1 Zur disparaten Situation von Volkshochschulen: Anspruch, Wirklichkeit, Corona

Volkshochschulen sind Einrichtungen der öffentlichen Erwachsenenbildung, die in unterschiedlichen Rechtsformen, überwiegend in kommunaler Trägerschaft, organisiert und ihrem Selbstverständnis nach offen für alle Bürgerinnen und Bürger sein, Bildung ermöglichen und Bildungsbedürfnisse wecken sollen (vgl. Süssmuth und Eisfeld 2018). Ihr öffentlicher Auftrag bestehe darin, ein umfassendes Weiterbildungsangebot für die gesamte Bevölkerung zu unterbreiten sowie zur gesellschaftlichen Integration (sozial, kulturell und ökonomisch) insbesondere von Problemgruppen beizutragen (vgl. DVV 2011, S. 18 f.). Zentral für das Selbstverständnis der Volkshochschulen ist das Prinzip der Offenheit, bezogen auf alle Menschen und alle Regionen sowie auf die Vielfalt von Lebenssituationen und Bildungsbedarfen, die Freiwilligkeit und aktive Mitgestaltung von Lernen (vgl. ebd., S. 14 ff.). Dabei ist das Weiterbildungsangebot nicht im engen Sinne der Vermittlung von Wissen zu denken, sondern darüber hinaus und weit mehr als Schaffung (Ermöglichung, Gewährleistung) eines öffentlichen Raumes für Verständigung und Auseinandersetzung, für Förderung von Teilhabe und Mitwirkung am gesellschaftlichen und politischen Leben (vgl. ebd., 38). Soweit zum Anspruch und Selbstbild der Volkshochschulen. Empirisch ist die Situation disparat und die soziale Praxis der Volkshochschulen fällt hinter ihre programmatischen Ansprüche zurück. Zwar zählen Volkshochschulen, wie Tab. 1 verdeutlicht, zu den am meisten genutzten Einrichtungen für nicht-berufsbezogene Weiterbildung (vgl. BMBF 2021, S. 56) und zu den größten Weiterbildungseinrichtungen in Deutschland (vgl. Echarti et al. 2022, S. 16). Allerdings werden anhand der jährlichen vhs-Statistiken immer wieder Angebots- und Beteiligungslücken offenbar (vgl. Faulstich 2009, S. 905), die darauf verweisen, dass die proklamierte Offenheit Grenzen hat (vgl. Wittpoth 2013, S. 162 ff.) und Volkshochschulen strukturell zwischen Anspruch und Wirklichkeit agieren (vgl. Dörner und Liebe 2015, S. 7 ff.). So halten Volkshochschulen zwar ein vielfältiges Angebot vor und scheinen dem Motto „Sowohl-als-auch statt Entweder-oder“ gerecht zu werden (vgl. dazu Tietgens 1990, S. 61 f.). Jedoch überwiegen Angebote in den Bereichen Gesundheit und Sprachen (mit großen Steigerungen über die Jahre hinweg) und für die Bereiche Politik – Gesellschaft – Umwelt, Arbeit-Beruf und Kultur-Gestalten sind deutliche Rückgänge zu verzeichnen (vgl. Tab. 2). Auch im aktuellen Berichtsjahr 2020 machen Sprachkurse (36,4 %) und Gesundheitskurse (33,3 %) den größten Anteil aller Kurse aus (vgl. Echarti et al. 2022, S. 68 f.). Die unterschiedliche Gewichtung der einzelnen Bereiche wird verschieden interpretiert. So etwa als Ausdruck von Programmstärken einzelner Einrichtungen, die sich aufgrund von unterschiedlichen Bedarfen und Förderpraxen bilden (vgl. Schlutz 2010, S. 15) oder als Ausdruck einer unausgewogenen Angebotspalette, die im Zuge einer nachfrageorientieren Angebotsplanung zustande kommt (vgl. Wittpoth 2013, S. 165).

Tab. 1 Inanspruchnahme von Weiterbildung bei den Volkshochschulen vor und nach der Pandemie
Tab. 2 Entwicklung der sechs Hauptbereiche von Volkshochschulen (vgl. Reichart 2018, S. 191)

Über die Zusammensetzung der Teilnehmenden gibt die vhs-Statistik nur wenig Auskunft. Lediglich Belegungszahlen lassen einige Aussagen zur Alters- und Geschlechtsverteilung zu. Der Anteil von Frauen liegt 2020 insgesamt bei 75,3 %, der von Männern bei 25,7 % und es dominiert die Gruppe der 50- bis 64-Jährigen (vgl. Echarti et al. 2022, S. 90). In allen Programmbereichen überwiegt die Gruppe der Frauen, insbesondere in den Bereichen Gesundheit und Kultur – Gestalten, während Männer am häufigsten Veranstaltungen in den Bereichen Grundbildung – Schulabschlüsse und Arbeit – Beruf besuchen und am wenigsten im Bereich Gesundheit vertreten sind (vgl. Dörner und Liebe 2015, S. 12). Differenzierte Aussagen lassen sich hingegen anhand von milieuspezifischen Befunden vornehmen (vgl. Barz und Tippelt 2004). Demnach haben vor allem Vertreter der traditionellen und kleinbürgerlichen Milieus die größte Affinität zu Angeboten von Volkshochschulen, während die unteren und oberen Milieus eher auf Distanz gehen (vgl. ebd., S. 5). In dem Maße, wie die Angebots- und Teilnehmendenstruktur unausgewogen und lückenhaft sind und Volkshochschulen nicht alle Bevölkerungsgruppen gleichermaßen erreichen, gerät die Erfüllung des gesellschaftlichen Auftrags an Grenzen und die proklamierte Offenheit ist prinzipieller Art. Vielmehr tragen Nutzungspraxen der einen und Abgrenzungspraxen der anderen Milieus dazu bei, dass sich ein tendenziell stabiles Angebotsspektrum herausgebildet hat, das zwar breit, aber keineswegs ausgewogen ist. Die Erfüllung des Bildungsauftrages ist begrenzt; dies zeigt sich einmal mehr angesichts von Krisen, die das wichtigste Instrument zu dessen Erfüllung weitestgehend unbrauchbar machen: Bildungsangebote. Ohne sie können nicht einmal die etablierten und beteiligungsverlässlichen vhs-Zielgruppen erreicht werden. Hier zeigt sich unseres Erachtens eine Logik, die einem dialektischen Zusammenspiel von normativen Erwartungen an die Organisation und ihren praktischen Funktionsweisen entspringt. Insofern gilt die Sorge zunächst den Einrichtungen selbst, die durch Bildungsangebote die Möglichkeit hätten, Werkzeuge und Instrumente bereit zu stellen, um als Bildungseinrichtungen zur Krisenbewältigung beizutragen.

