1 Positionierung der Programmforschung

Programmforschung hat sich kontinuierlich weiterentwickelt und ihren Umfang an Erkenntnismöglichkeiten, Forschungszugriffen und methodischen Möglichkeiten sukzessiv weiterentwickelt. Besonders interessant ist, dass die Entstehung und Entwicklung der Vielfalt an Organisationalformen, angefangen bei zentralen Institutionen, wie z. B. Volkshochschulen (VHS), über Organisationen, die etwa über Vereine gebildet werden, bis hin zu Unternehmen und Institutionen, die Bildung oder Qualifizierung zur Optimierung ihrer betrieblichen, institutionellen Aufgaben, also beigeordnet, anbieten über Programmforschung analysiert werden können; dies einerseits bildungswissenschaftlich betrachtet unter spezifischen empirisch und theoretisch relevanten Fragestellungen der Bildungsentwicklung und andererseits bezüglich ihrer Bildungsprofile bis hin zu ihren Bildungsinstitutionalkonzepten, die umfangreiches theoretisches Wissen zur Verfügung stellen, das bildungskonzeptionelles Handeln fundiert (vgl. Gieseke und Robak 2004). Mit diesem bildungswissenschaftlichen Forschungsansatz kann Auskunft über die Organisationen und Institutionen in der breiten Weiterbildungslandschaft (Nuissl 2010) gegeben werden. Mit der Programmforschung, unterstützt durch das Mehrebenenmodell (vgl. Schrader 2011), lassen sich inhaltliche, begriffliche bildungswissenschaftliche Ausdifferenzierungen nachvollziehen. Das gilt sowohl für die inhaltliche, erwachsenenpädagogische Ausrichtung als auch für die diese modellierende Planung (s. konkrete Fortbildungsbeispiele Käpplinger et al. o.J.). Dadurch lässt sich nachvollziehen, dass spezielle Erwachsenenbildungsforschung auch für eine erwachsenpädagogische Institutionenforschung einen substanziellen Beitrag leisten kann, um Erkenntnisse zur faktischen Ausrichtung der Bildungsinstitutionen, ja auch für regionale Entwicklungen der Weiterbildungslandschaft zu liefern (s. auch Seitter und Kahl 2018). So kann die Bildungsforschung in diesem Segment für anzustrebende Wechselwirkungen relationale Beziehungen herstellen, z. B. zur soziologischen oder auch zur historischen Forschung. Aus eigenen Forschungszugängen und Begriffsbestimmungen heraus etabliert sich Bildungsforschung, hier speziell Erwachsenenbildungsforschung, als eigenständige Forschung. Diese Neupositionierung übersteigt Perspektiven, die allein auf Erwachsenenbildung (EB) als Praxis blicken. Bildungsforschung kann außerdem in bestimmten, umfassenden, thematischen Bereichen wie z. B. im Bereich Kultur, in der beruflichen Bildung etc. gesellschaftliche Veränderungen und Entwicklungen durch sich ändernde oder erweiternde Ausrichtungen und Perspektiven aufhellen.

Im bildungspolitischen Anspruch an Lebenslanges Lernen nimmt überdies die Bedeutung von Bedarfen und Bedürfnissen im Bildungsbereich zu, ebenso wie die breite Neupositionierung von Digitalisierung jenseits technischer Handhabbarkeit (vgl. Robak et al. 57,58,b, c). Die Verbindungen zwischen gesellschaftlichen Veränderungen, technisch-naturwissenschaftlichen Entwicklungen, kulturellen Veränderungen und sich verändernden Lebensweisen unter ökologischen Herausforderungen verlangen, was Bildung/Qualifizierung/Kompetenz (BQK) betrifft, eine zentralere bildungstheoretische und empirische Aufmerksamkeit. Bildungsfragen sind keine abgeleiteten Fragen mehr aus anderen Disziplinen. BQK erhalten eine Scharnierfunktion, die sich begrifflich, forschungsmethodisch und theoretisch neu aufgestellt hat und weiter aufstellen muss, um in dieser Rolle in der Forschungslandschaft sichtbar zu werden und erweiterte Erklärungen auch für andere Disziplinen zu liefern. Das heißt, ihre differenten Forschungsperspektiven sind deutlicher zu markieren und nicht auf eine Ableitungsrolle aus anderen Disziplinen zu begrenzen, denn beschleunigte gesellschaftliche Prozesse sind in immer stärkerem Maße abhängig von Wissen und von Reflexionsmöglichkeiten. Ebenso gilt das für theoretische und ethische Differenzierungs- und emotionsregulierende Unterscheidungsfähigkeit; dies nicht nur für eine größere Elite, sondern für die gesamte Bevölkerung. Wie Wissen und Reflexion Eingang in Bildungsangebote finden, kann einerseits über Programmforschungen offengelegt werden. Diese Analysen bilden als Wissensressourcen andererseits eine Grundlage für Programmentwicklungen. Dies zeigt: Pädagogisches Handeln ist keine Praxis, die allein Didaktik oder gesellschaftliche Ziele benötigt, sondern sie kann auf der Makro‑, Meso- und Mikroebene erkennbar machen, wo die Bildungsentwicklungen liegen und damit die gesellschaftliche Wirklichkeit breiter erklären. Das ist von besonderer Notwendigkeit, wenn es um die Stabilisierung der demokratischen Verfasstheit einer Gesellschaft geht. Die Programmforschung hat dabei eine besondere Bedeutung, da sich im Programm die pluralen Bildungsauslegungen spiegeln, die die Gesellschaftlichkeit, die Entscheidungen der Planenden bei den jeweiligen Trägern vor dem Hintergrund der vorhandenen Wissensstrukturen und der angesprochenen Adressaten und Adressatinnen wiedergeben. So gilt noch immer die Definition: „Ein Programm ist der zeitgeschichtlich materialisierte Ausdruck gesellschaftlicher Auslegung von Erwachsenenbildung durch einen bestimmten Träger, realisiert über eine Vielzahl an Angeboten. Es ist beeinflusst durch bildungspolitische und ökonomische Rahmungen, nachfragende Unternehmen und potenzielle Adressat/innen. Es wird ausgelegt und gefiltert durch professionell Handelnde“ (Gieseke 2015, S. 165).

Grundlagentheoretisch geht es um die phänomenologische Einbettung von Prozessverläufen und von Leitungs‑, Planungs‑, Vernetzungs‑, Vermittlungs- und Aneignungsformen sowie um eine Perspektivverschränkung (s. dazu Abschn. 3.2) von entsprechenden bildungswissenschaftlichen Befunden. Der Prozesscharakter und die dabei vorantreibenden Wechselwirkungen sind der genuine Bereich von Bildungsforschung. Für Programmforschung als Zugang der Bildungsforschung mit ihren perspektivverschränkenden Erweiterungen ist es grundlagentheoretisch von Interesse, wie sich Bildung auf den verschiedenen Handlungsebenen realisiert, um die komplexen Entwicklungs‑, Handlungs- und Aneignungsebenen in einer Gesellschaft bildungswissenschaftlich zu betrachten und zu beobachten, wie diese Gestaltungsprozesse auf den Planungsebenen bis zu den individuellen Veränderungsprozessen verlaufen und wechselseitig wirken. Nur so kann nachvollzogen werden, welchen Wert Bildung hat und welche Arten von Bildung für welche Handlungen bzw. Verarbeitungsprozesse verantwortlich sind.

