1 Einleitung

Im Rahmen des vorliegenden Beitrags wird eine praxistheoretisch fundierte konventionenanalytische Perspektive auf organisationales Lernen vorgestellt, die bei der kritischen Unterbrechung etablierter organisationaler Modi Operandi ansetzt. Solche Durchkreuzungen organisationaler Routinen werden als potenzielle Lernanlässe verstanden, insofern sie Legitimations‑, Aushandlungs‑, Durchsetzungs-, insbesondere aber auch Relativierungs- und Kompromissbildungsprozesse und mithin neue Praxisformen anregen können. Es handelt sich also um eine Perspektive, die einen Anlass für organisationales Lernen in der z. T. beachtlichen Vielstimmigkeit und Widersprüchlichkeit organisationaler Prozess- und Koordinationslogiken verortet. Insofern kann sie einen konstruktiven Beitrag zum Professionswissen pädagogischer Organisations- und Personalentwicklung, Strategieberatung oder auch Mediation leisten, denn sie ermöglicht einen spezifischen analytischen Blick auf komplexe, z. T. konfliktive organisationale Kontexte, in denen sich der Raum für die lernende Herausbildung neuer Praxis öffnet.

Die theoretisch-konzeptionellen Überlegungen werden auf der Basis einer fallvergleichenden Organisationsanalyse empirisch entwickelt und konkretisiert: Im Zentrum steht dabei die Hochschulorganisation, deren Handlungsroutinen durch verschiedene Vorgaben und Imperative gegenwärtiger Nachhaltigkeitstransformationen herausgefordert sind. Dabei stellen universitäre Green Offices eine hochschulübergreifend an Popularität gewinnende Organisationseinheit zur Übertragung der Anforderungen in neue Strukturen dar, weshalb sie mit Blick auf organisationale Lernprozesse als Analysefälle besonders geeignet sind. Die Fallanalyse entstand im Kontext des Forschungsprojekts „Doing Sustainability by Doing Organization: Hochschulorganisationales Lernen als praktische (Re‑)Spezifikation von Nachhaltigkeit“Footnote 1 und war an der Frage ausgerichtet, welche unterschiedlichen Strategien der organisationalen Bearbeitung von Nachhaltigkeit mit der Etablierung eines universitären Green Office entstehen und welche Investitionen in organisationale Strukturen sowie in das Denk- und Handlungsvermögen der involvierten Akteure damit verbunden sind. Im Folgenden wird zunächst das begrifflich-konzeptionelle Analyseinstrumentarium vorgestellt (2), hieran anschließend das methodische Vorgehen dargelegt (3), um im Hauptteil (4) die Analyse zu entfalten. Der Beitrag schließt mit einem kurzen Fazit (5).

2 Theoretische Grundlage und Begriffsinventar: Konventionen, Kritik und Investition als Elemente der sozialen Praxis organisationalen Lernens

Den Ausgangspunkt der theoretisch-konzeptionellen Überlegungen bildet ein praxistheoretischer Begriff organisationalen Lernens, der den Blick auf das ‚doing organization‘, auf den Prozess des Hervorbringens von Organisation und des Organisierens lenkt (Weick 1995). Praxistheoretische Ansätze stellen einen wichtigen Zugang in der organisationspädagogischen Erforschung organisationalen Lernens dar (Elven und Schwarz 2018; Engel und Göhlich 2022; Fahrenwald 2016; Göhlich 2018). In diesem Sinne kann organisationales Lernen als die konzertierte und relativ stabile Veränderung von Praxismustern, Wissensgefügen und symbolischen Ordnungen durch die implizite wie explizite Auseinandersetzung mit einem Lernanlass aufgefasst werden (Elven und Schwarz 2023). Wesentlich sind dabei die ineinandergreifenden Veränderungen organisationaler Regeln und Prozesse, materieller Strukturen sowie der Denk‑, Wahrnehmungs- und Handlungsmuster involvierter Akteure (Elven und Schwarz 2016; vgl. auch Florian und Fley 2004). Aus praxistheoretischer Perspektive handelt es sich bei organisationalem Lernen folglich um einen Transformationsprozess, der die teils expliziten, teils unreflektierten Übereinkünfte hinsichtlich des organisationalen Modus Operandi erfasst. Er betrifft also organisationale Konventionen und mithin die Frage, wie die Dinge in normaler, üblicher, richtiger Form getan werden.

Für die konkretere Entfaltung eines Begriffsinventars, mit dem organisationale Lernsituationen empirisch erfasst werden können, ist daher ein auf Konventionen fokussierender Zugang der „praxeologische[n] Theoriefamilie“ (Reckwitz 2003, S. 288) instruktiv. In dieser Hinsicht schlage ich den Ansatz der Économie des conventions (EC) vor (vgl. auch Elven 2024, i.E.), zu deren Kerninteressen die Rekonstruktion der Etablierungsformen, Transformationen und Konkurrenzverhältnisse von Konventionen gehört (Boltanski und Chiapello 2006; Boltanski und Thévenot 2007; Diaz-Bone 2011). Als interdisziplinärer Forschungsansatz ist die EC seit den 1980er-Jahre Bestandteil des französischen Theoriendiskurses in Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Im deutschsprachigen Raum wird der Zugang seit der Jahrtausendwende verstärkt diskutiert, wobei insbesondere das analytische Potenzial hinsichtlich der Themen Organisation (Knoll 2015) und Bildung (Imdorf et al. 2019) Betonung findet. Dementsprechend wird die EC von organisationspädagogischer Seite als vielversprechende Perspektive markiert (Truschkat et al. 2018) und bislang vor allem durch die Erwachsenenbildung – insbesondere von Matthias Alke (vgl. einführend Alke und Feld 2022; Graß und Alke 2019) – bearbeitet: Alke nutzt den konventionenanalytischen Zugang, um organisationale Prozesse in Erwachsenenbildungseinrichtungen in komplexer Form rekonstruieren zu können – beispielsweise Grenzbearbeitungen und -verschiebungen in Volkshochschulen (Alke 2021) oder auch „Rechtfertigungsstrategien in der Programmgestaltung von Leitungskräften in Anbetracht veränderter Governance-Strukturen“ (Alke 2019, S. 461).

Komplementär schlage ich vor, den zentralen Begriff organisationspädagogischer Forschung – organisationales Lernen (Göhlich et al. 2016) – konventionenanalytisch zu reformulieren und ihn auf seine Potenziale für die Weiterbildung zu befragen. Daher sollen im Folgenden die drei zentralen Aspekte der oben angeführten praxistheoretischen Definition organisationalen Lernens – Anlassbezogenheit, Konzertiertheit und Stabilität – konventionenanalytisch konkretisiert bzw. mit Blick auf die empirische Analyse konzeptualisiert werden.