Für die Corona-Pandemie betrifft die Diskrepanz vor allem die Ermöglichung von Austausch‑, Verständigungs- und Diskussionsformaten zum Thema Corona. Bereits im Herbst 2020 widmet sich das Deutsche Institut für Erwachsenenbildung in seiner Zeitschrift für Weiterbildung dem Thema unter dem moderaten wie optimistischen Titel „Krise und Chance“. Neben der Perspektive „Krise als Chance“ überwiegt im DiskursFootnote 1 allerdings die Thematisierung der Corona-Pandemie als Krisenphänomen. Die Rede ist von einer Krise (vgl. Ehses et al. 2021), von „dramatischen Auswirkungen für das institutionelle Überleben“ (DVV 2020, S. 1), einem „exogenen Schock“ (Christ et al. 2021, S. 222) und davon, dass Erwachsenenbildung im Herz berührt sei und gar nicht mehr oder nur eingeschränkt agieren könne (Käpplinger et al. 2021). Schließung von Einrichtungen, Absage von Kursen, Umstellung auf digitale Formate, veränderte Lehr- und Lern-, sowie Arbeitsbedingungen für Beschäftigte sind Themen von Debatten und Analysen in der Erwachsenenbildung. Inwieweit die Auswirkungen relevant, dramatisch und chancenreich sind, wird unterschiedlich diskutiert. In ihrem hilfreichen Überblick zu Forschungsbefunden zur Corona-Pandemie und Weiterbildung in der Zeitschrift für Weiterbildungsforschung charakterisieren Annika Denninger und Bernd Käpplinger die Entwicklung bzw. die Pandemie-Effekte auf die Weiterbildungslandschaft zwischen 2020 und 2021 mit einprägsamen Metaphern: Demnach wirke die Pandemie als Disruptor, insbesondere hinsichtlich der vielen Abbrüche und Ausfälle von Veranstaltungen, als Katalysator für Neuentwicklungen, insbesondere im Bereich der Digitalisierung und als Brennglas unter dem sich bekannte Probleme der Erwachsenenbildung verschärfen, wie etwa die prekäre Lage des nebenberuflichen Personals (vgl. Denninger und Käpplinger 2021; Käpplinger 2021).

Eine Einschätzung, die wohl auch für die Volkshochschulen zutreffen könnte: Laut wbmonitor sind sie im Vergleich zu anderen Anbietern am stärksten von wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie bzw. des Lockdowns betroffen (vgl. Christ et al. 2021). Laut vhs-Statistik für das Berichtsjahr 2020 fällt das Finanzvolumen gegenüber dem Vorjahr um 11 % niedriger aus, insbesondere aufgrund rückgängiger Teilnehmerentgelte/-gebühren um 44 %, was wiederum maßgeblich mit dem Rückgang des Angebotsvolumens zusammenhängen dürfte (vgl. Echarti et al. 2022, S. 17). Auch die Sorge um das nicht festangestellte Personal und dessen Existenzsicherung scheint mit Blick auf die Zahlen berechtigt. Deren Beschäftigungsverhältnisse sanken im Vergleich zu 2019 um rund 15 % im Kurs- und Lehrgangsbereich und in sonstigen Bereichen um 18 % (vgl. ebd., S. 46). Die Katalysatorthese für den Bereich Digitalisierung scheint ebenfalls zuzutreffen, jedoch möchten wir angesichts der vielfach praktizierten Bezugnahme auf diese TheseFootnote 2 kurz deren Bedingtheit herausstellen. Einer Umfrage des Deutschen Volkshochschulverbandes und Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung im Herbst 2020 zufolge gelang es 73 % der Volkshochschulen, die 2019 keine digitalen Veranstaltungen vorhielten, im ersten Lockdown kurzfristig digitale Veranstaltungen anzubieten und insgesamt haben 83 % im Lockdown digitale Veranstaltungen bereitgestellt (vgl. Hoenig et al. 2022, S. 23). Auch die Daten der vhs-Statistik bestätigen die Zunahme digitaler Lernangebote, die jedoch im Vergleich zu den Präsenzformaten nach wie vor sehr gering ausgeprägt sind. Der Anteil von Kursen mit digitalen Lerninhalten stieg von 1,8 % (2019) auf 8,7 % (2020) (vgl. Echarti et al. 2022, S. 17)Footnote 3. Inwieweit der durch die Katalyse initiierte Prozess auch ohne den Katalysator Corona-Pandemie aufrechterhalten bleibt, ist noch offen – auch vor dem Hintergrund, dass der Anstieg der prozentualen Unterrichtsstunden mit dem pandemiebedingten Einbruch der Präsenzveranstaltungen zusammenhängt (vgl. Hoenig et al. 2022, S. 24). So bestätigt Matthias Rohs in einer qualitativen Studie zu Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Volkshochschulen in Rheinland-Pfalz zwar den Digitalisierungsschub, beschreibt ihn jedoch als Phase der kurzfristigen Digitalisierung im strategischen Umgang mit der Corona-Pandemie (vgl. Rohs 2020).