Diese Bedeutung von Forschung über Bildung anhand von Programmen hat weitreichende anthropologische Hintergründe: Menschen scheinen danach zu drängen, Theorien mit mehr oder weniger Wissen zu bilden und daraus gesellschaftliches Handeln abzuleiten. Dies haben verschiedene Forschungen bezüglich des Wirkens von Deutungsmustern und Erfahrungen gezeigt (vgl. Dybowski und Thommssen 1982), als auch Untersuchungen zu den Interaktionsverläufen in Bildungsurlaubsveranstaltungen (vgl. Kejcz et al. 1979; Nuissl 2012; Arnold und Schüßler 2015). Dieses kann fatale Folgen haben, wenn Wissen, besonders auch wissenschaftliches Wissen, abgewertet wird. Aktuell können dafür viele Beispiele angeführt werden, da sie medial präsent sind und inszeniert werden (wie in der medialen Auseinandersetzung mit der Corona-Pandemie). Wir nutzen hier den Bildungsbegriff, um dem Wissen und den individuellen Entfaltungsoptionen einen größeren Platz in der gesellschaftlichen Wirklichkeit einzuräumen und die soziale Herkunft als determinierendes Kriterium zu übersteigen. Jeder größere Bildungsdiskurs zieht, historisch betrachtet, eine veränderte Gesellschaftspolitik, wenn auch häufig in einem langsameren Tempo, nach sich (s. Diskussionen und Folgen des Humboldtschen Bildungsbegriffs).

Es zeigt sich und beginnt gesellschaftliche Akzeptanz zu finden, dass in der gegenwärtigen Zeit mit einer universitären Ausbildung die Bildungsherausforderungen nicht aufhören. Lebenslanges Lernen im Sinne lebensbegleitender Bildung hört nicht auf, das zeigen die kontinuierlich erhobenen Monitoringdaten (s. BMBF 2021). Auch wissenschaftlich relativ Gebildete bleiben nicht durchgängig offen für neuere Forschungsbefunde, die ihren bisherigen Interpretationen nicht folgen. Menschenbilder, Wertschätzung von Lernen und besondere Emotionsmuster entfalten im Erwachsenenalter ihre besonderen Realitäten unabhängig vom Bildungsstand. Es bedarf deshalb besonderer Aufmerksamkeit, inwieweit die Erwachsenenbildung/Weiterbildung (EB/WB) das Lernen über die Lebensspanne für alle Bevölkerungsgruppen offenhält und auf den neuesten Stand bringt. Soziale Herkunftsbezüge haben dabei weiterhin eine hohe Relevanz, aber es kommen für die EB/WB darüber hinaus weitere Anforderungen hinzu, die mit den aktuellen Strukturen in Zukunft kaum zu bewältigen sind.

Die Programmanalyse kann nun aufzeigen, wie es um die Weiterbildung (WB) in ihrer Vielfalt bestellt ist. Sie kann, wenn hilfreich im Sinne eines Gesamtbildes, unter Hinzuziehung von Befunden aus anderen wissenschaftlichen Disziplinen, Erkenntnisse zu Verläufen und Realisierungen von Bildung unter einer spezifischen Fragestellung einbinden. Dazu liegen Arbeiten vor (s. z. B. die Bibliographie zur Programmanalyse des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung (DIE): https://www.die-bonn.de/institut/dienstleistungen/servicestellen/programmforschung/bibliographie/analyse).

Für die Programmanalyse im hier angesprochenen konkreten Zugang ist also maßgeblich, dass sie entsprechend der jeweiligen Fragestellung Kombinationen von Merkmalen eines Angebots wie Institutionen, Fächer, Zielgruppen etc., ausweist, als auch die regionalen Strukturen mit ihren Programmschwerpunkten sichtbar macht. Darüber hinaus hat die Programmplanungsforschung eigene Begriffe eingeführt, um u. a. zu zeigen, wie sich Antinomien und Widersprüchlichkeiten im Prozess der Planung entwickeln (von Hippel 2011) und welche Ergebnisse im Prozess des Angleichungshandelns (Gieseke 2003) erreicht werden, die dann zum Programm führen. Über diese Begrifflichkeit wird nachvollziehbar, welche pädagogischen Schwerpunkte sich aus Vernetzungen zwischen Organisationen mit welchen neuen Verbindungen bzw. Abhängigkeiten oder Autonomien herausbilden. Für entsprechende Untersuchungen bedarf es umfangreicher Forschungsvorhaben, die große Datenmengen auswerten, welche wiederum für kleinere Studien Rückversicherungen bieten.

Umfangreiche Forschungsstudien bilden letztlich den Rahmen für Professionalität. Sie ermöglichen durch differenzierteres empirisches Wissen professionelles Handeln in den jeweiligen Kontexten. Nach Käpplinger sind Planende Wissensarbeiter, bzw. Wissensarbeiterinnen und Planungshandeln ein vernetztes, kooperatives Handeln (vgl. Käpplinger et al. o.J.). Die Befunde zum Planungshandeln zeigen, dass es sich um komplexe Prozesse handelt, die sich nicht in linearen Modellen abbilden lassen. Das in der Forschung erarbeitete Modell der „Wissensinseln“ gibt hier Hinweise (Gieseke 2000, 2003, 2008; Gieseke et al. 2022) (s. Modell im Anhang): Im Planungshandeln wird auf spezifische „Wissensinseln“ zurückgegriffen, um Angebotsentscheidungen zu treffen. Entscheidungen nehmen komplexe Wege. Im Zuge genauerer auswertender bündelnder Betrachtungen von z. B. nur zwei Wissensinseln (vgl. Gieseke et al. 2022) können für Gestaltungsentscheidungen dann nach Bedarf die anderen Wissensinseln einbezogen werden. Wissensarbeitende müssen die Programmentwicklung permanent beobachten und analysieren, um gestalten zu können. Man kann in der Praxis nicht alle Wissensinseln gleichzeitig sehr gründlich bearbeiten. Das Modell der Wissensinseln regt dazu an, einzelne Wissensinseln nach Wahl zu kombinieren und sich empirisch vor Ort einen genauen Kenntnisstand zu erarbeiten. Die Planenden haben es mit hochkomplexen Abläufen zu tun, um in Planungsprozessen handlungsfähig zu gestalten, die nicht mit Begriffen wie „Vernetzung“ ausreichend in der Vertiefung verfolgt werden können. Das Modell der Wissensinseln wird durch die Professionellen genutzt, indem diese nach eigener Fragestellung z. B. zwei Wissensinseln koppeln und hierzu für die zu verantwortenden Programmbereiche bzw. Institutionen Daten auswerten. Nur so erfährt man, in welchem Zusammenhang unter welchen Bedingungen man operiert. Hier setzt Erwachsenenbildungsforschung an, die sich in diesem Fall auf die Planungsverlaufsprozesse konzentriert. Erst über diese Wege wird man vor Ort als professionell Handelnde, bzw. Handelnder sichtbar. Eine genaue Übersicht und damit Auskunftsfähigkeit wird nur möglich, wenn Wissen über die umgesetzte Ausrichtung des Programms, über Grenzen in den konzeptionellen Ausrichtungen, Umsetzungen und Gestaltungsabsichten der Weiterbildungsinstitution transparent erreicht wird. Daraus resultiert, dass in der Ausbildung im Studium entsprechende Forschungskompetenz erarbeitet werden muss. Dazu gehört ebenfalls, dass eine entsprechende, erwachsenenpädagogische Begrifflichkeit zur Verfügung gestellt wird, die Einzelphänomene des erwachsenenbildnerischen Gesamtszenariums sichtbar macht. So wird er oder sie für sich und andere auskunftsfähig und kann vor einem entwickelten Hintergrund erweitert gestalten. Aufgrund neoliberaler Steuerungszugriffe ist aktuell eher die Zuschüttung über Zielformulierungen, über pädagogische Prinzipien oder Konzepte als Qualitätssicherungsinstrumente zu erkennen. Dieses macht nicht die Eigenart des Bildungshandelns auf den verschiedenen Ebenen sichtbar, sondern zwängt normativ ein und verhindert es, die hohen Anforderungen auf den verschiedenen Handlungsebenen und deren Ergebnissen zu transportieren. Umfangreichere erwachsenenbildnerische Forschungsentwicklung und professionelle Erarbeitung von Instrumenten, z. B. für die zentrale professionelle Kompetenz Programmentwicklung gehen Hand in Hand. Sie unterstützen eine begriffliche Ausdifferenzierung zur Beschreibung von Bildungswirklichkeiten und verdeutlichen die Notwendigkeiten/Möglichkeiten in interdisziplinären Bezügen einen Platz zu gewinnen. Nur so werden sie sichtbar und in ihren Potenzialen, gesellschaftlich relevante Ergebnisse zu erbringen, begreifbar.