2.1 Unterbrechende Kritik als potenzieller Anlass organisationalen Lernens

‚Organisieren‘ stellt eine der zentralen Strategien moderner Sozialität dar, um Kooperations- und Koordinationsprobleme zu bearbeiten, die zwischen unterschiedlichen Handlungsrationalitäten bestehen. Organisationen haben insofern eine intermediäre, hybride Qualität. Konkurrierende Orientierungsrahmen und Begründungszusammenhänge sind daher nicht etwa die Ausnahme von der Regel, sondern vielmehr ‚Kerngeschäft‘ der Organisation. Zwar sind Organisationen zumeist entlang ihrer zentralen Interessensgegenstände unterscheidbar (Bildung, Gesundheit, Ökonomie etc.), mit denen auch spezifische Feldzugehörigkeiten korrespondieren (Boltanski und Thévenot 2011); sie weisen aber zudem interne wie externe Bezüge zu anderen Feldern auf und integrieren deren Logiken. Innerhalb der Organisation regeln nun Konventionen die Relevanzierungen und Geltungsbereiche unterschiedlicher Handlungslogiken und stabilisieren die von den Mitgliedern geteilte Überzeugung von der (sachlichen wie moralischen) Richtigkeit organisationaler Praxis. Tritt Kritik an bestehenden Routinen auf oder herrscht Dissens hinsichtlich der Etablierung neuer Vorgehensweisen, können solche Unterbrechungen der stillschweigenden (Re‑)Produktion von Handlungskonventionen einen Lernanlass formieren.

Organisationales Lernen setzt also dort ein, wo Prozess- bzw. Handlungskonventionen an Grenzen stoßen, was zumeist mit deren Unterbrechung einhergeht. Luc Boltanski und Laurent Thévenot (2011) betonen dabei die kritische Kompetenz sozialer Akteure: Diese sind in der Lage, Kritik zu formulieren und konventionalisierte Abläufe auszusetzen, wenn diese als nicht tragbar erscheinen. Kritik an organisationalen Abläufen zeigt daher nicht nur an, wo ein potenzieller Lernanlass besteht; Problematisierung und Begründung des Einspruchs verweisen darüber hinaus sowohl auf die (unterstellte) implizite Logik, nach der sich die kritisierte Handlungskonvention strukturiert, als auch auf die (hiervon abweichend ausgestellte) Logik, nach der der Handlungsablauf – im Sinne der Kritik – alternativ konventionalisiert sein sollte.

2.2 Strategien der konzertierten Bewältigung von Unterbrechung und Kritik

Findet nun eine Kritik der konventionellen Handlungsabläufe statt, gibt es verschiedene Möglichkeiten organisational mit der Unterbrechung umzugehen (vgl. Abb. 1). An den beiden Extrempolen möglicher Verfahren befindet sich auf der einen Seite die Bewährung, d. h. die Prüfung und (erneute) Legitimation des kritisierten Vorgehens, mit ggf. leichten Anpassungen, die jedoch an der Grundlogik nichts verändern. Auf der anderen Seite befindet sich ein radikaler Regimewechsel, der ein Umdenken und eine Neustrukturierung des betreffenden Aspekts der Organisation erforderlich macht (Boltanski und Thévenot 2007; Favereau und Lazega 2010). Dazwischen lassen sich zwei Strategien identifizieren, die sich auf die Stabilisierung der Prozesse trotz disparater Vorstellungen vom richtigen Vorgehen beziehen, die also darauf ausgerichtet sind, den Konflikt auszusetzen und einen Zwischenweg zu etablieren (Boltanski und Thévenot 2007; Knoll 2017).

Abb. 1
figure 1

Organisationale Lernsituation. (Quelle: Eigene Darstellung)

Zum einen kann die Bearbeitung von Kritik und Dissens in der Etablierung eines Kompromisses bestehen, der die Konkurrenz unterschiedlicher Rechtfertigungslogiken mit einer Verfahrenseinigung befriedet, indem eben nicht geprüft und entschieden wird, nach welcher Logik ein Ablauf strukturiert ist. Die konkurrierenden Logiken bewahren also jeweils ihre prinzipielle Gültigkeit und werden in einer neuen Handlungskonvention zusammengeschlossen. Es handelt sich bei Kompromissen also um Amalgame (Boltanski und Thévenot 2007), die Kritik, Dissens und Konflikt eher verdecken als sie zu lösen. Solche Kompromisse sind Arrangements aus impliziten und expliziten Regeln und Verfahrensweisen, Gegenständen und Raumarrangements etc. und werden daher auch als „Kompromissobjekte“ erforscht (vgl. z. B. Alke 2021; Besio und Meyer 2015). Hierbei kann es sich um neue Abteilungen und Verfahrensregeln, aber auch um Projekte und Funktionsstellen sowie um Gegenstände wie Maschinen oder Büroeinrichtungen handeln. Wesentlich ist, dass in Kompromissobjekten unterschiedliche Richtigkeitsvorstellungen eingelassen sind, die nach wie vor konkurrieren und sich potenziell wechselseitig einschränken. Sie sind daher tendenziell instabil und müssen durch Investitionen stabilisiert werden.

Zum anderen besteht die Möglichkeit, unterschiedliche Verfahrensweisen zu relativieren und dabei zu trennen. Konkurrierenden Logiken bzw. divergierenden Richtigkeitsvorstellungen wird in diesem Fall gleichermaßen Berechtigung zugesprochen und es werden separate Zuständigkeitsbereiche definiert. Boltanski und Thévenot problematisieren, dass eine Relativierung eindeutigen Urteilen und Entscheidungen den Boden entziehe, was für eine Gemeinschaft auf Dauer unhaltbar sei (Boltanski und Thévenot 2007). Allerdings weist Lisa Knoll (2015) darauf hin, dass Organisationen solche praktischen Relativierungen systematisch betreiben und fragt daher, ob es – äquivalent zu Kompromissobjekten – nicht auch Relativierungsobjekte geben müsste. Da die Organisation ein intermediäres Praxisarrangement darstellt, dass sich zugleich auf funktionale Differenzierung versteht, ist hier eine Reihe erprobter Mittel der Trennung unterschiedlicher Logiken zu finden, wie das Schaffen von Abteilungen, die Aufteilung von Zuständigkeiten und Beziehungen oder die Definition von Ausnahmen und SonderbereichenFootnote 2. Insofern ist die Vermutung, dass gerade die Organisation eine recht stabile Relativierung unterschiedlicher Richtigkeitsvorstellungen ermöglicht, durchaus begründetFootnote 3.

2.3 Investition als Mittel der Stabilisierung neuer Konventionen

Kompromisse und Relationierungen sind im Grunde immer prekär, da sie die Überprüfung der Richtigkeit einer kritisierten organisationalen Konvention bzw. der Legitimität der geäußerten Kritik aussetzen. Das heißt, Kompromiss- und Relativierungsobjekte lösen Konflikte nicht in eine Richtung auf, sondern etablieren einen organisationalen Umgang mit der bestehenden Ambivalenz. Dessen Stabilisierung erfordert zum einen die Investitionen (Zeit, Geld, Aufmerksamkeit etc.) in neue Regeln, Verfahren und materielle Arrangements (Räume, Apparaturen, Abteilungen etc.). Zum anderen erfordert es Investitionen in das Wissen und Können der Mitarbeitenden – von Seiten der Organisation, wie auch von Seiten der Mitarbeitenden selbst. Daher ist es wesentlich, die Orientierungs- und Aneignungszumutungen (in Anlehnung an Nohl 2022), die mit der Herstellung von Kompromiss- und Relativierungsobjekten einhergehen, genauer in den Blick zu nehmen: Wer muss was investieren? In welchem Verhältnis stehen Kompromiss- bzw. Relativierungsobjekte, Kritiken und Aneignungserfordernisse zueinander?

