1 Einleitung

Dass die Zielgruppe von Weiterbildung oft von Beratung profitieren kann und mitunter auf diese geradezu angewiesen ist, ist kein neuer Sachverhalt. Viele mit einer Teilnahme verbundene Fragen und unsichere Entscheidungssituationen legen es nahe, Beratungsangebote als Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Beginnend mit der Identifikation von lebensweltlichen Herausforderungen als potenziellem „Lernanlass“ (Schäffter 1997) über die Konkretisierung eines Weiterbildungsanliegens, Fragen der Finanzierung sowie der sozialen und beruflichen Einbettung bis zur oft sehr anspruchsvollen Auswahl eines Angebots in einem breiten und überaus unübersichtlichen Markt ergeben sich viele Fragen, die potenzielle Teilnehmende oft nicht gut alleine beantworten können (vgl. Gieseke 2016, S. 108). Unterstützung bieten hier neben unmittelbarer Beratung natürlich auch Leitfäden (z. B. Deutsches Institut für Erwachsenenbildung 2020), Kursdatenbanken und -portale (z. B. das Kursnet der Arbeitsagentur, das Weiterbildungsinformationssystem der Industrie und Handelskammern oder der Kursfinder der VolkshochschulenFootnote 1), klassische Suchmaschinen und künftig wohl vermehrt auch Künstliche-Intelligenz-Systeme wie ChatGPT (vgl. Stanik 2023) sowie als wesentlicher Faktor die informelle Beratung durch Freunde, Bekannte, Kolleginnen und Kollegen sowie Vorgesetzte.

Im Vergleich zu den genannten Möglichkeiten ist gerade persönliche Beratung durch professionell geschultes Personal, sei es in Form einer anbietergebundenen Beratung zu den eigenen Produkten oder einer anbieterneutralen Beratung, etwa als kommunale Weiterbildungsberatung, sehr aufwändig und entsprechend teuer. Es stellt sich also die Frage, inwiefern eine derartige Beratung tatsächlich einen relevanten und womöglich notwendigen Beitrag zur Weiterbildungsberatung leisten kann und eventuell auch sollte. Zwar gehört mindestens der Erhalt, wenn nicht die Steigerung der Weiterbildungsbeteiligung in westlichen Industrienationen in aller Regel zu den wenig umstrittenen politischen Zielvorstellungen (vgl. für Europa z. B. bereits Bechtel et al. 2005, S. 52ff., für Deutschland aktuell den Koalitionsvertrag der Regierungsparteien, SPD et al. 2021, S. 33), unklar ist jedoch, welche regulativen Maßnahmen – einschließlich der Bereitstellung öffentlich finanzierter Weiterbildungsberatung – hierfür ergriffen werden sollen. Insofern ist es für eine Beurteilung sowohl aus erwachsenenpädagogischer als auch aus bildungspolitischer Perspektive zu klären, inwiefern mit anonymer, neutraler, überregionaler, niederschwelliger und persönlicher Weiterbildungsberatung eine spezifische Form von Beratung vorliegt und welche dazu gehörige spezifische Rolle diese im System der Weiterbildungsberatung spielen kann.

1.1 Das System der Weiterbildungsberatung

Vielfach und mit Recht wurde darauf hingewiesen, dass der Bereich der Weiterbildung in der Bundesrepublik Deutschland – gerade im Vergleich zu den übrigen drei Sektoren des Bildungssystems – wenige einheitliche Regelungen aufweist (vgl. Grotlüschen und Haberzeth 2015). Schon die Frage, ob es sich hier überhaupt um ein System handelt, ist durchaus kontrovers diskutiert worden (vgl. zu systemtheoretischen Grundlagen dieser Diskussion Lenzen und Luhmann 1997); ohne auf diese Diskussion im Detail eingehen zu können, verstehen wir Systeme hier in strukturfunktionalistischer Tradition als Interaktionszusammenhänge auf über-organisationaler Ebene im Rahmen gesellschaftlicher Arbeitsteilung. Sie können damit durch Funktionen und Eigenschaften beschrieben werden. Das Weiterbildungssystem etwa übernimmt demnach Funktionen wie die (Re‑)Produktion von Qualifikationen und das Weiterbildungsberatungssystem unterstützt z. B. die Zusammenführung von Weiterbildungsangeboten mit potenziellen Teilnehmenden. Dass es sich um ein System handeln könnte (wenn auch keines mit großer Tradition und Differenzierungsgrad), lässt sich daran festmachen, dass verschiedene Organisationen der Weiterbildungsberatung in einem gemeinsamen Handlungszusammenhang auftreten, der viele wechselseitige (kooperative oder auch abgrenzende) Bezugnahmen aufweist (im Falle des Infotelefons zeigte sich das u. a. in der Weiterleitungs-Policy zwischen diesem und regionalen WeiterbildungsberatungsstellenFootnote 2).