2 Realisierungen

Programmforschungen als Programmanalysen liegen bereits umfangreich vor und sind in ihren Arten systematisiert worden, etwa als Regionalanalysen, Organisations- und Institutionenanalysen, fachbereichsspezifische, trägerorientierte, zielgruppenspezifische Analysen etc. (Fleige et al. 2019, S. 79). Besondere Potenziale liegen in darüber hinausreichenden umfangreichen Studien mit einem breiten Zugriff für Programmforschungen, z. B. als thematische Fokussierungen, die zugleich auch trägerübergreifend angelegt sind. Programmarchive bieten dafür nutzbare Datenressourcen (Weiterbildungsprogrammarchiv Berlin/Brandenburg, Gieseke et al. 2018; Gieseke und Robak o.J.; von Hippel und Stimm 2019, 2020).

Durch eine empirische Erfassung der regionalen Vielfalt der EB/WB ließen sich ihre jeweiligen Formen in der aktuellen bildungspolitischen Verfasstheit einerseits als faktisch marktförmig, andererseits aber auch, philosophisch betrachtet, als anarchisch (rhizomartig) beschreiben. Andere sprechen (politikwissenschaftlich angelehnt) von der subsidiären Verfasstheit der EB/WB, wobei die Digitalisierung noch einmal eine weitere Dynamik einbringt (neu soziologisch angelehnt). Die VHS bildet mit ihrer Transparenz und öffentlichen Zugänglichkeit für alle Zielgruppen eine Konstante (Archiv DIE).

Ursprünglich wurden in der PAS (Pädagogische Arbeitsstelle des Deutschen Volkshochschulverbandes (DVV), heute DIE) für die Planung von den jeweiligen Fachkonferenzen Übersichten über bisherige Angebote des jeweiligen Programmbereichs erarbeitet, um sich über Ideen für zukünftige Angebote auszutauschen (s. Übersicht Käpplinger 2022). Erst in der zweiten Hälfte der 1990er Jahren erhielten Programmanalysen im Zuge der Evaluationswellen, des Neoliberalismus und der Vereinigung Deutschlands, die eine Kürzung der öffentlich finanzierten Weiterbildung implizit vorsahen, eine erste Bedeutung, die sich nicht auf neue Planungsideen konzentrierte, sondern empirische Befunde über institutionelle Entwicklungen professionellen Planungshandelns vorlegte. Im damaligen Sinne ging es im Rahmen einer Evaluation darum, die Finanzierung der Weiterbildung im Lande auf den Prüfstand zu stellen. In der Bremer Evaluationskommission wurde durch Kuhlenkamp (s. Körber et al. 1995) eine Programmanalyse vorgeschlagen; parallel begann zur gleichen Zeit ein Projekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) zur Weiterbildungsentwicklung der Volkshochschulen nach der Wende am Beispiel Dresdens, der ehemaligen Vorzeigevolkshochschule (vgl. Gieseke und Opelt 2003). Im Weiteren erfolgte ebenfalls eine Evaluation des Weiterbildungsgesetzes in NRW mit massiven Interessen kulturelle Bildung in der EB zu streichen oder wenigstens zu minimieren. Alle benannten Programmanalysen konnten aufklären und machten durch diese bildungswissenschaftliche Forschung die Leistungsprofile der Erwachsenenbildung entsprechend den Forschungsfragen sichtbar. So konnte z. B. die Dresdner Studie, die als Fallanalyse die VHS einer großen ostdeutschen Stadt untersuchte, im Abgleich mit der Bremer Regionalstudie, die eine größere westdeutsche Stadt bzw. Region untersuchte, die schnelle Umgestaltung und den gleichen Stand der Programmausdifferenzierung im Vergleich mit Bremen nachzeichnen und darüber hinaus Anregungen für die Volkshochschulen in Gesamtdeutschland bereithalten. Die Ergebnisse der Fallanalyse, die einen gleichen Stand zwischen der Bremer und Dresdner VHS verdeutlichten, wurden jedoch nicht weiter aufgenommen und diskutiert. In einem gesellschaftlichen Klima, das nicht mit einer abwertenden Differenz arbeitet, hätten die Ergebnisse eine gesellschaftlich aufklärende Funktion übernehmen können.

Was speziell die kulturelle Bildung betrifft, konnte für diese eine neue Bedeutung sichtbar gemacht werden, indem auf der empirischen Grundlage der Programmforschung theoretisch eine differenzierende Begrifflichkeit für die verschiedenen Zugänge zur kulturellen Bildung (Gieseke et al. 2005) erarbeitet wurde. Diese Zugänge wurden als Portale bezeichnet, spezifisch das „systematisch-rezeptive“, das „selbsttätig-kreative“ und das „verstehend-kommunikative“ Portal (vgl. ebd.). Die Kooperationen mit der Universität Warschau ermöglichten für die europäische Forschung einen Kooperationsverbund zwischen grenznahen Regionen und den Hauptstädten (s. u. a. ebd.). Der kulturellen Bildung wurde wieder ein Platz eingeräumt (s. u. a. Fleige et al. 2015; Robak et al. 2022a). Gegenwärtig kann eine erweiternde Ausdifferenzierung des „verstehend-kommunikativen“ Portals zur inter- und transkulturellen Bildung sichtbar gemacht werden (vgl. Robak 2018a).

Erwachsenenbildung betrachtete sich, was ihre Programmforschung als begleitende Analyse im Feld EB/WB und die Platzierung als Bildungsforschung betrifft, als akzeptiert. Die Programmanalyse ist nach Nuissl (2010) die in der Erwachsenenbildung entwickelte Methode, um die pluralen Bedingungen in den Programmen und Angebotsstrukturen nachvollziehen zu können. Der Erwachsenenbildung ging es darum, mithilfe der Programmforschung differenziert Entwicklungen empirisch auszuwerten und zu interpretieren. Im Weiteren ging es um Forschungsinteressen zur Neuformierung der beruflichen Weiterbildung der Volkshochschulen (vgl. Käpplinger 2007). Ebenso ging es darum, thematisch neue Inhalte wie Medien (vgl. von Hippel 2007, 2010) zu untersuchen sowie um die Unterstützung professioneller Entwicklungen in der evangelischen und katholischen EB (vgl. Heuer und Robak 2000). Auch hier konnten faktisch Differenzen und Schnittmengen festgestellt werden. Im letzteren Ansatz erfolgte neben der Programmanalyse, ebenso eine Analyse zum Programmplanungshandeln, als auch empirisch abgestützt die Erarbeitung des oben genannten Modells der Wissensinseln und die Einführung der Perspektivverschränkung als Forschungsvorschlag für Weiterbildungsanalysen (vgl. Gieseke 2000). Die Studien an der Humboldt-Universität zu Berlin (HUB), aber auch spätere Studien, setzten ergänzend Statistikanalysen, Interviews und Videoaufnahmen ein. Dafür wurde der Begriff bzw. das Forschungsarrangement der Perspektivverschränkung (zuerst: Gieseke 1985, 1990, 1992) schrittweise weiter ausdifferenziert (zuletzt Robak et al. 2022a; siehe Abschn. 3.2). Zudem gab es eine Reihe von kleineren, aber wichtigen Programmanalysen (s. dazu auch Käpplinger 2011), welche in Teilen vor allem als Qualifikationsarbeiten erstellt wurden. Sie beschäftigten sich mit ökologischer Weiterbildung, mit historischen Fragen, Fragen der politischen Bildung, mit Angeboten aus der Psychologie, mit der Rolle von Lernberatung in den Angeboten, mit Frauenbildern und Frauenbildung (s. die systematisierende Übersicht in Fleige et al. 2019). Seit geraumer Zeit geht es um die Digitalisierung. Dieser Aspekt bedarf eines erweiterten Ansatzes, wobei auf weiterführende Literatur zu verweisen ist, da institutionelle, organisatorische Aspekte, als auch besondere Bedingungen der Aneignung zu neuen Fragestellungen führen (s. Robak et al. 2022c). Wichtig ist gerade in der Gegenwart die Europäisierung der Analyse, die in Kooperation, auch aus regionalen Perspektiven, unterstützend wirkt und kultursensiblere Daten freilegt (s. Käpplinger 2011; als Überblick Fleige und Gieseke 2020).

