Da Online-Weiterbildungsberatung mittlerweile auf ein eigenständiges beraterisches Profil zurückgreifen kann, eröffnen sich Ratsuchenden andersgeartete individuelle Zugänge bzw. Möglichkeiten zur Entfaltung von Lern- und Bildungspotenzialen in den verschiedenen Lebensphasen und Lernbereichen über die Lebensspanne. Dabei ist deutlich zu erkennen, dass auch in Online-Beratungsformaten zum lebensbegleitenden Lernen das Individuum konzeptueller Mittelpunkt bleibt: Grundsätzlich bildet die gesamte Lebenswelt, in der Erwachsene handeln, denken und fühlen (analog wie digital), den Horizont möglicher Beratungsanlässe. Auf Basis praxistheoretischer Grundannahmen zu digital-gestützten Interaktionen werden über eine qualitative Online-Forschung entlang digitaler Dokumente sowie einer semiotischen Interaktionsanalyse eines exemplarischen Online-Portals der Weiterbildungsberatung (BMBF-Infoportal bzw. www.der-weiterbildungsratgeber.de) einige Besonderheiten rekonstruiert: Welche Aktivierungslogiken entstehen auf Basis digital-medialer (textlicher, visueller und ästhetisierender) (An‑)Ordnungen im BMBF-Infoportal? Wie wird durch (Re‑)Adressierungspraktiken eine spezifisch (biographische) Subjektivierung der Ratsuchenden versucht? Welche Gegenwartsbezüge sowie biographischen Use-Cases werden im untersuchten Online-Portal angeboten, um Resonanzen auf potenzielle Lerninteressen bei den Nutzenden (Online-Ratsuchenden) zu katalysieren? Ergebnisse weisen darauf hin, dass das BMBF-Infoportal mit seinen digitalisierten Artefakten für die Online-Weiterbildungsberatung grundlegende Kommunikationsformate von Beratung aufgreift, digitalisiert nutzt und damit zugleich verändert. Entsprechend lassen sich im BMBF-Infoportal digitale Beratungsinteraktionen rekonstruieren, die im analogen Raum so nicht gegeben sind.

1 Weiterbildungsberatung als kulturelle Praxis im Kontext lebensbegleitenden Lernens

Weiterbildungsberatung wird in modernen Gesellschaften in unterschiedlicher Weise bedeutsam (OECD 2021), wobei den konzeptuellen Ausgangspunkt stets das Individuum mit seinen Möglichkeiten und Fähigkeiten bildet (vgl. Gieseke und Nittel 2016). In Beratungsprozessen, egal ob analog oder medial-aufbereitet (vgl. Stanik und Maier-Gutheil 2020) bzw. online-gestützt (Engelhardt und Storch 2013), wird grundsätzlich die gesamte Lebenswelt, in der Erwachsene handeln, denken und fühlen, zum Horizont möglicher Beratungsanlässe. Die beratende Begleitung von Weiterbildungsfragen kennt vielfältige Formate (Lernberatung, Übergangsberatung, Kurswahlberatung u. v. m.; zur Übersicht Gieseke und Nittel 2016) und möchte als Beratungsleistung prinzipiell die „Problembearbeitung“ (Pätzold 2009, S. 199) von in „einzelnen Phasen des Lebenslaufs jeweils wirksamen Handlungskomplikationen überwinden helfen“ (Gieseke und Nittel 2016, S. 11). Es geht in der (Weiter)Bildungsberatung also um Herausforderungen moderner Biographien. Aus praxistheoretischer Perspektive (zur Übersicht Schäfer 2016) können Biographien als relationales Konstrukt sozial-gesellschaftlicher Strukturen wie individuell veränderlicher Lebensrealitäten verstanden werden (Dausien und Kelle 2009), so dass sie Element, Prozess und Resultat kultureller (beraterischer) PraktikenFootnote 1 sind (vgl. Reckwitz 2003, 2017). Weiterbildungsberatung im Kontext lebensbegleitenden Lernens identifiziert, wo biographischen Problemen lernend begegnet werden kann („Lern(unterstützungs)praktik“; Göhlich und Zirfas 2007) und versteht sich ganz generell als (professionelle) „Hilfe zum Lösen eines subjektiv bedeutsamen Problems“ (Schiersmann 2023, S. 46).

Weiterbildungsberatung möchte Ratsuchenden ermöglichen „unter den komplexen gesellschaftlichen Strukturen ihren eigenen Weg zu finden und die Eigenkräfte im Sinne kognitiver und emotionaler Ausdifferenzierung“ zu stärken (Gieseke und Nittel 2016, S. 11). Das Ziel von Beratung richtet sich an den multiplen transformativen Prozessen von Wandel im Lebenslauf bzw. der Biographie aus, um „Orientierung in der Unübersichtlichkeit“ zu ermöglichen und darin – ganz im Sinne einer „pädagogischen Intervention“ (Gieseke und Stimm 2016, S. 33) – auf individuelle wie zugleich gesellschaftliche Ressourcen- und Zukunftsentwicklungen hinzuwirken. Entsprechend nimmt Weiterbildungsberatung seit Jahren einen „zentralen Stellenwert innerhalb der Erwachsenen- und Weiterbildung“ ein (Maier-Gutheil und Nierobisch 2015; Käpplinger 2019).

