1 Einleitung und Vorstellung der Forschungsfrage

Zu den Folgen der Corona-Pandemie für Angebot und Teilnahme in der Weiterbildung liegt inzwischen eine Reihe erster empirischer Befunde vor. Sie zeigen auf, welche Bedeutung die Einschränkung des Präsenzangebots und die Umstellung auf digitale Angebote für Teilnahmestrukturen, Weiterbildungsanbieter und Lehrende in der Weiterbildung hatten, wobei neben ersten Einblicken auch viele Desiderate offengelegt werden (Kohl und Denzl 2021; Denninger und Käpplinger 2021, Gnahs 2021; Käpplinger und Lichte 2020). Der organisationale Rahmen als Voraussetzung für die Implementation von Digitalisierungsstrategien und Prozessen der Digitalisierung in Weiterbildungseinrichtungen selbst und die Bedeutung von Weiterbildungseinrichtungen als zentrale Akteure im Mehrebenensystem der Weiterbildung in der digitalen Transformation sind dagegen eher unterbeleuchtet (Bernhard-Skala 2019; Koschorreck und Gundermann 2021; Altenrath et al. 2021). Erkenntnisse über die Realisierung von digitalen Weiterbildungsangeboten unter Extrembedingungen – wie es in der pandemiebedingten Schließung der Fall war – können die Bedeutung der Organisation in Digitalisierungsprozessen näher beleuchten.

Mit Blick auf das Angebot von Weiterbildung zeichnete sich im Zuge der pandemischen Maßnahmen der Einbruch von Präsenzveranstaltungen und der Anstieg digitaler Angebote deutlich ab. Unklar jedoch ist, wie sich diese quantitative Veränderung jenseits des Veranstaltungsformats (in Präsenz vs. digital) qualitativ abbildet. Wie haben sich die veränderten Rahmenbedingungen in der Ausrichtung des inhaltlichen Angebots der Weiterbildungsanbieter niedergeschlagen? Geht es vorrangig um eine Weiterführung des geplanten Angebots unter digitalen Vorzeichen? Liegen für verschiedene Themen und Inhalte des Weiterbildungsangebots unterschiedliche Voraussetzungen vor? Konnten Angebote realisiert werden, die auf neue, pandemiebedingte Bildungsbedarfe eingegangen sind?

Der Beitrag greift diese Fragen mit der Analyse von Daten der Volkshochschulen (VHS) aus einer bundesweiten Erhebung zum geplanten und realisierten Angebot zu Beginn der Corona-Pandemie auf. Mit Bezug auf theoretische Erklärungen zum Zusammenspiel von Weiterbildungsangebot und -nachfrage werden Thesen zur Realisierung des Online-Angebots der VHS im ersten Lockdown erstellt, wobei die spezifischen Kontexte der verschiedenen Prorammbereiche berücksichtigt werden. Verglichen werden die Programmstruktur des Angebots von Kursen und Einzelveranstaltungen im Jahr 2019 vor der Pandemie aus der VHS-Statistik, die Programmstruktur im ersten Lockdown im Frühjahr 2020 (in dem ausschließlich digitale Angebote realisiert werden konnten) sowie die Programmstruktur des für diesen Zeitraum ursprünglich geplanten Angebots. Als spezifischer methodischer Zugang werden dabei etablierte Kategoriensysteme aus der VHS-Statistik verwendet, die die Programmvielfalt auf Einrichtungsebene orientiert an Themengebieten in sogenannte Programmbereiche (PB) aufschlüsseln. Die Systematik dieser PB geht auf Steuerungsansätze der Kommunalverwaltung in den 1990er-Jahren zurück (Pehl 1997) und strukturiert bis heute organisationales und professionelles Handeln in VHS. Die Nutzung entsprechender Statistiken stellt neben der Programmanalyse einen wesentlichen komplementären Zugang zur Angebotsforschung dar (Fleige und Reichart 2014). Dabei wurden in der vorliegenden Erhebung erstmals auch statistisch Daten zum geplanten im Unterschied zum tatsächlich realisierten Angebot erfasst.

Deskriptive Analysen und grafische Visualisierungen zeigen, wie den VHS die Umsetzung ihres Angebots unter Pandemiebedingungen im ersten Lockdown gelang und wie sich dabei das inhaltliche Profil des VHS-Angebots verändert hat. Hierfür wird auch erstmals das Lorenzsche Konzentrationsmaß genutzt, welches in der sozialen Ungleichheitsforschung bei der Berechnung des Gini-Koeffizienten Verwendung findet, um die Programmvielfalt in den inhaltlichen Profilen auf Ebene der Einzeleinrichtungen zu beobachten.

Zu Beginn werden in Abschn. 2 allgemeine Bedingungen von Angebot und Teilnahme an Weiterbildung unter den restriktiven Bedingungen des ersten Lockdowns mit Blick auf theoretische Konzepte und Forschungsarbeiten dargestellt. Durch die Vertiefung organisationaler Voraussetzungen und spezifischer Rahmenbedingungen für Angebot und Nachfrage für die einzelnen PB werden explorative Thesen erarbeitet. Datengrundlage und methodisches Vorgehen werden in Abschn. 3 ausgeführt. Abschn. 4 beinhaltet die statistischen Auswertungen zu Veränderungen des Angebotsumfangs sowie den Vergleich über die verschiedenen PB, um Veränderungen in der Programmstruktur und -vielfalt darzustellen. Die Diskussion der Ergebnisse und Schlussfolgerungen erfolgen in Abschn. 5.

2 Theoretischer Hintergrund, Forschungsstand und Thesen

2.1 Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Weiterbildungsangebot und -nachfrage

Der in weiten Teilen freiwilligen Entscheidung zur Teilnahme an Weiterbildung auf der Nachfrageseite steht ein plurales, in heterogenen institutionellen Strukturen verankertes Weiterbildungsangebot gegenüber. Idealtypisch wird die Bildungsteilnahme als das Ergebnis eines marktförmigen Prozesses verstanden, bei dem eine Passung zwischen Angebot und Nachfrage vorliegt (Boeren et al. 2010). Das Zustandekommen oder die Qualität dieser Passung ist abhängig von jeweils spezifischen Konstellationen von individuellen Merkmalen (bspw. Bildungsinteresse, Lebensumstände), Angebotsmerkmalen (Didaktik, Inhalte, Servicestrukturen) sowie Rahmenbedingungen und Restriktionen, die sowohl das Angebots- als auch das Nachfrageverhalten beeinflussen (Kuper et al. 2016). Die Corona-Pandemie kann als eine solche Rahmenbedingung oder auch als exogener Schock betrachtet werden, die innerhalb kurzer Zeit Faktoren sowohl für die Nachfrage- als auch die Angebotsseite stark verändert hat.

Erste Studien zum Teilnahmeverhalten in der Pandemie zeigen insgesamt eine gestiegene Weiterbildungsaktivität in der Bevölkerung (BMBF 2021; Kleinert et al. 2021). Dieser Anstieg betrifft jedoch nicht alle Bevölkerungsgruppen gleichermaßen. Zudem können Veränderungen in der Intensität und in Merkmalen der Weiterbildungsteilnahmen beobachtet werden. Der Zuwachs wird vor allem in den beruflich orientierten, insbesondere selbst finanzierten Weiterbildungsaktivitäten verzeichnet und oftmals mit Bildungsbedarfen begründet, die sich aus den Anforderungen der Pandemie ergeben haben. Die Weiterbildungsaktivitäten in der Pandemiezeit sind im Vergleich zu den Vorjahren im Durchschnitt deutlich kürzer und finden häufiger digital statt (BMBF 2021). Ebenfalls gibt es Hinweise darauf, dass die Nutzung informeller digitaler Lernangebote zugenommen hat. Die Weiterbildungsschere zwischen höher und geringer qualifizierten Erwerbstätigen hat sich dabei vergrößert (Kleinert et al. 2021).

Auf der Angebotsseite kamen die Schließungen im ersten Lockdown für die Weiterbildungsanbieter ohne Vorlaufzeit und die erste Phase des Lockdowns war davon geprägt, einen „Emergency-remote-Modus“ aufzubauen, in dem laufende und geplante Präsenzveranstaltungen in Onlineformate umgewandelt wurden.