3 (Methodische) Entwicklungen in der Programmforschung als konstitutiver Beitrag durch die Abbildung komplexer Zusammenhänge von Bildung und Gesellschaftlichkeit, individuellen Handlungserweiterungen sowie institutionellen Entwicklungen/Profilbildungen

Wie oben dargestellt, hat Bildung die Kraft, realisiert auf der Grundlage von Angeboten und Programmen, über Konzeptualisierungen von BQK die gestiegenen und kontinuierlich steigenden Anforderungen an die Bevölkerung zu begleiten. Um dem individuellen Handeln eine gestaltende biographische und gesellschaftliche Rolle zu sichern, bedeutet Bildung, dass Prozesse gesellschaftlicher Veränderungen mit Differenzierungen im Wissen, in den Emotionsmustern und in den Verarbeitungs- und Aneignungsprozessen unterstützt werden und diese in den aktuellen Komplexitäten sowohl mit Blick auf zukünftige als auch aktuelle Perspektiven zu reflektieren. Als zentrale Bezüge einer Bildungsforschung, die den Zusammenhang von Bildungsprozess(verläuf)en, angefangen von der Planung bis zur Verarbeitung durch die Individuen, denkt, sedimentieren sich für die Programmforschung als Beitrag zur Konstitution der Bildungsforschung die Analyse von komplexen Zusammenhängen zwischen Bildung und Gesellschaftlichkeit, individuellen Handlungserweiterungen und institutionellen Profilentwicklungen heraus. Diese strukturieren sich in analysierbaren Bildungsinstitutionalkonzepten (vgl. Gieseke und Robak 2004; Robak 2022a).

Programmforschung hat sich in den letzten Jahrzehnten entsprechend weiterentwickelt und trägt mit ihren Zugängen, Fragestellungen, methodischen Entwicklungen, theoretischen Ausformungen und interdisziplinären Einbettungen zur Konstitution der Bildungsforschung und der Disziplin Erwachsenenbildung bei; dies indem Institutionalisierungsprozesse von Erwachsenenbildung, erwachsenenpädagogische Modellbildungen, Wissensstrukturen analysiert und Theoretisierungen erarbeitet werden, die Auskunft über erwachsenenpädagogische Modellierungen vielfältiger Wissensstrukturen für Bildungsprozesse geben und wie diese institutionell rhizomartiges Wachstum bis hin zur Ausformung eigener Profile befördern (Gieseke 2011; Enoch und Gieseke 2011, auf der Basis des Weiterbildungsprogramm-Archivs Berlin/Brandenburg an der HU Berlin). Dieses rhizomartige Wachstum ist in doppelter Weise relevant: Einerseits zeigen die Angebots- und Programmstrukturen, die durch Programmanalysen sichtbar gemacht werden können, wie gesellschaftliche Veränderungen in den verschiedenen Institutionen von Weiterbildung eingelassen werden und diese spiegeln. Andererseits werden die gestalteten und anwählbaren Bildungsangebote durch die Bevölkerung selbst Teil gesellschaftlicher Veränderungen, indem die Individuen sich BQK aneignen, für sich entwicklungs- und handlungserweiternd verarbeiten und in gesellschaftliche Entwicklungen auf verschiedenen Ebenen mitgestaltend einbringen. Diese Zusammenhänge können durch Programmforschung und Erweiterungen in Perspektivverschränkung (s. Abschn. 3.2) sichtbar gemacht werden. Programmforschung hat sich so ausdifferenziert, dass sie als Bildungsforschung einen eigenständigen Beitrag leistet bezüglich der Rolle von Bildung(sprozessen) Erwachsener durch einerseits die Analyse und Erklärung sowie andererseits die Gestaltung von Gesellschaftlichkeit, individuellen Wirklichkeitsauslegungen und Handlungserweiterungen in demokratischen Bezügen und für Institutionalentwicklungen der Erwachsenenbildung. Dieses soll im Folgenden an zwei zentralen Scharnierstellen innerhalb der Programmforschung gezeigt werden: erstens am Entwicklungsstand von Codesystemen für Programmanalysen mit ihren entwickelten methodischen, theoretisch fundierten und zugleich theoriebildenden Verfahren und kategorialen Codestrukturen sowie zweitens an der Entwicklung von Perspektivverschränkungen als Forschungsarrangement, das sukzessiv weiterentwickelt wurde und wird. Zu beobachten ist insgesamt eine Differenzierung und Präzisierung in den Fragestellungen, methodischen Zugängen sowie theoriebasierten und -bildenden Verfahren und Ergebnissen. Dies wird im Forschungsprozess realisiert durch die sukzessive Einbeziehung individueller Bildungsaspirationen, gesellschaftlicher Entwicklungen, Reflexion von analysierten Bedarfen und Interessen, Bildungsauslegungen in Bezug auf Lebenszusammenhänge und Bildungszugänge der Bevölkerung, bildungswissenschaftlichen sowie interdisziplinären Theoretisierungen und darüber hinaus institutionellen Entwicklungen und Profilbildungen.

In den nachfolgenden Abschn. 3.1. und 3.2. werden teils unterschiedliche und teils identische Studien herangezogen. Identische Studien, da Programmanalysen – und damit die Erstellung von Codesystemen – Bestandteil aller aktuellen Studien nach dem Forschungsarrangement Perspektivverschränkung sind. Da es nicht darum geht, die Genese aller Studien in Perspektivverschränkung vorzustellen, sondern zentrale aktuelle Forschungsstände und -erträge, werden in Abschn. 3.2. exemplarische Studien vertieft.

3.1 Codesysteme als entwickelnd-analytischer Beitrag zur Ausdifferenzierung von Programmanalysen

Codesysteme sind der methodische Kern von Programmanalysen. Sie sind Ergebnis empirischer Kernarbeit und bilden bereits ein (Zwischen)ergebnis eines umfänglichen Forschungsprozesses ab, der sowohl Theoriearbeit als auch Datenanalyse beinhaltet. Codesysteme werden aus Kategorien gebildet und bestehen aus einer Anordnung von Codes, welche sich aus erwachsenenpädagogisch begründeten Begriffen zusammensetzen. Diese bilden eine spezifische Systematik ab, welche einerseits dem Forschungsgegenstand und den Forschungsfragen gerecht wird, theoretisch rückgebunden den wissenschaftlich-systematischen Horizont eines „Themas“ einbezieht und andererseits den zeithistorischen Blick auf die Auslegung und Aktivierungsinteressen von Bildung durch die Individuen, die Gesellschaft und institutionelle Entwicklungen einbezieht (vgl. Robak 2012). Codesysteme sind so zentral und spezifisch, da sie Ausgangspunkt und zugleich Ergebnis von Programmanalysen sind (vgl. ebd., S. 1). Sie bereiten theoretisches Wissen vor, es geht aber zugleich umfangreiches theoretisches Wissen in die Erstellung von kategorialen Strukturen der Codesysteme ein. Es liegen bereits umfangreiche Codesysteme (siehe die Kodierleitfäden und Begleittexte von Studien auf der Homepage des DIE, die von Mitgliedern der Expertengruppe Programmforschung erstellt wurden) und Codebücher vor, die zugleich einen Forschungsstand abbilden und repräsentieren (zuletzt Iffert et al. 2021; Gieseke und Krüger 2022; Robak et al. 2022b).