3 Lernende organisationale Aneignung von Nachhaltigkeit in Universitäten: Eine Fallstudie

Die empirische Analyse nimmt universitäre Green Offices als Orte der organisationalen Bearbeitung gesellschaftlicher Nachhaltigkeitsimperative in den Blick, die also Kontext, aber zugleich auch Gegenstand organisationaler Lernprozesse sein können. Zur systematischen Analyse des Ob und Wie wird unter Zuhilfenahme des herausgearbeiteten Analyseinstrumentariums danach gefragt, welche Konventionen unterbrochen und welche Kritiken geäußert werden (Anlass), welche Strategien zur Bewältigung dieser Unterbrechungen sich abzeichnen (Konzertiertheit) und welche Investitionen z. B. in Wissensbestände und Handlungsvermögen zur Konsolidierung neuer Konventionen getätigt werden (Stabilisierung).

Im Folgenden werden zwei Fälle miteinander verglichen, indem 1) die generell (postulierte) strategische Bearbeitung von Nachhaltigkeit in den jeweiligen Universitäten und 2) die öffentlich dargestellten Ziele, Aktivitäten und Strukturen der Green Offices erfasst werden und zudem 3) die Perspektiven der Green-Office-Leitung und jeweils einer Mitarbeiterin in Form qualitativer Interviews einfließen. Der Datenkorpus umfasst sechs öffentliche Dokumente zu den Strategien und Leitmotiven der Universitäten (Mission Statements, Strategiepapiere, aber auch spezifische Nachhaltigkeitsstrategien), 11 öffentliche Dokumente der Green Offices (Website, Broschüren, Berichte, Strategiepapiere) und vier Interviews mit Green Office Akteuren (Leitung sowie studentische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter). Die Dokumente waren online zugänglich.

In Anlehnung an Robert E. Stakes (2006) Vorschlag einer erziehungswissenschaftlich ausgerichteten vergleichenden Fallanalyse wurde zunächst der fallübergreifende Analysefluchtpunkt, auf dessen Basis der Vergleich möglich wird, herausgearbeitet (in Stakes Begrifflichkeit: „Quintain“). Hierzu wurde das universitäre Green Office kontextualisiert, das heißt in die politischen und bildungsbezogenen internationalen Diskurse eingeordnet, zu denen sie Bezüge aufweisen und in deren Rahmen sie thematisiert werden. Auf diese Weise werden auch Spannungsfelder aufgezeigt, in denen die Green Offices positioniert sind.

Die konkrete Analyse erfolgt dann unter Bezug auf die qualitative Inhaltsanalyse nach Udo Kuckartz (2018). Dies hat den Vorteil, dass sich unterschiedliche Materialsorten integrieren lassen. Vor allem aber zielt die Betrachtung von Konventionen und Kritiken auf explizierbare bzw. explizierte Aspekte sozialer Praxis – wenngleich die Analyse des potenziellen Lerngeschehens durchaus latente Strukturen fokussiert. Die Hauptkategorien wurden – entsprechend der Fragestellung und theoretischen Konzeptualisierung – mit Begriffskonzepten der Konventionenanalyse gebildet (organisationale Strukturierung, Handlungskonventionen, Kritik, Investitionen). Insofern handelt es sich um „analytische Kategorien“ (Kuckartz 2018, S. 34). Sodann wurden die im Sinne der Forschungsfrage relevanten Textstellen entlang der Hauptkategorien codiert und in einem nächsten Schritt induktiv gebildeten Subkategorien zugeordnet. Diese sind im folgenden Analysetext kursiv gesetzt und mit einem Rautezeichen gekennzeichnet. Die analytischen Ausführungen folgen der kategorienbasierten Auswertung der Hauptkategorien und werden mit Textstellen aus den Interviews hinterlegt, von Zitaten aus den online verfügbaren Dokumenten wurde aus Anonymisierungsgründen Abstand genommen. Die abschließende fallanalytische Integration basiert auf der Analyse der hauptkategorieninternen sowie hauptkategorienübergreifenden Zusammenhänge von Subkategorien.

4 Kompromiss und Relativierung: Ergebnisse der vergleichenden Fallanalyse

4.1 Green Office als Fluchtpunkt der Fallanalyse

Was genau wird nun verglichen, wenn universitäre Green Offices miteinander verglichen werden? Während einige Green Offices zentrale Abteilungen für Nachhaltigkeitsmanagement bilden und über eine auf Dauer gestellte Finanzierung verfügen, stellen sich andere als Projekte mit zeitlicher Begrenzung heraus, die an Professuren oder Fachbereiche angeschlossen sind. Auch rekurrieren die Green Offices mit ihrer Selbstbezeichnung zwar insgesamt auf eine Bewegung (Green Office Movement), die auf ein initiales studentisches Nachhaltigkeitsbüro der Universität MaastrichtFootnote 4 zurückgeht, allerdings ist nur eine Minderheit der in Deutschland angesiedelten Büros als Netzwerkmitglied assoziiertFootnote 5. Eine zentrale Gemeinsamkeit der Green Offices steht dennoch in direkter Verbindung mit dem Ursprungskonzept, denn es handelt sich bei Green Offices um (z. T. temporäre) universitäre Organisationseinheiten, die mindestens teilweise studentisch betrieben werden und zu diesem Zweck von der Universität u. a. mit räumlichen, finanziellen und/oder personellen Ressourcen unterstützt werden: „A Green Office […] can be defined as a university sustainability platform, usually led by students, that empowers them – and to a lesser extent research staff – to embed sustainability in the curriculum, operations, community and governance.“ (Leal Filho et al. 2019, S. 1396; vgl. auch Adomßent et al. 2019) Dennoch kommen auch Walter Leal Filho et al. zu dem Schluss, dass es im Grunde kein gemeinsames Verständnis des Begriffs Green Office gibt. Der Begriff betone entweder die generelle Institutionalisierung des Nachhaltigkeitsmanagements an Hochschulen oder aber formelle und informelle Modi der Zusammenarbeit mit Studierenden in diesem Feld.

