ist dementsprechend die Analyse von Wirkungszusammenhängen. Wer nicht ökonomisch gebildet ist, das zeigen u. a. Studien zum Denken von ökonomischen Laien (zum Überblick: Roos 2007), neigt dazu, in kurzen Kausalketten zu denken. Das Denken fokussiert in kurzfristiger Perspektivierung die Primärwirkungen unter systematischer Vernachlässigung von dynamischen Effekten und Sekundärwirkungen (Enste et al. 2009). Für ökonomische Lehr-Lern-Prozesse impliziert dies, dass im Wirtschaftsunterricht ein Perspektivwechsel von der kurzfristigen zu einer mittel- bis langfristigen Perspektive ermöglicht und gefördert wird. Ebenso sollten Wechselwirkungen z. B. zwischen Märkten Gegenstand der Betrachtung sein.

Es ließen sich weitere typisch ökonomische Denkweisen identifizieren, mit denen sich zeigen ließe, dass die Ökonomik eine auch für allgemeine Bildungsprozesse spezifische Perspektivierung relevanter individueller und gesellschaftlicher Problemlagen vornehmen kann, die andere Schulfächer bisher so nicht oder bestenfalls randständig betreiben. Für die Frage nach einem eigenen Schulfach Wirtschaft ist diese Tatsache relevant. Der Erziehungswissenschaftler Volker Ladenthin hat dies wie folgt auf den Punkt gebracht: „Gegen eine Verbindung mit anderen Fächern spricht die einem Fach zukommende spezifische Fachmethodik. Wenn das Fach Wirtschaft unterrichtet wird, weil es eine ganz spezifische Frage stellt, kann die Beantwortung dieser Frage nicht im Rahmen von Fächern geschehen, die dieses Spezifikum nicht haben. Man darf einem Fach durch seine Institutionalisierung nicht sein Spezifikum nehmen, um derentwillen man es eingeführt hat.“ (Ladenthin 2007, S. 45).

4 Zur Institutionalisierung ökonomischer Bildung in Schulen

Es ist deutlich geworden, dass ökonomische Bildung ein Bestandteil von Allgemeinbildung sein sollte und welche Beiträge sie einbringen kann, die bis dato im schulischen Unterricht so nicht erbracht werden. Über die Art und Weise, wie (!) ökonomische Bildung im allgemeinbildenden Schulwesen institutionell verankert werden sollte, gibt es unterschiedliche Auffassungen. Die Kernfrage dreht sich hier darum, ob man ökonomische Bildung als Teildisziplin in einem Integrationsfach z. B. mit Politik, Recht, Erdkunde und/oder Soziologie zusammen unterrichten sollte oder ob das Unterrichtsfach Wirtschaft die bessere Lösung wäre. In den 16 Bundesländern wird dies an den verschiedenen Schulformen sehr unterscheidlich realisiert und es gibt ein breites Spektrum unterschiedlicher Fachbezeichnungen. Das wiederum ist für die Entwicklung der ökonomischen Bildung in Schulen und Hochschulen ein relevantes Hemmnis. Ökonomische Bildung als Teil von Allgemeinbildung ist auch heute noch eine Innovationsaufgabe. Von einer flächendeckenden ökonomischen Grundbildung sind wir in deutschen Schulen vielerorts noch weit entfernt.

Aus didaktischer Sicht kann die grundlegende Zielsetzung nur lauten, dass solche institutionellen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die den Erwerb ökonomischer Kompetenzen am besten fördern. Der institutionelle Rahmen ist so zu gestalten, dass Kindern und Jugendlichen in kumulativen Lernprozessen der Erwerb solcher Kompetenzen ermöglicht wird, die sie auf gegenwärtige und zukünftige Anforderungssituationen vorbereiten, mit denen sie in ökonomischen Kontexten konfrontiert werden. Der institutionelle Rahmen in Schulen hat damit dem in den vorherigen Abschnitten skizzierten Anspruch und der Komplexität ökonomischer Bildung angemessen Rechnung zu tragen. Die besten pädagogischen Ideen werden aber unwirksam bleiben, wenn es keine institutionellen Rahmenbedingungen für ihre Realisierung gibt (vgl. dazu auch Leschinsky und Cortina 2003, S. 28).

Ein Kernproblem für diese Herausforderung ist, dass die Zeit, die Schülerinnen und Schüler in der Schule verbringen, ein knappes Gut ist. Die Entscheidungen darüber, wie diese Bildungszeit zwischen welchen Fächern aufgeteilt wird und welches die zentralen Inhalte und Kompetenzen sind, sind Ergebnisse gesellschaftlicher, didaktischer und vor allem bildungspolitischer Aushandlungsprozesse. Die in heutigen Schulen vorherrschende Fächerstruktur und die Gewichtung von Bildungsanliegen durch Zuweisung von Stundenkontingenten beruht aber nicht nur und nicht in erster Linie auf aktuellen bildungspolitischen Entscheidungen. Sie ist vielmehr das Ergebnis eines historischen, pfadabhängigen Prozesses. Für eine innovative Bildungsidee wie die ökonomische Bildung ist es daher nicht leicht, sich in den Strukturen des Schulsystems zu etablieren.