Auch wenn Weiterbildungsberatung in diesem Sinne als System verstanden werden kann und auch ihre praktische Bedeutung unbestritten ist, stellt sie ein zu heterogenes und zu wenig systematisch bearbeitetes Feld dar, als dass es eine übergreifende, empirisch begründete Systematik der verschiedenen Angebote geben würde. Sie reicht, wie oben angedeutet, von mehr oder weniger informellen, praktisch aber bedeutenden Formen wie der Beratung durch Freunde, Bekannte, Kolleginnen und Kollegen usw. über träger- und angebotsspezifische Formen bis zu solchen Angeboten, die eine gewisse Trägerunabhängigkeit und ggf. auch einen überregionalen Bezug aufweisen. Im Folgenden werden von diesen nur die organisierten, einer Trägerschaft zuzuordnenden Formen weiter betrachtet. Einen Systematisierungsbeitrag liefert das nfb (Nationales Forum Beratung in Bildung, Beruf und Beschäftigung). Hier wird als Ausgangspunkt die Verknüpfung von Bildungsberatung mit dem Aufbau des Bildungssystems herangezogen (so, dass beispielsweise schulbezogene Beratung als ein Handlungsfeld identifiziert wird). Daraus leiten sich weitere systematische Kategorien wie die politisch-administrative Zuständigkeit (Bund, Länder usw.) oder die Anbieter (Käpplinger et al. 2017, S. 259f), die biografische Lage der Adressatinnen und Adressaten usw. ab (vgl. Nationale Forum für Beratung 2022, S. 10; auch Gieseke und Nittel 2016, Kap. 3). An anderer Stelle wird die Trägerschaft mit bestimmten Merkmalen assoziiert (vgl. Gieseke und Pohlmann 2016, S. 416f). Hier wird erkennbar, dass eine trägerneutrale Beratung in der Regel der öffentlichen Finanzierung bedarf, während eine Beratung, die als Aufgabe in bestehende Einrichtungen des Bildungs- und Kulturbereichs integriert wird, häufig bestimmten Trägerinteressen, Zielgruppen oder regionalen Spezifika zuneigt (vgl. Fuchs et al. 2017). In beiden genannten und auch weiteren Beiträgen wird die Qualifikation der Beratenden angesprochen, zu der eine eigene, breite Debatte entstanden ist (vgl. Gieseke und Nittel 2016, Kap. 7; Nationale Forum für Beratung 2022, S. 23ff.). Die Mehr-Ebenen-Betrachtung von Schiersmann (2013, S. 30ff.) greift auf die auch im Folgenden genutzte Differenzierung von Interaktion, Organisation und Gesellschaft zurück.

Aus der Vielzahl von Betrachtungsperspektiven ergeben sich, wie oben angesprochen, keine einheitlichen Kategorien, nach denen Weiterbildungsberatungsangebote an sich sortiert werden könnten. Vielmehr lässt sich hieraus ein sehr breit gefächerter Katalog von Merkmalen ableiten, deren jeweilige Ausprägung dann ein Profil für ein jeweils konkretes Angebot darstellt. Ein solches Profil beruht notwendigerweise auf einer Auswahl von Merkmalen, die auch anders hätte ausfallen können. Im Einklang mit den bestehenden Vorarbeiten schlagen wir für die weiteren Überlegungen folgende Profilmerkmale vor.

  • Perspektive der sozio-ökonomischen und räumlichen Struktur der Gesellschaft: Angebote der Weiterbildungsberatung können überregionale Weiterbildungsmöglichkeiten erschließen oder sich primär auf regionale Möglichkeiten fokussieren (Regionalität); sie können weiterhin einem bestimmten Sektor (z. B. der beruflichen Bildung in einem mehr oder weniger breit definierten Handlungsfeld) oder auch hier übergreifend angelegt sein (Sektoralität). Schließlich können sie, absichtlich oder unbeabsichtigt, mit Zugangshürden versehen sein, die möglicherweise bestimmte gesellschaftliche Gruppen von der Nutzung des Angebots ausschließen.

  • Auf organisationaler Ebene entspricht dem eine jeweilige Trägerschaft; hierbei spielt sowohl die politische Zuständigkeit als auch die Finanzierung eine Rolle (beispielsweise übernimmt eine Volkshochschule mit einer Beratungsaufgabe eine landesrechtlich festgelegte Aufgabe, die Finanzierung kann je nach jeweiliger Struktur z. B. durch kommunale Zuschüsse und solche des Landes erfolgen). Trägerschaft und Finanzierung stehen in einem engen Zusammenhang zur Frage der Neutralität.

  • Auf der Eben der Interaktion, die in der Tradition der Beratungsforschung immer eine besondere Rolle gespielt hat (vgl. Krause et al. 2003), sind mindestens drei verschiedene Aspekte zu benennen.

    • Übergreifend spielt Freiwilligkeit eine große Rolle (vgl. Pätzold und Ulm 2015), die sich allgemein darin ausdrückt, dass sich aus der Wahrnehmung (oder Nicht-Wahrnehmung) von Beratung und dem Verhalten dort keine Sanktionsmöglichkeiten ergeben.

    • Die oben genannte Möglichkeit der Zugangsbeschränkungen ist auch auf der Ebene der Interaktion zu nennen, insofern Grenzen der individuellen Interaktionsmöglichkeiten häufig Hürden bei der Wahrnehmung eines Beratungsangebots darstellen.

    • Hinsichtlich der Gestaltung der Interaktion ist entscheidend, ob und in welchem Umfang unmittelbare Interaktionsmöglichkeiten bestehen, also ein direktes Gespräch zwischen Beratenden und Beratenen möglich ist, das beispielsweise auch die Möglichkeit bietet, auf emotionale Aspekte des Anliegens einzugehen (vgl. Grotlüschen und Pätzold 2020, S. 44ff.).

