Die Bildungsberatung war – ähnlich wie die gesamte Erwachsenen- und Weiterbildung – von Einschränkungen ihrer Arbeit im Rahmen der Corona-Gegenmaßnahmen betroffen. Die digitale und die telefonische Bildungsberatung wurden in der Zeit der Pandemie stärker als Präsenzangebote genutzt (vgl. Bilger und Käpplinger 2022). Aber auch bereits vor und jenseits der Pandemie erfuhren bzw. erfahren medial vermittelte und digital gestützte Beratungsangebote einen Bedeutungszuwachs. Dabei ist an verschiedenen Stellen zu beobachten, dass es häufig keine Gegensätze sind, sondern hybride Angebote entstehen oder Interessierte sowohl medial vermittelte als auch direkte Beratungssettings in unterschiedlichsten synchronen wie asynchronen, (ko)präsenten wie digitalisierten Formaten nutzen. Die beinahe schon klassische telefonische Beratung ist dabei in ihrer Bedeutung u. a. als ein leichtgängiges und anonymes Setting zudem weiterhin nicht zu unterschätzen und verknüpft sich auch neuartig mit Präsenz und Digitalität (z. B. Co-Browsing).

Wie im Call for Papers annonciert, interessierte es uns bei der Konzeption dieser Ausgabe der ZFW, ob sich allein das Medium ändert, in dem Bildungsberatung stattfindet, oder ob sich auch Anlässe, Inhalte, Prozesse, Gestaltungsformen, Interessen und Ergebnisse wandeln. Daher werden im vorliegenden Themenheft zwei Perspektiven aufgegriffen: (1) die sich wandelnden (digitalen) Rahmenbedingungen von Bildungsberatung sowie (2) (digitalisierte) Veränderungen der Beratung selbst.

1 Die gesellschaftlichen, technischen, lebensweltlichen Wandlungen und ihre Auswirkungen auf Bildungsberatung

Solche Entgrenzungen äußern sich in veränderten Kontextbedingungen, denn die „digital erweiterte Realität ist aus dieser Perspektive auch eine sozial erweiterte Realität“ (Kergel 2018, S. 64 f.). Diese Veränderungen existieren auf unterschiedlichen Ebenen, z. B. auf das Weiterbildungssystem selbst bezogen, auf Organisationen und Institutionen von Beratung oder auf Angebote gerichtet:

„Beratungsangebote […] erfüllen im Kontext von gesellschaftlichen Umbrüchen und Modernisierungsprozessen auch wichtige Funktionen für Staat und Gemeinwesen. Die Beraterinnen und Berater geraten dabei leicht in einen Rollenkonflikt, der sich kaum auflösen lässt. Beratung fördert und transportiert einerseits das Bild des Menschen als grundsätzlich autonomes und eigenständiges Wesen. Dem Einzelnen kann mit Informationen und Beratungsmethoden geholfen werden, die widersprüchlichsten Lebenserfahrungen in einer globalisierten kapitalistischen Gesellschaft zu integrieren, mit Sinn zu besetzen und sich als selbstwirksam zu erleben“ (Vossler 2005, S. 5).

Digitalisierung kann diesen Prozess durchaus unterstützen. Es

„besteht die Chance, die Beratungsangebote durch die Nutzung neuer, zeitgemäßer Kommunikationsformen für neue Zielgruppen und weitere Bevölkerungskreise zu öffnen. Gleichzeitig gilt es der Gefahr gewahr zu sein, dass mediale Inszenierungen von Beratung auf das Beratungshandeln selbst zurückwirken und bewährte Beratungskonzepte durch diese ‚Mediatisierung‘ verfremdet werden könnten“ (Vossler 2005, S. 8).

Hierdurch wird bereits die zweite Perspektive deutlich.

2 Die Veränderung der Bildungsberatung

Digitale Medien wirken in Gestaltung und in Prozesse der Beratung hinein (Rietmann et al. 2019), sie verändern Beratung insgesamt und werden konkret auch methodisch in der Beratung genutzt. Die Zunahme an Einsatz und Möglichkeiten (vgl. Wenzel 2014, S. 63) führt auch dazu, dass die Anwendung bzw. der Einsatz hinterfragt, kritisch geprüft werden muss und Gelingensbedingungen und Hemmnisse theoretisch und empirisch ausgeleuchtet werden müssen. Das betrifft neben den Beratenden auch die Ratsuchenden sowie die Anbieter bzw. Organisationen von Beratung.