2 (Weiter)Bildungsberatung im Online-Raum

Trotz dieses zentralen Stellenwertes, so Rott und Stanik (2023), spielten Online-Beratungsformate in der Erwachsenen- und Weiterbildung bis zur Corona-Pandemie, sowohl in der Praxis als auch im wissenschaftlichen Diskurs, eine doch eher untergeordnete Rolle, obgleich „fallangemessen“ auch vorher schon „moderne Medien“ für die Beratung genutzt wurden (ebd., S. 130). Das Besondere für (Weiter)Bildungsberatung liegt derzeit in der überbordenden OmnipräsenzFootnote 2 und dem synergetischen Miteinander des Digitalen und Analogen, in denen vielfältige Modifikationen von Praktiken ihre Wirkung auf die Bildungsberatung entfalten (bspw. zur digitalen Mediatisierung in der Beratung Engel 2019; zur Online-Kommunikation und digitalen Beratungsinteraktionen Engelhardt 2021; zum biographischen Einfluss der Mediendinge Klinge 2023). Gleichzeitig steigt in einer „Kultur der Digitalität“ (Stalder 2021) bei Ratsuchenden nicht nur die Bereitschaft, sondern auch der Anspruch, sich im digitalen Raum beraten zu lassen (vgl. Kühne 2016; Engelhardt 2021; Zizelmann 2023). Entsprechend lassen sich analog-beratende und digitale-beratende Unterstützungsstrukturen lebensbegleitenden Lernens nicht mehr divergent denken; vielmehr stellen Beratungspraktiken im Online-Raum ein „interdependentes Geflecht“ (Engel 2019, S. 6) aus digitalen, analogen und hybriden Ressourcen zur Lösung alltäglicher Lebens- bis Bildungsfragen bzw. -probleme dar. Wie in den klassischen Beratungskontexten entstehen auch im Online-Raum vielschichtige Formate und beratende Interaktionen, die von der reinen Informationsweitergabe bis hin zur komplexen biografischen Problemlösung reichen.

Online-Beratung kann zunächst ganz grundsätzlich als medial vermittelte und digital-interaktive Beratung verstanden werden, d. h. als „wechselseitige Kommunikation, bei der Menschen unter der Zuhilfenahme von unterschiedlichen Medien miteinander im Austausch sind“ (Engelhardt 2021, S. 16). Dabei schließt Online-Beratung „sämtliche Formen der Beratung ein, die auf die Infrastruktur des Internets angewiesen sind, um den Prozess der Beratung zu gestalten und die sowohl synchron/asynchron textgebunden […] als auch synchron und textungebunden […] stattfinden können. Ebenso sind Mischformen denkbar“ (Engelhardt und Storch 2013, S. 4 f.). Solche Beratungsangebote können zeitgleich oder zeitversetzt, ortsgebunden oder ortsunabhängig, offline, online oder blended stattfinden. Entsprechende Beratungsformate erfolgen etwa als Chat- oder Videoberatung, Gruppenberatung in Foren, Informationsplattformen bzw. Recherchen in Weiterbildungsdatenbanken (zur Übersicht Rott und Stanik 2023). Sowohl die Kombination unterschiedlicher Angebote ist möglich als auch die Integration in formalisierte und andere Beratungssettings (Engel 2019, S. 6; Zizelmann 2023). Ergänzt und erweitert werden die digital-beraterischen Interaktionen durch die Spezifik, in der die Objekte im Online-Raum angelegt sind, wie etwa Emojis, verlinkte Piktogramme, algorithmische Filterfunktionen für Suchbegriffe oder automatisierte Transkriptionsprogramme. Von „der Online-Beratung“ (Stanik und Maier-Gutheil 2020, S. 114, H. i. O.) kann also kaum gesprochen werden. Im Digitalen als „ortlose Dauergegenwart“ (Stalder 2021, S. 147) entsteht vielmehr ein Online-Beratungsraum, in dem Ratsuchenden und Beratenden Interaktionswege auf Basis multipler digitaler Infrastrukturen zur Verfügung stehen.