1.2 Das Infotelefon Weiterbildungsberatung

Das Infotelefon Weiterbildungsberatung, ein bundesweit verfügbares, für Anrufende kostenloses, telefongestütztes Weiterbildungsberatungsangebot, ist der Ausgangspunkt für die diesem Beitrag zugrundeliegende Untersuchung. Das Infotelefon wurde 2015 zunächst im Testbetrieb gestartet und dann ab 2017 als längerfristiges Projekt durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unterhalten. Unter einer bundesweit einheitlichen Rufnummer konnten sich Bürgerinnen und Bürger werktags ohne vorgängige regionale, thematische, organisatorische oder ähnliche Beschränkungen zu weiterbildungsbezogenen Themen beraten lassen. Bei Bedarf wurde die telefonische Beratung durch E‑Mail, Co-Browsing (d. h. den gemeinsamen Zugriff auf eine Webseite) und ein Gebärdentelefon für Menschen mit Hörbehinderungen ergänzt. Zwischen 2019 und 2022 wurden durchschnittlich 739 Beratungen pro Monat durchgeführt, wobei mit 67 % mehrheitlich Frauen das Angebot in Anspruch nahmen und mit 63 % die meisten Anrufenden auf die Altersgruppe der 31–50-Jährigen entfielen (interne Statistik des Infotelefon Weiterbildungsberatung). Mit dem Jahreswechsel 2022/23 endete der Betrieb des Infotelefons aufgrund veränderter politischer Schwerpunktsetzungen. Gleichwohl erscheint es in unserer Untersuchung aus typologischer Sicht nach wie vor relevant, insofern es eine Dienstleistung im System der Weiterbildungsberatung dargestellt hat, die durch keine andere Organisation in vergleichbarer Weise vorgehalten wurde und gegenwärtig auch nicht wird. Die hier betrachteten zentralen Merkmale des Infotelefons sind Anonymität für die Anrufenden, Neutralität, Überregionalität, Niederschwelligkeit (einschließlich der Möglichkeit einer Kontaktaufnahme per Telefon, also ohne Anforderungen an schriftsprachliche Kompetenzen oder Kompetenzen im Umgang mit digitalen Medien) im Rahmen einer persönlichen Beratung. Entlang der im vorhergehenden Abschnitt entwickelten Merkmale lässt sich für das im Folgenden genauer zu betrachtende Infotelefon Weiterbildungsberatung ein Profil erstellen, das es ermöglicht, es mit anderen Angeboten der Weiterbildungsberatung zu vergleichen. Die Charakterisierung des Infotelefons durch Profilmerkmale soll dabei Verallgemeinerungsfähigkeit herstellen. Es geht letztlich nicht um das konkrete Angebot „Infotelefon“ des BMBF, sondern um die generellen Potenziale, Grenzen und Bedarfe nach Angeboten, die bestimmte Profilmerkmale aufweisen. Am Beispiel des Infotelefons wurden diese untersucht und es gilt zu prüfen, ob und welche Lücken im System der Weiterbildungsberatung entstehen, wenn Angebote wie das Infotelefon oder hinsichtlich seines Profils vergleichbare Angebote nicht bestehen.

Das Infotelefon Weiterbildungsberatung war als Angebot des Bundes überregional ausgerichtet (wobei engere Bezüge zu einigen regionalen Beratungsangeboten in verschiedenen Bundesländern bestanden), es ist nicht auf einen oder mehrere bestimmte Sektoren beschränkt. Es wurde durch das BMBF getragen und finanziert und in dessen Auftrag von der Telemark Rostock Kommunikations- und Marketinggesellschaft mbH (TMR) angeboten, einem Unternehmen, das sich auf Telefonberatung für öffentliche Auftraggeber spezialisiert hat. Der telefonische Zugang (der durch einen Zugang per E‑Mail ergänzt wurde) ist als niederschwellig einzuschätzen und erlaubte eine unmittelbare Interaktion: Ratsuchende konnten werktags zwischen 10 und 17 Uhr anrufen, wobei der Anruf laut interner Statistik (für 2018 bis 2021) nach durchschnittlich 29 s Wartezeit entgegengenommen wurde. Die Beratung konnte bei Bedarf auch anonym in Anspruch genommen werden. Auf das Erfordernis der unmittelbaren, thematisch offenen Interaktion wurden die Beraterinnen und Berater, die in der Regel nicht pädagogisch ausgebildet warenFootnote 3, u. a. entlang eines Personalqualifizierungskonzeptes des Zentrums für wissenschaftliche Weiterbildung der Johannes Gutenberg-Universität Mainz vorbereitet. Im Beratungsprozess konnten sie weiterhin auf ein dynamisches Wissensmanagementsystem zurückgreifen. Fest vorgegebene Gesprächsskripte, wie sie in Callcentern verwendet werden, kamen entsprechend nicht zum Einsatz, gleichwohl konnte in der vorliegenden Untersuchung (wie viele andere in der Beratungsforschung, vgl. Gieseke und Stimm 2015) keine unmittelbare, systematische Beobachtung des Beratungshandelns vorgenommen werden.

Wenn hier und im Folgenden also von vergleichbaren Angeboten die Rede ist, sind solche Angebote gemeint, die diesem Profil ähnlich sind.

2 Empirischer Zugang

Das Kernstück unserer Begleitforschung stellen 17 qualitative Interviews dar, die mit neun zufällig ausgewählten Beraterinnen und Beratern des Infotelefon Weiterbildungsberatung durchgeführt wurden. Die Erhebungen erfolgten zu drei verschiedenen Zeitpunkten: im Oktober 2020, Juni 2021 und August 2022.Footnote 4 Hierbei kam ein semi-strukturierter Interviewansatz zum Einsatz (vgl. Brinkmann 2020). Die Dauer der Interviews variierte zwischen 40 und 70 min. Fünf der insgesamt neun Interviewpartner wurden dabei bewusst zu unterschiedlichen Zeitpunkten befragt. Dadurch war es möglich, sowohl eine Vielzahl unterschiedlicher Perspektiven zu erfassen als auch Entwicklungen und Veränderungen in den Aussagen der Befragten im Zeitverlauf zu identifizieren.

Die spezifischen Rahmenbedingungen des Anbieters, insbesondere die strengen Datenschutzanforderungen, erforderten besondere Vorkehrungen bei der Durchführung der Interviews. So war es nicht möglich, Audioaufnahmen zu erstellen. Infolgedessen wurden zwei Personen für die Erhebung eingesetzt: Eine forschende Person führte das Interview, während sich eine weitere Person Notizen machte und auf dieser Basis anschließend Interviewprotokolle anfertigte. Hierbei wurde die Methodik nach Vogel und Funck (2018) sowie Loubere (2017) angewendet. Auch die Covid-19-Pandemie beeinflusste das methodische Vorgehen bei der Datenerhebung: Aufgrund des InfektionsschutzesFootnote 5 wurden die Interviews der ersten beiden Erhebungszeitpunkte digital über die Plattform Cisco Webex realisiert. Der dritte Termin konnte in Präsenz umgesetzt werden.