Damit ist zugleich das Spannungsfeld impliziert, in dem sich Universitäten bei der organisationalen Bearbeitung der Nachhaltigkeitsthematik befinden: Zum einen 1) werden sie als neuralgische Punkte der Gesellschaft adressiert, an denen sich eine Nachhaltigkeitstransformation in großem Maßstab vorantreiben lässt. So wird etwa in der Agenda 21, die 1992 durch die United Nations auf deren Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro entwickelt wurde, die Rolle der Universitäten als Orte der Bildung und Wissensvermittlung, der Forschung, Entwicklung und des Transfers, der Koordination und regionalen wie globalen Vernetzung hervorgehoben (UNCED 1992). Auch stünden Hochschulen „als Einrichtungen der Gesellschaft und […] Kern des Wissenschaftssystems mit ihren drei Aufgabenfeldern Forschung, Lehre und Dienstleistung in der Verantwortung, zur zukunftsorientierten Entwicklung der Gesellschaft beizutragen“ (Deutsche UNESCO-Kommission und Hochschulrektorenkonferenz 2010, S. 2). Universitäten gelten dabei als Zentren der Produktion und Kommunikation transformationsrelevanten Wissens, als „Bildungsstätten für die zukünftigen Entscheidungsträger“ (ebd.), aber auch als „living labs“, in denen nicht nur Innovationen, sondern auch regionale Entwicklung, alternative Geschäftsmodelle, die Umgestaltung von Infrastrukturen etc. vorangetrieben wird (Leal Filho et al. 2023). In der Vielzahl an Adressierungen zeigt sich zugleich das Kritikpotenzial einer universitären Nachhaltigkeitsstrategie wie auch der Nachdruck, mit dem eine strategische Bearbeitung an Hochschulorganisationen herangetragen wird. In dieser Hinsicht stehen Universitäten als koordinierende Instanzen in der Pflicht. Das organisationale Lernen richtet sich insbesondere auf die Entwicklung organisationaler Strukturen und Prozesse, die in der Lage sind, diesen unterschiedlichen Verantwortungen weitestgehend entsprechen zu können.

Zum anderen 2) sind Universitäten als ein relevanter Lebensraum jener Generationen angesprochen, die „in zweifacher Hinsicht Adressaten des Gesellschaftsvertrages“ sind, da sie es sind, „die den Wandel in Zukunft mit gestalten werden“ und die zugleich besonders betroffen sind von den Folgen des Klimawandels, Artensterbens etc., d. h. „in deren Interesse die Transformation schon heute rapide beschleunigt werden muss“ (WBGU 2011, S. 26). Teile ebendieser Generationen fordern das Recht auf Mitgestaltung explizit ein, etwa im Rahmen von Jugendbewegungen wie Fridays bzw. Students for Future, Extinction Rebellion oder Letzte Generation (Rucht und Rink 2020; Sommer et al. 2019). Aber auch jenseits von Demonstrationen und politischen Aktionen zivilen Ungehorsams suchen Studierende nach Möglichkeiten, gesellschaftstransformatorischen Einfluss zu nehmen – sei dies nun in politischer, alltagspraktischer, infrastruktureller oder auch bildungsbezogener Hinsicht. Bildungssystem wie auch Wissenschaft sind dabei angehalten, „Kinder und Jugendliche [bzw. in diesem Fall: Studierende] in ihrer politischen Aktivität und ihrer Bearbeitung von Ungewissheit ernst zu nehmen, Generationsfragen neu zu stellen und die Bedeutung politischer und gesellschaftlicher Konstellationen für eine didaktische […] Fundierung verstärkt herauszuarbeiten.“ (Budde 2020, S. 227). Aus Perspektive der Hochschulorganisation ginge es dabei nicht nur um die Berücksichtigung einer weiteren Richtigkeitsvorstellung und Handlungslogik. Vielmehr wird eine Veränderung der Positionierung studentischer Akteure im universitären Feld angeregt, die eine ganze Reihe praktischer Veränderungen bedeuten würde. Das organisationale Lernen richtet sich dann auch auf die Handlungskonventionen von und in Bezug auf Studierende.

Mit der Etablierung universitärer Green Offices verbinden sich also zwei Kritiken an universitären Konventionen, die Unterbrechungspotenzial besitzen: Erstens wird dem üblichen Portfolio universitärer Verantwortungen Nachhaltigkeit mindestens zur Seite, wenn nicht gar vorangestellt. Zweitens wird die übliche organisationale Rolle der Studierenden als Publikum infrage gestellt. Wie gehen die Universitäten mit diesen potenziellen Lernanlässen um?

4.2 Kategoriale Analyse der Konventionalisierung universitärer Nachhaltigkeit

4.2.1 #Organisationale Strukturierung

In Fall A handelt es sich um ein relativ frisch gegründetes Green Office, dass allerdings an eine in der Universität über Jahrzehnte gepflegte Tradition der Auseinandersetzung mit Umweltschutz und Ökologiethematiken anknüpfen kann. Entsprechend gibt es parallele und miteinander vernetzte Strukturen in Verwaltung, Fachbereichen und Studierendenschaft sowie nachhaltigkeitsbezogene Kooperationen mit der Region und anderen Universitäten. Nachhaltigkeit ist ein expliziter Aspekt des #universitären Leitbildes und wird dabei sowohl auf Forschung und Lehre als auch auf die Verwaltung bezogen. Hier wird zudem auf ein umfängliches Nachhaltigkeitsverständnis in ökologischer, ökonomischer und soziokultureller Hinsicht verwiesen, das globale und intergenerationale Gerechtigkeit einschließt. Die Universität hat ein #Nachhaltigkeitskonzept ausgearbeitet, das an die supranationalen Nachhaltigkeitsdiskurse von UN bzw. UNESCO, aber auch an nationale bildungs- und gesellschaftspolitische Diskurse anknüpft. Es folgt dem in das UNESCO-Weltaktionsprogramm BNE eingebetteten Whole-Institution-Approach. #Organisationsstrukturell ist Nachhaltigkeit daher in den Bereichen Forschung, Lehre, Governance, Campusbetrieb, Outreach/Transfer und studentisches Leben verortet. Es gibt verschiedene Organisationseinheiten, die dem gleichen Vizepräsidium zugeordnet und in verschiedener Hinsicht mit Nachhaltigkeit befasst sind. Ein zentrales Koordinationsteam führt die unterschiedlichen universitären Aktivitäten zusammen. Diesem Team gehört u. a. auch die Leitung des Green Office an. #Finanziert wird das Green Office durch Projektgelder, mit denen die studentischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (> 5) und sonstige kleinere Projektkosten bezahlt werden, außerdem stellt die Universität ein Büro zur Verfügung. Die Leiterin ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an einem Lehrstuhl, der sich intensiver mit Nachhaltigkeit befasst und die entsprechende Arbeitszeit zur Verfügung stellt.