Im Forschungsprojekt „Volkshochschulen in Sachsen-Anhalt und COVID-19“ untersuchten wir Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Volkshochschulen als Organisationen. Uns interessierte, welche Auswirkungen und Orientierungen im Umgang mit der ersten Phase der Corona-Pandemie relevant sind. Mithilfe der Befunde können wir aufzeigen, inwieweit Corona als Krise in der Praxis von Volkshochschulen aus Sicht ihrer Leitungen relevant ist und dass Volkshochschulen weniger krisenhaft berührt sind als im Diskurs vermittelt.

2 Corona als Krise? Empirische Befunde zum Umgang von Volkshochschulen mit der Corona-Pandemie während der ersten Phase

Im Herbst 2020 wurden alle 16 Volkshochschulleitungen in Sachsen-Anhalt angeschrieben und das Forschungsprojekt vorgestellt. Darauf erklärten sich neun Volkshochschulleitungen (davon vier Kreisvolkshochschulen) und die Leitung des Landesverbandes für ein telefonisches Interview bereit. Die Datenerhebung erfolgte mittels leitfadengestütztem Experteninterviewverfahren (vgl. Meuser und Nagel 1991) im Dezember 2020 und Januar 2021.Footnote 4 Drei Volkshochschulen befinden sich in einem städtisch-mittelstädtischen und sechs Volkshochschulen eher in einem ländlichen Bereich. Acht Volkshochschulen sind in öffentlicher Trägerschaft, eine Volkshochschule ist ein eingetragener Verein. Der Leitfaden gliederte sich in einen Erzählstimulus zu den Erfahrungen während der Corona-Pandemie und fünf Themenkomplexe: Herausforderungen, digitale Transformation, Formen von Bildung, Kooperationen und Nachhaltigkeit der Entwicklungen. Die Interviews wurden im Anschluss mit der Dokumentarischen Methode ausgewertet (vgl. Bohnsack 2014; Nohl 2017). Methodologische Grundlage der Dokumentarischen Methode ist die konstitutive Trennung von explizitem, kommunikativem und implizitem, konjunktivem Wissen. Während ersteres den Befragten theoretisch-reflexiv zugänglich ist und eine intersubjektive Verständigung ermöglicht, ist letzteres kaum reflexiv zugänglich, jedoch handlungsleitend. Als konjunktives Wissen wird es von denjenigen geteilt, die sich intuitiv verstehen (vgl. Mannheim 1980, S. 272). Ziel der Dokumentarischen Methode ist die Rekonstruktion des handlungsleitenden, impliziten Wissens, indem ein Wechsel der Analyseeinstellung von dem ‚Was-jemand-sagt‘ zu dem ‚Wie-jemand-etwas-sagt‘ vorgenommen wird (vgl. Bohnsack 2014, S. 59). In Forschungswerkstätten wurden das Material interpretiert und die Ergebnisse formuliert.Footnote 5 In einem ersten Schritt wurden thematische Verläufe der Interviews angefertigt, fallinterne Themen gesammelt und schließlich fallübergreifende Themen identifiziert. In einem zweiten Schritt wurden zentrale Passagen der Interviews transkribiert und entsprechend den Arbeitsschritten der Dokumentarischen Methode formulierend und reflektierend interpretiert (vgl. Nohl 2017). Die Typenbildung folgte dabei abwechselnden Phasen der Abduktion, Induktion und Deduktion (vgl. Schäffer 2020). Zunächst wurden aus dem Material heraus induktiv „Typenhypothesen“ (Schäffer 2020, S. 28) gebildet, die im komparativen Vergleich in einem abduktiven Prozess zu Typen abstrahiert und deduktiv am Material überprüft wurden. Die Typen sind dabei als Idealtypen im Weberschen Sinne zu verstehen, also als theoretische Konstruktionen, mit denen Handeln erfasst werden kann (vgl. Nentwig-Gesemann 2013, S. 298 f.). Generalisierbarkeit wird damit nicht, wie bei standardisierten Verfahren, durch Repräsentativität hergestellt, sondern durch die Bildung von Idealtypen, die „auf die Repräsentanz tieferliegender Sinnstrukturen“ (Bohnsack 2005, S. 76) zielen.

2.1 Rekonstruierte Themenfelder Organisation, Programm und Digitalisierung

Im komparativen Vergleich haben wir drei aus Leitungssicht relevante Themenfelder identifiziert: Organisation, Programm und Digitalisierung.

