Der Begriff und das Konzept von „Educational Governance“ sind in den vergangenen zwei Jahrzehnten in der Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung fest verankert worden. Im Unterschied zu den Begriffen „Bildungsplanung“ und „Bildungssteuerung“, mit denen zumeist ein Verständnis von einer vornehmlichen staatlich-hierarchischen Einflussnahme qua Gesetzgebung und Verordnungen auf das Bildungsgeschehen assoziiert wird, betont „Educational Governance“ eine systemische und institutionalistisch begründbare Vorstellung von Steuerung. Hervorgehoben wird die Vielfalt von Akteuren und Akteurskonstellationen, die auf makro-, meso- und mikrosozialen Handlungsebenen angesiedelt sowie an unterschiedliche institutionelle Reglements rückgebunden sind und so an der Steuerung sowie Koordination von Bildungsprozessen, -organisationen, -strukturen und -systemen mitwirken (Altrichter et al. 2007; Maag Merki et al. 2014; Schemmann 2014; Schrader et al. 2015).

In der Weiterbildungsforschung hat die Governance-Perspektive zunehmend Beachtung erfahren, weil hierdurch der Blick der empirischen Forschung auf die Mehrebenensteuerung der Weiterbildung gerichtet und somit neue Untersuchungsmöglichkeiten eröffnet werden (Hartz und Schrader 2008; Hof et al. 2011; Schrader 2014). Bis heute wird das Anregungspotenzial der Governance-Perspektive jedoch kaum voll ausgeschöpft. Ein Schwerpunkt der weiterbildungsbezogenen Governance-Forschung liegt bislang auf der Erarbeitung von Forschungsdesigns sowie auf solchen empirischen Untersuchungen, die sich auf Entwicklungen und Veränderungen von nationalen, regionalen und sektoralen Governance-Strukturen und deren Wirkungen auf Anbieter- und Angebotsstrukturen beziehen (Herbrechter und Schemmann 2010). Ebenso werden internationale Vergleichsforschungen forciert (Trevino-Eberhard und Kaufmann-Kuchta 2022). Ein weiterer Fokus liegt auf der Erkundung der Bedeutung von veränderten Governance-Strukturen sowie von „neuen“, insbesondere nicht-direktiven Formen (z. B. Qualitätsmanagement) der Steuerung und Koordination von Weiterbildungsorganisationen (Reuter et al. 2020; Schemmann 2020).

Demgegenüber wird das Anregungspotenzial der Governance-Perspektive bis heute noch kaum für die weiterführende Erforschung der Steuerung und Koordination von Weiterbildungsprozessen, -angeboten und -programmen in Weiterbildungsorganisationen genutzt. Dies gilt speziell für die empirische Erkundung von Anforderungen an das Koordinations- und Führungshandeln von Leitungskräften wie auch des pädagogischen Personals in sich verändernden internen wie auch externen Akteursbeziehungen und -konstellationen. Bemerkenswerte Ansätze wie auch Vorstöße dazu gibt es jedoch. Sie finden sich etwa im Kontext der internationalen Forschung zu Educational Management and Leadership (Bush 2008; Coleman und Glover 2010; Wang et al. 2017) sowie im nationalen Kontext der Schulforschung (Tulowitzki und Pietsch 2020). Und auch in der Weiterbildungsforschung selbst stößt man schnell auf Anknüpfungspunkte für die Anwendung der Governance-Perspektive zur Erforschung von Steuerungs- und Koordinationsherausforderungen in Weiterbildungsorganisationen. Zu denken ist etwa an solche empirischen Befunde der weiterbildungsbezogenen Programm- und Organisationsforschung, die zeigen, dass das organisierte Lehr- und Lerngeschehen (Franz 2016), die Entwicklung von Angeboten und Programmen (Alke und Graß 2019; Stimm et al. 2020), organisationsspezifische Orientierungen und Praktiken zur Steuerung der Leistungserbringung (Nuissl und Dollhausen 2011) sowie nicht zuletzt das Leitungshandeln in Weiterbildungseinrichtungen (Herbrechter 2018) selbst durch einen relativierten Einfluss des Staates sowie durch das Zusammenwirken von institutionellen und akteursspezifischen Erwartungen, Anforderungen und Interventionen geprägt sind (Schrader 2011). Insgesamt zeichnet sich so ein empirisch nachvollziehbares Verständnis dafür ab, dass Weiterbildungsorganisationen ihre pädagogische Leistungserbringung sowie ihre Personal- und Organisationsentwicklung einerseits selbst steuern (müssen), dass sie dabei jedoch in vielfältige Interdependenzen mit relevanten anderen Akteuren bzw. Akteurskonstellationen in ihrem Umfeld sowie mit den Organisationsmitgliedern eingebunden sind, die es zu berücksichtigen wie auch selbst mitzugestalten und zu nutzen gilt (Dollhausen 2021).