Die Auswertung der erhobenen Daten erfolgte durch eine qualitative kategoriale Inhaltsanalyse in Anlehnung an Mayring (2019), den Ausgangspunkt bildete ein erstes, deduktiv gewonnenes Kategoriensystem. Während der dreijährigen Forschung wurde das Kodiersystem im Rahmen der einzelnen Auswertungen induktiv erweitert. Auch die Interviewleitfäden wurden den jeweiligen Bedürfnissen der verschiedenen Erhebungsphasen angepasst (insbesondere abhängig davon, ob Interviewpersonen zum ersten Mal oder erneut befragt wurden) und ggf. wurden auch hier neu gewonnene Kategorien abgebildet, wodurch die Tiefe und Validität der Analyse erhöht wurde. So wurde etwa die Kategorie der Anonymität aus dem Material des ersten Erhebungszeitpunkts zunächst induktiv gewonnen und konnte in den folgenden Erhebungszeitpunkten vertiefter thematisiert werden. In Tab. 1 werden exemplarisch zwei Kategorien aus dem Kategoriensystem mit dazugehörigen Definitionen und Beispielen aus dem Interviewmaterial dargestellt.

Tab. 1 Exemplarische Definition von Kategorien mit Beispielen aus dem Interviewmaterial

Die qualitativen Interviewdaten wurden durch weitere empirische Erhebungen ergänzt, um ein umfassendes Verständnis zur Rolle des Infotelefons im System der Weiterbildungsberatung sowie zum Nutzungsverhalten zu gewinnen. So wurden zusätzlich 49 telefonische Kurzinterviews mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus kommunalen Beratungsstellen durchgeführt. Ziel dieser Interviews war es, Erkenntnisse über die Bedeutung und strukturelle Einbindung des Infotelefons im Weiterbildungsberatungssystem zu generieren. Die Beratungsstellen wurden zufällig aus der Datenbank des InfoWeb WeiterbildungFootnote 6 ausgewählt, um eine möglichst flächendeckende Auswahl zu gewährleisten. Für die Telefoninterviews wurde ebenfalls ein Gesprächsleitfaden entwickelt, um die Konsistenz der gesammelten Daten zu sichern. Mit der überwiegend quantitativ angelegten Auswertung wurde insbesondere die Bekanntheit und Wahrnehmung des Infotelefons sowie die Verweisstruktur fokussiert.

Um darüber hinaus Einblicke in die Ansichten und Denkweisen der Nutzerinnen und Nutzer des Infotelefons zu erhalten, wurde eine quantitative schriftliche Fragebogenerhebung (vgl. Schnell et al. 2022) durchgeführt. Hierbei wurden insgesamt 40 Nutzerinnen und Nutzer des Infotelefons befragt. Inhaltlich adressierte der Fragebogen verschiedene Themenbereiche; von den initialen Beweggründen für die Kontaktaufnahme mit dem Infotelefon bis hin zum individuellen Nutzen des Beratungsgesprächs für die weitere Weiterbildungsplanung. Weiterhin wurde eine differenzierte vierstufige Zustimmungsskala mit zwölf Items konstruiert, die darauf abzielte, die Qualität des Beratungsgesprächs aus Sicht der Nutzerinnen und Nutzer zu erfassen.

3 Ergebnisse: Profilausprägungen des Infotelefon Weiterbildungsberatung

Entlang unserer Projektergebnisse arbeiten wir heraus, welche Ausprägung der eingangs beschriebenen fünf Profilmerkmale beim Infotelefon vorliegen. So wird dessen spezifische Merkmalskombination dargestellt und es soll erkundet werden, welche spezifische Rolle ein entsprechend profiliertes Angebot im System der Weiterbildungsberatung spielen kann.

3.1 Anonymität

Ein zentrales Merkmal von telefonischer Weiterbildungsberatung stellt die Möglichkeit dar, die Anonymität während des Telefonats zu wahren und gleichzeitig eine direkte persönliche Interaktion zu ermöglichen. Dieses Merkmal nimmt aus individuellen und sozialen Gründen eine zentrale Stellung ein und kann, wie sich zeigt, auch auf organisationaler Ebene relevant werden. In der Befragung von Nutzerinnen und Nutzern des Infotelefon Weiterbildungsberatung stimmten die Teilnehmenden auf einer vierstufigen Skala voll und ganz (79 %) oder eher (21 %) der Aussage zu, dass ihr Telefonat vertraulich behandelt wurde; 92 % gaben an, dass es sich um ein vertrauenswürdiges Angebot handelt (voll und ganz: 66 %, eher: 26 %).

Die Anonymität in den telefonischen Beratungsgesprächen ermöglicht es den Ratsuchenden, offen über ihre Beratungsanliegen zu sprechen, sodass die eigentlichen Beweggründe und Intentionen der Ratsuchenden klar artikuliert und verstanden werden können. Ein wiederkehrendes Thema in den Interviews mit den Beratenden war die Bedeutung von Anonymität, insbesondere bei Weiterbildungsfragen, die mit Arbeitslosengeld in Verbindung stehen:

„Die Ratsuchenden werden vom Arbeitsamt zum Infotelefon weitergeleitet und denken zuerst, sie würden weiterhin mit Mitarbeitern des Arbeitsamtes telefonieren. Erst wenn sie merken, dass sie jetzt anonym beraten werden, ‚fällt ihnen ein Stein vom Herzen‘ und die Beratung ist von Offenheit und Ehrlichkeit geprägt.“ (Interviewprotokoll 2020‑4, Pos. 30)

Doch nicht nur Personen, die auf Unterstützung durch die Bundesagentur für Arbeit angewiesen sind, schätzen die Anonymität einer telefonischen Beratung. Die Notwendigkeit, ein Interesse an Weiterbildung diskret zu verfolgen, zeigte sich häufig – besonders dann, wenn dieses Interesse als Ausdruck von Unzufriedenheit mit der aktuellen Arbeitsstelle interpretiert werden kann. In solchen Fällen wird die Möglichkeit, Informationen über Weiterbildungsangebote einzuholen, dadurch eingeschränkt, dass man nicht einfach Kolleginnen und Kollegen oder andere Mitglieder des sozialen Netzwerkes befragen kann:

„Unsere Ratsuchenden sind oft mit Scham und Ängsten besetzt. Das zeigt sich in Aussagen wie ‚Die Arbeit ist nichts mehr, ich muss etwas Anderes suchen‘ oder ‚Was denken nur die Kollegen von mir, wenn sie herausfinden, was ich vorhabe?‘“ (Interviewprotokoll 2020‑4, Pos. 29)

Diese Bemerkungen unterstreichen, dass die Entscheidung, sich weiterzubilden, durchaus von einer Mischung aus Hoffnung und Furcht geprägt sein kann, ein Phänomen, das bei Übergängen im Lebenslauf häufig auftritt – wobei ebendiese Übergänge in der Erwachsenbildung als wichtige Lernanlässe für Individuen erkannt werden (vgl. Von Felden 2014). Vor diesem Hintergrund scheinen Angebote wie das Infotelefon eine wertvolle Ressource darzustellen, indem es Informationen bereitstellt, ohne dass die Anrufenden ihre Identität preisgeben oder mögliche negative Konsequenzen aus ihrem Umfeld fürchten müssen.

Jenseits der individuellen und sozialen Implikationen hat die Anonymität auch auf organisationaler Ebene Bedeutung. Die Wahrung von Anonymität in Beratungsgesprächen mit einer externen Beratungsstelle kann die Bindung des Organisationsmitglieds an seine festgelegte Rolle innerhalb der eigenen Organisation lockern. Dies gestattet eine größere Flexibilität und Offenheit gegenüber Veränderungen, sowohl in Bezug auf die persönliche Entwicklung innerhalb als auch außerhalb der Organisation. Die Anonymität schafft einen Raum, in dem Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre beruflichen Ambitionen, Ängste und Wünsche erforschen können, ohne dass diese Überlegungen direkte Auswirkungen auf ihre aktuelle Position oder ihren Status in der Organisation haben – womit auch der Einfluss der Organisation auf die Weiterbildung der Mitarbeitenden reduziert wird.

3.2 Neutralität

Beratung im Bildungsbereich kann sich in einem Spannungsfeld zwischen Neutralität und Interessenbindung bewegen. Besonders auf kommunaler Ebene wird öffentliche Bildungsberatung oft von Einrichtungen angeboten, die gleichzeitig eigene Bildungsangebote bereitstellen, beispielsweise Volkshochschulen oder Industrie- und Handelskammern. Solche Organisationen neigen dazu, möglicherweise sogar unabsichtlich, eher auf ihr eigenes Portfolio hinzuweisen, da sie dieses am besten kennen (daneben können sie natürlich auch absichtsvoll eigene Interessen verfolgen). Ähnlich verhalten sich kommerzielle Bildungsanbieter, die ihre Beratungsleistungen oft nutzen, um das eigene Programm aktiv zu bewerben – eine Einschätzung, die sich in den Interviewaussagen vielfach wiederfindet. Auch wenn hierbei die Betonung eines vermeintlich positiven Merkmals des eigenen Angebots eine Rolle spielen könnte, lässt das häufige Auftreten einer derartigen Einschätzung in den Interviews die Vermutung zu, dass sie auch konkrete Erfahrungen der Ratsuchenden reflektieren.

„In Bezug auf die Beratungsstellen in der Fläche bemängelt die interviewte Person, dass viele Bundesländer nur mit den Kammern, IHK, HWK oder durch die VHS aufgestellt sind und diese erfahrungsgemäß zunächst ihre eigenen Interessen vertreten und Kurse bewerben.“ (Interviewprotokoll 2020‑6, Pos. 15)

In diesem Kontext gewinnt die trägerunabhängige und neutrale Beratung an Bedeutung. Ihr Ziel ist es, die Ratsuchenden zu befähigen, selbstbestimmt und ohne äußere Beeinflussung eine Bildungsentscheidung zu treffen. Hierbei orientieren sich die Beraterinnen und Berater u. a. an der spezifischen Verteilung von Verantwortung im Beratungsprozess (vgl. Pätzold 2008).

„Häufig muss K. um Verständnis dafür bitten, dass kein konkretes Angebot rausgesucht werden kann. Hier läge die Verantwortung bei den Anrufenden selbst. Die Beratung liefert lediglich Unterstützung, um für sich selbst das richtige Angebot überhaupt finden zu können.“ (Interviewprotokoll 2021‑1, Pos. 15)

Der Eigenwert einer solchen neutralen Beratung liegt vor allem darin, dass sie sich nicht von Organisationsinteressen oder systematischen Verzerrungen leiten lässt. Vielmehr werden im Beratungsgespräch idealerweise unabhängig hiervon intersubjektiv Passungskriterien herausgearbeitet, die ein konstruktives Matching von Ratsuchenden und Bildungsangeboten fördern können. Eine Herausforderung dabei ist, die persönliche Bewertung von Bildungsanbietern oder subjektive Erfahrungswerte aus der Beratung herauszuhalten und dennoch Orientierung zu liefern:

„Prinzipiell wird versucht, die persönliche Bewertung von Weiterbildungsanbietern rauszulassen, aber man habe natürlich trotzdem allgemeine Erfahrungswerte und diese werden dann auch mit in das Beratungsgespräch eingebracht.“ (Interviewprotokoll 2021‑6, Pos. 15)

Zuletzt fördert eine neutrale und unvoreingenommene Beratung nicht nur die Selbstbestimmung der Ratsuchenden, sondern auch das Vertrauen in die Beratungsprozesse und -institutionen. Sie stellt sicher, dass die Bildungsinteressen der Ratsuchenden und nicht die wirtschaftlichen oder organisatorischen Interessen von Bildungsanbietern im Vordergrund stehen.