Im Zuge ebendieser Eigenschaften eröffnet die Online-Weiterbildungsberatung andere Möglichkeiten und Varianten alltagsweltlicher Zugänge – ganz im Sinne des Anknüpfens an bereits bestehende „Sinnstrukturen digitalisierter Lebenswelten“ (Hartung-Griemberg 2023, S. 492; s. Kühne 2016). So wird auf digitale Medien des Alltags, etwa Smartphone und Laptop, sowie digitalkulturelle Elemente, wie bspw. Sprachnachrichten, zurückgegriffen, wodurch Online-Beratung allein schon eine direkte und konkrete Lebensweltnähe impliziert (vgl. Lerch und Getto 2018; Zizelmann 2023). Einhergehend mit den technischen Möglichkeiten eröffnet das Zugangsprinzip „easy in – easy out“ (Engel 2019, S. 25), sich im Internet einfach und schnell Informationen mithilfe einiger Klicks anzeigen zu lassen, ohne sich z. B. an Öffnungszeiten zu binden oder Anfahrtswege in Kauf nehmen zu müssen (Knatz und Dodier 2021). Es gelten weniger klassische Formalia und bürokratische Regularien, die umgekehrt aber auch ausgesetzt werden können, etwa in Form des Verlassens des Online-(Beratungs)Raums mit einem Klick oder das Abdriften in andere Themen oder auf andere Webseiten durch Hyperlinks (Stichwort Lost-in-Space). Darüber hinaus weisen digital vermittelte Interaktionen und Kommunikationen ein höheres Maß an Anonymität oder Pseudonymität (z. B. fiktive Profile) auf. Ratsuchende müssen sich nicht in ihrer Identität offenbaren, wenn bspw. eine E‑Mailberatung in Anspruch genommen wird (Engel 2019, S. 62). Letztendlich besitzt der Online-Raum darin andere Formate digitaler Selbstbestimmung, da die Kontrolle über Ort, Zeit sowie Möglichkeiten der stetigen Beendigung des Beratungsprozesses deutlich stärker beim Ratsuchenden verbleibt (Engelhardt 2021, S. 39 f.). Die beschriebene Vielfältigkeit befördert „ein interdependentes Geflecht aus Ressourcen zur Lösung alltäglicher Probleme“ (Engel 2019, S. 6), das Ratsuchende wahrnehmen oder ignorieren können. Allerdings müssen bei allen Optionen auch problematische bis dysfunktional kritische Aspekte mitbedacht werden: Etwa, dass es nicht allein um technische Voraussetzungen, wie eine ausreichend stabile Internetverbindung, E‑Mailadresse, Kamera, oder wichtige Maßnahmen des Datenschutzes geht. Insbesondere der Wegfall non-verbaler Signale in der beraterischen Kommunikation (vgl. Rott und Stanik 2023, S. 130), eine nötige schriftliche Mindestkompetenz (Stanik und Maier-Gutheil 2020, S. 115) sowie generelle Voraussetzungen der Medienaffinität und neu entstehende soziale Ungleichheitsfaktoren insgesamt (Digital Divide vgl. van Dijk 2020) spielen eine nicht zu unterschätzende Rolle.

3 Zur Analyse eines Online-Portals für Weiterbildungsberatung: Das BMBF-Infoportal

Als eigenständiges Teilprojekt im Verband Bürgerservice Beratung für lebensbegleitendes Lernen des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) wurde mit SyKoFootnote 3 eine Systemstruktur- und Korrespondenzanalyse des BMBF-Infoportals sowie des hinterlegten Wissensmanagementsystems (WMS) vorgenommen (s. 3.1). Am Beispiel des damaligen Weiterbildungsratgebers und Online-Portals des BMBF soll im Folgenden – basierend auf empirischen Daten einer qualitativen Online-Analyse – gezeigt werden, wie textliche, visuelle und ästhetisierende (An‑)Ordnungen erfolgen. Ferner werden digitale Aktivierungslogiken und medial-interaktive (Re‑)Adressierungsstrategien (Ricken et al. 2017) beleuchtet, die biographische Probleme als Weiterbildungsfragen initiieren. Forschungsgegenstand war bis zu ihrer Abschaltung im Dezember 2022 die öffentlich zugängliche Webseite www.der-weiterbildungsratgeber.de, ein Online-Portal zur Weiterbildungsberatung, das folgend als BMBF-Infoportal bezeichnet wird.

Das BMBF-Infoportal wurde als digitales Dokument im Sinne eines Artefaktes betrachtet und entlang praxistheoretisch orientierter HeuristikFootnote 4 wie digital-methodischer Fokussierung analysiert (vgl. Latour 2006; Stalder 2021; Wein 2020). Als qualitative Online-Forschung wurde in SyKo methodologisch der sozialwissenschaftliche Zugang zur Analyse des Digitalen (vgl. Schmidt-Lux und Wohlrab-Sahr 2020) gewählt und mit dem bislang in den Bildungs- und Beratungswissenschaften noch wenig verwendeten Ansatz der semiotischen Interaktionsanalyse von Webseiten verknüpft (vgl. Zankl 2014). Dabei gelten für Webseiten grundsätzlich die Merkmale der a) Hypertextualität (nichtlineare Textorganisation und -rezeption unter volatiler Vernetzung durch die Repräsentation im Internet); b) Multimodalität (über die digital-technische Option simultaner Zeichenarten (sprachlich, visuell, auditiv) mit para- und nonverbalen Zeichen, wodurch eine multimodale Performanz mit hoher emotionaler Wirkung auf die Nutzenden entsteht) sowie der c) Interaktivität (bei der hypertextuelle Strukturen von Webseiten eine aktive, individuelle und nichtlineare Form der Textrezeption bis hin zu konstitutiven „lebendigen“ Textgenerierungen ermöglichen; vgl. ebd., S. 155).

Für die Analyse des BMBF-Infoportals wurde von der heuristischen Annahme ausgegangen, dass Ratsuchende im Online-Raum in Interaktion mit anderen Subjekten (z. B. Beratende) oder (digitalen) Objekten treten (z. B. Chat; Text), wodurch die digital-mediatisierten Handlungsaufforderungen verschiedene aktive Handlungsprozesse der Nutzenden initiieren.Footnote 5 So zeigt eine praxistheoretisch orientierte Medienforschung, wie sich das „medienverwendende Subjekt“ als „Träger medialer Praktiken […] weder als ein bloßes Objekt medialer Informationsströme dar[stellt] noch als völlig ungebunden hinsichtlich seiner individuellen Instrumentalisierung von Medien.“ (Reckwitz 2003, S. 286) Vielmehr lässt selbst in einem standardisierten Online-Portal zeigen, so unsere Analysen, wo mindestens ansatzweise biographisches Lernen katalysiert wird, das zwischen Orientierung, Stabilisierung und Identitätsbildung letztlich der Subjektentwicklung dienen soll („[…] so dass sich durch die medialen Praktiken bestimmte ‚innere‘ Kompetenzen und Dispositionen aufbauen“; ebd.).