Dabei zeigt die bisherige Studienlage, dass die VHS im Vergleich zu anderen Weiterbildungsanbietern vor Pandemiebeginn über weniger IT-Infrastruktur und, im Hinblick auf digitale Formate, weniger qualifiziertes Personal verfügten und weniger digitale Veranstaltungen anboten (Bernhard-Skala 2019; Christ et al. 2020). Dies deutet auf eine ungünstige Ausgangslage zu Pandemiebeginn hin. Die Ergebnisse des wbmonitor 2020 zeigen, dass nur 6 % der Veranstaltungen von VHS im ersten Lockdown in digitale Veranstaltungen transformiert werden konnten, während der Durchschnitt über alle Weiterbildungsanbieter bei 23 % lag (Christ et al. 2021a, S. 18–24). Allerdings zeigen vertiefende Analysen der Daten, die die Leistungen kommerzieller und nicht-kommerzieller Anbieter gegenüberstellen, keinen Zusammenhang zwischen digitaler Vorerfahrung und der erfolgreichen kurzfristigen Umstellung auf digitale Angebote während der Pandemie, was auf weitere wirkmächtige Faktoren verweist (Christ et al. 2021b). Auswertungen der bundesweiten VHS-Befragung zum ersten coronabedingten Lockdown im Frühjahr und Frühsommer 2020 – deren Daten auch den Analysen dieses Beitrags zugrunde liegen – bestätigen den beträchtlichen Einbruch im Veranstaltungsangebot. Sie zeigen darüber hinaus, dass über 80 % der VHS ein digitales Angebot realisieren konnten. Dabei wurden bereits geplante Präsenzveranstaltungen digitalisiert, über die Hälfte des Lockdown-Angebots wurde jedoch spontan neu konzipiert. Förderliche Faktoren für ein digitales Angebot waren unter anderem eine hauptamtliche Leitung und die Kooperation und Unterstützung innerhalb und durch die Landesverbände und den Dachverband Deutscher Volkshochschulverband (DVV); ca. ein Viertel der digitalen Veranstaltungen waren zentral oder kooperativ organisiert (Hoenig et al. 2022b). Aus Innensicht der Volkshochschulen heraus bestehen unter anderem durch flexible und agile Planungs- und Organisationsprinzipien, dezentrale und selbstständige Programmbereichsteams sowie Erfahrung mit der Umsetzung von bedarfsgerechten Bildungsangeboten bei knapper Finanzierung, prinzipiell förderliche Voraussetzungen dafür, die Corona-Krise produktiv zu bewältigen (Sgodda 2021). In diesem Zusammenhang wird oft auf die erfolgreiche Ausdehnung des Integrations- und Deutsch-als-Fremdsprache-Angebots im Zuge der Aufnahme von Geflüchteten in den Jahren 2015 und 2016 verwiesen. Hier haben die VHS in kurzer Zeit eine enorme Angebotsentwicklung geleistet. Besonders erfolgreich waren dabei VHS’ die Kurse aus diesem Bereich bereits vorher angeboten hatten sowie über eine vergleichsweise gute Ressourcenausstattung verfügten (Thomsen und Weilage 2021). Dieser Befund verweist auf gewisse Pfadabhängigkeiten, die auch für die Umstellung auf digitale Angebote Geltung haben können.

Arbeiten aus der Schul- und Weiterbildungsforschung zeigen, dass die erfolgreiche Umsetzung digitaler Lehr-Lernprozesse von multiplen Gelingensdimensionen abhängt, die alle adressiert werden müssen (Eickelmann und Gerick 2017; Egetenmeyer et al. 2020). Dies deutet an, dass eine kurzfristige Umstellung auf digitale Formate nur gelingen kann, wenn grundlegende Voraussetzungen auf Ebene der Organisationsentwicklung, Unterrichtsentwicklung, Personalentwicklung, Kooperationsentwicklung und Technologieentwicklung erfüllt sind (Eickelmann und Gerick 2017; Egetenmeyer et al. 2020). Eine wesentliche Rolle kommt dabei neben den einzelnen Einrichtungen den Dach- und Landesverbänden zu.

2015 hat der DVV unter dem Titel „Erweiterte Lernwelten“ einen Organisationsentwicklungsprozess mit dem Ziel angestoßen, digital gestützte Bildungsformate für alle PB zu entwickeln und nachhaltig in VHS zu verankern. Mit der Initiative wurden die erforderliche Infrastruktur, die Medienkompetenz der pädagogischen Fachkräfte, mediendidaktische Innovationen und ein Dialogkonzept adressiert. Als vorläufigen Höhepunkt und noch vor der Pandemie veröffentlichte der DVV das „Manifest zur digitalen Transformation von Volkshochschulen“ (DVV 2019), in dem Selbstverständnis, Ziele und strategische Umsetzungen dargelegt werden. Produkt dieses Prozesses ist auch die vhs.cloud, eine 2018 eingesetzte digitale Plattform, auf der VHS ihren eigenen Arbeitsbereich haben, digitale Kurse und Lerninhalte bereitstellen und miteinander kommunizieren können. Vor Beginn der Pandemie waren bereits 709 der insgesamt 888 VHS registriert. In den Folgemonaten sind die Zahl der registrierten VHS sowie registrierter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Angebote in der vhs.cloud und auf dem vhs-Lernportal stark angestiegen (Kohl und Denzl 2021). Nach der VHS-Statistik wurden im Berichtsjahr 2020 insgesamt 8,7 % aller Kurse als Kurse mit digitalen Lernangeboten klassifiziert (vgl. Echarti et al. 2022, Tab. 8.1). Diesen prinzipiell günstigen Voraussetzungen stehen jedoch auch Faktoren gegenüber, die digitalisierungsbezogene Entwicklungsprozesse erschweren. Hierbei geht es vor allem um die unzureichende finanzielle Ausstattung und für Organisationsentwicklungsprozesse ungünstige Personalstrukturen. Die gegenwärtigen Finanzierungsstrukturen lassen wenig Spielräume für notwendige Investitionen in zukunftsfähige IT-Infrastrukturen. Die Personalentwicklung steht vor Herausforderungen, die sich aus den besonderen Beschäftigungsstrukturen an VHS ergeben. Die Leitung von VHS wird teilweise ehrenamtlich oder von kommunalen Verwaltungsfachkräften „nebenher“ mitgeleistet (Meisel 2019). Das Lehrpersonal, das zu Beginn der Pandemie mit hohen Anforderungen für Anpassungs- und Bewältigungsstrategien sowie Kompetenzentwicklung für die Umstellung auf digitale Lehr-Lern-Angebote konfrontiert wurde (Wißhak und Hochholdinger 2021), arbeitet überwiegend auf Honorarbasis. Die Vergütungsmöglichkeiten sind gering und die Position im Wettbewerb um Fachkräfte ist – auch angesichts des durch die Altersstrukturen der Beschäftigten bevorstehenden Generationswechsels – ungünstig (Meisel 2019).

Zusammenfassend verweisen die Ergebnisse der Anbieter- und Personenbefragungen auf veränderte Rahmenbedingungen für die Realisierung der Bildungsteilnahme Erwachsener unter Pandemiebedingungen. Auf der Nachfrageseite verschieben sich Teilnahmechancen und -barrieren sowie Bildungsbedarfe. Auf der Angebotsseite variieren die Voraussetzungen und organisationale Ressourcen, um die Angebotsentwicklung auf veränderte Bedarfslagen auszurichten. Im Vergleich zu anderen Anbietern standen dabei die VHS im ersten Lockdown aufgrund der insgesamt stark auf Präsenzformate ausgerichteten Programmplanung und unzureichender IT-Infrastruktur und qualifizierten Personals vor besonderen Herausforderungen bei der Umstellung auf ein rein digitales Angebot.

2.2 Programmbereiche und Veranstaltungsformen als spezifische Kontexte für ein digitales Angebot während der Pandemie

Grundlegende Forschungsfrage des vorliegenden Artikels ist, wie sich die kurzfristige Umstellung auf ein digitales Angebot unter Lockdown-Bedingungen auf die Programmstruktur des Angebots der VHS auswirkten. „Bildungstheoretisch sind Bildungsprogramme der zeitgeschichtlich materialisierte Ausdruck gesellschaftlicher Auslegung von Bildung durch die jeweils handelnden Akteure, die diesen Markt bestellen. Sie sind beeinflusst durch bildungspolitische Rahmungen, ökonomische Entwicklungen, Bildsamkeits (sic) und Lernfähigkeitsvorstellungen von maßgeblichen Akteuren, nachfragenden Teilnehmer/innen und Unternehmen, gefiltert durch professionelle Handlungskompetenz“ (Gieseke 2011, S. 317).