In Fall B handelt es sich um ein bereits seit einigen Jahren etabliertes Green Office, das ebenfalls an eine ältere Tradition der Auseinandersetzung mit der Nachhaltigkeitsthematik anschließen konnte. Nachhaltigkeit ist weniger im #universitären Leitbild als vielmehr im Mission Statement der Universität verankert: Hier bekundet die Universität das Ziel, Nachhaltigkeit als Querschnittsthema zu verankern. #Konzeptionell wird an die Idee der Living Labs angeschlossen und dabei das Wandel‑, Innovations- bzw. Transformationspotenzial der Universität betont. In der universitären Nachhaltigkeitsstrategie spielt das Green Office eine zentrale Rolle, die sich auch in der Organisationsstruktur widerspiegelt: Es bündelt die organisationalen Nachhaltigkeitsprojekte und integriert dabei auch das Campusmanagement. Der Schwerpunkt liegt dabei auf Governance, Campusbetrieb sowie auf studentischem Leben und ausgewählten Projekte des regionalen Transfers bzw. der Kooperation. Lehre und Forschung sind ebenfalls adressiert, allerdings bestehen hier (z. T. hochgradig spezialisierte) Bearbeitungsformen der Nachhaltigkeitsthematik, mit denen das Green Office nur in loser Verbindung steht. Die #Grundfinanzierung ist durch universitätsinterne Mittel gewährleistet, mit denen die studentischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (> 5) sowie die Leiterin finanziert werden. Diese hatte bereits Berufserfahrung im administrativen bzw. managerialen Bereich gesammelt und wurde zunächst als wissenschaftliche Mitarbeiterin beschäftigt, später wurde die Stelle in eine koordinative Position umgewandelt. Zudem wird eine weitere Mitarbeiterin dauerhaft finanziert, temporär kommen Projektmitarbeiterinnen und Projektmitarbeiter hinzu.

4.2.2 #Handlungskonventionen

Beide Green Offices strukturieren sich weitestgehend über #Projektarbeit. Die Projekte beziehen sich prinzipiell auf alle Bereiche der Universität: von der nachhaltigen Mensa bis zur Gebäudedämmung, von der Prämierung nachhaltigkeitsbezogener Abschlussarbeiten bis zur Ringvorlesung, von regionalen Mobilitätsprojekten bis zur Tauschbörse werden die unterschiedlichsten Projekte umgesetzt, wobei Social-Media-Kommunikation in beiden Fällen eine große Rolle spielt. Grundsätzlich bestehen jedoch gewichtige Unterschied in der #Projektentwicklung. In Fall A stehen die Studierenden mit ihren Ideen und Wünschen im Zentrum der Projektentwicklung: „Also, wir haben nicht ein festes Programm und sagen, das müsst ihr jetzt machen, sondern wir sagen jedes Semester, okay, was wollt ihr dieses Semester irgendwie noch an euren Projekten verfolgen, und dann findet sich das so ein Weg, was für die Hilfskräfte gut ist und was für uns irgendwie auch hilfreich ist […] wir unterstützen in der Organisation, haben vielleicht bisschen Projektgelder“ (Leitung_A).

Zwar bringt auch das Steuerungsteam Ideen ein, diese stehen jedoch gleichberechtigt neben den Projekten der Studierenden. Entsprechend sind viele Projekte auf das studentische Leben ausgerichtet (Aktionstage, Partys, Tauschbörsen). Zudem haben viele Projekte eine politische Ausrichtung, so werden etwa Demonstrationen veranstaltet oder die studentische Beteiligung an der universitären Meinungsbildung über die konkrete Bedeutung von Nachhaltigkeit gefördert. Die #Rolle der Leiterin besteht darin, „total viel Raum auch für Ideen“ zu schaffen (StudMA_A), zu vernetzen, zu koordinieren und vor allem zu unterstützen – insbesondere in anwaltschaftlicher Hinsicht: „Wir haben das jetzt schon öfter gehabt, dass quasi auf die studentischen E‑Mails keiner geantwortet hat, und dann hat halt Maja* […] ne Mail geschrieben, und damit war die Sache dann gegessen.“ (StudMA_A). Hinzu kommt die Arbeit an der praktischen Konturierung und die (universitätsübergreifende) Aushandlung des Nachhaltigkeitsbegriffs als wesentliche Aufgabe, bei der sowohl die Studentinnen und Studenten, also auch die jeweiligen universitären Bereiche eingebunden sind.

Die #Projektentwicklung verläuft in Fall B anders: Zwar können die Studierenden auch hier ihre persönlichen Projekte verfolgen, diese werden jedoch in einer gesonderten Projektstruktur bearbeitet: „Wir haben schon immer eigentlich viele Anfragen von Studierenden bekommen, die Projektideen haben und selbst was umsetzen wollen, und in der Regel war es bei uns so, dass wir das nicht alles unterstützen konnten. […] wir haben jetzt noch eine Stelle, die dafür zuständig ist, studentische Teams dabei zu unterstützen, eigene Nachhaltigkeitsprojekte umzusetzen“ (Leitung_B). Zugleich sind Projekte des Green Offices im eigentlichen Sinne nach einem zentralen, übergeordneten Strategieplan ausgerichtet: „Und [wir haben] dann mal eine ganz systematische Bestandsaufnahme gemacht. Also, in welchen Bereichen läuft es schon ganz gut, und in welchen Bereichen haben wir noch Luft nach oben? Und da wurden drei Bereiche identifiziert, die noch einiges an Potenzial haben […] und seitdem dieser Nachhaltigkeitsbericht rausgegeben wurde, haben wir sehr intensiv daran gearbeitet, immer in jedem Jahr mehrere Projekte zu jedem dieser Themen auch umzusetzen.“ (Leitung_B) Entsprechend umfasst die #Rolle der Leiterin strategische und planerische Aufgaben. Dort wo in Fall A ein Schwerpunkt auf der Ermöglichung und Vereinbarung möglichst vieler studentischer Anliegen liegt, gehört es zum Selbstverständnis der Leiterin B, dass sie selektieren und priorisieren muss, um arbeitsfähig zu sein: „das hat eine Weile gedauert, bis wir uns da so gefunden haben, dass wir so ein Maß finden zwischen Kooperieren mit lokalen, regionalen Nachhaltigkeitsakteuren und gleichzeitig aber unserem Auftrag gerecht zu werden. Also, der Fokus unserer Arbeit muss immer die Universität mit ihren Mitgliedern sein“ (Leitung_B). Sie sieht ihre Aufgabe in der Erzeugung von Kontinuität, die auch bei der Kommunikation mit „gewissen Hierarchieebenen“ (Leitung_B) hilft.

Ein wesentlicher Unterschied zeigt sich schließlich auch in der #Bearbeitungsebene: Nachhaltige Entwicklung wird in Fall A als gesellschaftliche Aufgabe bearbeitet, die die Universität durchquert. Entsprechend legen die Beschäftigten der Green Offices besonders viel Wert auf Vernetzung mit der Region, nachhaltige Gestaltung der studentischen Alltagspraxis und des Campuslebens. Kommunikation, Einbindung möglichst vieler Akteure und Sichtbarkeit sind zentrale Themen: „und da verhandeln wir zum Beispiel gerade auch total mit der Pressestelle von der Uni, dass die mehr über uns macht, weil uns gibt’s jetzt seit zwei Jahren, und wir finden einfach nur sehr bedingt statt“ (StudMA_A). Die Universität ist als Lebensraum zentral, wird jedoch zugleich als eingebettet in regionale und überregionale Zusammenhänge gedacht, in denen Nachhaltigkeit praktisch umgesetzt werden muss. Zugunsten dieser Ausrichtung werden administrative Logiken hintenangestellt.