Insgesamt ist bei allen derzeitigen Entwicklungen davon auszugehen, dass sich die Prozessierung von Beratung mit Hilfe digitaler Medien im Online-Format, bspw. durch den Einsatz von KI-Spracherkennung, Large Language Processing Models zur Textanalyse bis hin zu virtuellen Assistenzen, noch weiter transformieren, zunehmend ausdifferenzieren und modifizieren wird, so dass weitere Forschungen nötig (Käpplinger 2019) und wünschenswert sind.

3.1 SyKo – SystemstrukturanalyseFootnote 6 digitaler Dokumente

Der Online-Weiterbildungsratgeber des BMBF fungierte vor seiner Abschaltung im Dezember 2022 als einrichtungsübergreifendes Beratungsangebot, welches Ratsuchende zur Ermittlung von Weiterbildungsbedarfen und -zielen sowie entsprechender Angebote und Finanzierungsmöglichkeiten nutzen konnten. Wesentliches Merkmal des Weiterbildungsratgebers waren die digitalen bzw. technischen Beratungsangebote in Form von Telefonberatung, Mailberatung, Co-Browsing und barrierefreiem Gebärdentelefon, welche über das BMBF-Infoportal beworben und für die Ratsuchenden zugänglich gemacht wurden. Insgesamt verwies das Infoportal überwiegend auf berufsbezogene Weiterbildungsmöglichkeiten und weniger auf lebensweite individuell-subjektive, biographieorientierte Lern- und Bildungsmöglichkeiten.

ZielFootnote 7 der SyKo Studie war die Analyse digitaler Dokumente bzw. Artefakte des BMBF-Infoportals als „texts in action“ (Smith 2001, S. 160). Damit können digitale Dokumente in Internetportalen bzw. auf Webseiten zunächst in ihrer thematisch-strukturellen Eigenheit sowie strukturell-ästhetischen Anordnung und Verknüpfung („multimodale Präsentation“; Zankl 2014, S. 153) gefasst werden. Für die Analyse von Dokumenten des digitalen Raums hat sich darüber hinaus gezeigt, dass insbesondere auch die Nutzung(-sanimation) und Wirkung der gewählten sprachlich-stilistischen Mittel, der Einsatz visueller und auditiver Elemente (Bilder und Videos), die emotional-ästhetische Gestaltung sowie (minimal) interaktive Elemente (Chat, Foren) von großer Bedeutung sind. Entsprechend wurde das Forschungsdesign um Fragen nach der Performativität des Virtuellen erweitert: „Seit Langem weiß die Soziologie, dass der Mensch in den technischen Dingen, die er alltäglich verwendet, bereits entworfen ist. So fließen bei der Fabrikation von Artefakten tatsächliches und imaginiertes Verhalten derjenigen ein, für die das Artefakt designt wird“ (Wein 2020, S. 20). Die Ratsuchenden bleiben mit ihren Fragen, biographischen Herausforderungen, ihren Lernwünschen wie Interessen, Wahrnehmungen und Erfahrungen von Lernen und Bildung in der bedeutungskonstituierenden Verknüpfung (Nutzung) des Beratungsportals selbst strukturierend aktive Akteure (s. u. 4.1 bis 4.3).

3.1.1 Methodologie: Zur rekonstruktiven Erforschung von Dokumenten im digitalen Raum

Die Rekonstruktion von Dokumenten ermöglicht Hinweise auf gesellschaftliche und institutionelle Praktiken und darauf, welche Diskurse und Vorstellungen (hier: über die Online-Weiterbildungsberatung) vorhanden sind bzw. öffentlich begleitet werden sollen. Dokumente verweisen dabei sowohl auf einen „Herstellungszusammenhang“ als auch auf einen „Verwendungszusammenhang[s]“ (Schubert 2019, S. 1216, H. i. O.). In Dokumenten wird intendiert auf Ziele und Mittel zu Handlungen hingedeutet (im BMBF-Infoportal z. B. die priorisierte Nutzung des Infotelefons), die damit unterstützt bis kontrolliert werden.