In den VHS sind PB – die in der folgenden Untersuchung als Analysekategorien dienen – zentrale Bezugspunkte für Organisationsstruktur und Programmplanung. Sofern sie als formale Struktur der Arbeitsteilung und Zielerreichung der Organisation dienen, ist anzunehmen, dass sich die von Gieseke aufgezeigten Einflussfaktoren für einzelne PB jeweils spezifisch darstellen und sich die Bedingungen zur Umsetzung von Veranstaltungen systematisch unterscheiden.

Dem Selbstverständnis nach und gewachsen aus einer langen Tradition von Bildung in öffentlicher Verantwortung, ist es die Aufgabe der VHS, allen Menschen lebenslaufs- und bedarfsorientiert bezahlbare Bildungsangebote zu machen, die die persönliche und gesellschaftliche Entwicklung unterstützen (DVV 2019; Süssmuth und Sprink 2018). Dieser Bildungsauftrag schlägt sich in einem breiten Angebotsspektrum nieder, systematisiert durch sieben PB, die zugleich als Planungs‑, Strukturierungs- und Berichtsinstrument dienenFootnote 1:

  • Politik – Gesellschaft – Umwelt

  • Kultur – Gestalten

  • Gesundheit

  • Sprachen

  • Qualifikationen für das Arbeitsleben – IT – Organisation/Management

  • Schulabschlüsse – Studienzugang und -begleitung

  • Grundbildung

Die PB unterscheiden sich nicht nur durch ihren Anteil am Gesamtangebot und ihre thematischen Schwerpunkte, sondern auch nach der Art der dort angesprochenen Zielgruppen, den Finanzierungsstrukturen und rechtlichen Rahmenbedingungen. Es bestehen somit spezifische Kontexte für die Angebotsentwicklung. Im Folgenden werden diese näher beschrieben und Überlegungen dazu angestellt, welche Voraussetzungen jeweils für die Realisierung eines digitalen Angebots während des ersten Lockdowns bestanden haben.

Eine Segmentationslinie lässt sich entlang der Unterscheidung in offenes Angebot und geschlossenes Angebot (Auftragsmaßnahmen/bildungspolitische Maßnahmen für besondere Zielgruppen) nachzeichnen (Käpplinger und Reuter 2019). Damit werden zwei Rationalitätsprinzipien gültig: das des öffentlichen Auftrags als Normrationalität und das der Dienstleistung als Zweckrationalität (Schrader 2011). Zwar folgt auch das offene Angebot mit der Förderung durch die Ländergesetze zur Weiterbildung einer Normrationalität in dem Sinne, dass ein offenes Programm mit einer gewissen Vielfalt bereitgestellt werden muss, innerhalb dieses Rahmens greifen jedoch Mechanismen von Angebot und Nachfrage, da die Angebote nicht ohne freiwillige Teilnahme realisiert werden können.

Die staatlich geförderten Kurse in der Grundbildung und Alphabetisierung (im Folgenden PB Grundbildung) und zum Erwerb von Schulabschlüssen, Studienzugang und -begleitung (im Folgenden PB Schulabschlüsse) und insbesondere die Integrations- und Deutschförderkurse (im Folgenden Integrationskurse) sind nach der Aufnahme von Geflüchteten in 2015/16 in den vergangenen Jahren stark gewachsen, begleitet von einem Anstieg der hauptberuflich pädagogischen Mitarbeitenden, die in VHS die Planung und Organisation des Bildungsangebotes übernehmen (Käpplinger und Reuter 2019). Umstritten ist, welche Auswirkungen der Anstieg in den Integrations- und Deutschkursen für die Programmentwicklung insgesamt hatte. Beispielsweise wird diskutiert, ob der starke Zuwachs zulasten des sonstigen Kursangebotes gefallen ist, oder ob von der damit verbundene höheren finanziellen und personellen Ressourcenausstattung auch andere Programmbereiche profitieren konnten (Käpplinger 2020). Aktuelle Panelanalysen geben Hinweise darauf, dass der Anstieg in Integrationskursen zwar zu einer moderaten Abnahme an Kursen im regulären Programm geführt hat. Andererseits wurde ebenso ermittelt, dass eine erhöhte Teilnahme in den Integrationskursen wiederum auch eine erhöhte Teilnahme im regulären Kursprogramm nach sich gezogen hat (Martin et al. 2021; Thomsen und Weilage 2021).

In den Corona-Schutzverordnungen und Hilfsmaßnahmen wurden diese Programmbereiche, insbesondere die Integrationskurse, direkt durch neue Förderstrukturen adressiert (bspw. die vom BAMF geförderten Online-Tutorien, BAMF 2020; Kay et al. 2021) und deren Fortführung als notwendig mit Blick auf integrationspolitische Ziele betont. Damit besteht für die Leistungen der Einrichtungen in diesem Bereich eine besonders hohe Legitimationsbedürftigkeit bei einer vergleichsweise hohen Ressourcenausstattung. Auf der Nachfrageseite bestehen durch Teilnahmemotive und -verpflichtungen hohe Verbindlichkeiten, so dass auch hier eine hohe Motivation vermutet werden kann, das digitale Angebot wahrzunehmen. Auf der anderen Seite sind die materiellen Ressourcen (Räumlichkeiten für Home-Learning, IT-Geräte und Internetanbindung) sowie die Kompetenzen (digitale Anwendungen und Schriftsprache) bei diesen Zielgruppen vergleichsweise gering ausgestattet, so dass Teilnahmebarrieren am digitalen Angebot in diesen PB bestehen und zentrale soziale Elemente der Lehr-Lernprozesse mit digitalen Alternativen nur schwer adressiert werden können (für die Alphabetisierung und Grundbildung, s. Koppel und Langer 2020).

Beim nachfrageorientierten offenen Angebot kann eine Reihe von Faktoren – teilweise in Wechselwirkung – ausschlaggebend dafür sein, ob ein digitales Angebot in den Programmbereichen realisiert werden kann. Einen Einfluss hat sicherlich, ob und wie adäquat die für eine Präsenzveranstaltung geplanten Inhalte und Ziele überhaupt in digitaler Form umgesetzt werden können. Für bewegungs- und kontaktorientierte Angebote im Programmbereich Gesundheit (im Folgenden PB Gesundheit) sind die Voraussetzungen hierfür deutlich schlechter als beispielsweise im Spanisch-Kurs für Fortgeschrittene aus dem Programmbereich Sprachen (im Folgenden PB Sprachen). Der Programmbereich Qualifikationen für das Arbeitsleben – IT – Organisation, Management (PB Qualifikationen für das Arbeitsleben) hatte bereits vor der Pandemie gegenüber anderen PB eine stärkere Ausrichtung auf digitale Themen, Medieneinsatz und Formate (Rohs et al. 2021). Digitale Angebote können hier in vielen Bereichen einfacher realisiert werden als beispielsweise selbsttätig-kreative Veranstaltungen im Programmbereich Kultur-Gestalten (im Folgenden PB Kultur), die den Einsatz von Materialien und Werkzeugen erfordern. Ob ein digitales Angebot in diesen Bereichen zustande kommt, hängt jedoch – voraussichtlich stärker noch als bei den Auftragsmaßnahmen – von den digitalen Fähigkeiten und der Motivation der Lehrkräfte, den organisationalen Ressourcen, digitale Angebote zu unterstützen, sowie der Nachfrage der Teilnehmenden ab. Neben der Umwandlung von bereits in Präsenz geplanten in digitale Veranstaltungen, entspricht es dem Selbstbild der VHS, ihre Bildungsarbeit auf gesellschaftliche Transformationsprozesse auszurichten und aktuelle Themen aufzugreifen. Außer der digitalen Fortführung des geplanten Angebots können daher auch teilweise neue Veranstaltungen realisiert worden sein, beispielsweise Veranstaltungen zur virtuellen Zusammenarbeit im PB Qualifikationen für das Arbeitsleben, zum gesundheitsbewussten Verhalten im Lockdown im PB Gesundheit oder zu gesellschaftspolitischen Aspekten der Pandemie im Programmbereich Politik, Gesellschaft, Umwelt (im Folgenden PB Politik). In der Anbieterbefragung wbmonitor berichten über 60 % der Anbieter über neue pandemiebezogene Inhalte und Angebot in ihrem beruflich und privat ausgerichteten Programm (Christ et al. 2021a, S. 24).