Dass es sich beim Infotelefon Weiterbildungsberatung tatsächlich um neutrale Beratung handelte, legen die Daten der quantitativen Befragung nahe. So gaben 95 % der Ratsuchenden an, dass ihnen alle möglichen und bekannten Optionen vorgestellt wurden, 98 % hatten nicht den Eindruck, dass ihnen ein ganz bestimmtes Angebot verkauft werden sollte. 74 % der Anrufenden fühlten sich durch das Beratungsgespräch in die Lage versetzt, sich nun selbst weiterhelfen zu können – also Verantwortung für den weiteren Bildungsweg zu übernehmen. Gleichwohl muss an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass die Untersuchung eines realen Angebots nicht die eines Idealtypus ist. Die Einschätzungen der Ratsuchenden zeichnen ein positives Gesamtbild des Angebots, sind aber natürlich nicht zwangsläufig frei von möglichen systematischen Verzerrungen (weil beispielsweise unzufriedene Ratsuchende weniger geneigt sein könnten, überhaupt eine Rückmeldung zu geben). Und auch die Unabhängigkeit von Trägerinteressen bedeutet nicht, dass im Beratungsprozess ausschließlich Interessen der Ratsuchenden wirksam würden (so hat eine wirtschaftlich arbeitende Ausführungsorganisation zwangsläufig ein Interesse an Kostendeckung, möglicherweise auch an Effizienzsteigerung; das BMBF als Auftraggeber kann seinerseits nicht unabhängig von den übergreifenden Interessen politischer Art – wie etwa die Steigerung der Teilnahmequote bei Weiterbildung – agieren).

3.3 Überregionalität

Die Überregionalität in der Bildungsberatung erweitert das Spektrum der Beratungsleistungen, insbesondere in einer Zeit, in der die individuelle Mobilität eine immer größere Rolle spielt. Auch hierzu liefern die Interviewdaten Hinweise:

„Ein Bürger dachte, dass die Bildung in Deutschland eigentlich Ländersache sei und hat sich gefreut, dass es eine bundesweite Beratungsstelle gibt. Er stellte sich die Frage, in welchen Ländern es welche Weiterbildungs- und Fördermöglichkeiten gibt. Dieser Aspekt wäre im Hinblick auf einen geplanten Umzug interessant für den Ratsuchenden.“ (Interviewprotokoll 2020‑7, Pos. 16)

Im Kontext beruflicher und persönlicher Veränderungen und gerade bei Vorliegen räumlicher Mobilität bietet überregionale Weiterbildungsberatung also einen Mehrwert: Sie eröffnet den Ratsuchenden eine breitere Perspektive, indem sie nicht nur regionale, sondern auch überregionale Weiterbildungsmöglichkeiten aufzeigt.

Gleichzeitig besteht für überregionale Bildungsberatung die Herausforderung, auf passende regionale Beratungsangebote zu verweisen bzw. umgekehrt, selbst für diese sichtbar zu sein. Regionale Beratungsstellen kennen sich naturgemäß gut mit den Gegebenheiten und Möglichkeiten vor Ort aus und haben häufig einen tieferen Einblick in die spezifische Situation vor Ort, wie beispielsweise Zusammenhänge zwischen Bildungsangeboten und regionalem Arbeitsmarkt. Die Daten aus der Telefonbefragung von kommunalen Weiterbildungsberatungsstellen illustrieren die mit der Etablierung einer solchen Verweisstruktur verbundenen Herausforderungen: In 57 % der Fälle war das Infotelefon Weiterbildungsberatung, das immerhin über ein halbes Jahrzehnt angeboten wurde, innerhalb der regionalen Beratungsstelle bekannt. Bei 18 % gab es einen Verweis der Beratungsstelle auf das Infotelefon, während in 12 % der Fälle umgekehrt vom Infotelefon auf die Beratungsstelle verwiesen wurde. Nur in 8 % der Fälle hat schon einmal ein direkter inhaltlicher Austausch zu einem Beratungsfall (z. B. durch Telefonate oder E‑Mails) zwischen dem Infotelefon und der Beratungsstelle stattgefunden. In knapp der Hälfte der Fälle bestand also auf regionaler Ebene überhaupt keine Kenntnis des Angebots, womit die Herstellung und Steigerung von Bekanntheit ein explizites Desiderat für Angebote mit dem hier formulierten Profil darstellt.

3.4 Niederschwelligkeit

Im Kontext der Weiterbildungsberatung nimmt die Niederschwelligkeit eine zentrale Rolle ein. Es geht darum, Barrieren zu minimieren und den Zugang zu den Angeboten für alle Interessierten so einfach wie möglich zu gestalten.

Eine wesentliche Zugangsschwelle sind Kosten. Während kostenintensive Angebote bestimmte soziale Gruppen von vornherein ausschließen können, öffnen kostenfreie oder kostengünstige Angebote die Türen für eine breitere Zielgruppe.

Neben dem Kostenaspekt spielt auch die unkomplizierte Erreichbarkeit der Angebote eine zentrale Rolle. Während digitale Angebote zwar zeitlich in der Regel noch besser erreichbar sind, stellen Unsicherheiten bezüglich der Herkunft, Qualität, Datensicherheit usw. insbesondere im digitalen Raum erhebliche Barrieren dar, die ein telefonischer Kontakt mitunter verringern kann. Überdies stellt er keine Anforderungen an die Fähigkeit, im digitalen Raum zu navigieren:

„Es gibt einige Menschen, die ‚so ein Gefühl haben‘, dass sie sich weiterbilden möchten und irgendwas machen wollen. Wenn diese Menschen dann einfach ins Netz schauen und nicht auf Anhieb etwas finden, ‚sind die total aufgeladen‘.“ (Interviewprotokoll 2020‑5, Pos. 20)