Webseiten als Textsorte im Medium des Internets mit ihren digitalen Dokumenten als Artefakte (s. unten) haben eine noch vergleichsweise kurze Tradition in der empirischen Textanalyse der Erwachsenen- und Weiterbildungswissenschaft. Die Textlinguistik spricht zudem von einer Textsorte mit kaum konventionalisierbaren Mustern und Kulturen von Kommunikation und Interaktion, deren „Komplexität die bisherigen Beschreibungskategorien […] nicht gerecht werden“ (Zankl 2014, S. 154). Dokumente definiert Wolff (2010) als grundlegend „standardisierte Artefakte“ (ebd., S. 503), die als „schriftliche Texte“ jeglichen Formats einen Sachverhalt oder Vorgang aufzeichnen. Dokumente stellen „Gebrauchsgegenstände“ dar (Schubert 2019, S. 1215), die als „Sachtechnik von Menschen produziert und genutzt werden“ (ebd.) und Gegenstände des täglichen Gebrauchs bilden. Dokumente können folglich als „Produkte menschlichen Handelns“ (Schubert 2019, S. 1216, H. i. O.) bzw. als „Produkte sozialen Handelns“ (ebd., S. 1215) gedeutet werden, die in alltägliche Praktiken eingebettet sind. Subjekte richten ihr Handeln nach den Dokumenten aus und passen darin die Dokumente zugleich ihren Handlungen an, sodass sie als Orientierungsgrundlage fungieren und ihnen ein alltagspraktischer Sinn innewohnt (im Online-Raum entstehen solche relationalen Praktiken bspw. durch die Nutzung von Suchfunktionen entlang eigener Stichwörter oder die Ablage von Webseiten über persönliche Lesezeichen im Browser). Bereits der digitale Raum selbst, in dem die Dokumente existieren, besitzt eine (trans)formierende Wirkung auf die Wahrnehmungsformen des Selbst (Reckwitz 2017) und des Sozialen sowie damit verwobene Interpretationen und „Figurationen“ subjektiver und kollektiver Weltbedeutungen (Schmidt-Lux und Wohlrab-Sahr 2020, S. 4). Wichtig dabei ist – und dies kann auch als eine spezifische Herausforderung der Erforschung des digitalen Raumes verstanden werden – die stets vorhandene Verbindung zwischen dem analogen und digitalen Raum (vgl. Rathmann 2022, S. 22) zu berücksichtigen und systematisch im Blick zu behalten.

Handlungen im digitalen Raum sind oftmals schneller und sehr viel niedrigschwelliger zu vollziehen – wenige Klicks reichen, um Dokumente zu öffnen, zu verändern, in neue Kontexte einzufügen, zu verfälschen. Zu bedenken ist, dass digitale Dokumente in ihrer nichtlinearen Rezeption und lebendigen Konstituierung im Vergleich zu analogen, papierbasierten Dokumenten bestehen (vgl. Klinge 2020; s. 4.1). Zudem können sie so programmiert und gestaltet werden, dass sie in eine „aktivierende Interaktion“ (vgl. ebd., S. 65) mit den Nutzenden treten.

3.1.2 Digitale Performativität, Materialität und Gebrauch im analytischen Fokus

Digitale Dokumente stellen aufgrund ihrer Hypertextualität, Multimodalität und spezifischen Interaktivität einen Sonder- oder Grenzfall dar (s. oben) – sie können einen schier unendlichen Umfang und enorme Mengen an Daten beinhalten. Zur methodischen Kontrollierbarkeit innerhalb der Datengewinnung wurde in SyKo deshalb mit dem Modell der digitalen Analyse nach Wein (2020) gearbeitet. Im Modell sind folgende vier Analysedimensionen benannt:

  1. 1.

    Textliche Performativität (Wein 2020, S. 18) – basiert auf konversationsanalytischen Maximen, welche die soziale Lesbarkeit im Zuge der sequenziellen Geordnetheit des Dokumentes (turn by turn) und die daraus resultierenden Wirkweisen auf den Lesenden offenlegen. Ergänzt wurde diese Perspektive in SyKo durch das konversations- und ethnomethodologische Prinzip „order at all points“ (Wolff 2010, S. 512). Mittels des Prinzips werden Einzelheiten des Dokuments, so geringfügig sie auch erscheinen mögen, nicht a priori als Zufallsprodukt oder vernachlässigbare Erscheinung gewertet, sondern vielmehr als ordnungsbildender Bestandteil.

  2. 2.

    Performativität des Visuellen (Wein 2020, S. 18) – perspektiviert die Wirkweisen der gestalterischen Mittel des Dokumentes, wobei das Visuelle als kulturelle Praktik verstanden wird. Das Sichtbare in Form von Bildern, Farben und Zeichen operationalisiert Kommunikations- und Denkformen und hat zugleich einen wirklichkeitskonstituierenden Charakter, den es analytisch abzubilden gilt (vgl. ebd., S. 19). Diese Perspektive wurde in SyKo durch semiotische Ansätze ergänzt, um die Interpretation der Bedeutung von Objekten und Zeichen des Dokumentes konversationsanalytisch differenzierter fokussieren zu können (vgl. Eco 1987; Stukenbrock 2013).

  3. 3.

    Gebrauch des Dokuments – bezieht sich auf die „Theorie der Praxis und der Bedeutung“ (Wein 2020, S. 20), um die „situativen Gebrauchssettings“ (ebd., S. 16), in denen das Dokument in das praktische Tun der Subjekte integriert wird, d. h. gelesen, beschriftet, genutzt etc., zu rekonstruieren. Das ist möglich, weil Dokumente meist einer „kontextuellen Enthaltsamkeit“ unterliegen (Wolff 2010, S. 510) und davon ausgegangen werden kann, dass Dokumente so von den Verfassenden erstellt worden sind, dass sie ohne Kontextwissen genutzt werden können.

  4. 4.

    Materialität – eröffnet einen Blick auf die digitale Beschaffenheit des Dokuments und den „Möglichkeitsraum für Gebrauchs- und Wirkungsweisen sowie für medial-strukturelle Eigenschaften“ (Wein 2020, S. 19). Die Materialität knüpft an die Ding- und Artefakte-Soziologie an, sodass materielle Erscheinungen, wie hier etwa die Integration von digitalen Materialitäten (Hyperlinks, Bilder, Chatbots etc.), von Bedeutung sind und hinsichtlich ihrer Bedeutungsmacht für die Praktiken der Subjekte befragt werden können.