In Fall B steht die Universität als relevanter Nachhaltigkeitsakteur und zugleich als organisationale Struktur, die ökologisch transformiert werden muss, im Fokus. Entsprechend unterliegt die Arbeit einer managerialen Logik: „Also was gewünscht ist, dass wir unsere Projekte evaluieren und dass wir an ausgewählten Stellen, natürlich dann auch zum Beispiel Befragungen durchführen und Wirkungsmessung, aber dass dabei jetzt wissenschaftliche Veröffentlichung rauskommen, die Erwartung gibt es nicht mehr von Seiten der Hochschulleitung. Aber dieser Gedanke war schon immer da, dass das Green Office auch dazu beiträgt, dass wir Ressourcen einsparen, und […] wir auch dazu beitragen, dass übergeordnete Ziele erreicht werden“ (Leitung_B).

4.2.3 #Kritiken

Im Rahmen der Leitbilder und Mission Statements der Universitäten und Green Offices wird keine Kritik geäußert, was mit Blick auf die Funktionen solcher Dokumente (Selbstpräsentation, Zielkommunikation, Leistungsdarstellung etc.) wenig überrascht. Die interviewten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Leitungspersonal zeigen sich hingegen in unterschiedlichem Maße und mit unterschiedlichen Ausrichtungen kritisch: Die studentische Mitarbeiterin in Fall A äußert besonders ausgiebig Kritik. Neben der #generellen Nachhaltigkeitskritik („wir haben ihn [den Planeten, J.E.] ja jetzt schon ganz schön runtergewirtschaftet“) betrifft dies einerseits die #universitären Strukturen. Im Zentrum steht dabei Kritik an der unzureichenden Sichtbarkeit des Green Office, an mangelnder Kommunikation bezüglich nachhaltiger Praxis, am ausbaufähigen Commitment der Studierendenschaft und an hierarchischen Schranken. Kritisiert wird aber auch eine generell zu konservative Haltung in der Region und das Fehlen positiver Visionen der Protestbewegungen. Damit nimmt sie die kritische, fordernde Position ein, die der jüngeren Generation im (bildungs-)politischen Diskurs zugeschrieben wird.

Die studentische Mitarbeiterin in Fall B hingegen konzentriert sich mit ihren Ausführungen auf die Alltagspraxis im Green Office und äußert keine Kritik, sondern #kritische Rechtfertigungen im Sinne der Organisation: „wir studentische Hilfskräfte der Projektarbeit, sitzen halt eigentlich immer in verschiedenen Konstellationen an den Projekten, und da hat es sich jetzt bei mir zumindest noch nicht so ergeben, dass wir irgendwie von außerhalb mit einbezogen werden würden. Aber ich habe da auch noch nie so ein Interesse dran wahrgenommen, weil wenn man gerne im Green Office arbeiten möchte, dann kann man das halt auch indem man sich auf ne Stelle bewirbt und vielleicht auch bekommt“ (studMA_B). Hier zeigt sich eine starke Selbstverortung im organisationalen Kontext des Green Office, zu dem es formale Eintrittsregeln gibt. Ein Beitrittsversuch steht jedem frei, aber die Mitgliedschaft unterliegt einem Selektionsprozess, der wiederum nicht problematisiert wird.

Eine ähnliche Differenz zeigt sich auch bei den Leiterinnen und Leitern, wobei beide Interviewpartnerinnen auch die Herausforderungen ihrer Position kritisch beleuchten: In Fall B werden dabei insbesondere Erwartungshaltungen kritisiert, die von außen (Region, Studierende) an sie bzw. das Green Office herangetragen werden. „Also, es gibt die nachhaltigkeitsengagierten Studierenden, die finden ja immer, wir machen zu wenig. Also, es müsste alles viel radikaler eigentlich sein oder viel entschlossener noch. Aber wir sind natürlich auch in gewissen Zwängen als Verwaltungseinheit, dass wir so aktivistische Tätigkeiten oder auch alles, was irgendwie politisch ist, das fällt ja für uns weg. Wir müssen auch immer schauen, dass wir da intern jetzt niemanden vom Kopf stoßen.“ (Leitung_B) Auch hier zeigt sich eher eine #kritische Rechtfertigung im Sinne der Organisation und das zentrale Anliegen eines moderaten Vorgehens, denn: „wir legen ja dann auch doch mal den Finger in die Wunde, und wenn einzelne Abteilungen schon ohnehin sehr ausgelastet sind und wir dann noch ankommen und noch irgendwas möchten, ähm, ja, es kann auch schon sein, dass das manchmal vielleicht mit ein bisschen Augenrollen betrachtet wird“ (Leitung_B). Beide interviewten Personen des Falls B äußern #antizipierte Kritiken am Green Office, nehmen diese ernst und weisen sie ggf. auch zurück.

Die Kritik der Leiterin von Green Office A richtet sich vor allem auf strukturelle Zwänge (mangelnde Ressourcen, Überlastung der Stellen, Probleme bei der Verstetigung), die sie aber keinem konkreten Adressatenkreis zuweist. In der #Strukturkritik drücken sich insbesondere die Herausforderungen der Koordination unterschiedlicher Perspektiven, Anliegen und Handlungslogiken aus, die hier nicht entlang organisationaler Regeln selektiert und zurückgewiesen, sondern bearbeitet werden: „wenn dann immer kommt, ja, wir müssen die Nachhaltigkeitsprojekte in der Forschung listen, sag ich mir ja, aber mit welchen Kriterien? Und dann drehen wir uns auch immer in jeder Diskussion wieder im Kreis und haben noch keine Antwort gefunden […]. Aber da wird dann auch nicht gesagt, was ist denn ein Nachhaltigkeitsprojekt? Also um diesen rosa Elefanten im Raum tanzen wir dann auch immer schön rum.“ (Leiterin_A). Dabei werden auch hieraus erwachsende strukturelle Probleme in der eigenen Steuerungspraxis kritisiert: „vor allem man kann halt sich keinen so richtig widmen, sondern man muss halt nur schauen, irgendwie alle Bälle in der Luft zu halten“ (Leiterin_A).