Ausgehend von den skizzierten Beobachtungen und Überlegungen wird mit dem Themenschwerpunkt der vorliegenden Ausgabe der Zeitschrift für Weiterbildungsforschung (ZfW) die Absicht verfolgt, die Anwendung der Governance-Perspektive zur verbesserten Erfassung und empirisch-analytischen Ausleuchtung von Koordinationsherausforderungen in Weiterbildungsorganisationen bekannter zu machen. In und mit den hier versammelten Beiträgen werden unterschiedliche Forschungsansätze, -designs und -ergebnisse vorgestellt, die das breite Spektrum möglicher Herangehensweisen verdeutlichen. Überdies zeigen einige der Beiträge, wie die weiterbildungsspezifische Governance-Forschung sinnvoll mit einer in Deutschland noch zu entwickelnden Leadership-Forschung verknüpft werden kann.

Eingeleitet wird dieses Themenheft mit einem Fokusbeitrag von Michael Schemmann und Eva Bonn, die sich mit der Frage befassen, wie Phänomene und Ausprägungen der Koordination von Handlungen in Weiterbildungsorganisationen erfasst und erforscht werden können. Hierzu wird vorgeschlagen, Organisationstheorien heranzuziehen, die unterschiedliche Konzeptualisierungen der Handlungskoordination hervorheben und so einen orientierenden Rahmen zur Eruierung von möglichen und wahrscheinlichen Akteurskonstellationen, Koordinationsmechanismen sowie Einflussfaktoren in Weiterbildungsorganisationen vorgeben. Diese wiederum lassen die Handlungskoordination als einen auf die Mehrebenensteuerung der Weiterbildung bezogenen und multiperspektivisch zu verstehenden Forschungsgegenstand erscheinen. Der Beitrag stellt daran anschließend Eckpunkte für ein Forschungsprogramm vor, das sich auf multiple Formen der Handlungskoordination in Weiterbildungsorganisationen konzentriert.

Im anschließenden Beitrag loten Matthias Rohs, Gesa Heinbach und Bianca Maria Tobarski aus, wie „Governance der wissenschaftlichen Weiterbildung“ als ein Forschungsgebiet, das bislang wenig Beachtung gefunden hat, systematisch erschlossen und konturiert werden kann. Dabei weisen sie auf die politischen, finanziellen und kontextuellen Spezifika der Steuerung und Koordination im Bereich der an Hochschulen etablierten wissenschaftlichen Weiterbildung hin, die keine umstandslosen Analogien zu anderen Bildungs- und Weiterbildungsbereichen zulassen. Allerdings kann im Beitrag mittels eines Scoping Reviews nachgezeichnet werden, dass auch die Governance wissenschaftlicher Weiterbildung als eine Mehrebenensteuerung begreifbar gemacht und systematisch aufbereitet werden kann. Das Review zeigt dabei auch das breite Spektrum theoretischer Bezüge sowie die bisher vor allem qualitative forschungsmethodische Ausrichtung der berücksichtigten Veröffentlichungen.