Codesysteme und Codebücher ermöglichen die Erklärung komplexer Bildungsentwicklungen, da sie bildungswissenschaftliche Erkenntnisse über die Analyse individueller und institutioneller Bildungsauslegungen sowie über die Rekonstruktion der durch die Planenden antizipierten Bildungsentwicklungen in individuellen, gesellschaftlichen, zeitgeschichtlichen und institutionellen Bezügen liefern. Codesysteme sind bereits Ergebnis theoretischer Vorüberlegungen und bildungswissenschaftlicher Analysen, die die Resultate ausgehandelter und professionsgestützt rückgebundener Bildungsentwicklungen in Form von Angebots- und Programmentscheidungen der Planenden analysieren und dafür ein begriffliches Repertoire und theoretische Einbettungen offerieren und darüber theoriebildend wirken.

Der Blick auf vorliegende Programmforschungen, konkret Programmanalysen, zeigt, dass Codesysteme entsprechend weiterentwickelt wurden und sich weiterführend als erwachsenenpädagogische Systematiken ausformen, die nicht nur empirische Ergebnisse vorbereiten, sondern auch Theoriebildungen, indem komplexe Zusammenhänge einbezogen werden. Voraussetzung ist, dass unter Nutzung des vorhandenen Repertoires an quantitativen und qualitativen Zugängen, an induktiven und deduktiven, teils abduktiven (vgl. Reichertz 2013) Vorgehensweisen, vorhandene Codesysteme geprüft und weiterentwickelt sowie weiterführende (fachsystematische und bildungswissenschaftliche) theoretische Überlegungen, empirische Erkenntnisse sowie interdisziplinäres Wissen einbezogen werden. Eine Betrachtung der Fragestellungen zeigt, dass diese teils den Blick auf gesellschaftliche Ausformungsperspektiven, individuelle Bildungs- und Handlungsaspirationen sowie institutionelle Entwicklungen aufgreifen oder aber die Ergebnisse von Programmanalysen mit Blick auf diese Zusammenhänge interpretiert werden können. Letztlich zielt jede Programmforschung darauf ab, die Inhalte und Schwerpunkte in der EB/WB umfassend einordnen zu können. Im Folgenden werden einige exemplarische Betrachtungen der Weiterentwicklung von Codesystemen vorgenommen:

Die oben bereits genannte, als „Muttersystem“ fungierende Programmstudie im Land Bremen (vgl. Körber et al. 1995) umfasst ein Codesystem aus 193 Themengruppen. Es wurde eine Orientierung für nachfolgende Analysen entwickelt, indem grundlegende Kategorisierungen erarbeitet wurden, die sich an Programmbereichen und Statistiken von Verbänden orientierten. Mittels induktiven und deduktiven Vorgehens wurden 22 Fachbereiche gebündelt. Die daraus abgeleiteten acht Funktionsbereiche, wie z. B. Kompensatorische Grundbildung, Alltagskompetenz und Allgemeinwissen (vgl. ebd., S. 16) weisen hier bereits Bezüge zu gesellschaftsrelevanten Entwicklungen der ausgedrückten Bildungsaspirationen und den damit verbundenen Bedarfen und Nutzungsinteressen der Individuen in differenziellen Lebenszusammenhängen auf, die später teils kritisch als Veralltäglichung des Wissens interpretiert wurden (vgl. Schrader 2003)Footnote 1. Eine der besonderen Leistungen war es, die regionale Gesamtentwicklung einer Weiterbildungslandschaft und auch Profile darin abbilden zu können sowie überhaupt einen Überblick über das Angebot der Weiterbildungsbereiche und Themen zu erhalten.

Eine Nachfolgestudie von Schrader (2011) im Lande Bremen schließt an diese Analyse an und fokussiert die Fragestellungen auf die systemischen und institutionellen Wirkungen von Modernisierungsstrategien, konkret von rechtlichen Reglementierungen, Professionalisierung und Qualitätssicherung auf die Struktur und den Wandel des Weiterbildungssystems. Das Kategoriensystem der Programmanalyse schließt als institutionenübergreifende längsschnittliche Analyse des Bremer Weiterbildungsangebotes (Angebote in 1996 und 2006 mit vergleichenden Referenzen zu den Angeboten in 1979 und 1992) an die Studie von Körber et al. (1995) an, nutzt das Codesystem, ergänzt die Kategorien auf der Untersuchungseinheit Ankündigung um metrische Kodierungen, z. B. Kurskosten sowie um weitere Angaben auf der Anbieterebene, z. B. Rechtsform, Zertifizierung und Beschäftigung von pädagogischem und Verwaltungspersonal (zu den Besonderheiten der Codierungen s. Schrader 2011, S. 172 ff.). Die kategorialen Ergänzungen spiegeln die Frageperspektive, wie die aktuellen bildungspolitisch veranlassten Regelungen auf die Systementwicklungen und die Organisation einwirken. Die Analysen werden gekoppelt mit Theoretisierungen, die eine Zugehörigkeit der Organisationen zu Reproduktionskontexten hinterfragen und damit zugleich als eine Grundlage für eine Systematik der Einordnung von Weiterbildungseinrichtungen herangezogen werden.

Spätere Analysen zeigen am Beispiel des Bildungsurlaubs in Bremen, dass die Programme und Angebote die differenziellen Lebenszusammenhänge zwischen Beruflichkeit, Beschäftigung, Identitätsentwicklung und leiblich-emotionaler Stabilisierung etc. begleiten und von einer Gleichzeitigkeit an Lern-Verwertungsinteressen in beruflichen und allen nicht-beruflichen Lebenszusammenhängen auszugehen ist (vgl. Rippien 2015; Robak et al. 2015; Heidemann 2021). Für die Programmanalyse zum Bildungsurlaubsangebot in Bremen (vgl. Rippien 2015) wurde an das Codesystem der Programmanalyse von Schrader (2011) angeschlossen (die gesamte Studie zum Bildungsurlaub in Bremen ist im Forschungsarrangement Perspektivverschränkung angelegt, wobei die Programmanalyse eine Perspektive darstellt).

Die Ergebnisse zeigen die Spezifik der Angebotsstruktur des Bildungsurlaubs, die Bewegungen und Ausformungen der allgemeinen Bildungsanteile und das Migrieren der Schlüsselqualifikationen in die berufliche Bildung, was einen Hinweis auf die Sicherung von Beruflichkeit und Beschäftigung gibt. Weiterhin wird die besondere Rolle der Gesundheitsbildung deutlich, die sich als Selbstsorge für berufliche und nicht-berufliche Kontexte ausformt, wie auch die kulturelle Bildung (vgl. Rippien 2015, S. 179f.). Die ökologische Bildung stagniert auf niedrigem Niveau, während sich für die politische Bildung eine Gleichförmigkeit bei allen Anbietern zeigt. Die Interpretation der Ergebnisse verweist auf eine Konzentration auf den gesellschaftlichen Nahbereich, aber unter Vernachlässigung von Handlungsbezügen (vgl. ebd., S. 181). Es dominiert weiterhin eine Wissensvermittlung zur Grundierung von Analyse- und Urteilsfähigkeit in Fragen, die als gesellschaftlich relevant identifiziert werden. Erst die Perspektive der Teilnehmenden jedoch macht sichtbar, wie deren Lern-Verwertungsinteressen aussehen und über die Gestaltung von Angeboten etwa im Bereich der Gesundheitsbildung und der kulturellen Bildung in dieser spezifischen Region aufgegriffen werden (vgl. Heidemann 2015, 2021).