2.1.1 Themenfeld Organisation

Die organisationalen Herausforderungen durch die Corona-Pandemie werden in den Interviews immer wieder thematisiert und lassen sich in die Themen Finanzen, Arbeitsorganisation und Hygienekonzept untergliedern. Obwohl finanzielle Belastungen durch den Ausfall der Kurse thematisiert werden, wird dies bei keiner Volkshochschule in kommunaler Trägerschaft als existenzbedrohend wahrgenommen.Footnote 6 Zwar wird das Arbeiten bei den kommunalen Volkshochschulen in dieser Zeit als „sehr defizitär“ thematisiert, aber auch in Form der Relativierung, als öffentliche Einrichtung nicht „unbedingt in erster Linie gewinnorientiert arbeiten“ (ZanderFootnote 7) zu müssen und sich der Unterstützung durch übergeordnete Verwaltungsinstanzen (bspw. Landrat) gewiss sein zu können. Zudem erfolgt die Relativierung der Belastung in der erfahrungsgebundenen Gewissheit, dass die Kurse nachgeholt werden konnten. „Große Sorgen hat uns gemacht, dass wir (…) im dann beginnenden Herbstsemester ab September 2020 die Teilnehmerzahlen (…) wieder erreichen. Das hat erstaunlicher Weise und zu unserer großen Freude auch sehr gut funktioniert“ (Zander). Im Gegensatz dazu stellt der Ausfall der Kurse die Volkshochschulen vor organisatorische Herausforderungen, die immer wieder, teilweise in langen selbstläufigen Passagen, thematisiert werden. Die Rückzahlung der Teilnahmebeiträge, die Korrektur der Rechnungen oder auch die Änderung der AGBs bedeuteten „300 % Mehraufwand“ (Zander). Diese organisatorischen Aufgaben werden von den Volkshochschulleitungen nahezu stoisch abgearbeitet. „Ich muss arbeiten, sag ich mal, aber dafür haben wir unsere Verträge unterschrieben“ (Lachs). Dass die Corona-Pandemie die Volkshochschulen nicht existenziell bedroht, zeigt sich auch darin, dass von einem „angepassten Normalbetrieb“ (Wels) gesprochen wird. Die Corona-Pandemie stellt hier also weniger die grundlegenden Handlungsroutinen der Volkshochschulen infrage, vielmehr fordert sie die Bearbeitung organisationaler Probleme heraus. Während die Thematisierung der finanziellen Situation sowie der Auswirkungen auf die Arbeitsorganisation wenig überrascht, ist die umfassende Thematisierung der Einführung von Hygienekonzepten durchaus nicht selbstverständlich. Mit großem Aufwand werden diese erarbeitet und mit der Aufrechterhaltung des Präsenzunterrichtes begründet. „Und dann haben wir […] wieder unter Einhaltung der Abstandsregeln mit Hygienemaßnahmen mit Desinfektionsmitteln mit besonderer Raumplanung so halbwegs wieder den Normalbetrieb gestartet“ (Barsch). Die Corona-Pandemie hat in der Arbeitsorganisation nicht zu einem Umdenken oder zu einer Irritation organisationaler Routinen geführt. Vielmehr wurden die organisatorischen Herausforderungen abgearbeitet und mithilfe der Hygienekonzepte versucht, den Normalbetrieb herzustellen.

2.1.2 Themenfeld Programm

Hinsichtlich des Themenfeldes Programm werden die Auswirkungen der Corona-Pandemie in Bezug auf Angebotsgestaltung, Teilnehmende und Mitarbeitende thematisiert. Bei ersterem zeigt sich eine Orientierung an der Aufrechterhaltung des Angebots. Einerseits werden digitale Kurse als „aus der Not geborene Verzweiflungstat“ (Zander) betrachtet und es wird versucht, möglichst schnell wieder zu Präsenzkursen zurückzukehren. Dabei werden digitale Kurse nicht grundsätzlich abgelehnt. Hingewiesen wird auf fundierte Planung, die erfolgreiche kurzfristige, eigenständige Umsetzung durch Dozierende, die überraschten und deren pragmatische Art und Weise angesichts des Funktionierens nicht hinterfragt wird: „Da möchte ich gar nicht wissen wie das gemeinsam so einzurichten, dass es jeder versteht und jeder handhaben konnte.“ (Zander). Andererseits wird die Corona-Pandemie als Chance verstanden, das Programm der Volkshochschulen als „regionale Erfindung“ (Forelle) durch überregionale Kooperationen erfolgreicher zu gestalten. Mit der Übertragung des „Amazon-Prinzip so n bisschen auf die Erwachsenenbildung“ (Tigerfisch) wird die Hoffnung verbunden, mehr Teilnehmende auf überregionaler Ebene zu erreichen und die Volkshochschulen in ihren Profilen zu stärken. Deutlich wird aber auch, dass es nicht darum geht, mit eigenen Programmangeboten auf die Corona-Pandemie zu reagieren (wie bspw. bei der Flüchtlingskrise 2015). Vielmehr geht es darum, ein Kursprogramm durch die Wiedereinführung von Präsenzkursen oder die Etablierung digitaler Angebote überhaupt zu ermöglichen. In Bezug auf die Teilnehmenden werden die Auswirkungen der Corona-Pandemie hinsichtlich der Ansprache, des Zugangs und des Nicht-Verlierens deutlich. Betont wird einerseits die Verbundenheit von Teilnehmenden mit der Volkshochschule, die sich dadurch zeigt, dass sie nach dem Lockdown wieder an den Kursen teilgenommen haben. Andererseits werden Schwierigkeiten angesprochen, wie Sprachbarrieren bei gesonderten Hinweisen auf Hygienemaßnahmen oder das Wegbleiben von Teilnehmenden, die sich bewusst gegen digitale Kurse entschieden haben. Letztgenanntes wird vor allem als Problem in ländlichen Gegenden verstanden und von einem Interviewpartner auch als grundsätzliche Ablehnung interpretiert. Dennoch wird betont, versucht zu haben, den Zugang zu den Bildungsangeboten für die verschiedenen Zielgruppen aufrechtzuerhalten. Zudem wurden die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Mitarbeitenden thematisiert. Bei der Umstellung auf digitale Angebote stellen sowohl die hauptberuflichen, als auch die freiberuflichen Mitarbeitenden aus Sicht der Leitungen einen „Flaschenhals“ (Rapfen) dar und „[e]s ist nicht so einfach, die Mitarbeitenden ins 21. Jahrhundert zu hieven“ (Wels). Betont wird, dass die Corona-Pandemie für die Hauptamtlichen keine gravierenden Auswirkungen gehabt habe (mit Ausnahme der oben angesprochenen Mehrbelastung in der Verwaltung), was so für die Freiberuflichen nicht zutreffe. Diese seien von Einnahmeeinbußen betroffen und mit der Umstellung auf digitale Angebote konfrontiert, bei denen sie unterstützt werden müssen. „Also Umstellung des Kursbetriebes auf (…) Digitalunterricht. Und wir (…) merken, dass immer noch (…) gerade bei unseren freiberuflichen Dozenten die Nutzung von digitalen Medien jetzt noch nicht so ist und dass sie da unglaublich (…) Hilfe brauchen und Fortbildungsbedarf haben“ (Aal).