Weiterhin ist zu betonen, dass nicht alle Personen in der Lage sind oder den Wunsch haben, digitale Angebote wahrzunehmen, beispielsweise aufgrund fehlender digitaler Kompetenz, fehlenden Interesses oder auch technischer Barrieren. Für diese Personen stellt die telefonische Weiterbildungsberatung oftmals nicht nur eine Alternative, sondern in vielen Regionen sogar die einzig verfügbare Option dar, so

„beklagen Ratsuchende eine schlechte Internetverbindung, verbunden mit Berührungsängsten und wenig Erfahrung mit digitalen Medien.“ (Interviewprotokoll 2020‑1, Pos. 13)

3.5 Persönlicher Kontakt

Der persönliche Kontakt in der telefonischen Weiterbildungsberatung ermöglicht in besonderer Weise, unmittelbar situativ die Beratung anzupassen, insbesondere, neben Informationsbedürftnissen auch auf emotionale Aspekte emphatisch einzugehen.Footnote 7

Die emotionale Dimension spielt, wie in den Interviews immer wieder hervorgehoben wird, eine entscheidende Rolle in der Beratung, insbesondere in Situationen, in denen Anrufende sich in einer emotional belasteten oder kritischen Lebensphase befinden.

„Ein Vater, Anfang 40, verdient gutes Geld und ist in einer Leitungsfunktion in einem Unternehmen. Zunächst startete die Beratung sehr positiv und optimistisch. Im Nachhinein stellte sich jedoch heraus, dass der Ratsuchende kurz vor dem Burnout stand und mit der aktuellen Situation überfordert war. Der Berater schildert, dass der Anrufer am Telefon in Tränen ausgebrochen ist, weil ihm die private Situation so aussichtlos erscheint. […] Der Umgang mit dieser Situation erfordert auch Empathie und die bereits erwähnte Menschlichkeit.“ (Interviewprotokoll 2020‑7, Pos. 24)

Die Pandemie hat eine Zunahme emotionaler Herausforderungen für viele Menschen mit sich gebracht, die in den Gesprächen konstruktiv aufgegriffen werden konnte.

„Die Ratsuchenden haben schon viele Gespräche geführt, sind unterschiedliche Stellen durchlaufen und tragen bereits einen ‚vollen Rucksack‘ mit sich, wodurch sie aufgrund der Corona-Pandemie angespannt, aggressiv und enttäuscht wirken. Dadurch ist die Grundstimmung in den Gesprächen von Beginn an angespannt. Die Hauptaufgabe ist es, den Ratsuchenden zunächst zu besänftigen und auf eine Ebene zu bringen, auf der eine sachliche Beratung möglich ist und somit eine Struktur und unterschiedliche Wege für die Zukunft aufgezeigt werden können.“ (Interviewprotokoll 2021‑1, Pos. 5)

Die direkte menschliche Interaktion scheint in diesem Zusammenhang auch ein höheres Maß an Verbindlichkeit zu ermöglichen. Anrufende können eine Checkliste oder „Hausaufgaben“ (Interviewprotokoll 2021‑5, Pos. 20) erhalten, die sie ermutigen, aktiv an ihrem Bildungsweg zu arbeiten. Das persönliche Element kann dazu beitragen, dass sich Ratsuchende stärker engagieren und ihre Ziele verfolgen.

4 Fazit und Ausblick

Aus den Interviews und den weiteren empirischen Daten konnte für das Infotelefon ein eigenständiges Profil innerhalb der in der Einleitung dargestellten Bereiche bestimmt werden, das in dieser Form auch kaum in anderen Beratungsangeboten zu finden ist. Besonders bedeutend erscheint dabei, dass nicht nur die einzelnen Ausprägungen in den Profilbereichen, sondern auch deren spezifische Kombination von den Ratsuchenden oft als Mehrwert wahrgenommen werden. So schafft die Anonymität die Möglichkeit, auch persönlich belastende Momente vergleichsweise unbefangen zur Sprache zu bringen. Diese würden jedoch ins Leere laufen, wenn nicht eine offene und persönliche Beratungssituation gegeben wäre, in der auch emotionale Einlassungen konstruktiv aufgegriffen und im Beratungsprozess berücksichtigt und genutzt werden könnten. Gegenüber allgemeinen Anforderungen an Beratung liefert die Empirie auch Ansätze zur Differenzierung. So kann das allgemeine Kriterium der Trägerunabhängigkeit in mehrere Richtungen entfaltet werden, die je unterschiedliche Funktionen haben. Bezüglich eines optimalen Matching-Prozesses ist es sinnvoll, dass Ratsuchende ein möglichst umfassendes Angebot von Möglichkeiten erschlossen bekommen, dass nicht durch die Fokussierung auf Angebote eines bestimmten Trägers eingeschränkt wird. Zur Herstellung einer offenen und unbefangenen Beratungssituation hingegen hat es sich als wichtig erwiesen, dass die Beratung erkennbar unabhängig von bestimmten, gegenüber den Ratsuchenden machtvollen Akteuren (etwa dem Arbeitgeber, der Agentur für Arbeit usw.) sind. Andere Fragen, wie die nach dem notwendigen Maß der Professionalisierung der Beratenden, etwa auch in pädagogischer Hinsicht, konnte in der vorliegenden Untersuchung nicht zum Gegenstand gemacht werden und müssen weiterer Forschung vorbehalten bleiben.