Die Beiträge des Hefts thematisieren aus erwachsenen- und organisationspädagogischer, aber auch aus ethischer Perspektive Beratung im digitalen Wandel. Freilich, so könnte man kritisch bemerken, ist das Thema zu groß gewählt, um klare Antworten zu erhalten, aber es ist eben groß gewählt, um die Relevanz und Vielschichtigkeit von Digitalisierung für Beratung zu erschließen. Die unterschiedlichen Artikel geben Teilantworten und bilden die intendierte Vielfalt an Perspektiven ab, indem sie sich auf unterschiedliche Aspekte (u. a. Beratende, Ethik, Weiterbildungsberatung, digitale Ästhetisierung und mediale Interaktionen) beziehen und indem sie theorie- und empiriebasiert erkunden, wie sich die Bildungsberatungslandschaft wandelt, welche neuen Formate an Beratung über die Lebensspanne entwickelt werden, welche Verbindungen und neuen parzellierten Beratungsfelder entstehen und was diese Veränderungen für die Professionalität der Beratenden sowie für Ratsuchende bedeutet.

Die ersten beiden Beiträge befassen sich mit der Bundesagentur für Arbeit als ein Beratungsanbieter. Das Vermittlungsmonopol war in Deutschland bis 1994 ein Staatsmonopol für die gewerbsmäßige Arbeitsvermittlung und es lag bei der Bundesanstalt für Arbeit. Heute ist die BA ein bedeutender Anbieter neben anderen staatlichen und privaten Beratungsanbietern zu Bildung, Beruf und Beschäftigung. Sie ist auch nicht mehr dominant auf die Beratung von arbeitslosen Menschen ausgerichtet, sondern wendet sich sehr viel breiter an Menschen in Beschäftigung, die sich beruflich orientieren oder umorientieren wollen.

Hybridisierungstendenzen in Settings der Berufs- und Laufbahnberatung untersuchen Dennis Mocigemba und Laura Unterreiner. Der Beitrag analysiert gegenwärtige Entwicklungen und Veränderungen der Beratungssettings in der Berufs- und Laufbahnberatung, die maßgeblich, aber nicht allein durch die Corona-Pandemie erheblich forciert wurden und werden. Die Autorin und der Autor sprechen hier begrifflich sowohl von einer Mediatisierung als auch einer Digitalisierung von Beratung. Bezugnehmend auf bildungswissenschaftliche Überlegungen zu hybridem Lernen werden diese Veränderungen als Hybridisierungstendenzen begrifflich eingeordnet. Grenzverschiebungen auf räumlichen, zeitlichen, sozialen und institutionellen Ebenen werden zu konzeptualisieren versucht. Auf Basis einer regionalen Umfrage unter Berufsberatenden der Bundesagentur für Arbeit in Bayern (n = 237) wird dargestellt, welche Hybridisierungstendenzen seit der Pandemie aus Perspektive der Beratenden erlebt wurden, welche in der Zukunft erwartet und wie diese von den Befragten bewerten werden.

Tim Stanik und Karin Julia Rott präsentieren Ergebnisse einer Mixed-Method-Studie zu Videoberatungen im Beratungsangebot der Bundesagentur für Arbeit (BA). Das Beratungsangebot der BA kann vor allem seit der Corona-Pandemie auch in Form von Videoberatung genutzt werden, was als synchrones Digitalformat eingeordnet werden kann. Der Artikel analysiert mit Hilfe von quantitativen und qualitativen Befragungen von Beratungsfachkräften der BA, welche Erfahrungen mit solchen digitalen Videoberatungen gesammelt wurden, welche professionellen Anforderungen und Herausforderungen die Beratenden dabei aus der eigenen Perspektive wahrnehmen und wie sie dabei selbst ihre Kompetenzen einschätzen. Die Studienergebnisse demonstrieren ein relativ hohes Kompetenzempfinden. Außerdem konnte eine Typologie von Videoberatenden der BA erstellt werden. Bei dieser Studie und der bereits beschriebenen Studie von Dennis Mocigemba und Laura Unterreiner wäre in Folgestudien interessant, die Selbstwahrnehmungen und -einschätzungen der Beratenden zum Beispiel mit der Fremdwahrnehmung der Beratenen zu vergleichen.