2.1.3 Themenfeld Digitalisierung

Die Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung im Kontext der Corona-Pandemie werden in allen Interviews thematisiert. Es zeigen sich deutliche Unterschiede, sowohl hinsichtlich der Einführung von und Haltung zu digitalen Angeboten und digitaler Infrastruktur, als auch zum Verständnis von Digitalisierung. Einrichtungen werden danach beurteilt, inwieweit sie sich bereits auf den Weg gemacht haben oder nicht, bzw. ob „verschiedene Einrichtungen unterwegs waren und andere noch so n bisschen Luft nach oben hatten, wenn es darum geht, wie kommuniziere ich ohne Präsenz“ (Tigerfisch). Letztgenannten wird die Corona-Pandemie als Chance attestiert, „den digitalen Rückschritt ein Stückchen aufzuholen“ (Forelle). Metaphorisch werden jene Volkshochschulen als rückständig verstanden, die „beim Lockdown all ihre Teilnehmer angerufen haben, weil völlig untypisch war, Mails zu verschicken“ (Forelle) und jene als unproblematisch normalisiert, für die es kein Problem wäre, „dass jemand aus Argentinien deutsch lernt bei uns. Wo ist das Problem?“ (Stör) Wie auch in der Debatte um Digitalisierung zeigen sich dabei unterschiedliche Verständnisse – lediglich von der Beschaffung von Hardware wie Tablets und PCs, „also Digitalisierung heißt bei uns zum Beispiel wir haben in den letzten zwei Jahren fünf digitale Displays angeschafft, feste Displays die (…) verbaut“ (Lachs), über die digitale Durchführung von Kursangeboten bis hin zu einem „Amazon-Prinzip“ (Tigerfisch), demnach überregional Angebote zur Wahl stehen. Während in Bezug auf die Einführung eines „Shop Systems“ (Tigerfisch) oder der Nutzung der vhs-Cloud in Kooperation mit anderen Volkshochschulen von „einem großen Schub“ (Forelle) berichtet wird, der den Verwaltungsalltag auch zukünftig unterstützen könnte, werden rein digitale Kurse mehrheitlich als temporär verstanden. Zudem zeigt sich in diesem Zusammenhang eine Problematisierung der Nutzung digitaler Technik (Computer, Smartphone, Tablet, etc.) und der Durchführung von Online-Kursen in Bezug auf ein hohes Durchschnittsalter von Teilnehmenden, Kursleitungen und Mitarbeitende und damit verbundenen Motivations- und Unterstützungsnotwendigkeiten. „Schwierigkeiten waren auf jeden Fall, dass nicht alle Teilnehmer in der Lage waren, von ihrem technischen Verständnis aus von zu Hause mit einem eigenen PC teilzunehmen“ (Zander). Insbesondere von jüngeren Volkshochschulleitungen wird die Pandemie als „Brandbeschleuniger“ (Tigerfisch) verstanden, gemessen daran, dass erste Online-Angebote bereits nach 14 Tagen Lockdown gemacht wurden. Die Brandbeschleuniger-These wird aber nicht von allen geteilt. So beschreibt ein Interviewpartner die Pandemie als Digitalisierungsbremse. „Weil (…) Corona hat uns also immer wieder gebremst“ (Stör). Dieses Verständnis entfaltet sich vor dem positiven Gegenhorizont, bereits seit einigen Jahren digital (Verwaltung, Kursbuchungen, online Angebote) zu arbeiten und vor dem negativen Gegenhorizont, im weiteren Digitalisierungsfortgang durch die Pandemieauflagen ausgebremst zu werden. Vor allem in ländlichen Regionen wird die mangelhafte digitale Infrastruktur und die Altersstruktur der Teilnehmenden als Problem für die Digitalisierung benannt. „Also von daher war jetzt das schnelle Anbieten von digitalen Angeboten, stand für uns erstmal überhaupt nicht zur Debatte, weil auch halt nichts nachgefragt wird“ (Lachs). Als Chance wird hingegen das Erreichen jüngerer Zielgruppen in ländlichen Regionen mit „fortschreitendem Teilnehmerschwund“ (Stör) sowie engere Kooperationen mit anderen Volkshochschulen in neuen Arbeitsformaten verstanden.