Das Angebot wird über verschiedene Veranstaltungsformate realisiert, die in den PB unterschiedliche Relevanz haben. Der überwiegende Anteil der Unterrichtsstunden, aber auch Belegungen, erfolgt in Kursen (mindestens drei 45-minütige Unterrichtsstunden im Block oder mit sich wiederholenden Terminen; 2019 machten Unterrichtsstunden in Kursen 98,3 % der Gesamtunterrichtsstunden in allen Veranstaltungsarten aus, gegenüber 1,2 % in EinzelveranstaltungenFootnote 2, siehe Huntemann et al. 2021, Tab. 28). Einzelveranstaltungen dauern bis zu drei Unterrichtsstunden. Während das geschlossene Angebot und das Angebot in den PB Sprachen und Gesundheit vor allem über Kurse realisiert wird, sind Einzelveranstaltungen in den PB Politik und Kultur häufiger genutzte Formate (ebd., Tab. 17). Die Umstellung des Präsenzangebots auf digitale Veranstaltungen war mit zahlreichen Unsicherheiten verbunden, sowohl mit Blick auf die antizipierte Nachfrage, aber auch Möglichkeiten der technischen Durchführung, der didaktischen Umsetzung und letztlich auch der Dauer des Lockdowns und der Einschränkungen des Präsenzangebots und damit des Planungshorizontes. Einzelveranstaltungen sind vor diesem Hintergrund eventuell weniger voraussetzungsvoll, was den Einsatz von Ressourcen betrifft und eignen sich besser dafür, Ad-hoc-Bedarfe zu bedienen und Erfahrungen zu sammeln. Außerdem eignen sie sich eher dazu, zentral konzipiert und umgesetzt zu werden, um dann lokal in die örtlichen Programme aufgenommen zu werden. Während des Lockdowns entwickelte die Mehrzahl der Landesverbände solche digitalen Einzelveranstaltungen, die von den örtlichen VS übernommen werden konnten. Dieses Angebot stellte insbesondere für kleinere VHS mit weniger digitaler Vorerfahrung eine Chance dar, digitale Veranstaltungen mit vergleichsweise geringem Aufwand anzubieten. Kurse und Einzelveranstaltungen werden in den Analysen daher separat betrachtet.

2.3 Thesen zur Entwicklung des Angebots im ersten Lockdown

Die folgenden deskriptiven Analysen zur Veränderung des Angebots der VHS im Frühjahr 2020 in Bezug auf Umfang und Programmvielfalt sind in erster Linie explorativ ausgerichtet. Ausgehend von den bisherigen Befunden und theoretischen Überlegungen formulieren wir drei Thesen:

These 1

Insgesamt ist das Angebot in allen PB und für alle Veranstaltungsformate (Kurse und Einzelveranstaltungen) zurückgegangen. Dabei waren die PB und Veranstaltungsformate jedoch unterschiedlich stark betroffen.

Diese These ist abgeleitet aus bisherigen Forschungsergebnissen (siehe z. B. Christ et al. 2021a) sowie aus der Tatsache, dass digitale Angebote im Programm der meisten VHS vor Pandemiebeginn eine untergeordnete Rolle spielten und die Qualifikation des Personals und die technische Infrastruktur einen schnellen Umstieg auf digitale Formate erschwerten. Dabei waren die Opportunitäten und Restriktionen für die verschiedenen Veranstaltungsformate und PB jedoch nicht identisch.

These 2

Es kann davon ausgegangen werden, dass dem Format der Einzelveranstaltungen im Angebot während des Lockdowns gegenüber dem ursprünglich für diesen Zeitraum geplanten Angebot eine größere Bedeutung zukommt. Der Anteil der Einzelveranstaltungen steigt demnach, wohingegen der Anteil von Kursen sinkt.

Diese These folgt aus der Tatsache, dass die Durchführung digitaler Einzelveranstaltungen geringere Anforderungen an die Infrastruktur und IT-Qualifikation von Personal- und Teilnehmerseite stellt. Zudem können Einzelveranstaltungen, da sie in der Regel weniger interaktiv aufgebaut sind als Kurse und somit einem größeren Teilnehmendenkreis geöffnet werden können, eher zentral (z. B. von den Landesverbänden) organisiert und in lokale Programme übernommen werden.

These 3

Insgesamt ist davon auszugehen, dass die Programmstruktur des im Lockdown realisierten digitalen Angebots von der des ursprünglich für diesen Zeitraum geplanten Angebots sowie des im „Normalbetrieb“ typischen Angebots abweicht und eine Verschiebung der Anteile einzelner PB stattfindet. Da die Voraussetzungen für die Umsetzung digitaler Angebote in den PB variieren, bildet das digitale realisierte Angebot eine andere Programmvielfalt ab.

Die kurzfristige Programmplanung fand im Lockdown als Reaktion auf die Krise unter gänzlich anderen Bedingungen statt als üblich, weswegen davon auszugehen ist, dass die resultierende Programmstruktur von der üblichen abweicht. Wie oben aufgeführt, unterscheiden sich die PB systematisch auf multiplen Dimensionen, die für das Angebot von Veranstaltungen im Emergency-Remote-Modus relevant sind. Dies betrifft die Anforderungen an Räumlichkeiten, Infrastruktur und Material, die Motivation, Bedarfe und Kompetenzen der Teilnehmenden und Lehrenden, sowie die Unterscheidung zwischen geschlossenen und offenen Angeboten und den damit verbundenen unterschiedlichen Rationalitäten.

3 Methoden & Daten

3.1 Studienbeschreibung und Sample

Datengrundlage der folgenden Analysen sind das Berichtsjahr 2019 der VHS-Statistik sowie das DIE COVID Survey (Hoenig et al. 2022a). Die VHS-Statistik ist eine Vollerhebung der deutschen VHS, die jährlich vom Deutschen Institut für Erwachsenenbildung (DIE) in Kooperation mit dem DVV durchgeführt wird. Die Daten des Berichtsjahrs 2019 geben Auskunft über Programmstruktur und institutionelle Charakteristika der VHS vor Pandemiebeginn. Der DIE COVID Survey ist eine Online-Befragung des DIE und des DVV, die vom 8. Oktober bis zum 13. November 2020 durchgeführt wurde, um zu ermitteln, wie die VHS unmittelbar auf die Corona-Pandemie reagiert haben.

Kernstück der Befragung sind detaillierte Angaben über das Veranstaltungsangebot im ersten Lockdown im Frühling und Frühsommer 2020. Der Lockdown wurde in der Befragung definiert als der Zeitraum, in dem in der jeweiligen VHS aufgrund der Corona-Pandemie keine Präsenzveranstaltungen stattfanden. Der Zeitraum des Lockdowns kann sich daher zwischen den VHS unterscheiden, da es regionale Unterschiede in den Regelungen zur Schließung und Wiedereröffnung gab. Zwischen dem 16. März und 06. Mai (51 Tage) waren Veranstaltungen bundesweit untersagt. Im Durchschnitt waren die an der Befragung teilnehmenden VHS für 87 Tage im Lockdown, weil auch nach dem 06. Mai die meisten VHS den Präsenzbetrieb nicht sofort wieder aufnahmen.

Die VHS gaben für jeden PB sowie für die Integrationskurse an, welche Kurse und Einzelveranstaltungen für den Zeitraum des Lockdowns ursprünglich in Präsenz, als Onlineveranstaltung oder als Blended-Learning-Veranstaltung geplant waren. Anschließend machten sie Angaben dazu, ob diese geplanten Kurse und Einzelveranstaltungen im Lockdown online weitergeführt oder abgebrochen, abgesagt oder verschoben wurden. Ergänzend konnte angegeben werden, ob neue Online-Kurse und -Einzelveranstaltungen ins Programm aufgenommen wurden und ob diese Veranstaltungen selbst oder von zentraler Stelle organisiert wurden. Weitere Themen der Befragung betrafen die Auswirkungen der Pandemie auf Teilnehmendengruppen, Digitalisierungsstrategien, zukünftige Veranstaltungsplanung und Finanzen.