4.2.4 #Investitionen

Die Universitäten unterscheiden sich hinsichtlich der Ebene, auf der die strategischen Investitionen in die Bearbeitung der Nachhaltigkeitsthematik verortet wird. In Fall A verweisen Mission Statement und allgemeine Strategiepapiere auf umfangreiche und vielfältige Investitionen auf #universitärer Ebene. Hierzu zählen insbesondere #infrastrukturelle Investitionen (Schaffung einer Vielzahl an Abteilungen, AGs, Beauftragten etc., nachhaltige Mensa, angestrebte Klimaneutralität etc.), mit denen auch #finanzielle Investitionen einhergehen sowie #symbolische Investitionen (Preise, Siegel etc.) und #regulative Investitionen, die insbesondere auch Forschung und Lehre betreffen (Berufungspolitik, generelle Entscheidungsgrundlage organisationaler Prozesse, Thematisierung in allen Studiengängen etc.). Hinzu kommen #pädagogische Investitionen, denn die Universität regt Beschäftigte sowie Studentinnen und Studenten zu umweltfreundlichem Verhalten auch jenseits des Campuslebens an (Mobilität, Energieeffizienz, Abfallwirtschaft etc.). Das Green Office erscheint in dieser Darstellung als Investition in die nachhaltige Infrastruktur, als ein eigens geschaffener Raum, in dem sich Studierende nachhaltig engagieren können. Diese Perspektive wird von den Interviewpartnerinnen in Fall A coproduziert: So weist die studentische Mitarbeiterin auf eine Vielzahl an Projekten hin, die als #persönliche Investition eingebracht werden: „Die Projekte ändern sich tatsächlich immer sehr mit den Hilfskräften, die da sind, weil natürlich jeder die Freiheit hat, das umzusetzen, was wichtig ist für die Person“ (StudMA_A).

In Fall B wird in den Mission Statements zwar generell auf die Investition in die Querschnittsthematik Nachhaltigkeit verwiesen und auch einige Beispiele für #finanzielle Investitionen und #symbolische Investitionen (z. B. Preise) genannt, die Darstellung von Nachhaltigkeitsinvestitionen auf #universitärer Ebene wird jedoch insbesondere durch das Green Office vorgenommen. Auch hier spielen #symbolische Investitionen eine Rolle, vor allem wird hier jedoch von Projekten berichtet, die eine #infrastrukturelle Investition darstellen (Mobilitätsprojekte, Mitbestimmungsgremien, Kommunikation etc.) Von Seiten der Interviewpartnerinnen in Fall B wird auf das Green Office als beachtliche #finanzielle Investition der Universität verwiesen, was ein komfortables Arbeiten ermögliche. Auch in Fall B macht die studentische Mitarbeiterin #persönliche Investitionen geltend. Dabei handelt es sich aber nicht nur um die Investition von Zeit und Engagement, sondern um explizite Aneignungsprozesse: „Man muss vielleicht dazu sagen, ich hatte vorher auch noch keine praktischen Erfahrungen in der Projektarbeit, das heißt, es war auch so ein bisschen Learning by Doing“ (StudMA_B). Das praktische Lernen bezieht sich dabei auf Arbeitsbefähigungen im Sinne der universitären Organisation – nicht zuletzt auch im Sinne einer arbeitsbezogenen Selbstdisziplinierung: „ich nenne es jetzt mal Selbstkontrolle, weil wir ja wirklich komplett eigenständig arbeiten und zu selbst festgelegten Zeiten. […] manchmal laufen halt Projekte, und da bin ich dann super viel dran, und dann arbeite ich relativ viel, und manchmal sind dann so Wochen, wo ich dann am Ende der Woche denke, oh, hast du eigentlich diese Woche schon was gemacht? […] das ist, glaube ich, für mich die Herausforderung.“ (StudMA_B).

4.3 Fallanalytische Integration: Kompromiss und Relativierung als Formvarianten organisationaler Lernprozesse

Die eingangs aufgezeigten Erwartungen, dass universitäre Green Offices einerseits als koordinierende Instanz zwischen unterschiedlichen Bedürfnislagen, Richtigkeitsvorstellungen und Handlungslogiken in die Pflicht genommen werden und andererseits Orte (neuer) gemeinsamer Arbeitsmodi von studentischen und nicht-studentischen Beschäftigten der Universität sein können, werden im Rahmen der beiden Fälle unterschiedlich bearbeitet. Insbesondere das Spannungsverhältnis zwischen einer stringenten, anschlussfähigen und im Sinne organisationaler Administration effizienten Bearbeitung der Nachhaltigkeitsthematik einerseits und einer diskursiven und partizipativen, insbesondere den Eigensinn der Studierenden als Vertreterinnen und Vertreter jüngerer Generationen aufgreifenden Bearbeitung andererseits wird in unterschiedlicher Form aufgelöst. Dabei wird durch das konventiontheoretische Analyseinstrumentarium deutlich, dass nicht etwa eine Entscheidung für die eine und Suspendierung der anderen Seite stattfindet, sondern zwei verschiedene organisationale Strategien der Relationierung vorliegen: Kompromiss und Relativierung.

In Fall A wird das Green Office als Kompromissobjekt und zugleich Kompromissmaschine hervorgebracht: Es bildet eine organisationale Einheit, die auf die Nachhaltigkeitsvorstellungen der Studierenden ausgerichtet ist, und diese organisational integriert. Dies erzeugt komplexe koordinative und vermittelnde Handlungsanforderungen für die Leitung: Sie bildet eine Schnittstelle zur Verwaltung und in universitäre Gremien, stellt jedoch in der Arbeit mit Studierenden organisationale Logiken hinten an. Insofern bildet das Green Office einen Kompromiss zwischen universitärer und studentisch-aktivistischer Logik, der sich z. B. in der offenen Strukturierung der Projektentwicklung, aber auch in der Anerkennung organisationaler Hierarchien zeigt. Zugleich ist das Green Office – neben anderen Funktionsstellen der Universität – dazu angehalten, im Sinne des Whole-Institutional-Approaches eine ganzheitliche Nachhaltigkeitsperspektive zu entwickeln. Diese wird zwar z. T. in pädagogisierender Form an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter herangetragen oder auch über Verfahrensregeln und (materielle) Strukturen nahegelegt, oftmals gehen diese transformativen Maßnahmen jedoch auf diskursiv entwickelte, verhandelte Strategien zurück.

Mit Blick auf das organisationale Lernen und mithin auf die komplementären Investitionen in organisationale Strukturen und das Denk- und Handlungsvermögen der Akteure zeigt sich der ‚Kompromiss Green Office‘ als relativ offener und dennoch universitär weitreichend integrierter Raum, der insbesondere von der Investition in die Leitungsposition profitiert. Diese ist einerseits organisationsstrukturell so gestaltet, dass die Leitung in viele nachhaltigkeitsbezogene Strukturen der Universität eingebunden ist und eng mit einem der Vizepräsidien arbeitet. Der wesentliche Teil der Lerninvestition findet jedoch intrapersonell statt: sowohl die umfangreichen Netzwerke als auch die komplexen koordinatorischen und vermittelnden Kompetenzen, auf der diese Form der Erzeugung organisationaler Nachhaltigkeit beruht, sind personell gebunden – die Organisation sieht sich an dieser Stelle also einer klassischen Prinzipal-Agent-Problematik gegenüber. Insofern ist die Investition in strukturähnliche Positionen, die ebenfalls mit der Bearbeitung von Kompromissen befasst sind, sinnvoll. Eine Besonderheit stellt die Positionierung der Studierenden dar: Diese werden zwar als Gestalterinnen und Gestalter adressiert und unterstützt, da die bearbeiteten Projekte jedoch frei gewählt sind und den individuellen Bedürfnissen entsprechen sollen, die angeeigneten Kompetenzen also eher zufällig und den persönlichen Präferenzen, nicht so sehr den organisationalen Plänen entsprechen, laufen sie Gefahr, als Lehrstück in Sachen Projekt- bzw. Nachhaltigkeitsarbeit zum Selbstzweck zu geraten. Allerdings scheint das wesentliche produktive Moment der Studierenden hier in der gemeinschaftlichen Hervorbringung einer universitären Nachhaltigkeitskultur und in der über die Universität hinausreichenden Erzeugung von Kritik und Aufmerksamkeit zu liegen. Inwiefern dies den Personalauswahlprozessen der Universität und/oder den Lerngelegenheiten innerhalb des Green Offices geschuldet ist, bliebe weiter zu erforschen.