Anknüpfend an obige Überlegungen zu einer breiten Orientierung von Weiterbildungsberatung für eine Beratung, die sich an der Idee von Weiterbildung als lebensbegleitende, lebensentfaltende wie lebensumspannende Form der Auseinandersetzung wie lernende Einlassung auf die Welt, das Selbst und Sein orientiert, ist der Beitrag von Henrik Weitzel und Sebastian Lerch zu lesen. Unter der Annahme, dass Beratung für Beruf und Beschäftigung grundlegend, aber auch für individuelle, gemeinschaftliche und politische Zusammenhänge zunehmend wirkmächtig sei, entwerfen sie ihr Konzept einer „Beratung für lebensumspannende Bildung“ in Rückgriff auf Peter Faulstichs Begriff der „lebensentfaltenden Bildung“. Zentral darin wird das transformatorische Moment unserer Gegenwart gesetzt, in dem sich gerade vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Umbrüche, Polykrisen und daraus resultierender individueller Komplexitätserfahrungen in „zunehmend digitalen Zeiten“, Inhalte, Interessen und Themen von Beratung wandeln. Sie unterlegen ihre analytischen Ausführungen zudem mit einigen statistischen Daten bspw. zur Anzahl der Anfragen und thematischen Schwerpunkte beim Infotelefon Weiterbildungsberatung des BMBF in den Jahren 2019 bis 2022.

Mit ihren Betrachtungen zur Rolle neutraler, überregionaler, telefonischer Weiterbildungsberatung und verwandter Formen im Weiterbildungsberatungssystem verfolgen Joshua Dohmen und Henning Pätzold empirisch gestützt das Ansinnen, spezifische Beratungsdimensionen (Anonymität, Neutralität, Überregionalität, Niedrigschwelligkeit sowie Personalität) in ihrer Bedeutung und Funktion im Gesamtsystem der organisierten Beratung für Weiterbildung nachzuzeichnen. Auf Basis qualitativer Interviews mit Beraterinnen und Beratern (teilweise zu unterschiedlichen Zeitpunkten wiederholt) des (ehemaligen) Infotelefons Weiterbildungsberatung des BMBF wurden dazu die entsprechenden Dimensionen insbesondere aus erwachsenenpädagogischer, wie bildungspolitischer Perspektive näher betrachtet. Dabei zeigen sich strukturelle, organisationale und interaktive „Profilmerkmale“, die im Kontext des Infotelefons zu einem tatsächlich eigenständigen wie spezifischen Profil kombiniert wurden und – so ein zentrales Ergebnis – „in dieser Form auch kaum in anderen Beratungsangeboten zu finden“ sind.

Sabine Schmidt-Lauff und Marie Rathmann nehmen sich der Online-Weiterbildungsberatung als (kulturelle) Praxis sowie im Speziellen das BMBF-Infoportal als Online-Format an und zeigen dabei auf, dass auch diese subjektnahe Anknüpfungspunkte zur Entfaltung von Lern- und Bildungspotenzialen in verschiedenen Lebensphasen und -bereichen bereithält. In gleicher Weise wie in analogen Welten knüpft digitale Weiterbildungsberatung an der Lebenswelt an, die zugleich aber digitale Sinnstrukturen zeigt. Auf Basis praxistheoretischer Grundannahmen zu digital-gestützten Interaktionen werden über eine qualitative Online-Forschung entlang digitaler Dokumente sowie einer semiotischen Interaktionsanalyse eines exemplarischen Online-Portals der Weiterbildungsberatung Aktivierungslogiken, digital-mediale Ordnungen sowie Adressierungspraktiken rekonstruiert. Dabei wird exemplarisch auf Visualisierung und Ästhetisierung, (Re‑)Adressierung sowie Gegenwartsbezüge und biographische Use-Cases eingegangen und die gewonnenen Ergebnisse werden veranschaulicht. Zuletzt wird gezeigt, dass es sich um neue methodische Zugänge und Entwicklungen handelt, die zukünftig durch den Einsatz von KI-Spracherkennung, Large Language Processing Models zur Textanalyse bis hin zu virtuellen Assistenten forschend aufgenommen werden müssen.

Kristina Kieslinger und Kira Nierobisch verweisen in ihrem Beitrag zunächst auf die zunehmende Relevanz von generativer Künstlicher Intelligenz im Beratungskontext. Im Anschluss daran arbeiten sie darauf aufbauend heraus, dass viele ethische Fragen in (Bildungs‑)Beratungssettings noch nicht diskutiert, geschweige denn beantwortet sind. Im weiteren Verlauf des Beitrags, welcher neben wissenschaftlichen Quellen auch Richtlinien von Berufsverbänden (Beratung in Bildung, Beruf und Beschäftigung (BBB), der Gesellschaft für Personenzentrierte Psychotherapie und -beratung (GwG), der Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF) sowie der Deutschsprachigen Gesellschaft für Online-Beratung (DGOB)) aufnimmt, widmen sich die Autorinnen schließlich neben dem Beratungsverständnis den ethischen Implikationen für verschiedene Beratungsebenen. Der Beitrag schließt mit möglichen Konsequenzen und Kriterien zum Einsatz von KI im Kontext der (Weiter‑)Bildungsberatung.