Die in Kap. 2 bereits erwähnte längsschnittlich angelegte Programmanalyse (von 1945 bis 1997) zur VHS Dresden (Gieseke und Opelt 2003) adressiert in ihren Fragestellungen die Entwicklung der VHS vor dem Hintergrund gesellschaftspolitischer Veränderungen und die Ausformung von Wissensstrukturen in Prozessen des Wandels, um die Einzelfallstudie in einen größeren Zusammenhang einzuordnen. Auch diese Studie folgt in ihrer Gesamtanlage dem Forschungsarrangement Perspektivverschränkung, wobei die Programmanalyse eine Perspektive darstellt. Herauszustellen ist jedoch, dass es sich dabei um die Perspektive handelt, die in der Erkenntnisbreite und -tiefe leitend ist, bzw. weitere vertiefende Fragen für die ergänzenden Perspektiven eröffnet.

Das Codesystem nutzt die Kategorien der Bremer Studie und ergänzt diese, um an der Schnittstelle gesellschaftlicher Transformation sowohl Wissen über die schubweise (heutiger Begriff: disruptive) Ausdifferenzierung der Fachgebiete – nämlich innerhalb kürzester Zeit in einer ähnlichen Programmstruktur wie in Bremen – und zeithistorisch einzuordnende Bedarfe nach Wissensstrukturen und Bildung im Differenzierungsniveau (1990: 29 Oberkategorien und 225 Unterkategorien) abzubilden. Die Ausdifferenzierung des Codesystems und die quantitativ-qualitative kategoriale Analyse zeigt ein professionsgesteuertes Institutionalkonzept einer „lebenslaufbegleitenden Allgemeinbildung mit berufsbezogenen und/oder familiären Verwertungskontexten, die sich von schulischen Konzepten profiliert unterscheidet“ (ebd., S. 380). Eine erweiterte kategoriale Schlüsselsystematik zur Analyse der Wissensstruktur entlang der Oberkategorien Teilnehmendenorientierung, Sachorientierung sowie Geselligkeit/Erlebnisorientierung zeigt die Verbindungen von individuellen Bedarfen und Bildungsaspirationen der Bevölkerung mit Blick auf große gesellschaftliche Veränderungsprozesse durch Bildung (vgl. ebd., S. 442). Die spezifische Weiterentwicklung des Codesystems ermöglicht es, die grundlegende Rolle von VHS als gesellschaftliche Transformationsinstanzen durch die Modellierung von Bedarfen und Wissensstrukturen im gesellschaftlichen Horizont offenzulegen.

Einblicke in die Rolle der VHS als Transformationsinstitution für gesellschaftliche Entwicklungen und individuelle berufliche Handlungserweiterungen erbringt in doppelter Perspektive, dies mit Blick auf die Institutionalform VHS und auf die Entwicklung der beruflichen Weiterbildung, die Programmanalyse zur individuellen beruflichen Weiterbildung in VHS (vgl. Fleige et al. 2022). Der Kodierleitfaden der Programmanalyse spiegelt in seiner Ausdifferenzierung die Entwicklung des Bereiches bezüglich der fachspezifischen beruflichen Anforderungen und persönlichkeitsrelevanten Kompetenzen, die im Prozess des Umbaus hin zu flachen Hierarchien in Betrieben und Organisationen relevant sind (vgl. Iffert et al. 2021). Die Programmanalyse erbringt auf der Grundlage der Differenzierung des Codesystems sowie der darauf aufsetzenden Ergebnisse eine Erweiterung der Systematisierung beruflicher Weiterbildung, die bislang nicht sichtbar gemacht und über Bildungsberichterstattungen in den Blick genommen werden konnten. Das heißt, die komplexe Verbindung von Beruf, beruflichem Handeln, gesellschaftlichen und bildungskonzeptionellen Zuweisungen und individuellen Interessen und Nachfragen in der speziellen Auslegung der Institutionalform VHS kann erstmals sichtbar gemacht werden: Individuelle berufliche Weiterbildung entwickelt eine Spannbreite zwischen Schlüsselqualifikationen, berufsbezogenen Qualifikationen in neuer Ausdifferenziertheit, zertifizierten Angeboten sowie solchen, die für Teilnehmende ab 50 Jahren als Vintage-Faktoren, für die weitere Berufsausrichtung als Anschlüsse Relevanz entfalten. Sowohl biographische Faktoren als auch Förderstrukturen der beruflichen Weiterbildung sind Ausgangspunkt der analytischen Betrachtung (vgl. ebd., S. 7). Die Programmanalyse zeigt auf der Grundlage des Codesystems wie sich Lebenslanges Lernen im Programmsegment berufliche Weiterbildung über verschiedene Programmbereiche hinweg organisiert (vgl. ebd., S. 8).

Ausgangspunkt sind übergreifende leitende Forschungsfragen, die zentrale gestaltende Bezüge in den Blick nehmen: Neben den thematischen und strukturellen Entwicklungen werden die theoretischen Bezüge zu den Begriffen Beruf und berufliche Tätigkeit einbezogen, die bildungskonzeptionellen Vorstellungen mit Blick auf die öffentliche Verantwortung von Volkshochschulen sowie das Programm als Ausdruck gesellschaftlicher Verhältnisse und Erwartungen (vgl. ebd., S. 9). Eine Typenbildung auf der Angebotsebene bildet die Grundlage für eine theoriebildende Ausarbeitung eines gesellschaftspolitisch „öffentlichen Interesses an beruflicher Qualifizierungsausdifferenzierung als Angebot für die Teilnahme aller Bevölkerungsgruppen am Lebenslangen Lernen“ (ebd., S. 10). Das Codesystem ist sowohl theoretisch fundiert deduktiv als auch induktiv entwickelt, greift vorliegende Codesysteme auf (vgl. Körber et al. 1995; Gieseke und Opelt 2003; Käpplinger 2007; Schrader und Zentner 2011; Robak und Petter 2014; Robak et al. 2015) und entwickelt diese als umfänglich ausdifferenzierendes Codesystem auf drei Ebenen weiter. Als neue induktiv entwickelte Kategorien werden Umschulung, Aufstiegsfortbildung und Nachqualifizierung (vgl. Iffert et al. 2021, S. 34ff.), Angebote eines modularen Systems (vgl. ebd., S. 55), das Kursniveau – etwa Grundkurs und Aufbaukurs für Fortgeschrittene – (vgl. ebd., S. 73), berufliche Grundformen – etwa Berufsbezug und erweiterter Tätigkeitsbezug – (vgl. ebd., S. 78 ff.), Bezug zur Beratung (vgl. ebd., S. 91), didaktische Gestaltungselemente – etwa Transfer, einüben/trainieren/ausprobieren und Probehandeln etc. – eingeführt (vgl. ebd., S. 98 ff.). Als weiterführende Analysekategorien sei noch auf die Ausdifferenzierung der Oberkategorie „Verwertungshinweise“ (ebd., S. 103 ff.) verwiesen, die umfänglich die individuellen Verwertungsinteressen und gesellschaftliche Verwertungshinweise einbinden.