In Fall B ist das Green Office Teil einer organisationalen Relativierungsleistung bzw. ein Relativierungsobjekt: Es hat sich von einer studentischen Initiative mit professoraler Unterstützung, welche die Nachhaltigkeitstransformation in nachhaltigkeitsbezogenen Lehrformaten und Forschungsprojekten verortete, hin zu einer Organisationseinheit entwickelt, die Nachhaltigkeitsthemen in erster Linie auf die universitäre Organisation bezieht und strategisch, strukturiert und effizient bearbeitet. Von hoher Relevanz sind dabei Planung und Überprüfung, aber auch Selektion und Priorisierung: Bei der Abwägung geeigneter Vorgangsweisen stehen die Universität und ihre Mitglieder im Zentrum. Da sich die gleichzeitige Bearbeitung unterschiedlicher Anliegen (insbesondere Projekte der Studierenden und Forschung) in der Vergangenheit als herausfordernd erwiesen und sich zulasten der Effektivität ausgewirkt hat, fand eine Priorisierung infrastruktureller Arbeitsschwerpunkte inklusive Bedarfsplanung und Formulierung anschlussfähiger Projekte innerhalb des Green Offices, sowie eine Entkopplung der Forschung und eine Distanzierung von zu radikalen Transformationsansprüchen statt.

Diese Trennung lässt sich als organisationaler Lernprozess nachvollziehen, bei dem die nachhaltigkeitsbezogene Umgestaltung der Universität zusehends als organisationale Aufgabe aufgegriffen und in eine administrative bzw. manageriale Logik überführt wird. Das Green Office verwaltet und steuert den Kompetenzbereich Nachhaltigkeit, Doppelstrukturen sind dabei nicht nötig. Domänen, die sich in eine solche Logik nur unzureichend integrieren lassen (insbesondere Forschung und Lehre) bilden eigene Kompetenzbereiche, die lose angeschlossen sind, z. B. über Berichte, Preise oder einzelne Lehrveranstaltungen. Auf diese Weise fallen etwaige (problematische) Interferenzen gering aus. Die Charakterisierung von Nachhaltigkeit als Querschnittsthema ermöglicht ebenfalls einen losen Anschluss. Zentrale strukturelle Investition in diesem Lernprozess ist die Beschäftigung einer administrativ erfahrenen Leitung, sowie die Umwidmung ihrer wissenschaftlichen Qualifikationsstelle in eine entfristete Koordinationsstelle. Analog unterlässt die Leiterin des Green Office B die Bildungsinvestition in eine Dissertation („ich persönlich hatte nicht unbedingt die Ambition für eine Weiterqualifizierung. Wenn ich das gewollt hätte, hätte ich mir schon früher an eine andere Stelle gesucht“) und intensiviert ihr Denk- und Handlungsvermögen hinsichtlich managerialer, koordinatorischer Fähigkeiten. Besonders interessant ist, dass auch die studentische Mitarbeiterin in solch organisationsbezogene Handlungskompetenzen investiert (Projektmanagement, Selbstorganisation) und sich zugleich von einer offensiv kritischen Haltung distanziert. Dies kann als Anhaltspunkt für organisationale Akkulturationsprozesse gelesen werden. Insofern erscheint die Integration studentischer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Fall B gewissermaßen reibungsloser als in Fall A.

5 Fazit

Die Analyse hat gezeigt, dass sowohl der Kompromiss als auch die Relativierung Strategien der organisationalen Bearbeitung von Nachhaltigkeit im Zuge der Etablierung von Green Offices sein können. Dabei entstehen jedoch unterschiedliche Investitionsbedarfe sowie unterschiedliche Herausforderungen von denen abschließend zwei aufgezeigt und für eine weitere Analyse angeregt werden sollen:

Verhältnis von Profession und Organisation

Die Kompromissbildungen im Rahmen von Fall A werden maßgeblich getragen durch das Aufeinandertreffen der ausgeprägten Analyse‑, Vermittlungs- und Gestaltungskompetenz der Leiterin des Green Offices und die offene Strukturierung der Organisationseinheit – mit anderen Worten: durch ein professionelles Praxisarrangement (Schwarz 2016). Die professionelle Praxis eröffnet in diesem Fall einen Möglichkeitsraum sowohl für die Etablierung neuer Formen studentischer Involviertheit als auch innovativer, weil in der Interferenz unterschiedlicher Perspektiven entstehender Nachhaltigkeitspraxis. Dies geht zum einen zulasten der Stabilität der Konstellation, denn dieser Möglichkeitsraum wird in nicht unerheblichem Maße durch das spezielle Wissen und Können der Leiterin erzeugt. Zum anderen geht es zulasten der Effizienz und Geschwindigkeit, die durch eine stärkere organisationale Strukturierung und Nutzung etablierter Managementpraktiken, wie sie in Fall B zum Einsatz kommen, besser gewährleistet werden können.

Organisationspädagogik und Erwachsenenbildung

Die Komplexität bzw. Vielschichtigkeit der Lernprozesse legt eine pädagogische Begleitung nahe. Eine organisationspädagogische Begleitung kann zunächst dabei unterstützen, die organisationalen Lernprozesse zu reflektieren, was angesichts der nicht unerheblichen finanziellen, zeitlichen und persönlichen Investitionen und angesichts der weitreichenden Effekte virulent erscheint. Sie kann bei der Planung und Gestaltung der Investitionen unterstützen und auf diese Weise neue Konventionen stabilisieren. An dieser Stelle arbeitet die Organisationspädagogik Hand in Hand mit der Erwachsenenbildung, deren Domäne die Begleitung der persönlichen Lernprozesse der involvierten Akteure ist. Gerade aus der hier zugrundeliegenden praxeologischen Perspektive auf organisationales Lernen wird deutlich, dass vor dem Hintergrund von teils über lange Zeit stabilisierten Konventionen und damit korrespondierender vorbewusst inkorporierter Wissensbestände der Akteure eine erwachsenenpädagogische Begleitung des Veränderungsprozesses nötig ist. Die Anwaltschaft der Erwachsenenbildung für ihre Klientinnen und Klienten erweist sich dabei darin, ihnen auch die Instrumente ihrer Selbstbestimmung zu vermitteln und das heißt aus koventionenanalytischer Perspektive: sie zu kompetenten Kritikerinnen und Kritiker ihrer Organisationen zu bilden.