Anhand der drei Themenfelder zeigen sich die Herausforderungen während der ersten Phase der Corona-Pandemie. Finanzielle Belastungen sind von untergeordneter Bedeutung, während die Organisation der Kursabwicklungen das Tagesgeschäft dominiert. Von besonderer Relevanz sind dabei Hygienekonzepte, die einen Normalbetrieb, also das Aufrechterhalten des Kursangebots, ermöglichen. In Bezug auf Digitalisierung zeigen sich sehr unterschiedliche Verständnisse – als temporäres Phänomen und einer Verzweiflungstat bis hin zu einer grundsätzlichen Veränderung des Selbstverständnisses von Volkshochschulen als Ort der Begegnung hin zu einem Amazon-Prinzip. Verwunderlich ist an dieser Stelle, dass im Gegensatz zum gesellschaftlichen Auftrag, einen öffentlichen Raum für Verständigung und Auseinandersetzung zu schaffen, neue Bildungsangebote im Hinblick auf die Corona-Pandemie kaum thematisiert werden. Vielmehr zeigt sich, dass mit der Krise das Selbstbild der Volkshochschulen verhandelt und einerseits versucht wird, den Status Quo von vor der Krise wiederherzustellen und andererseits marginalisierte Handlungsroutinen von vor der Krise dominant werden zu lassen. Dies dokumentiert sich in der Art und Weise, wie die Themen von den vhs-Leitungen bearbeitet und im Folgenden anhand der organisationalen Handlungstypen Beständigkeit und Innovation dargestellt werden.

2.2 Organisationale Handlungstypen: Beständigkeit und Innovation

Neben den identifizierten Themenfeldern konnten fallübergreifend zwei organisationale Handlungstypen des Umgangs mit der ersten Pandemie-Phase rekonstruiert werden. Als tertium comparationis (vgl. Nohl 2013) dokumentiert sich eine Verwaltungslogik, die die Anforderungen in den bisherigen Routinen rahmt bzw. die Chance eröffnet, neue Routinen zu etablieren.

Dem Typus der Beständigkeit liegt ein Selbstbild der Volkshochschule als Ort der Begegnung und Bildung zugrunde. „Volkshochschule besteht zu einem großen Teil auch aus diesem unmittelbaren Kontakt in der Gruppe“ (Zander). Der Aspekt des Miteinanders ist relevantes Thema und wird prominent mit dem Auftrag verbunden. Es geht demnach nicht nur um Gemeinschaft ihrer selbst willen, sondern darum, „dass Bildung auch Gemeinschaft ist“ (Aal). Die Corona-Pandemie bedroht dieses Selbstbild, da Treffen in Präsenz nicht mehr möglich sind. Im Zitat „Auf einmal war die Schule leer“ (Zander) dokumentiert sich die zentrale Bedeutung des sozialen Raumes Volkshochschule und des radikalen Einschnitts durch die Pandemie. Mit großem Aufwand und organisationaler Anstrengung werden Hygienekonzepte konzipiert und eingeführt, um Volkshochschulen als Ort der Begegnung zu ermöglichen und möglichst bald zur Normalität von vor der Pandemie zurückzukehren. „Ich denke, das haben wir ganz gut gelöst, so wie es gerade möglich war unter der Vorschriftssituation. Und dann haben wir, (…) mit kleinen Einschränkungen in Bezug auf Raumgröße (…) Maskentragen im Gebäude (…) auf dem Hof, abwischen von Tischen, Desinfektionsmittel in allen Räumen. Ich sag mal einen halbwegs normalen Betrieb durchgeführt“ (Barsch). Zwar werden digitale Kurse angeboten, jedoch als „aus der Not geborene Verzweiflungstat“ bezeichnet, die den Dozierenden „irgendwie gelungen“ (Zander) sind. Sie werden nicht grundsätzlich abgelehnt, sondern mit der bisherigen Logik der guten Planung verknüpft. „Also wenn ein solcher Kurs ordentlich geplant wird, dann gibt es solche Probleme natürlich in der Größenordnung nicht“ (Zander). Was folglich nicht gut organisiert ist, funktioniert auch nicht. Bisherige Handlungsroutinen werden dementsprechend tradiert und die Corona-Pandemie als Ausnahmesituation markiert.

Demgegenüber rücken beim Typus Innovation die Chancen durch die Pandemie in den Vordergrund. Die Pandemie wird als „Brandbeschleuniger“ (Tigerfisch) begriffen, der bisherigen Veränderungen neuen Wind gibt. „Ja also die digitale Bildung bleibt uns erhalten, also die Einbindung digitaler Kursangebote durch alle Fachbereiche der Volkshochschulen“ (Aal). Es dokumentiert sich eine Orientierung, nach der die Entwicklung digitaler Angebote einerseits die aktive Unterstützung der Dozierenden erfordert, andererseits die Attraktivität des Angebotes erhöht; verbunden mit dem Ziel, passgenau neue Zielgruppen zu erreichen und zu generieren. Dies soll beispielsweise mit einem „Shop System“ (Tigerfisch) erreicht werden, bei dem überregional Angebote gebucht werden können. Die regionale Volkshochschule wird so zu einem überregionalen Angebotsträger konstruiert. Im Gegensatz zum Typ Beständigkeit wird hier mehr Wert auf das Angebot als auf die Teilnahme in Präsenz gelegt. Diesem Typ liegt damit eine Orientierung an Wirtschaftlichkeit zugrunde, bei der es zwar um Chancennutzung geht, diese aber mit dem Fokus auf neue Zielgruppen und Synergieeffekte ausschließlich in eine wirtschaftliche Handlungslogik eingebettet ist. Die Corona-Pandemie als Krise bedingt das Beenden bisheriger Handlungsroutinen und eröffnet den Raum für neue Konzepte.