Der quantitative Umfang ökonomischen Lernens in deutschen Schulen variiert erheblich; tatsächlich reicht zurzeit das Spektrum der fachlichen Zuordnungen von Weltkunde, Politik, Erdkunde oder Verbraucherbildung über Gemeinschaftskunde, Gesellschaftslehre, Sozialwissenschaften, Politik/Wirtschaft oder Arbeitslehre bis hin zu Wirtschaft, Wirtschaftslehre, Wirtschaft und Berufs- und Studienorientierung oder Wirtschaft und Recht. Fraglos aber ist der fachdidaktisch entscheidende institutionelle Handlungsrahmen für schulische Lehr-Lern-Prozesse das Schulfach, in dem die thematischen Zusammenhänge für die Lernenden nachvollziehbar werden.

Die Verankerung ökonomischer Bildung in einem Integrationsfach ist aus Perspektive der Bildungspolitik eine attraktive Lösung. Man kann die Forderungen nach ökonomischer Bildung bedienen und muss gleichzeitig keine neuen Stunden dafür freistellen, wenn man ökonomische Bildung im Fach Politik oder Erdkunde unterbringt. Didaktisch besteht der vermeintliche Reiz solcher Integrationsfächer in der Hoffnung auf eine interdisziplinäre Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Themen über die Grenzen von Fächern hinweg. Ein Kernproblem dieses Ansatzes ist aber, dass Mehrperspektivität voraussetzungsvoll ist. Eine Perspektive muss zunächst einmal auf hohem Anforderungsniveau verstanden werden, um sie anwenden und zu anderen Perspektiven in Relation setzen zu können. In einem Unterrichtsfach, das zwei Stunden pro Woche unterrichtet wird, ist das realistisch nicht seriös zu leisten. Das gleiche Problem existiert in der Lehrerbildung. Hier steht sowieso nur ein Drittel der Kreditpunkte für ein Fach zur Verfügung, weil auch noch ein zweites Unterrichtsfach und die Erziehungswissenschaften studiert werden. Wenn dieses Drittel nun noch einmal durch zwei oder drei Disziplinen geteilt werden muss, wie beispielsweise im Fach Sozialwissenschaften in NRW (Politik, Soziologie, Wirtschaft), dann bleibt nicht viel übrig. Von einer fachlich fundierten Ausbildung kann dann wohl kaum noch gesprochen werden (vgl. ausführlich Loerwald und Schröder 2011).

Daher spricht einiges für die Verankerung der ökonomischen Bildung in einem eigenständigen Fach. Durch ein an eine Bezugsdisziplin angebundenes Schulfach kann ein kategorial legitimierter, an Lebenssituationen exemplifizierter und domänenbezogener Kompetenzerwerb ermöglicht werden. Die Gegenstände eines solchen Unterrichtsfaches sind exemplarisch. Die Perspektive hingegen, verstanden als methodisch gestützte Wahrnehmung von Lebenssituationen und Problemen, ist das domänenspezifische Proprium des Faches. Erst durch den Erwerb ökonomischer Grundbildung von Lehrkräften und Schülerinnen und Schüler können Unterrichtsthemen aus ökonomischer Perspektive bearbeitet werden und damit Anknüpfungspunkte für fachübergreifende bzw. Fächer verbindende Projekte bieten.

5 Ausblick

Der Beitrag sollte deutlich machen, dass ökonomische Bildung ein integraler Bestandteil von Allgemeinbildung ist. Ihr Gegenstandsfeld ist komplex und sie bietet kategoriale Erschließungsmöglichkeiten, die andere Schulfächer so nicht bieten können. Weil sie im deutschen Schulsystem aber noch nicht selbstverständlich ist, hat sich das Bündnis für Ökonomische Bildung Deutschland (BÖB) gegründet. In Zukunft wird dieses Bündnis durch Netzwerkbildung, gemeinsame Veranstaltungen und konzeptionelle Inputs in bildungspolitische Prozesse an der Debatte um ökonomische Bildung in Schulen und die curriculare Konstruktion von (Anker‑)Fächern so weit wie möglich teilhaben. Das BÖB ist dabei offen für weitere Mitglieder und Interessierte. Die Grundposition des Bündnisses ist in dem Eckpunktepapier publiziert, das in dieser Ausgabe des LIST-Forums abgedruckt ist.