Die Aufforderung zur Teilnahme erging über E‑Mail an alle deutschen VHS. Die Identifizierung der VHS und Matching mit den Daten aus der VHS-Statistik erfolgte über Angabe der Postleitzahl und VHS-ID. Teilweise wurde die Befragung von mehreren Personen an einer VHS ausgefüllt, da unterschiedliche Personen für die verschiedenen PB zuständig sind. Diese Mehrfachangaben aus der gleichen VHS wurden anschließend harmonisiert zu einer Beobachtung. Insgesamt haben nach Harmonisierung der Mehrfachangaben 229 VHS den Befragungsbogen abgesendet. Dies sind 26 % aller deutschen VHS. In die folgenden Analysen gehen dabei nur VHS ein, bei denen für alle analysierten Zeiträume – Berichtsjahr 2019, geplantes Angebot für den Zeitraum des Lockdowns und tatsächlich durchgeführte Veranstaltungen im Lockdown – für alle PB Angaben vorliegen. Dies ist für 197 VHS der Fall. Eine VHS wurde von den Analysen ausgeschlossen, da die Angaben zu Veranstaltungen im Lockdown nicht plausibel scheinen: Das Kursangebot im Lockdown übersteigt in hohem Maße sowohl das ursprünglich geplante Programm als auch das an anderen VHS realisierte Programm unter Lockdownbedingungen. Die verbleibenden 196 Fälle stellen das Ausgangssample für unsere Analysen dar, wobei in einzelnen Analysen die Fallzahlen geringer sind, weil die Fragestellung nicht auf alle VHS im Ausgangssample zutrifft. So bieten zum Beispiel manche VHS keine Einzelveranstaltungen an und es sind daher für diese keine Auswertungen zu Einzelveranstaltungen möglich.

Vergleiche mit dem Gesamtsample aller deutschen VHS zeigen, dass im Analysesample größere VHS, gemessen an der Zahl der Unterrichtsstunden im Berichtsjahr 2019, im Median leicht überrepräsentiert sind, während das Arithmetische Mittel kaum Unterschiede aufweist (Tab. 1). In Bezug auf digitale Unterrichtsstunden als Maß für die digitale Vorerfahrung fällt auf, dass unabhängig von der Teilnahmebereitschaft über die Hälfte der VHS im Jahr 2019 gar keine digitalen Lerninhalte anboten und das arithmetische Mittel von einzelnen, sehr stark digital aktiven VHS getrieben wird. In den Perzentilen oberhalb des Medians zeigt sich ebenfalls kein einheitliches Bild in Bezug auf Teilnahme und digitale Vorerfahrung. Im Analysesample sind VHS aus allen Bundesländern mit Ausnahme der Stadtstaaten Bremen und Hamburg vertreten.

Tab. 1 Vergleich von Unterrichtsstunden und digitalen Unterrichtsstunden im Berichtsjahr 2019 nach Teilnahme; arithmetisches Mittel und Perzentile

3.2 Methodenbeschreibung

Die folgenden Analysen (s. Abschn. 4) beschreiben deskriptiv, wie sich das Angebot der VHS im Lockdown im Vergleich zur ursprünglichen Programmplanung und im Vergleich zum Berichtsjahr 2019 verändert hat. Die Aufbereitung der Daten erfolgte in Stata, die Analyse in Stata und Excel.Footnote 3

Zunächst wird die quantitative Veränderung der angebotenen Kurse und Einzelveranstaltungen im Lockdown dargestellt. In die Analyse gehen jeweils nur VHS ein, die in ihrer Programmplanung vor Ausbruch der Pandemie für den Zeitraum des Lockdowns Kurse bzw. Einzelveranstaltungen geplant hatten. Das Analysesample für Kurse beträgt damit 196 VHS, das Analysesample für Einzelveranstaltungen 176 VHS, da einige VHS grundsätzlich keine Einzelveranstaltungen anbieten.

Zur besseren Interpretation des Programmumfangs im Lockdown im Vergleich zur ursprünglichen Planung berechnen wir das prozentuale Verhältnis der Anzahl der geplanten Veranstaltungen zur Anzahl der Veranstaltungen, die tatsächlich stattgefunden haben. Dieses wird sowohl über das gesamte Programm der Kurse und Einzelveranstaltungen als auch getrennt für die sieben PB sowie Integrationskurse ausgegeben.Footnote 4 Dabei ist zu beachten, dass es sich bei den stattgefundenen Veranstaltungen nicht um ein reines Subset der ursprünglich geplanten Veranstaltungen handelt, sondern dass in der Zahl auch Veranstaltungen enthalten sind, die während des Lockdowns kurzfristig neu konzipiert wurden.

Hauptgegenstand der folgenden Analysen ist jedoch nicht die quantitative Veränderung des Angebots an Veranstaltungen, sondern Verschiebungen in der Bedeutung der einzelnen PB zueinander. Dabei vergleichen wir die im Lockdown durchgeführten Veranstaltungen mit zwei Referenzmaßen: Erstens das vor Pandemiebeginn geplante Programm für den Zeitraum des Lockdowns und zweitens alle im Jahr 2019 durchgeführten Veranstaltungen. Die Veranstaltungen des Jahres 2019 wurden als zusätzliches Referenzmaß hinzugezogen, um auszuschließen, dass die Planung für den Zeitraum des Lockdowns systematisch vom restlichen Kalenderjahr abweicht. Außerdem hätten sich auch ohne Pandemie zwischen geplantem und realisiertem Angebot Abweichungen ergeben können, da auch im Regelbetrieb etwa aufgrund mangelnder Teilnahmezahlen nicht alle geplanten Veranstaltungen stattfinden.

Zur Berechnung der Anteile wird zunächst für jede VHS der Anteil der Veranstaltungen pro PB an den Gesamtveranstaltungen berechnet. Anschließend wird der Mittelwert über alle VHS gebildet. Das bedeutet, dass jede VHS, unabhängig von ihrer Größe, mit gleichem Gewicht in die Analysen eingeht. Die Ergebnisse spiegeln damit die durchschnittlichen Anteilsveränderungen in den einzelnen VHS vor Ort, jedoch nicht die Anteilsveränderungen in der Gesamtzahl der in Deutschland angebotenen Veranstaltungen. Die Analyse erfolgt getrennt für Kurse und Einzelveranstaltungen. Da die Darstellung von Anteilen nur möglich ist für VHS, die im Lockdown in zumindest einem PB Veranstaltungen durchgeführt haben, schrumpft die Zahl der Beobachtungen auf 159 VHS für Kurse und 108 VHS für Einzelveranstaltungen, die in ihrer ursprünglichen Programmplanung vor Ausbruch der Pandemie für den Zeitraum des Lockdowns Kurse bzw. Einzelveranstaltungen geplant hatten, für jeden einzelnen PBFootnote 5 eine Eingabe aufwiesen und bei denen auch für das Berichtsjahr 2019 für jeden Programmbereich ein gültiger Wert vorhanden war.

Die Darstellung der Veränderungen in den Anteilen erfolgt grafisch über Netzdiagramme. Zur Überprüfung der statistischen Signifikanz der Veränderungen wurden für jeden PB die Differenzen in den Anteilen gebildet und mittels Jackknife-Verfahren (Gould 1995) die Konfidenzbänder berechnet. Das Jackknife-Verfahren wurde gewählt, da es sich um eine ungewichtete Stichprobe handelt, die nicht zufällig ist.

In These 3 gehen wir von einer Verschiebung des Anteils einzelner Programmbereiche aus, die eine andere Programmvielfalt im Lockdown nach sich zieht. Mit Hilfe der Lorenzkurve und dem aus ihr berechneten Lorenzschen Konzentrationsmaß (in der Einkommensungleichheitsforschung als Gini-Koeffizient bekannt) können wir nachvollziehen, ob das Verhältnis der einzelnen Programmbereiche ausgeglichener geworden ist oder sich im Gegenteil Unterschiede in den Anteilen akzentuiert haben und damit die fachliche Programmvielfalt abgenommen hat. Die Lorenzkurve stellt grafisch dar, wie weit die tatsächliche Verteilung der Veranstaltungen auf die verschiedenen PB von einer theoretischen Referenzverteilung, die annimmt, dass das Programm gleichmäßig auf alle Programmbereiche verteilt ist (im Folgenden bezeichnet als „Gleichverteilung“), entfernt ist. Das Lorenzsche Konzentrationsmaß bemisst das Maß der Gleichverteilung auf einer Skala von 0 (in jedem PB finden gleich viele Veranstaltungen statt) bis 1 (das gesamte Veranstaltungsprogramm ist konzentriert auf einen Programmbereich). Zur Berechnung wird, wie bereits für die Netzdiagramme, der Anteil der Programmbereiche in den einzelnen VHS gebildet und dann innerhalb jeder VHS die PB anhand ihrer Größe gerankt. Anschließend werden die Mittelwerte der jeweiligen Ränge berechnet. Da Einzelveranstaltungen in einigen PB gar nicht üblich sind, erfolgt diese Analyse ausschließlich für Kurse (n = 159).