3 Theoretische Rahmung der empirischen Ergebnisse: Aufrechterhalten der organisationalen Handlungsfähigkeit und notwendige Inszenierung

Die Corona-Pandemie hat die Volkshochschulen in ihrem Innersten berührt, jedoch weniger krisenhaft als im Diskurs angenommen. Erstens wurden die finanziellen Verluste größtenteils durch die Kommunen sowie durch das Nachholen der Kurse aufgefangen. Zweitens hat die Krise die Volkshochschulen nicht im Rahmen ihres gesellschaftlichen Auftrages berührt – ein Raum für die Auseinandersetzung in Bezug auf die Corona-Pandemie wurde in keinem Interview thematisiert. Vielmehr lag der Fokus darauf, entweder die Volkshochschulen als Orte der Begegnung (Typus Beständigkeit) aufrechtzuerhalten oder die Corona-Pandemie als Legitimation für eine Veränderung des Selbstverständnisses zu nutzen (Typus Innovation). Unseres Erachtens zeigen die herausgearbeiteten organisationalen Handlungstypen unter den besonderen Bedingungen einer gesellschaftlichen Ausnahmesituation, dass Volkshochschulen Organisationen sind, die im Normalbetrieb bewährte Routinen zur Aufrechterhaltung ihrer (inneren) Abläufe haben und erhalten, die den eigentlichen Auftrag überformen. Um diesen nicht obsolet werden zu lassen und damit ihre Legitimation zu gefährden, bedürfen sie einer Praxis, die die kommunikative Relevanz ihres Bildungsauftrags im Spiel hält und einen angemessenen Umgang mit der eigenen disparaten Situation bzw. mit der Diskrepanz zwischen programmatischem Anspruch und empirischer Wirklichkeit ermöglicht. Wir möchten im Folgenden diese Praxis erstens als eine organisationale verstehen, als eine, die sich in der Funktionsweise einer Organisation vor dem normativen Horizont der an sie gerichteten und erwarteten Funktionsfähigkeit zeigt. Sie ist charakterisiert durch eine eigene kollektive Rationalität und Logik, mit der Akteure versuchen, Probleme im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu lösen, bei gleichzeitiger Inkaufnahme sich daraus ergebener „kontraintuitiver Effekte“ (Crozier und Friedberg 1993, S. 8). Diese sind für Organisationen nicht ausschließlich, aber relevant konstitutiv im Machtverhältnis zu außerorganisationalen Akteuren und deren tatsächlichen oder von Organisationen auf sie projizierten Erwartungen. Die Verhandlung des Selbstbildes ist für Volkshochschulen existenziell – gegenüber ihrer Öffentlichkeit und sich selbst – und verstärkt sich dort, wo situativ bedingt das Selbstbild aus der Passung gerät, es entweder aufrechterhalten oder verändert, in jedem Fall aber legitimiert werden muss. Der Umgang mit der Corona-Pandemie bringt nicht nur eine organisationsspezifische Praxis hervor, sondern reproduziert und offenbart die ihr inhärente organisationale Handlungslogik. Die Aufrechterhaltung dieser organisationalen Handlungsfähigkeit rahmt die pädagogische Handlungsfähigkeit und den Umgang mit dem Bildungsauftrag.