Um die textliche Interpretation der Gestaltung und Bedeutung von Objekten und Zeichen in den digitalen Dokumenten heuristisch zu erweitern, wurden zusätzlich folgende konversationsanalytische Kriterien miteinbezogen: Ästhetisch-visuelle Wirkungen (bspw. Orientierung über Farbverläufe; Emotionen durch Bilder und Farben; s. 4.1), semantische Kontextualisierungen (bspw. Alltagsbeispiele als Lernmotive; Use-Cases als biographische Anker; s. 4.2) und semiotische EinflüsseFootnote 8 (bspw. Dissonanz oder Kongruenz verwendeter Piktogramme für Ratsuchende unterschiedlicher Generationen; s. 4.3).

4 Ausgewählte empirische Ergebnisse der SyKo-Studie

Im Folgenden werden einige ausgewählte Ergebnisse des Forschungsprojekts SyKo dargelegt und exemplarisch für die hier gewählten Fokusse auf Visualisierung und Ästhetisierung (4.1.), (Re‑)Adressierung (4.2) sowie Gegenwartsbezüge und biographische Use-Cases (4.3) analysiert und erläutert.

4.1 Visualisierung und Ästhetisierung

Besuchen Ratsuchende die Webseite des BMBF-Infoportals, erscheint auf der Landingpage und auf weiteren Unterseiten stets am linken oberen Rand das Logo des BMBF (Abb. 1). Dieses bettet die Webseite in einen staatlich-institutionellen, und dadurch offiziellen Kontext ein. Parallel zum BMBF-Logo befindet sich das Signet des BMBF-Infoportals auf der rechten Seite. Im Sinne der Maxime „order at all points“ (Wolff 2010, S. 512) und mit Bezug auf die Anordnung wird eine Parallelität zwischen dem Logo und dem Signet aufgebaut. Der offizielle Charakter des BMBF als staatliche Behörde wird im Sinne der Performativität des Visuellen (3.1.2) auf die Wahrnehmung des Angebots des Weiterbildungsratgebers übertragbar, sodass das BMBF-Infoportal als vertrauensvolle (staatliche) Institution, als ein seriöses Angebot der Weiterbildungsberatung, bei den Ratsuchenden wirken kann.

Abb. 1
figure 1

Startseite des BMBF-Infoportals des Online-Weiterbildungsratgebers

In Bezug auf die Visualisierung und Ästhetisierung wird das Signet (reduziertes Format eines schwachen Logos für das BMBF-Infoportal) des BMBF-Weiterbildungsratgebers wie auch die gesamte Gestaltung der Webseite durch die Farbe Blau dominiert (Abb. 1). Bonnardel et al. (2006) haben experimentell die Wirkung von Farben auf Webseiten untersucht und kommen zu dem Ergebnis, dass im digitalen Raum Blau als beruhigend wahrgenommen werde und dies zugleich Klarheit und Objektivität widerspiegle (ebd. 2006, S. 320). Die visuelle und ästhetische Gestaltung des BMBF-Infoportals kann ergo auf die sinnliche Wahrnehmung des online-gestützten Beratungsangebots wirken.

Die Medienästhetik (Ruf 2018) verweist zudem auf sich verändernde kulturelle Praktiken des Lesens und der Sehgewohnheiten (bspw. weniger linear von links nach rechts und von oben nach unten; vielmehr komplex und hyper-/multimodal; vgl. 3.1). Darin gilt Visualisierung nicht lediglich einem Sehen, sondern auch dem Erkennen und bewertenden Wiedererkennen (Schumann und Müller 2000, S. 5) sowie Memorieren. Die digitale Ästhetisierung setzt zudem auf eine „Versinnlichung“, etwa über die Farbgebung, wie auch „sinnliche Intensivierung“ (Hieber und Möbius 2011, S. 8), um zu aktivieren und tatsächliches Handeln auszulösen (bspw. das Buchen eines Weiterbildungskurses). Dabei kann es jedoch in der digitalisierten Darstellung zu Irritationen kommen, was wir im folgenden Abschnitt zeigen wollen.

4.2 (Re‑)Adressierung

In Erweiterung der obigen Darstellung fällt zweierlei auf (s. Abb. 2): Zum einem die visuell-hierarchische Anordnung der Begriffe Wissensdatenbank und Infotelefon. Die Wissensdatenbank, welche die oder der Ratsuchende selbstständig, ohne Beratenden in Anspruch nehmen kann, um sich über Weiterbildungsoptionen zu informieren, ist nicht nur kleiner, sondern auch unterhalb der Telefonnummer angeordnet. Zudem erscheint die Telefonnummer für die Telefonberatung im Vergleich zur Wissensdatenbank überproportional groß, sodass sie unmittelbarer hervortritt und dadurch in ihrer Bedeutsamkeit betont wird. Aus dokumentenanalytischer und semiotischer Perspektive (3.1) spielt a) die Wissensdatenbank somit eine eher untergeordnete Rolle, weswegen dieses Beratungsangebot möglicherweise weniger Wirkung auf die Ratsuchenden entfalten kann und b) eine Aktivierung zur Nutzung des Infotelefons verstärkt wird. Die Adressierung beider Beratungsoptionen ist damit – mindestens virtuell-performativ – eine unterschiedliche und die Telefonberatung (ein fast schon klassisches Beratungsformat der Weiterbildung; vgl. Käpplinger 2009) wird auch im Online-Raum wieder zentral in den Vordergrund gerückt.