In den folgenden zwei Beiträgen wechselt die Perspektive. Nun werden empirische Untersuchungsergebnisse zu Steuerungs- und Koordinationsherausforderungen in Weiterbildungsorganisationen im Zusammenhang mit spezifischen Herausforderungen in den Mittelpunkt gerückt. Johannes Wahl und Dörthe Herbrechter widmen sich der zentralen Position und der steuernden sowie koordinierenden Rolle der Leitungskräfte in Weiterbildungsorganisationen im Kontext der digitalen Transformation und speziell an der Schnittstelle zwischen Organisation und Umwelt in den Fokus. Rekurrierend auf eine qualitative Interviewstudie mit Leitungskräften an Volkshochschulen zeigen sie wesentliche Anforderungen an das Führungshandeln auf und verdeutlichen so die Komplexität der Anforderungsstruktur wie auch dessen Bedeutsamkeit zur Steuerung der Veränderungsdynamik in und von Weiterbildungsorganisationen. Der anschließende Beitrag von Lena Sindermann, Marie Bickert, Gwennaëlle Mulliez und Veronika Thalhammer analysiert das handelnde Zusammenwirken im Umgang mit Kursabbrüchen im Programmbereich Alphabetisierung und Grundbildung. Auf Basis der inhaltsanalytischen Auswertung von insgesamt 22 leitfadengestützten Interviews mit Dozierenden und Bildungsplanenden werden drei wesentliche Umgangsstrategien mit Drop-Outs identifiziert, nämlich Akzeptanz, Reduzierung und Verhinderung. Als ein wesentlicher Faktor dafür, welche Strategie in Organisationen greift, wird die Zusammenarbeit zwischen den zumeist frei- und nebenberuflich Lehrenden und dem fest angestellten pädagogischen Personal sowie mit weiteren, auch externen relevanten Akteuren herausgestellt. Vor allem sollten deshalb, so das Fazit, in zukünftigen Forschungen zu Gelingensbedingungen bzw. zur erfolgreichen Steuerung und Koordination der Alphabetisierungs- und Grundbildungsarbeit die Eingebundenheit und Abhängigkeit der Handlungskapazitäten und -optionen der beteiligten Akteure sowie die wechselseitigen Erwartungen in relevanten Akteurskonstellationen der Alphabetisierungs- und Grundbildungsarbeit deutlich stärker berücksichtigt werden als es bislang der Fall ist.

Im anschließenden und letzten Beitrag des Schwerpunkts von Jana Arbeiter wird nochmals ein Perspektivenwechsel vorgenommen, soweit er eine zwar naheliegende und grundlegende, in der Weiterbildungsforschung dennoch bislang kaum behandelte machttheoretisch anschlussfähige Fragestellung behandelt. Der Beitrag nimmt den Entscheidungsprozess in der Programmplanung der arbeitsorientierten Grundbildung in den Blick. Im Rekurs auf strukturationstheoretische Grundannahmen nach Giddens werden akteursspezifische Entscheidungen über Angebote und Programme der arbeitsbezogenen Grundbildung in den Fokus gestellt, wobei das spezifische Augenmerk auf den jeweiligen mittelbezogenen Verfügungsrechten und Interessen der beteiligten Akteure liegt. Anhand einer inhaltsanalytischen Sekundäranalyse von 14 Experteninterviews zur Frage, wie Akteure ihr Handeln und ihre Entscheidungen in der Angebots- bzw. Programmplanung begründen, wird eine gewissermaßen „im Hintergrund“ wirkende Machtkonstellationen aufgezeigt, die den sach- und ergebnisbezogenen Programmplanungsprozess mitprägt.

Die Beiträge des vorliegenden Themenheftes zeigen somit auf, wie sich mit der Hinwendung der organisationsbezogenen Weiterbildungsforschung zur Educational Governance-Perspektive ein multidimensionales, dynamisches und in vielen Hinsichten noch weiter zu erkundendes Forschungsfeld auftut.