Zweitens möchten wir diese Praxis als eine Inszenierungspraxis interpretieren und damit einen Ansatz zur Diskussion stellen, der unseres Erachtens geeignet ist, den Umgang mit disparaten Situationen von Organisationen wie der Volkshochschule zu verstehen. Solch eine Inszenierungspraxis kann bei Einrichtungen der Erwachsenenbildung anhand des Umgangs mit Professionalität (vgl. Dörner und Schäffer 2010) beobachtet werden. Angesichts der prekären Dimensionen von Professionalisierung und Profession (vgl. Nittel 2000) wird der Dimension Professionalität eine im Vergleich zu klassischen Professionen hohe symbolische Bedeutung zugemessen und werden mittels Professionalität in der Erwachsenenbildung etwaige Professionalisierungs- und Professionsdefizite ausgeglichen (vgl. Dörner und Schäffer 2010). Relevant werden Inszenierungspraxen pädagogischer Professionalität, bei denen es darum geht, ein professionelles Bild von sich zu vermitteln und aufrechtzuerhalten und gegenüber einer wie auch immer gearteten Öffentlichkeit zu vermitteln (durchaus im Sinne des „phantom normalcy“ bzw. der „Schein-Normalität“; Goffman 1994, S. 152). Im grundlagentheoretischen Sinne des symbolisch-interaktionistischen Verständnisses von Rahmen als Organisationsstrukturen alltäglicher Erfahrung und Inszenierung (vgl. Goffman 1980) sind solche Inszenierungen von Volkshochschulen verbunden mit notwendigen Sinnkonstruktionen bzw. kreativen Sinndeformationen, deren Kern die Bearbeitung von Spannungen, Widersprüchen und Paradoxien ist, ohne diese nicht oder nicht vollends aufzulösen (vgl. Dörner 2020). Dies zeigt sich auch an dem hier herausgearbeiteten Widerspruch zwischen Auftrag und organisationaler Praxis: So inszenieren sich Volkshochschulen nicht nur über einschlägige Dokumente (zuletzt Schweriner Erklärung (vgl. DVV 1994) und Standortbestimmung (vgl. DVV 2011, 2019)), sondern auch in jeweils pointierter Form von Ereignissen, denen eine besondere mediale Aufmerksamkeit zukommt, etwa im Rahmen ihres 100-jährigen Jubiläums, das 2019 mit zahlreichen Festakten, Gratulationen und Publikationen gefeiert wurde (vgl. Käpplinger 2020, S. 36 f.). Wir haben es hier mit Praktiken von Akteuren zu tun, die als Gruppe zusammenwirken und als organisationales Ensemble wie auf einer Vorderbühne mit dem Ziel auftreten, einen bestimmten Eindruck beim Publikum zu erwecken, der jedoch nicht ohne Relativierung zugunsten seiner Stärkung, Schwächung oder Unterminierung auf der Hinterbühne unter Ausschluss des Publikums kontrolliert wird (vgl. Goffman 1996, S. 99 ff.). Die Inszenierung von Professionalität und Selbstverständnis, von professionellem Wissen und Können bzw. der Kompetenz, gesellschaftliche Probleme lösen und gesellschaftlichen Ansprüchen gerecht werden zu können, ist für Erwachsenenbildungsorganisationen wie Volkshochschulen konstitutiv (vgl. Dörner und Schäffer 2010, Dörner und Liebe 2015, Dörner 2020). Diese Inszenierungen gehören somit nicht nur zur organisationalen Konstitution von Volkshochschulen, sondern entfalten vor allem im Umgang mit gesellschaftlichen Herausforderungen wie der Corona-Pandemie ihre für die Existenz der Organisation notwendige und routinierte Kraft. Diese Kraft ist ohne die Inszenierung der pädagogischen Idee auf der Vorderbühne nicht zu denken, entspringt aber primär einer Verwaltungslogik, deren Kern der verantwortungsvolle Umgang mit den zur Verfügung gestellten Ressourcen, geschaffenen Strukturen und legitimierten Macht zur Erfüllung des staatlichen bzw. öffentlichen Auftrags ist (vgl. Seibel 2017, S. 21). Den empirischen Ergebnissen folgend ist damit eine Skepsis gegenüber der Umsetzung des gesellschaftlichen Auftrages im Kontext der Corona-Pandemie angebracht. Volkshochschulen sind selbst keine rein formal geschaffenen Organisationen, die rational mit normativen Institutionen der Gesellschaft arbeiten, sondern verstanden als Institutionen auch mit gesellschaftlichen Ansprüchen konfrontiert sind, die innere organisationale Routinen konstituieren (vgl. Engel und Göhlich 2022, S. 26 ff.). Im Umgang mit der Corona-Pandemie, die Brennglasthese verwendend, werden dann die organisationalen Routinen zum Erhalt organisationaler Legitimität deutlich, die die Organisationsmitglieder jedoch gemäß ihrer als „Habitus“ verstandenen Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsmuster (vgl. Bourdieu 2009 [1979], S. 169) interpretieren und in ihre Praktiken integrieren (vgl. auch Umgang mit organisationalen Regeln bei Nohl 2006, S. 188–193).

4 Fazit

Die disparate Situation der Volkshochschulen ist relativ stabil und in dem Maße, wie der legitimierende Anspruch ihrer gesellschaftlichen Funktionsfähigkeit aufrechterhalten und reproduziert wird, ist sie konstitutives Merkmal von Volkshochschulen. Gesellschaftliche Herausforderungen, denen sie sich stellen, offenbaren in exponierter Form (wie unter einem Brennglas) Orientierungen, die den organisationalen Alltag jenseits aktueller Herausforderungen konstituieren bzw. prägen und absichern. In unserer empirischen Untersuchung haben wir Leitungen von Volkshochschulen interviewt und deren organisationale Orientierungen im Umgang mit der Corona-Pandemie, relevante Themenfelder und zwei organisationale Handlungstypen rekonstruiert. Zwar gehen wir davon aus, dass Führungskräfte maßgeblich die Geschicke einer Organisation leiten, jedoch sind unsere Rekonstruktionen in dem Maße begrenzt, wie davon auszugehen ist, dass die soziale Praxis von Organisationen durch mehrere Akteure (Personen, Gruppen, Organisationen) konstituiert ist. Insofern sind als maßgebliche Akteure die Gruppe der festangestellten und die der nicht festangestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu berücksichtigen. Vor dem Hintergrund, dass die Gruppe der Festangestellten (2020: 4245) zahlenmäßig deutlich kleiner ist als die der Frei- oder Nebenberuflichen (2020: 175.000) (vgl. Echarti et al. 2022, S. 25 f.), ist interessant, inwieweit handlungsleitende Orientierungen dieser Gruppen im Spannungsfeld zwischen Anspruch, Wirklichkeit und gesellschaftlich exponierten Themen wie die Corona-Pandemie von Bedeutung sind, in organisationale Praktiken einfließen, diese strukturieren und durch diese strukturiert werden. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass Entwicklungen wie der Anstieg des Programmbereichs Deutsch als Fremdsprache und die Stagnation der anderen Programmbereiche oder auch die Abwanderung von Lehrpersonal in Schulen, mit der Personalstruktur einhergehen. Dabei dürften Inszenierungspraktiken mehrfach virulent sein: in Bezug auf das Zusammenspiel der Orientierungen von neben- und hauptberuflichen Personen im Kontext ihrer Organisationszugehörigkeit, ihres professionelles Selbstverständnis und ihrer Beruflichkeit. Oder kurz: Inwiefern speist sich die soziale Praxis Volkshochschulen aus der Heterogenität ihrer haupt- und nebenberuflichen Beschäftigten hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen Legitimität?