Diese Weiterentwicklungen des Codesystems spiegeln in umfänglicher Form, wie sich individuelle berufliche Weiterbildung als gesellschaftliche Realität, nachgefragt über die Individuen und beeinflusst von Arbeits- und Berufsstrukturen und den dynamischen Entwicklungen beruflichen Handelns und biographischer Gestaltungen, entwickelt und wie notwendig und nun bereits methodisch ausgereift empirische Programmanalysen, auch mit Blick auf theoriebildende Weiterentwicklungen sind. Ein weiteres Beispiel für eine komplexe Weiterentwicklung von Programmanalysen am Beispiel der Digitalisierung und seiner Modellierung in Programmen der VHS befindet sich aktuell in Auswertung (vgl. Robak et al. 2022b; Kühn 2022).

3.2 Perspektivverschränkung als Forschungsarrangement zur Erschließung komplexer Bildungsrealitäten zwischen Programmstruktur, Handeln und Bildungsprozess

Das oben bereits mehrfach benannte Forschungsarrangement Perspektivverschränkung zielt auf die Durchdringung von Bildungsrealitäten, indem alle Perspektiven der am Prozess beteiligten Akteure und Akteurinnen einbezogen werden, denn, so die Annahme: Diese haben alle einen Einfluss auf Bildungsprozesse und sind für die Durchdringung der Bildungsrealitäten einzubeziehen. Perspektivverschränkung lenkt den analytischen Blick auf Bildung und Qualifizierung als ein „Dazwischen“, als eine Betrachtung der Wirkungszusammenhänge der Handelnden, Gestaltenden und sich Bildenden, um die komplexen pädagogischen Prozesse sichtbar und begrifflich benennbar zu machen (vgl. Gieseke 2007, 2010). Als unmittelbare Perspektiven können einbezogen werden: die Teilnehmenden, die Planenden und das Programm, das Bildungsmanagement und die Kursleitenden. Es sind je nach Forschungsfrage und Setting weitere möglich. Für diese knappe Darstellung geht es darum, exemplarische Realisierungsformen von Perspektivverschränkung aufzuzeigen und für Bildungsforschung relevante Entwicklungen mit Blick auf die sich vertiefenden Einsichten in komplexe pädagogische Strukturen und Muster offen zu legen, die sich nur aus den Verschränkungen der Perspektiven heraus erklären lassen und Ausdruck der Verarbeitung gesellschaftlicher und beruflicher Realitäten sowie individueller Aspirationen nach Bildung und Handlungserweiterungen sind und sich im Bildungsinstitutionalkonzept als Kern identifizieren lassen.

Perspektivverschränkung nimmt die Erkenntnis- und Durchdringungsmöglichkeiten jeder einzelnen Perspektive, die in methodischer Breite erhoben und ausgewertet sein kann, mit einer spezifischen Fragestellung unter das Brennglas. Dabei wird je Perspektive sowohl eine spezifische Fragestellung als auch eine übergreifende verfolgt. Sie bringt diese Ergebnisse der verschiedenen Perspektiven in einen gelenkten iterativen und zugleich zentrifugalen Auswertungs- und Interpretationsprozess, in dem nach der Auswertung der jeweiligen Teilperspektiven das Verbindende, das Gemeinsame, oder auch das Gegensätzliche als komplexe Teile eines Bildungsmusters untersucht und sichtbar gemacht werden. Das heißt, Perspektivverschränkung hinterfragt und interpretiert die analysierten Einzelergebnisse einzeln, dann sukzessiv solange wechselseitig im Spiegel der Ergebnisse und Interpretationen der anderen Perspektiven, bis diese iterativ-zentrifugalen Analyseschritte Muster aufzeigen. Diese Muster legen die komplexen Zusammenhänge offen. Sie können als Bildungsrealitäten sichtbar gemacht und mit Blick auf gestaltete Bildungsinstitutionalkonzepte hinterfragt und im Horizont gesellschaftlicher, biographischer, beruflicher und organisationaler Bezüge als Ergebnis professionellen pädagogischen Handelns einerseits und im Horizont von Bildungsentscheidungen und Bildungsprozessverläufen sowie Verwertungsinteressen andererseits interpretiert werden. Dies bildet die Grundlage für weitere theoretische Ausarbeitungen.

Es werden nun Beispiele aus eigenen Forschungen skizziert, die sich besonders mit der mehrperspektivischen Verbindung und Identifikation komplexer Bildungsrealitäten sowie Muster befasst haben: Perspektivverschränkung wurde erstmals im Rahmen von Lehr-Lernforschung als Fallstudie zur Bildungsarbeit mit Zielgruppen entwickelt (vgl. Gieseke 1985, 1990), dann in späteren empirischen Forschungen zur Erschließung von Programmplanung (vgl. Gieseke 2000) sowie z. B. zur Erschließung von Bildungsurlaub (vgl. Robak et al. 2015) und wissenschaftlich beruflicher Weiterbildung von Kunst- und Kulturschaffenden (vgl. Robak et al. 2022a) weiter ausdifferenziert.

Bereits die ersten perspektivverschränkenden Analysen von Kursrealitäten zeigen, dass didaktische Planungs- und Realisierungsprozesse nicht zufällig sind, sondern: Voraufgegangene Handlungen wirken in initiierten Konzepten weiter nach und die jeweiligen Prozesse der Zwecksetzung, der Sinnkonstitution und zugrundeliegende Motivstrukturen wirken, jeweils zeitbezogen, in Prozesse didaktischen Handelns ein und nehmen Bezug auf die Verwertungsmöglichkeiten und -interessen der Teilnehmenden (vgl. Gieseke 1985, S. 17). Entscheidungs- und Handlungsprozesse der involvierten Personen wirken ineinander (vgl. ebd., S. 16) und spiegeln eine grundlegende gesellschaftliche Vermitteltheit in einer bestimmten Zeit, etwa den ambivalenten Charakter von Maßnahmen für arbeitslose Jugendliche, die von den Akteurinnen und Akteuren zwischen Nachsozialisation, Wartebahnhof ohne Hoffnung und kompensatorische Vermittlung von Grundqualifikationen gedeutet werden (vgl. ebd., S. 93).

Die in Perspektivverschränkung angelegte empirische Untersuchung einer Juniorakademie zeigt, wie für Jugendliche in einer Institution der Erwachsenenbildung eine entfaltungsorientierte Lernkultur von allen beteiligten Akteuren und Akteurinnen so gestaltet werden kann, dass über Beziehungen und dichte Atmosphären Interesse sowie „Lernlust“ aktiviert und neue Bildungsmuster eingeleitet werden können (Kühn 2018; Robak 2018b).