Vor dem Hintergrund des Skizzierten möchten wir abschließend drei Fragekomplexe aufgreifen, die unsere anfänglichen Überlegungen gerahmt und unseren Aufruf zu Beitragseinreichungen strukturiert haben. Diese Fragen haben durch das Heft erste Antworten erfahren, zugleich aber werden sie weiterhin theoretisch wie empirisch verfolgt werden müssen:

  • Welche Ausrichtung und welches Ziel kann, darf und soll (Weiterbildungs‑)Beratung in digitalen Zeiten haben? Was wird durch zunehmende Mediatisierung, in Zeiten von Digitalisierung bzw. Post-Digitalität wirklich anders?

  • Wie wirken sich die Möglichkeiten des Einsatzes digitaler Tools auf die Professionalität und Haltung der Beratenden aus? Und wie können solche Tools sinnvoll eingesetzt werden? Wo erleichtern oder erschweren sie professionelle Beratungsarbeit?

  • Wie verändern sich Beratungsansätze und spezielle Beratungen (u. a. Berufsberatung) durch Digitalisierung?

  • Welche Erfahrungen bringen Ratsuchende durch die Omnipräsenz des digitalen Raums und als sowohl digitale wie analoge Subjekte zukünftig mit und wie verändern sich Ansprüche an Beratung für Weiterbildung und im Kontext lebensumspannenden Lernens?

In diesen Fragen bleiben zentrale Aspekte der Beratung enthalten, welche zukünftige Forschungen in Theorie und Praxis weiterführen können, wie etwa die Verortung der Akteure im Feld der Beratung, den Wandel der Ansprache, Ästhetisierung und Kommunikation bzw. Interaktion durch digitale Formate, der raumzeitlichen Gestaltung sowie der zukünftigen inhaltlichen Ausrichtung von Beratung.

Im Forum dieser Ausgabe der ZFW finden sich zwei weitere Beiträge, die jenseits des Themas zu verorten sind.

Anna-Lena Brinkmöller und Falk Scheidig untersuchen Data Literacy als Gegenstand der Erwachsenenbildung. Im Beitrag analysieren die Autorin und der Autor 137 Programme von Volkshochschulen aus den Jahren 2010 bis 2021 quantitativ und qualitativ hinsichtlich der Verbreitung und der inhaltlichen Ausrichtung datenbezogener Daten. Sie verzeichnen eine verstärkte Auseinandersetzung mit Data Literacy, indem die Förderung eines kompetenten und kritisch-reflektierten Umgangs mit Daten und deren Nutzung Inhalt in fast allen Programmen ist. Dennoch liegt der Fokus laut Inhaltsanalyse vermehrt auf Angeboten zu Datenschutz und -sicherheit und weniger auf Verbreitung der Daten.

Der Beitrag von Madlain Hoffmann untersucht die Teilnahme an non-formalen Bildungsaktivitäten von Personen unmittelbar nach dem Renteneintritt. Die Studie analysiert Unterschiede bei der Teilnahme an non-formalen Bildungsaktivitäten, welche sich durch drei unterschiedliche Arten der Motivation der Teilnehmenden ergeben. Diese umfassen Personen, die ohne monetäre Motive erwerbstätig sein wollen, sowie Personen, die keinen Erwerbswunsch haben und Personen, die aus monetären Motiven erwerbstätig sein wollen. Dazu wurden Daten des Nationalen Bildungspanels (NEPS) verwendet und einer logistischen Regressanalyse unterzogen. Das Ergebnis hebt hervor, dass Personen, welche weiterhin erwerbstätig sein wollen, dabei aber nicht monetär motiviert sind, mit einer höheren Wahrscheinlichkeit an non-formalen Bildungsaktivitäten teilnehmen.

Allen Autorinnen und Autoren sowie Gutachtenden möchten wir an dieser Stelle für ihre gelungenen Beiträge herzlich danken. Den Lesenden wünschen wir eine gewinnbringende und spannende Lektüre, die zum Gegen‑, Eigen‑, Anders- und Weiterdenken anregt.