Abb. 2
figure 2

Signet des BMBF-Weiterbildungsratgebers mit Verlinkung zur Wissensdatenbank

Ferner fällt ergänzend zur ästhetischen Visualisierung der Wissensdatenbank auf, dass sie durch keinen optischen Rahmen begrenzt oder andere grafische Objekte hervorgehoben wird. Sie ist lediglich als einfacher textlicher Code abgebildet, wobei das textuelle Zeichen im Sinne der Hypertextualität mit einem operationalen Zeichen verbunden ist (vgl. Zankl 2014; Klinge 2020). Dies wird jedoch erst beim Überfahren des Wortes mit dem Cursor ersichtlich, wenn sich dieser von einer Pfeilform in eine Hand verwandelt. Unter Annahme einer bewussten Intention der Gestaltung kann auch hier darauf geschlossen werden, dass dem Ratsuchenden das Infotelefon anstelle der Wissensdatenbank (stärker) nahegelegt werden soll. Im Sinne der „semiotischen Pragmatik“ (Friedrich und Scheppenhäuser 2010, S. 29; s. 3.1.2) lässt sich auf eine spezifische Wirkungsverstärkung für die „Vollzugswirklichkeit“ schließen (vgl. Stukenbrock 2013, S. 222): Das Infotelefon soll scheinbar gegenüber der eigenständigen Informationsaneignung mit Hilfe der Wissensdatenbank auch adressatenseitig priorisiert werden. Im Zusammenhang fällt zudem die eingebettete Frage: „Fragen zur Weiterbildung?“ im Signet des BMBF-Weiterbildungsratgebers auf. Die darunter im Rahmen angeordnete Aussage: „Das Infotelefon berät Sie gern!“ bietet auf diese selbstbezügliche Frage die passende Antwort und schreibt der Telefonberatung einen (er)lösenden Schlüsselmoment zu. Verstärkt wird dies noch durch das Ausrufezeichen als semiotischen Code, der, wie ein Imperativ, appellierend wirkt und dadurch die Relevanz des Telefons katalysiert.

Tatsächlich verdichtet sich rekonstruktiv der Eindruck, dass die Aufmerksamkeit auf das Infotelefon gelenkt werden soll, um eine entsprechende Reaktion (im analogen Raum) zu evozieren. Die Interaktion zwischen dem digitalen Dokument und dem Ratsuchenden bildet dabei ein „figuratives“ Sich-in-Beziehung-setzen, im Zuge dessen eine subjektivierende Anerkennung des Besuchenden der Webseite als Ratsuchenden mit möglichem Beratungsbedarf eröffnet wird (vgl. Ricken et al. 2017, S. 194). Mittels dieser wechselseitigen Sprech- bzw. Kommunikationspraktik (ebd.) im Online-Raum können Ratsuchende dazu aktiviert werden, Weiterbildung zu nutzen. So wird über textlich-adressierende und visuell-gestaltende Performativität die Vollzugswirklichkeit der Ratsuchenden tangiert, über die Materialität manifestiert und durch den Gebrauch der Webseite ausgedrückt.

4.3 Gegenwartsbezüge und biographische Use-Cases

Auf der Startseite des Infoportals (Abb. 1) fällt unmittelbar eine Slideshow in den Blick. Sie nimmt einen verhältnismäßig großen Raum auf der Seite ein und beinhaltet drei ausgewählte pseudo-reale Biographien von Personen (Abb. 3), die den BMBF-Weiterbildungsratgeber in Anspruch genommen haben (Use-Cases):

Abb. 3
figure 3

Ausschnitte aus der Slideshow zu biographischen Use-Cases (pseudo-reale Ratsuchende)

Innerhalb dieser Use-Cases wird die Rolle des Weiterbildungsratgebers berufsbezogen, lebensweltnah und alltagsstrukturell verortet, potenziell daraus resultierende biographische Lernprozesse lokalisiert und so die Gestaltungsmöglichkeit der eigenen Biographie durch Weiterbildung für die Ratsuchenden entfaltet. Die Relevanz des BMBF-Infoportals wird hierbei mit dreierlei Funktionen versehen: Zum einem wird grundsätzlich die Diversität verschiedener Lebensläufe anerkannt, die je unterschiedlich gestaltet, von Umbrüchen und Suchbewegungen mit Hilfe von Beratung gekennzeichnet sind (berufliche Neu- oder Umorientierung). Hierin können sich Ratsuchende wiedererkennen, sodass das Infoportal in Form von „Resonanz und Echo“ (Lerch und Getto 2018, S. 39) fungiert. Zum anderen versucht der Weiterbildungsratgeber eine unterstützende Funktion in diesen brüchig skizzierten Biographien einzunehmen, an die selbstbestimmte Entscheidungs‑, Urteils- und Handlungsfähigkeiten durch Weiterbildung gekoppelt werden (Dausien und Kelle 2009). Das BMBF-Infoportal fungiert als entwicklungsbegleitendes Beratungssystem, das Lern- und Bildungsbewegungen entlang der Inanspruchnahme von Weiterbildungsangeboten initiieren will. Zum dritten bietet es biographische Muster an, in denen die Identität des Ratsuchenden relational in einen „Dreiklang von Erkennen, Wieder-Erkennen und An-Erkanntsein“ gesetzt wird (Schäffter 2009, S. 17). Anhand des Aufzeigens unterschiedlicher Use-Cases werden so Möglichkeiten und Handlungsspielräume skizziert, in denen sich Ratsuchende des BMBF-Infoportals wiederfinden und an denen sie sich orientieren können. Damit wird die Gestaltung der eigenen Biographie mindestens reflexiv erfahrbar, sodass im Sinne der Biographizität dem Ratsuchenden vermittelt wird, das eigene Leben immer wieder neu auszulegen und gestalten zu können (Alheit 1996, S. 294).