Die perspektivverschränkende Analyse des Bildungsurlaubs in Bremen erfragt übergreifend, ob und wie Bildungsurlaub Bildungspartizipation unterstützt (vgl. Robak et al. 2015, S. 351) und differenziert spezifische Fragestellungen aus, in den Perspektiven Weiterbildungsanbieter (Analyse des Programmplanungshandelns und Programmanalyse), Teilnehmende (Analyse von Teilnehmendenstatistiken, qualitative Interviews mit und quantitative Befragung von Teilnehmenden) sowie Betrieb (qualitative und quantitative Befragung von Betriebsräten und Betriebsrätinnen). Die vertiefende Perspektivverschränkung legt ein Muster der Bildungsrealität offen, das als „Anschlusslernen zwischen Zugangserleichterung (Partizipation), der Realisierung lebenslangen Lernens, Selbstsorge und Beruflichkeit/Employabilitysicherung“ beschreibbar ist (vgl. ebd., S. 379). Jede Perspektive bringt einen Teilaspekt der Musteridentifizierung ein, der auf eine empirische Analyse der theoretisch beschreibbaren Kategorie „Lern-Verwertungsinteressen“ der Teilnehmenden anschließt (s. weiterführend Heidemann 2021) und die Passungsaspirationen der in Planung sichtbaren Schwerpunktsetzungen im Spannungsbogen der Anschlüsse zwischen „Partizipation, Stärkung der Beruflichkeit/Employability und Selbstsorge“ aufnimmt (vgl. Robak et al. 2015, S. 351; s. weiterführend Pohlmann 2018). Die Programmstruktur zeigt das Interesse an grundlegendem Wissen sowie an einer Versorgung mit Praktiken und Wissen, die der Selbstsorge und Stabilisierung in allen lebensweltlichen Bereichen zu Gute kommen, inklusive dem beruflichen Handeln. Hinzu kommt die Ambivalenz einer Doppelstruktur des Nutzens, die für den Betrieb sichtbar gemacht werden kann (vgl. Hermeling 2015). Die Handlungs- und Entscheidungsbezüge der gestaltenden Akteure und Akteurinnen werden mit den Lern-Verwertungsinteressen der Teilnehmenden in Beziehung gesetzt sowie mit der gesellschaftlichen Funktionszuweisung von Bildungsurlaub relationiert. Interpretierte Gesellschaftlichkeit und Mitgestaltung von Gesellschaft über Programmforschung in Perspektivverschränkung drückt sich in den Ergebnissen, in der verschränkenden Interpretation, aber auch in den bildungspolitischen Kommentierungen aus sowie in den daran anschließenden Justierungen des Gesetzes (s. den Kommentar von Quante-Brandt 2015) und von weiteren bildungspolitisch relevanten Akteuren und Akteurinnen.

Einen hohen Vertiefungsgrad mit Blick auf die Identifikation von Mustern der Bildungsrealität und ihrer gesellschaftlichen Verwobenheit und Gestaltungskraft sowie auf Grundlagen der theoretischen Weiterentwicklung erreicht die in Perspektivverschränkung angelegte Programmforschungsstudie im Verbund WB-Kultur (vgl. Robak et al. 2022a). Die übergreifende Fragestellung lautet: Wie, warum und für welche Adressaten und Adressatinnen wird wissenschaftliche berufliche Weiterbildung für die berufsfeldspezifische professionelle Entwicklung und Kompetenzerweiterung für Tätigkeiten in Kunst, Kultur und kultureller Bildung in außeruniversitären Institutionen konzipiert und angeboten? Wie und warum werden die Weiterbildungsangebote von Teilnehmenden aus dem Kunst- und Kulturbereich (KuK) genutzt?

Das Projekt befasst sich fallanalytisch am Beispiel einer Akademie mit Institutionalisierungs- und Professionalisierungsprozessen der wissenschaftlichen beruflichen Weiterbildung für Tätige im Kunst- und Kulturbereich. Übergreifendes Ziel ist die Eruierung von Passungsverhältnissen von Angeboten und Bedarfen, Interessen, Nutzenaspirationen sowie Professionalisierungsanforderungen und Potenzialen zur Planung von Angeboten. Entwickelt wurde ein transferfähiges Modell zur Beschreibung, Erfassung und Analyse von Verhältnissen zwischen Institutional‑, Programm- und Angebotsstrukturen (Institutionenperspektive) einerseits und Interessen, Bedarfen, Nutzung und Tätigkeitsprofilen der Teilnehmenden (Teilnehmendenperspektive) andererseits.

Das „Dazwischen“ sedimentiert sich am Ende als die entscheidenden pädagogischen Praktiken, die sich im Spannungsfeld der Perspektiven ausformen und in der Durchdringung der einzelnen Perspektiven sichtbar werden. Die Perspektiven Programm und Planende erweisen sich für die Realisierung von Bildung und Kompetenzentwicklung über Programmplanungshandeln als besonders zentral. Davon hängt nicht nur ab, was überhaupt als Bildung angeboten wird, sondern die entscheidenden pädagogischen Bezüge, die in die Musterbildung eingehen, werden in der Teilperspektive Programm besonders deutlich (vgl. Gieseke und Krüger 2022). Dafür wurde ein neues Codesystem entwickelt. Dieses realisiert als Ergebnis eines Forschungsprozesses über Leitkategorien eine grundlegende Neustrukturierung, indem anvisiertes berufliches Handeln in KuK-Feldern einbezogen ist. Diese sowie alle Perspektiven können in ihren Ergebnissen eigenständig für sich stehen. Die Ergebnisse der Programmanalyse stellen das Programm für die Perspektivverschränkung als die leitende Perspektive heraus. Es können hier nur Kernergebnisse der Verschränkung angedeutet werden (vgl. Robak 2022b).

Die Perspektivverschränkung ist auf zwei Vertiefungsebenen angelegt. Auf der ersten Ebene erweist sich das Koppelungshandeln in Form von Changieren und Balancieren als die entscheidende Form des Handelns (Perspektivverschränkung I). Koppeln bedeutet, dass im Planungshandeln Balancen zwischen den identifizierten Querkategorien Lebenslage und biographische Motive; Wissensstrukturen und Bedarfe/Bedürfnisse; berufliches Tätigkeitsfeld und berufliche Optionen hergestellt werden. Auf der zweiten Ebene wird dieses spezifiziert als An- und Einkoppeln inhaltlicher und tätigkeitsbezogener Bezüge des Feldes Kunst, Kultur und Bildung (Perspektivverschränkung II). An- und Einkoppeln erweisen sich als die entscheidenden pädagogischen Praktiken, die von den verschiedenen, heterogenen Teilnehmenden spezifisch beantwortet werden. Erst die mehrfache Auswertung und Betrachtung auf zwei Ebenen der Auswertung (Perspektivverschränkung I und II) haben diese zentralen, spezifisch auf das Feld Kunst und Kultur bezogenen pädagogischen Ausformungen des Handelns sowie die Einbettung der Bildungsentscheidungen, -verläufe und tätigkeitsbezogenen Qualifizierungsprozesse der Teilnehmenden sichtbar werden lassen. Für die Programmgestaltung bedeutet dies, dass eine komplexe mehrperspektivische Betrachtung notwendig ist, u. a. da aus den beruflichen Anforderungen und den daraus resultierenden Bedarfen und Bedürfnissen der nachfragenden Adressaten und Adressatinnen, Themen für die wissenschaftliche berufliche WB aufgenommen werden müssen, die die für das Berufsfeld notwendigen Kompetenzen bzw. Inhalte behandeln. Im Planungshandeln kommen konkrete Nachfragen durch potenzielle Teilnehmende und Bedarfsformulierungen als auch Interpretationen der spezifischen Bedarfe durch die Planenden zusammen. Die zentralen gestaltenden Bezüge sind die domänenbezogenen Inhalte, die Tätigkeiten als solche und die tätigkeitsbezogenen Transferierungswege der Inhalte und Fähigkeiten. Diese in allen Perspektiven identifizierbaren Sedimente des Koppelungshandelns und des An- und Einkoppelns legen ganz grundlegend eine Verbindung zwischen Bildung, Individuum und gesellschaftlichen Gestaltungsfeldern frei, die im komplexen Handlungszusammenhang des Programmplanens als Entfalten, Platzieren und Gestalten ihre Wirkung entfaltet. Diese Wirkung bezieht sich auf die Strukturierung eines Feldes Kunst, Kultur und Bildung und auf die Gestaltungskraft, die von diesem Feld für die Gesellschaft ausgeht. Die vertiefende Analyse der Verschränkungen wiederum ermöglicht die Spezifizierung eines Bildungsbegriffes sowie des gestalteten Bildungsinstitutionalkonzeptes und einer Bildungssphäre. Die entwickelten Begrifflichkeiten und empirisch aufgedeckten Bezüge und Zusammenhänge ergeben neue bildungstheoretische Grundlagen, die in weiteren feldspezifischen und feldübergreifenden Anschlussstudien aufgegriffen werden können.