4 Ergebnisse

4.1 Veränderungen des Angebotsumfangs im Lockdown

Tab. 2 zeigt den Vergleich des geplanten und realisierten Angebots im Lockdown Frühjahr 2020 für Kurse und Einzelveranstaltungen. Im Durchschnitt planten die VHS mit 242,62 Kursen und 44,57 Einzelveranstaltungen für den betroffenen Zeitraum. Dabei ist zu beachten, dass die Verteilung jeweils rechtsschief ist, das arithmetische Mittel wird also durch einzelne große VHS mit vielen Veranstaltungen beeinflusst. Der Median liegt bei 170 Kursen und 30,5 Einzelveranstaltungen. Der überwiegende Teil der Veranstaltungen war in Präsenz geplant und jeweils die Hälfte aller VHS plante keine digitalen Einzelveranstaltungen und Kurse.

Tab. 2 Geplantes vs. realisiertes Angebot für Kurse & Einzelveranstaltungen im Frühjahr 2020

Im Lockdown waren dagegen ausschließlich digitale Angebote erlaubt. Von den ursprünglich geplanten Veranstaltungen konnten 93 % der Kurse (225,64/242,62 =0,93) und 95 % der Einzelveranstaltungen (42,16/44,57 = 0,95) nicht stattfinden. Die verbleibenden Veranstaltungen waren entweder von Beginn an digital geplant oder wurden kurzfristig in digitale Angebote transformiert. Dieses Angebot wurde jeweils ergänzt durch neu ins Programm aufgenommene digitale Veranstaltungen. Dabei zeigen sich jedoch deutliche Unterschiede zwischen Kursen und Einzelveranstaltungen: Während das Verhältnis von weitergeführten und neu geschaffenen Kursen recht ausgeglichen ist, übersteigt das Maß der neu geschaffenen Einzelveranstaltungen das der weitergeführten deutlich. Dies ist zum großen Teil zurückzuführen auf die Übernahme zentral organisierter Einzelveranstaltungen (etwa durch den DVV oder den Landesverband) ins Programm der lokalen VHS. Offenbar stellte dies für viele VHS eine attraktive Option dar, schnell Veranstaltungen ins Programm aufzunehmen, von der die Mehrzahl der VHS Gebrauch machte. Zentral organisierte Kurse wurden dagegen bei weniger als 25 % der VHS ins Programm aufgenommen.

Von den 196 VHS, die für den Betrachtungszeitraum Veranstaltungen (Kurse und Einzelveranstaltungen) geplant hatten, konnten 15 % im Lockdown gar keine Veranstaltungen realisieren (also weder weiterführen noch neu ins Programm aufnehmen); 85 % haben dagegen mindestens einen Kurs oder eine Einzelveranstaltung online durchgeführt (nicht tabelliert).

Abb. 1 zeigt das prozentuale Verhältnis von ursprünglich geplantem und realisiertem Veranstaltungsvolumen nach PB. Auch hier wird deutlich, dass über alle PB gesehen ein höherer Anteil des geplanten Einzelveranstaltungsvolumens realisiert werden konnte als bei den Kursen. Zwischen den PB zeigen sich aber deutliche Divergenzen. So ist bei den Kursen die höchste Realisierungsquote für Integrationskurse sowie für Schulabschlüsse zu verzeichnen. Am schwächsten schneiden die PB Kultur und Gesundheit ab. Bei den Einzelveranstaltungen fällt die hohe Realisierungsrate im Programmbereich Qualifikationen für das Arbeitsleben ins Auge, bei der jedoch bedacht werden muss, dass in diesem Programmbereich traditionell nur wenige Einzelveranstaltungen geplant werden. Damit ist der Einfluss dieses PB auf die Gesamtrate gering. Dies ist anders im PB Politik, in dem ebenfalls überdurchschnittlich viele Einzelveranstaltungen angeboten werden konnten.

Abb. 1
figure 1

Mittelwert je VHS des Verhältnisses realisierter Kurse und Einzelveranstaltungen im Lockdown zur Programmplanung differenziert nach PB (% von ursprünglich geplant); insgesamt: n(K) = 196; n(EV) = 176; je PB: mind. 1 geplante VA: n(K) = 64–196; n(EV) = 7–163

4.2 Veränderungen der Programmstruktur des Angebots im Lockdown

Die Veränderung der Programmstruktur im Zuge des Lockdowns wird zunächst über Netzdiagramme getrennt nach Kursen und Einzelveranstaltungen veranschaulicht.

Abb. 2 zeigt die Mittelwerte der Anteile der acht PB im Vergleich des Berichtsjahrs 2019, vor dem Lockdown geplanten Kursen und während des Lockdowns digital realisierten Kursen. Während sich die Programmstruktur der Kurse vor dem Lockdown (Berichtsjahr 2019 bzw. geplant) stark ähnelt, weicht die Programmstruktur der realisierten Kurse deutlich davon ab. Der durchschnittlich größte PB war vor dem Lockdown PB Gesundheit mit jeweils 38 %; bei den realisierten Kursen erreichte der PB jedoch nur einen Anteil von 17 %. Vor dem Lockdown der zweitgrößte PB war Sprachen (ohne Integrationskurse) mit 26 % (2019) bzw. 28 % (2020 Plan vor Lockdown). Im Lockdown wurde hier ein höherer Anteil von 32 % erreicht. Sprachkurse hatten damit während des Lockdowns ein größeres Gewicht innerhalb der Programmstruktur als vorher. Dies gilt auch für die Integrationskurse, die während des Lockdowns einen Anteil von 16 % der realisierten Kurse ausmachten, während der Anteil vorher 6 % (2019) bzw. 5 % (geplant) betrug (vgl. die vergleichsweise hohe Realisierungsrate digitaler Veranstaltungen in beiden PB, Abb. 1). Ein höherer Anteil als vor dem Lockdown ist auch für den PB Qualifikationen für das Arbeitsleben zu beobachten. Dieser betrug während des Lockdowns 16 %, im Vergleich zu 8 % (2019) und 10 % (geplant). Auch der PB Politik war bei den realisierten Kursen während des Lockdowns mit 9 % Anteil stärker vertreten als 2019 (6 %) und bei den geplanten Kursen (5 %). Nur leicht gestiegen sind die Anteile der PB Schulabschlüsse (von 1 % 2019 und geplant auf 3 % realisiert) und Grundbildung (von 1 % 2019 und geplant auf 2 % realisiert). Neben dem PB Gesundheit war der Anteil des PB Kultur an den im Lockdown realisierten Kursen mit 5 % deutlich geringer als vorher (2019: 14 %, geplant: 13 %).

Abb. 2
figure 2

Mittlere Anteile der PB an allen Kursen für Kurse 2019, geplante Kurse und realisierte Kurse (VHS mit mindestens einem Kurs in jeder Vergleichsgruppe, n = 159)

Für den Vergleich der Anteile der PB bei Einzelveranstaltungen 2019, 2020 geplant und 2020 realisiert (Abb. 3) können nur sieben PB dargestellt werden, da im Bereich der Integrationskurse keine Einzelveranstaltungen in der VHS-Statistik erfasst werden. Daher wurden hier für das Jahr 2020 die EV, die dem Bereich Integrationskurse zugeordnet wurden, mit dem PB Sprachen zusammengefasst.Footnote 6

Abb. 3
figure 3

Mittlere Anteile der PB an allen Einzelveranstaltungen für EV 2019, geplante EV und realisierte EV (VHS mit mindestens einer EV in jeder Vergleichsgruppe, PB Integrationskurse für geplante und realisierte EV mit PB Sprachen zusammengefasst, n = 108)

Der PB Politik, der bei den 2019 durchgeführten EV (50 %) und den geplanten EV (49 %) etwa die Hälfte aller EV ausmacht, dominierte mit einem Anteil von 64 % an den realisierten Veranstaltungen die Programmstruktur noch stärker als vorher. Ein höherer Anteil bei den realisierten EV ist außerdem für den PB Qualifikationen für das Arbeitsleben mit 14 % gegenüber 7 % (2019) und 9 % (geplant) zu beobachten. Der Anteil der EV in den PB Kultur und Gesundheit ist bei den realisierten EV gegenüber den Vergleichsgruppen geringer; er beträgt für den PB Kultur bei den realisierten EV 5 % (2019: 18 %, geplant: 14 %) und für den PB Gesundheit bei den realisierten EV 12 % (2019 und geplant: 21 %). Einzelveranstaltungen im PB Sprachen sind bei den realisierten EV mit 3 % geringer vertreten als bei den Vergleichsgruppen (2019: 5 %, geplant: 6 %). Die PB Schulabschlüsse und Grundbildung spielen in allen drei Vergleichsgruppen nur eine marginale Rolle.