Die sechs Beiträge im Forum dieses Hefts widmen sich den Bedingungen und Prozessen des Lernens und Lehrens Erwachsener in unterschiedlichen Kontexten. So nehmen Matthias Kraut, Marianne Merkt und Jennifer Preiß mit der Frage nach der Professionalisierung im Feld der Hochschuldidaktik einen Bereich erwachsenenpädagogischen Handelns in den Blick, der vielleicht gerade aufgrund seiner kaum standardisierten Zugangswege wenig untersucht ist. In ihrer qualitativen Studie arbeiten sie individuelle Professionalisierungsstrategien beim Lehrpersonal an Hochschulen heraus und analysieren die organisationalen Bedingungen, die dafür bestehen.

Auf Experteninterviews mit Professionellen stützen sich Tina Waschewski, Anke Grotlüschen und Astrid Müller. Die Autorinnen fragen nach Vermittlungsstrategien in Alphabetisierungskursen für Zugewanderte. Im Fokus steht dabei die Tragfähigkeit eines schriftstrukturorientierten gegenüber einem lautorientierten Ansatz. Die befragten Lehrkräfte betonen das Potenzial dieses für die Erwachsenenbildung innovativen Zugangs, markieren hierfür gleichzeitig aber auch erforderlichen Fortbildungsbedarf.

Krisenhafte Umbrüche im Lebensverlauf sind für viele Erwachsene Lernanlass und Lernfeld zugleich. Richard Bethins Beitrag widmet sich Erwachsenen, die ehrenamtliches Engagement für sich als Weg zur Bewältigung kritischer Lebensereignisse nutzen. Unter Rückgriff auf motivationstheoretische Konzepte sowie Ansätze transformatorischer Bildung werden, gestützt auf die Inhaltsanalyse episodischer Interviews, drei motivationale Typen ehrenamtlich Tätiger herausgearbeitet. Gleichzeitig wird deutlich, unter welchen Bedingungen ihr Engagement bildungsbiografische Relevanz gewinnt.

Dass der Umgang mit digitalen Technologien inzwischen zu einer wesentlichen Kulturtechnik avanciert ist, dürfte weitgehend konsensfähig sein. Deutlich unklarer ist hingegen, wie sich in diesem Zusammenhang eine digitale Grundbildung curricular konstituiert. Johanna Weber befragt in ihrer Studie Programmplanende und Lehrende und arbeitet das relationale Verständnis digitaler Grundbildung heraus, das Inhalte und Kompetenzen, Ziele und Notwendigkeiten mit Annahmen über die Zielgruppe verknüpft.

Auch Sophie Lacher und Matthias Rohs nehmen in ihrem Beitrag die Herausforderungen von Digitalisierung im Kontext Geringqualifizierter in den Blick, wenn sie danach fragen, inwieweit ihre besonderen Anforderungen in digitalisierten Weiterbildungsangeboten berücksichtigt werden. Auf Basis einer Analyse von Weiterbildungsdatenbanken werden spezifische Unterstützungsangebote für Personen mit geringer Formalqualifikation im Kontext (semi‑)virtueller Bildungsangebote sichtbar; gleichzeitig kritisiert das Autorenteam, dass eine Orientierung an formalen Abschlüssen zu kurz greift, um ein angemessenes Bild von der Heterogenität der Zielgruppe zu erhalten.

Schließlich fragt Benjamin Schimke in seiner Analyse der Daten aus der Erwachsenenkohorte des Nationalen Bildungspanels nach dem Zusammenspiel von Arbeitsplatzanforderungen, formalen Qualifikationen und Weiterbildungsaktivitäten. Dieser Zusammenhang wird untersucht bei Beschäftigten, die am Beginn der Tätigkeit auf einer neuen Stelle stehen. Die Analysen verweisen auf die komplementäre oder substitutive Beziehung von beruflicher bzw. betrieblicher Weiterbildung vor dem Hintergrund hoher bzw. geringer Formalqualifikation.

Wir danken allen Autorinnen und Autoren für Ihre Einsendungen und wünschen unseren Leserinnen und Lesern eine ertragreiche Lektüre.