Neben diesen Use-Cases lässt sich noch ein weiterer Slider „Lernen at Home in Corona-Zeiten“ (Screenshot in Abb. 1) finden, in dem situativ lebensweltbezogene und kollektive Ereignisse (im Textkasten dargestellt als „Home-Office, […] Kurzarbeit oder familiär eingebunden [Sein]“; vgl. Abb. 1) während der Pandemie aufgegriffen, in Lernanlässe transformiert und mit den Beratungsangeboten des BMBF-Infoportals in Verbindung gesetzt werden. Anhand der Nennung der Corona-Pandemie wird ein (zu der damaligen Zeit kollektiv-realer) Gegenwartsbezug eröffnet, welcher die Ratsuchenden in einen „reflexiven Modus des menschlichen in-der-Welt-Seins“ (Marotzki 1999, S. 59) setzt. Dieses zeitdiagnostische Wechselspiel als „Gegenwart der Vergangenheit“ (Schmidt-Lauff und Hassinger 2023, S. 127) in den skizzierten Selbst- und Weltreferenzen nutzt Reflexivität ganz explizit und als genuin konstitutives Element von Beratungsinteraktionen (Tiefel 2014).

5 Diskussion und Würdigung

Die Online-Weiterbildungsberatung als kulturelle Praxis mit eigenständigem Profil im Allgemeinen sowie das BMBF-Infoportal als Online-Format zur Weiterbildungsberatung im Spezifischen kann sich einem – analogen wie digitalen –, interdependenten Ressourcen-Geflecht bedienen. Die Ergebnisse aus SyKo zeigen, dass das Infoportal mit seinem damaligen Zugang über www.der-weiterbildungsratgeber.de aufgrund seiner digitalen Performativität (Wein 2020) einen Raum bildet, der das ratsuchende Subjekt sowohl als analoges als auch digitales Subjekt (Rathmann 2022, S. 20; Reckwitz 2017) adressiert und anspricht. Wird das BMBF-Infoportal als Webseite aus dokumenten- und semiotischer Perspektive betrachtet, sind angelegte performative Wirkweisen in der Wahrnehmung der Ratsuchenden bzw. Besuchenden der Webseite rekonstruierbar. So konnte gezeigt werden, wie textliche, visuelle und ästhetisierende (An‑)Ordnungen auf den Gebrauch und die Wahrnehmung von Weiterbildungsberatungsportalen wirken wollen, um Ratsuchenden implizit bspw. Seriosität zu vermitteln (z. B. Farbengleichheit und Logo des BMBF; vgl. 4.1). Ferner konnte rekonstruiert werden, dass die Gestaltung eines Online-Portals appellierende Aktivierungslogiken beinhalten kann (z. B. Priorisierung der Nutzung des Infotelefons gegenüber der Online-Wissensdatenbank; vgl. 4.2), welche performativ auf die Praktiken von Ratsuchenden zielen. Die Darlegung subjektorientierter Biographien (hier: drei fiktive Use-Cases) und gegenwartsbezogener Beispiele (hier: Corona-Pandemie) soll die Ratsuchenden dabei unterstützen, in einen reflexiven Modus zu gelangen, die eigene Biographie als wandelbar bzw. gestaltbar wahrzunehmen.

Mit der hier dargelegten Methode der qualitativen Online-Studie ließen sich auch andere Webseiten für Weiterbildungsberatung in Bezug auf ihre Darstellungs- und Wirkweisen und hinsichtlich der digital-medialen Interaktionen (Adressierung, Aktivierung) in einer „Kultur der Digitalität“ (Stalder 2021) erforschen. Eine in SyKo erfolgte explorative Sichtung anderer (europäischer) Online-Portale zur Bildungs- und BerufsberatungFootnote 9, die hier nicht weiter ausgeführt werden kann, zeigt deutlich, wie visuell und ästhetisch variantenreich die Umsetzungen von Online-Beratung für (Weiter)Bildung gestaltet wird, wie unterschiedlich Möglichkeiten der digitalen Umsetzung (Artefakte) erfolgen, und, dass es derzeit keine Standards der Online-(Weiter)Bildungsberatung für den digitalen Auftritt gibt. Eine weiterführende Idee wäre, dass mit der hier dargestellten methodologischen Konzeptualisierung und empirischen Umsetzung Perspektiven auf ästhetisch-visuelle Wirkungen, semantische Bedeutungen und semiotische Einflüsse (und die Materialität) von Webseiten differenzierter rekonstruierbar werden und in ihrer Relevanz für den Beratungsprozess sowie für die mit Online-Portalen professionell Beratenden zukünftig vertiefend reflektiert werden können.