Abb. 4 zeigt die statistische Signifikanz auf dem 95 %-Niveau der Anteilsdifferenzen der PB für die paarweisen Vergleiche der Gruppen für Kurse (links) und für Einzelveranstaltungen (rechts). Die Differenz des Anteils ist jeweils dann statistisch signifikant, wenn das Konfidenzband die Null-Linie nicht einschließt.

Abb. 4
figure 4

Anteilsdifferenzen der Programmbereiche für paarweise Vergleiche zwischen Veranstaltungen 2019, für Lockdown geplant und realisiert, getrennt nach Kursen und Einzelveranstaltungen (Jackknife-Verfahren, p ≤ 0,95; n = 159)

Bei den Kursen sind die PB Integrationskurse, Qualifikationen für das Arbeitsleben und Sprachen diejenigen, deren Anteil während des Lockdowns deutlich gestiegen ist. Die Differenzen der Anteile sind hier jeweils für beide Vergleich (geplant vs. realisiert und 2019 vs. realisiert) statistisch signifikant. Deutlich gesunken sind jeweils die Anteile der PB Gesundheit und Kultur. Auch hier sind die Anteilsdifferenzen signifikant.

Allerdings sind auch die Unterschiede der Anteilsdifferenzen zwischen 2019 durchgeführten und 2020 vor dem Lockdown geplanten Kursen für einige PB statistisch signifikant (Politik, Kultur, Integrationskurse und Qualifikationen für das Arbeitsleben), wobei die absoluten Abweichungen jeweils gering sind. Es ist nicht genau zu klären, worauf diese Unterschiede beruhen. Das Planungsverhalten könnte sich geändert haben, die für den zur Zeit des Lockdowns aktuellen Planungszeitraum (häufig: Frühjahrssemester) geplanten Kurse könnten sich in ihrer Struktur systematisch von der für das gesamte Jahr erreichten Programmstruktur unterscheiden oder es gibt zwischen den Programmbereichen auch unabhängig von exogenen Schocks wie der Pandemie systematische Unterschiede zwischen Programmplanung und tatsächlich stattfindenden Kursen nach PBFootnote 7. Nicht auszuschließen ist auch, dass es sich um einen Kompositionseffekt der hier verwendeten, ungewichteten Stichprobe handelt.

Bezüglich der Einzelveranstaltungen ist die per Jackknife-Verfahren geprüfte Anteilsdifferenz für den Vergleich geplant – realisiert für die PB Politik, Kultur, Gesundheit und Sprachen inkl. Integrationskurse auf dem 5 %-Niveau statistisch signifikant. Beim Vergleich BJ 2019 – realisiert ist die Differenz für die PB Politik, Kultur, Gesundheit und Qualifikationen für das Arbeitsleben signifikant. Die Anteilsdifferenz zwischen den Anteilen im BJ 2019 und geplanten EV sind für keinen PB auf dem 5 %-Niveau signifikant (Abb. 4).

4.3 Veränderung der Programmvielfalt bei Kursen im Lockdown

Das Lorenzsche Konzentrationsmaß wird hier als zusätzliches Maß der fachlichen Programmvielfalt des VHS-Angebots verwendet, um die Konzentration des realisierten Angebots auf wenige Programmbereiche zu illustrieren. Er wird auf Ebene der Einzel-VHS berechnet, um damit die Programmvielfalt vor Ort zu adressieren. Da die Einzelveranstaltungen deutlich geringere Fallzahlen mit validen Werten aufweisen als die Kurse, was u. a. auch durch die Konzentration der Einzelveranstaltungen auf wenige Programmbereiche bedingt ist (s. Abschn. 3.2), wird das Konzentrationsmaß im Folgenden nur für die Kurse berechnet.

Die in Abb. 5 dargestellten Lorenzkurven beziehen sich auf die Mittelwerte der nach Größe aufsteigend sortierten Anteile der einzelnen PB am Gesamtangebot. Hierbei wird für die Referenzlinie davon ausgegangen, dass jeder PB theoretisch ein Achtel der Kurse einnehmen würde, um eine idealtypische Angebotsvielfalt darzustellen. Diese Gleichverteilung entspricht nicht den Rationalitäten der Programmplanung, dient jedoch hier als statistisches Instrument, um die fachlichen Konzentrationsprozesse durch den Lockdown zu illustrieren und auf eine Dimension zu reduzieren. Je tiefer die Kurve nach unten „ausgebeult“ ist, als umso fachlich konzentrierter auf einzelne PB kann das Angebot angesehen werden. Hier zeigt sich, dass die Kurven für die vor dem Lockdown geplanten Kurse und die Kurse des Berichtsjahrs 2019 sehr nahe beieinander liegen, was darauf hinweist, dass die Programmplanung für das Frühjahr 2020 im Wesentlichen mit dem im Kalenderjahr 2019 umgesetzten Kursprogramm übereinstimmt, jedoch die Lorenzkurve der realisierten Kurse deutlich darunter liegt. Diese weisen mit einem mittleren Konzentrationsmaß von 0,74 eine deutlich geringere Angebotsvielfalt auf Programmbereichsebene auf als die Kurse des Berichtsjahrs 2019 mit einem Konzentrationsmaß von 0,56 und die vor dem Lockdown geplanten Kurse (Lorenzsches Konzentrationsmaß von 0,58).

Abb. 5
figure 5

Mittelwerte der kumulierten Anteile der Programmbereiche, sortiert nach relativem Anteil am Gesamtangebot für Kurse (Lorenzkurven)

Basis dieser Darstellung bilden die Anteile der nach Anzahl der Kurse sortierten PB am Gesamtprogramm (Summe der Kurse), jeweils für den niedrigsten Rang, die zwei niedrigsten Ränge, etc. aufsummiert. Bei der Interpretation der Ränge ist zu beachten, dass bei gleicher Anzahl Kurse der jeweils niedrigere Rang mehrmals vergeben werden konnte; in vielen Fällen war der niedrigste Rang mit einer Anzahl von 0 Kursen im jeweiligen PB verbunden. Die Lorenzkurven sind also auch ein visueller Ausdruck der beobachteten Entwicklung, dass im Zuge des Lockdowns mehr PB an mehr VHS als vor dem Lockdown überhaupt nicht im Programm vertreten waren. Die Verteilung der PB auf die Ränge variiert zwar zwischen den VHS, dennoch gibt es charakteristische Häufigkeitsverteilungen der PB auf Rängen, die auch die Anteile der PB am Programm widerspiegeln. Beispielsweise erhält der PB Gesundheit im Sample bei den geplanten Kursen und den Kursen 2019 am häufigsten den Rang 8 (d. h. der PB ist bei der Mehrheit der VHS der größte nach Kursen) und der PB Sprachen erhält bei den geplanten Kursen und Kursen 2019 am häufigsten den Rang 7 (zweitgrößter PB nach Kursen). Bei den realisierten Kursen sind die PB ungleichmäßiger verteilt, was für lokal unterschiedliche Realisierungsbedingungen verschiedener Angebote in den Programmbereichen spricht. Bei den realisierten Kursen ist der Rang 1 bei der großen Mehrzahl der VHS durch den PB Grundbildung belegt, was faktisch bedeutet, dass dieser PB fast überall der kleinste bzw. im Lockdown nicht mehr realisiert war (ohne Abbildung).

5 Diskussion

Die Ergebnisse dieses Beitrags bilden Umfang und Programmstruktur des realisierten Angebots während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 ab. Das realisierte Angebot ist das Produkt aus Programmplanungshandeln, organisationsbezogenen Ressourcen und Nachfrage nach diesem Angebot in der Bevölkerung – unter den krisenhaften und restriktiven Rahmenbedingungen der Pandemie. Wie in These 1 vermutet, zeigen die Analysen zunächst einen substanziellen Einbruch des Angebots: 15 % der befragten Einrichtungen konnten im Lockdown keine Angebote realisieren. Bei Einrichtungen, die ihr Angebot aufrechterhalten konnten, war dieses im Vergleich mit dem im Vorjahr realisierten sowie zu dem für diesen Zeitraum geplanten Angebot stark reduziert. Durchschnittlich stehen ca. 243 geplanten Kursen ca. 31 und 46 geplanten Einzelveranstaltungen ca. 13 während des Lockdowns realisierte digitale Veranstaltungen gegenüber.