Bezüglich der generellen Perspektive auf ein System der Weiterbildungsberatung liefern die Interviews Hinweise darauf, dass die Ratsuchenden durchaus Zusammenhänge wahrnehmen und auch an einer Erweiterung ihres Verfügungsraums zur Navigation im Weiterbildungssystem durch ein korrespondierendes System der Beratung interessiert sind. Im Vordergrund steht hier allerdings natürlich nicht die explizite Systematisierung, sondern einerseits die Suche nach bestimmten Zusammenhängen (z. B. durch Verweise auf regionale Beratungsangebote am Zielort eines Umzugs), andererseits die Vermeidung von (Interessens‑)Verbindungen im Sinne der oben angesprochenen Trägerabhängigkeit. Die in diesem Beitrag nur knapp referierten Ergebnisse der telefonischen Interviews mit Beratungsstellen bestätigen aber auch bekannte Desiderate dahingehend, dass Weiterbildungsberatung in Deutschland nicht den Grad an Kooperation aufweist, der aus Sicht der möglichst umfassenden Erschließung von Angeboten wünschenswert wäre. Angebote wie das Infotelefon könnten hier einerseits durch ihre überregionale und trägerübergreifende Anlage einen Beitrag leisten, andererseits zeigt das untersuchte Beispiel, dass das bisher nicht in befriedigendem Maße gelungen ist, sodass dieser Aspekt gerade auch bildungspolitisch aus Sicht der Autoren weitere Aufmerksamkeit verdient.

Zusammenfassend lässt sich also festhalten: Im System der Weiterbildungsberatung ist Raum und, soweit sich das mit der hier vorliegenden Untersuchungsperspektive ermessen lässt, auch Bedarf für ein Angebot, das die einzelnen Profilmerkmale eines anonymen, neutralen, überregionalen, niederschwelligen und persönlichen Angebots in der hier dargestellten Weise miteinander verbindet, so wie es das Infotelefon beispielhaft getan hat. Die spezifische Merkmalskombination hat für bestimmte Adressatinnen und Adressaten einen spezifischen Mehrwert und beseitigt mitunter einige ansonsten für manche Ratsuchende kaum zu überwindende Hürden. Im Rahmen der Aussagemöglichkeiten aufgrund der erhobenen Daten erscheint es ferner begründet, anzunehmen, dass im Kontext dieser Beratung getroffene Entscheidungen eher positiv im Sinne einer selbstgesteuerten und produktiven individuellen Weiterbildungsgestaltung sind. Vor diesem Hintergrund wäre es sinnvoll, für die (Weiter‑)Entwicklung eines Weiterbildungsberatungssystems nach Möglichkeiten zu suchen, um eine entsprechende Funktionalität auf die eine oder andere Weise dauerhaft zu etablieren. Das Infotelefon Weiterbildungsberatung stellt hierbei einen spezifischen Zugang dar, der im Rahmen der Untersuchung seine Potenziale gezeigt hat – gleichwohl sind natürlich auch Herausforderungen zu benennen, wie etwa die eingangs genannten, hohen Aufwendungen für eine persönliche Beratung, aber auch die vergleichsweise geringe Zahl der Anrufenden.Footnote 8

Die Reichweite der vorliegenden Untersuchung wird insbesondere dadurch begrenzt, dass ein einzelnes Angebot untersucht wurde, das überdies nicht mehr besteht und so für Folgeuntersuchungen nicht verfügbar ist. Der empirische Zugang war außerdem durch Maßnahmen zum Schutz der Klientinnen und Klienten gekennzeichnet (so konnten beispielsweise keine Beratungsgespräche aufgezeichnet werden). Schließlich fiel die Untersuchung in die Zeit der Corona-Pandemie, sodass bestimmte Phänomene (etwa manche der geschilderten Belastungen der Anrufenden) nicht umstandslos als typisch für Ratsuchende angenommen werden dürfen. Insofern lassen sich zwar Aussagen darüber treffen, dass und wie ein Angebot mit spezifischen Merkmalen einen Platz im System der Weiterbildungsberatung eingenommen hat, nicht aber, dass dieser notwendigerweise nur so geschlossen werden könne. Auch Aussagen über die Bedeutung derartiger Angebote (etwa in Bezug auf die Verringerung von Barrieren) sind lediglich als Tendenz möglich. Für ein umfassenderes Bild ist schließlich auch zu bedenken, dass die Ergebnisse auf berichteten Gesprächen von Beratenden beruhen und diese Perspektive nur durch relativ wenig differenzierende Daten von Beratenen ergänzt werden konnten. Das Ideal einer Rekonstruktion aus Sicht beider Seiten (sowie eventuell relevanter Dritter) konnte in der vorliegenden Untersuchung nicht realisiert werden.

Eine wesentliche Forschungsperspektive, die sich aus Sicht der Autoren ergeben hat, ist die weiter gehende Frage nach dem Zusammenspiel und der Differenzierung von Merkmalen von Weiterbildungsberatung (wie etwa das oben geschilderte Zusammenspiel von Anonymität und persönlicher Beratung oder die Differenzierung der Rolle von Trägerunabhängigkeit je nach Situation der Ratsuchenden). Die Untersuchung liefert hierzu bereits erste relevante Perspektiven. Gleichwohl besteht hier noch eine große Lücke in der Forschungslage, gerade mit Blick auf breit aufgestellte Angebote wie das hier untersuchte. Das verweist auf ein forschungsmethodisches Potenzial der Existenz derartiger Beratungsangebote: Die forschende Zusammenarbeit mit Beratenden bietet besondere Möglichkeiten, mehr über tatsächliche Beratungsbedarfe seitens der Ratsuchenden zu erfahren und so das Wissen insbesondere über lebensweltlich relevante Merkmale und Inhalte von Weiterbildungsberatung zu erhöhen. Eine solche Forschung beruht substanziell auf der Möglichkeit, vermittelt über Beratende reale Beratungen zum Gegenstand zu machen. Sie stellt entsprechend hohe Anforderungen an den Schutz der persönlichen Daten der Ratsuchenden, wie er auch in der vorliegenden Untersuchung zum Tragen kam. Insofern kann bei Überlegungen zur Schließung der hier beschriebenen Lücke im Weiterbildungsberatungssystem auch bedacht werden, inwiefern Angebote auch als Beitrag und Produkt wechselseitigen Theorie-Praxis-Transfers gedacht werden (vgl. Voigt et al. 2023), bei dem sich Weiterbildungsberatung und die Wissenschaft von der Weiterbildung wechselseitig befruchten.