Das unter Pandemiebedingungen realisierte digitale Angebot zeigt signifikante Abweichungen zu dem im Vorjahr realisierten Angebot sowie zu dem für diesen Zeitraum geplanten Angebot. Wie in These 2 ausgeführt, fallen bei den Formaten die Einzelveranstaltungen stärker ins Gewicht. Auch wenn der Großteil des Gesamtangebots weiterhin über Kurse realisiert wurde, waren Einzelveranstaltungen, insbesondere die in kooperativen (Verbands‑)Strukturen angebotenen, ein wichtiges Format für die Realisierung des Angebots. Indem nicht alle PB gleichmäßig vom Einbruch des Angebots betroffen sind, zeigt sich entlang den Erwartungen von These 3 in der Programmstruktur eine deutliche Verschiebung. Die PB Politik und Qualifikationen für das Arbeitsleben zeigen sowohl eine starke Angebotsrealisierung über Einzelveranstaltungen als auch einen im Vergleich zu vor der Pandemie deutlich ausgebauten Anteil der Kurse am Gesamtprogramm. Gesundheit und Sprachen waren vor der Pandemie die anteilsstärksten PB. Während der PB Sprachen im Kursangebot des Lockdowns nach wie vor einen hohen Anteil hat, verringert sich dieser Anteil für den PB Gesundheit deutlich. Auch im PB Kultur gibt es starke Einbrüche in Relation zu dem für diesen Zeitraum geplanten und letztlich digital realisierten Angebot; entsprechend gering ist der Anteil dieses PB am Gesamtangebot während des Lockdowns. Der Anteil der PB Schulabschlüsse und Grundbildung am Kursangebot ist im Vergleich zum Vorjahr relativ stabil geblieben. Der Anteil der Integrationskurse ist gewachsen.

Der Vergleich der Lorenzschen Konzentrationsmaße als Kennzahl für die fachliche Programmvielfalt zeigt, dass sich das digitale Angebot im Lockdown stärker auf einzelne PB konzentriert, sich die Programmvielfalt auf Einrichtungsebene durchschnittlich verringert hat und Anteile der PB am Gesamtangebot neue Relationen aufweisen. Bei der Interpretation der Lorenzkurven ist jedoch zu beachten, dass eine vollständige Gleichverteilung (Konzentrationsmaß von 0), die hier als Referenz genutzt wurde, nicht den Rationalen einer idealen Programmplanung entspricht. Programmvielfalt muss keine Gleichverteilung bedeuteten, sondern kann beispielsweise auf Einrichtungsebene auch darüber definiert werden, dass in möglichst allen PB Angebote realisiert werden können, unabhängig davon wie deren Anteile im Verhältnis zueinanderstehen. Auch können PB von einzelnen Einrichtungen von vornerein aus dem Angebotsspektrum ausgeschlossen sein, bspw. aufgrund regionaler Angebots- oder Förderstrukturen.

Ursächlich für die Veränderungen in der Angebotsvielfalt ist mit hoher Wahrscheinlichkeit das Zusammenwirken verschiedener Faktoren, die auf Einrichtungsebene durchaus variieren können (bspw. regionale Nachfragedynamiken und digitale Infrastruktur, personale Kompetenzen und Organisationserfahrung). Auffällig ist die relativ hohe Realisierungsquote der Kurse in den PB Integrationskurse und Schulabschlüsse im „geschlossenen“ Angebotsbereich, der sich an besonders benachteiligte Zielgruppen richtet. Hier konnten offenbar die verbesserte Ressourcenausstattung, besondere staatliche Fördermaßnahmen und daraus resultierende Legitimationserfordernisse die vermuteten höheren Schwierigkeiten dieser Zielgruppen, an digitalen Angeboten teilzunehmen, aufwiegen. Dies deutet auf eine bewusste Anstrengung der VHS hin, die begrenzten Ressourcen so einzusetzen, dass diese Kurse weiter stattfinden konnten. Damit reagierten sie, der Normrationalität folgend, auf öffentlichen Druck der Politik. Zugleich verweist der relative Bedeutungszuwachs der PB Politik und Qualifikation für das Arbeitsleben im „offenen“ Angebotsbereich darauf, dass es den VHS auch unter eingeschränkten Möglichkeiten gelungen ist, Bildungsangebote zu realisieren, die aktuelle gesellschaftliche Bedarfe adressieren, insbesondere auch über Einzelveranstaltungen. Vor allem hier wirkten Dachverbände unterstützend, die mit zentral zur Verfügung gestellten digitalen Angeboten den Planungs- und Organisationsaufwand für die einzelnen VHS reduzierten. Das gute Abschneiden des PB Qualifikationen für das Arbeitsleben resultiert vermutlich sowohl aus einer gestiegenen Nachfrage nach entsprechenden Angeboten aufgrund der Krise als auch vergleichsweise guten Bedingungen für die Umsetzung, da in diesem Bereich die Lehrenden über bessere digitale Kompetenzen verfügen und schon vor dem Lockdown vergleichsweise viele digitale Kurse stattfanden.

Da im DIE Covid Survey erstmalig nicht nur das realisierte, sondern auch das geplante Angebot der VHS quantitativ erfasst wurde, erlaubt die vorliegende Studie neue Einblicke und Aussagen darüber, wie die Corona-Krise das Planungshandeln kurzfristig beeinflusste. Allerdings ist die Analyse beschränkt auf den Zeitraum des ersten Lockdowns ab März 2020 und auf ein Sample, das nicht alle VHS umfasst. Zudem können Angebotsverschiebungen nur auf der (vergleichsweise groben) Ebene der Programmbereiche beobachtet werden.

Die jährlichen Daten der VHS-Statistik werden die Entwicklung des Angebots in den Pandemiejahren insgesamt erfassen und eröffnen verschiedene Möglichkeiten, die hier dargestellten Befunde aufzugreifen und offen gebliebene Fragen zu verfolgen.

Zunächst kann geprüft werden, inwieweit sich die Tendenzen in dem für Planungs- und Angebotsbedingungen extrem restriktiven Zeitraum des Lockdowns im gesamten Berichtsjahr 2020 sowie in den Folgejahren wiederfinden. Da die Statistik als Vollerhebung realisiert wird, können außerdem Selektivitätseffekte, von denen die Stichprobe des DIE COVID Survey möglicherweise betroffen ist, ausgeschlossen werden. Längerfristig kann verfolgt werden, ob und wie nachhaltig Veränderungen in der Programmstruktur und Veranstaltungsformaten das Angebot im weiteren Verlauf der Pandemie und darüber hinaus prägen, bspw. mit Blick auf den Anteil von digitalen Angeboten, in Kooperation angebotenen Veranstaltungen und die Relation von PB.

Auch der Zusammenhang zwischen Ressourcenausstattung der VHS und dem realisierten Präsenz- und digitalen Angebot und dessen Vielfalt könnte näher untersucht werden, da sich in bisherigen Studien sowohl personelle als auch finanzielle und infrastrukturelle Faktoren als relevant für die Gestaltungsmöglichkeiten bei der Angebotsplanung und -realisierung erwiesen haben. Ein weiterer Aspekt, der sich im Anschluss an die hier vorgestellten Ergebnisse ergibt, ist die Rolle von Dachverbänden und zentralen Unterstützungsstrukturen für die Realisierung digitaler Veranstaltungen und damit verbundener Lernmöglichkeiten, wie z. B. in der vhs.cloud, die während des Lockdowns zur Lernstandssicherung bei Integrationskursen zum Einsatz kam. Wissen über den Einfluss von bspw. Finanzierung und Kooperationsstrukturen auf die Angebotsrealisierung und Zielgruppenansprache kann Bildungspolitik und -administration bei der Gestaltung von Förderstrategien informieren, wie sie etwa mit dem Beschluss der Kultusministerkonferenz für eine Initiative Digitale Weiterbildung (KMK 2021) in Aussicht stehen.

Neben weiteren statistischen Auswertungen können über den komplementären qualitativen Zugang durch Programmanalysen (Fleige und Reichart 2014) Fragen der Programmvielfalt differenzierter adressiert werden, indem die Diversität sowohl innerhalb der PB als auch als Organisationsprofil von Einzeleinrichtungen über Textanalysen des geplanten Angebots rekonstruiert und kontrastiert wird. Über die Nutzung von Kursverwaltungsdaten, die zugleich statistische Zuordnung und inhaltliche Ausschreibung enthalten, könnte der Wandel von Programminhalten untersucht und die Produktivität der Programmbereiche als inhaltliche Kategorien geprüft werden.

Damit besteht außerdem ein hohes Potenzial zu eruieren, wie das in Pandemiezeiten geplante und realisierte Angebot veränderte individuelle und gesellschaftliche Bildungsbedarfe aufgenommen hat.